Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)
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31<br />
28.7.2014|Deutschland €5,00<br />
3 1<br />
4 1 98065 805008<br />
Spionage und Sabotage<br />
So wehren sich die Konzerne<br />
Boomtown Frankfurt<br />
Wie die EZB eine Stadt verändert<br />
Krisenherde Ukraine, Nahost, Nordafrika<br />
So trifftt es uns<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
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Einblick<br />
Die Konflikte am Rande Europas lassen sich nicht<br />
länger ignorieren. Sie bedrohen Frieden und Wohlstand<br />
auch in unserem Land. Von Franz W. Rother<br />
Das Ende der Idylle<br />
FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
In Berlin werden antisemitische Parolen<br />
skandiert und Touristen aus Israel traktiert<br />
– von Palästinensern, die in<br />
Deutschland leben und zusammen mit<br />
deutschen Linken und Rechtsextremen gegen<br />
Israels Vorgehen im Gaza-Streifen demonstrieren.<br />
Deutsche kämpfen im Irak in<br />
der Terror-Gruppe Isis, unsere Truppen<br />
stehen in Afghanistan und in der Türkei an<br />
der Grenze zu Syrien. Und unter den 298<br />
Menschen, die beim Abschuss von Flug<br />
MH17 starben, waren auch Deutsche: Die<br />
Kriege im Nahen Osten, in der Ukraine und<br />
am Hindukusch haben längst auch unser<br />
Land erreicht, ja ziehen durch unsere Gesellschaft<br />
eine Trennlinie – hier die Putin-<br />
Versteher, dort die Russland-Kritiker; hier<br />
die Freunde Israels, dort die Freunde Palästinas,<br />
hier die Friedensaktivisten, dort die<br />
Hardliner und Realisten. Über 400 (!) bewaffnete<br />
Konflikte gibt es derzeit in der<br />
Welt – und Europa erscheint uns immer<br />
noch wie eine Insel des Friedens, Deutschland<br />
ein Idyll. Unwillkürlich kommt einem<br />
die berühmte Sequenz aus Goethes Faust<br />
in den Sinn, in der der Dichterfürst in „Vor<br />
dem Tor“ den ignoranten Kleinbürger beschrieb:<br />
„Nichts bessers weiß ich mir an<br />
Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von<br />
Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten,<br />
weit, in der Türkei die Völker aufeinander<br />
schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein<br />
Gläschen aus und sieht den Fluss hinab die<br />
bunten Schiffe gleiten; dann kehrt man<br />
abends froh nach Haus, und segnet Fried’<br />
und Friedenszeiten.“<br />
Die Deutschen haben danach lange gehandelt.<br />
Wochenlang fokussierten wir uns<br />
auf die Schlachten im Stadion, die Kriege<br />
ließen wir allenfalls in der Halbzeitpause an<br />
uns heran. Und jenseits der Fußballweltmeisterschaft<br />
erhitzten sich die Diskussionen<br />
an deutschen Stammtischen und in<br />
TV-Talkrunden noch eher über die Autobahnmaut<br />
und den NSA-Abhörskandal als<br />
über das anhaltende Blutvergießen in Syrien,<br />
im Irak und Libyen.<br />
Die Kämpfe um Donezk und Damaskus,<br />
die Angriffe auf Tel Aviv und Tal Afar, die<br />
Schießereien in Ghardaia und Tripolis mögen<br />
Tausende Kilometer weit entfernt sein.<br />
Doch der Schlachtenlärm kommt immer<br />
näher, die Auswirkungen der Konflikte bekommen<br />
wir (in der harmlosesten Form)<br />
schon zu spüren. Sei es, dass Flugverbindungen<br />
gestrichen werden, sei es, dass in<br />
unseren Städten Notunterkünfte hochgezogen<br />
werden für Menschen aus Syrien und<br />
Somalia, dem Irak und Algerien, die vor<br />
Krieg und Zerstörung, vor Armut und Perspektivlosigkeit<br />
unter Lebensgefahr ins reiche<br />
und ruhige Europa geflüchtet sind.<br />
Es zeigt sich immer deutlicher, schreibt<br />
unser Auslandskorrespondent Florian Willershausen,<br />
„dass man es sich nicht länger<br />
als friedfertige Handelsmacht in einer multipolaren<br />
Welt bequem machen kann, sondern<br />
Verantwortung für die Krisenlösung<br />
übernehmen muss“ (ab Seite 18). Das gilt<br />
für den Nahen Osten ebenso wie für den<br />
Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.<br />
Wegducken gilt nicht mehr, wegschauen<br />
ist nicht mehr möglich.<br />
DEUTSCHLAND IM DILEMMA<br />
Wirtschaft und Politik in Deutschland stecken<br />
allerdings in einem Dilemma. Einerseits<br />
möchte man vermitteln, würde hier<br />
und da auch einmal gerne Kante zeigen.<br />
Andererseits fürchtet man Gegenschläge<br />
Russlands, eine Drosselung der Gaslieferungen<br />
oder eine Verstaatlichung von Werken<br />
deutscher Investoren. Europäische<br />
Werte, war der Eindruck, gelten nichts<br />
mehr, wenn es ums Geldverdienen geht.<br />
Die Sanktionen gegen Russland blieben bislang<br />
auch zahnlos, weil eine gemeinsame<br />
EU-Außenpolitik derzeit nicht zustande<br />
kommt: Zunächst muss erst einmal geklärt<br />
werden, wie viele Frauen der neuen EU-<br />
Kommission angehören.<br />
Helfen könnte vor dem Hintergrund ein<br />
stärkeres Engagement der deutschen Wirtschaft,<br />
eine Intensivierung etwa der Gespräche<br />
mit den Oligarchen in Russland wie in<br />
der Ukraine – und eine eindeutige Bestimmung<br />
der eigenen Position. Immerhin will<br />
der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft<br />
nun harte Sanktionen gegen Russland unterstützen,<br />
auch wenn es schmerzhaft werde.<br />
Das ist ein gutes Signal. Es fragt sich nur,<br />
wie lange der Mut den Zweifel schlägt. n<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 5<br />
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Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
8 Seitenblick Der langsame Tod der Zigarette<br />
10 EU: Juncker will Finanzmarkt-Kommissar<br />
11 MH17: Eigner aus Amsterdam | Fracking:<br />
Bundesregierung warnt die Niederlande<br />
12 Interview: Merck-Chef Karl-Ludwig Kley<br />
baut das Geschäft in China aus<br />
13 Cityjet: Neue Flotte für Wöhrl | Custodia<br />
Holding: Milliardär August von Finck verschreckt<br />
Anleger | Pharmabranche: Flaute in<br />
Schwellenländern<br />
14 Chefsessel | Start-up Payfriendz<br />
16 Chefbüro Martin Gauss, Vorstandsvorsitzender<br />
von Air Baltic<br />
Titel So trifft es uns<br />
Die Deutschen und ihre europäischen<br />
Nachbarn leben in Frieden<br />
und Wohlstand. Doch im Osten<br />
und Süden der Idylle herrscht Krieg<br />
und verschärfen sich die Krisen.<br />
Kann das auf Dauer gut gehen?<br />
Seite 18<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
18 Krisenherde Bedrohen die Kriege und Konflikte<br />
im Osten und Süden Europas unseren<br />
Wohlstand? | Europa braucht einen Neustart<br />
in der Außenpolitik<br />
26 Unternehmen Die Embargopolitik gegen<br />
Russland trifft deutsche Unternehmen<br />
29 Frank-Walter Steinmeier Der Bundesaußenminister<br />
sucht seine Rolle<br />
31 Geld Wie Anleger in der Krise auf Sicherheit<br />
gehen können<br />
33 Global Briefing | Berlin intern<br />
Der Volkswirt<br />
34 Kommentar | New Economics<br />
35 Deutschland-Konjunktur<br />
36 Weltwirtschaft Warum Argentiniens<br />
Abstieg nicht zu stoppen ist<br />
38 Denkfabrik ZEW-Ökonom Friedrich<br />
Heinemann über die Rolle von Moral und<br />
Fairness im menschlichen Handeln<br />
Unternehmen&Märkte<br />
40 Cyberabwehr Sicherheitschefs deutscher<br />
Unternehmen kämpfen gegen Spionageund<br />
Sabotageattacken aus dem Internet<br />
46 Aldi Das Management-Vermächtnis des<br />
verstorbenen Discountkönigs Karl Albrecht:<br />
Wie hält man einen Handelskonzern über<br />
Jahrzehnte auf Erfolgskurs?<br />
50 Interview: Walter Schwerdtfeger<br />
Der oberste Arzneiprüfer fordert schärfere<br />
Kontrollen bei Medizinprodukten<br />
52 Bilfinger Roland Koch steckt in seiner<br />
ersten schweren Krise als Vorstandschef<br />
54 Serie Gründer (III) So erobern deutsche<br />
Start-ups das Silicon Valley<br />
Technik&Wissen<br />
58 Verkehr Viele Autohersteller suchen noch<br />
den Motor der Zukunft. Südkoreas Hyundai-<br />
Konzern glaubt, ihn schon zu haben<br />
62 Umwelt Der grüne Pionier Thierry Jacquet<br />
reinigt Industrieabwässer mit Pflanzenkraft<br />
64 Smartphones Neue Handys erlauben jetzt<br />
Fotos mit Tiefenschärfeeffekt<br />
67 Valley Talk<br />
Wall Street am Main<br />
Die Europäische Zentralbank poliert die Finanzmetropole:<br />
Wie ticken Frankfurts Bewohner – zwischen Geldelite,<br />
Internationalität und Apfelweintradition? Seite 74<br />
Wilder Westen<br />
US-Internet-Riesen wie<br />
Facebook und Google haben im<br />
Silicon Valley ihre Keimzelle:<br />
Jetzt erobern deutsche Gründer<br />
wie Tobias Bauckhage, Chef der<br />
Filmempfehlungsseite Moviepilot,<br />
mit hoch spezialisierten<br />
Diensten und Software für<br />
Unternehmen das Tal.<br />
Seite 54<br />
TITELBILD: DMITRI BROIDO<br />
6 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 31, 28.7.2014<br />
FOTOS: ALIMDI.NET/WESTEND61/MOXTER, GABOR EKECS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BERNHARD HASELBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Hab Acht!<br />
Mit neuen Methoden schützen IT-Sicherheitsexperten<br />
wie Sabine Wiedemann<br />
<strong>vom</strong> Automobilkonzern Daimler ihre<br />
Unternehmen vor Spionageattacken aus<br />
dem Internet. Seite 40<br />
Vom Pony zum Haifisch<br />
Lange stand Südkoreas Autobauer Hyundai nur für Discountpreise<br />
und lange Garantiefristen. Jetzt sollen High-Tech-Antriebe und eine<br />
Designoffensive den Weg in die Oberklasse ebnen. Seite 58<br />
Im Abseits<br />
Ein Besuch im lieblichen<br />
Taubertal mit seinen mehr als<br />
20 Weltmarktführern. Hier<br />
fehlt es an nichts. Außer an<br />
Mitarbeitern. Seite 90<br />
Management&Erfolg<br />
68 Serie: Das Geheimnis meines Erfolgs (VI)<br />
GFT-Gründer Ulrich Dietz formte aus einer<br />
Drei-Mann-Softwarebude ein globales<br />
IT-Unternehmen. Wie gelang ihm dies?<br />
72 Interview: Hans-Joachim Reck Der<br />
Personalmanager und Verbandschef erklärt,<br />
warum Frauen so oft in Top-Jobs scheitern<br />
Geld&Börse<br />
74 Frankfurt Die Europäische Zentralbank<br />
macht die Finanzmetropole internationaler,<br />
bunter und reicher. Doch der Boom droht<br />
Stadt und Bewohner zu überfordern<br />
80 Aktien Roboter sparen Produktionskosten,<br />
die Automatisierung aber steht in vielen<br />
Branchen noch am Anfang. Das eröffnet<br />
Anlegern Chancen<br />
82 Steuern und Recht Prokon-Pleite |<br />
Umsatzsteuer auf Mieten | Spanische Immobilien<br />
| Gasrechnung | Werbungskosten |<br />
Verlust des Fluggepäcks<br />
84 Geldwoche Kommentar: Devisenmanipulation<br />
| Trend der Woche: Kupfer | Dax-<br />
Aktien: Deutsche Bank | Hitliste: Trendbranchen<br />
| Aktien: IBM, Telenor | Anleihe:<br />
Daimler | Zertifikat: Gold und Silber | Investmentfonds:<br />
Banque de Luxembourg Emerging<br />
Markets | Nachgefragt:Forest-Finance-<br />
Chef Harry Assenmacher über Betrug am<br />
grauen Kapitalmarkt | Relative Stärke: Manz<br />
Perspektiven&Debatte<br />
90 Standort Im Taubertal haben viele<br />
Weltmarktführer ihre Heimat. Doch dahin<br />
ziehen mögen nur wenige. Ein Besuch<br />
94 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
5 Einblick, 96 Leserforum,<br />
97 Firmenindex | Impressum, 98 Ausblick<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Diese Woche unter anderem mit<br />
einem Video darüber, was deutsche<br />
Gründer in Sachen Marketing<br />
von den Amerikanern<br />
lernen können, sowie<br />
einem 360-Grad-Blick ins<br />
Chefbüro.<br />
wiwo.de/apps<br />
n Digitales Mobile Eintrittskarten,<br />
bargeldlose Zahlung: Wo Nahfeldkommunikation<br />
bereits eingesetzt –<br />
und warum der Handel noch<br />
Nachholbedarf hat. wiwo.de/nfc<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 7<br />
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Seitenblick<br />
Der Aufstieg und<br />
TABAKINDUSTRIE | Ein Gericht verdonnert RJ Reynolds zu 23 Milliarden Dollar Schadensersatz<br />
Die Geschichte des Glimmstängels in Deutschland und den USA<br />
5000<br />
Anzahl der jährlich pro Kopf in den USA konsumierten Zigaretten<br />
1941<br />
Die Tabakkonzerne beliefern<br />
US-Soldaten mit kostenlosen<br />
Zigaretten<br />
4500<br />
4000<br />
3500<br />
3000<br />
2500<br />
2000<br />
1500<br />
1000<br />
500<br />
0<br />
1900<br />
In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
ist Dresden das Zentrum der deutschen<br />
Tabakindustrie. 1925 gibt es hier<br />
141 Zigarettenfabriken. Rund 60 Prozent<br />
der deutschen Zigaretten kommen aus der<br />
Stadt, und Deutschland ist der größte<br />
Tabakimporteur der Welt<br />
Anzahl der jährlich pro Kopf in Deutschland konsumierten Zigaretten<br />
(bis 1955 nicht erfasst)<br />
1914<br />
In Dresden findet der erste<br />
Internationale Tabakgegner-Kongress<br />
statt. Unter den Medizinern herrscht<br />
Streit, viele verordnen Tabak<br />
damals noch als Arznei<br />
1938<br />
Der US-Forscher Raymond Pearl<br />
von der Johns-Hopkins-Universität<br />
deckt in Amerika auf, dass Raucher<br />
kürzer leben<br />
1929<br />
Der sächsische Arzt Fritz Lickint veröffentlicht<br />
als erster Mediziner weltweit einen Aufsatz,<br />
in dem er einen Zusammenhang zwischen<br />
Zigarettenkonsum und Krebs dokumentiert<br />
1950er<br />
Erste Klagen von<br />
Lungenkrebspatienten –<br />
alle zugunsten<br />
der Tabakindustrie<br />
1900<br />
1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950<br />
Weltmarktführer ohne Weltmarkt<br />
Marktanteile der Zigarettenriesen (in Prozent)<br />
Imperial Tobacco<br />
(Davidoff, Gauloises,<br />
West, Cabinet)<br />
RJ Reynolds<br />
(Pall Mall, Camel,<br />
Natural American<br />
Spirit, Kool)<br />
Japan Tobacco<br />
(Winston,<br />
Mild Seven)<br />
5,1<br />
8,0<br />
Rest<br />
4,0<br />
11,0<br />
13,8<br />
41,0<br />
China Tobacco<br />
(nur China;<br />
Hongtashan)<br />
Globaler Konsum steigt<br />
Anzahl der weltweit konsumierten Zigaretten in den Jahren von<br />
1880 bis 2009 (in Milliarden)<br />
6000<br />
5000<br />
4000<br />
3000<br />
2000<br />
British American<br />
Tobacco<br />
(HB, Lucky Strike, Dunhill,<br />
Kent, Gold Flake)<br />
17,1<br />
Altria/Philip Morris International<br />
(Marlboro, f6, L&M, Philip Morris)<br />
1000<br />
0<br />
1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000<br />
Quelle: eigene Recherche; American Cancer Society; Statistisches Bundesamt; Wells Fargo; DZV; DKFZ<br />
8 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Fall der Zigarette<br />
an eine Raucherwitwe. Nur die Chinesen scheint die Angst vor Lungenkrebs nicht zu schrecken.<br />
1952<br />
Die US-Zeitschrift „Reader’s Digest“ veröffentlicht<br />
einen Artikel, in dem die Gefahren des Rauchens<br />
dargestellt werden. Im Jahr darauf bricht erstmals<br />
der Zigarettenabsatz in den USA ein<br />
1954<br />
Die US-Tabakkonzerne gründen das<br />
Tabakinstitut, dessen Aufgabe es ist,<br />
Studien zu widerlegen, die Rauchen<br />
als gesundheitsschädlich entlarven.<br />
In Deutschland wird das HB-Männchen<br />
erfunden<br />
1971<br />
Die USA verbieten<br />
TV- und Radiowerbung<br />
für Zigaretten<br />
1974<br />
Deutschland verbietet<br />
TV- und Radiowerbung<br />
für Zigaretten<br />
1997<br />
Die USA verbieten die Nutzung<br />
von Figuren wie dem Marlboro-Man<br />
sowie Plakatwerbung generell<br />
1994<br />
Sieben Vorstandschefs der<br />
US-Tabakindustrie schwören<br />
vor dem Kongress, dass Nikotin<br />
nicht süchtig macht.<br />
Whistleblower Jeffrey Wigand<br />
überführte sie später der Lüge<br />
1998<br />
46 US-Staaten klagen erfolgreich gegen<br />
die US-Tabakindustrie. Die muss binnen<br />
25 Jahren 206 Milliarden Dollar<br />
Schadensersatz zahlen<br />
2007<br />
In Deutschland wird Zigarettenwerbung<br />
im Internet, in Zeitschriften und bei<br />
internationalen Sportveranstaltungen<br />
verboten<br />
1966<br />
Alle Zigarettenpackungen in den USA<br />
müssen mit einer Warnung des<br />
Gesundheitsministers versehen werden<br />
1992<br />
1992<br />
Marlboro-Man<br />
Wayne McLaren<br />
stirbt mit 51<br />
an Lungenkrebs<br />
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000<br />
Weniger Kippe fürs Geld<br />
So viel Zigarette gibt es für 5 Cent (in Prozent)<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Der Staat verdient<br />
Wie sich der Preis einer Packung<br />
Zigaretten zusammensetzt<br />
Schachtelpreis: 5 Euro<br />
16,0<br />
Tabaksteuer<br />
57,6<br />
%<br />
2004<br />
Philip Morris muss wegen<br />
Zigarettenschmuggels in<br />
Europa eine Milliarde Euro<br />
Strafe zahlen<br />
Dampf statt Rauch<br />
2005 2010<br />
US-Absatz von Zigarettenschachteln und<br />
E-Zigaretten-Füllungen im Vergleich<br />
Anteil des<br />
0<br />
Mehrwertsteuer Unternehmens<br />
1970 1980 1990 2000 2010 2013<br />
2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023<br />
26,4<br />
16<br />
12<br />
8<br />
4<br />
herkömmliche Zigaretten<br />
in Milliarden Stück<br />
E-Zigaretten<br />
in Milliarden Stück<br />
FOTOS: INTERFOTO, AKG IMAGES, RAINER JAHNS, GETTY IMAGES (2), FOTOLIA (4), MAURITIUS IMAGES; ILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
Qual der Wahl<br />
Kommissionspräsident<br />
Juncker<br />
EU-KOMMISSION<br />
Finanzkommissar gesucht<br />
Der künftige EU-Kommissionspräsident<br />
Jean-Claude Juncker verteilt die Aufgaben<br />
unter den Kommissaren neu und will<br />
einen Finanzmarkt-Spezialisten berufen.<br />
Bis Mittwoch sollen die EU-Mitgliedstaaten ihre<br />
Kandidaten für die kommende EU-Kommission<br />
benennen. Anschließend kann der künftige EU-<br />
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die<br />
Ressorts endgültig verteilen. Schon jetzt zeichnet<br />
sich dabei ein weiterer Neuzuschnitt der Kommission<br />
ab: „Jean-Claude Juncker will ein eigenes<br />
Ressort für Finanzmärkte schaffen“, heißt es in EU-<br />
Kreisen. Juncker hatte bereits angekündigt,<br />
außerdem jeweils einen Kommissar für Grundrechte<br />
und Migration einzuführen.<br />
Ein eigenes Ressort für Finanzmärkte stößt in<br />
Berlin auf große Zustimmung. „Die Bundesregierung<br />
steht dem Vorhaben sehr aufgeschlossen gegenüber“,<br />
heißt es in Brüssel. Auch aus dem Europäischen<br />
Parlament kommt positive Resonanz.<br />
„Ich würde das Vorhaben sehr begrüßen“, sagt<br />
Burkhard Balz, wirtschaftspolitischer Sprecher der<br />
christdemokratischen EVP-Fraktion. Bisher war der<br />
Franzose Michel Barnier als Binnenmarktkommissar<br />
auch für die Finanzmärkte und deren umfangreiche<br />
Reformen zuständig. Mit der Bankenunion<br />
und einem eigenen Abwicklungsmechanismus für<br />
marode Institute wächst allerdings der Bedarf nach<br />
einem Experten, der sich ganz und gar auf Finanzmärkte<br />
spezialisiert.<br />
Ein Favorit für den Posten zeichnet sich noch<br />
nicht ab, doch unter den bislang nominierten Kandidaten<br />
befinden sich einige Wirtschaftsfachleute,<br />
unter denen Juncker auswählen könnte. So war der<br />
von Estland nominierte frühere Ministerpräsident<br />
Andrus Ansip Vorstand der Rahvapank, bevor er in<br />
die Politik ging. Der lettische Ex-Premier Valdis<br />
Dombrovskis war als Ökonom bei der lettischen<br />
Zentralbank tätig. Portugal erwägt seinen ehemaligen<br />
Finanzminister Vitor Gaspar nach Brüssel zu<br />
schicken, einen Wirtschaftsprofessor.<br />
Abschließend wird Juncker die Ressortverteilung<br />
erst Anfang September bekannt geben. Am 30. August<br />
wollen die Staats- und Regierungschefs im<br />
zweiten Anlauf eine hohe Außenvertreterin auswählen,<br />
die Teil der EU-Kommission sein wird.<br />
Unter den Mitgliedstaaten ist unterdessen ein<br />
Gerangel um die Nachfolge von Günther Oettinger<br />
als Energiekommissar ausgebrochen, nachdem<br />
Merkel den Schwaben als neuen Handelskommissar<br />
installieren möchte. Neben Frankreich ist auch<br />
Polen an dem Posten für Energie interessiert.<br />
„Frankreich erhofft sich davon Vorteile für den<br />
staatlichen Energiegiganten EDF“, heißt es in Brüssel.<br />
Polen verspricht sich von dem Posten Einfluss<br />
auf die künftige Energiepolitik und vor allem mehr<br />
Unabhängigkeit von russischem Gas.<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
Riesiger Apparat<br />
Mitarbeiter der EU-<br />
Kommission<br />
25000<br />
20000<br />
15 000<br />
1990 2013<br />
Quelle: EU-Kommission<br />
10 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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MH17<br />
Buchgewinn nach Absturz<br />
So schlimm Flugzeugunglücke<br />
für Opfer und Angehörige sind,<br />
Airlines und Leasinggesellschaften<br />
realisieren aus den<br />
Katastrophen dank ihrer Versicherungen<br />
oft beträchtliche<br />
Buchgewinne. Der Grund:<br />
Meist sind die verunglückten<br />
Maschinen schon zuvor teilweise<br />
oder komplett abgeschrieben.<br />
Eigentümer der über der<br />
Ostukraine abgeschossenen<br />
Boeing 777 von Malaysia Airlines<br />
etwa war die Firma Aer-<br />
Cap, eine Leasinggesellschaft<br />
mit Sitz in Amsterdam. Der verunglückte<br />
Jet war 17 Jahre alt<br />
und offenbar fast komplett<br />
abgeschrieben. Versichert, so<br />
erklären Experten, sind die<br />
Maschinen aber nahezu immer<br />
zum Anschaffungspreis. Und<br />
eine neue 777 kostet 260 Millionen<br />
US-Dollar. Die schon im<br />
März spurlos verschwundene<br />
Holländischer<br />
Eigentümer<br />
Boeing 777<br />
von Malaysia<br />
Airlines<br />
Maschine der Malaysia Airlines,<br />
ebenfalls eine 777, war zwölf<br />
Jahre alt und bis auf 100 Millionen<br />
US-Dollar abgeschrieben,<br />
gehörte allerdings einer anderen<br />
Leasinggesellschaft.<br />
Insgesamt hat AerCap rund<br />
1300 Maschinen im Bestand,<br />
darunter gut 70 Boeing 777. Ihr<br />
mit 14 Prozent größter Anteilseigner<br />
ist Waha Capital, eine<br />
1997 gegründete Investmentgesellschaft<br />
aus Abu Dhabi, die<br />
nun eine verbesserte Bilanz bei<br />
ihrer Beteiligung AerCap verzeichnen<br />
dürfte. Wie genau sich<br />
Leasinggesellschaft und Airline<br />
die Versicherungssumme<br />
teilen, ist in den Verträgen individuell<br />
geregelt. Größter Versicherer<br />
im Fall MH17 ist der<br />
Münchner Versicherungsriese<br />
Allianz.<br />
matthias.kamp@wiwo.de | München,<br />
thomas stölzel<br />
Aufgeschnappt<br />
Echte Krabbenburger Die<br />
beliebte Comic-Figur Sponge<br />
Bob arbeitet im Cartoon als<br />
Burgerbrater. Derzeit wird das<br />
Restaurant originalgetreu im<br />
palästinensischen Ramallah<br />
aufgebaut. Auf der Speisekarte<br />
des Betreibers Salta 3 steht<br />
auch die Schwammkopf-Spezialität:<br />
Krabbenburger.<br />
Echte Strafen Der britische<br />
Abgeordnete Mike Weatherly<br />
fordert <strong>vom</strong> Justizministerium,<br />
