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seitenbühne Nr. 10 - Staatsoper Hannover

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September/Oktober 2008<br />

kostenlos<br />

seitenbühne<br />

Das Journal der staatsoperXhannover


La Calisto<br />

von Francesco Cavalli<br />

Lustvolle Bilder. Frech, komisch, anrührend.<br />

BILD<br />

Ein kräftiger Schuss „Ein Käfig voller Narren“,<br />

aber nie so, dass es ins Klamaukige abgleitet.<br />

Neue Presse<br />

Kerkhof schafft mit schlichten, schönen Bildern<br />

viel Raum für die Musik. Und die ist an diesem<br />

Abend außerordentlich.<br />

<strong>Hannover</strong>sche Allgemeine Zeitung<br />

Musikalische Leitung Andreas Wolf<br />

Inszenierung Ingo Kerkhof Bühne Anne Neuser<br />

Kostüme Stephan von Wedel<br />

Giove Frank Schneiders<br />

Mercurio Stefan Zenkl<br />

Calisto Hinako Yoshikawa<br />

Diana Khatuna Mikaberidze<br />

Endimione David Cordier<br />

Linfea Ivan Turšić<br />

Satirino Julia Faylenbogen<br />

Pane Sung-Keun Park<br />

Silvano Shavleg Armasi<br />

Giunone Alla Kravchuk<br />

Nur noch 5 Mal!<br />

25. und 27. September,<br />

8. und 19. Oktober 2008, 19.30 Uhr<br />

5. Oktober 2008, 16 Uhr<br />

Julia Faylenbogen, Ivan Tuřsić<br />

Telefonischer Kartenverkauf<br />

Telefon 0511/9999-1111<br />

Montag bis Freitag <strong>10</strong> – 17.30 Uhr<br />

Samstag <strong>10</strong> – 14 Uhr<br />

Fax 0511/9999-1999<br />

Kasse im Opernhaus<br />

Mo bis Fr: <strong>10</strong> – 19.30 Uhr, Sa: <strong>10</strong> – 18 Uhr. Wir akzeptieren EC-Karte, VISA, American<br />

Express, MasterCard. Im Kartenpreis sind die Garderobengebühr und die GVH-Fahr -<br />

karte für die Fahrt zur Vorstellung und wieder nach Hause enthalten.<br />

Titel: La Calisto – Hinako Yoshikawa


Proszenium seitenbühne | Seite 3<br />

Klassisch oder modern?<br />

„Ist die Inszenierung klassisch oder modern?“ Diese Frage bekommen wir<br />

Theatermacher immer wieder gestellt, und die Antwort ist eindeutig: Jede<br />

unserer Aufführungen ist „modern“. Zwar basiert sie auf mehr oder weniger<br />

historischen Vorlagen, doch realisiert wird sie von heutigen Menschen für<br />

heutige Menschen.<br />

Unser Publikum ist von modernen Seh- und Hörerfahrungen geprägt. Es stellt<br />

(zu Recht!) moderne Ansprüche an den Sitzkomfort und die Übertitelanlage, an<br />

den Kartenkauf per Internet und die Parkgarage. Auch bei der Bühnentechnik<br />

wünscht sich wohl keiner ins klassische Zeitalter mit Gasbeleuchtung, handbetriebenen<br />

Zügen und rumpelnden Umbauten zurück. Und auf die Brillanz des<br />

modernen Orchester- und opulenten Chorklangs hervorragend ausgebildeter<br />

Musiker möchte sicher niemand verzichten.<br />

Doch auch jenseits des technischen Fortschritts ist das Musiktheater immer<br />

zeitgenössisch. Der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus hat die Oper einmal<br />

treffend als „Drama der absoluten Gegenwart“ bezeichnet. Der Brillanz aller<br />

CD- und DVD-Aufnahmen zum Trotz bleibt ihre eigentliche, einzig wahre<br />

Form die der Aufführung. Musik und Theater sind unwiederholbare, vergäng -<br />

liche, flüchtige Ereignisse, die sich nur mit Abstrichen erinnern, aufzeichnen<br />

und konservieren lassen. Auf wundersame Weise hinterlässt jede Aufführung ihr<br />

Werk, und sei es noch so alt, belebt und aktualisiert. Das gilt auch für uns als<br />

Publikum. Musiktheater bietet eine Fläche der Identifikation, einen Phantasieund<br />

Projektionsraum, in dem wir Heutigen uns und unsere Welt wiederfinden.<br />

Der Blick in den Spiegel lässt nicht unberührt, er muss einen Nerv treffen,<br />

emotional oder intellektuell. Mit dieser Erfahrung verlassen auch wir Zuschauer<br />

den Theaterraum bewegt und verändert.<br />

Das macht Musiktheater gegenwärtig, mitunter aber auch anstrengend. Man<br />

kann sich ihm nicht so einfach entziehen. Obwohl die Handlung durch das<br />

räumliche Arrangement mit Guckkastenbühne und Orchestergraben distanzierter<br />

als in jedem Film transportiert wird, ist seine szenische, akustische und<br />

emotionale Präsenz mächtig.<br />

Vor einem Bild im Museum können wir stehenbleiben oder weitergehen.<br />

Den heimischen Fernseher steuern wir per Fernbedienung nur mit einem<br />

Finger. In beiden Situationen fällt die Entscheidung für oder gegen das, was wir<br />

sehen, innerhalb von Sekunden, ohne eine spürbare Reaktion. Musiktheater<br />

hingegen erstreckt sich über die Dauer einer Aufführung, zu der das Publikum<br />

mit seiner Reaktion einen wichtigen Teil beiträgt. Durch Gelächter oder Protest,<br />

ein Buh oder Bravo teilt es sein Empfinden, anders als im Kino, nicht der x-ten<br />

Kopie eines vor Jahresfrist abgedrehten Films mit, sondern den ausführenden,<br />

(re-)agierenden Künstlern.<br />

In dieser Unmittelbarkeit der Gegenwart von Bühne und Publikum liegt die<br />

große Kraft und Modernität der Oper.<br />

Swantje Gostomzyk<br />

Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


Seite 4 | seitenbühne<br />

Oper<br />

„Wir sehen nicht,<br />

wir hören nicht“<br />

Hans Werner Henzes Oper<br />

Die Bassariden<br />

„Wir sehen nicht, wir hören nicht: Wir<br />

knie’n und beten an.“ – Am Ende will keiner<br />

etwas von dem grausamen Blutbad wahr -<br />

genommen haben, das sich in Theben ab -<br />

gespielt hat. Pentheus, der Herrscher des<br />

griechischen Stadtstaats, liegt tot und in einzelne<br />

Teile zerstückelt am Boden. Seine<br />

eigene Mutter Agaue hat ihn zerfetzt,<br />

gemeinsam mit anderen Frauen, die sich zu<br />

Ehren des Gottes Dionysos auf dem Berg<br />

Kithairon einem mordlüsternen Rausch hingegeben<br />

haben. Soeben erst zu Bewusstsein<br />

gekommen, die Leiche des Pentheus noch<br />

vor Augen, huldigt man nun in einem großen<br />

Staatsakt dem neuen Herrscher Thebens:<br />

Dionysos.<br />

„Wir sehen nicht, wir hören nicht" – eine<br />

Sentenz, die nicht nur der thebanischen,<br />

sondern auch der deutschen Vergangenheit<br />

bestens vertraut ist. Die Nürnberger Prozesse<br />

lagen noch nicht lange zurück, das<br />

restaurative Klima der Adenauer-Ära<br />

schwebte noch wie Schwermetall über der<br />

Bundesrepublik und die Befreiungsschläge<br />

der 68er bahnten sich gerade erst an, als der<br />

deutsche Komponist Hans Werner Henze<br />

sich 1964 für seine Oper Die Bassariden auf<br />

einen Stoff besann, der bereits 400 Jahre vor<br />

Christus entstanden war: Euripides’ Die<br />

Bakchen, eine der grausamsten Tragödien<br />

der Literaturgeschichte.<br />

Ein durch und durch politischer Stoff<br />

Verfasst hatte Euripides diese Tragödie in<br />

einer politischen Umbruchzeit und einer<br />

Situation grundlegender Verunsicherung.<br />

Wenige Jahre zuvor hatten die Athener im<br />

Rahmen des Peloponnesischen Krieges eine<br />

vernichtende Niederlage erfahren, hatten<br />

erlebt, wie die hybride Großmacht-Phantasie,<br />

sich Sizilien einverleiben zu können, im<br />

Tod tausender griechischer Krieger endete.<br />

Die Erfahrung, verwundbar zu sein, führte<br />

dazu, dass das alte System und damit die<br />

demokratische Grundkonstitution Athens<br />

misstrauisch in Frage gestellt wurde, dass<br />

sich ein idealer Nährboden für neue, irrationale<br />

Bewegungen bildete: Zunehmend<br />

wurde Athen während des Krieges von fremden,<br />

orgiastischen Kulten überschwemmt,<br />

darunter als einer der wichtigsten der Dionysos-Kult.<br />

Jener Kult also, aus dessen Ritualspielen<br />

anderthalb Jahrhunderte zuvor die<br />

Tragödie selbst hervorgegangen war, die sich<br />

für die griechische Bevölkerung zu einer Art<br />

„Nachrichtenmagazin“ entwickelt hatte,<br />

einem theatralen Kommentar auf die politischen<br />

Ereignisse der Zeit.<br />

Der Kommentar, den Euripides mit den<br />

Bakchen auf die Situation der Zeit verfasste,<br />

war ein außerordentlich düsterer, diagnostizierte<br />

er darin doch eine antike Massenpsychose<br />

und deutete den dionysischen Kult als<br />

Zeichen der Grausamkeit, die ein Mensch<br />

dem Menschen zuzufügen imstande ist.<br />

„Homo homini lupus est“ – so könnte das<br />

Stück ebenfalls heißen. Anders als später in<br />

Nietzsches Geburt der Tragödie ist Dionysos<br />

bei Euripides kein verherrlichter Gott der<br />

Kunst, sondern ein rachsüchtiger Mensch,<br />

ein zwielichtiger Demagoge, ein knallharter<br />

Machtpolitiker. Als Vertreter des Irrationalen<br />

erweist sich Dionysos als alles vernichtender,<br />

alles zerfleischender Widersacher<br />

der Vernunft.


Oper seitenbühne | Seite 5<br />

In den Bakchen schützt keiner den anderen,<br />

alle liefern sich gegenseitig aus. Die Repräsentanten<br />

der alten Ordnung, Kadmos und<br />

Teiresias, erweisen sich als Opportunisten,<br />

die auf der Welle des neuen Kults mitschwimmen.<br />

Kadmos gibt aus Vorsicht und<br />

Angst vor der göttlichen Macht nach, Teiresias,<br />

der blinde, weise Seher, verkommt zur<br />

würdelosen Karikatur, zum rückgratlosen<br />

Wendehals. Nur einer wagt es, das vermeintlich<br />

Göttliche in Frage zu stellen:<br />

Pentheus. Doch diese Infragestellung wird<br />

als Hybris geahndet, die ihn schließlich zu<br />

Fall bringt. Der strenge Rationalist Pentheus<br />

mutiert erst zum ekstatisch Berauschten und<br />

endet schließlich als Schmerzensmann (penthos<br />

= Schmerz). Der zerbrochene Körper<br />

des Pentheus wird zur Metapher für den zerbrochenen<br />

Menschen überhaupt.<br />

Ein politischer Komponist<br />

All die Erfahrungen, die Euripides in seiner<br />

408 v. Chr. entstandenen Tragödie bündelte,<br />

spiegeln auch die politische Situation<br />

Deutschlands im 20. Jahrhundert wider.<br />

Während der Nazi-Zeit hatte sich gezeigt,<br />

wie – so der Librettist Wystan Hugh Auden<br />

– „ganze Gesellschaften vom Dämon befallen<br />

werden können“, wie sich eine komplette<br />

Bevölkerung kopflos einem demagogischen<br />

Agitator überantworten kann. Sigmund<br />

Freud, von dem Auden sehr beeinflusst war,<br />

hatte 1921 in seinem Essay Massenpsychologie<br />

und Ich-Analyse seine zentralen Thesen über<br />

das Individuum, das in der Menge zum<br />

Triebwesen wird, gleich einer Vorausschau<br />

auf den Faschismus formuliert. Der Glaube<br />

an die Macht der Vernunft war verlorengegangen,<br />

die Aufklärung hatte sich dialektisch<br />

ins Gegenteil verkehrt. In einem Gespräch<br />

mit Klaus Schulz 1975 wies Henze auf die<br />

Parallelen seiner Oper zur Vorlage von Euripides<br />

hin: „Das Ganze ist einfach der Euripides,<br />

2400 Jahre später neu gelesen, neu<br />

interpretiert.“ Henze bündelte die Inhalte<br />

seiner Oper weiterhin in so existenziellen<br />

Fragen wie: „Was ist Freiheit, was ist Unfreiheit?<br />

Was ist Repression, was ist Revolte,<br />

was ist Revolution?“<br />

Diese Fragen spiegelten für Hans Werner<br />

Henze auch zahlreiche Aspekte seiner eigenen<br />

Biographie. 1926 als Sohn eines Lehrers<br />

im westfälischen Gütersloh geboren, hatte<br />

er die manipulative Macht des Faschismus<br />

aus unmittelbarer Nähe erfahren. Henzes<br />

Vater hatte sich während der Nazi-Zeit vom<br />

Sozialisten zum überzeugten NSDAP-Mitglied<br />

gewandelt, forderte vom Sohn ebenso<br />

euphorische Parteitreue und verurteilte dessen<br />

homosexuelle Neigungen mit den Worten,<br />

dass „so etwas ins KZ gehöre“. Henze<br />

erlebte den Zweiten Weltkrieg nicht nur<br />

passiv, sondern wurde ein Jahr lang als Funker<br />

bei der Wehrmacht eingezogen – eine<br />

Erfahrung, die ihn Zeit seines Lebens<br />

Faschismus und Diktatur verurteilen ließ.<br />

Schon während des Studiums der Komposition<br />

in Braunschweig sowie später bei<br />

Wolfgang Fortner in Heidelberg begeisterte<br />

Henze sich für das Genre der Oper und ging<br />

diesem Interesse durch Engagements als<br />

Korrepetitor an den Theatern in Bielefeld,<br />

Konstanz und Wiesbaden nach. Als erste<br />

größere Werke entstanden Kompositionen<br />

für das Ballett, 1952 schließlich gelang ihm<br />

mit der – übrigens in <strong>Hannover</strong> uraufgeführten<br />

– Oper Boulevard Solitude der<br />

Durchbruch. Dennoch konnte Henze in<br />

Deutschland nur bedingt reüssieren. Das<br />

Dogma des Serialismus, das die junge Komponisten-Avantgarde<br />

der Darmstädter<br />

Schule über Deutschland verhängte, ließ<br />

ihn, den auf die als anachronistisch verurteilte<br />

Form der Oper zurückgreifenden<br />

Komponisten, zum Außenseiter werden.<br />

Darüber hinaus im prüden Klima der Adenauer-Ära<br />

wegen seiner Homosexualität argwöhnisch<br />

beäugt, entschloss er sich 1953,<br />

nach Italien überzusiedeln. „Mir kam es<br />

nicht so sehr auf die Pinien an, das Meer, die<br />

antiken Bauwerke: Ich wollte vielmehr endlich<br />

leben. Mein eigenes Leben führen zu<br />

können, frei von Angst, unbehelligt von<br />

Skandalen und ohne das bedrückende<br />

Gefühl haben zu müssen, ein Außenseiter zu<br />

sein, bloß weil ich mich sexuell anders verhalte<br />

als die Majorität“, reflektierte Henze<br />

seine Entscheidung 1971 in einem Gespräch<br />

mit Hansjörg Pauli.<br />

Ein Herrscher, zwei Gesichter:<br />

Pentheus (Brian Davis) als Politiker<br />

und im Kostüm seiner Mutter Agaue.


