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Nr. 66 - Soziale Welt

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2<br />

POLITIK<br />

Occupy Frankfurt –<br />

Im Schatten der modernen Kathedralen der Hochfinanz<br />

Ein Kommentar von Gerhard Pfeifer<br />

Frauen in Dadaab<br />

(Foto: Philip Hedemann)<br />

Occupy bedeutet im Englischen<br />

– besetzen; seit Oktober 2011,<br />

haben die Anhänger der gleichnamigen<br />

Bewegung einen kleinen Bereich der<br />

Grünanlagen im Schatten der Bankenhochhäuser<br />

besetzt. Die Aktivisten der Frankfurter<br />

Occupy Organisation errichteten dort<br />

am Willy-Brand-Platz ein Zeltlager. Seit<br />

über einem halben Jahr, ist dieses kleine<br />

Zelt-Dorf ein Symbol für den Protest gegen<br />

wilde Spekulationen und ruinöse Finanztransaktionen.<br />

Die Bewegung kam auf, als mit der Lehmann-<br />

Pleite, Anfang September 2008, die internationale<br />

Banken- und Finanzkrise, richtig ins<br />

Rollen kam. Tausende Menschen haben seither<br />

Ihren Protest gegen den unkontrollierten<br />

Kapitalismus demonstriert.<br />

Seit der Anti-Kapitalismus-Demonstration<br />

am 31. März, bei der es zu Straftaten, Gewalt<br />

und Verletzten gekommen war, ist das Camp<br />

vor der EZB mehr denn je umstritten.<br />

Die aktiven „Occupyer“ haben sich zwar<br />

eindeutig von allen Gewalthandlungen distanziert<br />

und rufen ausschließlich zur friedlichen<br />

Demonstration gegen die von ihnen angeprangerten<br />

Missstände auf, konnten aber doch<br />

die Ausschreitungen nicht verhindern. Auch<br />

für weitere Demonstrationen befürchten die<br />

Behörden jetzt gewalttätige Ausbrüche.<br />

Obwohl das Camp, auch nach eigenen<br />

Angaben der Aktivisten, aus dem Ruder gelaufen<br />

war, weil dort zunehmend obdachlose<br />

Personen Unterschlupf gesucht hatten und<br />

sich ein Müllplatz-artiges Chaos ausgebreitet<br />

hatte, verlängerte die Stadt Frankfurt zunächst<br />

die Genehmigung, nachdem entsprechende<br />

Aufräumungsaktionen durchfeührt<br />

worden waren.<br />

Bei meinen Recherchen zu diesem Beitrag<br />

suchte ich nach den Zielen der Bewegung.<br />

Es fiel mir schwer, Solche auszumachen, die<br />

man als Ziele, die seitens der Bewegung als<br />

Ganzes vertreten werden, bezeichnen könnte.<br />

Bei dieser Suche gelangte ich von der offiziellen<br />

Seite der Frankfurter Occupy auf die<br />

Seite von „Thomas Occupy“, der wohl mit<br />

dem Thomas vom Infostand identisch ist<br />

und – seltsamerweise – eine eigene Webseite<br />

zu der Occupy-Bewegung betreibt. Hier<br />

ist zu lesen, dass er für die Bestrafung von<br />

Nichtwählern sei – also für die Einführung<br />

einer scharf sanktionierten Wahlpflicht stehe.<br />

Zweitens sei er für die Steuerpflicht, für dauernd<br />

im Ausland lebende Deutsche und an<br />

dritter Stelle seiner Aufzählung steht die Bestrafung<br />

von Haustierhaltern, die die Hinterlassenschaften<br />

ihrer Haustiere nicht von öffentlichen<br />

Wegen etc. entfernen würden. Er<br />

schlägt einen Monatslohn – als angemessene<br />

Bestrafung – für ein solches Delikt vor. Diese<br />

drei Punkte, so T. auf seiner Internetseite Occupy-Politics,<br />

wären erst der Anfang. Er wäre<br />

