Materialien für Lehrer - Staatstheater Nürnberg
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Macbeth<br />
von Giuseppe Verdi<br />
Materialmappe
<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
Liebe <strong>Lehrer</strong>innen und <strong>Lehrer</strong>, liebes Publikum,<br />
Dirigent Guido Johannes Rumstadt und Regisseur Georg Schmiedleitner haben sich mit<br />
„Macbeth― eines vielschichtigen Musikdramas angenommen. Allein im Hinblick auf die zeitliche<br />
Darstellung vereint Verdis Oper bereits drei Ebenen: Neben der Zeit des realen Macbeth (11.<br />
Jahrhundert) beinhaltet die Oper sowohl die Entstehungszeit des Dramas (1607) als auch die<br />
Entstehungszeit der Oper (1847). Ergänzt werden diese Zeitstufen durch unsere heutige Zeit,<br />
in der das Werk interpretiert und die Oper inszeniert wird (2011).<br />
Inhaltlich dreht sich bei Verdis 10. Oper alles um Macht, Gier und Schuldgefühle. Nach<br />
Macht verlangt es Macbeth, einem schottischen Feldherrn, der durch Morde zum König wird.<br />
Gier verkörpert seine ehrgeizige Frau Lady Macbeth, die ihn ermutigt und antreibt.<br />
Schuldgefühle empfinden schließlich beide – doch es ist spät. Shakespeares düstere Tragödie<br />
hatte es Verdi sofort angetan und mit „Macbeth― schuf er sein Lieblingswerk. So sagte Verdi<br />
nach der Premiere in Florenz: „Macbeth, den ich mehr liebe als meine anderen Opern.―<br />
Mit vorliegender Materialmappe möchten wir Ihnen nun einen Eindruck der Oper und der<br />
Inszenierung vermitteln. Dazu haben wir unter anderem Texte von Kai Weßler,<br />
produktionsbetreuender Dramaturg, ein Interview mit Regisseur Georg Schmiedleitner und<br />
Originalzitate aus Shakespeares Tragödie sowie aus Verdis Oper zusammengestellt.<br />
Die Theaterpädagogik des <strong>Staatstheater</strong>s bietet zur Inszenierung von „Macbeth― sowohl<br />
vorstellungsvorbereitende als auch vorstellungsnachbereitende Workshops und Gespräche für<br />
Schülerinnen und Schüler an.<br />
Wenn Sie Fragen haben oder weitere Informationen sowie szenisch-musikalische<br />
Arbeitsmaterialien zur Unterrichtsgestaltung benötigen, können Sie sich gerne an mich<br />
wenden.<br />
Mit herzlichen Grüßen,<br />
Gudrun Bär<br />
Theaterpädagogin<br />
Kontakt:<br />
<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg<br />
u18plus: junges publikum<br />
Theaterpädagogin Gudrun Bär<br />
Telefon: 0911-231-6866<br />
Email: theaterpaedagogik@staatstheater.nuernberg.de<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
„MACBETH― VON WILLIAM SHAKESPEARE<br />
SHAKESPEARE „MACBETH―, TRAUERSPIEL IN FÜNF AKTEN,<br />
DEUTSCH VON DOROTHEA TIECK<br />
1. Akt, 5. Szene<br />
Zimmer in Macbeths Schloß<br />
Lady Macbeth tritt auf mit einem Brief<br />
Lady Macbeth (liest): „Sie begegneten mir am Tage des Sieges; und ich erfuhr aus den<br />
sichersten Proben, daß sie mehr als menschliches Wissen besitzen. Als ich vor Verlangen<br />
brannte, sie weiter zu befragen, verschwanden sie und zerflossen in die Luft. Indem ich noch<br />
von Erstaunen betäubt dastand, kamen die Abgesandten des Königs, die mich als Than von<br />
Cawdor begrüßten; mit welchem Titel mich kurz vorher diese Zauberschwestern angeredet und<br />
mich auf die Zukunft verwiesen hatten. Ich habe es für gut gehalten, dir dies zu vertrauen,<br />
meine geliebteste Teilnehmerin der Hoheit, auf daß Dein Mitgenuß an der Freude Dir nicht<br />
entzogen werde, wenn Du nicht erfahren hättest, welche Hoheit Dir verheißen ist. Leg es an<br />
dein Herz und lebe wohl.―<br />
Glamis bist du und Cawdor: und sollst werden,<br />
was dir verheißen ward. – Doch fürcht´ ich dein Gemüt;<br />
es ist zu voll von Milch der Menschenliebe,<br />
das Nächste zu erfassen. Groß möchtst du sein,<br />
bist ohne Ehrgeiz nicht; doch fehlt die Bosheit,<br />
die ihn begleiten muss. Was recht du möchtest,<br />
das möchtst du rechtlich; möchtest falsch nicht spielen<br />
und unrecht doch gewinnen [...]<br />
Eil hierher, auf daß ich meinen Mut ins Ohr dir gieße.<br />
[...]<br />
„DER GANZE OZEAN KANN MEINE HÄNDE NICHT<br />
REINWASCHEN!―<br />
VERDIS OPER „MACBETH― ÜBER MACHT, GIER UND<br />
SCHULDGEFÜHLE<br />
Ein Feldherr bringt sich durch Mord an die Macht, getrieben von seiner ehrgeizigen Frau.<br />
Machtgier, Gewalt und Schuldgefühle, das sind die großen Themen, die Giuseppe Verdi in<br />
seiner zehnten Oper in Musik gesetzt hat.<br />
„Du sollst König werden―, prophezeien die Hexen dem schottischen Feldherrn Macbeth.<br />
Eine Prophezeiung, die wie ein Alpdruck auf Macbeth lastet, denn angestachelt von seiner<br />
ehrgeizigen Frau, ermordet er erst den König, dann seinen Konkurrenten Banquo, um<br />
schließlich ein Terrorregime zu errichten. Mord folgt auf Mord, bis sich das Blatt wendet. Am<br />
Ende ist das Land verwüstet, Lady Macbeth dem Wahnsinn verfallen und Macbeth besiegt.<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
VERDIS EIGENE LIEBLINGSOPER<br />
Ein ungewohnt düsterer Stoff für eine Oper. Und doch war genau dies der Grund, warum<br />
Giuseppe Verdi sich das Drama von William Shakespeare aussuchte, um es 1847 in Florenz<br />
auf die Bühne zu bringen. „Macbeth, den ich mehr liebe als meine anderen Opern―, schrieb er<br />
nach der Premiere an seinen Schwiegervater Antonio Barezzi. Bereits in seinen früheren<br />
Opern hatte sich der damals 34-jährige Komponist mit Herrscherfiguren beschäftigt, die an<br />
ihrem eigenen Ehrgeiz zugrundegehen. Doch eine Oper ohne ein Liebespaar, dafür voller<br />
düsterer, schauriger Szenen, das hatte es bisher noch nicht gegeben. William Shakespeare,<br />
dessen 1606 entstandenes Drama „Macbeth― die Grundlage des Librettos von Francesco<br />
Maria Piave bildet, war Mitte des 19. Jahrhunderts noch lange nicht als Klassiker des<br />
Welttheaters durchgesetzt. Und es ist kein Zufall, dass sich Verdi gerade im intellektuellen<br />
Florenz, wo er am ehesten mit Verständnis für seinen „Macbeth― rechnen konnte, auf diesen<br />
Stoff setzte.<br />
Nachdem „Macbeth― bei seiner Uraufführung nur mäßig erfolgreich gewesen war, holte<br />
Verdi die Oper 18 Jahre später noch einmal hervor, um sie in einer Neufassung in Paris<br />
herauszubringen. Bei dieser Gelegenheit fügte Verdi nicht nur die für das Pariser Publikum<br />
obligatorische Ballettmusik hinzu, sondern komponierte auch mehrere Szenen zwischen<br />