Seite 6 | seitenbühne<br />

Oper<br />

In Italien knüpfte er die Kontakte, die<br />

seine weitere Entwicklung wesentlich beeinflussen<br />

sollten und in langjährige, äußerst<br />

fruchtbare künstlerische Freundschaften<br />

mündeten, so etwa zu Ingeborg Bachmann<br />

sowie Wystan Hugh Auden – beides wichtige<br />

Librettisten seiner Opern. In Italien<br />

entwickelte Henze außerdem ein reges politisches<br />

Engagement. Er trat der Kommunistischen<br />

Partei bei, nahm demonstrativ<br />

einen Lehrauftrag an der Universität in<br />

Havanna an, komponierte mit dem Rezital<br />

El Cimarrón einen hochpolitischen Lebensbericht<br />

eines entlaufenen Sklaven, mit der<br />

Oper We come to the river ein nicht minder<br />

gesellschaftskritisches Werk über einen<br />

General, der an seinen Taten verzweifelt. In<br />

dieser Reihe der politischen Arbeiten stehen<br />

auch die Bassariden, die darüber hinaus<br />

immer eine künstlerische Sonderstellung in<br />

Henzes Œuvre eingenommen haben:<br />

„Heute, mit dem Abstand von 45 Jahren,<br />

kann man sehen und sagen, dass die Komposition<br />

der Bassariden entscheidende Konsequenzen<br />

hatte für die Autonomie meiner<br />

weiteren künstlerischen Entwicklung“, sagte<br />

der Komponist jüngst in einem Interview<br />

anlässlich der Münchner Aufführung des<br />

Werkes.<br />

Musikalische Machtübernahme<br />

Tatsächlich ist dieses Werk bis in die Musik<br />

hinein politisch, vollzieht es doch auch musikalisch<br />

eine „Machtübernahme“ nach. Zwei<br />

antagonistische musikalische Prinzipien sind<br />

es, auf die Henze für das thematische Material<br />

seiner Oper zurückgriff: eines, das für<br />

den Rationalismus des Pentheus steht<br />

(geprägt durch scharfe Fanfarenklänge und<br />

rhythmische Markanz), und ein anderes, das<br />

die verführerische Sprache des Dionysos<br />

repräsentiert (vertreten durch kantable<br />

Lyrismen und perkussive Naturklänge).<br />

Nach und nach vermengen sich die beiden<br />

gegensätzlichen Bereiche, bis das Thema des<br />

Pentheus gänzlich von dem des Dionysos<br />

verschluckt wird. Viersätzig strukturiert und<br />

damit auf die sinfonische Form zurückgreifend,<br />

bezog Henze zahlreiche Zitate in seine<br />

Komposition mit ein, die als großes Vorbild<br />

Gustav Mahler durchscheinen lassen, aber<br />

auch Johann Sebastian Bach, aus dessen<br />

Matthäuspassion Henze zitiert, wenn Pentheus<br />

bereits halb zerstört als Schmerzensmann<br />

am Boden liegt. Es ist eine große<br />

Klanggewalt, die Henze mit Hilfe eines riesigen<br />

Orchesterapparates entfaltet, um das<br />

Umsichgreifen des dionysischen Rausches<br />

zu schildern.<br />

Zu dieser großen Klanggewalt trägt auch<br />

der Chor bei, der der eigentliche Hauptdarsteller<br />

des Stückes ist. Den Autoren war es<br />

wichtig, die berauschte Menge nicht auf die<br />

Mänaden und damit auf einen Frauenchor<br />

zu reduzieren, sondern auch Männer mit<br />

einzubeziehen, also ein gesamtes Volk zu<br />

zeigen. Aus diesem Grund benannten sie das<br />

Werk in Die Bassariden um, steht der Begriff<br />

„bassaros“ doch für Fuchsschwanz und<br />

damit für eines der Attribute, das die Anhänger<br />

des Dionysos neben dem Rehfell und<br />

dem Thyrsosstab trugen. Dennoch repräsentiert<br />

der Chor mehr als das Volk, das erst<br />

unterdrückt, dann verführt wird und schließlich<br />

außer Rand und Band gerät. An einigen<br />

Stellen vertritt der Chor auch das Unterbewusstsein<br />

des Pentheus oder fungiert<br />

schlicht als magischer Klanghintergrund, als<br />

musikalischer Ausdruck des Irrationalen.<br />

Von der politischen Brisanz der antiken Tragödie<br />

über die gesellschaftlichen Hintergründe<br />

der 60er Jahre bis hin zur Situation<br />

unserer Zeit: Angesichts aktueller Debatten<br />

über die Aufweichung des Folter-Verbots<br />

und die Infragestellung der Demokratie,<br />

angesichts von Sektenwahn und einer neuen<br />

Sehnsucht nach Transzendenz sind Henzes<br />

Bassariden eine erschreckend gegenwärtige<br />

Zustandsbeschreibung unserer Zeit. „Wir<br />

sehen nicht, wir hören nicht“ – oder vielleicht<br />

doch?<br />

Sylvia Roth<br />

Hans Werner Henze<br />

Die Bassariden<br />

Musikdrama in einem Akt<br />

Musikalische Leitung Stefan Klingele<br />

Inszenierung Tilman Knabe<br />

Bühne Wilfried Buchholz<br />

Kostüme Gabriele Rupprecht<br />

Chor Dan Ratiu<br />

Dramaturgie Sylvia Roth<br />

Pentheus Brian Davis<br />

Dionysos Robert Künzli<br />

Agaue Arantxa Armentia<br />

Kadmos Tobias Schabel<br />

Teiresias Tadeusz Galczuk<br />

Beroe Okka von der Damerau<br />

Autonoe Karen Frankenstein<br />

Chor der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />

Niedersächsisches Staatsorchester<br />

<strong>Hannover</strong><br />

Premiere am 13. September 2008,<br />

19.30 Uhr<br />

Einführungsmatinee am<br />

7. September 2008, 11 Uhr, Laves-Foyer<br />

Zur Handlung<br />

Endzeitstimmung im Hause Theben. Pentheus, Enkel des bisherigen Herrschers<br />

Kadmos, soll die Macht über den griechischen Stadtstaat übernehmen. Doch seine<br />

noch nicht etablierte Autorität wird von einem Mann unterwandert, der behauptet, der<br />

Gott Dionysos zu sein und die Bevölkerung zu orgiastischen Exzessen auf dem Berg<br />

Kithairon verführt. Immer mehr Menschen schließen sich dem selbsternannten<br />

Propheten an, auch Pentheus’ Mutter Agaue. Nachdem alle Versuche, die subversiven<br />

Kräfte durch strenge Verbote zu eliminieren, gescheitert sind, beschließt Pentheus, sich<br />

ein eigenes Bild zu machen und mischt sich – als Frau verkleidet – selbst unter die<br />

Menge auf dem Kithairon. Doch er hat nicht mit der hysterischen Kraft der Masse und<br />

der manipulativen Macht des Dionysos gerechnet: In einer blutigen Orgie wird<br />

Pentheus von den Bacchantinnen gejagt und schließlich von der eigenen Mutter, die<br />

ihn für einen Löwen hält, ermordet. Erst nachdem sie stolz das abgeschlagene Haupt<br />

nach Hause gebracht hat, realisiert Agaue, wen sie getötet hat. Dionysos kann Theben<br />

triumphierend verlassen – er hat die thebanische Dynastie vernichtet und stattdessen<br />

seinen eigenen Kult etabliert.


Kantinenplausch seitenbühne | Seite 7<br />

Kosmopolitisch kochen<br />

Wenn man Karen Frankenstein aufs Singen<br />

anspricht, dann strahlen ihre Augen – denn<br />

singen, das wollte sie schon immer. Bereits als<br />

kleines Kind hörte die Amerikanerin ausschließlich<br />

Klassik, mit sechs Jahren erlebte sie<br />

ihre erste Opernaufführung und als sie kurz<br />

darauf auch noch Ingmar Bergmanns Zauberflöten-Verfilmung<br />

gesehen hatte, stand für sie<br />

fest: Singen soll mein Beruf werden!<br />

Prompt bekam sie den Klavierauszug der<br />

Zauberflöte zu Weihnachten geschenkt und<br />

übte im Selbststudium alle Rollen ein, die das<br />

Werk zu bieten hat – von der Königin der<br />

Nacht bis hin zu Sarastro. Schon im zarten<br />

Alter von elf Jahren gab man ihr einen Sonderstudienplatz<br />

für Gesang am New England<br />

Conservatory. Obwohl der Vater als<br />

Spross einer Musikerfamilie (die Großmutter<br />

hatte als Geigerin unter anderem bei den<br />

Berliner Philharmonikern gespielt) das Faible<br />

für die Oper förderte, war er nicht damit<br />

einverstanden, dass seine Tochter sich ausschließlich<br />

auf die Musik konzentrierte. Und<br />

so absolvierte Karen Frankenstein zunächst<br />

ein Wirtschaftsstudium, ehe sie sich an der<br />

Manhattan School of Music immatrikulierte.<br />

Danach ging alles sehr schnell: Sie bekam<br />

verschiedene Engagements in Amerika und<br />

gewann einen wichtigen Wettbewerb in<br />

Frankreich, den Concours International de<br />

Chant de Paris. Und als sie in New York an<br />

einem großen Vorsingen teilnahm, saß der<br />

hannoversche Intendant Michael Klügl im<br />

Zuschauerraum und engagierte sie vom<br />

Fleck weg.<br />

Ob es ihr nicht sehr schwergefallen sei, von<br />

Amerika nach Deutschland überzusiedeln?<br />

„Nein, ich habe mich total gefreut!“ sagt die<br />

Sopranistin, die durch Zufall in Frankfurt<br />

geboren wurde und dort die ersten drei Tage<br />

ihres Lebens verbracht hat. „In Amerika gibt<br />

es keine Festengagements für Opernsänger,<br />

man hangelt sich von Gastspiel zu Gastspiel<br />

durch. Ich wollte gerne mal einen deutschen<br />

Theaterbetrieb kennen lernen, wo man über’s<br />

Jahr verteilt viele verschiedene Rollen<br />

abwechselnd singt.“ Das Einzige, was ihr in<br />

Deutschland fehle, so räumt sie schmunzelnd<br />

ein, seien die amerikanischen Ladenöffnungszeiten:<br />

Am Anfang habe sie immer einen leeren<br />

Kühlschrank gehabt, weil sie sich einfach<br />

nicht daran gewöhnen konnte, dass sie spät<br />

abends nach der Vorstellung nicht noch<br />

schnell etwas einkaufen konnte … Und ein<br />

leerer Kühlschrank ist natürlich eine Katastrophe<br />

für jemanden, der so gerne kocht wie<br />

Karen Frankenstein! Dabei ist ihre Küche<br />

meist international, denn als Tochter einer<br />

Chinesin und eines deutsch-amerikanischen<br />

Diplomaten wuchs sie an vielen verschiedenen<br />

Orten und mit vielen verschiedenen<br />

Esstraditionen auf. Die Mutter kochte chinesisch,<br />

der Vater eher europäisch – erstere war<br />

es, von der Karen Frankenstein schließlich das<br />

Kochen gelernt hat.<br />

Auf die Frage hin, was denn ihr Lieblingsgericht<br />

sei, kann sie sich zunächst nicht entscheiden.<br />

Eigentlich sei das doch wie beim<br />

Singen: „Am tollsten ist es, wenn man viele<br />

verschiedene Rollen zu singen hat – und<br />

genauso abwechslungsreich muss auch das<br />

Essen sein, das man zu sich nimmt.“ Beim<br />

Gesang liebt sie alle Partien, mit denen sie<br />

große Emotionen transportieren kann: Die<br />

Lucia und die Gilda, die sie in <strong>Hannover</strong><br />

bereits mit großem Erfolg gesungen hat,<br />

ebenso wie die Musetta, an der sie die<br />

enorme Lebensfreude mag, oder auch die<br />

Violetta, von deren großer Liebesfähigkeit<br />

sie beeindruckt ist. Aber sie hat auch großen<br />

Spaß an der Partie der Autonoe aus Henzes<br />

Bassariden, denn Neue Musik hat für sie<br />

„schon während des Studiums immer dazugehört.“<br />

Ebenso vielseitig ist ihr Repertoire<br />

auf der Speisekarte: Pasta aller Arten, das<br />

deutsche Essen (sofern es nicht zu salzig ist!),<br />

Gemüse in den verschiedensten Varianten<br />

und … – ach, da fällt es ihr doch noch ein, das<br />

Lieblingsgericht: Immer das, was ihre Mutter<br />

kocht! Woraufhin sie nach wenigen Sekunden<br />

noch schnell hinterherschickt: „Und<br />

natürlich auch das Essen, das mein Vater<br />

zubereitet!“ Offensichtlich hat sie die Kunst<br />

der Diplomatie von klein auf genauso brillant<br />

gelernt wie die Kunst des Singens …<br />

Sylvia Roth<br />

Chinesischer Salat mit Huhn<br />

Zutaten<br />

4 Esslöffel Sojasoße<br />

2 Teelöffel Sesamöl<br />

1 Pfund Hühnerbrust<br />

1/2 Kopf Chinakohl, geraspelt<br />

1/4 Kopf Rotkraut, geraspelt<br />

1 geraspelte Karotte<br />

3 Frühlingszwiebeln, fein geschnitten<br />

1 Handvoll Walnüsse<br />

1 Handvoll Mandarinen aus der Dose<br />

1/3 Tasse Reiswein-Essig<br />

1 Teelöffel gehackter Knoblauch<br />

1 Teelöffel gehackter Ingwer<br />

2 Esslöffel Raps-Öl<br />

2 Esslöffel brauner Zucker<br />

1 1/2 Teelöffel Chilisoße<br />

1 Handvoll geraspelte, geröstete Mandeln<br />

Den Ofen auf 220 Grad vorheizen.<br />

1 Esslöffel Sojasoße und einen halben<br />

Teelöffel Sesamöl vermischen und die<br />

Hühnerbrust damit einstreichen. In eine<br />

Backform geben und ca. 15 Minuten ba -<br />

cken. Aus dem Ofen nehmen, abkühlen<br />

lassen und in dünne Scheiben schneiden.<br />

Zusammen mit dem Gemüse in eine<br />

Salatschüssel geben. 3 Esslöffel Sojasoße,<br />

Essig, Knoblauch, Ingwer, Öl, Sesamöl,<br />

brauner Zucker und Chilisoße vermischen<br />

und über den Salat geben. Zuletzt mit den<br />

Mandeln bestreuen.