dass der Klau von virtuellen<br />
Gütern in Videospielen genauso<br />
hart bestraft wird wie herkömmliche<br />
Diebstähle. Weatherly ist<br />
der oberste Berater von Premier<br />
Cameron für geistiges Eigentum<br />
und selbst passionierter Spieler<br />
von World of Warcraft. Ob er<br />
in dem Online-Spiel auch schon<br />
bestohlen wurde, ist nicht bekannt.<br />
FRACKING<br />
Bund versus<br />
Niederlande<br />
Die Bundesregierung will<br />
Bohrungen nach Schiefergas in<br />
den Niederlanden verhindern,<br />
wenn die Vorkommen nahe der<br />
deutschen Grenze lagern.<br />
Grund ist die Sorge, dass beim<br />
sogenannten Fracking eingesetzte<br />
Chemikalien ins Grundwasser<br />
auch auf deutscher Seite<br />
gelangen könnten. Die Niederlande<br />
prüfen zurzeit, ob sie ab<br />
2015 das Fracking in direkter<br />
Nachbarschaft zu Nordrhein-<br />
Westfalen oder Niedersachsen<br />
erlauben. Bundesumweltministerin<br />
Barbara Hendricks<br />
(SPD) teilte der Regierung in<br />
Den Haag ihre Bedenken mit.<br />
Deutschland will kommerzielles<br />
Fracking faktisch verbieten. „Die<br />
Bundesregierung würde es begrüßen,<br />
wenn auch in den Niederlanden<br />
vergleichbar strenge<br />
Kriterien für den Umweltschutz<br />
zur Anwendung kämen, sollte<br />
künftig grenznah zu Deutschland<br />
Schiefergas erschlossen<br />
und gewonnen werden, und hat<br />
die niederländische Regierung<br />
entsprechend informiert“,<br />
schrieb das Ministerium an den<br />
Bundestagsumweltausschuss.<br />
Auch die Regierungen in Hannover<br />
und Düsseldorf sprachen<br />
sich öffentlich gegen grenznahes<br />
Fracking aus.<br />
cordula.tutt@wiwo.de | Berlin<br />
FOTO: LAIF/GABY GERSTER, NICKELODEON, REUTERS/YARON MOFAZ<br />
Wann die Schrottpresse ruft<br />
Typische Lebensdauer von Autos in Deutschland<br />
Volkswagen<br />
Quelle: Entsorgung.de<br />
26<br />
Jahre 22<br />
Jahre 19<br />
Jahre<br />
Honda,<br />
Mitsubishi<br />
Toyota, BMW,<br />
Audi, Volvo, Mercedes<br />
18<br />
Jahre<br />
Opel, Nissan,<br />
Skoda, Renault<br />
18<br />
Jahre<br />
Durchschnitt<br />
17<br />
Jahre<br />
Seat, Citroën,<br />
Suzuki, Ford, Mazda<br />
16<br />
Jahre<br />
14<br />
Jahre<br />
Daihatsu, Fiat,<br />
Hyundai<br />
Alfa Romeo,<br />
Lancia, Kia<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 11<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
FLOSKELCHECK<br />
Raucherwitwe<br />
Raucherwitwen stehen hoch<br />
im Kurs. In der amerikanischen<br />
Schadensersatzrechtsprechung<br />
ebenso wie in der<br />
kontinentalen Berichterstattung.<br />
Vier Silben, zwei tiefe<br />
Emotionen. Tod und Qualm,<br />
Rauch und Verderben. Ein<br />
Raucherinnenwitwer hingegen<br />
lockt keinen aus der Reserve,<br />
gender hin, Geschlechter<br />
her. Ebenso gut könnte<br />
man eine Reportage über<br />
Spielerinnenmänner schreiben.<br />
Sie hätte wohl absehbar<br />
noch weniger Leser als ein<br />
Frauenfußballendspiel Zuschauer.<br />
Je näher der Endsieg<br />
über das Nikotin rückt, desto<br />
wahrscheinlicher wird der<br />
Feldzug gegen Zucker, Fett<br />
und naturidentische Aromastoffe.<br />
Von den Plakatwänden<br />
an den Ausfallstraßen<br />
werden sie uns bald grüßen,<br />
die Burgerwitwen und Colawaisen,<br />
Parfümopfer und<br />
Glutenleichen. Übelriechenden<br />
Mietern darf man kündigen.<br />
Raucherwitwen auch?<br />
DER FLOSKELCHECKER<br />
Carlos A. Gebauer, 49,<br />
arbeitet als Rechtsanwalt in<br />
Düsseldorf, wurde auch als<br />
Fernsehanwalt von RTL und<br />
SAT.1 bekannt.<br />
MERCK Karl-Ludwig Kley<br />
»China ist deutlich mehr<br />
als ein Absatzmarkt«<br />
Der Chef des Pharmaproduzenten Merck hofft<br />
auf die Einführung einer Krankenversicherung in<br />
China und eröffnet dort ein riesiges Werk.<br />
In einem Monat weihen Sie in<br />
Nantong ihr weltweit zweitgrößtes<br />
Arzneimittelwerk ein.<br />
Welche Bedeutung hat der<br />
chinesische Markt für Merck?<br />
Er ist sehr wichtig. Wir setzen<br />
hier im Jahr derzeit rund 500<br />
Millionen Euro um. Bis 2018<br />
werden wir diese Summe verdoppeln.<br />
Dabei hilft uns, dass in<br />
den Bereichen, in denen wir<br />
vertreten sind, das Wachstum<br />
größer sein wird als beim Bruttoinlandsprodukt<br />
prognostiziert.<br />
Aber China ist deutlich<br />
mehr als ein Absatzmarkt. Das<br />
Land wird die Weltwirtschaft<br />
maßgeblich verändern und prägen.<br />
Deshalb investieren wir<br />
auch hier sowohl in Produktion<br />
als auch in Forschung.<br />
China baut gerade eine<br />
flächendeckende Krankenversicherung<br />
auf. Was bedeutet<br />
das für Ihr Geschäft?<br />
Die Herausforderungen in diesem<br />
Riesenland sind natürlich<br />
enorm. Der Aufbau einer<br />
Versicherung wird dauern.<br />
Insgesamt wird es sicher unser<br />
Geschäft fördern, wenn alle<br />
Chinesen Zugang zu adäquater<br />
medizinischer Versorgung<br />
haben.<br />
Planen Sie auch in China<br />
rezeptfreie Medikamente?<br />
Damit sind wir in China noch<br />
nicht vertreten. Aber ein Ergebnis<br />
unserer Gespräche hier war,<br />
dieses Geschäft auch in China<br />
aufzubauen. Wie das genau<br />
passieren wird, müssen wir<br />
noch festlegen.<br />
Viele Unternehmen klagen<br />
über die schlechte Ausbildung<br />
ihrer Mitarbeiter. In Sachen<br />
Forschung und Innovation<br />
hinkt das Land hinterher.<br />
Das kann ich so nicht bestäti-<br />
gen. Die Qualität unserer Mitarbeiter<br />
hier ist hervorragend.<br />
Das gilt aber gleichermaßen für<br />
viele chinesische Firmen. Ich<br />
habe mich beispielsweise mit<br />
Unternehmern im Biotech-Bereich<br />
getroffen. Das ist absolutes<br />
Spitzenniveau.<br />
Chinas Bevölkerung altert<br />
rapide. Was bedeutet das für<br />
Merck im Pharmamarkt?<br />
Ganz wichtig sind für uns Diabetes,<br />
Schilddrüsen- und Herz-<br />
Kreislauf-Erkrankungen. Da<br />
DER CHINA-FREUND<br />
Kley, 63, ist seit 2007 Vorstandsvorsitzender<br />
der Merck-Gruppe.<br />
Von 1998 bis 2006 war der promovierte<br />
Jurist Vorstandsmitglied<br />
bei Lufthansa.<br />
sind wir jetzt schon erfolgreich<br />
mit Produkten zur Behandlung.<br />
Künftig werden wir die Nachfrage<br />
aus unserem neuen Werk<br />
in Nantong bedienen können.<br />
Das wird 2017 anlaufen. Multiple<br />
Sklerose spielt in Asien eine<br />
ganz geringe Rolle, unser<br />
Onkologiegeschäft mit Erbitux<br />
entwickelt sich hingegen erfreulich.<br />
Im letzten Jahr wurde die<br />
Pharmabranche durch einen<br />
Korruptionsskandal erschüttert.<br />
Die Führung von Glaxo-<br />
SmithKline ist angeklagt,<br />
jahrelang Bestechungsgelder<br />
an Ärzte gezahlt zu haben. Ist<br />
Merck davor gefeit?<br />
Integrität und Compliance haben<br />
bei uns einen sehr hohen<br />
Stellenwert. Insbesondere gilt<br />
das für unser Führungspersonal.<br />
Wir haben selbstverständlich<br />
auch systemische Kontrollen.<br />
Realistischerweise können<br />
Sie nie vollkommen ausschließen,<br />
dass irgendetwas passiert.<br />
Dann muss aber sehr schnell<br />
und entschieden durchgegriffen<br />
werden.<br />
philipp.mattheis@wiwo.de | Shanghai<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER; FOTOS: BLOOMBERG NEWS/SIMON DAWSON, PR, F.A.Z.-FOTO/HELMUT FRICKE, API/MICHAEL TINNEFELD<br />
12 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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PHARMA<br />
Volle Kraft<br />
zurück<br />
Für Marc Owen gab es aus<br />
Brasilien zuletzt keine guten<br />
Nachrichten. Der Chef des<br />
Stuttgarter Pharmagroßhändlers<br />
Celesio musste in dem lateinamerikanischen<br />
Land 80<br />
Millionen Euro abschreiben.<br />
Auch in anderen Schwellenländern<br />
herrscht Flaute – ein Novum<br />
für die erfolgsverwöhnte<br />
Branche. Die Pharmaindustrie<br />
hat daher ihre Erwartungen an<br />
das Wachstum in Märkten wie<br />
Brasilien, Russland und Osteuropa<br />
deutlich nach unten geschraubt.<br />
„Gegenüber 2013 sind<br />
die Werte von etwa zehn Prozent<br />
auf geradezu desillusionierende<br />
vier Prozent oder noch<br />
weniger gesunken“, stellt Josef<br />
Packowski von Camelot fest.<br />
Das Münchner Beratungshaus<br />
hat 100 Manager von Pharmakonzernen<br />
aus 16 Ländern befragt.<br />
Sie zeigten sich vor allem<br />
hinsichtlich Russland pessimistisch.<br />
„Es ist die einzige Region<br />
weltweit, in der die Hersteller<br />
von Generika in den kommenden<br />
zwölf Monaten sogar mit<br />
einem Nachfragerückgang<br />
rechnen.“ Die Pharmakonzerne<br />
konzentrieren ihre Investitionspläne<br />
wieder auf Nordeuropa<br />
und Nordamerika.<br />
rebecca.eisert@wiwo.de, jürgen salz<br />
CUSTODIA<br />
Angst vor<br />
Enteignung<br />
Aktionäre der Custodia Holding,<br />
einer Beteiligungsgesellschaft<br />
des Milliardärs August von<br />
Finck, bangen um ihr Vermögen.<br />
Der Vorstand kündigte an,<br />
das Unternehmen solle 2015<br />
<strong>vom</strong> regulierten Markt in den<br />
Freiverkehr der Börse München<br />
wechseln. Aktionäre fürchten<br />
nun einen Komplettrückzug<br />
29.07. Deutsche Bank Das von Vorwürfen aus den USA<br />
gebeutelte Geldinstitut legt am Dienstag seine<br />
Zahlen für das erste Halbjahr vor. Am gleichen Tag<br />
entscheidet der Bundesgerichtshof, ob die Bank<br />
den Aktionären der Postbank bei deren Übernahme<br />
ab 2008 zu wenig gezahlt hat.<br />
30.07. Porsche Das Landgericht Braunschweig urteilt am<br />
Mittwoch über drei Klagen gegen den Autohersteller.<br />
Die Kläger fühlten sich von den Übernahmeplänen<br />
zwischen VW und Porsche vor sechs Jahren<br />
getäuscht. Ihre Schadensersatzforderungen reichen<br />
von mehreren Hundert<br />
Millionen Euro bis in<br />
den Milliardenbereich.<br />
Im März hat das Landgericht<br />
Stuttgart ähnliche<br />
Klagen von Hedgefonds<br />
abgewiesen.<br />
US Notenbank Die Federal Reserve entscheidet<br />
über geldpolitische Maßnahmen. Zuletzt wurde<br />
spekuliert, dass die US-Notenbank den Leitzins im<br />
zweiten Quartal 2015 erhöhen möchte und damit<br />
früher als geplant.<br />
Türkische Präsidentschaftswahl Zum ersten Mal<br />
in der Geschichte der Türkei können Bürger direkt<br />
ihren Präsidenten wählen. Wahlberechtigt sind<br />
auch bis zu 1,5 Millionen Menschen in Deutschland.<br />
Bis Sonntag können sie an die Urne gehen. In<br />
der Türkei findet die Wahl erst am 10. August statt.<br />
01.08. Weltkriegs-Jubiläum An diesem Freitag vor 100<br />
Jahren brach der Erste Weltkrieg aus. Am Sonntag<br />
besucht Bundespräsident Gauck mit dem französischem<br />
Präsidenten Hollande eine Gedenkfeier.<br />
Helmut Kohl Das OLG Köln entscheidet im Prozess<br />
des Ex-Bundeskanzlers gegen seinen früheren<br />
Ghostwriter. Kohl fordert die Herausgabe von<br />
Tonbändern mit 630 Stunden Gesprächsmaterial.<br />
von der Börse. Die Blaupause<br />
lieferten etwa die Marseille<br />
Kliniken, die zunächst die regulierte<br />
Börse verließen, um kurz<br />
darauf ein Delisting zu verkünden.<br />
Weil Anleger befürchten<br />
müssen, ihre Aktien nicht<br />
verkaufen zu können, drohen<br />
Wertverluste. Bei<br />
Custodia, die Immobilien<br />
in München,<br />
475 Kilo<br />
Verschreckt<br />
Anleger Milliardär<br />
von Finck<br />
TOP-TERMINE VOM 28.07. BIS 03.08.<br />
Gold und Aktien besitzt, hält<br />
von Finck knapp 93 Prozent. Er<br />
ist zudem Großaktionär der Immobilien-AG<br />
Amira, die ebenfalls<br />
Ende 2014 in den Freiverkehr<br />
wechselt. Laut Stephan<br />
Tassler von der Schutzgemeinschaft<br />
der Kapitalanleger bestimmt<br />
„über<br />
den Börsenabzug<br />
der Aufsichtsrat“.<br />
In dem sitzen<br />
zwei Söhne des<br />
Milliardärs.<br />
maximilian nowroth |<br />
geld@wiwo.de<br />
CITYJET<br />
Flotte wird<br />
modernisiert<br />
Der fränkische Multiunternehmer<br />
Hans Rudolf Wöhrl sucht<br />
für seine jüngste Fluglinie Cityjet<br />
bis zu 20 neue Flugzeuge.<br />
„Wir verhandeln gerade mit<br />
mehreren Herstellern“, erklärt<br />
der 66-Jährige. Wöhrl hatte Cityjet<br />
im Frühjahr gekauft. Die<br />
Linie fliegt vor allem aus dem<br />
kleinen Londoner City-Flughafen<br />
am Finanzzentrum nach<br />
Paris, Dublin und Amsterdam.<br />
Trotz der erhofften Einsparungen<br />
durch modernere Maschinen<br />
wird Wöhrl den Flugplan<br />
Neue Jets in Aussicht<br />
Flugunternehmer Wöhrl<br />
von Cityjet stark einkürzen. Von<br />
den bislang vier deutschen Zielen<br />
wird nur Dresden bleiben.<br />
Die derzeit noch 19 Maschinen<br />
der ehemaligen Air-France-<br />
Tochter <strong>vom</strong> Typ BAE146 sind<br />
extrem teuer im Betrieb. Sie<br />
sind mit 15 Jahren relativ alt<br />
und haben vier Motoren, was<br />
Spritverbrauch und Wartungskosten<br />
treibt. „Eine Entscheidung<br />
ist noch nicht gefallen,<br />
aber eigentlich kommen nur<br />
drei Flugzeuge infrage“, sagt der<br />
frühere Besitzer des Billigfliegers<br />
DBA und der Ferienlinie<br />
LTU. Ein Typ des brasilianischen<br />
Herstellers Embraer, die<br />
neue C-Serie von Bombardier<br />
aus Kanada oder der Superjet<br />
des russischen Produzenten<br />
Sukhoi. Geliefert will Wöhrl die<br />
Maschinen möglichst schon im<br />
Sommer 2015 bekommen.<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 13<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
PLAYMOBIL<br />
Andrea Schauer, 55,<br />
gibt Mitte des nächsten Jahres<br />
die Geschäftsführung<br />
beim Spielwarenhersteller<br />
aus gesundheitlichen Gründen<br />
auf. Zum Nachfolger ernannte<br />
Playmobil-Eigentümer<br />
Horst Brandstätter den<br />
kaufmännischen Geschäftsführer<br />
Steffen Höpfner. Zudem<br />
machte der 81-Jährige<br />
Pressesprecherin Judith<br />
Weingart zur Geschäftsführerin<br />
für Entwicklung,<br />
Marketing und Vertrieb.<br />
BOMBARDIER<br />
Martin Clausecker, 48,<br />
muss seinen Posten als<br />
Deutschland-Chef beim kanadischen<br />
Bahntechnikhersteller<br />
räumen und verlässt<br />
das Unternehmen. Grund ist<br />
die Umstrukturierung des<br />
Konzerns. So gibt es künftig<br />
kein eigenständiges<br />
Deutschland-Ressort mehr.<br />
Es geht im Bereich Zentraleuropa<br />
auf. Clausecker hatte das<br />
Amt seit März 2012 inne.<br />
DEUTSCHES MUSEUM<br />
Wolfgang Reitzle, 65, wurde<br />
vergangene Woche zum Verwaltungsratschef<br />
des Deutschen<br />
Museums in München<br />
gewählt. Der ehemalige Linde-<br />
Chef soll vor allem die ins Stocken<br />
geratene Sanierung des<br />
Hauses wieder in Schwung<br />
bringen. Der bisherige Verwaltungsratschef<br />
und Präsident der<br />
TU München, Wolfgang Herrmann,<br />
stellte sich nicht mehr<br />
zur Wahl. Reitzle hatte bereits<br />
2008 fünf Millionen Euro für die<br />
Zukunftsinitiative Deutsches<br />
Museum gespendet.<br />
TIFFANY<br />
Michael Kowalski, 62, räumt<br />
Ende März 2015 den Chefposten<br />
beim US-Schmuckriesen. Er<br />
bleibt aber Mitglied im Board<br />
von Tiffany. Nachfolger wird<br />
der 54-jährige Frederic Cumenal,<br />
der seit 2011 im Unternehmen<br />
ist. Zuvor war er Manager<br />
beim französischen Luxusgüterkonzern<br />
LVMH.<br />
BASTEI LÜBBE<br />
Jörg Plathner, 48, wird zum 1.<br />
September viertes Vorstandsmitglied<br />
des Kölner Medienunternehmens.<br />
Er wird vor allem für<br />
das digitale Geschäft verantwortlich<br />
sein, das inzwischen 14 Prozent<br />
<strong>vom</strong> Umsatz erwirtschaftet.<br />
MARIHUANA<br />
72 Euro<br />
kosten fünf Gramm Cannabis in der Apotheke – etwa das Doppelte<br />
des Schwarzmarktpreises. Um die 270 Personen in Deutschland<br />
besitzen eine Genehmigung, um die Blüten zur Linderung<br />
schwerer Krankheiten zu erwerben. Das Verwaltungsgericht Köln<br />
erlaubte nun in Einzelfällen auch den Eigenanbau der Pflanze.<br />
PAYFRIENDZ<br />
Mit einem Wisch schuldenfrei<br />
Die Payfriendz-Gründer Volker Breuer und Andreas Rührig<br />
wollen Überweisungen so einfach machen, wie das Verschicken<br />
von Textnachrichten. Vor allem kleine Beträge wie Restaurantschulden<br />
bei Freunden sollen so mit dem Smartphone beglichen<br />
werden. Payfriendz setzt dabei auf ein Prepaid-System, bei dem<br />
die Nutzer keine Bankkontodaten hinterlegen müssen. Das Geld<br />
kann dann an andere Nutzer der App geschickt werden. Die Anwendung<br />
ist grundsätzlich kostenlos. Nur wer in fremden Währungen<br />
Geld versendet, muss ein Prozent Gebühr zahlen. Zum<br />
Start können Nutzer nur zwischen Euro und britischen Pfund<br />
wählen, bis Jahresende sollen Dollar und Yen folgen. Zudem kann<br />
die App als virtuelle MasterCard-Kreditkarte genutzt werden.<br />
Doch die Konkurrenz ist stark:Lendstar, Steep oder Cringle bieten<br />
ähnliche Dienste. Und parallel zum Start von Payfriendz schaffte<br />
PayPal die Gebühr für die Geldversendefunktion in der eigenen<br />
App ab. Trotzdem peilt Breuer in Deutschland und Großbritannien<br />
bis Jahresende je 100 000 registrierte Nutzer an. „Wenn große<br />
Player den Markt bereiten, können wir davon nur profitieren“, sagt<br />
er. Finanzieren soll sich<br />
Payfriendz über die<br />
Fakten zum Start<br />
Investitionen liegen bislang im<br />
mittleren siebenstelligen Bereich<br />
Team verteilt auf Berlin, London<br />
und Buenos Aires sind insgesamt<br />
27 Mitarbeiter beschäftigt<br />
Wechselkursgebühr und<br />
Provisionen bei der virtuellen<br />
Kreditkarte. Zusätzliche<br />
Einnahmen soll<br />
künftig die Verknüpfung<br />
mit Amazon-Wunschzetteln<br />
bringen.<br />
matthias streit | mdw@wiwo.de<br />
FOTOS: PR, PRISMA/ROBBY BÖHME<br />
14 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Martin Gauss<br />
Vorstandsvorsitzender von Air Baltic<br />
Startklar ist er immer. Der<br />
Pilotenkoffer steht direkt neben<br />
dem Schreibtisch, und das<br />
Kapitänssakko hängt gebügelt<br />
im Schrank. Martin Gauss, 46,<br />
könnte sich sofort ins Cockpit<br />
einer Boeing 737 setzen und abfliegen.<br />
Die Lizenz dafür besitzt<br />
er. Seit November 2011 lenkt der<br />
gebürtige Baden-Württemberger<br />
die Geschicke der lettischen<br />
Fluggesellschaft Air Baltic. Damals<br />
steckte sie in einer Krise,<br />
der Staat musste sie mit einer<br />
Kapitalspritze retten. Noch heute<br />
hält er fast alle Anteile, sucht<br />
aber nach einem Investor, der<br />
rund die Hälfte der Anteile übernehmen<br />
soll. Von 2014 an will<br />
Air Baltic wieder Gewinne erzielen.<br />
Das hat sich Gauss vorgenommen.<br />
Im vergangenen<br />
Jahr beförderte<br />
Air Balitc mit 25 Boeings<br />
und Bombardiers<br />
mehr als drei Millionen<br />
Passagiere. Die<br />
Bilanz weist einen<br />
Umsatz von 330 Millionen<br />
Euro aus . „Wir<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
sind aus dem Gröbsten raus“,<br />
sagt Gauss. Erfolgreich gearbeitet<br />
hat er bereits für die ehemalige<br />
British-Airways-Tochter<br />
Deutsche BA , die frühere Saarbrücker<br />
Cirrus Airlines und die<br />
ungarische Fluggesellschaft Malev.<br />
Sein Air-Balitc-Büro liegt in<br />
der Hochsicherheitszone des<br />
Flughafens von Riga. Die Fenster<br />
lassen sich nicht öffnen, eine<br />
Klimaanlage sorgt für<br />
angenehme Temperaturen.<br />
„President and<br />
CEO“ wurde in die<br />
Milchglasscheibe seiner<br />
Bürotür graviert.<br />
Den Schriftzug sowie<br />
das gesamte Mobiliar<br />
hat er von seinem Vorgänger<br />
Bertold Flick geerbt. Auf<br />
dem Besprechungstisch parkt<br />
das Modell einer Boeing 737.<br />
Die Sammlung der Air-Baltic-<br />
Miniaturflieger setzt sich auf<br />
der Schrankwand fort. Dort stehen<br />
in Firmenfarben alle Ordner,<br />
die – wie er sagt – seine „Entscheidungsgeschichte“<br />
seit<br />
seinem Amtsantritt dokumentieren.<br />
Ein Muss sind die Schale<br />
mit Obst und Nüssen und der<br />
Air-Baltic-Kalender. Von den<br />
1072 Mitarbeitern haben sich<br />
dafür einige Frauen an ihrem<br />
Arbeitsplatz fotografieren lassen.<br />
„Nächstes Mal“, versichert<br />
Gauss, „sind auch die Herren<br />
wieder mit dabei.“<br />
ulrich.groothuis@wiwo.de<br />
FOTO: PR/MAREKS STEINS<br />
16 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Ukraine Ein Flugzeug in Trümmern, ein<br />
Land am Boden, ein ratloser Kontinent<br />
Irak Glaubenskämpfer zerstören das<br />
Land und verbreiten den Terrorismus<br />
FOTOS: ACTION PRESS/ITAR TASS, GETTY IMAGES/AFP, STUDIO X/POLARIS, PICTURE-ALIANCE/DPA<br />
18 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Welle des Terrors<br />
KRISENHERDE | Die Europäer leben in Frieden und Wohlstand, aber rundherum<br />
verschärfen sich die Konflikte – kann das auf Dauer gut gehen?<br />
Libyen Rivalisierende Milizen legen<br />
Flughäfen und die Ölindustrie lahm<br />
Gaza Immer mehr Tote, Flucht ohne<br />
rettendes Ziel, Krieg ohne Ende...<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 19<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Es grenzte schon an eine Sensation,<br />
was der russische Bankmanager<br />
Andrej Kostin vor einigen<br />
Tagen im russischen Fernsehen<br />
sagte. Kostin, Chef von VTB, der<br />
zweitgrößten staatlichen Bank im Reich<br />
Wladimir Putins, wagte es, seinem Präsidenten<br />
zu widersprechen. Nüchtern entkräftete<br />
er die in den Staatsmedien verbreitete<br />
Illusion, westliche Sanktionen könnten<br />
Russland nichts anhaben. Im Gegenteil,<br />
so der Spitzenbanker, sei Russland dabei,<br />
sich „aus dem Prozess der Globalisierung<br />
herauszuschießen“.<br />
Hinter den Kulissen ziehen russische<br />
Wirtschaftsleute bemerkenswerte Vergleiche.<br />
Sie erinnern an die Katastrophe von<br />
Lockerbie 1988. Damals hatten libysche<br />
Terroristen über Schottland ein amerikanisches<br />
Passagierflugzeug in die Luft gesprengt<br />
und 270 Menschen getötet. Jahrelange<br />
Sanktionen gegen das Regime des libyschen<br />
Autokraten Muammar al-Gaddafi<br />
waren die Folge. Der Absturz des malaysischen<br />
Flugzeugs über der Ukraine, so die<br />
Befürchtung der russischen Wirtschaftselite,<br />
könne ähnlichen Strafmaßnahmen den<br />
Boden bereiten – und Russland in die internationale<br />
Isolation sowie in das wirtschaftliche<br />
Verderben führen.<br />
Nicht nur in Russland ist seit diesem blutigen<br />
Anschlag auf das Leben Unschuldiger<br />
nichts mehr, wie es war. Deutschland<br />
reibt sich die Augen, und Europa lernt<br />
mühsam, dass es sich nicht als friedfertige<br />
Handelsmacht in einer multipolaren Welt<br />
bequem machen kann. Vielmehr muss es<br />
Verantwortung übernehmen für die Kriege<br />
und Krisen, die den alten Kontinent umzingeln.<br />
Denn es geht nicht nur um Russland<br />
und nicht nur um die Ukraine, die seit<br />
Donnerstag vergangener Woche zu allem<br />