Macbeth und der Lady neu. Auch der bewegende Chor der schottischen Flüchtlinge wurde bei<br />
dieser Gelegenheit neu vertont. Doch an dem Charakter seiner Oper ändert sich dadurch<br />
wenig. Gerade die dramatischsten Momente des Werkes wie die Hexenchöre, das Duett<br />
zwischen Macbeth und der Lady vor und nach dem Königsmord, vor allem die<br />
Schlafwandelszene der Lady, die über ihre Machtlust den Verstand verloren hat, all das hat<br />
Verdi in die neue Fassung übernommen.<br />
KRAFTZENTRUM HEXEN<br />
Der Unterschied zum großen Vorbild Shakespeare: Bei Verdi spielen die Hexen mit ihren<br />
grellen, grotesken Chorszenen eine weit größere Rolle als bei Shakespeare und bilden mit der<br />
Lady Macbeth das eigentliche Zentrum der Oper. Die Lady, eine der ungewöhnlichsten Rollen,<br />
die Verdi für einen dramatischen Sopran mit expressiven Koloraturen geschrieben hat, ist weit<br />
stärker als in der Dramenvorlage der Motor hinter dem zögerlichen Macbeth. Doch während<br />
bei Shakespeare die Frage „Morden oder nicht morden?― breit diskutiert wird, schreitet das<br />
mörderische Paar bei Verdi schnell zur Tat – nur um dann vom eigenen Gewissen gepeinigt zu<br />
werden. Das große Duett zwischen der Lady und Macbeth ist bei Verdi ein eigenes kleines<br />
Drama um Schuld und Sühne. Noch stärker als Shakespeare hat Verdi die Abhängigkeit der<br />
beiden Hauptfiguren voneinander betont. Die wilden Koloraturen der Lady sind hier längst nicht<br />
mehr vokale Verzierung wie noch in den Opern des Belcanto, sondern Ausdruck einer fast<br />
triebhaften Gier nach Macht. Macbeth muss vor dieser Lady seine Männlichkeit durch Mord<br />
beweisen, und er wird für sie erst durch den Mord zum Mann.<br />
Im März wird Georg Schmiedleitner mit „Macbeth― seine zweite Operninszenierung auf<br />
die Bühne bringen. Der österreichische Regisseur hat in den letzten Jahren mit einer Reihe<br />
von ungewöhnlichen und aufwühlenden Schauspielinszenierungen für Aufsehen gesorgt.<br />
Bereits seine Inszenierung von Tom Lanoyes Shakespeare-Adaption „Margaretha di Napoli― –<br />
ein Werk, das der Thematik von „Macbeth― nicht unähnlich ist – sorgte 2001 weit über<br />
Nürnberg hinaus für Furore. Seine Inszenierungen von Lessings „Nathan der Weise―, Tom<br />
Lanoyes „Atropa―, Aischylos‘ „Die Orestie― und Anton Tschechows „Platonow― stehen zurzeit<br />
noch auf dem Spielplan.<br />
Kai Weßler<br />
(aus : „Impuls―, monatliches Theatermagazin, Ausgabe Februar 2011)<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
DIE NICHT ZU VERDRÄNGENDE SCHULD<br />
„TUTTO È FINITO―<br />
„Alles ist erledigt―, das sind die entscheidenden Worte, mit denen der schottische<br />
Kriegsherr Macbeth in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper seiner Lady den Vollzug ihres<br />
gemeinsamen Plans meldet. Der Mord an König Duncan ist die entscheidende Tat, die<br />
Macbeth den Weg zum Thron ebnen soll. Die Beförderung des Than von Glamis zum Than von<br />
Cawdor hatte er noch als Zufall hingenommen, der zweiten Prophezeiung der Hexen jedoch,<br />
die ihm die Krone versprochen hatte, will der Heerführer nachhelfen. „Alles ist erledigt―<br />
beschreibt diesen Mord zugleich als eine einschneidende Tat, denn mit dem Königsmord gibt<br />
Macbeth, von der Lady gedrängt, seinem Leben eine entscheidende, unumkehrbare Wende.<br />
Der König, so die Staatstheorie des Mittelalters und der frühen Neuzeit, verkörpert den Staat<br />
als solchen. Er hat nicht im modernen Sinne ein Amt inne, er ist kein Amtsträger, sondern er ist<br />
mit seinem Körper selbst der Staat und garantiert als solcher die politische Ordnung und die<br />
Wahrung der Gesetze. Die Ermordung dieses von Gott eingesetzten Herrschers ist also ein<br />
Angriff auf die göttliche Ordnung und auf den Staat selbst, eine ungeheure, eine monströse<br />
Tat.<br />
In Verdis Vertonung dieses kurzen „Tutto è finito― schwingt all dies mit: Nicht<br />
triumphierend ist der Ton des Macbeth, sondern klagend. Als Nachklang des barocken<br />
Seufzer-Motivs, mit dem Sekundschritt von c zum des und zurück, lässt Verdi Macbeth seine<br />
entscheidende Tat vermelden. Der da spricht, ist kein Sieger eines offenen Kampfes, sondern<br />
ein Mensch, der um die Fragwürdigkeit seines nächtlichen Meuchelmordes sehr wohl weiß.<br />
Hatte in der Vorlage William Shakespeares die Auseinandersetzung zwischen Macbeth und<br />
Lady vor der Tat noch immerhin zwei Szenen eingenommen, so verlagern Verdi und sein<br />
Librettist Francesco Maria Piave den Fokus auf den Umgang mit der vollzogenen Tat. Nicht<br />
Macbeths Zaudern ist Verdis Thema, sondern seine nicht zu verdrängende Schuld.<br />
Aus diesem Grund wird das Motiv „Tutto è finito― von dem Moment des Mordes an zur<br />
Keimzelle des folgenden Duettes – nach Verdis eigener Aussage das zentrale Stück der Oper -<br />
und letztlich zu einem der wichtigsten Motive der Oper überhaupt. Unmittelbar nachdem<br />
Macbeth den Satz ausspricht, übernehmen die Streicher die Tonfolge und spinnen sie zu der<br />
unruhigen, in sich kreisenden Begleitfigur fort, die den Dialog der beiden Mörder durchzieht<br />
und antreibt. Dass die Gesangslinie des Macbeth fast notengleich mit dem Gesang der Hexen<br />
zu Beginn des dritten Aktes ist, mit dem auch das Orchestervorspiel der Oper begonnen hatte,<br />
zeigt, dass Macbeth im Augenblick des Mordes längst kein autonom Handelnder mehr ist,<br />
sondern im Bann der von ihm so genannten Geisterfrauen („spirtali donne―) steht. Als würde<br />
Macbeth noch minutenlang unter dem Schock der eigenen Bluttat stehen, verharrt seine<br />
Gesangslinie bei dem Bericht über die Bluttat auf der fatalen Halbtonbewegung. Zwar versucht<br />
die Lady diesen Bann zu brechen, indem sie den Halbtonschritt von f-Moll zum „lichten― F-Dur<br />
hin vergrößert, doch kaum ist sie mit der Tatwaffe im Vorzimmer des Königs verschwunden,<br />
gemahnt ein geheimnisvolles Klopfen an das Tor – Verdi lässt es tonmalerisch im Orchester<br />
ertönen – Macbeth wiederum an die Tat. Seine Reaktion („Hörst du? Es donnert stärker ans<br />
Tor!―) ist von Verdi auf jene Töne c und des komponiert, die Macbeth als Klang gewordenes<br />
Stigma der Schuld verfolgen sollen. Auch später taucht dieses Motiv immer wieder auf: bei de r<br />