Seite 8 | seitenbühne<br />

Oper<br />

Ein Himmel v<br />

Von muskulösen Guys und kessen Dolls<br />

Auf den Treppen des Showtempels It’s a long, long way to heaven Blick ins Paradies<br />

Der Journalist und Schriftsteller Damon Runyon (1884-1946)<br />

wurde vor allem durch seine Kurzgeschichten bekannt, in<br />

denen er die Welt der Gauner und Spieler im New York der<br />

Prohibitionsära auf amüsante und fantasievolle Art porträtierte.<br />

Seine Milieuschilderungen sind von einem besonderen<br />

Sprachstil geprägt: eine eigenwillige Mischung aus blumiger<br />

Rede und Umgangssprache, fast ausschließlich im Präsens<br />

geschrieben. Frank Loessers Musical Guys and Dolls basiert<br />

auf zwei Kurzgeschichten von Damon Runyon, bedient sich<br />

aber auch zahlreicher Charaktere aus anderen Geschichten.<br />

Einer von ihnen, Einbahnstraßenbenny, scheint sich nach<br />

<strong>Hannover</strong> verirrt zu haben …<br />

Eines sehr frühen Morgens, also so gegen halb zwölf, was für einen<br />

Kerl wie mich reichlich früh ist, denn die Nacht zuvor ist es wie<br />

immer sehr spät, dass ich den „Hot Box Club“ verlasse – eines sehr<br />

frühen Morgens also sitze ich vor diesem großen tempelartigen<br />

Gebäude in der Mitte der Stadt, in dem sie diese großen Shows aufführen,<br />

und warte auf Hochhaus-Matze.<br />

Vor einem Jahr etwa suchen sie für eine ihrer Shows einen gutaussehenden<br />

jungen Kerl, und da ich mal wieder knapp an Mäusen bin,<br />

denke ich mir, da gehe ich hin, vielleicht springt ja was für mich raus.<br />

Mit dem Job wird es leider nichts, aber bei dieser Gelegenheit lerne<br />

ich besagten Hochhaus-Matze kennen, der in dem Laden offensichtlich<br />

einer der Hauptmacker ist. Er sagt den Jungs und Mädels, was<br />

sie in so einer Show zu machen haben, welche Sätze sie schreien und<br />

welche sie flüstern sollen, wann ein Kerl eine Puppe befummeln darf<br />

und wann sie ihm eine knallen kann und so weiter. Und dafür kriegt<br />

er dann auch noch Zaster, und die Leute wiederum zahlen dafür, um<br />

zu sehen, wie er das alles so arrangiert mit den Kerls und den Puppen.<br />

Und weil’s mit meinem Job nix wird, obwohl ich doch eigentlich<br />

beide Grundbedingungen – also gutaussehend und jung – hinreichend<br />

erfülle, lädt mich Hochhaus-Matze ein, mir bei Gelegenheit<br />

diesen Show-Laden einmal zu zeigen.<br />

Nun bin ich immer ein wenig misstrauisch, wenn mir einer irgendetwas<br />

anbietet und weder Geld noch was anderes dafür haben will.<br />

Außerdem muss ich einen unfreiwilligen Urlaub außer Landes nehmen,<br />

weil Harry das Ross den Blauen irgendwelche Lügen über<br />

mich und meine Beziehungen zu Griechen-Nickis Gang aufgebunden<br />

hat. Kurzum, es vergeht fast ein Jahr, bis ich Hochhaus-Matze<br />

zufällig im „Hot Box Club“ wiedertreffe und er doch tatsächlich sein<br />

Angebot wiederholt.<br />

Wenn ein Kerl einem gleich zweimal einen Gefallen tun will, dann<br />

muss man schon blöd sein, wenn man das nicht annimmt. Und so<br />

sage ich kurzentschlossen „Ja“ und treffe mich schon am nächsten<br />

Morgen mit ihm.<br />

Wie wir so durch die hohen Gänge des Showtempels tigern, erzählt<br />

mir Matze, dass mir die Show, die er derzeit vorbereitet – er nennt es<br />

„inszenieren“ –, gefallen wird, denn es kommen Personen darin vor,<br />

die mir sicherlich bekannt sein werden. Und wie er so erzählt, steigen<br />

wir immer höher in diesem Riesenbau. Ich komme bei den vielen<br />

Treppen ganz schön ins Schnaufen, denke mir, vielleicht sollte ich<br />

doch die Zigarettenmarke wechseln, bis wir schließlich so hoch sind,<br />

dass wir über die Dächer der Stadt blicken können. Da kommt mir<br />

der unangenehme Gedanke, dass Hochhaus-Matze hoffentlich nicht<br />

von mir verlangen wird, da jetzt irgendwo hinunter zu hopsen. Ich


Oper seitenbühne | Seite 9<br />

oller Puppen<br />

Ein Himmel voller Puppen … … aber leider schon vergeben! Meli, der Panther<br />

meine, ich kenne ihn ja kaum, weiß auch nicht, woher er diesen seltsamen<br />

Beinamen hat, und schließlich ist er es ja gewohnt, allen möglichen<br />

Leuten zu sagen, was sie tun sollen. Aber das hat ja irgendwo<br />

seine Grenzen. Ich auf jeden Fall lasse mir von niemandem sagen, was<br />

ich tun soll, weder von Big Jule noch von Hochhaus-Matze, allerhöchstens<br />

von der Kanone unter Big Jules Jackett. Wie ich so taxiere,<br />

ob Hochhaus-Matze nicht vielleicht auch so etwas Metallisches unter<br />

seinem Pullover mit sich trägt, öffnet er eine Tür, und, wie soll ich es<br />

ausdrücken: Nicht nur wegen der vielen Treppen, die wir hochgestiegen<br />

sind, ist mir, als ob wir im Himmel angelangt sind! In einem großen,<br />

lichtdurchfluteten Raum stehen zehn nicht allzu üppig bekleidete<br />

Puppen, was sage ich: Engel, schöner als alle Puppen, die mir<br />

bisher vor meine Augen gekommen sind, und ich kann euch sagen,<br />

ich habe einige Schönheiten gesehen in meinem Leben! Und die zehn<br />

Engel werfen zu den fortwährenden Rufen einer elften Schönheit ihre<br />

Beine in die Lüfte, dass mir ganz schummrig im Kopf wird, und ich<br />

beschließe, gleich morgen auf eine andere Zigarettenmarke umzusteigen.<br />

Hochhaus-Matze stellt mir die Nummer 11 vor. Sie heißt Meli,<br />

der Panther, und sie sagt den Mädels, wann sie ihre Beine in die Luft<br />

zu werfen haben. Aha, denke ich mir, da ist Hochhaus-Matze doch<br />

nicht ganz so der alleinige Hauptmacker, wie ich dachte. Ich glaube,<br />

mein Äußeres macht gehörig Eindruck auf Meli, den Panther, und<br />

gerade will ich sie fragen, ob ich mir eine ihrer Puppen für später aussuchen<br />

darf, da öffnet sich eine Tür und ein Haufen ziemlich muskulöser<br />

Kerle stürmt herein. Ihr werdet es nicht glauben, aber es sind<br />

genau zehn an der Zahl, und jeder schnappt sich eine der Puppen! Auf<br />

Kommandos von Meli, dem Panther, werfen sie ihre Puppen in die<br />

Höhe, fangen sie wieder auf, drehen sich mit ihnen im Kreis und so<br />

weiter. Nun bin ich gut gebaut und auch durchaus kräftig. Aber das<br />

kann ich wohl keinem dieser Engel bieten, und so verziehe ich mich<br />

zusammen mit Hochhaus-Matze ein wenig missmutig aus diesem<br />

verlorenen Paradies.<br />

Nun geht es von ganz oben nach ganz unten, dieses Mal allerdings<br />

ein wenig schneller – nach unten geht es ja immer schneller als nach<br />

oben – mit einem dieser modernen Aufzüge. Im Lift erzählt mir<br />

Hochhaus-Matze die Handlung seiner Show. Und ich traue meinen<br />

Ohren nicht! Was er da erzählt, kommt mir mehr als bekannt vor!<br />

Vielmehr: ich kenne alle Personen, von denen er mir erzählt, persönlich!<br />

Z.B. Nathan Detroit, der mit dem Oberzocker Sky Masterson<br />

wettet, dass er es nicht schafft, die bis unters Kinn zugeknöpfte Heilsarmee-Braut<br />

Sarah Brown nach Havanna auszuführen. Und natürlich<br />

auch Nathan Detroits Verlobte Miss Adelaide, die seit vierzehn<br />

Jahren darauf wartet, dass Nathan sie endlich heiratet. Wie könnte<br />

ich die nicht kennen, sie tanzt doch jeden Abend in der „Hot Box“!<br />

Und unter uns: Wäre sie nicht so verschossen in ihren Nathan, ich<br />

sage euch, ich wäre schon längst auf und davon mit ihr!<br />

„Hab ich doch gesagt, dass dir unsere Show gefallen wird“, grinst<br />

mich Hochhaus-Matze überlegen an. „Deshalb stelle ich dir jetzt die<br />

Jungs und Mädels vor, die Sky, Sarah, Nathan und Adelaide auf der<br />

Bühne spielen werden.“ „Wie? Spielen?“, sag ich. „Ah, jetzt verstehe<br />

ich! Klar, wir fahren in den Keller! Hier gibt’s also auch irgendwo<br />

eine geheime Spielhölle, was?!“ – „Nein“, sagt Hochhaus-Matze.<br />

„Kein Glücksspiel! Das sind Schauspieler und Sänger, die spielen<br />

eine Rolle auf der Bühne!“ – „Ach so“, sage ich, obwohl ich nicht<br />

ganz genau verstehe, was er meint.


Seite <strong>10</strong> | seitenbühne<br />

Guys and Dolls<br />

Musical Comedy von Frank Loesser<br />

Dialoge in deutscher Sprache, Songs in<br />

engl. Sprache mit deutschen Übertiteln<br />

Musikalische Leitung Lutz de Veer<br />

Inszenierung Matthias Davids<br />

Bühne Mathias Fischer-Dieskau<br />

Kostüme Judith Peter<br />

Choreographie Melissa King<br />

Chor Dan Ratiu<br />

Dramaturgie Ulrich Lenz<br />

Oper<br />

Nathan Detroit Roland Wagenführer<br />

Miss Adelaide Tracy Plester<br />

Sky Masterson Ulrich Allroggen<br />

Sarah Brown Ania Wegrzyn<br />

Ambrosius Abernathy Edgar Schäfer<br />

Nicely Nicely Johnson F. Dion Davis /<br />

Charlie Serrano<br />

Einbahnstraßenbenny Stefan Zenkl<br />

Rostkopp-Charlie Ivan Turšić u.a.<br />

Ballett der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />

Premiere am Samstag, 11. Oktober 2008,<br />

19.30 Uhr<br />

Einführungsmatinee am Sonntag,<br />

5. Oktober 2008, 11 Uhr, Laves-Foyer<br />

Öffentliche Generalprobe am<br />

Freitag, <strong>10</strong>. Oktober 2008, 18.30 Uhr<br />

Die Story kommt mir bekannt vor Wo läuft denn nun das Spielchen? Mein Kumpel Hochhaus-Matze und ich<br />

Als wir unten angekommen sind und die so genannte Kantine<br />

betreten, denke ich bei mir: „Wow! Was wird das für eine tolle Spielhölle<br />

abgeben. Kaum zu glauben, dass hier nicht irgendwo ein kleines<br />

Spielchen am Laufen sein soll. Vielleicht hat mich Hochhaus-<br />

Matze ja auch einfach angelogen!“ Bevor ich mich aber richtig<br />

umsehen kann, stellt mir Hochhaus-Matze Wagenführer-Roland<br />

vor, der in der Show meinen alten Kumpel Nathan Detroit spielt.<br />

Und ich muss schon sagen, da gibt es durchaus einige Ähnlichkeiten<br />

zwischen den beiden. Allroggen-Ulli wird auf der Bühne so tun, als<br />

sei er Sky Masterson – obwohl ich ja finde, dass er viel besser als Sky<br />

Masterson aussieht. Und als ich Ania Wegrzyn vorgestellt werde, die<br />

die Sarah Brown spielen soll, verstehe ich gar nichts mehr! „Sarah<br />

Brown ist doch eine zugeknöpfte Heilsarmee-Braut!“, sage ich zu<br />

Hochhaus-Matze. „An die ist total schwer ranzukommen, man! Aber<br />

diese Ania ist doch ne ganz kesse Puppe!“ – „Um die Sarah Brown<br />

zu spielen, muss sie ja im Privatleben nicht genau so sein“, meint<br />

Hochhaus-Matze. „Das nennt man die Kunst der Darstellung, man!“<br />

Ich weiß immer noch nicht genau, was er damit meint, aber da ich<br />

nicht will, dass man mich für einen Kunstbanausen hält, gebe ich erst<br />

mal keinen weiteren Kommentar ab. Außerdem ist da auch noch<br />

Tracy Plester, die als Miss Adelaide auf der Bühne stehen soll – und<br />

als ich die sehe, fallen mir sowieso keine Kommentare mehr ein, so<br />

ein scharfes Geschoss ist diese Puppe, viel schärfer noch als die echte<br />

Miss Adelaide, und ich kann nur irgendwelche Wortfetzen stammeln,<br />

von „Kunst der Darstellung“ bei mir also keine Spur mehr.<br />

Und als wir aus der Kantine raus sind, brauch ich erst mal frische Luft<br />

und ne Kippe, so schummrig ist mir von all diesen Schönheiten.<br />

„Willste denn zu unserer Premiere kommen“, fragt mich Hochhaus-<br />

Matze. „Klar“, sag ich, „unbedingt!“ – „Na denn bis zum 11. Oktober“,<br />

ruft mir Hochhaus-Matze im Umdrehen zu, bevor er wieder<br />

verschwindet, um den Kerls und den Puppen zu sagen, wann sie sich<br />

befummeln dürfen. „Ich bin dabei!“, ruf ich ihm hinterher. Und bis<br />

dahin, denke ich nur für mich, habe ich herausgefunden, ob diese<br />

Tracy Plester einen Kerl hat, und wenn nicht, … na, ihr wisst schon,<br />

oder? …<br />

Ulrich Lenz<br />

Zur Handlung<br />

Berufszocker Nathan Detroit hat ein Riesen-Problem: Obwohl<br />

Manhattan nur so wimmelt von risikofreudigen Spielern, kann er<br />

beim besten Willen keinen Ort für die nächste Zockerrunde finden!<br />

Weil Leutnant Brannigan vom New York Police Department<br />

dem Glücksspiel den Kampf angesagt hat, will keiner ein Risiko<br />

eingehen. Als einzige Möglichkeit bietet sich Joey Biltmores<br />

Garage, aber Biltmore verlangt <strong>10</strong>00 Mäuse für die Miete, und<br />

die hat Nathan im Augenblick einfach nicht flüssig. Doch<br />

Nathan weiß sich zu helfen, indem er den männlichen Stolz des<br />

Oberzockers Sky Masterson herausfordert, der großspurig<br />

behauptet, jedes Mädel seiner Wahl haben zu können. <strong>10</strong>00<br />

Dollar für Nathan Detroit, wenn Masterson es nicht schafft, das<br />

von Detroit bestimmte Girl morgen nach Havanna auszuführen!<br />

Klar, dass Nathan nicht irgendeine Puppe als Versuchsobjekt<br />

bestimmt, sondern eine besonders harte Nuss: Schwester<br />

Sarah von der Heilsarmee, die es sich zur Lebensaufgabe<br />

gemacht hat, Trinker, Spieler und Diebe auf den Pfad der<br />

Tugend zurückzuführen. Top, die Wette gilt!