dabei 100 Punkte aufzustellen, was aber noch<br />

geraume Zeit in Anspruch nähme. – Warten<br />

wir´s einmal ab, vielleicht kommen da ja<br />

noch bessere Vorschläge, sonst würde ich die<br />

genannten Punkte als eine Art „fundamentalpolitische“<br />

Bankrotterklärung betrachten<br />

wollen, die mich sehr enttäuscht hat.<br />

Auf der offiziellen Seite von Occupy<br />

Frankfurt aber wird darauf hingewiesen, dass<br />

die Ziele, die zunächst dort veröffentlicht<br />

wurden, nur die Privatmeinung einzelner<br />

Aktivisten gewesen seien, die nicht als – gemeinschaftlich<br />

vertreten – verstanden werden<br />

könnten; leider konnte ich nicht mehr ausmachen,<br />

welche das denn waren. Vielleicht<br />

waren es die „Ziele“ von T. Punkt?<br />

Davon abgesehen gab es jede Menge Verweise<br />

und auch Beiträge, die mich folgendermaßen<br />

schlau gemacht haben:<br />

Die Bewegung versteht sich als basisdemokratisch<br />

und plädiert für die Abstimmung des Volkes<br />

in allen Angelegenheiten – via Internet – also<br />

ganz ähnlich wie bei den Piraten. Wobei ich<br />

hier die Einschränkung machen muss, dass<br />

dies wohl auch nur die Meinung einiger Aktivisten<br />

ist. Auf der offiziellen Seite jedenfalls ist<br />

schwer auszumachen, was als gemeinschaftlicher<br />

Konsens gilt. Wenigsten einige, entscheidende<br />

Ziele zu konfigurieren – also zu einer<br />

Entscheidung darüber zu kommen, was man<br />

gemeinschaftlich erreichen möchte, war bisher<br />

nicht wirklich möglich.<br />

Zu dieser Unentschlossenheit stehend,<br />

wird darauf verwiesen, dass die Bewegung vor<br />

allem und zuerst auf Missstände aufmerksam<br />

machen will, was ja auch erreicht wurde!<br />

Aus den einzelnen Beiträgen und Vorschlägen<br />

ergibt sich eine Richtung; Occupy Frankfurt<br />

ist – grob gesagt – gegen eine unkontrollierte<br />

und freie Finanzwirtschaft. Wie die Regulierungen<br />

aber auszusehen haben, ist nicht einheitlich<br />

definiert. Eines ist immer wieder zu<br />

hören – es ginge um die Entmachtung der<br />

Banken. Dabei, wie das erreicht werden soll,<br />

gehen die Meinungen auseinander. Ich würde<br />

sagen das Spektrum geht von totaler Kontrolle,<br />

wie im Sozialismus, bis hin zu einer Art<br />

sozialer Marktwirtschaft, mit wesentlich stärkerer<br />

Gewichtung des sozialen Anspruchs.<br />

In einem persönlichen Gespräch mit einem<br />

der Aktivisten im Lager, hatte ich den<br />

Eindruck, dass es um eine völlige Erneuerung<br />

der bestehenden Systeme gehen soll,<br />

weil man die bestehende Ordnung marode<br />

und „gekauft“ hält.<br />

Wie auch immer, da die Folgen der katastrophalen<br />

Misswirtschaft einiger Finanzinstitute,<br />

die von Gier und Skrupellosigkeit<br />

geleitet waren, Allen vor Augen stand, war<br />

Occupy klar: So kann es nicht weiter gehen!<br />

Die Menschen, die sich aufgemacht haben<br />

ihrer Enttäuschung, Hilflosigkeit und auch<br />

Wut, Ausdruck zu verleihen, finden seither<br />

unter den „Türmen der modernen Hochfinanz“<br />

am Willy-Brand-Platz zusammen, um<br />

gemeinsam gegen diese Entwicklung zu protestieren.<br />

Die kleinen, vom Wind zerzausten,<br />

Zelte und die schäbigen Klamotten im Zeltlager<br />

spiegeln dabei den krassen Unterschied<br />