Chor-Reaktion auf die Ermordung Duncans, zu Beginn des zweiten Aktes – und nicht zuletzt<br />
zu Beginn der Wahnsinnsszene der Lady. „Una macchia―, ein Fleck aus Blut wird da<br />
besungen, und Verdi macht unmissverständlich klar, dass der Blutfleck Ausdruck einer<br />
unbewältigten Schuld ist. Solch unbewältigte Schuld erzeugt Traumata, und wie ein Trauma<br />
lässt Verdi sein „Tutto è finito―-Motiv immer wieder in der Oper auftauchen, ein Stachel, der<br />
sich immer tiefer in das Fleisch von Macbeth und der Lady drückt.<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
Giuseppe Verdis 1847 in Florenz uraufgeführte Oper „Macbeth― ist die bis dahin<br />
experimentellste Oper des 34-jährigen Komponisten. Immer noch benutzt er formal die<br />
konventionellen Formen der italienischen Oper und hat dafür Shakespeares „Macbeth―-Drama<br />
den dramaturgischen Anforderungen der traditionellen Oper angepasst. Der oben<br />
beschriebene, fast sinfonische Umgang mit inhaltlich aufgeladenen musikalischen Motiven<br />
zeigt jedoch, dass Verdis musikalisches Denken bereits weit über die kurzen, in sich<br />
geschlossenen Formen der Nummernoper hinausweist, hin zu einem mit den Mitteln der Musik<br />
erzählten Drama. In einem Brief an seinen Librettisten Francesco Maria Piave vom 4.<br />
September 1846 hatte er klargemacht, dass er sich für diese Oper etwas Ungewöhnliches<br />
vorstellt. Als Piave ihm nur begrenzt ungewöhnliche Verse liefern konnte, holte Verdi den<br />
befreundeten Literaten Andrea Maffei hinzu, der u.a. die mit ihren betonten Endsilben bewusst<br />
ordinären Verse des ersten Hexenchores beisteuerte. Bereits mit diesem Chor etabliert Verdi<br />
eine Ästhetik des Hässlichen, die in ihrer Radikalität auf der Opernbühne neuartig wirken<br />
musste. Vor diesem Hintergrund ist nicht das durch den „Macbeth―-Stoff vorgegebene Fehlen<br />
einer Liebesgeschichte bemerkenswert, sondern die Tatsache, dass die Beziehung zwischen<br />
Macbeth und der Lady alle Züge einer pervertierten, ins negativ gewendeten Liebesgeschichte<br />
trägt.<br />
Mehr als in allen anderen seiner Opern einschließlich des zehn Jahre jüngeren „Simon<br />
Boccanegra― betont Verdi das Düstere, das Nächtliche im „Macbeth―. Es ist nicht nur ein Stück,<br />
das zu großen Teilen in der Nacht spielt und in dem die Metaphorik der Nacht – Dunkelheit<br />
verschleiert Verbrechen – eine zentrale Rolle spielt, es ist auch ein Stück über die Nachtseiten<br />
des Menschen. Zwar sprechen Macbeth und die Lady unablässig von politischer Macht, nach<br />
der sie gieren und der all ihre Handlungen geschuldet sind. Doch diese Gier nach Macht ist zu<br />
keinem Moment von einem wirklichen politischen Ziel angetrieben, ganz zu schweigen von<br />
einer Utopie. Verdi, der mit seinen früheren Werken in den 40er Jahren politische Opern im<br />
Sinne der italienischen Einigungsbewegung des „Risorgimento― geschaffen hatte, wirft hier<br />
einen ganz anderen, düsteren und illusionslosen Blick auf Politik und Herrschaft. Von Anfang<br />
an, noch vor Macbeths Königsmord, herrschen in der Oper die dunklen Farben und das<br />
Tongeschlecht Moll vor. Die Ordnung, die Macbeth stürzt, wird keineswegs als eine in sich<br />
ruhende, perfekte politische Ordnung vorgestellt. Das Land ist im Krieg, und Macbeth verdankt<br />
seinen ersten Aufstieg zum Than von Cawdor der Hinrichtung eines anderen Adeligen. König<br />
Duncan, der bei Shakespeare immerhin noch in mehreren Szenen aufgetreten war, ist nicht<br />
mehr als ein stummer Statthalter der Macht, für den Verdi die wohl trivialste italienische<br />
Blasmusik vorgesehen hat, die er komponieren konnte. Niemand hat in dieser Oper ein<br />
politisches Ziel, das über Macht hinausgeht. Für die Zeitgenossen Shakespeares verwies die<br />
Verheißung des Königtums für die Nachkommen Banquos noch auf den aktuellen Stuart-König<br />
James I., der seine Ahnenreihe von einem Banquo ableitete. Für das Publikum der Verdi-Zeit<br />
ist dies ebensowenig von Bedeutung wie für den heutigen Zuschauer.<br />
Dass Verdis pessimistisches Weltbild jeden Takt der Musik prägt, macht ein Vergleich<br />
des Schlusses in der Urfassung der Oper und ihrer Neufassung von 1865 eindrucksvoll<br />
deutlich. Die Florentiner Fassung von 1847 endet mit dem Tod des Macbeth auf offener<br />
Bühne. Im Angesicht des Todes reflektiert Macbeth die Sinnlosigkeit seiner Taten zum bloßen<br />
Machterhalt. Mit knappen musikalischen Gesten – Abwärtsbewegungen der Streicher, einer<br />
Andeutung von Trauermarsch der Blechbläser, kurze Orchesterschläge – vollzieht sich der Tod<br />
des Macbeth ohne irgendeine Form der Überhöhung. Nicht einmal eine Höllenfahrt findet statt:<br />
Macbeth „verreckt―. Anders in der Pariser Fassung von 1865, für die sich der dortige<br />
Impresario einen Schlusschor gewünscht hatte. Der Tod des Macbeth findet nun hinter der<br />
Bühne statt, dafür kommen die siegreichen Truppen des Malcolm zu einer „Siegeshymne―<br />
(„Inno di vittoria―) zusammen, die zugleich Malcolm als neuen König feiert. Doch Verdi<br />
komponiert diesen Schlusschor genau nicht als Siegeshymne im Sinne eines positiven<br />
Schlusses. Ein großer Teil des Chores steht im nicht eben sieghaften a-Moll, erst in den<br />
letzten Takten wendet sich die Musik nach Dur. Die Nürnberger Aufführung verzichtet daher<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
auf den Pariser Schluss zugunsten des ursprünglichen Endes mit „Macbeths Tod―. Verdi hat<br />
das qualvolle Sterben seines Protagonisten mit genau dem Motiv vertont, mit dem dieser lange<br />
zuvor den Vollzug des Mordes gemeldet hatte: „Tutto è finito―. Man kann Macbeths „Tutto è<br />
finito― auch anders verstehen: Es ist alles zu Ende, und zu Ende ist die Welt des Macbeth<br />
lange bevor die Lady und er jeder für sich ihr sinnlos gewordenes Leben beenden.<br />
Kai Weßler<br />
(aus dem Programmheft zu „Macbeth―)<br />
„MACBETH― VON GIUSEPPE VERDI<br />
OPÉRA IN VIER AKTEN VON GIUSEPPE VERDI<br />
(FASSUNG VON 1865)<br />
Zweiter Aufzug<br />
Erstes Bild<br />
Lady Macbeth: Das Licht schwindet, die Leuchte erlischt,<br />
die in Ewigkeit den weiten Himmel durchläuft!<br />
Ersehnte Nacht, verbirg behutsam<br />
die schuldige Hand, wenn sie zustößt!<br />
Noch ein Verbrechen? Es ist notwendig!<br />
