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SANIEREN UND SPAREN - Sparkassenzeitung

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46<br />

LITERATUR<br />

WIRTSCHAFTSMODELLE<br />

Der neue Wohlstand<br />

Der Nachhaltigkeitsexperte Tim Jackson stellt<br />

das Streben nach Wachstum infrage. Nicht alle<br />

Thesen sind neu, dennoch leistet sein Band<br />

einen wichtigen Beitrag zur Debatte.<br />

n VON MIRKO HEINEMANN<br />

Was ist Wohlstand? Für<br />

Angehörige der Nachkriegs-Generation<br />

in Europa<br />

lag die Antwort auf der<br />

Hand. Wohlstand hatte ein<br />

materielles Gesicht: Nie mehr<br />

hungern. Ein großes Haus besitzen.<br />

Ein Auto. Einen Farbfernseher.<br />

Der Weg dorthin<br />

war klar: Wirtschaftswachstum.<br />

Rauchende Schlote.<br />

Brummende Förderbänder.<br />

Wohlstand ohne Wachstum<br />

Leben und wirtschaften<br />

in einer<br />

endlichen Welt,<br />

Tim Jackson,<br />

Oecom Verlag<br />

2011, 293 Seiten,<br />

19,95 Euro<br />

Nun scheint der Zenit überschritten<br />

und die Grenze des<br />

Wachstums erreicht, zumindest<br />

in den Industriestaaten.<br />

Statt materieller Wünsche<br />

rücken andere Bedürfnisse<br />

langsam in den Vordergrund:<br />

Sicherheit, saubere Luft, sinnvolle<br />

Beschäftigung, sozialer<br />

Frieden. Sind dies die Kennzeichen<br />

für den Wohlstand<br />

von morgen?<br />

Tim Jackson versucht in<br />

seinem aktuellen Buch eine<br />

postindustrielle Definition<br />

von Wohlstand zu entwickeln.<br />

Als Professor für nachhaltige<br />

Entwicklung an der Universität<br />

Surrey und Leiter der<br />

Kommission für nachhaltige<br />

Entwicklung der britischen<br />

Regierung ist er Anhänger<br />

des „Green New Deal“. Gerne<br />

zitiert er den ehemaligen Premierminister<br />

Gordon Brown.<br />

Der hatte vom „Zeitalter der<br />

Verantwortungslosigkeit“<br />

gesprochen, der Ära der Bedrohungen<br />

durch soziale<br />

Schieflagen und der Zerstörung<br />

von Landschaften durch<br />

Überfischung, Artensterben,<br />

Bedrohungen durch soziale<br />

Schieflagen.<br />

Jackson möchte den globalen<br />

Turbokapitalismus durch<br />

eine soziale und nachhaltige<br />

Marktwirtschaft ersetzen.<br />

Doch er weiß, dass es unrealistisch<br />

wäre, anzunehmen,<br />

„man könne Emissionen und<br />

Ressourcenverbrauch tiefgreifend<br />

senken, ohne sich<br />

mit der Struktur der Martwirtschaften<br />

auseinanderzusetzen“.<br />

Seine Gedanken hierzu sind<br />

nicht ganz neu. Er regt eine<br />

Umverteilung von Arbeit an,<br />

eine neue Investitionskultur,<br />

die Umstellung auf eine<br />

arbeitsintensive Dienstleistungswirtschaft.<br />

So etwas<br />

lässt sich aber nicht gegen<br />

den Willen der Bevölkerung<br />

durchsetzen.<br />

Nachhaltigkeit ist als ökonomisches<br />

Thema nicht erst seit<br />

der Finanzkrise aktuell. Das<br />

Umdenken zeigt sich hierzulande<br />

in Entscheidungen wie<br />

dem Atomausstieg, es findet<br />

seinen Ausdruck in den Wahlerfolgen<br />

der grünen Partei.<br />

Gleichzeitig wächst in den<br />

Unternehmen die Bedeutung<br />

alternativer Produkte, von<br />

Nachhaltigkeit, Corporate Social<br />

Responsibility und Green<br />

Economy.<br />