Überfluss auch noch ohne Regierung<br />
dasteht. Das erneute<br />
Blutvergießen im Gaza-Streifen<br />
und in Israel, die Auflösung der<br />
Staaten Syrien und Irak, all das<br />
destabilisiert eine Weltregion<br />
vor unserer Haustür. Richtung<br />
Osten und Süden blickt Europa<br />
auf eine Kette von Krisenherden<br />
– auf die weder die Bundesregierung<br />
noch die Europäische Union auch nur<br />
annähend eine Antwort gefunden haben.<br />
EMBARGO GESTRICHEN<br />
Vergangene Woche konnten sich die<br />
EU-Außenminister in Brüssel nur sehr<br />
mühsam auf einheitliche Sanktionen gegen<br />
Russland durchringen, Frankreich schaffte<br />
es im Interesse eines milliardenschweren<br />
Rüstungsdeals mit Moskau, sogar ein rückwirkendes<br />
Embargo für Waffenlieferungen<br />
von der Agenda zu streichen.<br />
Aber auch ohne weitreichende Sanktionen<br />
trifft die Instabilität in Osteuropa die<br />
deutsche Wirtschaft. „10 bis 15 Prozent<br />
Rückgang bei den Exporten nach Russland<br />
sind 2014 möglich“, sagt Gerhard Handke,<br />
Hauptgeschäftsführer beim Außenhandelsverband<br />
BGA. Das mag man noch verschmerzen,<br />
denn der Export nach Russland<br />
machte 2013 nur gut drei Prozent der<br />
deutschen Ausfuhren aus – schon die<br />
Schweiz oder Polen importieren mehr aus<br />
der Bundesrepublik. Doch das ist noch<br />
nicht alles. In Russland selbst haben 6300<br />
deutsche Unternehmen mehr als 23 Milliarden<br />
Euro investiert. Mit einer Viertelmillion<br />
Mitarbeitern machen sie<br />
dort 80 Milliarden Euro Umsatz.<br />
Ein Absturz ihres Engagements<br />
in Russland würde bedeutende<br />
Konzerne wie Volkswagen und<br />
Siemens empfindlich treffen.<br />
Adidas etwa machte voriges<br />
Jahr rund sieben Prozent seines<br />
weltweiten Umsatzes in Russland<br />
– bei zweistelligem Wachstum.<br />
Die Russlandkrise, schätzt man beim<br />
Deutschen Industrie- und Handelskammertag<br />
(DIHK), wird Deutschlands Wirtschaft<br />
um Exporteinnahmen in Höhe von<br />
vier Milliarden Euro und um ein halbes<br />
Prozent Wachstum bringen – und das unter<br />
der relativ optimistischen Voraussetzung,<br />
dass eine weitere Eskalation mit<br />
noch schärferen Wirtschaftssanktionen<br />
ausbleiben wird.<br />
Bisher haben die Sanktionen der EU-<br />
Kommission deutschen Unternehmen nur<br />
wenig Angst eingejagt (siehe Seite 26). Die<br />
amerikanische Regierung aber geht wesentlich<br />
härter gegen Russland vor – und ist<br />
faktisch in der Lage, auch Europa ihr Regime<br />
aufzuzwingen: Indem die USA ihr Exportrecht<br />
extraterritorial anwenden, können<br />
sie deutsche Exporteure bestrafen, die<br />
an ein Unternehmen liefern, das unter US-<br />
Embargo steht. So etwa den russischen<br />
Erdölkonzern Rosneft. Das setzt nur vo-<br />
Europas<br />
unheimliche<br />
Nachbarn<br />
Krisenländer<br />
von Russland bis<br />
Nordafrika.<br />
Israel, Gaza<br />
Krieg zu führen<br />
ist für alle Beteiligten<br />
irrational,<br />
aber für einen<br />
Frieden ist das<br />
gegenseitige<br />
Misstrauen viel<br />
zu stark<br />
Türkei<br />
Falsche Freunde<br />
in der Nachbarschaft<br />
werden<br />
zur Gefahr<br />
Ukraine<br />
Wirtschaftliche<br />
Entwicklung ist<br />
dringend nötig –<br />
stattdessen lebt<br />
das Land im Krieg<br />
Libyen, Ägypten<br />
Libysche Warlords spalten<br />
ihr Land, und am Nil bekämpfen<br />
sich Armee und<br />
islamistische Terroristen<br />
20 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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ILLUSTRATIONEN: DMITRI BROIDO<br />
raus, dass ein amerikanischer Staatsbürger<br />
im Vorstand sitzt oder die gelieferte Ware<br />
Komponenten amerikanischer Hersteller<br />
enthält. Der deutsche Rechtsanwalt Dirk<br />
Hagemann, Experte für Sanktionsrecht,<br />
warnt: „Die USA könnten das Unternehmen<br />
listen und so den Zugang zum US-<br />
Markt sperren.“ Schon die vage Möglichkeit,<br />
ein Geschäftspartner könne auf die<br />
Sanktionsliste geraten, zeigt oft Wirkung.<br />
Aus Furcht um Verluste im Geschäft mit<br />
den USA haben sich deutsche Unternehmen<br />
etwa aus dem Iran zurückgezogen.<br />
Passiert nun das Gleiche demnächst mit<br />
Russland?<br />
„Der Druck auf den Iran ist ungleich höher<br />
als auf die Russen“, beruhigt Hagemann.<br />
Es sei bislang nicht ersichtlich, dass<br />
die USA ihre Sanktionsbestimmungen gegen<br />
Russland außerhalb des Heimatmarktes<br />
durchzusetzen versuchen. In Fachkreisen<br />
kursieren jedoch bereits Berichte über<br />
deutsche Top-Manager, die ihr Russlandgeschäft<br />
zurückfahren, weil das bisher über<br />
eine von den USA sanktionierte Moskauer<br />
Bank lief. Man will eben nichts riskieren.<br />
Man muss es aber doch. Denn auf russischer<br />
Seite wird schon offen über Vergeltung<br />
geredet. „Handelssanktionen gegen<br />
russische Unternehmen stehen im Widerspruch<br />
zu den Prinzipien der Welthandelsorganisation“,<br />
verkündet die russische Manager-Assoziation.<br />
Sanktionen würden „im<br />
Fall einer weiteren Eskalation unausweichlich<br />
zu negativen Rückwirkungen für EUund<br />
US-Unternehmen am russischen<br />
Markt führen“. Die Staatsduma hat bereits<br />
Auf der Flucht<br />
Zu- und Abflüsse von Kapital in Russland<br />
(in Milliarden Dollar)<br />
10<br />
0<br />
–10<br />
–20<br />
–30<br />
–40<br />
–50<br />
2010 2011 2012 2013 14<br />
Quelle: Bank of Russia<br />
ein Gesetz vorbereitet, das die Konfiszierung<br />
der Vermögenswerte ausländischer<br />
Investoren möglich macht. Dennoch ist bei<br />
der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer<br />
in Moskau zu hören, dass trotz der<br />
Krise neue Investoren aus Deutschland<br />
nach Russland gehen – und seitens der russischen<br />
Behörden so viel Unterstützung erfahren<br />
wie seit Jahren nicht.<br />
SANFTER DRUCK<br />
Auch wegen der engen Verflechtung mit<br />
Russland ist Bundesaußenminister Frank-<br />
Walter Steinmeier bemüht, auf Russland<br />
eher sachte den Druck zu erhöhen. Das<br />
Auswärtige Amt, so hört man, will auch eine<br />
Überreaktion der Kapitalmärkte verhindern.<br />
Gleichwohl wächst die Einsicht, dass<br />
die EU irgendwie Druck ausüben muss auf<br />
Putins Politik, welche die Destabilisierung<br />
in der Ostukraine zumindest duldet. Steinmeier<br />
selbst ist „überrascht, dass die Sanktionen<br />
bereits wirken, bevor sie verhängt<br />
wurden“, so der Minister zur Wirtschafts-<br />
Woche: „Kapital flieht seit Monaten aus<br />
Russland, die Konjunktur bekommt eine<br />
Delle, russische Unternehmen sind nervös.“<br />
Das treffe die russische Wirtschaft<br />
hart, während die Folgen für Deutschland<br />
aus Sicht des Ministers „einstweilen begrenzt“<br />
bleiben.<br />
In der Tat sind die Folgen in Russland<br />
bereits sichtbar: Die Wirtschaftsleistung<br />
des Landes sank im ersten Quartal<br />
gegenüber dem Vorquartal um 0,5 Prozent<br />
– und nach Jahren der Stagnation braut<br />
sich für das Land mit 143 Millionen Einwohnern<br />
eine handfeste Rezession zusammen.<br />
Analysten der Investmentbank<br />
Morgan Stanley rechnen im Gesamtjahr<br />
mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) um bis zu 1,5 Prozent. Und<br />
dies, obwohl der Ölpreis stabil oberhalb<br />
der 100-Dollar-Marke notiert und die<br />
globale Konjunkturlage durchaus hoffen<br />
lässt. Einige Sektoren profitieren sogar<br />
<strong>vom</strong> schwachen Rubel, der die Stahlexporte<br />
oder auch die Ausfuhr von Metallwaren<br />
und Landmaschinen billiger macht. Dagegen<br />
steigen am Binnenmarkt die Preise,<br />
da Russland viele Konsumgüter teuer<br />
aus dem Ausland importieren muss;<br />
nicht einmal die lokale Nahrungsmittelindustrie<br />
dieses weiten Landes ist in der<br />
Lage, den Binnenmarkt aus eigener Kraft<br />
zu versorgen.<br />
»<br />
Russland<br />
Deutschlands<br />
wichtiger Wirtschaftspartner<br />
verliert seine<br />
Glaubwürdigkeit<br />
Afghanistan<br />
Die USA ziehen<br />
ab, Taliban und<br />
al-Qaida bleiben<br />
Syrien, Irak<br />
Zwei Staaten drohen<br />
unter dem Ansturm<br />
radikaler islamischer<br />
Terroristen endgültig<br />
zu zerbrechen<br />
Iran<br />
Die Atomverhandlungen<br />
stocken,<br />
die Außenpolitik<br />
bleibt aggressiv<br />
wie immer<br />
Katar<br />
Der superreiche<br />
Zwergstaat<br />
sponsert<br />
den Islamismus<br />
weltweit<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 21<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Aber lassen sich der russische Präsident<br />
und seine Umgebung von ökonomischen<br />
Zwängen überhaupt beeindrucken? Oft<br />
sieht es nicht so aus: Selbst wenn er<br />
sich für eine „unabhängige Aufklärung“<br />
der Flugzeugkatastrophe ausspricht,<br />
folgt kurz darauf das<br />
Säbelrasseln: „Wir müssen<br />
adäquat auf Versuche reagieren,<br />
Russland zu schwächen“,<br />
sagt er vor dem nationalen Sicherheitsrat<br />
und verspricht ein<br />
Rüstungsprogramm für die<br />
Krim. „Von außen“ finanzierte<br />
Destabilisierung werde es in<br />
Russland nie geben.<br />
So etwas weckt Zweifel, ob Putin und der<br />
Westen eine Sprache sprechen. Nicht um<br />
das wirtschaftliche Wohlergehen Russlands<br />
geht es ihm derzeit in erster Linie.<br />
Viel spricht dafür, dass er mit seiner Politik<br />
die Sehnsüchte vieler Russen nach der<br />
Weltgeltung bedient, die mit dem Kollaps<br />
der Sowjetunion verloren ging. So sieht das<br />
Fjodor Lukjanow, einer der bekanntesten<br />
Moskauer Experten für Außenpolitik. „Putin<br />
steckt in der schwersten Phase seiner<br />
Laufbahn“, sagt der Politologe. Er bestreitet<br />
die Meinung, Putin handele irrational. Die<br />
ökonomischen Kosten seiner Politik nehme<br />
der Präsident in Kauf, weil er so dem eigenen<br />
Land das Selbstwertgefühl zurückgeben<br />
könne, erklärte Lukjanow kürzlich<br />
beim European Council on Foreign Relations<br />
(ECFR) in Berlin.<br />
Wenn das so ist, stellt sich die Frage,<br />
ob ein Sanktionspaket wirken<br />
kann, das als Strafaktion gedacht<br />
ist – und Putins Versuche konterkariert,<br />
seinen Russen zu neuem<br />
Nationalstolz zu verhelfen. Nach<br />
Monaten der Manipulation<br />
durch die russischen Staatsmedien<br />
würden Putins Untertanen<br />
ein Einlenken des Kremls als<br />
schmachvolle Niederlage betrachten.<br />
Folglich sind die Möglichkeiten<br />
des Kremlchefs zu Konzessionen extrem<br />
begrenzt.<br />
DER ALTE NAHE OSTEN<br />
Vergangene Woche endete die Amtszeit<br />
von Israels 90-jährigem Staatspräsidenten<br />
Schimon Peres. Der hatte vor langer Zeit<br />
ein Szenario für einen „Neuen Nahen Osten“<br />
entwickelt, in dem Völker und Staaten<br />
nicht nur friedlich nebeneinander, sondern<br />
in enger wirtschaftlicher Kooperation miteinander<br />
leben: Israelischer Erfindergeist,<br />
levantinische Tüchtigkeit und ägyptische<br />
Weisheit verbinden sich mit arabischem<br />
Ölreichtum und schaffen eine prosperierende<br />
Weltgegend. Daraus ist bekanntlich<br />
nichts geworden. Viel hat das damit zu tun,<br />
dass den meisten Politikern im Nahen Osten<br />
alles Mögliche wichtiger ist als das wirtschaftliche<br />
Wohlergehen ihrer Völker.<br />
Dabei gibt es sogar im aktuellen Gaza-<br />
Konflikt noch Reste ökonomischer Realität.<br />
Als Bedingung für einen Waffenstillstand<br />
verlangen die Hamas-Herrscher unter anderem<br />
für ihre armselige Fischereiflotte<br />
freien Zugang aufs Mittelmeer, offene Handelsgrenzen<br />
zum Nachbarn Ägypten und<br />
Geld zur Bezahlung ihres aufgeblähten Beamtenapparats.<br />
Die Israelis ziehen da nicht<br />
mit, solange der ungezielte, aber permanente<br />
Beschuss ihres Staatsgebiets mit Raketen<br />
weitergeht. Immerhin hat dieser Beschuss<br />
erstmals seit Langem nicht nur das<br />
Alltagsleben vieler Israelis zum Albtraum<br />
gemacht, sondern auch die Wirtschaft des<br />
High-Tech-Landes getroffen.<br />
Und das vor allem, weil eine der vielen<br />
Hamas-Raketen in knapp zwei Kilometer<br />
Entfernung <strong>vom</strong> Flughafen Tel Aviv eingeschlagen<br />
ist. Für die meisten Fluglinien war<br />
das Grund genug, den mit Abstand wichtigsten<br />
israelischen Zivilflughafen eine<br />
Weile nicht mehr anzufliegen (siehe Seite<br />
28). Bis auf einen kleinen Touristenflughafen<br />
im Badeort Eilat und ein paar abgelegene<br />
Grenzübergänge nach Ägypten und<br />
»<br />
Ägypten<br />
Die innenpolitische<br />
Konfrontation<br />
wächst,<br />
das Elend auch<br />
22 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: BULLS/CATERS UK, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
EUROPA<br />
Frau, Sozialdemokratin<br />
Die Wahl einer Hohen Beauftragten für Außenpolitik bietet die Chance<br />
zu einem Neustart der europäischen Außenpolitik. Wird sie genutzt?<br />
In knapp sieben Minuten sagte Frans Timmermans<br />
alles, was gesagt werden musste.<br />
Vergangene Woche beschrieb der<br />
niederländische Außenminister im UN-<br />
Sicherheitsrat in bewegenden Worten die<br />
Trauer, Wut und Verzweiflung seiner<br />
Landsleute nach dem Abschuss des zivilen<br />
Flugzeuges MH17 über der Ukraine. Der<br />
Sicherheitsrat verurteilte einstimmig den<br />
Vorfall – auch mit der Stimme Russlands.<br />
Timmermans, 53 Jahre alt und Sozialdemokrat,<br />
wäre eine ziemlich gute Besetzung<br />
für den bald vakanten Posten des<br />
Europäischen Außenvertreters. Der Niederländer<br />
spricht sechs Sprachen, darunter<br />
Russisch. Moskau und Brüssel kennt<br />
er aus Stationen seiner Diplomatenkarriere.<br />
Doch bei der Nachfolge von Europas<br />
Oberdiplomatin Catherine Ashton steht<br />
ihm sein Geschlecht im Weg. Gesucht<br />
wird derzeit eine Frau aus dem sozialdemokratischen<br />
Lager, aus „Imagegründen<br />
für Europa“, wie der französische Staatspräsident<br />
François Hollande sagt.<br />
STARKER AKTEUR<br />
Noch gibt es Hoffnung, dass diesmal das<br />
reine Proporzdenken hinten angestellt<br />
wird, das vor fünf Jahren eine unerfahrene<br />
Politikerin ins Amt brachte, die schlicht<br />
die drei Minimalanforderungen weiblich,<br />
britisch und sozialdemokratisch erfüllte.<br />
In Brüssel und auch den nationalen<br />
Hauptstädten wächst die Einsicht, dass<br />
die direkte Nachbarschaft der EU weit<br />
mehr Konfliktherde aufweist als bei der<br />
vorhergehenden Personalsuche. „Europa<br />
befindet sich in der exponiertesten und<br />
gefährlichsten Lage im Süden und Osten,<br />
an die ich mich erinnern kann“, sagt etwa<br />
der schwedische Außenminister Carl<br />
Bildt. Der künftige EU-Kommissionspräsident<br />
Jean-Claude Juncker ist nur einer<br />
von vielen, der in diesen Tagen einen<br />
„starken, erfahrenen Akteur“ auf dem<br />
Außen-Posten fordert.<br />
In der Vergangenheit hat sich die EU-<br />
Außenpolitik immer nur auf externen<br />
Druck hin entwickelt. „Bedrohungen von<br />
außen und Krisen waren immer der entscheidende<br />
Faktor“, sagt Analyst Stefan<br />
Lehne <strong>vom</strong> Thinktank Carnegie Europe,<br />
selbst lange im österreichischen diplomatischen<br />
Dienst. So reagierte die EU in den<br />
Der Ehrgeiz hält sich in Grenzen<br />
EU-Politiker Ashton (links), Barroso<br />
»Europa befindet<br />
sich in einer<br />
gefährlichen und<br />
exponierten Lage«<br />
Carl Bildt, Außenminister von Schweden<br />
Neunzigerjahren mit einer Gemeinsamen Sicherheits-<br />
und Außenpolitik (GASP) auf den<br />
Balkankrieg. Damals entschieden sich die<br />
Staats- und Regierungschefs für eine gewichtige<br />
Figur als GASP-Chef: den ehemaligen<br />
Nato-Generalsekretär Javier Solana.<br />
„Mit ihrer Personalauswahl werden die<br />
Staats- und Regierungschefs ein klares<br />
Zeichen geben, welchen Ehrgeiz sie in der<br />
Außenpolitik verfolgen“, sagt Lehne. Als es<br />
vor drei Jahren um den arabischen Frühling<br />
ging, war der Ehrgeiz nicht gerade groß. Damals<br />
verdrängte die Euro-Krise alle anderen<br />
Themen. Nachdem die EU das aktive Krisenmanagement<br />
hinter sich gelassen hat,<br />
können sich Staats- und Regierungschefs<br />
nun verstärkt Internationalem widmen.<br />
Zumal dem neuen EU-Kommissionspräsidenten<br />
Juncker ohnehin ein Neustart<br />
in der Außenpolitik vorschwebt: „Nach<br />
meiner Überzeugung können wir uns nicht<br />
damit zufriedengeben, wie unsere gemeinsame<br />
Außenpolitik bislang funktioniert.“<br />
Er will die EU-Politikbereiche wie<br />
Handel, Entwicklung, humanitäre Hilfe<br />
und Nachbarschaftspolitik stärker in die<br />
Außenpolitik integrieren. EU-Kommissionspräsident<br />
José Manuel Barroso hat<br />
dies bisher hintertrieben, weil er fürchtete,<br />
die Kommission könnte dabei Kompetenzen<br />
an den Europäischen Außendienst<br />
verlieren. Die magere Bilanz von Catherine<br />
Ashton geht nicht nur auf ihr eigenes<br />
Konto.<br />
FRÜHERE WELTMÄCHTE<br />
Ob der Neustart der EU-Außenpolitik gelingt,<br />
hängt entscheidend von den Mitgliedsländern<br />
ab, allen voran den großen.<br />
Von denen zeigte sich bisher nur Deutschland<br />
dem Projekt gegenüber wohlwollend.<br />
„Frankreich und Großbritannien sind frühere<br />
Weltmächte, in denen die eigene Außenpolitik<br />
zur nationalen Identität gehört“,<br />
beobachtet Analyst Lehne.<br />
Kompetenzen abzugeben fällt beiden Ländern<br />
schwer, zumal Großbritannien gerade<br />
nicht weiß, in welchem Verhältnis es<br />
zur EU überhaupt steht. Die alte Macht<br />
bröckelt allerdings: Beide Länder haben<br />
heute international weniger Einfluss als<br />
noch vor einem Jahrzehnt. Und so dürften<br />
sie bald größeres Interesse an einem gemeinsamen<br />
europäischen Vorgehen auf<br />
der internationalen Bühne haben.<br />
Ein erstes Indiz für ein Umdenken<br />
könnte Frankreichs Interesse am Außenposten<br />
sein. Offenbar ist Präsident Hollande<br />
sogar bereit, seinen bisherigen<br />
Kommissionskandidaten Pierre Moscovici<br />
zu opfern, um der früheren Europaministerin<br />
Elisabeth Guigou ims Amt zu verhelfen.<br />
Aktuell leitet die 67-Jährige den auswärtigen<br />
Ausschuss im französischen<br />
Parlament. Doch es gibt noch andere Anwärterinnen.<br />
Emma Bonnino, frühere italienische<br />
Außenministerin und als EU-<br />
Kommissarin einst für humanitäre Hilfe<br />
zuständig, hat ebenfalls Chancen. Eine<br />
Vertreterin eines großen Landes hätte zudem<br />
automatisch mehr Gewicht auf dem<br />
internationalen Parkett. Ex-Diplomat Lehne:<br />
„Das ist so – auch wenn es politisch<br />
nicht korrekt ist.“<br />
n<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 23<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Jordanien haben israelische Privatleute<br />
keinen anderen Weg ins Ausland als den<br />
Tel Aviver Flughafen.<br />
Der Schock der Flughafensperre wird<br />
freilich die israelische Friedensbegeisterung<br />
kaum fördern: Denn bei jedem<br />
denkbaren Friedensabkommen<br />
würde das Land die Kontrolle<br />
über Gebiete im<br />
Westjordanland verlieren, die<br />
in Luftlinie viel näher am Flughafengelände<br />
liegen als Gaza:<br />
nicht 80 Kilometer, sondern 15.<br />
Da wäre ein israelischer Rückzug<br />
allenfalls denkbar mit sehr<br />
verlässlichen Garantien der<br />
Staatengemeinschaft. Aber das klingt derzeit<br />
wie ein Widerspruch in sich.<br />
TODFEIND DER MUSLIMBRÜDER<br />
Denn der Gaza-Krieg hat ein Schlaglicht<br />
auf den katastrophalen Zustand geworfen,<br />
in welchem sich die gesamte Region derzeit<br />
befindet. Die Hamas-Palästinenser tun sich<br />
auch darum so schwer mit einem Waffenstillstand,<br />
weil der übliche Vermittler so gut<br />
wie ausfällt: Der neue ägyptische Präsident<br />
Abd al-Fattah as-Sisi ist ein Todfeind der<br />
Muslimbrüder im eigenen Land und damit<br />
auch der Hamas-Islamisten. Weil das aber<br />
so ist, erhöhen die Bilder <strong>vom</strong> Blutvergießen<br />
in Gaza die Gefahr neuer schwerer Unruhen<br />
in Ägypten selbst. Islamisten von Algerien<br />
im Westen bis Pakistan im Osten demonstrieren<br />
gegen Sisi und geben damit<br />
ihren Gesinnungsgenossen in Ägypten Auftrieb.<br />
Das größte Land der arabischen Welt<br />
kann darum das wirtschaftliche und soziale<br />
Chaos aus eigener Kraft nicht mehr überwinden<br />
und ist völlig <strong>vom</strong> finanziellen<br />
Großsponsor Saudi-Arabien abhängig.<br />
Womit die Krise dann doch auf die ölreiche<br />
arabische Halbinsel ausstrahlt. Der<br />
todkranke saudische König Abdullah hat<br />
vergangene Woche persönlich seinen<br />
Herrscherkollegen Tamim aus<br />
dem kleinen Emirat Katar ins Gewissen<br />
geredet, damit der die<br />
Hamas-Palästinenser von einem<br />
Waffenstillstand überzeugt. Katar<br />
nämlich finanziert den Gaza-<br />
Streifen aus islamistischer Solidarität,<br />
genau wie die unterdrückten<br />
Muslimbrüder in Ägypten.<br />
Weshalb Präsident Sisi den<br />
katarischen Emir hasst und lieber den Gaza-Steifen<br />
verkommen lässt, als unter katarischer<br />
Vermittlung seine Grenzen in diese<br />
Richtung zu öffnen.<br />
Aus europäischer Sicht mögen diese orientalischen<br />
Konflikte unwichtig wirken –<br />
sie sind es aber nicht. Der Zusammenbruch<br />
aller Kooperation in der arabischen<br />
Welt verhindert derzeit einen koordinierten<br />
Widerstand gegen das von allen verachtete<br />
und gefürchtete sogenannte Kalifat<br />
im Osten Syrien und im Nordwesten des<br />
Alle Konflikte<br />
in Nahost spielen<br />
den Terroristen<br />
in die Hände<br />
Iraks: Das sind die radikalsten der radikalen<br />
Islamisten, die mit Mord und Unterdrückung<br />
ein alle Grenzen überschreitendes<br />
Regime errichten wollen. Sogar die versprengten<br />
Erben Osama bin Ladens in Afghanistan<br />
und Pakistan finden das „Kalifat“<br />
und seinen „Islamischen Staat“ (Isis)<br />
zu radikal. Und der türkische Ministerpräsident<br />
Recep Tayyip Erdogan, der diese<br />
Leute bis vor ein paar Monaten in ihrem<br />
Kampf gegen Syriens Diktator Baschar al-<br />
Assad unterstützte, muss jetzt fürchten,<br />
dass ihre Bewegung sich in sein Land ausweitet:<br />
Erdogans relativ zivilisierter Islamismus<br />
ist den Radikalen viel zu zahm.<br />
Man kann das aus deutscher Sicht gelassen<br />
betrachten. „Allenfalls, wenn Isis den<br />
Südirak mit seinen Ölfeldern unter Kontrolle<br />
bekäme, würde es schlimm“, sagt<br />
Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen.<br />
Recht hat er, aber die Isis-Terroristen bedrohen<br />
nicht nur unsere Ölversorgung,<br />
sondern auch unsere alltägliche Sicherheit.<br />
Die Nachrichten über Isis-Rekruten<br />