Das verhängnisvolle Werk muss vollendet werden.<br />
Den Gestorbenen liegt nichts an der Herrschaft;<br />
für sie ein Requiem und die ewige Ruhe!<br />
O Wollust des Throns,<br />
o Szepter, endlich bist du mein!<br />
Jedes irdische Begehren<br />
schweigt und erfüllt sich in dir!<br />
Bald soll er leblos fallen,<br />
dem die Königskrone verheißen ist!<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
„THEATER IST EIN UNRUHE-KRAFTWERK―<br />
DER REGISSEUR GEORG SCHMIEDLEITNER ÜBER SEINE NEUE<br />
ROLLE ALS OPERNREGISSEUR, GIUSEPPE VERDIS „MACBETH―<br />
UND DIE AKTUALITÄT IN DIESEM STÜCK<br />
Georg Schmiedleitner ist für das Nürnberger Schauspielpublikum seit vielen Jahren eine<br />
feste Größe. Nun inszeniert der österreichische Regisseur zum ersten Mal im Opernhaus und<br />
bringt mit Giuseppe Verdis „Macbeth― seine zweite Oper auf die Bühne.<br />
Georg, seit einigen Wochen probst Du mit dem Sängerensemble und dem Chor<br />
Giuseppe Verdis „Macbeth“. Ganz spontan: Was ist der größte Unterschied zur Arbeit im<br />
Schauspiel?<br />
Georg Schmiedleitner: Die pauschale Antwort: Es ist kein Unterschied! Ich arbeite mit<br />
den Sängern genauso wie mit Schauspielern, ich vergesse im besten Fall dann sogar, dass<br />
überhaupt gesungen wird. Dafür muss ich den Sängern ein großes Kompliment machen! Die<br />
andere Antwort: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun! (lacht) Das klingt wie ein<br />
Widerspruch, das muss ich erklären. Die Oper funktioniert nach ganz anderen Kriterien. Im<br />
Schauspiel besteht die Vorbereitung darin, dass ich eine Fassung mache, die im extremen Fall<br />
fast ein neues Stück ist. Das wird dann oft als Regietheater gebrandmarkt, aber eigentlich geht<br />
es nicht anders: Das Stück ist Material, der Regisseur wird zu einem Co-Autor.<br />
Vermisst Du das in der Oper?<br />
Georg Schmiedleitner: Ja und nein. Im Moment genieße ich, einmal nicht für alles<br />
verantwortlich zu sein. Oper ist komplex, ein ganz anderer Apparat. Ich habe eine große<br />
Achtung vor der Musik. Manchmal sitze ich ganz erstaunt vor den Sängern, höre einfach zu<br />
und denke: „Was soll ich dem denn noch entgegensetzen?― Alles, was ich im Schauspiel kann,<br />
streichen, straffen, das geht in der Oper nicht. Das ist ein Hemmschuh, aber auch eine<br />
Aufforderung zur Genauigkeit.<br />
Was heißt denn das, der Musik etwas entgegensetzen?<br />
Georg Schmiedleitner: Damit meine ich, dass ich als Regisseur Raum für die Musik<br />
schaffen kann. Ich versuche, die Emotionen der Figuren durch die Musik zu steigern, die Musik<br />
durch das Spiel groß zu machen, zu einer Wirkung zu bringen.<br />
Nun ist Verdi ja ein Komponist, der selbst ein großer Theaterpraktiker war, der bei den<br />
Uraufführungen teilweise selbst Regie geführt hat. Spürst Du das in der Arbeit?<br />
Georg Schmiedleitner: Ja, klar! In der Musik sind schon ganz viele Regieanweisungen,<br />
so dass ich auf der Probe oft denke: Ja, dieselbe Idee hatte ich auch gerade! Ich fühle mich<br />
aber von Verdi gar nicht so eingeengt, vorgeführt oder „hintergangen―. Das ist eine sehr<br />
theaterpraktische Musik. Der Komponist ist für mich wie ein übermächtiger Partner, gegen den<br />
man arbeiten muss.<br />
Ist das nicht auch ein Widerspruch: ein Partner, gegen den man arbeiten muss?<br />
Georg Schmiedleitner: Gar nicht! Es wird uns Regisseuren ja oft unterstellt, wir würden<br />
das Stück unkenntlich machen. Aber es geht mir immer um das Gegenteil, ich will ein Stück<br />
verständlich machen, indem ich tiefere Schichten freilege. Verdi wollte gerade mit „Macbeth―<br />
etwas sehr Spezielles, etwas, das den Sehgewohnheiten seiner Zeitgenossen total<br />
widerspricht. Deswegen hat er ja monatelang mit den Sängern geprobt …<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
Er soll allein das Duett im ersten Akt fast 50-mal mit den Sängern geprobt haben …<br />
Georg Schmiedleitner: Genau! Ich kann diese Besessenheit sehr gut nachvollziehen.<br />
Weißt Du, ich versuche immer, auf den Kern eines Werkes zu stoßen, das Wesentliche<br />
herauszuarbeiten. Durchaus auch mit einem Hang zur Radikalität …<br />
Dir wird ja durchaus eine Lust an drastischen Theatermitteln nachgesagt...<br />
Georg Schmiedleitner: (lacht) Ich sitze gern in Theaterabenden, in denen elementarer<br />
Urgrund bewegt wird. Wenn ein Mensch blutet, ist das unglaublich. Das hat etwas „Vitales―.<br />
Wenn ein Mensch stirbt, dann geht es nicht sauber zu. Das ist dann zwar grauenhaft, aber<br />
auch schaurig-schön. Ich will ja gerade, dass der Zuschauer im Theater in eine extreme<br />
Stimmung kommt. Das gilt besonders für „Macbeth―: Es gibt kaum ein Stück, in dem so viel von<br />
Blut die Rede ist.<br />
Du hast gesagt, es geht darum, den Kern eines Stückes herauszuarbeiten. Was ist für<br />
Dich der Kern von „Macbeth“?<br />
Georg Schmiedleitner: Je länger ich das Stück probe, desto mehr merke ich, dass der<br />
Kern die wahnwitzige Beziehung zwischen Macbeth und der Lady ist. Bei Verdi, stärker noch<br />
als bei Shakespeare, findet da eine Zuspitzung dieser sehr psychotischen Zweierbeziehung<br />
statt, wo unbewusste Ängste, Träume und Phantasien eine ganz große Rolle spielen. Ich hoffe<br />
sehr, dass es für den Zuschauer in der Oper plötzlich so wird, als wäre es ein heutiges<br />
Ehedrama.<br />
Verdi war ein großer Psychologe und er war immer fasziniert von den Existenzen der<br />
Macht, also Menschen, die Macht haben und mit Macht umgehen müssen. Da ist gerade<br />
„Macbeth― ein sehr aktuelles Stück. Woher kommt die Geilheit nach Macht, aber auch die<br />
Angst vor der Macht? Und was passiert mit denen, die an der Macht scheitern? Macbeth und<br />
die Lady sind ja Dilettanten der Macht, sie spielen ein gefährliches Spiel, das sie gar nicht<br />
beherrschen. Die Leute, die nach oben wollen und es eigentlich nicht können, das sind die<br />
Schlimmsten! Daraus entsteht der Terror, die Diktatur.<br />
Verdi hatte ja engen Kontakt zu Politikern, war selbst später Parlamentsabgeordneter. Er<br />
wusste also ziemlich genau, wie sich die Menschen im Zentrum der Macht verhalten.<br />
Georg Schmiedleitner: Na unbedingt! Die Einsamkeit der Macht ist ein ganz großes<br />
Thema, gerade im Scheitern dieses Herrscherpaares. Die Lady wird über ihre Morde<br />