Im Weißen Rössl<br />

Operette von Ralph Benatzky u.a.<br />

Oper seitenbühne | Seite 11<br />

Dass Operette noch so viel Spaß<br />

machen kann: In der <strong>Staatsoper</strong> hatte<br />

Im Weißen Rössl Premiere – und das<br />

Publikum stand vor Begeisterung.<br />

<strong>Hannover</strong>sche Allgemeine Zeitung<br />

Ausgefeilt choreographierte Massenszenen<br />

wechseln sich ab mit Auftritten<br />

der Tanztruppe „Almdudldancers“ und<br />

schnellen Übergängen zwischen vielen<br />

grandiosen Kulissen.<br />

NDR Kultur<br />

Familienaktion!<br />

Für alle fünf Vorstellungen bietet die <strong>Staatsoper</strong> eine tolle<br />

Familienaktion: Alle Kinder unter 18 Jahren in Begleitung mindestens<br />

eines Erwachsenen bekommen ihre Eintrittskarte umsonst!<br />

Musikalische Leitung Dan Ratiu Inszenierung Matthias Davids<br />

Bühne Marina Hellmann Kostüme Judith Peter<br />

Choreographie Melissa King Chor Dan Ratiu<br />

Josepha Vogelhuber Carmen Fuggiss<br />

Leopold Brandmeyer Roland Wagenführer<br />

Wilhelm Giesecke Frank Schneiders<br />

Ottilie Giesecke Dorothea Maria Marx / Barbara Senator<br />

Dr. Otto Siedler Sung-Keun Park<br />

Sigismund Sülzheimer Stefan Zenkl<br />

Professor Dr. Hinzelmann Edgar Schäfer<br />

Klärchen Ania Wegrzyn<br />

Kathi Mareike Morr/ Sandra Janke<br />

Die Reiseführerin Carola Rentz<br />

Der Kaiser Heinz Krückeberg<br />

Der Piccolo Konstantin Krisch<br />

Nur noch 5 Mal!<br />

14. und 18. September, 25. und 29. Oktober 2008, 19.30 Uhr<br />

28. September 2008, 18.30 Uhr


Seite 12 | seitenbühne<br />

Ballett<br />

Willkommen!<br />

Drei Tänzerinnen und ein Tänzer aus vier Nationen kommen<br />

zum Spielzeit beginn neu ins Ballett. Alle haben ihren<br />

Sprung nach <strong>Hannover</strong> gut vorbereitet und sehen dem Start<br />

mit Spannung entgegen. Sie freuen sich auf ihre Arbeit mit<br />

Jörg Mannes und seinem Ensemble und sind bereit, ihre<br />

ganze Erfahrung und Qualität einzubringen. Schon bald werden<br />

sie auf der Bühne der <strong>Staatsoper</strong> tanzen.<br />

Damit Sie sich ein erstes Bild von „den Neuen“ machen können,<br />

hat Drama turgin Brigitte Knöß sie befragt und stellt sie<br />

Ihnen hier vor.<br />

Die Fragen:<br />

1. Wie hat Ihre Tänzerlaufbahn begonnen? Gibt es ein<br />

Schlüsselerlebnis?<br />

2. Was war für Sie bisher die schönste, beeindruckendste Tanz-<br />

Erfahrung?<br />

3. Haben Sie ein Vorbild?<br />

4. Wo haben Sie bisher auf der Bühne gestanden?<br />

5. Haben Sie einen Lieblingsort?<br />

Karine Seneca kann auf eine<br />

außergewöhnliche Karriere zurückblicken.<br />

Die Französin wurde ausgebildet am<br />

„Centre de danse Rosella Hightower“ in<br />

ihrer Heimatstadt Cannes. Ihre berufliche<br />

Laufbahn begann sie mit siebzehn Jahren<br />

als Elevin im Basler Ballett bei Heinz<br />

Spoerli. Fünfzehn Jahre gemeinsamer<br />

Arbeit folgten, zunächst in Basel, später in<br />

Düsseldorf und schließlich im Zürcher Ballett, wo sie zur Ersten Solistin<br />

avancierte. Während dieser Zeit kreierte Heinz Spoerli viele Rollen für sie.<br />

2004 ging Karine Seneca ans Boston Ballet unter der Leitung von Mikko<br />

Nissinen und wurde dort wenig später Principal dancer.<br />

Karine Seneca hat alle großen Rollen des klassischen Repertoires – wie<br />

Romeo und Julia, Nussknacker, Giselle, Cinderella, La Sylphide,<br />

Schwanensee – verkörpert und Hauptpartien der Balanchine-Ballette<br />

getanzt. Die Liste der Namen von Choreographen, deren Werke sie interpretiert<br />

hat, liest sich wie ein Abriss der Ballettgeschichte: Auguste Bournonville,<br />

John Cranko, Nils Christe, Jorma Elo, Michel Fokine, William<br />

Forsythe, Jiří Kylián, Hans van Manen, Mark Morris, Bronislava<br />

Nijinska, Marius Petipa, Twyla Tharp, Antony Tudor und andere.<br />

1. Ich fuhr in die Schweiz, um Freunde in Basel zu besuchen. Dort<br />

nahm ich am Training der Ballettkompanie teil. Der Direktor kam auf<br />

mich zu und fragte, ob ich zur Audition da sei. Vollkommen überrascht<br />

verneinte ich. Daraufhin lud er mich für den folgenden Tag zum Vortanzen<br />

ein – und ich bekam meinen ersten Vertrag als Elevin!<br />

Später im Düsseldorfer Ballett fragte derselbe Direktor mich, ob<br />

ich einen bestimmten Pas de deux kenne, und ob ich in drei Tagen<br />

bereit sei, ihn zu tanzen. Ich sagte zu, aber ich hatte fürchterliche<br />

Angst, denn es war ein lyrisches Solo. Als ich tanzte, wurde meinem<br />

Direktor bewusst, dass ich eine lyrische Tänzerin war. Von da an<br />

bekam ich eine Menge zu tun, und ich fing an, mich zu entwickeln.<br />

2. Ich hatte zwei erstaunliche Momente in meiner Karriere, die mir<br />

immer in Erinnerung bleiben werden: Als ich La Sylphide mit dem<br />

Boston Ballet tanzte, wurde ich von Sorella Englund gecoacht. Mit<br />

ihr hatte ich die Gelegenheit, mich als Künstlerin weiterzuentwikkeln<br />

und meine Sensibilität zu entfalten. Sie war ein so wunderbarer<br />

Mensch, ich werde sie nie vergessen.<br />

Später in der Rolle der Giselle am Boston Ballet war Maina Gielgud<br />

mein Coach. Sie gab mir einen neuen Zugang zum klassischen<br />

Ballett. Ich lernte einen neuen Stil, und ich denke, sie holte das Beste<br />

aus mir heraus.<br />

Außerdem arbeite ich sehr gerne mit Jiří Kylián!<br />

3. Mein erstes Idol war Monique Janotta, wir tanzten beide im Düsseldorfer<br />

Ballett. Ich war eine junge Tänzerin, und sie stand am<br />

Ende ihrer Karriere. Jeden Tag im Ballettsaal sah ich immer nur auf<br />

sie, ich liebte ihre Arbeit! Alles, was ich durch sie gelernt habe, habe<br />

ich durch meine gesamte Karriere behalten. Die zweite Tänzerin ist<br />

Larissa Ponamarenko, im Boston Ballet tanzte ich mit ihr, und außerdem<br />

ist sie meine beste Freundin. Ich bewundere sie so sehr – sie ist<br />

eine Schönheit und die perfekte Ballerina. Durch sie habe ich<br />

gelernt, meine Sichtweise auf den klassischen Tanz neu zu öffnen, ich<br />

lernte das ganze „épaulement“.<br />

4. Mit dem Zürcher Ballett sind wir häufig auf Tournee gewesen, und<br />

ich habe auf vielen Bühnen in der ganzen Welt getanzt. Ich erinnere<br />

mich gerne an die Freilichtbühne im Garten der Alhambra in Granada<br />

und an eine wunderbare Freilichtbühne in Sizilien mit Sicht<br />

aufs Meer und auf den Vulkan Ätna. Wir waren aber auch in Südafrika,<br />

China, Japan, Taiwan, Israel, Kanada, im Bolschoi Theater in<br />

Moskau und in Boston – eine große Bühne für mich!<br />

5. Meinen Geburtsort Cannes, die Provence, die Côte d’Azur,<br />

Zürich, Boston, Jerusalem, Spanien und Italien.


Ballett seitenbühne | Seite 13<br />

Die Spanierin Marta López<br />

Caballero wurde im klassischen Ballett<br />

am Real Conservatorio Profesional de<br />

danza ihrer Heimatstadt Madrid ausgebildet.<br />

Ihr erstes Engagement erhielt sie in<br />

der Tanzkompanie von Juan Carlos Santamaria.<br />

Es folgten die Luñas’s Compas<br />

und Carmen Roche compañia de danza,<br />

bevor sie Mitglied der Compañia Nacional<br />

de Danza 2 unter der Leitung von Nacho Duato wurde. Sie folgte dann dem<br />

Ruf von Mehmet Balkan an die Compañia National de Bailado de Portugal<br />

und war an dem Film Fados von Carlos Saura beteiligt.<br />

1. Nachdem ich meine Ballettausbildung beendet hatte, fing ich in<br />

Santamaria’s Tanzkompanie an, wo ich viele neo-klassische Stücke<br />

tanzte. Ich war damals sehr jung, und das war eine so schöne Erfahrung<br />

für mich!<br />

2. Es ist sehr schwierig, aus all dem etwas auszuwählen, aber wenn ich<br />

darüber nachdenke, kommt mir das ganz spezielle Gefühl wieder in<br />

den Sinn, mit der Compañia Nacional de Danza 2 unter der Leitung<br />

von Nacho Duato beim Jacob’s Pillow Festival in den USA zu tanzen.<br />

3. Ja, das habe ich: im klassischen Tanz Alina Cojocaru – Principal<br />

dancer bei The Royal Ballet – und im zeitgenössischen Tanz Ana<br />

Laguna – ehemalige Tänzerin des Cullberg Ballet.<br />

4. Ich habe mit verschiedenen Kompanien auf ganz unterschiedlichen<br />

Bühnen getanzt, außerdem habe ich auch in dem Film Fados unter der<br />

Regie von Carlos Saura getanzt und vor kurzem in El Trovador mit<br />

Rut Miró und Victor Jiménez.<br />

5. Ich kenne <strong>Hannover</strong> noch nicht, doch ich weiß, dass es ein fantastischer<br />

Ort ist – aber ich werde immer Madrid in meinem Herzen<br />

haben.<br />

Mit Steffi Waschina kommt eine<br />

weitere deutsche Tänzerin ins Ensemble.<br />

Geboren im brandenburgischen Rathenow,<br />

erhielt sie ihre Ausbildung an der Staatlichen<br />

Ballettschule Berlin, die sie als staatlich<br />

geprüfte Bühnentänzerin abschloss. Im Ballett<br />

der Theater Altenburg-Gera bekam sie<br />

ihr erstes Engagement und wechselte von<br />

dort drei Jahre später nach Chemnitz.<br />

1. Nein, es gibt kein Schlüsselerlebnis. Meine Tänzerlaufbahn<br />

begann beim Thüringer Ballett in Gera (Theater und Philharmonie<br />

Thüringen).<br />

2. In meinen ersten Rollen, in denen ich mich „freispielen“ konnte,<br />

konnte ich schöne und wichtige Erfahrungen sammeln und das erste<br />

Mal bei einem Solo das Gefühl der Ruhe haben und einfach in der<br />

Rolle sein und den Tanz genießen.<br />

3. Nein, ich habe kein direktes Vorbild. Es gibt so viele herausragende<br />

Tänzerpersönlichkeiten, und jeder hat etwas Besonderes zu bieten.<br />

5. Mein Lieblingsort ist der Ort, wo meine Familie ist, und wo ich aufgewachsen<br />

bin. Danach gibt es noch keinen weiteren Lieblingsort. Ich<br />

bin noch jung und habe noch zu wenig von der Welt gesehen … vielleicht<br />

kommt das noch?<br />

Moriel Debi wurde in Brasilien<br />

geboren und ist in Israel aufgewachsen.<br />

Ausgebildet wurde er in Jerusalem an der<br />

Academy of Music and Dance und am<br />

Conservatory of Music and Dance, sowie in<br />

Workshops an der Joffrey Ballet School in<br />

New York und bei Noah Gelber in Forsythe<br />

Technik. Sein erstes Engagement<br />

erhielt er in der Kib’butz Contemporary<br />

Dance Company 2, bevor er in die Kib’butz Contemporary Dance Company<br />

aufgenommen wurde – beide unter der künstlerischen Leitung des Choreographen<br />

Rami Be’er.<br />

1. Als ich zehn war, fing ich mit israelischem Volkstanz an, später<br />

begann ich mit Ballett. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem<br />

ich zum ersten Mal ein Balletttrikot anziehen musste … eine grauenvolle<br />

Erfahrung? Na ja, es war jedenfalls ein unvergesslicher Momen.<br />

2. Wenn ich meine eigenen Stücke kreiere, und wenn die Tänzer, die<br />

meine Freunde sind, Spaß an dem Arbeitsprozess mit mir haben.<br />

Dadurch kann ich mich gemeinsam mit ihnen weiterentwickeln.<br />

3. Alle und keiner. Ich kann jeden als Beispiel betrachten.<br />

4. Derzeit … überall auf der Welt.<br />

5. Mein Zuhause … es gibt nichts Vergleichbares … Ich meine damit<br />

die Familie und Freunde. Das ist mein Zuhause!