aus Westeuropa, die in ihre Heimatländer<br />
zurückkehren und übelste Terrorakte planen,<br />
nehmen bedrohlich zu. Der Mordanschlag<br />
auf Besucher eines kleinen jüdischen<br />
Museums in Brüssel vor zwei Monaten<br />
war wahrscheinlich nur der Anfang.<br />
Eine neue Terrorwelle wäre für Europas<br />
Volkswirtschaften möglicherweise schlimmer<br />
als ein steigender Ölpreis. „Wir machen<br />
nur gute Geschäfte, wenn China, die<br />
USA und auch Europa optimistisch in die<br />
Zukunft schauen“, sagt Gerhard Handke<br />
<strong>vom</strong> BGA. Wir reden über mögliche psychologische<br />
Folgen der Kriege in unseren<br />
Nachbarregionen – der Optimismus könnte<br />
aber noch mehr unter einer Welle des<br />
Terrors in Europa leiden.<br />
Türkei<br />
Auch Mauern<br />
schützen nicht<br />
vor dem Chaos<br />
bei den Nachbarn<br />
WAS DIE ÖKONOMEN SAGEN<br />
Zur Beruhigung ist also wenig Anlass,<br />
selbst wenn man an konjunkturelle Auswirkungen<br />
der Kriege an der europäischen<br />
Peripherie nicht glauben mag. Immerhin<br />
hat der Aufschwung in Deutschland schon<br />
ganz ohne Ukraine und Gaza an Schwung<br />
verloren. Nachdem die deutsche Wirtschaft<br />
in den ersten drei Monaten des Jahres<br />
noch um 0,8 Prozent gegenüber dem<br />
Vorquartal zulegen konnte, stagnierte das<br />
BIP vermutlich im zweiten Quartal 2014,<br />
wie die Deutsche Bundesbank warnt. Ökonomen<br />
wie Jörg Krämer, Chefvolkswirt der<br />
Commerzbank, halten gar ein leichtes BIP-<br />
Minus für wahrscheinlich.<br />
Aber auch unter diesen Vorzeichen hofft<br />
Commerzbank-Volkswirt Ralph Sol-<br />
»<br />
FOTO: ACTION PRESS/ABACA PRESS<br />
24 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
veen, viel schlimmer werde es wegen<br />
der weltpolitischen Verwerfungen nicht<br />
kommen. Der Nahe Osten sei wirtschaftlich<br />
sehr weit weg, und bezüglich Russlands<br />
spiele „die Vorstellung, was denn wäre,<br />
wenn das Gas ausbliebe, keine Rolle“.<br />
Auf politische Schreckensmeldungen<br />
könnte am ehesten die Börse reagieren.<br />
Dass dadurch aber auch die Konjunktur<br />
empfindlich leiden würde, hält Solveen für<br />
unwahrscheinlich. Selbst wenn der Dax in<br />
der Folge von Kriegen und politischen Katastrophen<br />
schwere Verluste erleiden sollte,<br />
wäre die realwirtschaftliche Auswirkung<br />
in der heutigen Situation sehr gering –<br />
„Sand im Getriebe“, um mit Michael Hüther<br />
zu sprechen, dem Direktor des Instituts<br />
der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.<br />
Die Sorge wächst<br />
SANKTIONEN | In der Ukraine-Krise kam die deutsche Wirtschaft<br />
bisher glimpflich davon. Doch vor allem bei Energie- und Logistikunternehmen<br />
spitzt sich die Furcht vor Sanktionen zu.<br />
GLOBALE DYNAMIK<br />
„Seit 2010 ist doch auffällig, dass die globale<br />
ökonomische Dynamik eine Dynamik<br />
der Industrieländer ist“, sagt Hüther. Allenfalls<br />
China spiele da eine Rolle wie Nordamerika<br />
und Europa; Länder wie der Iran<br />
und Indien, selbst die Türkei, haben an<br />
Schwung verloren.<br />
Aber was sind die vielleicht psychologischen<br />
Auswirkungen großer politischer<br />
Krisen und der damit verbundenen Unsicherheit?<br />
Hüther erinnert sich noch lebhaft<br />
an die Tage und Wochen nach dem 11.<br />
September 2001, dem Schock-Zustand der<br />
Menschheit. Aber „ab November 2001 ging<br />
es weltweit doch wieder Richtung Stabilisierung<br />
– das war ein schrecklicher Schock,<br />
aber das hat die Weltwirtschaft, hat Kapital-<br />
und Handelsströme nicht verändert“.<br />
Also Entwarnung, nur weil Flugzeugabsturz<br />
und das Elend in Gaza unserer Konjunktur<br />
nicht schaden? Das wäre ein verführerischer<br />
Fehlschluss mit üblen außenund<br />
sicherheitspolitischen Konsequenzen.<br />
Im Konflikt zwischen der Ukraine und<br />
Russland sind die Regierungen in Berlin<br />
und den westeuropäischen Hauptstädten<br />
doppelt gefragt: als Vermittler zwischen<br />
Moskau und Kiew, aber auch als natürliche<br />
Verbündete der Demokraten in der Ukraine<br />
und der pragmatischen Russen, die von<br />
Großmachtträumen nichts halten. Und<br />
ganz ähnlich, nur noch komplizierter, sieht<br />
es im Nahen Osten aus, wo zum Gegensatz<br />
der politischen Akteure noch die wachsende<br />
Gefahr des Terrorismus kommt. Die<br />
Wirtschaft kann da allenfalls unterstützend<br />
mitwirken: Wer miteinander handelt,<br />
schießt meistens nicht auf den anderen. n<br />
hansjakob.ginsburg@wiwo.de, florian willershausen,<br />
max haerder | Berlin, bert losse<br />
Mein Feld ist die Welt“, das Motto der<br />
Großreederei Hapag-Lloyd ist<br />
auch Leitspruch des Hamburger<br />
Hafens. Das zeigen schon die Straßennamen:<br />
Der Kamerunweg liegt neben der India-<br />
und Australiastraße, der Chicagokai<br />
unweit der Koreastraße. Und an den Elbbrücken<br />
wird der Hafenbesucher von einem<br />
Übersee-Zentrum begrüßt.<br />
Die Straßennamen sagen nicht alles. So<br />
finden sich keine russischen Namen an<br />
den Kaianlagen des „Tors zur Welt“. Doch<br />
„die russischen Kunden schätzen die Qualitätsstandards<br />
in Hamburg“, sagt Natalia<br />
Kapkajewa, Repräsentantin des Hafens in<br />
St. Petersburg. Nicht nur deshalb ist Russland<br />
zweitgrößter Handelspartner des<br />
Hamburger Hafens, sorgt für doppelt so<br />
viel Fracht wie die USA.<br />
Nur nicht auffallen, lautet deswegen die<br />
Devise der deutschen Wirtschaft im drohenden<br />
Wirtschaftskrieg zwischen den<br />
USA, der EU und Russland. Bisher hatten<br />
die von der EU verhängten Sanktionen<br />
kaum Auswirkungen auf den Warenverkehr<br />
Russland ist zweitgrößter Kunde<br />
Container im Hamburger Hafen<br />
mit Putins Reich. Doch vor allem die USA<br />
drängen auf deutlich schärfere Reaktionen.<br />
Werden also die Schrauben jetzt noch einmal<br />
angezogen? Die Sorge in den Chefetagen<br />
der Unternehmen, die es betreffen<br />
könnte, ist groß. „Das Problem liegt nicht<br />
mal mehr vor unserer Tür, sondern bereits<br />
mitten im Treppenhaus“, sagt der Manager<br />
eines Hamburger Öl- und Gashändlers.<br />
KOPF IN DEN SAND<br />
Schon jetzt macht die Krise dem Hamburger<br />
Hafenbetrieb HHLA mächtig zu schaffen.<br />
Die HHLA hat einen eigenen Terminal<br />
im Schwarzmeerhafen Odessa und büßt<br />
dort einen Großteil des Geschäfts ein. Wie<br />
hoch der Schwund ist, will bei der HHLA<br />
keiner sagen, „wir veröffentlichen keine<br />
Zahlen pro Terminal“, sagt ein HHLA-Manager.<br />
Aber auch wegen der Ukraine-Krise<br />
sank der Gewinn des ersten Quartals bereits<br />
um knapp 14 Prozent auf gut 19 Mil-<br />
FOTO: LAIF/MICHAEL LANGE<br />
26 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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lionen Euro. Die Zahlen für das zweite<br />
Quartal, die im August veröffentlicht werden,<br />
zeigen wohl die Fortsetzung des<br />
Trends, erwartet ein Hafeninsider. Genauere<br />
Zahlen zum Russland-Geschäft<br />
werden nicht herausgegeben. „Wir fassen<br />
das Russland-Geschäft im Ostsee-Verkehr<br />
zusammen“, heißt es beschwichtigend.<br />
Das System „Kopf in den<br />
Sand“ wird auch 600 Kilometer<br />
weiter südlich, mitten im<br />
Schwabenland, angewandt. Vorvergangene<br />
Woche kam beim<br />
drittgrößten deutschen Energiekonzern<br />
Energie Baden-Württemberg<br />
(EnBW) die Nachricht<br />
an, der wichtigste Handelspartner<br />
der Schwaben, die Novatek,<br />
stehe auf der Sanktionsliste der USA. Das<br />
russische Außenhandelsunternehmen<br />
fördert selbst und vermarktet Erdgas von<br />
Gazprom im westlichen Ausland. Mit<br />
EnBW hat es einen langlaufenden Rahmenvertrag<br />
über sechs Milliarden Euro<br />
abgeschlossen. Der Zehn-Jahres-Liefervertrag<br />
sichert EnBW ein Drittel seines<br />
Gasbedarfs. Nun sind die Novatek-Konten<br />
in den USA eingefroren, die Manager des<br />
Unternehmens haben dort Einreiseverbot.<br />
Novatek erklärte vorige Woche, die <strong>vom</strong><br />
US-Finanzministerium veröffentlichten<br />
Sanktionen hätten „keine unmittelbaren<br />
Auswirkungen auf bestehende Geschäftsbeziehungen“.<br />
Und trotzig heißt es in Stuttgart:<br />
„Die US-Regierung kann uns nicht<br />
verbieten, unsere Vertragsverpflichtungen<br />
mit Novatek zu erfüllen.“ Erleichtert<br />
heißt es bei der EnBW,<br />
der Versorger betreibe „keine<br />
Geschäfte in den USA“, könne<br />
also für Geschäftsbeziehungen<br />
mit Novatek auch nicht bestraft<br />
werden.<br />
Die Sorglosigkeit könnte sich<br />
als Trugschluss erweisen. Denn<br />
„Novatek wird nun wichtige<br />
westliche Banken als Vorfinanzierer von<br />
Großprojekten, wie zum Beispiel dem<br />
Pipelinebau, verlieren“, sagt ein Frankfurter<br />
Banker. Die Moskauer Wirtschaftszeitung<br />
„Wedomosti“ meldete bereits, dass<br />
westliche Banken in ihren Kreditverträgen<br />
mit russischen Unternehmen Passagen<br />
aufgenommen hätten, dass Kredite im Fall<br />
der Verhängung von Sanktionen fällig gestellt<br />
werden.<br />
Eine US-Bank hat die Finanzierung der<br />
Gasförderung auf der sibirischen Jamal-<br />
Halbinsel zurückgezogen. Hauptbetreiber:<br />
Novatek. Der Energiekonzern könnte deswegen<br />
seine Preise gegenüber westlichen<br />
Handelspartnern empfindlich anheben.<br />
REICHE KUNDEN<br />
Sehr zurückhaltend agieren derzeit die<br />
deutschen Banken. Sie haben 17 Milliarden<br />
Euro in Russland verliehen. Damit<br />
sind sie weniger engagiert als Banken aus<br />
Frankreich (38 Milliarden Euro) und Italien<br />
(22 Milliarden Euro). Das Geld steckt zwar<br />
vor allem in langlaufenden Krediten, die<br />
Deutsche Bank ist zudem in der Vermögensverwaltung<br />
für reiche russische Kunden<br />
aktiv. Im Fokus der Politik steht aber<br />
vor allem die staatliche Förderbank KfW,<br />
sie hat 2,1 Milliarden Euro in Russland ausstehen,<br />
vor allem in Energieprojekten. Da<br />
die Bank dem Bund gehört, könnten die<br />
Amerikaner über die Bundesregierung<br />
Druck machen, das KfW-Geschäft in Russland<br />
zu reduzieren oder einzustellen.<br />
In der EU ist längst die Aktion Schadenbegrenzung<br />
angelaufen. Beim Treffen der<br />
EU-Außenminister Mitte vergangener »<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
KRISEN<br />
Fliegender<br />
Frühindikator<br />
Unruhen, Terror, Sanktionen: Immer<br />
trifft es Fluglinien schneller<br />
und härter als andere Branchen.<br />
Im Kontrollzentrum der Lufthansa am<br />
Frankfurter Flughafen war es Dienstag<br />
vergangener Woche fast so ruhig wie<br />
sonst. Zwar strich der Konzern alle<br />
Flüge in die israelische Metropole Tel<br />
Aviv, nachdem dort nahe des Flughafens<br />
eine Rakete eingeschlagen war.<br />
Doch die Mitarbeiter haben Routine.<br />
Weil die Zahl der Krisenherde zunimmt,<br />
bauen sie praktisch monatlich den Flugplan<br />
um.<br />
Ob Unruhen, Bomben oder Sanktionen:<br />
„Politische Krisen treffen uns Airlines<br />
sofort“, so Tony Tyler. Chef des<br />
Weltluftfahrtverbands Iata. Nach den<br />
Terroranschlägen <strong>vom</strong> 11. September<br />
2001 verleideten die anhaltende Unsicherheit<br />
und die danach eingeführten<br />
extrem aufwendigen Sicherheitskontrollen<br />
Passgieren monatelang das Fliegen.<br />
UNSICHERE REGIONEN<br />
Ähnlich trifft es die Branche, wenn Krisen<br />
eskalieren. Zwar sind Routen in unsichere<br />
Regionen wie die Ukraine oder<br />
den Mittlere Osten lukrativ, weil hier vor<br />
allem Geschäftsreisende, Berater oder<br />
Mitarbeiter von NGOs reisen. Doch als<br />
etwa in Ägypten die Proteste oder in Syrien<br />
der Bürgerkrieg eskalierte, haben<br />
weltweit aktive Linien wie Lufthansa die<br />
Flüge schnell storniert, weil Zweifel an<br />
der Sicherheit Kunden auch im Rest ihres<br />
Netzes vertreibt. Denn die Kosten<br />
sind hoch. Auch wenn die Stornos wegen<br />
höherer Gewalt erfolgen, erstatten<br />
die Airlines den Kunden ihre Tickets.<br />
Doch die Kosten laufen weiter, wie Gehälter<br />
oder Flugzeugmieten.<br />
Die Kriterien ändern sich dabei oft<br />
ebenso schnell wie die Lage. So hätte<br />
der Raketeneinschlag in Tel Aviv zwar in<br />
jedem Fall alle Fluglinien alarmiert.<br />
„Doch ohne den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs<br />
in der Ukraine wären<br />
die Flüge vielleicht nicht sofort abgesagt<br />
worden“, sagt ein Insider.<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />
»<br />
Woche ging es weniger um die Frage, wie<br />
man Russland unter Druck setzen könne –<br />
sondern vielmehr um das Abbiegen von<br />
Sanktionen, die national bedeutende Branchen<br />
treffen könnten. Die französische Regierung<br />
versuchte im Sinne der Pariser Industrielobby<br />
nach Kräften, ein durchaus<br />
plausibles Embargo für Waffenlieferungen<br />
zu verhindern: Die Staatswerft DCNS hätte<br />
sonst die Auslieferung zweier Hubschrauberträger<br />
an die russische Marine stoppen<br />
müssen. In Italien regte sich Widerstand<br />
gegen Sanktionen gegen Konzerne wie<br />
Gazprom, mit denen die Versorger Eni und<br />
Enel verbandelt sind. In Deutschland<br />
fürchtete Siemens, die <strong>vom</strong> Putin-Vertrauten<br />
Wladimir Jakunin geleitete Staatsbahn<br />
RZD könnte auf die Sanktionsliste geraten –<br />
und die Deutschen beim mehrere Milliarden<br />
teuren Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecken<br />
übergehen.<br />
Unter Druck steht auch British Petroleum<br />
(BP). Der Londoner Ölriese ist mittels<br />
Überkreuzbeteiligung mit dem russischen<br />
Staatskonzern Rosneft verbunden, seit beide<br />
im Oktober 2012 einen spektakulären<br />
Deal abschlossen: Rosneft übernahm für<br />
insgesamt gut 60 Milliarden Dollar den<br />
profitablen privaten Wettbewerber TNK-<br />
BP – die Briten ließen sich ihr 50-Prozent-<br />
Paket mit 17,1 Milliarden Dollar in bar und<br />
knapp 13 Prozent der Rosneft-Aktien versilbern.<br />
Seither intensiviert BP die strategische<br />
Zusammenarbeit mit Rosneft, wo der<br />
als staatskapitalistischer Hardliner bekannte<br />
Putin-Intimus Igor Setschin das Sagen<br />
hat. In den nächsten Tagen wird die EU<br />
darüber befinden, ob Rosneft auf die Sanktionsliste<br />
gesetzt wird. Für BP wäre es das<br />
Aus einer Geschäftsbeziehung, die dem<br />
Ölkonzern aus der Misere nach Milliardenverlusten<br />
helfen sollte.<br />
Starkes Engagement<br />
Deutsche Direktinvestitionen in Russland<br />
(in Milliarden Euro)<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
2000 2012<br />
Quelle: Deutsche Bundesbank<br />
Empfindlich würden Sanktionen auch<br />
die Lufthansa treffen. Denn auf den Linien<br />
nach Osten lebt die Fluglinie von Geschäftsleuten.<br />
„Wie lange Verhandlungen<br />
mit russischen Geschäftspartnern dauern,<br />
ist in der Regel nur schwer absehbar“, so<br />
ein Manager bei Luftfahrtkonzern Airbus<br />
Group. Für diese Flexibilität zahlt die<br />
Klientel mit bis zu 2000 Euro pro Reise ein<br />
Vielfaches dessen, was Privatreisende für<br />
ihre Tickets ausgeben.<br />
BANGE GEFÜHLE<br />
Es gibt nur wenige Unternehmen, die immer<br />
noch hoffen, die Lage könnte sich entspannen.<br />
Zu ihnen gehört der Düsseldorfer<br />
Konzern Henkel (Persil, Pril). Der<br />
Mischkonzern legte im ersten Quartal 2014<br />
beim Umsatz in Russland, der eine Milliarde<br />
Euro beträgt, sogar noch zu. Der dänische<br />
Henkel-Chef Kasper Rorsted erteilt allen<br />
Sanktionshysterien eine Absage: „Russland<br />
hat eine große Zukunft.“<br />
Mit bangen Gefühlen beobachtet dagegen<br />
Fraport-Chef Stefan Schulte die Lage in<br />
Russland. Europas größter Flughafenbetreiber<br />
hat im vergangenen Jahr 135 Millionen<br />
Euro in ein neues Terminal am Flughafen<br />
St. Petersburg gesteckt. „Wenn das<br />
Wachstum nachlässt und vor allem weniger<br />
Geschäftsreisende und Touristen fliegen,<br />
könnte das Investment zum Zuschussgeschäft<br />
werden“, fürchtet ein Insider.<br />
Die erhofften großzügigen Einkäufe<br />
von Luxusartikeln in den Duty-free-Shops<br />
an den Airports würden dann in St. Petersburg<br />
nicht mehr stattfinden – und für die<br />
Frankfurter Flughafenbetreiber der Rubel<br />
nicht mehr rollen.<br />
n<br />
andreas.wildhagen@wiwo.de,<br />
florian willershausen | Berlin, cornelius welp | Frankfurt,<br />
ruediger kiani-kress, mario brueck<br />
Kräftiger Einbruch<br />
Deutsche Exporte nach Russland<br />
(in Milliarden Euro)<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2010 2011 2012 2013 14<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt<br />
28 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS TRUSCHEL; ILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />
Reise ohne Kompass<br />
FRANK-WALTER STEINMEIER | Der Bundesaußenminister sucht nach<br />
seiner Rolle bei der Lösung blutiger Kriege und Konflikte.<br />
Für die bislang weiteste Reise dieser<br />
Amtszeit hat sich Frank-Walter Steinmeier<br />
frühmorgens aus dem Staub<br />
gemacht. Um kurz vor acht hebt am 17. Juli<br />
sein Regierungsflieger gen Mexiko ab, ein<br />
gutes Dutzend Wirtschaftsleute ist an Bord.<br />
Der SPD-Außenminister will zeigen, dass<br />
er die Interessen der Wirtschaft ernst<br />
nimmt. Der Tross kommt aber nur bis Kanada<br />
– da hat die Ukraine-Krise den deutschen<br />
Chefdiplomaten schon wieder eingeholt.<br />
Im Osten des Landes ist ein Passagierjet<br />
der Malaysia Airlines mit fast 300<br />
Menschen an Bord abgestürzt,<br />
womöglich abgeschossen von<br />
prorussischen Rebellen.<br />
Bohrende Fragen dazu warten<br />
schon, als Steinmeier in Mexiko-<br />
Stadt dem Airbus Theodor Heuss<br />
entsteigt. Seltsam abwesend<br />
wirkt er kurz darauf bei einer Zeremonie<br />
für die Erweiterung eines<br />
BMW-Werks. In Gedanken,<br />
Steinmeiers Blick verrät es, ist er bei dem<br />
blutigen Konflikt an Europas Grenze. Die<br />
Krise ist auch ein Test für die deutsche Diplomatie,<br />
der er anlässlich einer Grundsatzrede<br />
in München im Februar im Duett<br />
mit Bundespräsident Joachim Gauck mehr<br />
„Verantwortung für die Welt“ verordnet hat.<br />
Aufbruch ins Ungewisse Frank-Walter Steinmeier<br />
auf der Treppe zum Regierungsflieger<br />
Mehr Verantwortung – wie geht das? Für<br />
den Ernstfall hat Steinmeier keinen Kompass.<br />
Noch hat die Bundesregierung die<br />
neue Richtung gar nicht definiert, da marschiert<br />
Steinmeier schon im Eiltempo voran.<br />
Er stemmt sich gegen harte Sanktionen<br />
für Russland, wie sie die USA von Europa<br />
fordern – und hält stoisch Gesprächskanäle<br />
mit Russland offen. „Auch wenn wir<br />
den Druck auf Russland erhöhen, dürfen<br />
wir den Kontakt zur russischen<br />
Regierung nie abreißen lassen“,<br />
sagt Steinmeier zur Wirtschafts-<br />
Woche. Allerdings müsse Moskau<br />
sein Verhalten ändern und<br />
zur Deeskalation beitragen.<br />
„Mehr Diplomatie wagen“,<br />
könnte man Steinmeiers Ansatz<br />
nennen, der als Abgrenzung<br />
zur säbelrasselnden US-Politik<br />
verstanden werden kann.<br />
Was aber, wenn der schwer auszurechnende<br />
russische Präsident Wladimir Putin<br />
nur mit einem scharfen Embargo oder gar<br />
Gewalt zu stoppen ist? Steinmeiers Reputation<br />
wäre dahin, in der Kritik steht er jetzt<br />
schon. „Schafft er es dagegen, zu vermitteln,<br />
könnten sich die Deutsche mit ihrem<br />
hartnäckigen Primat der Diplomatie international<br />
Respekt verschaffen“, sagt Eberhard<br />
Sandschneider, Forschungsdirektor<br />
der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige<br />
Politik (DGAP). Und das sogar, ohne es sich<br />
mit dem eher pazifistischen Wahlvolk zu<br />
verscherzen.<br />
Davon dürfte die deutsche Wirtschaft<br />
ebenso profitieren. Außerhalb der EU haben<br />
immer mehr Unternehmen Ärger mit<br />
korrupten Bürokraten oder protektionistischen<br />
Gesetzen, hier können Diplomaten<br />
im Kleinen helfen. In der großen Politik<br />
könnten die Deutschen mit einer großen<br />
Portion Glaubwürdigkeit dem Freihandel<br />
neues Leben einhauchen – auch das ist ein<br />
Ziel „im Amt“ unter Führung des ambitionierten<br />
Frank-Walter Steinmeier. Der Trierer<br />
Politologe Hanns Maull spricht von der<br />
„ungewöhnlichen Fähigkeit“ der deutschen<br />
Außenpolitik, „Koalitionen mit anderen<br />
Akteuren zu schmieden und zu führen,<br />
ohne dominieren zu wollen“. Allerdings<br />
müsse man wissen, was man will.<br />
Das weiß niemand so recht. Der strategische<br />
Überbau von Steinmeiers neuer Außenpolitik<br />
fehlt. Bislang ist unklar, ob sich<br />
Deutschland nur als Schiedsrichter bei<br />
Konflikten versteht oder eingreifen würde –<br />
auch wenn der Einsatz zur Friedenssicherung<br />
zuletzt in Afghanistan krachend gescheitert<br />
ist. Offen ist, welche Rolle die<br />
Bundeswehr in der Außen- und Sicherheitspolitik<br />
künftig spielen soll. Wovon die<br />
Beschaffung von Drohnen abhängt, die der<br />
Wähler nicht will. Letzterer ist laut Umfragen<br />
sowieso mehrheitlich der Meinung,<br />
dass sich Deutschland bei internationalen<br />
Krisen „eher zurückhalten“ möge.<br />
AM ROCKSAUM<br />
Immerhin hat die Bundesregierung erkannt,<br />
dass die Deutschen in einer multipolaren<br />
Welt nicht am Rocksaum der Amerikaner<br />
kleben können, zumal die verstärkt<br />
nationale denn transatlantische Interessen<br />
verfolgen. Europa ist zwar wirtschaftspolitisch<br />
groß genug, um China oder den USA<br />
auf Augenhöhe zu begegnen, außen- und<br />
sicherheitspolitisch nimmt die Welt den<br />
28-Stimmen-Chor der Europäer aber nicht<br />
ernst. Was das Ausland konkret von<br />
Deutschland erwartet, will Frank-Walter<br />
Steinmeier mit einem Experiment namens<br />
Review herausfinden. Bis Ende des Jahres<br />
werden Experten aus aller Welt nach ihrer<br />
Meinung gefragt – im Frühjahr sollen die<br />
dann in eine außenpolitische Strategie einfließen.<br />
Das ist weltweit einmalig und<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 29<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
spricht für die Offenheit der Deutschen.<br />
Egal, wohin die Reise geht – schon jetzt hat<br />
Frank-Walter Steinmeier die Diplomatie<br />
aus ihrem Dornröschenschlaf geküsst:<br />
Selbstbewusstsein kehrt zurück, denn mit<br />
Steinmeiers Comeback erobern sich die<br />
Diplomaten ihre Deutungshoheit über außenpolitische<br />
Themen zurück; zuvor hatten<br />
sie moniert, Christoph Heusgen baue<br />
sich als Berater der Bundeskanzlerin Angela<br />
Merkel (CDU) ein „Neben-Außenministerium“<br />
auf. Dies lag auch daran, dass der<br />