wahnsinnig, und Macbeth erkennt sein eigenes Scheitern ganz genau. Er singt am Schluss,<br />
kurz bevor er stirbt, noch eine Arie, in der er erkennt: Ich bin am Ende!<br />
Diese Arie wird normalerweise nicht gespielt, denn sie stammt aus der Urfassung der<br />
Oper. Wir haben das Stück als Schluss des Werkes in die spätere Fassung übernommen, weil<br />
es ein viel konsequenterer Schluss ist. Noch ein Wort zu der dritten Hauptfigur in „Macbeth“,<br />
den Hexen, die bei Verdi viel präsenter sind als bei Shakespeare.<br />
Georg Schmiedleitner: Ich finde die Oper ja mittlerweile fast besser als das Stück von<br />
Shakespeare. Bei Verdi ist alles viel stringenter und klarer. Und die Hexen? Die Hexen sind<br />
beängstigend und ungustiös, wie man in Österreich sagt, ekelhaft. Sie verbreiten Unruhe, sie<br />
beunruhigen. Und das ist ja auch die Aufgabe von Theater: Theater ist ein Unruhe-Kraftwerk.<br />
Man muss merken, dass da mitten in der Stadt etwas brodelt, dass da Überraschungen lauern,<br />
Ungeheuerlichkeiten.<br />
Was ist das Ungeheuerliche an „Macbeth“? Kann eine Oper, die vor 160 Jahren<br />
geschrieben wurde, eine solche Unruhe erzeugen?<br />
Georg Schmiedleitner: Ich glaube ja. Das Stück wird im Laufe des Abends immer<br />
extremer: extreme Rollen, extreme Figuren, extreme Situationen. Und das Irre ist: Bei all dem<br />
gibt es eine erschreckende Transzendenzlosigkeit, da ist keine Utopie, nichts. Ein<br />
fürchterliches Weltenloch, vor dem alle Angst haben. Damit man nicht hineinfällt, muss man<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
alles dransetzen, um sich am Rand zu halten. Wir haben alle Angst vor diesem Loch, weil die<br />
Utopien aufhören. Dieses Erschrecken vor dem Nichts soll den Zuschauer auch aufrütteln. Ein<br />
Happy End braucht man da nicht.<br />
Das Gespräch führte Kai Weßler<br />
(aus : „Impuls―, monatliches Theatermagazin, Ausgabe März 2011)<br />
GIUSEPPE VERDI – BRIEFE<br />
(aus: Giuseppe Verdi: Briefe. Berlin 1983)<br />
An Alessandro Lanari<br />
Mailand, 17. Mai 1846<br />
Nun, da wir uns völlig einig sind über das phantastische Genre der Oper, die ich für Florenz<br />
schreiben soll, mußt Du dafür sorgen, mich so rasch Du kannst die Ausführenden wissen zu<br />
lassen; denn ich habe zwei schöne Stoffe 1 in Aussicht, beide phantastisch und wunderschön, und<br />
ich werde denjenigen auswählen, der sich am besten für die Ausführenden eignet. Sei unbesorgt,<br />
an Zeit wird es nicht fehlen: ist erst einmal der Stoff gefunden, dann findet sich alles übrige viel<br />
leichter. Was die Aufführung zur Fastenzeit betrifft, so hätte ich, offen gestanden, mancherlei, was<br />
mir im Wege stehen würde, aber wir werden versuchen, es zu überwinden, und das um so mehr,<br />
wenn Du mir dabei zur Hand gehst. […]<br />
An Francesco Maria Piave<br />
Mailand, 4. September 1846<br />
Hier hast Du den Entwurf zu Macbet. Diese Tragödie ist eine der großartigsten menschlichen<br />
Schöpfungen! ... Wenn wir nichts Großes machen können, versuchen wir wenigstens, etwas<br />
Außergewöhnliches zu machen. Der Entwurf ist klar: Ohne Konvention, ohne besondere Schwierigkeiten<br />
und kurz. Ich lege Dir die Verse ans Herz, sie sollen auch kurz sein; je kürzer sie sind, um<br />
so mehr Wirkung wirst Du erzielen. Nur der erste Akt ist ein bißchen lang geworden, aber es liegt<br />
an uns, die Nummern kurz zu halten. Denk stets daran, daß bei den Versen kein überflüssiges<br />
Wort sein darf: alles muß etwas aussagen, und Du mußt Dich einer erhabenen Sprache<br />
befleißigen mit Ausnahme der Hexenchöre. Diese müssen vulgär, aber phantastisch und originell<br />
sein.<br />
Wenn Du die ganze Einleitung fertig hast, dann schick sie mir bitte. Sie setzt sich aus vier kleinen<br />
Szenen zusammen und kann aus wenigen Versen bestehen. Hast Du die Einleitung erst einmal<br />
fertig, dann lasse ich Dir die Zeit, die Du möchtest, denn den allgemeinen Charakter und die<br />
Grundzüge, die kenne ich, so als wäre das Libretto schon fertig. Oh, ich bitte Dich, vernachlässige<br />
mir diesen Macbet nicht: ich flehe Dich auf den Knien an, kümmere Dich um ihn, wenn nicht<br />
anders, mir und meiner Gesundheit zuliebe, die im Augenblick ausgezeichnet ist, die jedoch sofort<br />
schlecht wird, wenn Du mich aufbringst ... Kürze und Erhabenheit! …<br />
1 „Macbeth― und „I masnadieri―<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
An Alessandro Lanari<br />
Mailand, 15. Oktober 1846<br />
Hier hast Du den Entwurf zu Macbet, und Du wirst begreifen, worum es geht. Du siehst, ich<br />
brauche einen erstklassigen Chor; insbesondere der Frauenchor muß sehr gut sein, denn es wird<br />
zwei Chöre der Hexen von der größten Bedeutung geben. Achte auch auf die Maschinerie.<br />
Kurzum, die Dinge, die bei dieser Oper besonders zu berücksichtigen sind: Chor und Maschinerie.<br />
Ich bin überzeugt, daß Du alles übrige mit dem Aufwand, der Dich so sehr auszeichnet,<br />
arrangieren und auf Einsparungen achten wirst. Berücksichtige auch, daß ich Ballerinen brauche,<br />
um gegen Ende des dritten Aktes einen kleinen graziösen Tanz aufzuführen. Scheue keine Kosten<br />
(ich sag's Dir noch einmal), Du wirst, so hoffe ich, dafür entschädigt werden, nebenbei, Du wirst<br />
tausendmal am Tag von mir gesegnet werden, und merk Dir, daß mein Segen fast ebenso viel<br />
wert ist wie der eines Papstes. Scherz beiseite, aber ich bitte Dich ehrlich, es so einzurichten, daß<br />
alles gut geht und daß ich nicht um die anderen Dinge zu zittern brauche. Wenn Du übrigens<br />
möchtest, daß ich Dir Bühnenbildskizzen und die Figurinen für die Kostüme anfertigen lasse, dann<br />
werde ich sie anfertigen lassen, aber mit Muße, denn jetzt muß ich weitermachen mit Schreiben<br />
und habe keine Zeit zu verlieren.<br />
An Felice Varesi<br />
Mailand, 7. Januar 1847<br />
Caro Varesi<br />
Ich bin ein wenig saumselig gewesen, Dir Musik 2 zu schicken, weil ich ein wenig Ruhe brauchte.<br />
Hier nun ein Duettino, ein großes Duett und ein Finale. Ich werde nie aufhören, Dir zu empfehlen,<br />
die Situation und die Worte gut zu studieren: die Musik kommt von selbst.<br />
Mit einem Wort, mir ist es lieber, daß Du dem Dichter mehr dienst als deinem Komponisten. Aus<br />
dem ersten Duettino kannst Du viel Gewinn ziehen (mehr, als wenn es eine Kavatine wäre).<br />
