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Cicero Ist der Islam böse? (Vorschau)

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TITEL<br />

<strong>Ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Islam</strong> <strong>böse</strong>?<br />

„Der Koran ist das<br />

stärkste Buch, das<br />

die Menschen hin<strong>der</strong>t,<br />

kritisch zu denken“<br />

Hamed Abdel-Samad<br />

Abdel-Samad: Das kannst du doch aber nur sagen,<br />

weil du in Europa aufgewachsen bist und in keiner<br />

islamischen Mehrheitsgesellschaft. Hier kannst du<br />

es dir erlauben, die Rosinen gewissermaßen aus einem<br />

versteinerten Kuchen herauszupicken. Ich bleibe dabei:<br />

Der Koran ist das stärkste Buch, das die Menschen<br />

daran hin<strong>der</strong>t, kritisch zu denken. Denn wer kritisch<br />

über den <strong>Islam</strong> nachdenkt, ist seines Lebens nicht mehr<br />

sicher. Ich weiß, wovon ich rede.<br />

Kaddor: Du argumentierst nach demselben Muster<br />

wie die Fundamentalisten. Für dich gibt es nur den<br />

100-prozentigen o<strong>der</strong> gar keinen Moslem. So ist es<br />

aber nicht.<br />

Abdel-Samad: Wenn ich den Koran ernst nehme,<br />

ist es sehr wohl so. Gott soll laut Koran auf jede Schulter<br />

jedes Gläubigen einen Engel gesetzt haben, einen<br />

rechts und einen links, die alles protokollieren, fast<br />

wie die Gestapo. Wer mit solchen Überzeugungen aufwächst,<br />

fühlt sich 24 Stunden am Tag überwacht. Wie<br />

soll da kritisches Denken entstehen? Wer Gott nicht<br />

folgt, schmort in <strong>der</strong> Hölle: Das ist die Quintessenz<br />

dieser Religion.<br />

Kaddor: Das ist die Quintessenz je<strong>der</strong> Religion.<br />

Jede Religion will dem Menschen eine verbindliche<br />

Richtlinie für sein Leben vorgeben. Die Bekämpfung<br />

von An<strong>der</strong>sgläubigen steht in keiner Religion an erster<br />

Stelle.<br />

Abdel-Samad: Darum muss jede Religion relativiert<br />

werden – beson<strong>der</strong>s aber die Vorstellung eines<br />

heiligen Textes, <strong>der</strong> von Gott gesprochen und niemals<br />

verfälscht worden sein soll.<br />

Kaddor: Ein solcher heiliger Text birgt Gefahren,<br />

aber er gibt auch jedem Einzelnen die große Gelegenheit,<br />

mit ihm verantwortungsvoll umzugehen. Ich versuche<br />

das, indem ich ihn kontextualisiere, ohne beliebig<br />

zu werden.<br />

Damit dürften Sie einem recht exklusiven Club<br />

angehören.<br />

Abdel-Samad: Es ist immer leichter, einen Text<br />

wortwörtlich zu befolgen, als ihn in verschiedene Kontexte<br />

zu setzen. Darum haben es aufgeklärte Muslime<br />

so schwer. Sie dringen einfach nicht durch. Durch die<br />

gesamte islamische Geschichte zieht sich das Bild eines<br />

Gottes, <strong>der</strong> bestraft, aber nicht infrage gestellt werden<br />

darf. Alle Diktatoren dieser Welt haben ihn sich zum<br />

Vorbild genommen.<br />

Kaddor: Wir sollten bei aller berechtigten Kritik<br />

an einem solchen Bild aber bitte nicht vergessen, dass<br />

in vielen Religionen Gott eine herausfor<strong>der</strong>nde Gestalt<br />

ist.<br />

Abdel-Samad: Ja, auch im Alten Testament, auch<br />

in hinduistischen Texten wird Gewalt propagiert. Das<br />

Problem ist deshalb nicht <strong>der</strong> Text an sich, son<strong>der</strong>n dessen<br />

Stellenwert innerhalb <strong>der</strong> Gemeinschaft. Wenn die<br />

Mehrheit <strong>der</strong> Gläubigen davon ausgeht, dieses Wort<br />

Gottes sei bindend für alle Zeiten, haben wir ein Problem.<br />

Eine solche Sichtweise ist Sprengstoff.<br />

Wird sich daran je etwas än<strong>der</strong>n?<br />

Kaddor: Ich stimme zu, dass weniger die Inhalte<br />

als die Vermittlung und das Verständnis problematisch<br />

sind. Deshalb engagiere ich mich in <strong>der</strong> Religionspädagogik<br />

für ein an<strong>der</strong>es Gottesbild, für einen Gott,<br />

<strong>der</strong> von den Menschen verlangt, gerecht und gut zu<br />

sein, sich um Arme, Unterdrückte, Witwen und Waisen<br />

zu kümmern, Sklaven freizukaufen und Mädchen<br />

und Frauen genauso zu lieben und zu respektieren<br />

wie Jungen und Männer. Das gibt <strong>der</strong> Koran nämlich<br />

auch her. Die Muslime müssen, wie im Judentum und<br />

im Christentum, das Bewusstsein für Pluralität entwickeln.<br />

Wir müssen eine Jugend heranziehen, die kritisch<br />

und mündig mit Religion umgeht. Das ist systematisch<br />

die ganzen letzten Jahrhun<strong>der</strong>te nicht gemacht<br />

worden, we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> islamischen noch in <strong>der</strong> westlichen<br />

Welt. Ohne religiöse Mündigkeit wird es aber keinen<br />

religiösen Frieden geben.<br />

Abdel-Samad: Das will ich gerne glauben. Doch es<br />

wäre schön, wenn auch die Menschen, die an den Koran<br />

nicht glauben, in Frieden leben könnten. Europa<br />

wäre nicht so weit gekommen, wie es gekommen ist,<br />

wenn Immanuel Kant und John Locke, Jean-Jacques<br />

Rousseau und Voltaire ihre Gedanken nicht hätten öffentlich<br />

äußern dürfen. Es muss eines Tages auch möglich<br />

sein, in <strong>der</strong> Öffentlichkeit und nicht nur in den eigenen<br />

vier Wänden den <strong>Islam</strong> zu kritisieren, sich zu<br />

ihm zu bekennen o<strong>der</strong> sich von ihm abzuwenden. Ich<br />

hoffe, ich werde es noch erleben.<br />

„Wir müssen endlich<br />

eine Jugend heranziehen,<br />

die mündig<br />

mit Religion umgeht“<br />

Lamya Kaddor<br />

28<br />

<strong>Cicero</strong> – 8. 2014

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