Seite 14 | seitenbühne<br />

Oper<br />

Carmen<br />

Oper von Georges Bizet<br />

Carmen ist zuallererst rätselhaft. Sie ist launisch<br />

und emotional, schlüpft dauernd in immer neue<br />

Rollen. Sie will einfach frei sein, die Liebe nur<br />

so lange genießen, bis sie satt ist. Sie pocht bis<br />

zuletzt auf ihre Unabhängigkeit. Und genauso<br />

erzählt die holländische Regisseurin Monique<br />

Wagemakers die Story. Hautnah und packend,<br />

mit klaren Bildern und großen Gefühlen, aber<br />

ohne all die überflüssigen Klischees. NDR Info<br />

In der Titelpartie brillierte Khatuna Mikaberidze,<br />

die auf beeindruckende Weise sängerisch und<br />

darstellerisch Monique Wagemakers Konzept von<br />

einer verletzlichen Carmen verkörperte.<br />

NDR Kultur<br />

Musikalische Leitung Andreas Wolf<br />

Inszenierung Monique Wagemakers<br />

Bühnenbild John Otto<br />

Kostüme Rien Bekkers<br />

Chor Dan Ratiu<br />

Carmen Kirstin Chávez / Khatuna Mikaberidze<br />

Don José Latchezar Pravtchev / Pedro Velázquez Díaz<br />

Micaëla Karen Frankenstein / Alla Kravchuk<br />

Escamillo Brian Davis / Tobias Schabel / Nikola Mijailović<br />

Frasquita Ania Wegrzyn / Hinako Yoshikawa<br />

Mercédès Julia Faylenbogen / Mareike Morr / Barbara Senator<br />

Dancaïro Daniel Ohlenschläger / Albrecht Pöhl<br />

Remendado Jörn Eichler<br />

Zuniga Shavleg Armasi / Young Myoung Kwon<br />

Moralès Jin-Ho Yoo<br />

Nur 4 Mal im Herbst!<br />

17., 20. September und 17. Oktober 2008, 19.30 Uhr<br />

3. Oktober 2008, 18.30 Uhr


Orchester seitenbühne | Seite 15<br />

Nachrichten des Orchestervorstands<br />

Ruhestand<br />

Mit Ende der Spielzeit 2007/08 sind sowohl<br />

der Bratscher Arpad Nemeth als auch der<br />

Soloposaunist Wolf-Dieter Kollarz in den<br />

Ruhestand gegangen.<br />

Arpad Nemeth ist gebürtiger Ungar.<br />

Bevor er 1972 ins Niedersächsische Staatsorchester<br />

kam, spielte er im Orchester des<br />

Staatstheaters Oldenburg. Sein letzter<br />

Orchester-Dienst war am 8. Juli 2008 eine<br />

Vorstellung von Carmen.<br />

Wolf-Dieter Kollarz kommt aus Bad Ischl<br />

in Österreich. Auch er spielt seit 1972 im<br />

Staatsorchester. Mit dem 1. Sinfoniekonzert<br />

am 21./22. September wird er sich vom<br />

Publikum verabschieden.<br />

Erfolgreiche Teilnahme am Deutschen<br />

Musikwettbewerb<br />

Tobias Schiessler (Posaunist) und Hannes<br />

Dietrich (Bassposaunist) sind in das Finale<br />

des Musikwettbewerbs des Deutschen<br />

Musikrates eingezogen und haben als Mitglieder<br />

des Posaunenensembles <strong>Hannover</strong> je<br />

ein Stipendium gewonnen. Sie wurden als<br />

Ensemble in die Auswahl „Konzerte junger<br />

Künstler“ aufgenommen. Wir gratulieren<br />

ihnen herzlich zu ihrem Erfolg!<br />

Sportlicher Erfolg des Opern-Teams<br />

Eine Abordnung der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />

hat am 8. Juni 2008 an dem deutschland -<br />

weiten Triathlon-Wettbewerb „Wasserstadt<br />

<strong>Hannover</strong>-Limmer“ mit großem Erfolg teilgenommen.<br />

Beteiligt waren unter anderen<br />

aus dem Orchester Volker Pohlmann (Solotrompeter)<br />

und Arne Westphal (Orchesterwart).<br />

Das Team quälte sich bei 30° C über<br />

2 km Schwimmen, 90 km Radfahren und<br />

einen Halbmarathon ins Ziel. Im Schwimmwettbewerb<br />

erreichte der Schwimmer Jan<br />

Wyszynski den Platz 15, Rennradfahrer Volker<br />

Pohlmann fuhr als Zweiter seiner Disziplin<br />

in das Ziel, und Marathonläufer Arne<br />

Westphal erreichte als Erster die Ziellinie!<br />

Sie wurden mit dem Gesamtergebnis des<br />

2. Platzes belohnt. Wir sind stolz auf die<br />

sportliche Leistung unseres Teams!<br />

Herzlichen Glückwunsch!<br />

Reingehört!<br />

Fragt man Rainer Pehrisch, 1. Solocellist des<br />

Niedersächsischen Staatsorchesters, nach<br />

seinem Musikgeschmack, wird schnell klar,<br />

dass er durch studien- und berufsbedingte<br />

Auslandsaufenthalte, sein frühes, musikalisches<br />

Umfeld in Heidelberg sowie durch<br />

Vorbilder und Lehrmeister äußerst vielseitig<br />

geprägt ist. Im Gespräch steht zunächst<br />

seine große Liebe zum Quartett im Vordergrund:<br />

„Vierstimmiger Satz ist das Reinste.<br />

Mehr braucht man nicht. Alles Weitere ist<br />

Schmuck.“ Hervorheben möchte Rainer<br />

Pehrisch Schuberts Der Tod und das Mädchen,<br />

gespielt vom französisch-belgischen Streichquartett<br />

Quatuor Calvet. Individualität stehe<br />

bei diesen Musikern an erster Stelle: „Interessant<br />

an diesem Quartett ist, dass die Mittelstimmen,<br />

also zweite Geige und Bratsche,<br />

sehr herausgehoben sind. Reizvoll ist auch,<br />

dass jeder unterschiedlich spielt, dass also<br />

jeder ein- und dasselbe Thema immer ein<br />

bisschen verändert.“ Es ist für Pehrisch ein<br />

Musizierstil, der sich von der „Technisierung<br />

der Musik und reiner Schönspielerei“<br />

abhebt.<br />

Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók in der<br />

Aufnahme mit Christa Ludwig, Walter<br />

Berry und István Kértész als Dirigent ist eine<br />

weitere Empfehlung. Neben Mozarts Opern<br />

gehört diese zu seinen liebsten. „Der Hintergrund<br />

dieses Stückes ist das Missverständnis<br />

zwischen Mann und Frau. Der Mann<br />

möchte nicht zuviel von sich und seiner<br />

Identität preisgeben, die Frau hingegen<br />

möchte alles wissen, um sicher zu sein. Das<br />

ist ein immer wiederkehrendes Motiv.“ Die<br />

Interpretation der ungarischen Oper von<br />

Ludwig und Berry schätzt Rainer Pehrisch<br />

besonders wegen ihrer Feinsinnigkeit. „Da<br />

ist eine Zartheit im Ausdruck auf der einen<br />

Seite und Überschwang und Kraft in den<br />

lauten, dramatischen Stellen, die nie über<br />

das Ziel hinausgeht. Es wird nie brutal, nicht<br />

süßlich, es hält sich immer im Rahmen, es<br />

rutscht nie ab.“<br />

Rainer Pehrisch, der selbst u.a. in Paris<br />

studierte, ist ein ganz besonderes Anliegen,<br />

Leute mit französischer Musik bekannt zu<br />

machen, die ihm hierzulande unterrepräsentiert<br />

erscheint. Seine letzte Empfehlung ist<br />

somit das Florestan Trio, das „ganz hervorragend<br />

dezent, nicht auftrumpfend spielt<br />

und stattdessen eine Interpretation von<br />

Debussy, Fauré und Ravel liefert, die nicht<br />

auf Wirkung bedacht ist, sondern sich ganz<br />

unterordnet und eben damit unglaubliche<br />

Wirkung erzielt.“<br />

Lisa Kannonier<br />

Aufnahmen<br />

Franz Schubert: Der Tod und das Mädchen<br />

op. 14 D 8<strong>10</strong> mit dem Quatuor Calvet<br />

(Arpegium)<br />

Béla Bartók: Herzog Blaubarts Burg op. 11,<br />

mit Christa Ludwig, Walter Berry, István<br />

Kértész (Decca)<br />

Debussy, Fauré, Ravel: Piano Trios mit<br />

The Florestan Trio (Hybrid)


Seite 16 | seitenbühne<br />

Konzert<br />

Wühlen, kauen,<br />

verschieben,<br />

beharren<br />

In ihrer dritten Konzertsaison widmen<br />

sich Generalmusikdirektor Wolfgang<br />

Bozic und das Niedersächsische<br />

Staatsorchester <strong>Hannover</strong> in besonderem<br />

Maße dem Œuvre Ludwig van<br />

Beethovens. Im ersten Konzert stehen<br />

gleich zwei seiner gewichtigsten Werke<br />

auf dem Programm: die 5. Sinfonie und<br />

das Violinkonzert. Wolfgang Bozic im<br />

Gespräch mit Konzertdramaturgin<br />

Dorothea Hartmann über den großen<br />

Wiener Klassiker.<br />

Beethovens Fünfte ist eine der bekanntesten klassischen<br />

Kompositionen überhaupt. Was ist das<br />

Besondere an dieser Sinfonie, was macht ihre<br />

große Faszination aus?<br />

Bozic: Das liegt sicher am Eingangsmotiv,<br />

dem Klopfthema, das jeder kennt. Und dass<br />

dieses Motiv dann mit „Schicksal“ konnotiert<br />

wurde und die gesamte Sinfonie den<br />

äußerst fragwürdigen Beinamen „Schicksalssinfonie“<br />

bekommen hat, förderte die<br />

Popularität sicher. Doch das sind eher<br />

äußerliche Gründe. Denn das eigentlich<br />

Spannende ist, wie Beethoven mit dem Eingangsmotiv<br />

umgeht: Den gesamten ersten<br />

Satz baut er auf diesen zwei Tönen auf und<br />

insistiert auf ihnen. Generell sind Beethovens<br />

Themen ja oft im Melodischen gar<br />

nicht so spektakulär: Das Anfangsthema des<br />

Violinkonzerts z.B. ist eine schlichte D-Dur<br />

Skala, der zweite Satz der 7. Sinfonie bewegt<br />

sich anfänglich nur auf einem Ton, eine<br />

komplette melodische Verweigerung. Aber<br />

Beethoven bleibt mit Hartnäckigkeit an seinen<br />

Motiven dran – ein Wühlen, Kauen,<br />

Verschieben und Beharren – und das macht<br />

die Wirkung aus. In der 5. Sinfonie gibt es<br />

im ersten Satz keinen Ruhepunkt mehr, die<br />

Achtelbewegung läuft die ganze Zeit durch.<br />

Als wollte die Musik den Zuhörer nicht<br />

mehr frei lassen, führt sie ihn immer tiefer<br />

nach innen. Dem kann man sich nur schwer<br />

entziehen.<br />

Ähnliches empfinden viele auch beim Hören des<br />

vierten Satzes: Der Gestus sei imperial – eine<br />

fast gewalttätige Hymne auf die Freiheit, in der<br />

Beethoven Melodien der Französischen Revolution<br />

zitiert. Ein politisches Bekenntnis in der<br />

Instrumentalmusik?<br />

Bozic: Als gewalttätig empfinde ich den vierten<br />

Satz nicht. Eher so, als vergewissere sich<br />

hier jemand seiner Hoffnung, aber eben per<br />

aspera ad astra, von c-Moll im ersten zum C-<br />

Dur im letzten Satz, das dann wieder und<br />

wieder bestätigend wiederholt wird. Beethoven<br />

war immer politisch, und so erscheint<br />

die Freiheit in seiner Musik als leuchtendes<br />

Ideal, aber durchaus auch beharrend, eben<br />

im Bewusstsein der Zwänge gegen die sie<br />

sich erhebt – ob im Fidelio, in der Egmont-<br />

Ouvertüre oder in der Eroica. Dieses idealis -<br />

tische Pathos höre ich auch in der lichten,<br />

heroischen Musik des vierten Satzes der 5.<br />

Sinfonie.<br />

Das Violinkonzert klingt dagegen weniger engagiert<br />

– im gesellschaftlichen, politischen Sinne.<br />

Die Zeitgenossen scheinen dieses Werk ja<br />

zunächst nicht verstanden und geschätzt zu<br />

haben, es fand erst 30 Jahre nach der Entstehung<br />

Eingang ins Repertoire, mit einer denkwürdigen<br />

Aufführung von Joseph Joachim. Warum konnte<br />

man sich in Beethovens Zeit so wenig mit diesem<br />

heute überaus beliebten Konzert anfreunden?<br />

Bozic: Das Violinkonzert ist ein technisch<br />

äußerst herausforderndes Werk, das jedoch<br />

gleichzeitig auf jegliche äußerliche Virtuosität<br />

verzichtet. Es zeigt die typische Kompromisslosigkeit<br />

Beethovens: Technische<br />

Schwierigkeiten interessierten ihn nicht<br />

beim Umgang mit Instrumenten und Stimmen,<br />

wenn er z.B. in der Missa Solemnis die<br />

Soprane auf das hohe C jagt oder im Violin-


Konzert seitenbühne | Seite 17<br />

1. Sinfoniekonzert<br />

Wolfgang Rihm<br />

In-Schrift<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Violinkonzert D-Dur op. 61<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Sinfonie <strong>Nr</strong>. 5 c-Moll op. 67<br />

Solistin Antje Weithaas (Violine)<br />

Dirigent Wolfgang Bozic<br />

Sonntag, 21. September 2008, 17 Uhr<br />

Montag, 22. September 2008, 19.30 Uhr<br />

Einführung jeweils eine halbe Stunde vor<br />

Vorstellungsbeginn<br />

konzert eben einen extrem schwierigen,<br />

gleichzeitig sehr unvirtuos klingenden Solopart<br />

schreibt.<br />

Beethoven wird im 1. Sinfoniekonzert eine Komposition<br />

von Wolfgang Rihm gegenübergestellt:<br />

das 1995 uraufgeführte Orchesterwerk In-<br />

Schrift. Was interessiert dich an diesem Konzert -<br />

programm?<br />

Bozic: Beide Komponisten eint eine energetische<br />

Beharrung auf ihren Ideen: In-Schrift<br />

beginnt mit insistierenden Wiederholungen<br />

auf einem Ton. Energie staut sich an und<br />

entlädt sich später in großartigen Schlagzeugkaskaden.<br />

Ähnlich wie Beethoven im<br />

letzten Satz der Fünften auf dem C-Dur<br />

insistiert, beharrt Rihm in In-Schrift auf ostinaten<br />

Figuren. Und beide Komponisten<br />

legen sich Begrenzungen auf und kämpfen<br />

dann dagegen an: Beethoven gegen die<br />

Form einer Sinfonie, Rihm wiederum<br />

beschränkt in In-Schrift sein Instrumentarium:<br />

nur hohe Bläser und tiefe Streicher,<br />

großes Schlagwerk, aber keine Violinen und<br />

Bratschen. Und dennoch gelingt es ihm, mit<br />

dieser Besetzung immer wieder unterschiedlichste<br />

Klänge hervorzurufen.<br />

In der gesamten Spielzeit 2008/09 steht Beet -<br />

hoven in den Sinfoniekonzerten immer wieder<br />

im Mittelpunkt. Warum Beethoven, ohne Jubiläum<br />

oder andere äußerliche Gründe?<br />

Bozic: Oft macht man heute um das „klassische<br />

Kernrepertoire“ einen merkwürdigen<br />

großen Bogen. Wer spielt heute noch Beethovens<br />

Mondscheinsonate? Das ist doch ein<br />

wirklich großartiges Stück, wird irrationaler<br />

Weise aber häufig in die Kitsch-Ecke<br />

gestellt. Beethoven ist für mich ein Komponist,<br />

der immer wichtig bleiben wird, den<br />

man immer wieder neu hören kann, auch<br />

und gerade seine großen und bekannten<br />

Werke. Bei Beethoven spürt man die Kraft<br />

der Konstruktion, die Kraft des ideellen<br />

Zusammenhalts. Seine Musik ist hochemotional,<br />

aber gleichzeitig auch immer gebändigt.<br />

Emotionen, die einen nicht überschwemmen,<br />

die nicht gefühlig sind, denen<br />

man sich immer wieder aussetzen kann. Es<br />

ist eine klare und absolute Musik und trotzdem<br />

sehr gestisch. Und dass er beides<br />

schafft, das macht diesen Komponisten und<br />

sein Werk so spannend.<br />

Als Solistin konnte für<br />

Beethovens Violin -<br />

konzert die auf internationalen<br />

Konzert podien<br />

beheimatete Geigerin<br />

Antje Weithaas gewonnen werden.<br />

Antje Weithaas konzertiert regelmäßig<br />

mit renommierten Klangkörpern wie<br />

dem Deutschen Symphonie-Orchester<br />

Berlin, den Bamberger Symphonikern<br />

oder den großen deutschen Radio-<br />

Orchestern sowie mit zahlreichen internationalen<br />

Spitzenorchestern wie Los<br />

Angeles Philharmonic, San Francisco<br />

Symphony, Philharmonia Orchestra,<br />

BBC Symphony oder dem Chamber<br />

Orchestra of Europe. Mit befreundeten<br />

Musiker-Kollegen wie den Geschwistern<br />

Tetzlaff, Clemens Hagen, Silke<br />

Avenhaus, Sharon Kam oder Lars Vogt<br />

spielt die Geigerin in wechselnden<br />

Formationen Kammermusik. Ein besonderer<br />

Schwerpunkt liegt auf der Arbeit<br />

mit dem Arcanto Quartett. Zahlreiche<br />

CD-Aufnahmen dokumentieren Antje<br />

Weithaas’ vielseitiges Schaffen als<br />

Solistin und Kammermusikerin.