Halte Dir die Situation gut vor Augen, und zwar wenn er auf die Hexen trifft, die ihm den Thron<br />
prophezeien. Bei dieser Ankündigung bist Du verblüfft und bestürzt; aber gleichzeitig regt sich in<br />
Dir der Ehrgeiz, auf den Thron zu kommen. Deshalb wirst Du den Anfang des Duettino sottovoce<br />
sagen, und achte darauf, den Versen »Ma perché sento rizzarsi il crine?« 3 volle Bedeutung<br />
beizumessen. Gib acht auf die in der Musik angegebenen Zeichen, auf die Akzente, auf die pp und<br />
f. Denk daran, daß Du auch einen weiteren Effekt bei den Noten »ah ah perchè...« 4 herausholen<br />
mußt.<br />
Im großen Duett müssen die ersten Verse des Rezitativs, wenn er dem Diener den Befehl gibt,<br />
ohne Nachdruck gesprochen werden. Doch nachdem er allein ist, gerät er nach und nach in<br />
Erregung und wähnt, einen Dolch in den Händen zu sehen, der ihm den Weg weist, Duncan zu<br />
töten. Das ist eine herrliche Stelle, dramatisch und poetisch, und Du mußt großen Wert auf sie<br />
legen!<br />
Achte darauf, daß es Nacht ist; alle schlafen. Dieses ganze Duett muß sottovoce gesprochen<br />
werden, aber mit dumpfer, Schrecken einflößender Stimme. Nur Macheth wird (gleichsam in einem<br />
Moment der Erregung) einige Sätze laut und mit gehobener Stimme sprechen. Aber all das wirst<br />
Du in der Partie erklärt finden. Damit Du meine Gedankengänge richtig verstehst, sage ich Dir<br />
auch, daß die Instrumentation in diesem ganzen Rezitativ und Duett aus Streichinstrumenten mit<br />
Dämpfern, aus zwei Fagotten, aus zwei Hörnern und aus einer Pauke besteht. Wie Du siehst, wird<br />
das Orchester außergewöhnlich leise spielen, und ihr müßt auch mit Dämpfern singen. Ich lege Dir<br />
ans Herz, folgende poetische Gedanken, die außergewöhnlich schön sind, besonders<br />
2 zu „Macbeth―<br />
3 Wieso spüre ich meine Haare sich sträuben?<br />
4 ach, ach, warum<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
hervorzuheben: »Ah! questa mano!... Non potrebbe l'Oceano queste mani a me lavar!« 5 Und dann<br />
den anderen: »Vendetta tuonarmi come angeli d'ira/Udrò di Duncano le sante virtù!« 6 Der erste 6/8<br />
Takt des Duetts ist eher presto. Der zweite 3/8 ist andantino mosso. Der letzte Takt ist prestissimo,<br />
sottovoce, und zum Schluß darf man das Wort Lady, das er fast außer sich, betroffen ausspricht,<br />
kaum hören. Das erste Finale ist an sich klar. Achte nur darauf, daß nach den ersten Einsätzen<br />
eine Stelle nur für Solo-Stimmen ist; deshalb müssen sowohl Du wie die Barbieri ganz sicher sein,<br />
um die anderen zu halten. Entschuldige das Palaver, bald werde ich Dir den Rest schicken.<br />
Herzlichst Dein G. Verdi<br />
An Alessandro Lanari<br />
Mailand, 21. Januar 1847<br />
Caro Lanari<br />
In der Tat, ich habe Dir nicht geschrieben, weil ich außerordentlich beschäftigt bin. Ohne Frage<br />
werde ich schnellstens an Romani schreiben, ihn vielmehr darum bitten, daß er sich für die mise<br />
en scene verwendet; da ich aber keine sauren Mienen beim Dichter sehen will, warte ich noch ein<br />
paar Tage, ehe ich ihm schreibe. Ich muß Dir auch noch mitteilen, daß mir Sanquirico, als ich mit<br />
ihm vor einigen Tagen über den Macbet gesprochen und ihm meinen Wunsch geäußert habe, den<br />
dritten Akt mit den Erscheinungen gut auszustatten, so mancherlei vorschlug, doch das schönste<br />
ist ohne Zweifel die Phantasmagorie. Er versicherte mir, sie würde unbeschreiblich schön und<br />
überaus effektvoll werden, und er hat sich erboten, selbst mit dem Beleuchter Duroni zu sprechen,<br />
damit er ihm die Maschinerie vorbereitet.<br />
Du weißt, was die Phantasmagorie ist, und es ist müßig, sie Dir zu beschreiben. Bei Gott, wenn die<br />
Sache so gut gelingt, wie sie mir Sanquirico beschrieben hat, dann wird es eine verblüffende<br />
Sache werden und eine Menge Menschen nur ihretwegen herbeieilen lassen. Wegen der Kosten<br />
versichert er mir, daß sie nur wenig höher sein werden als bei einer anderen Maschinerie . . . Was<br />
sagst Du dazu?<br />
Im Laufe der Woche wirst Du den ganzen dritten Akt, den Anfang des vierten und das fertige<br />
Libretto bekommen und ich hoffe auch die Figurinen. Ich wünsche, daß die Figurinen gut<br />
ausgeführt werden; Du kannst gewiß sein, daß sie gut gemacht sein werden, denn ich habe<br />
angefragt, um einige aus London zu bekommen, und ich habe mich wegen der Epoche und der<br />
Kostüme von erstklassigen Experten beraten lassen; im übrigen werden sie von Hayez und den<br />
anderen von der Kommission geprüft werden etc. etc.<br />
Wirst sehen, wenn Du die Musik erhältst, daß zwei Chöre von größter Wichtigkeit dabei sind.<br />
Spare nicht an der Masse der Choristen, und Du wirst zufrieden sein. Achte darauf, daß die Hexen<br />
immer in drei Gruppen aufgeteilt sind, und es wäre eine ausgezeichnete Sache, wenn sie 6.6.6<br />
wären, insgesamt 18 etc.... Ich lege Dir den Tenor ans Herz, der den Macduff spielen soll; und<br />
dann müssen alle zweiten Partien gut sein, denn die Ensemblenummern erfordern gute Darsteller.<br />
An diesen Ensemblenummern ist mir sehr gelegen.<br />
Ich kann Dir nicht genau sagen, wann ich in Florenz sein werde, denn ich will die ganze Oper hier<br />
in Ruhe beenden. Sei gewiß, daß ich rechtzeitig dasein werde. Verteile die Partien der Chöre und<br />
Sänger der Reihe nach, damit ich, wenn ich eintreffe, an die zwei oder drei Orchesterproben<br />
gehen kann, denn es werden viele Orchester- und Bühnenproben nötig sein.<br />
Es tut mir leid, daß der Darsteller, der die Rolle des Barico spielen soll, den Geist nicht machen<br />
will! Und warum nicht? ... Die Sänger müssen zum Singen und zum Spielen verpflichtet werden;<br />
überdies ist es Zeit, diese Bräuche abzuschaffen. Es würde etwas Ungeheuerliches sein, wenn ein<br />
5 Ach! diese Hand!... Auch der Ozean könnte mir diese Hände nicht waschen!<br />
6 Rache dröhnt es wie von Zornesengeln/ Ich werde die heiligen Tugenden Duncans hören!<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
anderer den Geist spielte, denn Barico muß genau seine Gestalt beibehalten, auch wenn er ein<br />
Geist ist …<br />
An Salvatore Cammarano<br />
Paris, 23. November 1848<br />
Caro Cammarano,<br />
[…] Ich weiß, daß Ihr im Begriff seid, den Macbeth einzustudieren, und da dies eine Oper ist, die<br />