von Arm und Reich, von Mächtig und Ohnmächtig<br />

und von Groß und Klein, im Schatten<br />

dieser „Finanzkathedralen“, wieder. Das<br />

sich darbietende Bild spricht für sich selbst.<br />

Gegen diesen Unterschied will man eintreten<br />

und ist vor allem – dagegen, gegen unkontrollierten,<br />

menschenverachtenden Kapitalismus,<br />

gegen Ausbeutung, Unterdrückung und<br />

die Sozialisierung der Schulden von Kapitalgesellschaften,<br />

die im Besitz einiger Weniger<br />

sind. Die Mehrheit der Menschen in aller<br />

<strong>Welt</strong> ist arm; Reiche dürfen Ihren Reichtum<br />

unbegrenzt vergrößern, während die Armen<br />

immer ärmer werden. Dagegen will man Protest<br />

einlegen. Es gibt jede Menge Ideen und<br />

Vorschläge verschiedenster Provenienz, aber<br />

kein wirkliches Konzept, kein Patent-Rezept,<br />

wie es besser gemacht werden kann.<br />

„99 % - das sind wir“, so lautet einer Ihrer<br />

Wahlsprüche, aber 99 % sind sie noch lange<br />

nicht, dennoch kamen Tausende und es<br />

werden Tausende kommen, die gegen einen<br />

blinden Kapitalismus demonstrieren wollen.<br />

Darum wird es höchste Zeit, ein Konzept zu<br />

entwickeln, dass die Energie des Protestes<br />

in eine vernünftige und realisierbare Bahn<br />

leitet. Es wird darum gehen, auf demokratischem<br />

Weg, politische Verantwortung zu<br />

übernehmen; denn es ist leicht einen Sturm<br />

der Entrüstung zu schüren, schwer aber dagegen,<br />

politische Verantwortung zu tragen<br />

und sich für realistische Entscheidungen persönlich<br />

einzusetzen.<br />

Aus der Geschichte ist bekannt, dass die<br />

Unfähigkeit sich zu einigen, zum Versagen<br />

der Demokratie führen kann. Im Zusammenhang<br />

mit „Occupy“ war die Rede von<br />

einer Revolution – dies darf und kann nur<br />

bedeuten – eine friedliche Erneuerung der<br />

Internationalen Finanzwesen anzustoßen.<br />

Es bleibt zu hoffen, dass nicht die relative<br />

Orientierungslosigkeit der Initiatoren und<br />

Aktivisten dazu beiträgt, den an sich guten<br />

Impuls, in blinde Wut umschlagen zu lassen,<br />

sodass bei der nächsten Demonstration wieder<br />

die Steine fliegen. Die Bewegung kann<br />

sich nur dann mit Ihren Anliegen bewähren,<br />

wenn sich Vertreter wählen lassen, die in den<br />

Parlamenten und Regierungen an der Verantwortung<br />

mitwirken.<br />

Ohne eine gemeinsame Zielsetzung und<br />

eine vernünftige, demokratische Umsetzung,<br />

kann die Sache immer aus dem Ruder laufen.<br />

Wenn es dabei, unter dem Absingen von<br />

haarsträubenden Verschwörungsparolen, zu<br />

weiteren Ausschreitungen kommt, ist das der<br />

Sache nur nicht dienlich, sondern kriminell<br />

und demokratiefeindlich.<br />

Die Politikerinnen und Politiker haben die<br />

Botschaft von Occupy gehört. Viele setzen<br />

sich für eine gerechtere Finanzpolitik und<br />

eine bessere Ordnung des Bankenwesens ein;<br />

jetzt ist es wichtig, dass die, die protestieren,<br />

auch zu Mitwirkenden am demokratischen<br />

Prozess werden, Verantwortung übernehmen<br />

und auf eine gute Ordnung hinarbeiten. Nur<br />

dann wird die Bewegung nicht in der Bedeutungslosigkeit<br />

verschwinden.

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