Seite 18 | seitenbühne<br />

Konzert<br />

„Wie ein Axthieb“<br />

Gustav Mahlers Sechste Sinfonie<br />

im 2. Sinfoniekonzert<br />

Es geht um nichts weniger als um alles und<br />

das Ganze: Sich „mit allen Mitteln der vorhandenen<br />

Technik eine Welt aufbauen“,<br />

beschreibt der junge Gustav Mahler den<br />

eigenen Anspruch an die Komposition sinfonischer<br />

Werke. In knapp zwei Jahrzehnten<br />

schafft er ab 1884 seine tönenden Universen<br />

– zu einer Zeit, in der sich die äußeren wie<br />

inneren Welten mehr und mehr auflösen:<br />

wenn etwa das Riesenreich Österreich kaum<br />

mehr zusammenzuhalten ist, wenn Hugo<br />

von Hofmannsthal zur Beschreibung der<br />

Welt die Worte wie „modrige Pilze zerfallen“,<br />

wenn das Ich als „unrettbar“ gilt, mit<br />

Sigmund Freud oder Ernst Mach in unterschiedlichste<br />

Ichs zerbröselt und wenn eine<br />

Endzeitstimmung den Menschen den Boden<br />

unter den Füßen entzieht. Nur wenige<br />

Dichter vermögen in solchen Zeiten noch<br />

geschlossene Welten zu erdenken: Ähnlich<br />

wie Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids<br />

Brigge ufern viele Romane bis ins Unendliche<br />

aus und haben den Charakter des Übervollen<br />

wie des Zersplitterten und Fragmentarischen.<br />

Auch Gustav Mahler kreiert seine<br />

musikalischen Welten im Großen, im Überlangen,<br />

mit riesigen Klangapparaten, bis hin<br />

zu einer „Sinfonie der Tausend“. Und auch<br />

er lotet die Möglichkeiten seiner Kunst aus,<br />

packt alles ihm musikalisch zur Verfügung<br />

Stehende in überbordende Werke. Ausgehend<br />

von extremen Polen baut sich Mahler<br />

seine Welt mit eben „allen Mitteln“: Das<br />

Leichte und Tänzerische findet darin ebenso<br />

seinen Platz wie das Aggressive und Brutale,<br />

das Ätherisch-Schöne wie das Hässlich-<br />

Groteske, das Anspruchsvolle wie das Triviale,<br />

melancholische Schwermut wie überschäumende<br />

Glücksempfindung, ein<br />

schmerzhaftes Leiden an der Welt ebenso<br />

wie das naive Staunen über die Welt.<br />

Auch die Sechste Sinfonie lebt von solchen<br />

Gegensatzpaaren. Sie ist eine der<br />

düstersten und schwärzesten Welten Mahlers:<br />

Das überdimensionierte Finale endet


Konzert seitenbühne | Seite 19<br />

„morendo“ in einem verlöschenden piano.<br />

Mahler verweigert am Schluss dieser Sinfonie<br />

jeglichen positiven Ausblick – nach hymnischen<br />

und überschwänglichen Themen,<br />

nach burlesken Motiven und verzerrten<br />

Märschen, nach Totentänzen und lärmenden<br />

Zirkusmusiken, nach unzähligen Abbrüchen<br />

und Abstürzen. Mit den berühmten<br />

Hammerschlägen, die nach dem Willen des<br />

Komponisten „wie ein Axthieb“ dreinfahren<br />

sollen, spricht der vierte Satz von äußerlicher<br />

Gewalttätigkeit und brutalen Lebenswirklichkeiten.<br />

Mancher Hörer vernahm<br />

hier einen beinahe prophetischen Mahler,<br />

der Kräfte antizipierte, die Europa wenige<br />

Jahre später verwüsten sollten. Und von<br />

innerer Leere und Trostlosigkeit zeugen<br />

jene Dur-Dreiklänge, die plötzlich grau werden<br />

und ohne äußeren Anlass nach Moll<br />

abdriften.<br />

Neben solcher Düsterkeit nehmen sich<br />

die hellen und lichten Episoden wie exterritoriale<br />

Inseln aus: Enklaven mit überirdisch<br />

schönen Celesta-Klängen oder transzendent<br />

anmutenden Chorälen. Und traumhafte<br />

Naturklänge, Herdenglocken „von Ferne“,<br />

evozieren reine, unschuldige Natur. Idylle<br />

und weltferne Einsamkeit stehen abrupt<br />

neben brachial lärmendem Schlachtgetümmel<br />

– „Axthieb“ und „Misterioso“ als äußerste<br />

Punkte von Mahlers tönender Welt.<br />

In den ersten 50 Jahren nach dem Tod des<br />

Komponisten fand nur ein kleiner Kreis von<br />

Mahler-Verehrern Zugang zu dieser höchst<br />

subjektiven und emotionalen Musik. „Ich<br />

habe Ihre Seele gesehen, nackt, splitternackt“,<br />

schrieb Arnold Schönberg, der sich<br />

vom skeptischen Saulus zum Paulus gewandelt<br />

hatte, tief berührt an den Komponisten.<br />

Dieser exhibitionistische Zug von Mahlers<br />

Musik polarisierte: Er verschreckte und verstörte,<br />

so dass man entweder auf Distanz<br />

ging oder zum glühenden Mahler-Anhänger<br />

wurde. Im nationalsozialistischen Deutschland<br />

stand der jüdische Komponist auf der<br />

Liste der „Entarteten“, im Nachkriegsdeutschland<br />

fand der ungehemmte musikalische<br />

Blick in die tiefsten Abgründe und<br />

höchsten Höhen nur vereinzelte Hörer. Es<br />

dauerte bis 1960, als im Zuge von Mahlers<br />

<strong>10</strong>0. Geburtstag, auf Festivals und Symposien<br />

mit dieser Musik gerungen wurde und<br />

sie in dem Entgrenzungen nicht scheuenden<br />

Leonard Bernstein einen leidenschaftlichen<br />

Verkünder fand. Seither erfreuen sich Mahlers<br />

sinfonische Welten ungebrochener<br />

Popularität. Es scheint, als treffe diese<br />

ebenso subjektiv emotionale wie objektiv<br />

ausstellende Musik bis heute den Nerv der<br />

Gesellschaft: In doppelter Gebrochenheit<br />

macht sie einerseits in ihrer Zerrissenheit<br />

den romantischen Verlust der Einheit von<br />

Individuum und Welt bewusst – Mahler als<br />

Höhepunkt der Romantik. Eine Romantik,<br />

die Mahler andererseits mit distanziertem<br />

Blick immer wieder seziert, die er objektiviert,<br />

verzerrt und nur noch im fragmentarischen<br />

Aneinanderreihen als musikalische<br />

Welt erklingen lassen kann. Die Musik des<br />

19. Jahrhunderts wird für uns so gleicher -<br />

maßen in nächste Nähe und unerreichbare<br />

Ferne gerückt.<br />

Dorothea Hartmann<br />

2. Sinfoniekonzert<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Oboenkonzert C-Dur KV 314<br />

Gustav Mahler<br />

Sinfonie <strong>Nr</strong>. 6 a-Moll<br />

Solist Albrecht Mayer (Oboe)<br />

Dirigent Philippe Auguin<br />

Sonntag, 26. Oktober 2008, 17 Uhr<br />

Montag, 27. Oktober 2008, 19.30 Uhr<br />

Kurzeinführungen jeweils eine halbe<br />

Stunde vor Konzertbeginn.<br />

Albrecht Mayer und Philippe Auguin<br />

an der <strong>Staatsoper</strong><br />

Nach dem umjubelten Weihnachtskonzert<br />

in Herrenhausen 2007 konnte Albrecht<br />

Mayer auch als Solist für Mozarts Oboenkonzert<br />

im 2. Sinfoniekonzert gewonnen<br />

werden. Albrecht Mayer begann seine<br />

berufliche Laufbahn 1990 als Solo-Oboist<br />

der Bamberger Symphoniker und wechselte<br />

1992 in die gleiche Position zu den<br />

Berliner Philharmonikern. Mittlerweile<br />

gehört er auch als Solist international zu<br />

den gefragtesten Musikern auf seinem<br />

Instrument. Neben den Solo-Projekten ist<br />

die Kammermusik ein wichtiger Teil von<br />

Mayers künstlerischer Arbeit. So hat er<br />

etwa mit der Pianistin Hélène Grimaud die<br />

Schumann-Romanzen eingespielt. Seine<br />

CD „Auf Mozarts Spuren“ wurde in die<br />

Bestenliste der Deutschen Schallplattenkritik<br />

aufgenommen. 2004 wurde<br />

Albrecht Mayer mit dem ECHO-Klassik-<br />

Preis in der Kategorie „Instrumentalist<br />

des Jahres“ ausgezeichnet.<br />

Am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters<br />

steht Philippe Auguin, der<br />

regelmäßig an den führenden Opernhäusern<br />

auftritt, u.a. in Mailand, New York,<br />

London, Genf, Los Angeles, Sydney so -<br />

wie Berlin, Hamburg, Stuttgart, Dresden<br />

und München. Daneben hat Auguin auch<br />

zahlreiche europäische Spitzenorchester<br />

wie die Wiener Philharmoniker, die<br />

Dresdner Staatskapelle, das Royal Philharmonic<br />

London und das BBC Symphony<br />

Orchestra London dirigiert. Bedeutende<br />

Festspiele verpflichteten Philippe<br />

Auguin, darunter die Salzburger Festspiele<br />

und das Beethovenfest Bonn. Von<br />

1998 bis 2005 feierte Philippe Auguin herausragende<br />

Erfolge als Generalmusik -<br />

direktor des Staatstheaters Nürnberg. Im<br />

Mittelpunkt zahlreicher Projekte standen<br />

sowohl die Neueinstudierung von Wagners<br />

Der Ring des Nibelungen als auch<br />

die zyklische Aufführung der Sinfonien<br />

von Gustav Mahler.


Seite 20 | seitenbühne<br />

Jugend<br />

Für das Publikum<br />

von heute!


Jugend seitenbühne | Seite 21<br />

Seit zwölf Jahren gibt es die musiktheaterpädagogische Abteilung an der <strong>Staatsoper</strong><br />

<strong>Hannover</strong>. Vor der Sommerpause wurde ihre langjährige Leiterin Cornelia Kesting-<br />

Then-Bergh in den Ruhestand verabschiedet, nun beginnt die neue Spielzeit mit personeller<br />

Verstärkung und neuen Impulsen für die Kinder- und Jugendarbeit am<br />

Opernhaus. Swantje Gostomzyk befragte die neue Leiterin der Abteilung, Gundel<br />