mich mehr als alle anderen interessiert, so gestattet mir, daß ich Euch einige Worte dazu sage.<br />
Man hat der Tadolini die Partie der Lady Macbeth anvertraut, und ich bin überrascht, daß sie<br />
zugestimmt hat, diese Partie zu singen. Ihr wißt, wie sehr ich die Tadolini schätze, und sie selbst<br />
weiß es auch; doch im allgemeinen Interesse halte ich es für notwendig, Euch einige<br />
Bemerkungen zu machen. Die Tadolini hat eine viel zu große Begabung, um diese Partie zu<br />
singen! Das wird Euch vielleicht absurd erscheinen!!! . . . Die Tadolini hat eine schöne und gute<br />
Figur, und ich möchte Lady Macbeth häßlich und böse. Die Tadolini singt vollkommen; ich möchte<br />
dagegen, daß die Lady nicht gut singt. Die Tadolini hat eine phantastische Stimme, klar, rein,<br />
kräftig; und ich möchte für die Lady eine rauhe, erstickte, dumpfe Stimme. Die Stimme der Tadolini<br />
hat etwas Engelhaftes; ich möchte, daß die Stimme der Lady etwas Teuflisches hat. Unterbreitet<br />
diese Überlegungen dem Unternehmen, dem M.o Mercadante, denn er wird mehr als die anderen<br />
meinen Gedanken beipflichten, der Tadolini selbst; dann tut in Eurer Klugheit, was Ihr für das<br />
Beste erachtet.<br />
Macht darauf aufmerksam, daß die Oper zwei Hauptnummern hat: Das Duett zwischen der Lady<br />
und dem Ehemann und die Schlafwandelszene. Wenn sich diese Nummern verlieren, ist die Oper<br />
am Boden; und diese Nummern dürfen auf gar keinen Fall gesungen werden.<br />
Man muß sie spielen und deklamieren<br />
mit einer ganz dumpfen und verschleierten Stimme;<br />
ohne das kann keine Wirkung erzielt werden.<br />
Das Orchester mit Dämpfern.<br />
Die Szene ungewöhnlich finster. — Die Erscheinung der Könige im dritten Akt (ich habe es in<br />
London gesehen) muß hinter einem Loch auf der Bühne mit einer nicht dichten, aschfarbenen<br />
Gaze davor stattfinden. Die Könige dürfen keine Puppen sein, sondern acht Männer aus Fleisch<br />
und Blut; die Ebene, über die sie schreiten müssen, soll wie ein kleines Gebirge sein, das man sie<br />
ganz deutlich hinauf- und hinabsteigen sieht. Die Szene muß völlig dunkel sein, vor allem, wenn<br />
der Kessel verschwindet, und nur dort hell sein, wo die Könige vorüberschreiten. Das Orchester,<br />
das sich unter der Bühne befindet, muß (für das große Theater von S. Carlo) verstärkt werden,<br />
aber gebt Obacht, daß weder Trompeten noch Posaunen dabei sein dürfen. Der Klang muß wie<br />
aus der Ferne und lautlos scheinen und muß mithin aus Baßklarinetten, Fagotten und<br />
Kontrafagotten bestehen, sonst nichts. — Addio, addio<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
PRESSESTIMMEN<br />
Hexen sind von Natur aus nicht besonders attraktiv, und doch faszinieren sie die<br />
Menschen, reizen sie, verdrehen ihnen den Kopf, be- und verzaubern sie, erfüllen Wünsche<br />
und bereiten Alpträume. All das ist heutzutage im Theater nicht leicht darzustellen [...] Insofern<br />
ist dem Regisseur Georg Schmiedleitner gestern Abend im Nürnberger <strong>Staatstheater</strong> eine<br />
schwierige Gratwanderung gelungen. Seine Hexen in Verdis "Macbeth" waren nicht nur sehr<br />
verlockend, nämlich junge, hoch attraktive Damen, sie verbreiteten auch den nötigen Ekel. [...]<br />
Im "Macbeth" geht es um die Verführung zum Bösen, um die Versuchungen der Macht,<br />
und das zeigte Georg Schmiedleitner als drastischen Verfallsprozess. Blutüberströmt stehen<br />
Macbeth und seine Lady am Ende im Unrat - hier wird nichts weich gespült und beschönigt,<br />
hier ist das Morden eine widerliche Schlächterei. Es sind starke, manchmal schier<br />
überwältigende Bilder, die dem Regisseur und seinem Bühnenbildner Harald Thor gelingen.<br />
Dafür brauchen sie nichts als die schwarze Leere und einen eiskalten, silberigen Kasten,<br />
dessen Wände effektvoll auf- und zuklappen, dessen Decke herab fährt und dabei immer<br />
neue, angsteinflößende Räume schafft. Sparsam arbeitet das Team mit Videoprojektionen, die<br />
anderswo oft ärgerlich platt und aufdringlich geraten, hier aber sehr eindringlich wirken, weil<br />
sie Dinge nur andeuten statt oberflächlich zu illustrieren. [...]<br />
Es ist erstaunlich und bewundernswert, wie engagiert die Sänger dieses anspruchsvolle<br />
Konzept mittragen. Mikolaj Zalasinski als Macbeth und Lisa Houben als seine Lady spielen<br />
eminent glaubwürdig, und weil sie Dirigent Guido Johannes Rumstadt kraftvoll und gleichzeitig<br />
behutsam führt, singen sie mit einer Ausdrucksstärke, die an deutschen Opernhäusern nicht<br />
alltäglich ist. Man merkt jede Minute, dass diese Sänger ihre Rollen leben und nicht vor sich<br />
hertragen.<br />
Peter Jungblut, B5 aktuell - Kultur 06.03.2011<br />
Morde werden als das schmutzige, rüde Geschäft gezeigt, das sie sind. [...] Dass die<br />
Oper nach Shakespeare Gewalt, geistige Verwirrung, Mord und Tod bedeutet, das kann man<br />
vor allem hören: Wie es aus dem Orchestergraben brodelt und zischt, peitscht und knallt, aber<br />
auch wehmütig klagt und sehnsüchtig sing, das ist das eigentliche Ereignis des Abends. Guido<br />
Johannes Rumstadt gelingt die Quadratur des Kreises, den jungen Verdi mit allen Ecken und<br />
Kanten nach forschem Draufgänger klingen zu lassen und dabei doch nie das Klangbild zu<br />
verhärten, Akkorde allzu scharf herauszumeißeln.<br />
Neben dem Kollektiv im Graben überzeugt auch das auf der Bühne in hohem Maße.<br />
Der Chor erweist sich als flexibler Klangkörper mit großer klanglicher Präsenz und Prägnanz.<br />
Die Titelpartie stattet der Pole Mikolaj Zalasinski mit Selbstbewsstsein und Furor aus, nicht<br />
ganz das, was den zugleich wankelmütigen und brutalen Macbeth ausmacht. Vielleicht wäre<br />
da sein bulgarischer Partner Nicolai Karnolsky die bessere Besetzung gewesen. Er singt den<br />
Banquo mit den Schattierungen eines schönen, warmen, farbenreichen Verdi-Baritons. David<br />
Yim vermag als Macduff in seiner einzigen Arie Strahlkraft, Schmelz und Intelligenz des<br />
Singens zu verbinden.<br />
Klaus Kalchschmid, Süddeutsche Zeitung - 07.03.2011<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
Gemütlich geht anders. Ob im windig-verregneten Schottland des 11. Jahrhunderts oder<br />
auf der freigeräumten Opernhaus-Bühne: Shakespeare richtet in „Macbeth" den Blick auf die<br />