vormalige Außenamtschef Guido Westerwelle<br />
(FDP) auf dem internationalen Parkett<br />
stets blass geblieben war. Zwar konnte<br />
er auch auf Englisch gut reden, ein echter<br />
Vermittler ist er aber nie geworden: In Konfliktlagen<br />
zeigte sich das Auswärtige Amt<br />
oft empört und verurteilte schnell – und<br />
dabei blieb es stets. Derlei Verbalblamagen<br />
sind unter Steinmeier selten geworden.<br />
Überhaupt wirkt Steinmeier wesentlich<br />
unverkrampfter als Westerwelle, der gleich<br />
zu Beginn seiner Amtszeit unberechtigt der<br />
Bevorzugung von FDP-Spezis bei Ministerreisen<br />
bezichtigt wurde (und danach oft<br />
gar keine Unternehmer mehr mit auf Reisen<br />
nahm). Der neue alte Außenminister<br />
nimmt bei jeder zweiten Reise Geschäftsleute<br />
Huckepack. Die Mexiko-Reise wirkt<br />
wie ein Erholungsaufenthalt für Steinmeier:<br />
Wirtschaftlich läuft es rund in diesem<br />
relativ offenen Land, wo 1700 deutsche Unternehmen<br />
investiert sind. „Mexiko ist als<br />
Brücke zwischen Nord- und Südamerika<br />
ein geradezu idealer Standort für deutsche<br />
Unternehmen“, sagt Steinmeier. „Unsere<br />
Interessen überschneiden sich in vielen<br />
Bereichen, etwa in der Klima- oder Handelspolitik.“<br />
Auf solche Bündnisse kommt<br />
es schließlich an in einer Zeit, da die Werte-<br />
und Regelsetzungsdominanz des Westens<br />
vorbei ist. Anders als Westerwelle<br />
lockt Steinmeier dass Bad in der Menge<br />
nicht, das Bierzelt ist dem Tischlersohn aus<br />
Ostwestfalen stets fremd geblieben. „Seinem<br />
Naturell entspricht es eher, stundenlang<br />
nach Kompromissen zu suchen“, sagt<br />
Volker Perthes, der ihn als Direktor der Stiftung<br />
Wissenschaft und Politik gut kennt.<br />
Zusehends fühlt sich Steinmeier wohler,<br />
als am zweiten Reisetag die Ukraine-Lage etwas<br />
sortierter ist. Sein Tross ist in die Provinz<br />
Guanajuato geflogen, wo er die neue Nivea-<br />
Fabrik von Beiersdorf eröffnet. Noch am<br />
Flughafen hat er sich den Schlips <strong>vom</strong> Hals<br />
gerissen, als ihn der braun gebrannte Gouverneur<br />
überaus leger begrüßt. Nun klam-<br />
Erholsamer Aufenthalt Steinmeier mit<br />
kleinen Mexikanern<br />
mert sich der Minister mit beiden Händen<br />
ans Rednerpult und sagt: „Die Fernsehzuschauer<br />
sehen mich ja meist, wenn ich in<br />
Krisengebiete reise. Aber ich bin froh, hier<br />
zu sein, denn hier bin ich am richtigen<br />
Platz.“ Bei Investoren wie Beiersdorf sehe<br />
man nämlich, wie „zwei Nationen an ihrer<br />
gemeinsamen Zukunft arbeiten“. Am Ende<br />
drückt Steinmeier auf den Start-Button und<br />
wundert sich ein bisschen, als ein Ton ertönt<br />
und hinter ihm wirklich das Band anläuft.<br />
DEUTSCHES MODELL<br />
In Europa ist es nicht so leicht wie hier,<br />
Dinge in Bewegung zu setzen. Es war ein<br />
Gedanke aus Steinmeiers erster Amtszeit,<br />
Russland über eine Modernisierungspartnerschaft<br />
politisch enger zu binden. Wenn<br />
ein autoritäres Land über weiche Faktoren<br />
wie Technologietransfer oder Berufsausbildung<br />
die Vorzüge des „deutschen Modells“<br />
kennenlernt, so das Kalkül damals,<br />
wird das auch auf die Politik abfärben. Diese<br />
„Wandel durch Handel“-Theorie, die auf<br />
die SPD-Ostpolitik zu Sowjetzeiten zurückgeht,<br />
nahm die Wirtschaft als Persilschein<br />
für Geschäfte in Autokratien dankend an.<br />
Heute gibt sich Steinmeier in Mexiko keine<br />
Mühe mehr, die Beziehungen mit den<br />
Prädikaten „strategisch“ oder „Modernisierung“<br />
zu versehen. In der Russlandpolitik<br />
ist das klug gedachte Konzept gescheitert –<br />
und eine Konsequenz ist die Ukraine-Krise,<br />
die den Minister bis ins fast 10 000 Kilometer<br />
entfernte Mexiko verfolgt.<br />
n<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
Ständig auf Achse<br />
Auslandsreisen von Bundesaußenminister<br />
Frank-Walter Steinmeier<br />
Norwegen<br />
(ohne EU-Ministertreffen) 1 Großbritannien(2)<br />
USA<br />
Mexiko<br />
Belgien(2)<br />
Frankreich (6)<br />
Spanien<br />
Schweiz<br />
Italien (3)<br />
Griechenland<br />
Katar<br />
VAE 6<br />
Baltikum<br />
Polen<br />
Russland 2 (2)<br />
Österreich<br />
Bosnien u. H. 5<br />
Ukraine 4 (4)<br />
Moldawien 3<br />
Georgien 3<br />
Türkei<br />
Libanon<br />
Israel (2)<br />
Palästina<br />
Mongolei<br />
China<br />
Japan<br />
Krisendiplomatie,<br />
Friedenssicherung,<br />
humanitäre Hilfe<br />
Wirtschaftsförderung<br />
Beziehungspflege<br />
Tunesien 3<br />
Äthiopien<br />
Angola<br />
Tansania<br />
1 Mehrfachbesuche in Klammern; 2 im Juni mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski; 3 mit dem französischen Außenminister Laurent Fabius;<br />
4 im Februar mit den Außenministern Frankreichs und Polens; 5 Bosnien und Herzegowina; 6 Vereinigte Arabische Emirate; Quelle: Auswärtiges Amt, eigene Recherchen<br />
FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS KÖHLER<br />
30 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Hasenfuß-Rennen<br />
GELDANLAGE | Wie Anleger ihr Aktiendepot absichern, warum Gold<br />
in Krisenzeiten der ideale Wertspeicher ist.<br />
ons höhere Wachstumsaussichten bei einer<br />
ähnlichen Bewertung wie der Dax versprach.<br />
In der Tat kletterten die durchschnittlichen<br />
Erträge der MDax-Unternehmen<br />
von 2009 bis 2013 etwa doppelt so<br />
stark wie die der Dax-Unternehmen.<br />
FOTO: REUTERS/BRENDAN MCDERMID; ILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />
Die Anleger an den Börsen erinnerten<br />
ihn an die Akteure beim „Hasenfuß-<br />
Rennen“ im James-Dean-Klassiker<br />
„...denn sie wissen nicht, was sie tun“,<br />
warnt Analyst Markus Reinwand von der<br />
Helaba in Frankfurt. Im Film rasen junge<br />
Männer in gestohlenen Autos auf eine<br />
Klippe zu. Wer zuerst aus dem Wagen<br />
springt, ist der Hasenfuß. Die meisten Akteure<br />
glaubten aktuell offenbar daran,<br />
rechtzeitig abspringen zu können.<br />
AUFWÄRTS MIT ANGST<br />
Reinwald macht das an Daten aus der<br />
jüngsten Investoren-Umfrage der Investmentbank<br />
BoA Merrill Lynch fest: Danach<br />
ist der Anteil der überproportional in Aktien<br />
engagierten Investoren mit 61 Prozent<br />
der zweithöchste der vergangenen 13 Jahre.<br />
Und dennoch liegt der Anteil der Anleger,<br />
die Aktien für zu teuer halten, auf dem<br />
höchsten Wert seit dem Crash-Mai 2000.<br />
„Angesichts einer überdurchschnittlich<br />
langen Phase ohne nennenswerte Kurskorrekturen<br />
unterliegen offenbar immer mehr<br />
Marktteilnehmer der sogenannten Kontrollillusion“,<br />
schlussfolgert der Analyst in<br />
seiner Studie von Mitte Juli.<br />
Verschärft sich die weltpolitische Krisenlage,<br />
springen die Investoren ab. Aber danach,<br />
so scheint es, geht das Rennen in die<br />
nächste Runde. Die Hausse im Dax indes<br />
steht auf zunehmend brüchigem Funda-<br />
Wer zuckt zuerst? Händler auf dem Parkett<br />
der New York Stock Exchange<br />
ment, getragen vor allem von billigem<br />
Geld, niedrigen Zinsen und der Alternativlosigkeit<br />
von Aktien. Angesichts ausgereizter<br />
Bewertungen dominierten inzwischen<br />
klar die Kursrisiken, warnt Reinwand. Das<br />
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der Dax-<br />
Werte auf Basis der von Analysten für 2014<br />
erwarteten Gewinne liegt mit<br />
12,7 am oberen Rand der in den<br />
vergangenen fünf Jahren beobachteten<br />
Spanne, die durchschnittliche<br />
Dividendenrendite<br />
von 3,1 Prozent dagegen am unteren<br />
Rand der Fünfjahresspanne.<br />
Die Schwankungsintensität<br />
der Kurse ist immer noch, trotz<br />
zuletzt zeitweise heftigerer Bewegungen<br />
im Zuge der politischen Krisen, sehr niedrig.<br />
Das alles signalisiert eine gewisse Sorglosigkeit<br />
der Anleger.<br />
Noch gefährlicher als im Dax scheint die<br />
Lage bei Nebenwerten aus dem MDax und<br />
TecDax. In der Hausse seit März 2009 legte<br />
der MDax, in dem 50 mittelgroße Aktien<br />
von Aareal Bank bis Wincor Nixdorf vertreten<br />
sind, um bis zu 270 Prozent zu, der Dax<br />
schaffte nur etwa 170 Prozent. Dem MDax<br />
kam zugute, dass er in der Frühphase der<br />
Hausse dank zahlreicher Hidden Champi-<br />
RÜCKSCHLAGSRISIKO IM MDAX<br />
Doch nun wächst die Gefahr, dass sich die<br />
Schere wieder schließt. Geht es nach den<br />
bisherigen Hochrechnungen der Banken,<br />
sollen die Unternehmensgewinne beider<br />
Indexfamilien in dieser Saison um etwa ein<br />
Fünftel zulegen. Schon damit hätte der<br />
MDax keinen Vorsprung mehr. Dass seine<br />
Unternehmen bei den im vergangenen<br />
Jahr real erwirtschafteten Gewinnmargen<br />
etwa um ein Drittel schwächer abschnitten<br />
als der Dax, ist ein Warnsignal. Noch immer<br />
werden MDax-Aktien mit einem KGV<br />
von 17 deutlich höher gehandelt als die<br />
Dax-Aktien mit ihrem 13er-KGV.<br />
Gerechtfertigt ist das nicht mehr. Das<br />
Rückschlagrisiko im M-Dax ist damit noch<br />
höher als das im Dax. Besonders schwach<br />
gelaufen ist aus dem MDax zuletzt der stark<br />
in Russland engagierte Generikahersteller<br />
Stada. Auch die Gewinnwarnung des Baukonzerns<br />
Bilfinger, der mit mehr Ingenieurdienstleistungen<br />
und weniger klassischem<br />
Bau eigentlich stabilere Erträge liefern<br />
wollte, hat Investoren verschreckt. Im<br />
TecDax demonstrierten Medizintechniker<br />
Dräger und die Software AG, dass Gelddrucken<br />
der Notenbanken und Niedrigzinsen<br />
allein sicher nicht Wohlstand und höhere<br />
Unternehmensgewinne garantieren.<br />
Im Gegenteil, meint Eberhardt<br />
Unger, Volkswirt von<br />
Fairesearch: „Je weiter die Leitzinsen<br />
sinken, desto weniger<br />
nützen sie zur Stimulierung.“<br />
Wenn ein Unternehmen nicht<br />
bei einem Leitzins von zwei Prozent<br />
investiere, werde es das<br />
auch nicht bei einem Prozent<br />
tun, aus Sorge, für neue Produkte<br />
keine Abnehmer zu finden. „Bei einer<br />
Senkung auf 0,15 Prozent“, so Unger,<br />
„schrillen Alarmglocken, die Notenbank<br />
scheint ja einen schweren Konjunktureinbruch<br />
zu befürchten.“<br />
Der könnte etwa von der Rohstoffseite<br />
kommen. Sollte der Westen tatsächlich<br />
verschärfte Sanktionen gegen Russland beschließen,<br />
dürften nicht nur die Gaspreise<br />
in Europa anziehen, sondern auch die<br />
Preise für Öl, Nickel, Kupfer, Aluminium,<br />
Weizen und Palladium. Damit rechnen die<br />
Rohstoffanalysten der Commerzbank.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 31<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Physische Reserve außerhalb des Finanzsystems?<br />
Goldkeller der Deutschen Börse<br />
Russland gehöre bei diesen Rohstoffen<br />
zu den weltgrößten Produzenten. Steigende<br />
Rohstoffpreise aber, vor allem steigende<br />
Energiepreise, erzeugen Inflationsdruck.<br />
Die Eskalation im Konflikt zwischen Israel<br />
und der Hamas und die Lage im Norden<br />
Iraks und in Libyen treiben den Ölpreis.<br />
Gold gilt als Krisenprofiteur, und es bietet<br />
Anlegern bei Inflation Schutz vor Kaufkraftverlusten<br />
ihrer Heimatwährung. So<br />
folgten auf die beiden Ölkrisen in den Siebzigerjahren<br />
jeweils starke Preisschübe<br />
beim Gold. Überschießt der Ölpreis aber<br />
nach oben, brechen Konjunktur und Investitionen<br />
ein. Nachdem der Ölpreis zum<br />
Beispiel 2008 auf 150 Dollar pro Barrel<br />
schoss, kollabierte die Weltwirtschaft.<br />
Die Folgen: schwächere Unternehmensgewinne,<br />
höhere Arbeitslosigkeit und<br />
schrumpfende Steuereinnahmen. Die Vermögenspreise<br />
gerieten unter Druck,<br />
Zwangsverkäufe klammer Investoren erhöhten<br />
diesen. Das könnte vorübergehend<br />
auch wieder beim Goldpreis passieren,<br />
wenn etwa an den virtuellen Goldmärkten,<br />
an denen Gold in Form von Derivaten und<br />
börsennotierten Fonds (ETF) gehandelt<br />
wird, Investoren Geld brauchen, um an anderer<br />
Stelle Verluste zu decken.<br />
Dass die physische Nachfrage nach Gold<br />
weltweit einbricht, ist gerade wegen der<br />
dann zunehmenden Verunsicherung der<br />
Anleger unwahrscheinlich. Zumal auch die<br />
Solvenz von Banken wieder hinterfragt<br />
würde. Denn im Abschwung drohen bei ihnen<br />
noch mehr Kredite faul zu werden.<br />
Eine zunehmende Konfrontation des<br />
Westens mit Russland könnte das Systemrisiko<br />
an die Finanzmärkte auch direkt zurückbringen.<br />
Um die Märkte in Unruhe zu<br />
versetzen, reichte vermutlich schon ein<br />
<strong>vom</strong> Kreml administrierter Zahlungsausfall<br />
eines russischen Unternehmens. Europas<br />
Banken hängen mit am Fliegenfänger.<br />
Laut einer am Mittwoch veröffentlichten<br />
Statistik der Bank für internationalen Zahlungsausgleich<br />
hatten europäische Banken<br />
per Ende April 177 Milliarden Dollar nach<br />
Russland vergeben. Französische Banken<br />
hatten Forderungen über 50,3 Milliarden,<br />
177Milliarden<br />
Dollar haben Europas<br />
Banken nach Russland<br />
vergeben<br />
italienische über 27 Milliarden und deutsche<br />
über 23 Milliarden Dollar.<br />
Ein Totalausfall ist unwahrscheinlich.<br />
Goldanleger aber werden nicht müde zu<br />
betonen, dass immer nur ein Bruchteil der<br />
sofort abrufbaren Kundeneinlagen bei<br />
Banken durch Bargeld und Reserven bei<br />
der EZB gedeckt ist. Das System funktioniert<br />
nur, solange Kunden ihr Geld auf dem<br />
Konto lassen. Der Run auf die bulgarischen<br />
Banken im Juni, der nur durch eine EU-Hilfe<br />
über 1,7 Milliarden Euro gestoppt werden<br />
konnte, erinnert an den flüchtigen<br />
Charakter des Bankensystems. Jürgen<br />
Stark, Ex-Vizepräsident der Bundesbank,<br />
bezeichnete unser Geldsystem unlängst als<br />
„pure Fiktion“. Er empfiehlt Anlegern, einen<br />
Teil ihrer „fiktionalen Ersparnisse“ gegen<br />
einen Zusammenbruch des Systems<br />
zu schützen und auch in Gold anzulegen.<br />
GOLD ALS NOTFALLRESERVE<br />
Tatsächlich bietet physisches Gold eine Reserve<br />
außerhalb des Finanzsystems. „Physisch<br />
bedeutet, dass ich immer zu meinem<br />
Safe gehen, meine Barren und Münzen<br />
rausnehmen und am Markt verkaufen<br />
kann, wenn ich das muss“, sagt der Schweizer<br />
Vermögensverwalter Felix Zulauf.<br />
Sollte die Wirtschaft der geopolitischen<br />
Krisen wegen einbrechen, dürften die Zentralbanken<br />
die Dosis der Geldschöpfung<br />
wieder stark erhöhen. Gold aber ist, anders<br />
als Dollar oder Euro, nicht beliebig vermehrbar.<br />
„Mich interessiert nicht, wohin<br />
der Goldpreis geht. Im Vergleich zu dem<br />
Wert, den es besitzt, wenn ich die Versicherung<br />
tatsächlich brauchen sollte, ist Gold<br />
billig“, bringt es ein Hamburger Kaufmann<br />
auf den Punkt. Diese Absicherung kann<br />
über Jahre aber auch nur Geld kosten, wie<br />
eine Versicherungspolice.<br />
Das gleiche Prinzip hilft bei Aktien. Auf<br />
lange Sicht brauchen Anleger diese, weil sichere<br />
Zinspapiere nicht mal die Inflation<br />
ausgleichen. Verluste im Depot lassen sich<br />
über Zertifikate (siehe Tabelle) abfedern,<br />
die bei fallenden Börsen profitieren.<br />
Im James-Dean-Film übrigens kommt<br />
einer der beiden Helden nicht mehr aus<br />
dem Auto raus, er rast über die Klippe. Ein<br />
Hasenfuß zu sein kann sich auszahlen. n<br />
frank.doll@wiwo.de, hauke reimer | Frankfurt, anton riedl<br />
Vier gegen die Krise<br />
Zertifikate und Verkaufsoptionsscheine für eine Absicherung gegen Kursrückschläge<br />
Derivat (Emittentin)<br />
Faktor-Shortzertifikat auf<br />
Dax (Deutsche Bank)<br />
Faktor-Shortzertifikat auf<br />
MDax (Commerzbank)<br />
Put-Optionsschein auf<br />
Dax (HSBC Trinkaus)<br />
Put-Optionsschein auf<br />
MDax (Deutsche Bank)<br />
Funktion<br />
* in Euro; Quelle: Banken, Thomson Reuters<br />
Wandelt tägliche Verluste im Index mit vierfachem<br />
Hebel in Kursgewinne um; kein Knockout,<br />
keine Laufzeitgrenze; für kurz- bis mittelfristige<br />
Absicherung geeignet<br />
Wandelt Indexverluste derzeit mit siebenfachem<br />
Hebel in Kursgewinne um; Laufzeit bis 17. Juni<br />
2015; für kurzfristige Absicherung und vor allem<br />
gegen scharfe Indexrückschläge geeignet<br />
ISIN<br />
DE000DE9SRT7<br />
DE000CZ34NN3<br />
DE000TD0H4P1<br />
DE000DX75V78<br />
Kurs/<br />
Stoppkurs*<br />
2,45/1,72<br />
2,70/1,89<br />
4,65/2,33<br />
0,92/0,46<br />
Trend angeknackst<br />
Wertentwicklung deutscher Aktien (Dax, in<br />
Punkten) seit Mitte 2013<br />
10 500<br />
10 000<br />
9500<br />
9000<br />
8500<br />
8000<br />
7500<br />
2013<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
2014<br />
FOTO: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
32 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: SASCHA PFLAEGING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, JAKOB HOFF<br />
NEW YORK | Die<br />
App ersetzt fast<br />
alles – das Hotel,<br />
die eigene Küche<br />
und auch das Taxi.<br />
Von Martin Seiwert<br />
Teilen statt<br />
besitzen<br />
Unser Fahrer Raza ist<br />
adrett gekleidet, sein Auto<br />
eine blitzblank polierte,<br />
schwarze Limousine. Vor<br />
vier Minuten habe ich in<br />
eine Smartphone-App getippt,<br />
dass ich zum Flughafen in Newark<br />
will. Ich habe in der App gesehen, wie<br />
Raza aussieht, dass ihn seine Kunden mit<br />
4,7 von 5 Sternen bewerten, wo sich sein<br />
Wagen gerade befindet, und stand dann<br />
mit Familie und Gepäck kaum am Bordstein,<br />
als er um die Ecke bog. 61 Dollar<br />
kostet uns die Fahrt – in den meist abgewetzten<br />
Taxis von New York, die man am<br />
Straßenrand herbeibetteln muss, wären<br />
es zehn Dollar mehr gewesen.<br />
Die Fahrt hat Uber (<strong>vom</strong> deutschen<br />
„über“) vermittelt. Die App ist neuester<br />
Auswuchs der Sharing Economy: Kunden<br />
teilen Güter, statt sie zu besitzen: Die Reinigung<br />
ersetzt die eigene Waschmaschine,<br />
die Restaurant-App die Einbauküche, der<br />
Community Garden in der Baulücke den<br />
Balkon, die über das Internet gebuchte<br />
Privatwohnung das Hotelzimmer.<br />
Und nun also Uber, wo Privatwagen als<br />
Taxis fungieren. Vor vier Jahren in San<br />
Francisco gegründet, ist Uber heute in<br />
130 Städten aktiv und revolutioniert mit<br />
Kampfpreisen die Taxi-Welt. Uber wird<br />
mit 18,2 Milliarden Dollar bewertet, mit<br />
mehr als die fusionierten US-Airlines<br />
United und Continental. Die Mission des<br />
Gründers Travis Kalanick: in Städten<br />
das eigene Auto überflüssig zu machen.<br />
Zumindest in New York, wo ein Parkplatz<br />
um die 500 Dollar pro Monat kostet, ist<br />
dieses Ziel nicht sehr verwegen.<br />
Es scheint, als würde New York immer<br />
mehr zur Kommune. Aber eine, in der alle<br />
ans Geld denken.<br />
Martin Seiwert ist Korrespondent der<br />
WirtschaftsWoche in New York.<br />
BILDUNG | Die Durchschnittsnoten der allgemeinen<br />
Hochschulreife sind besser denn je – als Trostpflaster<br />
für stressige Reformen? Von Christian Schlesiger<br />
Abi(tor)tur<br />
Führt weniger Unterricht zu besseren<br />
Noten? Chef-Philologe Meidinger<br />
Die Oberschlauen sitzen in<br />
Thüringen. Im Schnitt kamen<br />
Abiturienten aus Erfurt, Jena<br />
oder Gera zwischen 2008 und<br />
2012 auf die Abschlussnote 2,3 – so gut<br />
wie nirgendwo sonst in Deutschland. Da<br />
wollten andere Länder aufschließen und<br />
förderten ihre Schülerelite. Der bundesweite<br />
Abi-Schnitt verbessert sich seit Jahren –<br />
noch nie war er so gut wie dieses Jahr.<br />
Deutschlands Kinder werden also wieder<br />
Dichter und Denker, so scheint es. Doch<br />
spätestens seit der Vorsitzende des Deutschen<br />
Philologenverbands, Heinz-Peter<br />
Meidinger, die „Noteninflation“ als „nicht<br />
zufällig“, sondern als „Methode“ bezeichnete,<br />
streitet Berlin wieder um Bildung.<br />
Schuld sei vor allem das G8, so der Vorsitzende<br />
der Organisation, die bundesweit<br />
90 000 Pauker vertritt. Einige Landesregierungen<br />
hätten „softere“ Beurteilungsmaßstäbe<br />
angelegt, um die Akzeptanz für<br />
die verkürzte Schulzeit zu erhöhen. Der Vorwurf:<br />
Bestnoten als G8-Stresspflaster. Dadurch<br />
werde das „einst so hoch geschätzte“<br />
deutsche Abitur massiv entwertet.<br />
Mal wieder muss die Verkürzung der<br />
gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre herhalten,<br />
um einen vermeintlichen Negativtrend<br />
zu erklären. Andererseits: Waren es<br />
nicht gerade Eltern, Ärzte und, ja, Lehrer,<br />
die das G8 rüffelten, weil es den Druck der<br />
Schüler unangemessen erhöhe?!<br />
Die Antwort ist: Nein. Das G8 hat die Bildungsrepublik<br />
in Bewegung gebracht, zum<br />
Positiven. Leider versuchen Kritiker, die alten<br />
Zeiten schönzureden, als in der Oberstufe<br />
jede vierte Stunde ausfiel, in der zweiten<br />
Hälfte der Stufe 13 kein vernünftiger<br />
Unterricht mehr zustande kam und nachmittags<br />
sowieso frei war. G9 ist überflüssig.<br />
Das zeigen Leistungsvergleiche von<br />
Doppeljahrgängen mit gleichen Prüfungsklausuren.<br />
G8-Schüler schneiden kaum<br />
schlechter ab als G9ler. 2013 brachten<br />
G8-Schüler in Nordrhein-Westfalen gar<br />
bessere Noten mit nach Hause.<br />
Sollte der Befund eines ominösen Leistungsschwunds<br />
bei heutigen Abiturienten<br />
stimmen, so könnte auch das viel gelobte<br />
Zentralabitur eine Mitschuld tragen.<br />
In Ländern wie NRW und Niedersachsen,<br />
die lange ohne zentrale Abi-Prüfung auskamen,<br />
lagen die Durchschnittsnoten früher<br />
schlechter als im Bundesschnitt. Nun<br />
robben sie sich an bessere Noten heran.<br />
Bundesweit gibt es zudem bald einen<br />
„gemeinsamen Aufgabenpool“, „auf den<br />
die Länder bei ihren Abiturprüfungen ab<br />
2016/17 zurückgreifen können“, sagt<br />
Sylvia Löhrmann, grüne Schulministerin in<br />
NRW und Präsidentin der Kultusministerkonferenz.<br />
Alles geschehe mit wissenschaftlicher<br />
Begleitung. Damit werde „die Sorge<br />
entkräftet, dass die Politik das Abitur leichter<br />
oder schwerer machen will“. Sagt sie.<br />
Eltern und Schülern ist das egal. Vielen<br />
bleibt das Turbo-Abi G8 suspekt. Hamburger<br />
entscheiden bald per Volksbegehren,<br />
Bayern tüftelt am freiwilligen Flexijahr, und<br />
Niedersachsen kehrt zu G9 zurück. Das ist<br />
der falsche Weg: Es sollte einfach mal Ruhe<br />
einkehren. In Thüringen und Sachsen gibt<br />
es seit 1949 fast ununterbrochen das Abitur<br />
nach acht Jahren – diese Kontinuität<br />
bringt Erfolg. Beide Länder schneiden in<br />
Vergleichstests besser ab als andere Länder.<br />
Dort gab es keine chaotische Umstellung<br />
auf G8. In Mathe, Physik und Chemie<br />