Gebauer, und ihre Kolleginnen Eva Bessert-Nettelbeck und Nina Baritsch.<br />

Kontinuität und Veränderung – so könnte man<br />

die Situation der Theaterpädagogik an der<br />

<strong>Staatsoper</strong> zu Beginn der Spielzeit 2008/09<br />

beschreiben. Was bleibt und was ändert sich?<br />

Gebauer: Das Team verändert sich: Nina<br />

Baritsch ist neu dazugekommen, Eva Bessert-Nettelbeck<br />

und ich machen weiter, aber<br />

beide nun auf einer ganzen Stelle. Das ist<br />

eine große Erneuerung, denn wir haben eine<br />

halbe Stelle zusätzlich. Aber Cornelia<br />

Kesting-Then-Bergh bleibt uns als Produktionsleiterin<br />

des Kinderfestes mit ihrer<br />

Erfahrung verbunden.<br />

Welche Veränderungen in der inhaltlichen<br />

Arbeit können die Kinder, Jugendlichen und<br />

Lehrer von euch erwarten?<br />

Gebauer: Erstmal haben wir die inhaltliche<br />

Struktur unserer Arbeit neu geordnet: Welche<br />

Angebote wurden in den letzten Jahren abgefragt,<br />

was wollen wir beibehalten, was wollen<br />

wir verändern? Das spiegelt sich im neuen<br />

„OpuS“(Oper und Schule)-Heft wieder.<br />

Bessert-Nettelbeck: Neu ist zum Beispiel,<br />

dass wir jetzt auch einen „mittleren“ Club<br />

anbieten und so in den Kinder- und Jugendclubs<br />

alle Altersgruppen abdecken. Vorher<br />

hatten wir nur „die Großen“ und „die Kleinen“,<br />

jetzt gibt es den Club XS für Kinder<br />

von 8 bis 11 Jahren, den Club XM für alle<br />

von 12 bis 15 und den Club XL für Jugendliche<br />

von 16 bis 20.<br />

Gebauer: Eine Neuerung ist auch das Angebot<br />

Oper kooperativ! – wir sind neugierig,<br />

mit anderen Institutionen zusammenzuarbeiten.<br />

So ist eine Zusammenarbeit mit dem<br />

theaterpädagogischen Zentrum entstanden,<br />

das an die IGS Mühlenberg angeschlossen<br />

ist. Zu der Oper Idomeneo, die im Januar<br />

Premiere hat, werden wir in den Osterferien<br />

2009 eine Woche lang intensiv mit Jugendlichen<br />

arbeiten. Am Ende steht eine kleine<br />

Werkstatt-Präsentation. Der Workshop findet<br />

in der IGS Mühlenberg statt, wir möchten<br />

mit der Oper in die Stadt gehen. Aber<br />

natürlich gibt es auch die Gegenbewegung:<br />

Wir sehen uns gemeinsam die Opernvorstellung<br />

an, die Jugendlichen bekommen<br />

eine Führung durch das Opernhaus – dieser<br />

Austausch ist uns wichtig.<br />

Bessert-Nettelbeck: Ganz toll finde ich auch<br />

unsere neuen Premierenklassen, Oper<br />

exklusiv! Uns war wichtig, dass Jugendliche<br />

auch mal die ganz besondere Atmosphäre<br />

einer Premiere miterleben. Das Premierenpublikum<br />

ist eher älter, und es wäre doch<br />

schön, wenn das ein wenig durchmischt<br />

wird. Wir laden eine Schulklasse zu ausgewählten<br />

Premieren ein und setzen uns vorher<br />

intensiv mit dem jeweiligen Stück auseinander.<br />

Das heißt, die Premierenklassen werden das dann<br />

möglicherweise besser kennen als alle anderen?<br />

Gebauer: Ja. Anders als in unseren sonstigen<br />

stückbegleitenden Angeboten können wir<br />

hier eine Probe besuchen, können mit dem<br />

Regisseur oder dem Bühnenbildner sprechen<br />

und erleben, wie eine Inszenierung<br />

entsteht. Das wird dann vom Premierenbesuch<br />

gekrönt.<br />

In Eurer Arbeit gibt es zwei Bereiche: zum einen<br />

Kindern und Jugendlichen die Arbeit am<br />

Opernhaus zu vermitteln, zum anderen Kinder<br />

und Jugendliche selbst zum Spielen, Singen,<br />

Machen zu bringen. Persönlich gefragt: Was ist<br />

Euch wichtiger?<br />

Bessert-Nettelbeck: Es kann sein, dass wir<br />

drei da unterschiedlicher Meinung sind. Ich<br />

finde es wichtiger, die Kinder und Jugendlichen<br />

für die Oper zu begeistern, zum Beispiel<br />

für einen unkonventionellen Don Giovanni.<br />

Ihnen zu vermitteln, dass dieses Stück,<br />

dessen Entstehung ewig her ist, so aktuell<br />

sein kann. Dass sie ein Gefühl dafür bekommen,<br />

im Opernhaus zu sitzen, die Musik zu<br />

erleben und zu spüren, was auf der Bühne<br />

passiert. Dafür brenne ich. Dass wir ihnen<br />

etwas davon einpflanzen können, dass sie,<br />

wenn sie in zehn Jahren an einem Opernhaus<br />

vorbeigehen, vielleicht denken: „Guck<br />

mal, da spielen sie heute Abend Don Giovanni.<br />

Vielleicht kriege ich ja eine Karte.“<br />

Baritsch: Klar, das ist ein Ziel. Aber wie<br />

bekommen wir sie dahin?<br />

Gebauer: Für mich ist die Frage schwer zu<br />

beantworten. Es ist sehr schön, die Jugendlichen<br />

durch das eigene Tun dazu zu bringen,<br />

sich selbst besser kennenlernen, über<br />

sich hinaus zu wachsen, mit den anderen zu<br />

kommunizieren und dabei zu merken: Aha,<br />

das ist ja doch ein interessantes Genre. So<br />

lernen sie Oper kennen, aber sie lernen auch<br />

die Gruppe kennen, ihre eigene Musikalität,<br />

ihren Körper, ihre Stimme … das finde ich<br />

sehr spannend zu beobachten, deshalb<br />

macht mir die Arbeit mit dem Jugendclub<br />

besonders viel Spaß. Aber es ist selbstver-


Seite 22 | seitenbühne<br />

Jugend<br />

Das Kinder- und Jugendprogramm<br />

wird gefördert von<br />

ständlich wichtig, die Jugendlichen für<br />

Stücke zu begeistern, für Sänger, auch langfristig.<br />

Baritsch: Ich kann nur von mir ausgehen:<br />

Selber früher im Kinderchor zu singen und<br />

Singspiele und Kinderopern mit auf die<br />

Bühne zu bringen, das hat mich dazu<br />

gebracht, mich heute für Oper zu interessieren<br />

und in die Oper zu gehen. Deshalb<br />

denke ich, dass man darüber Kinder sehr gut<br />

an Musiktheater heranführen kann.<br />

Es heißt oft, die Theaterpädagogik kümmere sich<br />

um das Publikum von morgen …<br />

Baritsch: … und den Spruch können wir<br />

nicht mehr hören! (Gelächter)<br />

Bessert-Nettelbeck: Wir kümmern uns um<br />

das Publikum von heute! So sollte es doch<br />

sein. Wenn man im Sinfoniekonzert im Parkett<br />

nur graue Köpfe sieht, ist das doch<br />

schade. Als Mahlers 1. Sinfonie Abitur-<br />

Thema war und das Staatsorchester diese<br />

Sinfonie im Januar auf dem Konzertspielplan<br />

hatte, war der Saal voll von einem<br />

durchmischten Publikum. Das ist nicht nur<br />

für die Jugendlichen wichtig, sondern auch<br />

für die älteren Besucher: zu sehen, dass die<br />

Jugendlichen sich auch dafür interessieren!<br />

So können die Generationen neu aufeinander<br />

zugehen.<br />

Baritsch: Andererseits ist auch faszinierend,<br />

wie begeistert viele Erwachsene sind, wenn<br />

junge Menschen Musik machen und auf der<br />

Bühne stehen. In der Rap-Oper Culture-<br />

Clash am Ende der letzten Spielzeit saß<br />

neben mir zum Beispiel ein älteres Ehepaar<br />

aus Göttingen, die extra dafür gekommen<br />

waren. Sie fanden es super!<br />

Apropos Konzert: Heini, der kleine Vampir, wird<br />

in bewährter Weise die Kinderkonzerte moderieren.<br />

Aber es gibt ja auch eine neue Idee für den<br />

Konzertbereich …<br />

Bessert-Nettelbeck: … und wir sind ge -<br />

spannt, wie sie funktionieren wird: die Konzertnacht<br />

open-stage. Wir möchten Ju gend -<br />

liche, die Musik machen, ins Opernhaus<br />

holen. Bewerben können sich alle, von der<br />

Popband bis zum Kammermusikensemble.<br />

Ein großes Cross-Over wäre großartig! Es<br />

ist ein Experiment, wir freuen uns auf das<br />

Ergebnis.<br />

Gebauer: Sehr gut finde ich dabei die Or -<br />

chesterlotsen: Musiker aus unserem Orchester,<br />

die als Coach in die Schulen gehen und<br />

die Gruppen im Vorfeld betreuen. Wie können<br />

wir unsere Konzerte interessanter<br />

machen für die Jugendlichen? Das ist doch<br />

die Frage! Vielleicht durch den persönlichen<br />

Bezug, den direkten Kontakt zu einzelnen<br />

Musikern, die man dann im Konzert wiedertrifft.<br />

Abschlussfrage: Worauf freut Ihr Euch am meisten<br />

in dieser Spielzeit?<br />

Gebauer: Ich habe das Gefühl, dass die<br />

Jugendarbeit bei uns am Haus einen noch<br />

wichtigeren Stellenwert bekommt und in die<br />

Richtung weiter geht, von der ich persönlich<br />

träume: eine junge Oper.<br />

Bessert-Nettelbeck: Ich freue mich persönlich<br />

am meisten auf die Produktion von<br />

Mozarts Idomeneo. Das Stück habe ich mit 12<br />

oder 13 Jahren mal in Berlin gesehen, fand<br />

es ganz toll und habe es seitdem nie wieder<br />

gesehen. Ich bin sehr gespannt, wie es heute<br />

auf mich wirkt.<br />

Baritsch: Zwei Sachen: Erstmal freue ich<br />

mich darauf, nach dem Studium so richtig<br />

loszulegen. Und dann freue ich mich auf<br />

meinen Club XS. Ich habe lange nicht mehr<br />

mit so Kleinen gearbeitet und finde es total<br />

spannend, was sie selber musikalisch auf die<br />

Beine stellen können.<br />

1. Kinderkonzert<br />

„Seemannsgarn und Fischerknoten“<br />

Wassermusiken von der Quelle<br />

bis zum Meer<br />

Heini kann zwar nicht schwimmen,<br />

Meere und Seen, Flüsse und Bäche<br />

begeistern ihn trotzdem – von der<br />

festen Küste aus oder im sicheren Boot,<br />

umgeben von spritzenden Wellen. Wie<br />

aus einer kleinen sprudelnden Quelle<br />

ein großer mächtiger Fluss wird, beobachtet<br />

der kleine Vampir am Ufer von<br />

Bedřich Smetanas Moldau. Mit Georg<br />

Philipp Telemann erkundet Heini die<br />

Hamburger Ebb’ und Flut, er schmettert<br />

Seemanns lieder und versucht,<br />

zwischen den stürmischen Wellen von<br />

Rimsky-Korsakows Das Meer und<br />

Sindbads Schiff nicht seekrank zu werden<br />

– und dann taucht plötzlich auch<br />

noch ein echter Pirat auf!<br />

Sonntag, 28. September 2008, 11 Uhr<br />

Mittwoch, 8. Oktober 2008, 11 Uhr<br />

Dirigent: Andreas Wolf<br />

Mit Jörn Eichler (Tenor und Pirat) und<br />

Heini, dem kleinen Vampir<br />

(Figurentheater Marmelock)<br />

Start der Kinderund<br />

Jugendclubs<br />

Club XS (8 bis 11 Jahre)<br />

30. September 2008, 15.30 Uhr<br />

Anmeldung unter Tel. 0511/9999-<strong>10</strong>83<br />

Club XM (12 bis 15 Jahre)<br />

7. November 2008, 16 Uhr<br />

Anmeldung unter Tel. 0511/9999-<strong>10</strong>85<br />

Club XL (16 bis 20 Jahre)<br />

6. November 2008, 16 Uhr<br />

Anmeldung unter Tel. 0511/9999-<strong>10</strong>82


Aus den Werkstätten seitenbühne | Seite 23<br />

Erfüllte<br />

Jahre<br />

Seit 43 Jahren ist Roger Bielefeld an der <strong>Staatsoper</strong><br />

<strong>Hannover</strong> in der Beleuchtungsabteilung tätig, im Oktober<br />

2008 geht er in den Ruhestand.<br />

Schon in der Schulzeit ging Roger Bielefeld gern ins Theater. Sein<br />

Vater war Bühnenbildner, weshalb der Westfale schon früh einen engen<br />

Bezug hatte zu den Brettern, die die Welt bedeuten. In seiner Heimat<br />

absolvierte er eine Elektroausbildung, nach der Gesellenprüfung arbeitete<br />

er ein Jahr mit seinem Vater, der zu der Zeit als freischaffender<br />

Künstler für Wandmalerei tätig war. Über einen Studienkollegen des<br />

Vaters begann Roger Bielefeld 1965 in der Beleuchtungsabteilung an<br />

der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>, 1976 legte er in Hamburg parallel die<br />

Meisterprüfung ab.<br />

Faszinierend findet Roger Bielefeld die Arbeit in der Beleuchtung<br />

noch nach all den Jahren: „ Jede Neuproduktion ist wieder etwas<br />

Besonderes und Spannendes.“ Über ein halbes Jahr erstreckt sich die<br />

Vorbereitung für eine Premiere. Schon beim ersten Konzeptionsgespräch<br />

mit Regisseur und Bühnenbildner kann die Beleuchtung<br />

Thema sein, spätestens aber bei der Bauprobe, bei der die Proportionen<br />

und Größenverhältnisse des Bühnenbildes auf der Bühne<br />

getestet werden. Es folgt eine Materialprobe, bei der verschiedene<br />

Stoffe und Materialien beleuchtet werden, um festzustellen, wie diese<br />

auf Licht reagieren. Bei der Werkstattbesprechung für das Bühnenbild<br />

werden dann die Ergebnisse der Beleuchter eingebracht, bevor<br />

beim Beleuchtungsgespräch diskutiert wird, wie der szenische Ablauf<br />

ganz konkret eingerichtet werden soll.<br />

Erst zwei bis drei Wochen vor der Premiere finden dann, verteilt<br />

auf mehrere Tage, die Beleuchtungsproben statt. Inzwischen weiß<br />

man aber schon grob, welche Scheinwerfer man in welchen Szenen<br />

einsetzen sollte. „Für romantische Szenen ist eher weiches Licht als<br />

Rücklicht und Betonung von vorn einzusetzen, für Kampfszenen<br />

eher hartes Seitenlicht, damit die Waffen auch glänzen“, erklärt<br />

Roger Bielefeld.<br />

Doch ein Beleuchtungsmeister hat auch noch andere Aufgaben.<br />

Zum einen gibt es auch Büroarbeit zu erledigen, zum anderen müssen<br />

natürlich alle laufenden Vorstellungen betreut werden, Abend für<br />

Abend. Vor jeder Vorstellung stellen 5 bis 6 Mitarbeiter alle <strong>10</strong>0 bis<br />

150 Scheinwerfer richtig ein, richten sie in der Pause um und ändern<br />

sie eventuell auch farblich. Jeder Beleuchtungsmeister betreut seine<br />

„eigenen“ Vorstellungen, woraus sich dann auch die variablen<br />

Arbeitszeiten ergeben.<br />

Ein anderer Reiz seines Berufs liegt für Roger Bielefeld in der Entwicklung<br />

immer neuer Techniken. So ist etwa aus einem mit Hand<br />

betriebenen Lichtstellwerk über Jahrzehnte hinweg eine computertechnische<br />

Anlage geworden, mit der viel mehr Effekte möglich<br />

sind. „Mein Beruf macht mir sehr viel Spaß! Er ist abwechslungsreich<br />

und immer interessant.“ Denn über die Jahre hinweg hat Roger Bielefeld<br />

sehr viele Menschen kennengelernt: Nicht weniger als fünf<br />

Intendanten hat er an der <strong>Staatsoper</strong> erlebt, und natürlich zahllose<br />

Regisseure oder Bühnenbildner. Produktionen, an die er sich besonders<br />

gern zurückerinnert, sind unter anderem die Königlichen Spiele<br />

in Herrenhausen 1967 oder die Ring-Inszenierung von Hans-Peter<br />

Lehmann. Die letzte Produktion des Beleuchtungsmeisters war die<br />

Wiederaufnahme von Donizettis Lucia di Lammermoor, zum 1. Oktober<br />

2008 geht er in den Ruhestand.<br />

Da er ein Familienmensch ist, freut sich Roger Bielefeld auf diesen<br />

neuen Lebensabschnitt. Endlich kann er dann viel Zeit seiner<br />

Frau und seinen Hobbys widmen: Fotografie, Fahrrad fahren, Natur<br />

und Reisen. „Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden<br />

Auge. Auf jeden Fall werde ich Vorstellungen und Kollegen weiterhin<br />

besuchen.“<br />

Jill Höhlein<br />

Weitere Neuigkeiten<br />

Nach fast 39 Arbeitsjahren in der Beleuchtungsabteilung der<br />

<strong>Staatsoper</strong> hat sich auch der Vorarbeiter Heiko Schwab zum 1. Juli<br />

2008 in den Ruhestand verabschiedet. Mit Gradlinigkeit und<br />

Humor hat er alle Entwicklungen in der modernen Beleuchtungstechnik<br />

mitgemacht und mitgetragen. Wir wünschen ihm und seiner<br />

Frau Brigitte alles Gute für die Zukunft und viele spannende<br />

Opernabende in der neuen Rolle des Zuschauers.


Seite 24 | seitenbühne<br />

Nachruf<br />

Max Vax †<br />

Am Anfang dieser Spielzeit stand eine Schreckensnachricht: In diesem<br />

Jahr sind nicht alle wohlbehalten aus den sechswöchigen Theaterferien<br />

zurückgekehrt. Der Pianist Max Vax ist in der zweiten<br />

Ferienwoche, am 22. Juli 2008, in seiner russischen Heimat bei<br />

einem Autounfall ums Leben gekommen. Seit 2000 hatte er als<br />

Korrepetitor für das Ballett der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong> gearbeitet.<br />

Die <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong> betrauert den frühen Tod eines groß -<br />

artigen Musikers, beliebten Kollegen und wunderbaren Menschen.<br />

Intendant Michael Klügl: „Ich mochte Max Vax sehr. Er war ein<br />

äußerst sympathischer und gewinnender Mensch, ein zuverlässiger<br />

Ballettkorrepetitor und vor allem ein Jazz-Pianist der Extraklasse:<br />

In seinem Spiel verbanden sich eine enorme Virtuosität mit<br />

spielerischer Intelligenz, indem er russische Klaviertradition mit<br />

amerikanischem Jazz verband, und einer großen Klangsensibilität,<br />

die er im Opernhaus unter anderem mit Werken von Rachmaninow<br />

und Schostakowitsch demonstrierte. Sein früher Tod ist ein<br />

Schock für alle, die ihn besser kannten.“ Auch die „klassischen“<br />

Musiker-Kollegen trauern um ihn. Stellvertretend für viele<br />

Kapellmeister Lutz de Veer: „Als ich Max mit seinem Trio das erste<br />

Mal erlebte, war ich vom ersten Augenblick an fasziniert von seinem<br />

energiegeladenen Spiel, diesem treibenden Swing und seiner<br />

grandiosen stilistischen Sicherheit. Später lernte ich ihn persönlich<br />

kennen, es gab viele anregende Momente, gemeinsame Projekte<br />

sollten folgen. Das Schicksal hat anders entschieden … Bleibt<br />

mir die Erinnerung an einen vom Jazz besessenen und dennoch<br />

bescheidenen Menschen, der in seinen Aufnahmen weiterleben<br />

wird.“<br />

Max Vax, mit bürgerlichem Namen Maxim Vaks, wurde 1975 im<br />

russischen Gorkij geboren. Mit sechs Jahren erhielt er den ersten<br />

Klavierunterricht, mit 13 Jahren entdeckte er den Jazz. Aufgewachsen<br />

in der klassischen russischen Klaviertradition, fand er<br />

eine Verbindung der Werke von Rachmaninow, Prokofjew, Chopin<br />

und Liszt zu seinen Interpretationen der Stücke aus dem<br />

Broadway Songbook und später zu eigenen Kompositionen. Die<br />

musikalischen Prinzipien des klassischen Klaviers schienen ihm<br />

nicht nur übertragbar in die musikalische Welt des Jazz, sondern<br />

sehr bereichernd, als eine „Entdeckungsreise zu unbegrenzten<br />

kreativen Möglichkeiten“. Wer Max Vax einmal hat spielen hören,<br />

den wundert nicht, die Namen Art Tatum, Thelonious Monk, Bill<br />

Evans und ganz besonders Oscar Peterson als Fixsterne über seinem<br />

künstlerischen Weg zu finden.<br />

Mit 18 Jahren kam er in den Westen. Am Rotterdam Conservatory<br />

studierte er von 1993 bis 1999 Jazz-Klavier, ein Semester verbrachte<br />

er am Berklee College of Music in Boston, als Schüler von<br />

Hal Crook, Ray Santisy, Lazlo Gardony, Dave Samuels und Don<br />

Friedman. Letzterer schrieb die einleitenden Worte für die erste<br />

CD des Max Vax Trios. 1998 kam sie heraus: „A Personal Touch“,<br />

von Max Vax zusammen mit Hein van der Geyn und Sharon Rosner<br />

(Bass) und Ralf Jackowski (Schlagzeug) eingespielt. 2001 folgte<br />

die zweite CD des Trios, „Unspoken Words“. Neben der Arbeit<br />

mit dem Trio verfolgte Max Vax die eigene Solo-Karriere: 2003<br />

gewann er den ersten Preis bei der 5. Monaco International Jazz<br />

Soloists Competition. In der Quartett-Formation mit Jens Heisterhagen,<br />

Jackowski und Volker Winck am Saxophon errang Max<br />

Vax 2004 den ersten Preis beim 3. International Jazz Contest in<br />

Granada. „The Best European Jazz Group“ – dieses Urteil der Jury<br />

eröffnet heute noch die Website von Max Vax: www.maxvax.com.<br />

Sie bleibt mit Bildern, Videos und Texten ein Ausgangspunkt der<br />

Erinnerung an Max Vax. Alle, die ihn nicht kannten, können hier<br />

entdecken, welch großes Talent uns in diesem Sommer viel zu früh<br />

verlassen hat.<br />

Max selbst begrüßt den Besucher der Seite mit einem Credo seines<br />

Musizierens: „Die menschliche Seele ist vielleicht das größte<br />

aller Geheimnisse. Je mehr wir von ihr entdecken, desto weniger<br />

verstehen wir sie. Die Furcht vor diesen Entdeckungen lässt uns<br />

zurückschrecken oder emotional verhärten. Eines der Ziele dieser<br />

Aufnahmen ist das emotionale Erwachen und die Intensität des<br />

Fühlens. Musik ermöglicht uns auszudrücken, was wir fühlen, aber<br />

kaum in Worte fassen können. Wenn Sie also diese Musik hören,<br />

versuchen Sie zu vergessen, was Sie wissen, was Sie wissen möchten<br />

oder wovor Sie Angst haben. Versuchen Sie zu fühlen.“ Die<br />

Musik von Max Vax können wir noch hören. Das Fühlen dabei ist<br />

aber von Fassungslosigkeit und Trauer bestimmt.<br />

Swantje Gostomzyk


Zuschauerporträt seitenbühne | Seite 25<br />

Grafik in<br />

Bewegung<br />

Es riecht nach Farbe. Große Fenster würden den Raum mit Licht<br />

überfluten, wäre es nicht ein verregneter Sommertag. Alte farbgetränkte<br />

Lappen liegen in Körben auf einem Fensterbrett. Schlichte<br />

Holztische mit verblassten Farbklecksen sind im gesamten Raum<br />

verteilt. Druckerpressen stehen still und, wie es scheint, erwartungsvoll.<br />

Das ist der Arbeitsbereich von Barbara Jülfs. Ich treffe die<br />

Diplomgrafikerin und große Ballettliebhaberin in der Druckwerkstatt<br />

der Leibniz Universität <strong>Hannover</strong>, wo sie seit 2007 als Lehrbeauftragte<br />

beschäftigt ist. Sie zeigt mir ihre Arbeiten und erzählt mit<br />

einer unbändigen Energie und großen Gesten von ihrer Liebe zum<br />

Tanz – eine Liebe, die sie von klein auf begleitet und die sie heute als<br />

Künstlerin beeinflusst.<br />

Ihre ersten Begegnungen mit Ballett ermöglichte ihre Mutter, die<br />

von der Arbeit der damaligen Ballettdirektorin der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>,<br />