Nationale Sicht ist veraltet<br />

Aber klar ist auch: Die nationale<br />

Sichtweise ist überholt.<br />

Armut, Kriege, Flüchtlingsproblematik,<br />

Umweltgifte<br />

oder Atomunfälle – Bedrohungen<br />

sind global. Global<br />

muss demnach auch das<br />

Ins trument zur Bekämpfung<br />

sein. Hier hakt es leider bei<br />

Tim Jackson. Gleichwohl ist<br />

sein Buch ein wichtiger Beitrag<br />

in der Debatte um die<br />

Ökonomie von morgen. <br />

Großes Haus und Fernseher: Das Wohlstands- und Wachstumsmodell<br />

der Nachkriegsära hat sich in reichen Ländern überlebt. Arme Länder<br />

brauchen indes dringend Wachstum.<br />

FOTO: DPA<br />

„Wachstum muss dort herrschen, wo es<br />

gebraucht wird“ – Fragen an den Autoren<br />

SPARKASSE: Mr. Jackson,<br />

warum sollen wir unser Verständnis<br />

von Wirtschaft überdenken?<br />

Prof. Tim Jackson: Die konventionelle,<br />

wachstumsbasierte<br />

Wirtschaft ist in den<br />

reichsten Ländern an ihre<br />

Grenzen gelangt. Der Wohlstand<br />

wurde mit der Ausbeutung<br />

unserer Ressourcen<br />

und einer weitreichenden<br />

Umweltzerstörung erkauft<br />

– unterstützt von einem ungerechten<br />

Finanzsystem,<br />

das die globale Wirtschaft<br />

an den Rand des Zusammenbruchs<br />

gebracht hat.<br />

Und dieser ganze Überfluss<br />

macht die Industrieländer<br />

nicht einmal glücklicher. In<br />

armen Ländern sieht es anders<br />

aus: Es muss Entwicklung<br />

geben, um die Armut<br />

zu bekämpfen. Wir brauchen<br />

ein Wirtschaftsmodell,<br />

das Wachstum dort schafft,<br />

wo er gebraucht wird.<br />

Wie sieht Ihre Definition von<br />

Wohlstand aus?<br />

Jackson: Wohlstand bedeutet,<br />

dass es einem gut geht,<br />

dass man entsprechend seinen<br />

Hoffnungen und Erwartungen<br />

leben kann. Befragt<br />

man Menschen danach,<br />

zählen sie folgende Faktoren<br />

auf: Gesundheit, Familie,<br />

Freunde, eine saubere Umwelt,<br />

die Möglichkeit gesellschaftlicher<br />

Teilhabe,<br />

einen Lebenssinn. Dies mit<br />

Einkommenszuwachs erreichen<br />

zu wollen, wäre naiv.<br />

Wir untergraben die Hoffnung,<br />

wenn wir unsere Wirtschaft<br />

über die ökologische<br />

Kapazität unseres Planeten<br />

hinauswachsen lassen.<br />

Sehen Sie Chancen auf einen<br />

Denkwandel in der Bevölkerung?<br />

Jackson: Der Wandel findet<br />

bereits statt. In den<br />

reichen Volkswirtschaften<br />

wird diskutiert, wie man<br />

nach der Finanzkrise weitermachen<br />

soll. Es gibt ernsthafte<br />

Ansätze, unsere Maßeinheit<br />

für den Fortschritt<br />

neu zu definieren. Es gibt<br />

Initiativen zur Reformierung<br />

des Finanzsystems<br />

und für ethisches Investment.<br />

Konzerne beginnen<br />

zu verstehen, dass sie ihr Geschäftsmodell<br />

überdenken<br />

müssen. Nun müssen die Politiker<br />

den Strukturwandel<br />

unterstützen. Vor allem unter<br />

den jungen Menschen ist<br />

die Lust auf Veränderungen<br />

groß.<br />

<br />

Sieht „Lust auf Veränderungen“:<br />

britischer Nachhaltigkeitsprofessor<br />

und Autor Tim<br />

Jackson.<br />

FOTOS: PRIVAT, DPA<br />

S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1

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