erhalten Schüler mehr Wochenstunden.<br />
Bundesbildungsministerin Johanna<br />
Wanka (CDU) hat daher Sympathien für<br />
G8. Sie wolle aber „nicht Schulmeister“ der<br />
Länder sein. Sie wünsche sich nur „keine<br />
Rückkehr zu ideologischen Auseinandersetzungen“.<br />
Doch da ist Deutschland schon<br />
mittendrin – leider.<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 33<br />
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Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | Jetzt mischt sich<br />
auch die Bundesbank in die Lohnpolitik<br />
ein. Die Arbeitgeber sind<br />
sauer – zu Recht. Von Bert Losse<br />
Frankfurter Pulle<br />
An ungebetene Ratschläge<br />
aus der Politik<br />
haben sich die Firmenchefs<br />
gewöhnt.<br />
Pünktlich zu großen Tarifrunden<br />
geben Parteivertreter gern<br />
zu Protokoll, man wolle sich ja<br />
nicht in die Tarifautonomie einmischen<br />
– aber kräftig steigende<br />
Löhne wären doch eine<br />
schöne Sache. Aus einer anderen<br />
Ecke hingegen kam derartiger<br />
Rückenwind für die Gewerkschaften<br />
in den vergangenen<br />
50 Jahren eher selten – von der<br />
Deutschen Bundesbank.<br />
Umso erstaunlicher ist, was<br />
eine Bundesbank-Delegation<br />
um Chefvolkswirt Jens Ulbrich<br />
jüngst bei einem Besuch des<br />
Deutschen Gewerkschaftsbunds<br />
im Gepäck hatte. Die Gewerkschaften<br />
könnten ruhig<br />
mehr Gas geben und den Verteilungsspielraum<br />
in den Tarifrunden<br />
voll ausschöpfen, so die<br />
Empfehlung der Notenbanker<br />
an die verdutzten DGB-Funktionäre.<br />
Nach der gängigen Lohnformel<br />
setzt sich dieser Spielraum<br />
aus der Inflationsrate und<br />
der Produktivitätsentwicklung<br />
zusammen. Die Bundesbank-<br />
Ökonomen empfehlen, nicht die<br />
tatsächliche (niedrige) Inflation<br />
als Referenzgröße zu nehmen,<br />
sondern die Zielmarke der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB) von<br />
knapp unter zwei Prozent.<br />
KOSTEN STEIGEN<br />
Nun spricht überhaupt nichts<br />
gegen steigende Löhne. Die Beschäftigten<br />
am Erfolg des Unternehmens<br />
zu beteiligen sollte eine<br />
Selbstverständlichkeit für<br />
jeden Arbeitgeber sein. Die Frage<br />
ist nur, wie kräftig der<br />
Schluck aus der Pulle ausfallen<br />
darf – die Lohnzurückhaltung<br />
der vergangenen Dekade war<br />
schließlich der Grundstein für<br />
eine formidable Entwicklung am<br />
Arbeitsmarkt, um die uns heute<br />
ganz Europa beneidet. Und<br />
Lohnzurückhaltung bedeutet im<br />
Kern, den beschäftigungsneutralen<br />
Verteilungsspielraum<br />
eben nicht voll auszuschöpfen.<br />
Daher ist der Vorstoß der Bundesbank<br />
irritierend. Ihre Ökonomen<br />
dürften wissen, dass die Arbeitskosten<br />
in Deutschland 2013<br />
wieder deutlich stärker zugelegt<br />
haben als in der EU insgesamt –<br />
und dass die Lohnzuwächse im<br />
ersten Halbjahr 2014 nominal so<br />
hoch ausfielen wie seit 15 Jahren<br />
nicht mehr. Dass die Frankfurter<br />
Währungshüter die Gewerkschaften<br />
ausgerechnet vor der<br />
wichtigen Tarifrunde in der Metallindustrie,<br />
wo Ende Dezember<br />
die Verträge auslaufen, zu einem<br />
aggressiveren Kurs ermuntern,<br />
ist auch politisch ungeschickt.<br />
ANGST VOR DEFLATION<br />
Offenbar folgt nun auch die<br />
Bundesbank der Strategie der<br />
EZB, aus Angst vor einer Deflation<br />
die Inflationsrate in die Höhe<br />
zu treiben. Dazu sind kräftige<br />
Lohnsteigerungen in der Tat geeignet.<br />
Doch wo, bitte schön, ist<br />
die Deflation? Im Juni lag die<br />
Teuerungsrate in Deutschland<br />
bei 1,0 Prozent, und weiter runter<br />
geht es nach Bundesbank-<br />
Prognosen nicht. Im Gegenteil:<br />
In ihrem Monatsbericht von Juni<br />
schreiben die Notenbanker, die<br />
Preissteigerung könnte „sich<br />
auf 1,5 Prozent im kommenden<br />
und 1,9 Prozent im darauf folgenden<br />
Jahr erhöhen“.<br />
Der DGB reagierte übrigens<br />
verhalten auf die Einlassungen<br />
zur Tarifpolitik. Vorstandsmitglied<br />
Stefan Körzell: „Bislang<br />
haben wir das ohne Tipps der<br />
Bundesbank gut hingekriegt.“<br />
NEW ECONOMICS<br />
Ursache und Wirkung<br />
Ein breites kulturelles Angebot in einer Stadt ist schön<br />
– aber für das Wirtschaftswachstum bringt es so gut<br />
wie nichts. Das behauptet eine neue Studie.<br />
Die Erzählung <strong>vom</strong> Aufstieg<br />
Berlins ist so einleuchtend wie<br />
falsch. Nach der Wende wurde<br />
die Hauptstadt erst zum Mekka<br />
für Draufgänger und Künstler.<br />
Später zog das offene Klima<br />
junge Kreative an. Die begannen<br />
nach einigen Jahren Startups<br />
zu gründen – und heute ist<br />
Berlin eine wirtschaftliche<br />
Boomstadt.<br />
So weit die Legende. In Wahrheit<br />
aber haben Kultur und<br />
Wirtschaftswachstum wenig<br />
miteinander zu tun, schreiben<br />
jetzt die Forscher Thomas Bauer,<br />
Philipp Breidenbach und<br />
Christoph Schmidt <strong>vom</strong> Rheinisch-Westfälischen<br />
Institut für<br />
Wirtschaftsforschung (RWI) in<br />
Essen. Sie sind der Frage nachgegangen,<br />
ob sich für Städte Investitionen<br />
in die Kultur ökonomisch<br />
lohnen.* Theoretisch<br />
erscheint dieser Effekt schlüssig.<br />
Die Basis von wirtschaftlicher<br />
Leistung ist in erster Linie<br />
Humankapital. Wo neues<br />
Wachstum entstehen soll, da<br />
müssen sich begabte Menschen<br />
versammeln. Eine verbreitete<br />
These macht die Kreativität gar<br />
zum Ausgangspunkt dieser Entwicklung.<br />
Künstlerisch kreative<br />
Menschen bilden demnach den<br />
Kernpunkt von Kompetenzclustern<br />
und machen einen Ort<br />
zum attraktiven Lebensmittelpunkt.<br />
In der Folge siedeln sich<br />
die hoch Qualifizierten an.<br />
Die Autoren nehmen sich in<br />
ihrer Untersuchung nun die bedeutendste<br />
wissenschaftliche<br />
Studie zum Thema vor. Unter<br />
dem Titel „Phantom of the Opera“<br />
hatte vor drei Jahren ein Forscherteam<br />
um den deutschen<br />
Ökonomen Oliver Falck <strong>vom</strong> ifo<br />
Bauer, Thomas, Breidenbach, Philipp,<br />
Schmidt, Christoph M.: „Phantom<br />
of the Opera“ or „Sex in the City“?, Ruhr<br />
Economic Papers 2014<br />
Barocke Pracht Das Markgräfliche<br />
Opernhaus Bayreuth<br />
Institut den vermeintlichen Beleg<br />
für die These erbracht. Anhand<br />
historischer Daten zeichneten<br />
sie nach, dass Standorte<br />
mit einer Tradition als Kulturstandort<br />
(Sitz eines barocken<br />
Opernhauses) heute prosperierender<br />
seien als Standorte ohne<br />
diese Tradition.<br />
Die RWI-Forscher bezweifeln<br />
diese These und stellen zunächst<br />
die Bedeutung der reinen<br />
statistischen Korrelation<br />
infrage. Dafür untersuchen sie<br />
als Alternativen zwei offensichtlich<br />
abwegige Erklärungsvariablen:<br />
Bordelle und Brauereien.<br />
Zumindest statistisch hängen<br />
auch diese stark mit dem Wirtschaftswachstum<br />
eines Standorts<br />
zusammen.<br />
In der Folge nehmen die Forscher<br />
dann die Variable unter<br />
die Lupe, die aus ihrer Sicht tatsächlich<br />
den Unterschied<br />
macht:die historische Rolle einer<br />
Stadt als administrativer<br />
Standort. Diese Variable erklärt<br />
statistisch nicht nur die spätere<br />
Ansammlung von Humankapital,<br />
sondern auch die kulturelle<br />
Leistungsfähigkeit selbst. Mit<br />
anderen Worten: Kulturelle<br />
Einrichtungen sind eine Folge<br />
allgemeiner Prosperität – und<br />
nicht deren Ursache.<br />
konrad.fischer@wiwo.de<br />
FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/LE FIGARO MAGAZINE<br />
34 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />
Schwierigere Zeiten für<br />
die Exportwirtschaft<br />
Stagnation auf hohem Niveau<br />
Exportklima und Ausfuhren<br />
0,25<br />
0,20<br />
0,15<br />
0,10<br />
0,05<br />
0<br />
–0,05<br />
–0,10<br />
–0,15<br />
–0,20<br />
–0,25<br />
Exporte (real,<br />
saisonbereinigt,<br />
Veränderung zum<br />
Vorjahr in Prozent)<br />
Die politische Krise zeigt Wirkung:<br />
Um 30 Prozent sind die<br />
deutschen Exporte in die Ukraine<br />
im ersten Halbjahr gegenüber<br />
dem Vorjahr eingebrochen.<br />
Das Minus bei den Ausfuhren<br />
nach Russland beläuft sich auf<br />
14 Prozent oder rund 1,67 Milliarden<br />
Euro (siehe Seite 18).<br />
Das bringt die robuste deutsche<br />
Exportwirtschaft zwar nicht um,<br />
zeigt aber deutlich, dass viele<br />
Unternehmen in schwierigeres<br />
Fahrwasser geraten sind. Und<br />
die Perspektiven bleiben vorerst<br />
mau: Die Exporterwartung im<br />
verarbeitenden Gewerbe fiel<br />
im Juni auf 11,1 Saldenpunkte,<br />
nach 14,7 Zählern im Mai.<br />
Auch andere Frühindikatoren<br />
deuten nicht gerade auf einen<br />
bevorstehenden Boom hin.<br />
Der <strong>vom</strong> Münchner ifo Institut<br />
exklusiv für die WirtschaftsWoche<br />
erstellte Exportklimaindex<br />
verharrte im Juni auf seinem<br />
Vormonatswert von 0,39 Saldenpunkten<br />
(siehe Grafik). Der<br />
Indikator bündelt den realen<br />
Außenwert des Euro – also die<br />
preisliche Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Ausfuhrwirtschaft –<br />
sowie das Konsum- und Geschäftsklima<br />
auf unseren wichtigsten<br />
Absatzmärkten.<br />
Während sich die preisliche<br />
Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure<br />
wegen einer leichten<br />
Abwertung des Euro gegenüber<br />
dem Dollar geringfügig verbesserte,<br />
sei die Stimmungslage<br />
bei den Handelspartnern sehr<br />
heterogen, schreiben die ifo-<br />
Ökonomen in ihrer Analyse für<br />
die WirtschaftsWoche. „In<br />
Frankreich, Japan und Russland<br />
verschlechtern sich die Erwartungen<br />
der Firmen schon seit<br />
mehreren Monaten.“ In China<br />
seien die Unternehmen zwar<br />
wieder optimistischer, allerdings<br />
„befindet sich der entsprechende<br />
Index weiter auf<br />
unterdurchschnittlichem<br />
Niveau“. Besonders dynamisch<br />
präsentiert sich hingegen<br />
Großbritannien: Die Einschätzungen<br />
der dortigen Unternehmen<br />
sind so positiv wie<br />
noch nie im gesamten Messzeitraum<br />
seit 1991.<br />
¹ Geschäfts- und Konsumklima auf den wichtigsten Absatzmärkten Deutschlands sowie<br />
realer Außenwert des Euro (Indexpunkte); Quelle: ifo<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
Exportklimaindikator<br />
1<br />
08 09 10 11 12 13 14<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
–0,5<br />
–1,0<br />
–1,5<br />
–2,0<br />
–2,5<br />
–3,0<br />
–3,5<br />
Industrie etwas<br />
optimistischer<br />
Die Stimmung in der deutschen<br />
Industrie hat sich im Juli leicht<br />
verbessert. Der <strong>vom</strong> Londoner<br />
Forschungsinstitut Markit erhobene<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
legte überraschend um 0,9 auf<br />
52,9 Punkte zu. Ökonomen hatten<br />
eine Stagnation im Vergleich<br />
zum Vormonat erwartet.<br />
Der Frühindikator liegt damit<br />
weiterhin über der Marke von<br />
50 Punkten, ab der gemeinhin<br />
Expansion einsetzt. Der entsprechende<br />
Index für den<br />
Dienstleistungssektor kletterte<br />
um 2,0 auf 56,6 Punkte.<br />
In der Euro-Zone insgesamt<br />
ging es hingegen leicht abwärts.<br />
Der Einkaufsmanagerindex für<br />
die Privatwirtschaft (Industrie<br />
plus Dienstleistungen) sank im<br />
Juli um 0,7 auf 52,8 Zähler. Markit<br />
hatte für sein Konjunkturbarometer<br />
rund 5000 Unternehmen<br />
befragt. Besonders<br />
schlecht war dabei der Wert für<br />
Frankreich.<br />
Volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung<br />
Real. Bruttoinlandsprodukt<br />
Privater Konsum<br />
Staatskonsum<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Bauinvestitionen<br />
Sonstige Anlagen<br />
Ausfuhren<br />
Einfuhren<br />
Arbeitsmarkt,<br />
Produktion und Preise<br />
Industrieproduktion 1<br />
Auftragseingänge 1<br />
Einzelhandelsumsatz 1<br />
Exporte 2<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
GfK-Konsumklimaindex<br />
Verbraucherpreise 3<br />
Erzeugerpreise 3<br />
Importpreise 3<br />
Arbeitslosenzahl 4<br />
Offene Stellen 4<br />
Beschäftigte 4, 5<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
0,7<br />
0,8<br />
1,0<br />
–4,0<br />
–1,4<br />
3,4<br />
3,2<br />
1,4<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
–0,9<br />
–4,2<br />
0,1<br />
4,3<br />
105,0<br />
46,7<br />
5,9<br />
2,0<br />
1,6<br />
2,1<br />
2896<br />
478<br />
29006<br />
0,5<br />
0,9<br />
0,4<br />
–2,4<br />
–0,2<br />
3,0<br />
0,9<br />
1,5<br />
–0,2<br />
2,5<br />
0,3<br />
1,0<br />
106,9<br />
50,6<br />
6,5<br />
1,5<br />
–0,1<br />
–2,5<br />
2950<br />
435<br />
29370<br />
I/13<br />
0,0<br />
0,3<br />
0,0<br />
–1,4<br />
–1,5<br />
–0,9<br />
–0,7<br />
0,2<br />
März<br />
2014<br />
–0,8<br />
–2,8<br />
0,6<br />
–1,8<br />
110,7<br />
53,7<br />
8,5<br />
1,0<br />
–0,9<br />
–3,3<br />
2917<br />
445<br />
29701<br />
II/13 III/13 IV/13<br />
Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />
1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />
Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />
alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />
0,7<br />
0,7<br />
–0,2<br />
0,5<br />
1,7<br />
1,6<br />
2,5<br />
1,5<br />
April<br />
2014<br />
–0,3<br />
3,4<br />
–1,6<br />
2,6<br />
111,2<br />
54,1<br />
8,5<br />
1,3<br />
–0,9<br />
–2,4<br />
2882<br />
447<br />
29736<br />
0,3<br />
0,3<br />
0,7<br />
0,1<br />
2,1<br />
1,4<br />
–0,1<br />
0,8<br />
Mai<br />
2014<br />
–1,8<br />
–1,7<br />
–0,6<br />
–1,1<br />
110,4<br />
52,3<br />
8,5<br />
0,9<br />
–0,8<br />
–2,1<br />
2907<br />
445<br />
–<br />
0,4<br />
–0,3<br />
–0,3<br />
1,4<br />
0,2<br />
1,2<br />
2,5<br />
1,3<br />
Juni<br />
2014<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
109,7<br />
52,0<br />
8,6<br />
1,0<br />
–0,8<br />
–<br />
2916<br />
450<br />
–<br />
I/14<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,4<br />
3,3<br />
3,6<br />
–0,8<br />
0,2<br />
2,2<br />
Juli<br />
2014<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
52,9<br />
8,9<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Letztes Quartal<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
2,5<br />
1,1<br />
0,5<br />
6,0<br />
10,2<br />
3,3<br />
5,5<br />
6,2<br />
Letzter Monat<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
3,5<br />
7,8<br />
1,9<br />
3,9<br />
3,6<br />
2,4<br />
30,9<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–1,1<br />
3,5<br />
1,5<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 35<br />
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Der Volkswirt<br />
Der Einzug ihrer Nationalmannschaft<br />
ins WM-<br />
Finale, mit dem die<br />
meisten Argentinier nicht gerechnet<br />
hatten, war eine willkommene<br />
Ablenkung. Nun<br />
muss sich das Land wieder dem<br />
Alltag widmen – und der ist<br />
nicht weniger dramatisch als<br />
das Endspiel im Maracanã-<br />
Stadion: Argentinien steht zwölf<br />
Jahre nach seinem aufsehenerregenden<br />
Zahlungsstopp erneut<br />
am Rande eines Crashs.<br />
Damals hatte das Pampaland<br />
seine Zahlungen auf 100 Milliar-<br />
WELTWIRTSCHAFT den Dollar Auslandsschulden für Argentinien hochriskant –<br />
eingestellt; es war eine der größten<br />
Staatspleiten aller Zeiten. In<br />
Nur Scheinblüten deren Folge strich die Regierung<br />
den Gläubigern in zwei Umschuldungsrunden<br />
70 Prozent<br />
Argentiniens Abstieg von einer reichen Volkswirtschaft<br />
ihrer Anleihenwerte.<br />
zum protektionistischen Chaosstaat zeigt, wohin<br />
Heute ist die Lage ähnlich vertrackt<br />
– doch diesmal für Argen-<br />
Reformverweigerung führen kann.<br />
tinien. Hedgefonds haben das<br />
Land in den USA erfolgreich auf<br />
die vollständige Zurückzahlung<br />
ihrer Kredite verklagt. Sie wollen<br />
sich nicht mit den angebotenen<br />
30 Prozent der Kredite abspeisen<br />
lassen. Argentinien muss<br />
nun für deren Tilgung und die<br />
aufgelaufenen Zinsen vollständig<br />
geradestehen – und kann<br />
erst dann seine anderen Schulden<br />
zurückzahlen.<br />
Stadt der Reichen Die argentinische<br />
Metropole Buenos Aires<br />
Bald pleite? Präsidentin Kirchner<br />
muss Hedgefonds auszahlen<br />
KEINE KREDITE MEHR<br />
Noch lehnt Präsidentin Cristina<br />
Kirchner dies ab. Doch wenn<br />
die viertgrößte Volkswirtschaft<br />
Lateinamerikas ihre Gläubiger<br />
nicht bis zum 31. Juli bezahlt,<br />
ist das Land von den internationalen<br />
Finanzmärkten isoliert.<br />
Pensionsfonds und andere<br />
Großinvestoren dürfen Staaten,<br />
die von den Ratingagenturen<br />
als Zahlungsausfall eingestuft<br />
werden, keine Kredite mehr<br />
geben. Nicht mal mehr von der<br />
Weltbank oder dem Internationalen<br />
Währungsfonds (IWF)<br />
bekäme Argentinien dann<br />
Geld. Es wäre die vierte Zahlungskrise<br />
Argentiniens in drei<br />
Dekaden – und wieder drohen<br />
katastrophale Folgen: Bereits<br />
jetzt steckt das Land in der Stagflation.<br />
Die Wirtschaft dürfte<br />
2014 im besten Falle stagnieren.<br />
Gleichzeitig könnte die Inflationsrate<br />
bis Jahresende auf rund<br />
45 Prozent hochschnellen,<br />
warnt die Investmentbank JP<br />
Morgan. Bei einem Default<br />
droht eine tiefe Rezession wie<br />
2002, als die Wirtschaft infolge<br />
des Zahlungsstopps um 20 Prozent<br />
schrumpfte.<br />
Damit nicht genug: Die Devisenreserven<br />
sind auf 28 Milliarden<br />
Dollar gesunken – vor zwei<br />
Jahren waren es fast doppelt so<br />
viel. Eine leere Devisenkasse ist<br />
ohne Dollar kann die Regierung<br />
keine Medikamente, Lebensmittel<br />
oder Treibstoffe importieren.<br />
Es sieht also schlecht aus für<br />
das Pampaland. Wieder mal.<br />
Wie kein anderes Land erlebt<br />
Argentinien regelmäßig schwere<br />
Krisen – und das schon seit<br />
einem Jahrhundert. Seine historische<br />
Konjunkturkurve gleicht<br />
einem Herzdiagramm. In dessen<br />
Verlauf ist aus Argentinien,<br />
der einstigen Blüte Südamerikas,<br />
ein Krisenstaat geworden,<br />
mit instabilen Institutionen, einer<br />
ineffizienten Wirtschaft und<br />
chaotischen Politik.<br />
Vor einem Jahrhundert installierte<br />
das britische Luxuskaufhaus<br />
Harrods seine erste überseeische<br />
Auslandsfiliale in<br />
Buenos Aires. In der Hauptstadt<br />
fuhr die erste U-Bahn Südamerikas.<br />
Im Teatro Colón sang<br />
Caruso. Die Argentinier waren<br />
reicher als die Franzosen oder<br />
Deutschen. Seitdem geht es<br />
langsam, aber stetig bergab. Es<br />
gäbe vier Arten von Ökonomien<br />
weltweit, sagt der Wirtschafts-<br />
Nobelpreisträger Simon Kuznets:<br />
„Entwickelte und unterentwickelte<br />
Staaten, Japan – und<br />
Argentinien.“ In dieser Sonderrolle<br />
sehen sich die Argentinier<br />
auch selbst:Es gibt wenige Nationen,<br />
die ihren Abstieg so leidenschaftlich,<br />
ja fast genussvoll<br />
analysieren und sezieren – und<br />
denen es dabei noch gelingt,<br />
sich als einzigartig darzustellen.<br />
Argentinier seien Italiener, die<br />
Spanisch sprechen, gerne Engländer<br />
wären und glaubten, in<br />
Paris zu leben, spottete der<br />
Schriftsteller Jorge Luis Borges.<br />
Argentiniens Pleitestatistik<br />
hat handfeste Gründe. Sie zeigt,<br />
dass auch reiche Länder absteigen<br />
können, wenn sie nicht<br />
ständig reformieren und an der<br />
Produktivität ihrer Unternehmen<br />
und Institutionen feilen.<br />
„Wir Argentinier halten uns immer<br />
für cleverer als den Rest der<br />
Welt“, sagt der argentinische<br />
Ökonom Claudio Loser, langjähriger<br />
Direktor des IWF. So mutete<br />
Argentinien bei den zwei Um-<br />
FOTOS: MAURITIUS IMAGES/AGE, REUTERS/ARGENTINE PRESIDENCY<br />
36 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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schuldungsrunden 2005 und<br />
2010 den Anleihebesitzern nicht<br />
nur exorbitant hohe Verluste zu.<br />
Der damalige Präsident Néstor<br />
Kirchner beschimpfte die Gläubiger<br />
auch noch als gierig. Auch<br />
als Argentinien jetzt von der US-<br />
Justiz verdonnert wurde, Hegdefonds<br />
den Nominalwert ihrer<br />
Forderungen zurückzuzahlen,<br />
zeterte Kirchners Gattin Cristina,<br />
seine Nachfolgerin im Präsidentenamt,<br />
über „gierige Geierfonds“.<br />
Mit seitengroßen<br />
Anzeigen in internationalen Tageszeitungen<br />
empört sie sich<br />
nun über die vermeintliche Ungerechtigkeit.<br />
Bei den Vereinten<br />
Nationen, bei der Organisation<br />
Amerikanischer Staaten, beim<br />
BRICS-Gipfel vergangene Woche<br />
in Brasilien – überall drängt<br />
sie andere Staaten zu Solidaritätsbekundungen<br />
(die freilich<br />
eher dürftig ausfallen).<br />
Ein anderer Grund für den<br />
unaufhaltsamen Abstieg ist – so<br />
zynisch es klingt – der immer<br />
noch hohe Lebensstandard vieler<br />
Argentinier. Zwar beziehen<br />
inzwischen 40 Prozent der Argentinier<br />
in irgendeiner Form<br />
staatliche Zuschüsse. Doch insgesamt<br />
haben in Südamerika<br />
nur Chile und Uruguay die Argentinier<br />
beim Pro-Kopf-Einkommen<br />
überholt. Eine zwar<br />
schrumpfende, aber noch stattliche<br />
Anzahl unter den 41 Millionen<br />
Argentiniern kann relativ<br />
mühelos recht angenehm leben.<br />
Daher mag die politische und<br />
wirtschaftliche Elite nicht ernsthaft<br />
am Status quo rütteln –<br />
geschweige denn Strukturreformen<br />
angehen.<br />
WICHTIGER AGRARSEKTOR<br />
Trotz aller Krisen ist die 13-Millionen-Metropole<br />
Buenos Aires<br />
immer noch eine wunderbare<br />
Stadt mit hoher Lebensqualität –<br />
für diejenigen, die sie sich leisten<br />
könnten. Etwa die Bewohner<br />
des aufwendig restaurierten Hafenwohnviertels<br />
Puerto Madero<br />
mit seinen Kunstmuseen, Luxushotels<br />
und schicken Bars. In<br />
den neuen Hochhäusern des<br />
Ausgehviertels mit Blick auf den<br />
Río de la Plata wohnen reiche<br />
Argentinier, um ihr Geld vor der<br />
Inflation zu schützen – oder um<br />
es zu waschen, wie einem jeder<br />
Taxifahrer erklärt.<br />
Finanziert wird das Überleben<br />
des argentinischen Wirtschaftsmodells<br />
mit der Notenpresse –<br />
und durch die Besteuerung der<br />
Agrarindustrie. Deren Exporte<br />
sorgten in der Vergangenheit<br />
stets verlässlich für Milliardeneinnahmen.<br />
Wer die Hauptstadt<br />
in Richtung der Feuchtpampa<br />
verlässt, kommt nach ein paar<br />
Autostunden in eine andere<br />
Welt. Die Autobahnen sind gut<br />
ausgebaut, die Traktoren neuen<br />
Datums. Es gibt kaum noch Rinder<br />
auf den Weiden, wie noch<br />
So gehen die Gauchos<br />