Yvonne Georgi, und dem Tänzer Harald Kreuzberg „hingerissen“<br />

war. So kam es, dass Barbara Jülfs mit acht Jahren ihr erstes<br />

Balletterlebnis Cinderella voller Begeisterung zuhause nachtanzte.<br />

Immer wieder begleitete sie ihre Mutter zu Ballettvorstellungen und<br />

später, im Eurythmieunterricht, entdeckte man in ihr eine Begabung<br />

für Bewegung. „Mit zwölf Jahren habe ich, ganz in Jute verpackt, das<br />

Gedicht Das Nasobem von Christian Morgenstern in Bewegung<br />

umgesetzt. Der Saal hat getobt! Und ich musste es wiederholen! Der<br />

Lehrer hat mich in die Luft geworfen, er hatte sich so für mich<br />

gefreut!“<br />

Barbara Jülfs’ Liebe zum Tanz blieb ungebrochen. Dennoch hatte<br />

sie nie Tanzunterricht genommen, bis sie sich mit 23 Jahren, während<br />

eines Besuchs in ihrer zweiten Heimat Frankreich, einer Ballettschule<br />

in Hossegor vorstellte. Die Direktorin war entzückt von<br />

Jülfs ungewöhnlichem Wunsch, mit Ballettschülerinnen im Alter<br />

von 9 bis 14 Jahren zu tanzen. In diesem Punkt kam ihr ihre Körpergröße<br />

entgegen, da sie mit 1,58 Meter nicht viel größer war als die<br />

Mitschülerinnen. „In Zeitlupe wäre es mir gelungen!“, meint sie mit<br />

einem Lächeln. „Doch schließlich stellte sich heraus, dass es nichts<br />

mit dem Ballett wird, und ich widmete mich verstärkt meinem Grafikstudium.“<br />

Die geschwungenen Tafeln an allen historischen<br />

Gebäuden <strong>Hannover</strong>s gehen auf einen Entwurf Barbara Jülfs’<br />

zurück, für den sie während ihres Studiums bei einem Preisausschreiben<br />

ausgezeichnet wurde.<br />

Immer wieder wurde Barbara Jülfs vom Tanz magisch angezogen.<br />

Während eines Praktikums bei der Choreografin Ulrike Wallis entwarf<br />

sie Plakate und half mit bei Beleuchtung und Organisation. In<br />

dieser Zeit begann sie sich dafür zu interessieren, Bilder und Druckgrafiken<br />

in Bewegung zu setzen.<br />

Für ihr Studienzertifikat in Ästhetischer Bildung und Gestaltung<br />

filmte sie ein halbes Jahr im Ballettsaal der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>. Ihre<br />

Abschlussarbeit mit dem Titel „Zusammenspiel von Farbe, Figuration<br />

und Bewegung; Überlagerung verschiedener Medien (Malerei,<br />

Foto, Film)“ besteht aus einem Katalog und einer Multimedia-Ausstellung,<br />

in denen sie Bilder von Tänzern in Bewegung mit Grafiken<br />

überlagert. „Dadurch entstand eine unendliche grafische Vielfalt.“<br />

Barbara Jülfs besucht bis heute jede Ballettproduktion der <strong>Staatsoper</strong><br />

<strong>Hannover</strong> drei, manchmal sogar vier Mal. „Ich kenne die Arbeit aller<br />

Ballettdirektoren von Yvonne Georgi bis Jörg Mannes. Ich schaue<br />

mir die Ballettabende am liebsten aus verschiedenen Perspektiven an<br />

– mal aus der ersten Reihe, mal von ganz links oder rechts, mal vom<br />

Balkon. Es gibt immer etwas Neues zu entdecken!“ Mit diesem letzten<br />

Satz springt sie auf und setzt eine für sie fast überdimensionale<br />

Druckerpresse leicht und tänzerisch in Bewegung.<br />

Steven Markusfeld


Seite 26 | seitenbühne<br />

Aus aller Welt<br />

Sommerzeit ist Reisezeit<br />

Von Kiel bis Lissabon, Amsterdam bis<br />

Japan sind die Dirigenten und<br />

Ensemble mitglieder der <strong>Staatsoper</strong><br />

gereist. Doch nicht ihre Urlaubsziele<br />

waren so weit über die Weltkarte verstreut,<br />

sondern ihre Gastengagements<br />

im letzten halben Jahr. Diese dokumentieren<br />

wir gerne, geben sie doch<br />

auch Zeugnis von dem überregionalen<br />

Interesse an der Qualität unseres<br />

Hauses.<br />

Generalmusikdirektor Wolfgang Bozic<br />

gastierte im April in Japan. Er dirigierte drei<br />

Aufführungen von Giuseppe Verdis Oper<br />

Aida in der Inszenierung von Peter Konwitschny<br />

in Tokyo und Osaka. In der Titelpartie<br />

gab die Sopranistin Catherine Naglestad<br />

ihr Japan-Debüt. Es spielte das Tokyo<br />

Metropolitan Symphony Orchestra. Seit der<br />

Premiere 1994 hatte Wolfgang Bozic die<br />

Produktion bei zahlreichen Vorstellungen<br />

an der Oper Graz sowie bei den Wiener<br />

Festwochen 2003 musikalisch geleitet. Der<br />

1. Kapellmeister Lutz de Veer wurde von<br />

den Städtischen Bühnen Wuppertal eingeladen,<br />

die Musikalische Leitung der Oper<br />

Peter Grimes von Benjamin Britten Ende<br />

März zu übernehmen. Er dirigierte die Premiere<br />

und zahlreiche Folgevorstellungen.<br />

In Portugal weilte der Bass Shavleg Armasi<br />

im Frühjahr: als Publio in Mozarts La clemenza<br />

di Tito wurde er an das Opernhaus in<br />

Lissabon verpflichtet. Die Sopranistin<br />

Arantxa Armentia gastierte im März als<br />

Micaëla in Carmen am deutschen Nationaltheater<br />

Weimar und als Marguérite in Gounods<br />

Faust am Staatstheater Nürnberg. Der<br />

Tenor Jörn Eichler war der erste von drei<br />

hannoverschen Sängern, die in der ersten<br />

Jahreshälfte an der Hamburgischen <strong>Staatsoper</strong><br />

einsprangen: am 23. März sang er in der<br />

neuen Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen<br />

die vier Diener von der Seite. Es<br />

folgte ein Engagement als Pang in Turandot<br />

an den Städtischen Bühnen Kiel. In einem<br />

Konzert mit dem österreichischen Dirigenten<br />

und Komponisten HK Gruber gastierte<br />

Julia Faylenbogen (Mezzosopran) im Mai<br />

dieses Jahres im Concertgebouw in Amsterdam.<br />

Die Sopranistin Karen Frankenstein<br />

hat Anfang April ebenfalls in Hamburg<br />

gastiert, als Musetta in La Bohème, und einen<br />

anwesenden Kritiker restlos überzeugt:<br />

„Besonders Karen Frankenstein, die erst<br />

kurz vor dem Opernbeginn aus <strong>Hannover</strong><br />

nach Hamburg kam, um die erkrankte Kari<br />

Postma als Musetta zu ersetzen, singt ihren<br />

Part mit einer exorbitanten Technik und fügt<br />

sich ohne Probleme stimmig in das Ensemble<br />

ein, als wäre die Inszenierung um sie<br />

herum arrangiert. Ihr selbstbewusster Auftritt<br />

im zweiten Akt gehört zu den großen<br />

Momenten der Oper.“ – So nachzulesen im<br />

Internet-Magazin klassik.com. Im Juni sang<br />

sie in der Premiere und drei weiteren Vorstellungen<br />

die Rolle der 1. Nichte in Brittens<br />

Peter Grimes am Staatstheater Kassel. Ihre<br />

Fachkollegin Carmen Fuggiss gastierte als<br />

Antonia in Hoffmanns Erzählungen am Theater<br />

Aachen und hatte die ehrenvolle Aufgabe,<br />

Ende Mai in Hiroshima anlässlich der<br />

25-jährigen Städtepartnerschaft von <strong>Hannover</strong><br />

und Hiroshima zu singen. In Japan<br />

gab sie ein Konzert und einen Liederabend,<br />

letzteren zusammen mit der „Deutschen<br />

Liedergesellschaft Hiroshima“. Es erklangen<br />

Lieder von Schubert, Schumann und<br />

Brahms sowie Werke aus Operette und Wiener<br />

Lied. An einem der schönsten deutschen<br />

Opernhäuser gastierte die Sopranistin Brigitte<br />

Hahn im Juni: an der Semperoper<br />

Dresden sang sie die Elisabeth in Richard<br />

Wagners Tannhäuser. Ende August war beim<br />

Klassik Sommer Hamm in einer konzertanten<br />

Aufführung ihr Rollendebüt als Isolde in<br />

Wagners Tristan und Isolde zu erleben. Alla<br />

Kravchuk, ebenfalls Sopran, sang ihre Paraderolle<br />

– die weibliche Titelpartie in Debussys<br />

Pelléas et Mélisande – in einer konzertanten<br />

Aufführung unter der Leitung von<br />

Steven Sloane in Bochum. In ihrer japanischen<br />

Heimat, in Osaka, tanzte Keiko<br />

Nisugi die Maria im Ballett Die Fontäne von<br />

Bachtschissarai von Boris Assafjew auf ein<br />

Poem von Alexander Puschkin. In seiner<br />

österreichischen Heimat gastierte Bass<br />

Albert Pesendorfer in diesem Sommer,<br />

und konnte so das Angenehme (den Heimaturlaub)<br />

mit dem Nützlichen (dem Gastengagement)<br />

verbinden: Bei den Bregenzer Festspielen<br />

trat er in der „Satire mit Musik“<br />

Kehraus um St. Stephan von Ernst Křenek<br />

auf. Es schließt sich die Verpflichtung als<br />

Landgraf in Tannhäuser an der Oper Graz an<br />

– in der Inszenierung von Philipp Himmelmann,<br />

die im vergangenen Jahr in <strong>Hannover</strong><br />

herauskam und nun als Koproduktion in die<br />

Steiermark geht. Der dritte Sänger, der im<br />

Frühling an der <strong>Staatsoper</strong> Hamburg sang,<br />

war Bass Tobias Schabel: Ende März gab er<br />

den Riesen Fafner in Wagners Rheingold<br />

zunächst von der Seite, im Mai und Juni<br />

auch szenisch, in der neuen Inszenierung<br />

von Claus Guth. Dazwischen lag die Rückkehr<br />

als Gast an sein altes Stammhaus, das<br />

Nationaltheater Mannheim, als Dottore<br />

Grenvil in Verdis La traviata Mitte April.<br />

Last but not least gastierte die Sopranistin<br />

Hinako Yoshikawa Ende April an der<br />

Förde: als Blonde in der Entführung aus dem<br />

Serail in Kiel.


Die Stiftung <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />

begrüßt neue Zustifter<br />

Die Stiftung <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong> konnte<br />

beim Festkonzert am 6. September 2008<br />

die dritte Seite des gläsernen Stiftungsbuches<br />

im Foyer des Opernhauses feierlich<br />

enthüllen.<br />

Beigetragen haben hierzu folgende neue<br />

Stifter:<br />

Familie Hackerodt<br />

Bert und Margit Gieseke<br />

Hans G. und Eva Bock<br />

Grand Hotel Mussmann<br />

Jörn Hilfrich und Sybille Galland<br />

Werner M. und Susanne Bahlsen<br />

Wir sagen danke!<br />

Christa Hackerodt, Sabine Hackerodt, Dr. Christiane Hackerodt, Hans G. Bock, Eva Bock, Dr. Elke Pagel,<br />

Margit und Bert Gieseke.<br />

Alter Stoff in neuen Kleidern –<br />

das Opernrätsel<br />

Wir befinden uns in der klassischen Antike –<br />

man trägt Chlänas und Chitons. Doch nicht<br />

um Mode geht es in dem gesuchten Werk,<br />

sondern um einen großen Mann und seine<br />

sagenhafte Geschichte. Der Komponist, der<br />

neben diesem acht weitere Musiktheaterwerke<br />

geschrieben hat, kommt aus der so<br />

genannten „Stadt des Rechts“. Seine ersten<br />

Kompositionen schrieb er mit elf Jahren,<br />

wahrscheinlich in einer Manchesterhose in<br />

Fischgrätenoptik. Weit ausgestellte Hosen<br />

hielten ihn nicht vom frühen Drang zum<br />

Unterrichten ab: Bereits mit 21 lehrte er<br />

gelegentlich an der Musikhochschule.<br />

Die Musik dieses Komponisten wächst an<br />

seinem Interesse für Malerei und Plastik,<br />

Poesie und Literatur. Dadurch ist er wohl<br />

auch auf den alten Stoff, hier ist der literarische<br />

gemeint, aufmerksam geworden. Das<br />

gesuchte Werk schrieb er in den schrillen<br />

Jahren im Westen Deutschlands – man trug<br />

mit Buttons übersäte Lederjacken oder<br />

grelle Leggins mit Schlabberpulli. Die Re -<br />

flexion spielte in dieser Schaffensphase eine<br />

bedeutende Rolle; so verwundert es nicht,<br />

dass er sich diesem alten Thema widmete,<br />

welches auch von Reflexion spricht. Ist im<br />

ersten Fall die Reflexion der musikalischen<br />

Semantik gemeint, so im zweiten eine<br />

inhaltliche Reflexion auf das Unvermögen<br />

des Menschen, sein Schicksal vorauszusehen.<br />

Und dieses Thema ist ja nun immer<br />

aktuell! Wer würde nicht gerne sein Schicksal<br />

vorhersehen und bestimmen? Und wie<br />

viele scheitern dann doch, überhören und<br />

übersehen schlechte Vorzeichen und Warnungen?<br />

So auch der Protagonist dieser<br />

schweren dramatischen Kost, welche schon<br />

zuvor von mehreren anderen Komponisten<br />

vertont wurde. Wie viele glauben, das Glück<br />

in den Händen zu halten, und doch schlägt<br />

es in Unglück um und stürzt die Familie<br />

durch eigene Verblendung in den Abgrund!<br />

Um welchen Stoff handelt es sich? Und wie<br />

heißt der Komponist, der auch heute noch<br />

mit der Mode der Zeit geht?<br />

Unter allen richtigen Einsendungen, die uns<br />

bis zum 15. Oktober erreichen, verlosen wir<br />

5 x 2 Karten für die letzte Vorstellung eines<br />

anderen antiken Dramas in modernem<br />

musikalischem Gewand: Hans Werner Henzes<br />

Die Bassariden am 2. November 2008,<br />

18.30 Uhr.<br />

Schicken Sie Ihre Postkarte an:<br />

<strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Opernplatz 1<br />

30159 <strong>Hannover</strong><br />

Die Lösung des Opernrätsels in der seitenbühne<br />

Mai/Juni/Juli 2008 lautet Charles Gounod:<br />

Mireille.<br />

Herausgeber: Niedersächsische Staatstheater <strong>Hannover</strong> GmbH, <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>, Opernplatz 1, 30159 <strong>Hannover</strong> · Intendant: Dr. Michael Klügl · Redaktion: Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit<br />

Fotos: Marco Borggreve, Christian Brachwitz, Malte Erhardt, Thomas M. Jauk, Jörg Landsberg, Thilo Nass · Druck: Steppat Druck


Carmen – Khatuna Mikaberidze und Herrenchor

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