Radikalität, auf die extremistische Seite menschlicher Existenz. Es wird gelitten, es wird<br />
unterdrückt, es wird gelogen, es wird getrickst, es wird gestorben. Insofern war es eine sinnige<br />
Entscheidung, Georg Schmiedleitner für dieses Stück zu gewinnen, in dem sich die<br />
Handelnden ständig in Ausnahmesituationen befinden. [...]<br />
Der Österreicher versteht sich darauf, Hässliches, Zerstörerisches, aus der Form<br />
Geratenes in markante Bilder umzusetzen. Und das gelingt ihm auch in Verdis Oper, die<br />
Shakespeares düstere Vorlage durch eine fahle, sturmgepeitschte, oft verknappte<br />
Klangsprache adaptiert. Dem entspricht, dass Ausstatter Harald Thor es bei einem<br />
aufklappbaren Blechkasten belässt, der am Ende völlig mit Blut besudelt ist. [...]<br />
Die niederländisch-amerikanische Sängerin Lisa Houben verkörpert genau diesen<br />
jugendlichen Typ, der der Regie vorschwebte. Sie geht bildlich ständig auf Rasierklingen und<br />
ist die eigentliche Triebfeder für alle Bluttaten. Mit List, mit Grazie, mit Erotik ködert sie ihren<br />
Gatten. [...] Einfach famos und von ganz beeindruckendem Format dagegen agieren Mikolaj<br />
Zalasinski in der Titelpartie und mit nachtschwarzem, aber wendigem Bass Nicolai Karnolsky<br />
als Banquo. Der ehemalige Macbeth-Vertraute stiefelt nach seiner Meuchelung als höchst<br />
lebendiger Geist durch die Tag- und Nacht-Träume des schottischen Edelmanns.<br />
Mikolaj Zalasinski verfügt nicht nur über ungeheure baritonale Reserven, sondern er versteht<br />
es auch, das Skrupulöse, das Sich-Selbst-Nicht-Gewisse des Macbeth zu zeichnen. In den<br />
besten Momenten ist der Pole einem Renato Bruson oder Leo Nucci, den wichtigsten Macbeth-<br />
Interptreten der 80er und 90er Jahre, an selbstquälerischer Zerrissenheit sehr nah. Seine<br />
Dämonie besteht darin, dass er das ethisch Verwerfliche seines Tuns zwar erkennt, aber dies<br />
seiner Karrieregeilheit immer unterordnet. Stets muss er für weitere Morde erneut motiviert werden<br />
- sei es durch die Lady oder die Weissagung der Hexen.<br />
Letztere beginnen in schwarzer Abendrobe und enden in Underwear: Keine waldschratigen<br />
Höhlenbewohner, sondern die Seherinnen kommen aus der Mitte der Gesellschaft und feiern auch<br />
genau dort ihre Orgien. Ein Riesenlob an den von Edgar Hykel geführten Chor, den die eminenten<br />
Herausforderungen dieser Spielzeit richtig anzuspornen scheinen. „Moses", „Tannhäuser",<br />
„Nabucco" sind gewichtige Chor-Opern und nun noch ein „Macbeth" [...]<br />
David Yim singt als Macduff eine ergreifende "O figli miei"-Arie, Tobias Link (Macbeths<br />
Diener) setzt ebenso wie Isabel Blechschmidt (Kammerzofe) schöne Akzente.<br />
Die Archaik der Szene komplementiert das unaufgeregte, aber immer wieder attackierende<br />
Spannung einfordernde Dirigat von Guido Johannes Rumstadt. Die Philharmoniker beherrschen<br />
den springenden Banda-Tonfall genauso wie Kantilenenschmelz und magisches Changieren.<br />
Jens Voskamp, Nürnberger Nachrichten - 07.03.2011<br />
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<strong>Staatstheater</strong> Nürnberg – Materialmappe „Macbeth―<br />
Natürlich gab es heftige Buhrufe gegen das Regieteam. Aber das ist kein Wunder bei einer<br />
Oper, in der soviel Blut fließt und in der skrupellose Machtmenschen vor rein gar nichts<br />
zurückschrecken. Der österreichische Regisseur Georg Schmiedleitner, der das<br />
Schauspielpublikum am <strong>Staatstheater</strong> Nürnberg schon mit etlichen radikalen Klassikerversionen<br />
aus seiner bildungsbürgerlichen Ruhe brachte, hat jetzt im Opernhaus zugeschlagen - mit<br />
Giuseppe Verdis "Macbeth". [...]<br />
Tabubrüche sind an der Tagesordnung, die Neuinszenierung zeigt sie gewissermaßen<br />
ungeschminkt, indem sie viel Farbe aufträgt - von Blut, Auswürfen, Ausscheidungen, Schleim,<br />
Schmutz und Schlamm. Das ist nicht neu, aber aufregend. [...]<br />
Der Abend beginnt mit ein paar kleinen Jungs, die Fußball spielen. Die Hexen entern vom<br />
Zuschauerraum aus die dunkle, leergefegte Bühne, etwa drei Dutzend Frauen im kleinen<br />
Schwarzen, deren Gefährlichkeit spätestens offenbar wird, wenn sie unisono ihre Taschen<br />
schwingen. Die Botschaft ist klar: Dieser "Macbeth" spielt hier und heute, er geht uns etwas an -<br />
selbst wenn wir es so genau gar nicht wissen wollten.[...]<br />
Das Schurkenpaar könnte einem überall begegnen, wo Politik gemacht wird: die Lady erst<br />
in einem fast kindlich gestylten weißen Kleid, Macbeth mit weißem Hemd, schwarzer Lederhose<br />
und Stiefeln, die er halb offen trägt. Nachdem sie sich an die Spitze hochgemordet haben, tritt das<br />
Königspaar und die es tragende Gesellschaft glamourös in Gold und Weiß auf. Fürs Ende bleibt<br />
nur noch die Unterwäsche (Kostüme: Alfred Mayerhofer). Wer träumt schon von Opernhelden bzw.<br />
-antihelden in feingerippten Unterhosen? Wahrscheinlich niemand. Aber in dem Fall stimmt das<br />
Bild, denn der Regisseur legt, wie es das Stück vorgibt, Schicht für Schicht den Blick frei auf das,<br />
was in diesen zwei Menschen vorgeht, die aus Machtgier morden und morden lassen. [...]<br />
Lady Macbeth ist darstellerisch eine Wucht und hat auch stimmlich ein paar große<br />
Momente, während Mikolaj Zalasinski in der Titelrolle von Anfang bis Ende in jeder Hinsicht<br />
überzeugt. Gerade weil sein Macbeth zaudert und zweifelt, wirft einen seine schier nicht enden<br />
wollende vokale Ausdruckskraft um. Die, in die Pariser Fassung von 1865 übernommene,<br />
Schlussarie aus Verdis Urversion wird hier zum Höhepunkt, weil die Musik und der Gesang sich<br />
über alle Inhalte hinwegzuheben scheinen.<br />
Der Abend entwickelt seine großartige Sogwirkung gerade deshalb, weil Guido Johannes<br />
Rumstadt im Orchestergraben seinen eigenen interpretatorischen Weg geht. Anders als die<br />
blutschwere Inszenierung versucht es der Dirigent mit italienischer Leichtigkeit, lässt die Musik<br />
verführerisch schweben, trägt die Solisten und die von Edgar Hykel einstudierten Chorsänger<br />
gleichsam auf Händen und ermöglicht so immer wieder musikalisch kostbare Momente, die unter<br />
die Haut gehen.<br />
Monika Beer, Der Fränkische Tag - 07.03.2011<br />
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