Wirtschaftswachstum und Inflation in Argentinien (in Prozent)<br />
12<br />
8<br />
4<br />
0<br />
–4<br />
–8<br />
BIP-Wachstum<br />
–12 1980 2014<br />
Quelle: IWF, Oxford Economics, JP Morgan<br />
vor einer Dekade. Dazu sind die<br />
Pampaböden zu wertvoll: 10000<br />
Dollar kostet ein Hektar mittlerweile.<br />
Deswegen wird jeder<br />
Quadratmeter intensiv genutzt,<br />
für Mais, Weizen, Reis, Sonnenblumen<br />
und Soja.<br />
Das Problem: Der Staat greift<br />
sich laut Landwirtschaftsverband<br />
Sociedad Rural rund 75<br />
Prozent <strong>vom</strong> Gewinn der Landwirte.<br />
Die Farmer würden geschröpft,<br />
schimpft der Verband.<br />
Daher investieren die Agrarbetriebe<br />
immer weniger und<br />
haben ihre globale Spitzenposition<br />
verloren. Seit 2006 ist Argentinien<br />
<strong>vom</strong> dritten Platz als<br />
Rindfleischexporteur auf Rang<br />
zwölf abgestiegen. Das Land<br />
exportiert nur noch ein Viertel<br />
der Getreidemenge im Vergleich<br />
zu 2006 – auch weil die<br />
Regierung Weizenexporte verbietet,<br />
um die Mehlpreise niedrig<br />
zu halten.<br />
Das zeigt, wo das Kernproblem<br />
Argentiniens liegt – am<br />
schwachen politischen Führungspersonal.<br />
Gleich sechsmal<br />
putschten seit 1930 die Militärs<br />
und hinterließen stets ein<br />
politisches wie wirtschaftliches<br />
Chaos. Aber auch in demokratischen<br />
Phasen setzten die Bürger<br />
bei Wahlen lieber auf schillernde<br />
Populisten, anstatt<br />
langweilige Reformingenieure<br />
zu unterstützen. Das galt für die<br />
legendären Pérons genauso wie<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
Inflationsrate<br />
0 1991 2014<br />
für die späteren Präsidenten<br />
Carlos Menem, Néstor Kirchner<br />
und seine Gattin Cristina. Sie alle<br />
wurden inmitten schwerer<br />
Krisen gewählt, und sie einte<br />
der Versuch, die Probleme lieber<br />
durch Protektionismus zu<br />
lösen, als mühselig zu reformieren<br />
und die Produktivität des<br />
Standortes zu verbessern.<br />
Selbst die lange hochgelobte<br />
Dollar-Bindung des Peso in den<br />
Neunzigerjahren, die die Inflation<br />
beseitigen und die Wirtschaft<br />
modernisieren sollte,<br />
führte nur zu einer Scheinblüte.<br />
Im Doing-Business-Ranking<br />
der Weltbank, das die Rahmenbedingungen<br />
für Unternehmen<br />
misst, zählt Argentinien zu den<br />
wirtschaftsfeindlichsten Standorten<br />
weltweit (Platz 126 von<br />
189 Staaten). Beim Korruptions-Index<br />
von Transparency<br />
International steht das Land auf<br />
Platz 106 unter 177 Ländern.<br />
„Ein Drittel unserer Wirtschaft<br />
kann auf dem Weltmarkt überleben<br />
– zwei Drittel nicht“, sagt<br />
Sérgio Berensztein, ein politischer<br />
Analyst. Er sieht neben<br />
Landwirtschaft, Bergbau und<br />
Tourismus keine konkurrenzfähigen<br />
Branchen mehr im Land.<br />
VIEL PROTEKTIONISMUS<br />
Dabei herrscht unter Ökonomen<br />
Konsens, dass Argentiniens<br />
Wirtschaft saniert werden<br />
könnte: Die Unternehmen sind<br />
kaum verschuldet. Das aktuelle<br />
Haushaltsdefizit ist mit rund<br />
drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) akzeptabel – zumal<br />
die staatlichen Subventionen<br />
bei Energie und Transport<br />
knapp fünf Prozent <strong>vom</strong> BIP betragen<br />
und gestrichen werden<br />
könnten. Würde der Staat der<br />
Wirtschaft Rechtssicherheit verschaffen<br />
und die Unternehmen<br />
in Ruhe lassen, könnte sich die<br />
Konjunktur erholen. Doch die<br />
Staatsbürokratie kontrolliert<br />
nicht nur den Devisenfluss, sondern<br />
entscheidet auch willkürlich,<br />
welche Produkte importiert<br />
werden dürfen und welche<br />
nicht. Kein Wunder, dass die<br />
Welthandelsorganisation WTO<br />
Argentinien gerade wegen seiner<br />
protektionistischen Politik<br />
verurteilt hat und über Sanktionen<br />
berät.<br />
Zumindest einen Großinvestor<br />
stört das nicht. Chinas Präsident<br />
Xi Jinping sagte Argentinien<br />
Mitte Juli 7,5 Milliarden<br />
Dollar an Krediten für den Bau<br />
von zwei Wasserkraftwerken<br />
und einer Eisenbahnlinie zu.<br />
Für Präsidentin Kirchner war<br />
das der Beweis, dass Argentinien<br />
weiterhin ein begehrter Investitionsstandort<br />
ist. Bei der<br />
Schuldenkrise helfen die Milliarden<br />
von Chinas Entwicklungsbank<br />
jedoch nicht:Die<br />
Kredite sind projektbezogen.<br />
alexander.busch@wiwo.de | São Paulo<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 37<br />
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Der Volkswirt<br />
DENKFABRIK | Wie stark beeinflussen Moral und Fairnessregeln unsere ökonomischen<br />
Entscheidungen – und welche Rolle spielt der Eigennutz? Wer das Modell des rationalen<br />
Homo oeconomicus im Museum für Ideengeschichte abladen will, übersieht einen<br />
zentralen Punkt: Auch die Moral ist vielfach interessengeleitet. Von Friedrich Heinemann<br />
Zurück durch die Hintertür<br />
Der Homo oeconomicus<br />
ist schwer in die<br />
Defensive geraten.<br />
Manche sagen: Er ist<br />
tot. Die Vorstellung, menschliche<br />
Entscheidungen seien<br />
überwiegend durch die kalte<br />
Maximierung des eigenen<br />
materiellen Vorteils geprägt,<br />
erscheint vielen Menschen als<br />
einseitig und zynisch. Hinzu<br />
kommen vielfältige empirische<br />
Erkenntnisse, dass Fairness-<br />
Gesichtspunkte und moralische<br />
Normen das Verhalten<br />
stark beeinflussen.<br />
So zeigen etwa Laborexperimente,<br />
dass Menschen materielle<br />
Verluste hinnehmen, nur<br />
um ein als ungerecht empfundenes<br />
Verhalten zu bestrafen.<br />
Das gilt sogar für Teilnehmer,<br />
die nicht selber von unfairem<br />
Verhalten betroffen sind. Und<br />
nicht nur in der experimentellen<br />
Ökonomik, auch in der realen<br />
Welt lässt sich der Einfluss der<br />
Moral nachweisen. Die Steuerzahler<br />
hinterziehen bei Weitem<br />
nicht so viele Steuern, wie es<br />
ein Modell des Eigennutzes angesichts<br />
niedriger Entdeckungswahrscheinlichkeiten<br />
nahelegen<br />
würde. Die Bürger betrügen<br />
den Sozialstaat keinesfalls bei<br />
jeder Gelegenheit, die sich bietet.<br />
Und es ist nicht alleine die<br />
Angst vor Strafe, die Menschen<br />
von Verbrechen abhält, sondern<br />
auch das Gewissen.<br />
MACHTVOLLE ROLLE<br />
Gehört der Homo oeconomicus<br />
somit endgültig ins Museum der<br />
ökonomischen Ideengeschichte?<br />
Diese Schlussfolgerung wäre<br />
in mehrfacher Hinsicht falsch.<br />
Zunächst besagt die beschriebene<br />
Empirie ja mitnichten,<br />
dass Eigennutz irrelevant wäre.<br />
Selbst wenn moralische Normen<br />
einen Einfluss etwa auf das Ausmaß<br />
der Steuerhinterziehung<br />
haben, so spielen natürlich die<br />
Höhe der Steuern oder die Entdeckungswahrscheinlichkeit<br />
eine<br />
nachweisbare Rolle für das Ausmaß<br />
der Hinterziehung. Dass es in<br />
jüngster Zeit zu einer Welle von<br />
Selbstanzeigen gekommen ist,<br />
dürfte kaum auf eine massenhafte<br />
moralische Bekehrung der Vermögenden<br />
zurückzuführen sein. Vielmehr<br />
wirkt offenbar die mit den<br />
Steuer-CDs und grenzüberschreitendem<br />
Informationsaustausch<br />
Moralische Normen<br />
sind nicht<br />
unabänderlich,<br />
sondern werden<br />
situationsbedingt<br />
interpretiert.<br />
gestiegene Wahrscheinlichkeit<br />
von Entdeckung und Strafe. Die<br />
Steuerhinterzieher reagieren nun<br />
völlig rational: Weil die „Lotterie“<br />
der Hinterziehung nun mehr Nieten<br />
(Entdeckung) als Gewinne (unentdeckte<br />
Hinterziehung) enthält,<br />
wird sie weniger attraktiv.<br />
Aber noch in einer fundamentaleren<br />
Hinsicht ist der Homo oeconomicus<br />
machtvoller, als seine<br />
Kritiker suggerieren. Moralische<br />
Normen und Fairness-Regeln sind<br />
nämlich nicht unabänderlich.<br />
Sie werden situationsbedingt interpretiert<br />
und verändern sich<br />
im Zeitverlauf. In diesem Kontext<br />
spielt das Eigeninteresse eine<br />
machtvolle Rolle. So zeigt sich in<br />
der Analyse von Umfragedaten<br />
ein bemerkenswertes Muster:<br />
Menschen mit höherem Einkommen<br />
haben tendenziell eine niedrigere<br />
Steuermoral als Menschen<br />
mit geringem Einkommen. Umgekehrt<br />
haben Menschen mit niedrigem<br />
Einkommen weniger Skrupel,<br />
den Sozialstaat zu betrügen, als<br />
Gutverdiener. Diese Muster stehen<br />
im auffälligen Einklang mit<br />
dem Eigeninteresse. Ein Reicher<br />
kann sich eine strenge Sozialstaats-Moral<br />
leisten, weil er ohnehin<br />
keine Gelegenheit hat, den<br />
Wohlfahrtsstaat zu betrügen. Bei<br />
den Steuern sieht es anders aus,<br />
hier wäre eine hohe Moral für<br />
Menschen mit hohem Einkommen<br />
kostspielig.<br />
Mit anderen Worten: Eine moralische<br />
Norm verliert an Überzeugungskraft,<br />
wenn die Kosten ihrer<br />
Befolgung hoch sind. Psychologen<br />
ist diese Anpassung von<br />
Normen und Gerechtigkeitsvorstellungen<br />
an das Eigeninteresse<br />
als „self-serving bias“ bekannt.<br />
Dieses Phänomen führt dazu,<br />
dass wir Normen situationsbedingt<br />
nach unserem Vorteil auslegen.<br />
Längerfristig hat es zur Folge,<br />
dass Normen sich im Einklang<br />
mit dem Eigeninteresse der Menschen<br />
entwickeln und dann womöglich<br />
auch erodieren. So gibt<br />
es Hinweise darauf, dass ein großzügiger<br />
Sozialstaat über die Jahrzehnte<br />
die Ehrlichkeit im Umgang<br />
mit Sozialleistungen untergräbt.<br />
In gewissem Ausmaß basteln<br />
sich Individuen und Gesellschaften<br />
ihre Normen so zurecht,<br />
dass sie nicht zu viele materielle<br />
Einschränkungen mit sich bringen.<br />
EINFLUSS NEHMEN<br />
Auch die Anbieter moralischer<br />
Normen – religiöse Gemeinschaften<br />
oder auch säkulare Organisationen<br />
– verfolgen oft ein<br />
Eigeninteresse, wenn sie versuchen,<br />
Einfluss auf die Ausbildung<br />
von Normen zu nehmen.<br />
So gibt es empirische Hinweise,<br />
dass religiöse Gemeinschaften<br />
Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung<br />
besonders<br />
kritisch sehen, wenn sie in einer<br />
engen Beziehung zum Staat<br />
stehen – und insofern ein Eigeninteresse<br />
an ehrlichen Steuerzahlern<br />
haben. Säkulare Interessengruppen,<br />
die sich<br />
moralisch äußern, verfolgen<br />
ebenfalls ihr Eigeninteresse –<br />
wenn etwa eine Interessengruppen<br />
heimischer Produzenten<br />
den Protektionismus moralisch<br />
unterfüttert.<br />
Diese Überlegungen zeigen:<br />
Der Nachweis, dass moralische<br />
Vorstellungen menschliches<br />
Verhalten beeinflussen, widerlegt<br />
mitnichten den machtvollen<br />
Einfluss des materiellen<br />
Eigeninteresses. Der Homo<br />
oeconomicus betritt die moralisch<br />
ausgeleuchtete Bühne<br />
des menschlichen Handelns<br />
selbstbewusst und einflussreich<br />
durch den Hintereingang.<br />
Friedrich Heinemann leitet<br />
den Forschungsbereich Öffentliche<br />
Finanzen am Zentrum für<br />
Europäische Wirtschaftsforschung<br />
(ZEW) in Mannheim.<br />
FOTOS: PR, ULLSTEIN-BILD/CARO<br />
38 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Geheime Mission<br />
CYBERABWEHR | Den Kopf frustriert in den Sand stecken und vor der technischen Überlegenheit<br />
ausländischer Geheimdienste kapitulieren? Oder die Ärmel hochkrempeln<br />
und eine Sicherheitsoffensive starten? Ein Jahr nach den Enthüllungen des ehemaligen<br />
NSA-Agenten Edward Snowden zeigen Sicherheitschefs deutscher Unternehmen der<br />
WirtschaftsWoche, wie sie sich vor Spionage- und Sabotageattacken schützen.<br />
Spezialisten für Spionageabwehr<br />
arbeiten lieber im Verborgenen.<br />
Wenn allerdings Hans-Georg<br />
Maaßen als Präsident des Bundesamtes<br />
für Verfassungsschutz<br />
(BfV) quasi der oberste Schlapphut der Republik<br />
die Wirtschaft zum Erfahrungsaustausch<br />
nach Berlin einlädt, dann verlassen<br />
auch die sonst so scheuen Sicherheitschefs<br />
kleiner und großer deutscher Unternehmen<br />
ihre Wagenburg und plaudern ansonsten<br />
sorgsam gehütete Interna aus.<br />
An diesem Donnerstag im Mai hat Volker<br />
Ressler, Leiter Corporate Protection<br />
and Security beim Stuttgarter Autozulieferer<br />
Bosch, gerade als Vertreter eines spionagegefährdeten<br />
Technologiekonzerns auf<br />
dem Podium Platz genommen, als der Moderator<br />
die Frage aller Fragen stellt: „Kennen<br />
Sie eigentlich Ihre Kronjuwelen?“<br />
Kronjuwelen – so nennen Unternehmen<br />
ihre kostbarsten Schätze. Früher wurden<br />
sie im Panzerschrank aufbewahrt, jetzt liegen<br />
sie auf – hoffentlich gut abgeschirmten<br />
– Rechnern. Meist sind es Ergebnisse langjähriger<br />
Forschungs- und Entwicklungsarbeit.<br />
Auch sensible Kundendaten und Angebote<br />
bei Ausschreibungen zählen dazu.<br />
Umso überraschter sind die Teilnehmer<br />
des Symposiums, dass ausgerechnet der<br />
Vertreter von Robert Bosch – mit einem<br />
Jahresbudget von 4,5 Milliarden Euro eines<br />
der forschungsintensivsten Unternehmen<br />
in Deutschland – erstmals ein ehrliches<br />
Geständnis ablegt: „Wir sind dabei, unsere<br />
Kronjuwelen kennenzulernen.“ Wow.<br />
Bosch kennt seine wertvollsten Schätze<br />
(noch) nicht. Wer hätte das gedacht.<br />
Der Auftritt des Sicherheitschefs ist<br />
symptomatisch für die Stimmung in den<br />
Unternehmen. Seit den Enthüllungen des<br />
ehemaligen NSA-Agenten Edward<br />
Snowden ist klar: Deutschland mit seinen<br />
High-Tech-Unternehmen gehört zu den<br />
Top-Zielen ausländischer Geheimdienste.<br />
Fast jedes dritte deutsche Unternehmen ist<br />
in den vergangenen Jahren Opfer eines Cyberangriffs<br />
geworden, ergab eine repräsentative<br />
Umfrage des ITK-Branchenverbandes<br />
Bitkom. Laut Studie des Virenschutzanbieters<br />
McAfee liegt Deutschland mit einem<br />
Schaden von 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
an der Spitze der betroffenen<br />
Länder – weit vor den USA und Japan.<br />
Zudem bleiben Angreifer viel zu lange unentdeckt,<br />
wie der jüngste Bedrohungsbericht<br />
des kalifornischen IT-Sicherheitsanbieters<br />
Fireeye zeigt: Durchschnittlich 229<br />
Tage braucht ein Unternehmen, um Datendieben<br />
auf die Spur zu kommen.<br />
Wie reagieren deutsche Unternehmen<br />
auf diese verschärfte Bedrohungslage? Die<br />
WirtschaftsWoche wollte es genauer wissen.<br />
Das Ergebnis der zahlreichen Gespräche<br />
mit Unternehmens- und Sicherheitschefs:<br />
Manche haben den Ernst der Lage<br />
noch nicht erkannt, andere kennen die Gefahren,<br />
kapitulieren aber vor der technischen<br />
Überlegenheit der Geheimdienste<br />
und anderer Angreifer. Die dritte Gruppe<br />
krempelt die Ärmel hoch und erhöht die<br />
Sicherheitsvorkehrungen noch weiter. Viele<br />
dieser Unternehmen wollen ihre Abwehrstrategien<br />
nicht offenlegen. Das, so erklären<br />
sie unisono, würde nur die Angreifer<br />
provozieren, noch aggressivere Attacken<br />
zu fahren. Das Risiko will keiner eingehen.<br />
Ein paar zur Nachahmung empfohlene<br />
Puzzlesteine aus ihrem Gesamtkonzept<br />
haben sie dann aber doch verraten. Schon<br />
dieser kleine Ausschnitt zeigt: In der deutschen<br />
Wirtschaft gibt es Pioniere, die den<br />
Kampf gegen Geheimdienste und straff organisierte<br />
Cyberbanden aufnehmen.<br />
Spezialeinheit<br />
mit Hackern<br />
Daimler, Stuttgart-Möhringen. Die ehemalige<br />
Unternehmenszentrale ist jetzt das<br />
Reich von Sabine Wiedemann. Von hier<br />
aus wehrt die 50-Jährige, die seit dreieinhalb<br />
Jahren an der Spitze der Konzernsicherheit<br />
steht, Attacken gegen die PCs und<br />
Smartphones der weltweit 275000 Mitarbeiter<br />
des Autobauers ab. Die Sicherheitsspezialistin,<br />
die einst beim Bundeskriminalamt<br />
arbeitete, ist eine von wenigen<br />
Frauen in dieser fast ausschließlich von<br />
Männern dominierten Szene. Vielleicht ist<br />
das einer der Gründe, warum sie anders<br />
mit der Abwehr von Spionage- und Sabotageangriffen<br />
umgeht als viele Kollegen. Der<br />
Arbeit der Sicherheitsabteilungen dürfe<br />
nicht länger die Aura des Geheimnisvollen<br />
anhaften: „Wir müssen viel offener damit<br />
umgehen.“<br />
Den Snowden-Enthüllungen gewinnt sie<br />
deshalb auch Positives ab: Plötzlich fänden<br />
Verbesserungsvorschläge zur Cyberabwehr,<br />
die früher abgeschmettert wurden,<br />
ganz oben und ganz unten viel mehr Gehör.<br />
Das gesamte Unternehmen sei „sensibilisiert“.<br />
Die Chance müsse man nutzen.<br />
Daimler gehört zu den Dax-Unternehmen<br />
mit den höchsten Sicherheitsvorkehrungen:<br />
So gibt es längst ein Lagezentrum,<br />
das weltweit und rund um die Uhr jeden<br />
noch so kleinen Sicherheitsvorfall erfasst<br />
und verfolgt. Um die IT inklusive der Se-<br />
»<br />
FOTO: BERNHARD HASELBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
40 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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DAIMLER<br />
Sabine Wiedemann<br />
Die Chefin der Konzernsicherheit<br />
lenkt die Abwehr von<br />
Attacken auf alle PCs und<br />
Smartphones der weltweit<br />
275 000 Mitarbeiter des Autobauers.<br />
Wiedemann ist eine<br />
von wenigen Frauen in einer<br />
von Männern dominierten<br />
Szene. Um Sicherheitslücken<br />
aufzuspüren, setzt sie auch<br />
auf eine hausinterne Hackertruppe,<br />
die das Firmennetz<br />
ständig attackiert.<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 41<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
curity-Lösungen kümmern sich 600<br />
Spezialisten der Tochtergesellschaft Daimler<br />
TSS. Trotzdem ist Wiedemann bewusst,<br />
dass man sich auf dem Erreichten nicht<br />
ausruhen darf: „Vollständige Sicherheit<br />
kann nur eine Momentaufnahme sein.“ Bei<br />
der Cyberabwehr müsse man neue, unkonventionelle<br />
Wege einschlagen.<br />
Darum arbeitet an einem geheimen Ort<br />
eine Spezialeinheit fest angestellter Hacker.<br />
Als einer von wenigen deutschen<br />
Konzernen hat Daimler beschlossen, das<br />
eigene Firmennetz permanent selbst zu attackieren,<br />
um Schwachstellen und Sicherheitslücken<br />
schneller aufzuspüren. „Es<br />
bringt mehr, wenn wir die Sicht eines außenstehenden<br />
Angreifers einnehmen“, sagt<br />
Lüder Sachse, als Chief Information Security<br />
Officer einer von Wiedemanns engsten<br />
Mitarbeitern.<br />
Die Reaktionen auf Snowden<br />
Welche Konsequenzen deutsche Unternehmen<br />
aus dem NSA-Abhörskandal ziehen*<br />
31 %<br />
23 %<br />
13 %<br />
11 %<br />
49 %<br />
Wir haben unsere Sicherheitsanforderungen<br />
an IT- und Telekomdienstleister<br />
erhöht<br />
Wir werden in den nächsten zwölf<br />
Monaten aus Sicherheitsbedenken keine<br />
Cloud-Dienste in Anspruch nehmen<br />
Wir haben konkret geplante Cloud-<br />
Projekte zurückgestellt<br />
Wir haben bestehende Cloud-Projekte<br />
aufgegeben<br />
Wir haben vorerst keine<br />
Konsequenzen gezogen<br />
* Mehrfachnennungen möglich; Quelle: KPMG; Bitkom<br />
Aus der Arbeit der Hacker hat der Autobauer<br />
folgende Lehre gezogen: „Die Widerstandsfähigkeit<br />
der IT-Systeme muss so<br />
hoch geschraubt sein, dass es für den Angreifer<br />
zu aufwendig wird“, sagt Wiedemann.<br />
Die meisten geben nach wenigen<br />
Stunden auf und wenden sich einem anderen<br />
Ziel zu.<br />
Aus diesem Grund werde die bisherige<br />
Sicherheitsphilosophie überdacht. Vielen<br />
Unternehmen reiche es, die Checklisten<br />
zusammen mit den IT-Sicherheitsbeauftragten<br />
der Standorte abzuarbeiten. „Trotz<br />
abgehakter Checkliste kann es bei Härtetests<br />
schlechte Ergebnisse geben“, sagt<br />
Sachse. „Die meisten Hackerangriffe dauern<br />
nur wenige Stunden. Doch bis sie erkannt<br />
werden, vergehen oft Monate. In diesem<br />
Hase-Igel-Spiel wollen wir viel schneller<br />
werden.“<br />
Die Schlagzeilen der vergangenen Wochen<br />
zeigen, wie dramatisch die Lage ist.<br />
So griff beim Deutschen Zentrum für Luftund<br />
Raumfahrt (DLR) in Köln-Porz, einer<br />
der am besten gesicherten Forschungseinrichtungen<br />
im Land, ein perfides Spionageprogramm<br />
Rechner von Wissenschaftlern<br />
an, ohne dass die Schutzprogramme<br />
anschlugen. Der Trojaner war so programmiert,<br />
dass er sich selbst zerstört, sobald<br />
ihm jemand auf die Schliche kommt.<br />
Beim Kölner Handelsriesen Rewe knackte<br />
ein Hacker den privaten E-Mail-Account<br />
eines Aufsichtsratsmitglieds und zog Unterlagen<br />
für die nächste Sitzung ab. Der<br />
Unbekannte versuchte Rewe-Chef Alain<br />
Caparros damit zu erpressen und drohte in<br />
einem anonymen Schreiben: „Wäre doch<br />
schade, wenn diese Daten an die Öffentlichkeit<br />
gelangen würden, oder?“<br />
Welche IT-Sicherheitsmaßnahmen die<br />
Unternehmen verstärken*<br />
66 %<br />
35 %<br />
43 %<br />
33 %<br />
3 %<br />
2 %<br />
0 %<br />
Organisatorische Verbesserungen<br />
(z. B. Zugriffskontrollen)<br />
Firewall eingeführt/erneuert<br />
Virenscanner eingeführt/erneuert<br />
Schulungen zur IT-Sicherheit<br />
Standardisierungen/Zertifizierungen<br />
Früherkennungssysteme einsetzen<br />
Einstellung zusätzlicher IT-Sicherheitsexperten<br />
Die Fälle sind nur die Spitze des Eisberges.<br />
Nach Ansicht von Norbert Pohlmann,<br />
Professor für Internet-Sicherheit an der<br />
Fachhochschule Gelsenkirchen, sind die<br />
Unternehmen weiter denn je davon entfernt,<br />
einen perfekten Schutzwall aufbauen<br />
zu können. „Zur Geschichte des Internets<br />
gehört, dass die Sicherheitsprobleme jedes<br />
Jahr größer werden“, bemängelt Pohlmann.<br />
Die Sicherheitslücken könnten gar<br />
nicht so schnell geschlossen werden, wie<br />
sie auftreten: „Die Angreifer sind uns haushoch<br />
überlegen.“<br />
Experten wie Pohlmann plädieren deshalb<br />
für branchenweite Sicherheitslösungen,<br />
bei denen produzierende Unternehmen<br />
den gesamten Datenaustausch mit ihren<br />
Zulieferern verschlüsseln.<br />
Auch Daimler denkt darüber nach, den<br />
Zulieferern strenge Sicherheitsvorgaben<br />
aufzuerlegen und die Sicherheitstests auf<br />
die gesamte Lieferkette auszuweiten. Das<br />
sei ein „sensibles Thema“, denn die Autozulieferer<br />
seien rechtlich selbstständige<br />
Unternehmen, so Wiedemann. Dabei gehe<br />
es auch um die sichere Steuerung internetfähiger<br />
Maschinen. „Viele Roboter sind anfällig“,<br />
sagt die Sicherheitschefin. „In den<br />
Fabriken gibt es heute nicht die Sicherheit<br />
wie an den Büroarbeitsplätzen.“<br />
Mit seinen Plänen für die Zulieferer ginge<br />
Daimler weit über das bereits bestehende<br />
Branchennetz European Network Exchange<br />
(ENX) hinaus. Der in Frankfurt ansässige<br />
Verein knüpfte im Jahr 2000 ein eigenes,<br />
besonders gesichertes Netz für den<br />
Datenaustausch zwischen den großen Autoherstellern<br />
und ihren Zulieferern. 1700<br />
Unternehmen, darunter alle großen in<br />
Deutschland, sind angeschlossen. Beim<br />
Gründungsmitglied Volvo wurde die Verbindung<br />
allerdings aus Sicherheitsgründen<br />
gekappt, nachdem Ford seine schwedische<br />
Tochter vor vier Jahren an den chinesischen<br />
Geely-Konzern verkauft hatte.<br />
Bei Unternehmen aus dem Reich der Mitte<br />
ist die Gefahr groß, dass sie mit den Geheimdiensten<br />
kooperieren.<br />
Schutzwall<br />
für Maschinen<br />
Berliner Wasserbetriebe, Berlin-Friedrichshagen.<br />
Hinter der schmucklosen Fassade<br />
des Pumpwerks, einen Steinwurf entfernt<br />
<strong>vom</strong> Großen Müggelsee im Südosten<br />
der Hauptstadt, hat der IT-Sicherheitsingenieur<br />
Michael Böttcher etwas Besonderes<br />
aufgebaut. Von seiner Leitstelle aus<br />
wird die gesamte Wasserversorgung in<br />
Berlin überwacht. Der größte deutsche<br />
Wasserversorger pumpt jedes Jahr 200<br />
Millionen Kubikmeter durch ein weitverzweigtes,<br />
7900 Kilometer langes Rohrnetz.<br />
„Die Versorgung muss rund um die Uhr<br />
garantiert sein“, sagt Böttcher. Ein hochkomplexes<br />
System aus neun lokalen Wasserwerken,<br />
900 Brunnen, 42 Belüftungsbauwerken,<br />
186 Aufbereitungsfiltern, 63<br />
Reinwasserbehältern und 89 Reinwasserpumpen<br />
sorgt dafür, dass aus jedem Wasserhahn<br />
mit konstantem Druck sauberes<br />
Trinkwasser fließt.<br />
Hinter den etwa zwei Dutzend Monitoren<br />
versteckt sich ein bislang einzigartiges<br />
Kontrollzentrum, mit dem die Berliner<br />
Wasserwerker Sabotageakte aus dem Internet<br />
verhindern wollen: „Der Rolls-Royce<br />
unter den IT-Sicherheitslösungen“, sagt<br />
Böttcher.<br />
»<br />
42 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
BERLINER WASSERBETRIEBE<br />
Michael Böttcher<br />
Der IT-Sicherheitsingenieur des größten kommunalen<br />
Wasserversorgers in Deutschland versucht<br />
mit eigenem Kontrollzentrum, Sabotageakte aus<br />
dem Web auf die komplexen Versorgungssysteme<br />
zu unterbinden. Der Bereitschaftsdienst arbeitet<br />
rund um die Uhr – mit hochverschlüsselten Zugängen<br />
für alle Mitarbeiter.<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 43<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Die Wasser- und Stromversorgung gehört<br />
zu den Infrastrukturbereichen, die mit<br />
besonders hohen Sicherheitsanforderungen<br />
vor dem Totalausfall geschützt werden.<br />
Für Berlin wäre es der GAU, wenn Hacker<br />
oder ausländische Cyberkrieger in die<br />
Steuerungscomputer eindringen und das<br />
System lahmlegen. Eine winzige Manipulation<br />
der Software reicht aus, um die Wasserversorgung<br />
zum Stillstand zu bringen –<br />
und damit das gesamte Gesellschafts- und<br />
Wirtschaftsleben. Eine penible Überwachung<br />
des gesamten Datenverkehrs ist<br />
deshalb eine der Aufgaben des neuen Kontrollzentrums.<br />
„Im Notfall müssen wir sehr<br />
schnell handeln“, sagt Böttcher. Der Bereitschaftsdienst,<br />
der rund um die Uhr im Einsatz<br />
ist, muss deshalb im Notfall auch von<br />
zu Hause aus sofort eingreifen und Korrekturen<br />
vornehmen können.<br />
Angst vor Smartphones<br />
Welche Trends die Bedrohungslage durch<br />
Cyberangriffe verschärfen (in Prozent)<br />
Mobile Geräte<br />
Cloud Computing<br />
Soziale Netzwerke<br />
Vernetzte Maschinen<br />
Quelle: PAC<br />
E-Commerce<br />
Big Data<br />
Sehr stark<br />
6 %<br />
3 %<br />
2 %<br />
7 %<br />
Stark<br />
24 %<br />
26 %<br />
20 %<br />
19 %<br />
26 %<br />
35 %<br />
39 %<br />
49 %<br />
Andererseits gelten gerade solche Fernzugänge<br />
als Achillesferse aller Steuerungscomputer:<br />
Die Zugangsdaten lassen sich<br />
vergleichsweise leicht ausspionieren, ein<br />
Mitarbeiter braucht sie nur weiterzureichen.<br />
Sich einem externen Dienstleister als<br />
Betreiber der Leitstelle „bedingungslos anzuvertrauen“<br />
kam für die Wasserbetriebe<br />
aber nicht infrage. Als erster kommunaler<br />
Versorger haben die Berliner deshalb ein<br />
hochgradig verschlüsseltes System implementiert,<br />
das der Essener IT-Sicherheitsspezialist<br />
Secunet in abgewandelter Form<br />
auch im Regierungsnetz einsetzt, dem Informationsverbund<br />
Berlin-Bonn (IVBB).<br />
Der IVBB gilt als Messlatte in der Cyberabwehr.<br />
Unter strengsten Vorgaben des<br />
Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik<br />
(BSI) für den elektronischen<br />
Versand geheimer Verschlusssachen<br />
haben Unternehmen wie Secunet und die<br />
in Kirchheim bei München ansässige Genua<br />
dieses hochsichere Regierungsnetz<br />
mit ganz wenigen, besonders geschützten<br />
und kontrollierten Übergängen ins öffentliche<br />
Internet konstruiert.<br />
2000 bis 3000 Mal pro Tag, also etwa zwei<br />
Mal pro Minute, registriert das BSI einen<br />
Angriff auf das Regierungsnetz. Die meisten<br />
Angriffe – etwa mit Schadprogrammen<br />
infizierte E-Mails – werden automatisch<br />
abgeblockt. Nur in 30 Fällen musste das BSI<br />
2013 aktiv eingreifen, um einen „Abfluss<br />
kritischer Informationen“ zu verhindern.<br />
Nur bei wenigen Unternehmen werden<br />
bisher einzelne Sicherheitskomponenten<br />
aus dem IVBB zur Absicherung der Firmennetze<br />
eingesetzt. Den meisten ist das<br />
zu teuer. Die Berliner Wasserbetriebe haben<br />
anders entschieden, weil die preiswer-<br />
Gefährliche Mitarbeiter<br />
Vonwem die größte Bedrohung bei Spionageund<br />
Cyberattacken ausgeht<br />
Sehr große Bedrohung<br />
Eigene Mitarbeiter<br />
Wettbewerber<br />
Externe Mitarbeiter*<br />
Aktivisten<br />
Organisierte Kriminalität<br />
Ausländische Regierungsbehörden<br />
(Geheimdienste)<br />
6 %<br />
teren Lösungen Lücken hatten. Böttcher:<br />
„Wichtig war uns, dass wir die vollständige<br />
Kontrolle behalten.“<br />
Vertrauenswürdige<br />
Anbieter<br />
Relevante Bedrohung<br />
7 %<br />
5 %<br />
5 %<br />
* Zeitarbeitnehmer, Berater; Quelle: PAC<br />
11 %<br />
10 %<br />
21 %<br />
29 %<br />
33 %<br />
31 %<br />
30 %<br />
39 %<br />
Varta Microbattery, Ellwangen. Wer Unternehmenschef<br />
Herbert Schein in seinem<br />
Büro in der Zentrale besucht, spürt sofort,<br />
dass der Mann überdurchschnittlich technikaffin<br />
ist: Auf seinem Schreibtisch liegen<br />
die Utensilien, die ein Smartphone zur<br />
Schaltstation für alle Lebensbereiche aufrüsten<br />
können – Headsets, Uhren, Körpersensoren,<br />
Armbänder und Brillen.<br />
All diese Geräte, ist Schein überzeugt, sichern<br />
Vartas Zukunft: Sie brauchen starke<br />
Energiequellen, die so winzig sind, dass sie<br />
sich leicht in jedes Teil einbauen lassen.<br />
Möglich wird das durch neue, leistungsfähige<br />
Lithium-Ionen-Batterien. Von Mitte<br />
2015 an soll die Produktion im badenwürttembergischen<br />
Ellwangen starten.<br />
„Massenfertigung ohne hohen Ausschuss<br />
können nur ganz wenige“, sagt Schein. „Wir<br />
gehören dazu.“<br />
Varta ist daher ein ideales Spionageziel.<br />
Wie kaum ein anderes Unternehmen ist es<br />
in die Forschungsprojekte von Autobauern,<br />
Energieversorgern und Handyherstellern<br />
eingebunden. Ob Energiewende oder<br />
Elektroauto: Der Erfolg hängt an einem<br />
starken Energiespeicher, der sich schnell<br />
wieder aufladen lässt. Vartas für die Sicherheit<br />
zuständiger Chief Information Officer<br />
Wolfgang Fritz hat darum einen hohen<br />
Schutzwall errichtet, der alle Spionageangriffe<br />
abwehren soll: „Die Kunst ist, die<br />
echten Innovationen zu schützen.“<br />
Wenn doch mal einer mit „viel krimineller<br />
Energie“ ins Firmennetz eindringt, könne<br />
er mit den abgezogenen Informationen<br />
wenig bis gar nichts anfangen, so Fritz: Die<br />
wirklich wichtigen Informationen sind auf<br />
drei Rechner verteilt, „der Angreifer bekommt<br />
höchstens einzelne Puzzlesteine,<br />
aber nie das gesamte Bild“.<br />
Bei Sicherheitsfragen ist Fritz altmodisch:<br />
Firmendaten per Cloud Computing<br />
zu einem externen IT-Anbieter auszulagern<br />
kommt für ihn nicht infrage. Inzwischen<br />
sehen das viele IT-Chefs so: Laut einer<br />
Bitkom-Umfrage haben 13 Prozent der<br />
Unternehmen konkret geplante Cloud-<br />
Projekte zurückgestellt, elf Prozent haben<br />
sogar bestehende Lösungen aufgegeben.<br />
„Die NSA-Affäre hat dem Wachstum einen<br />
herben Dämpfer versetzt“, sagt Bitkom-<br />
Präsident Dieter Kempf.<br />
Auch an einer zweiten Tradition hält<br />
Fritz fest. Nicht die Großen der IT-Szene<br />
wie IBM oder Microsoft gehen in Ellwangen<br />
ein und aus, sondern kleine, lokal tätige<br />
IT-Dienstleister aus Baden-Württemberg<br />
wie die Arcos Informationssysteme<br />
aus Essingen. „Die helfen rund um die Uhr,<br />
wenn es mal ein Problem gibt“, sagt Fritz.<br />
Sicherheitsübung<br />
im Vorstand<br />
RWE, Essen-City. Wer in diesen Tagen in<br />
der nahe am Hauptbahnhof gelegenen<br />
Zentrale des Energieversorgers die von<br />
Mitarbeitern besonders stark frequentierten<br />
Bereiche wie etwa die Kantine besucht,<br />
erkennt die Veränderungen sofort. Gut<br />
sichtbar sind kleine Werbeständer an den<br />
Eingängen aufgestellt, die den Schatten ei-<br />
44 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: BERNHARD HASELBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
nes sportlichen Mannes mit Baseballkappe<br />
zeigen: Die schwarze Silhouette zeigt einen<br />
Spion. „Alles hat seine Schattenseite“ lautet<br />
die Überschrift auf dem ersten Plakat.<br />
Auf den nächsten werden Fragen an die<br />
Mitarbeiter gestellt: „Wo ist Ihr Smartphone<br />
gerade?“, „Haben Sie Ihr Büro abgeschlossen?“,<br />
„Wo bewahren Sie Ihr Passwort<br />
auf?“ Darunter steht ein Warnhinweis<br />
wie auf Zigarettenschachteln: „Mangelnde<br />
Vorsicht im Umgang mit Informationen<br />
kann weitreichende Folgen haben – für Sie,<br />
unsere Kunden und das Unternehmen.“<br />
Die Kampagne ist Teil einer Sensibilisierungsoffensive,<br />
die RWE im Frühjahr gestartet<br />
hat. Der Vorstand um Peter Terium<br />
geht mit gutem Beispiel voran: Ende März<br />
nahm sich die vierköpfige Riege einen halben<br />
Tag Zeit für eine Sicherheitsübung – eine<br />
bis dato ungewöhnliche Maßnahme für<br />
die viel beschäftigten Vorstände. Wie gehen<br />
Angreifer heute vor? Wie ist die weltweite<br />
Bedrohungslage? Wie gut ist RWE<br />
aufgestellt? Wo gibt es Verbesserungspotenzial?<br />
Auf diese Fragen wollten Terium<br />
und seine Vorstandskollegen fundierte<br />
Antworten erhalten. Sie tauchten für vier<br />
Stunden in die Schattenwelt der Cyberspione<br />
und -saboteure ein.<br />
Live führte Sicherheitschef Florian Haacke<br />
die technischen Tricks vor, mit denen<br />
ausländische Geheimdienste oder gut organisierte<br />
Kriminelle in Vorstandsrechner<br />
eindringen. „Plötzlich konnten die Vorstände<br />
mit eigenen Augen sehen, dass die<br />
vier im Konferenzsaal aufgestellten Rechner<br />
wie von Geisterhand aus der Ferne gesteuert<br />
und interne Daten angezapft und<br />
kopiert wurden“, erzählt Haacke.<br />
Würde solch ein Angriff auf die Steuerungscomputer<br />
im Stromnetz gelingen,<br />
wäre das für RWE der GAU. Per Mausklick<br />
könnte ein einziger Hacker den Strom abschalten<br />
und damit eine Kettenreaktion im<br />
ganzen Land auslösen. Für eine gut aufgestellte<br />
Cyberabwehr, so Haackes Botschaft<br />
an die Top-Etage, sind deshalb nicht mehr<br />
nur die IT-Spezialisten verantwortlich. Der<br />
ganze Konzern muss mitziehen, sonst gibt<br />
es zu viele offene Flanken.<br />
Noch in diesem Jahr will Haacke die Vorstandsübung<br />
wiederholen. Als Nächstes ist<br />
die zweite Hierarchieebene an der Reihe –<br />
die Top-Manager der verschiedenen Konzerngesellschaften.<br />
Haacke kennt die<br />
Kronjuwelen des Konzerns – auch wenn<br />
die bei RWE als Energieversorger längst<br />
nicht so zahlreich sind wie beim Technologieriesen<br />
Bosch.<br />
n<br />
juergen.berke@wiwo.de<br />
VARTA<br />
Wolfgang Fritz<br />
Der IT-Chef des baden-württembergischen Batterieherstellers lässt sensible<br />
Informationen auf drei Rechnern verteilt speichern – ein potenzieller Angreifer<br />
soll so nur einzelne Puzzleteile erhalten, nie das gesamte Bild. Zudem vertraut<br />
er auf lokale IT-Dienstleister vor Ort statt einem der Großen der IT-Szene.<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 45<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Das Albrecht-Vermächtnis<br />
ALDI | Der verstorbene Discountkönig Karl Albrecht hinterlässt nicht nur ein Milliardenvermögen,<br />
sondern auch Management-Leitsätze, die das Fundament für Aldis Fabelaufstieg bildeten und heute<br />
noch lehren, wie man einen Konzern über Jahrzehnte auf Erfolgskurs hält.<br />
Kein verbaler Trauerflor, kein Hinweis<br />
auf den Tod einer Legende, kein<br />
Wort des Verlustes. Stattdessen übt<br />
sich der allwöchentliche Newsletter „Aldi<br />
informiert“ in munterer Verkaufsroutine:<br />
Aluminium-Rollatoren gibt’s für 89,99 Euro,<br />
Leder-Pantoletten für 8,99 Euro, und die<br />
Dose WC-Schaumreiniger kostet 1,29 Euro.<br />
Dazu Hornhautfeilen und Flaschenkühler,<br />
Bikinizonen-Rasierer und Standmixer – alles<br />
Aldi-günstig versteht sich, alles ab Montag<br />
in der nächstgelegenen Aldi-Süd-Filiale<br />
in haushaltsüblichen Mengen erhältlich.<br />
Alles wie immer bei Aldi.<br />
Wahrscheinlich hätte es Karl Albrecht<br />
genau so gewollt. Er war so. Der Mitbegründer<br />
des größten deutschen Discounters,<br />
der Wegbereiter eines neuen Handelsformates<br />
und reichste Deutsche stirbt,<br />
doch das Geschäft geht unverdrossen weiter.<br />
Nicht einmal kurz gerät die Verkaufsmaschine<br />
ins Stocken, keine Kämpfe ums<br />
Erbe lähmen den Konzern. Seit Jahren war<br />
alles sorgsam vorbereitet für den Abgang<br />
Karls des Großen, der über ein Reich von<br />
fast 5000 Filialen in neun Ländern gebot.<br />
Auf 19 Milliarden Euro wird sein Vermögen<br />
taxiert, 38,51 Milliarden Euro Umsatz soll<br />
Aldi Süd 2013 eingespielt haben.<br />
Aus einer kleinen Ladenstube in Essen<br />
haben Karl und sein 2010 verstorbener<br />
Bruder Theo Albrecht ein global agierendes<br />
Handelsimperium geschaffen und<br />
Deutschland, das Land der Dichter und<br />
Denker, auch in das Land des Discounts<br />
verwandelt. Die Aldi-Brüder haben dazu<br />
Verschwiegener Imperator<br />
Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht<br />
FOTOS: ULRICH ZILLMANN, ALDI SÜD/DPA, OBS/ALDI EINKAUF GMBH & CO.OHG, WAZ FOTOPOOL/MARGA KINGLER-BUSSHOFF, PR, IMAGO/HRSCHULZ<br />
46 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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eigetragen, die Verbraucher über alle Gesellschaftsschichten<br />
hinweg auf „billig“ zu<br />
eichen. Das Aldi-Prinzip wurde kopiert<br />
und fand Einzug in andere Branchen.<br />
Wie war ein solcher Siegeszug möglich?<br />
„Ich habe Glück gehabt, sehr viel Glück“,<br />
erklärte Albrecht in einem Gespräch mit<br />
der „FAZ“ wenige Wochen vor seinem Tod.<br />
Glück? Das mag bei aller Koketterie zum<br />
Teil sogar stimmen. Die Entdeckung des<br />
Erfolgsformates Discount gelang den Gebrüdern<br />
aus einer Krisensituation heraus.<br />
Hingegen hatten der anschließende systematische<br />
Ausbau des Geschäfts und die<br />
Sicherung der Marktposition über Jahrzehnte<br />
hinweg nur wenig mit Zufall zu tun.<br />
Sieben schlichte Leitsätze lassen sich identifizieren,<br />
die das Fundament für Aldis Fabelaufstieg<br />
bilden. Sie sind eng mit den unternehmerischen<br />
Überzeugungen und der<br />
Persönlichkeit des Gründers Albrecht verwoben<br />
und taugen zugleich als generelles<br />
Raster für einen nachhaltigen Unternehmensaufbau.<br />
1<br />
1. Reduziere<br />
die Risiken!<br />
Die Entwicklung des Discountkonzepts<br />
bescherte den Albrechts einen Ruf als Handelsrevoluzzer.<br />
Dabei wurde die Erfolgsidee<br />
aus blanker Not geboren. 1948 übernehmen<br />
Karl und Theo das im Krieg unbeschädigt<br />
gebliebene Lebensmittelgeschäft<br />
ihrer Mutter Anna in Essen und bauen eine<br />
kleine Ladenkette auf. Mit dem Erstarken<br />
der Selbstbedienungs-Supermärkte werden<br />
die Nachbarschaftsläden jedoch zum<br />
Auslaufmodell. Die Albrecht-Kundschaft<br />
wendet sich ab. Die Handelsbrüder scheitern<br />
mit dem Versuch, eigene Supermärkte<br />
zu betreiben. Auch die Idee, Großmärkte<br />
für Gewerbetreibende aufzumachen – das<br />
spätere Modell der Metro – wird zum Flop.<br />
Der vierte Anlauf ist schließlich der Volltreffer.<br />
Statt üppig bestückter Regale gibt es<br />
in den Läden nur ein karges Produktangebot,<br />
allerdings zu unschlagbar günstigen<br />
Preisen. Die Albrechts erfinden den Discount.<br />
Von der ersten Filiale im nordrheinwestfälischen<br />
Dinslaken aus revolutioniert<br />
das neue Verkaufsformat ab Ende 1961 im<br />
Sturm die Handelswelt.<br />
Statt nun weitere Formate ins Rennen zu<br />
schicken, um den Erfolg zu wiederholen,<br />
schalten die Albrechts jedoch um und reduzieren<br />
systematisch die Risiken. Das erprobte<br />
Modell wird permanent verfeinert,<br />
aber nicht mehr radikal umgebaut. Aldi gehört<br />
fortan nur noch selten zu den Händ-<br />
lern, die sich als Erste mit Innovationen auf<br />
den Markt wagen und dabei oft genug Millionenbeträge<br />
in den Sand setzen. Vielmehr<br />
ist das Management darauf konditioniert,<br />
den Markt genau zu beobachten und<br />
Konzepte zu adaptieren, die sich bei Wettbewerbern<br />
bewährt haben. Ideen werden<br />
gesichtet, getestet, perfektioniert und erst<br />
dann flächendeckend ausgerollt.<br />
So führte Aldi Süd erst zur Jahrtausendwende<br />
jene Scanner-Kassen ein, die bereits<br />
seit den Achtzigerjahren zum Standard in<br />
Supermärkten gehören. Bis dahin mussten<br />
die Verkäuferinnen die Warencodes aller<br />
Produkte auswendig in ihre Kassen hacken.<br />
Parallel zur Einführung der neuen Aldi-<br />
Kassen wurden die Verpackungen angepasst<br />
und die Strichcodes gleich auf mehrere<br />
Seiten eines Artikels gedruckt, um die<br />
Kassiergeschwindigkeit noch mal zu steigern<br />
– wenn schon Neuerung, dann richtig.<br />
Ganz ähnlich agierte das Unternehmen<br />
auf anderen Feldern: Egal, ob beim Aufbau<br />
des Aktionsgeschäfts mit wöchentlich<br />
wechselnden Gebrauchsartikeln, beim<br />
Verkauf von frisch aufgebackenem Brot per<br />
Automaten oder bei der Expansion in neue<br />
Länder – Aldi wartet geduldig ab, ob eine<br />
Idee wirklich zündet. Erst dann wird mit<br />
voller Wucht zugeschlagen.<br />
2<br />
2. Verteidige den<br />
Markenkern!<br />
„Was man erreichen muss“, verriet Karl Albrecht<br />
wenige Wochen vor seinem Tod,<br />
„ist, dass der Kunde den Glauben gewinnt,<br />
nirgendwo billiger einkaufen zu können.“<br />
Gleich zu Beginn ihrer unternehmerischen<br />
Tätigkeit setzen die Gebrüder Albrecht<br />
auf den Preis als entscheidendes<br />
Einkaufskriterium und legen damit eine<br />
Markenstrategie fest, bevor es diese Werbevokabel<br />
überhaupt gab. In spartanischem<br />
Ladenambiente verkaufen sie Standardprodukte.<br />
Über die Jahre verändern<br />
sich zwar Ladengestaltung und Warenangebot,<br />
Artikel wie Computer, Reisen und<br />
Champagner kommen dazu. Doch die<br />
konsequente Niedrigpreispolitik behält<br />
das Unternehmen bei.<br />
Die Folge: „Die Formel ‚Aldi gleich günstig‘<br />
ist fest im kollektiven Bewusstsein der<br />
Deutschen verankert“, sagt Bianca Casertano,<br />
Handelsanalystin beim Brancheninformationsdienst<br />
Planet Retail in Frankfurt.<br />
Das Billig-Image wird <strong>vom</strong> Management<br />
nach wie vor mit Verve verteidigt. Niemand<br />
unterbietet Aldi beim Preis, lautet denn<br />
auch das ungeschriebene Gesetz der<br />
»<br />
Keimzelle Essen<br />
Im Herzen des Ruhrgebiets startete<br />
die Handels-Erfolgsgeschichte.<br />
1930 Lebensmittelladen von Mutter<br />
Anna Albrecht in Essen-Schonnebeck<br />
1971 Das Geschäft wird nach der Konzernteilung<br />
zur Aldi-Nord-Filiale<br />
1980 Typisches Discount-Interieur am<br />
Stammsitz in der Huestraße 89 in Essen<br />
2001 Der PC-Boom seit den Neunzigerjahren<br />
führt zum Ansturm auf Aldi<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 47<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Branche. Wer es dennoch wagt, muss<br />
mit gnadenlosen Gegenattacken rechnen.<br />
Erst Anfang des Jahres untermauerte Aldi<br />
die Rolle als Preisführer. Mit einer Welle<br />
von Rotstiftaktionen bei Eiern, Kaffee und<br />
Fleisch sorgte der Discountprimus für Aufruhr<br />
in der deutschen Handelszunft. „Das<br />
ist Wertvernichtung“, schimpfte Rewe-Chef<br />
Alain Caparros. Für Aldi dürfte sich der Angriff<br />
trotzdem gelohnt haben. „Unsere ganze<br />
Werbung liegt im billigen Preis“, hatte<br />
Karl Albrecht schon 1953 postuliert.<br />
Zugleich ist Aldi bei der Qualität der Waren<br />
kompromisslos. Ständig werden die Eigenmarken<br />
in Labors und bei unabhängigen<br />
Instituten kontrolliert. Fällt etwa ein<br />
Urteil der Stiftung Warentest negativ aus,<br />
wird es für den Hersteller ungemütlich.<br />
Natürlich versuchen auch die Wettbewerber,<br />
die Qualitätsstandards zu halten,<br />
schon um kostspielige und schlagzeilenträchtige<br />
Rückrufaktionen zu vermeiden.<br />
Doch hier kommt ein weiteres Kernmotiv<br />
des Aldi-Erfolgs zum Tragen. Während die<br />
Rivalen Tausende Artikel überwachen<br />
müssen, sind es bei Aldi deutlich weniger.<br />
3<br />
3. Verringere<br />
die Komplexität!<br />
Das Discountgeschäft gilt als Kunst des<br />
Weglassens – und Aldi hat es darin zu wahrer<br />
Meisterschaft gebracht. Das Sortiment<br />
verknappten die Gründer-Brüder anfangs<br />
radikal. Gerade mal 350 Artikel fanden sich<br />
in einer Filiale. Auch heute gibt es bei Aldi<br />
nicht vier oder fünf verschiedene Butter-,<br />
Waschmittel- oder Ketchupsorten wie bei<br />
der klassischen Supermarkt-Konkurrenz.<br />
Meist finden sich nur eine oder zwei Varianten.<br />
Der Vorteil: Der Absatz konzentriert<br />
sich auf einzelne Artikel, deren Verkaufsvolumen<br />
steigt, was die Einkaufskonditionen<br />
verbessert. Die Logistik ist mit weniger Waren<br />
weniger aufwendig. Fehler bei Einkauf<br />
und Bestellung werden vermieden.<br />
Zudem haben Karl und Theo Albrecht<br />
von Anfang an auf stark standardisierte<br />
Prozesse gesetzt. Von der Warenwirtschaft<br />
bis zum Ladenbau werden die Routine-<br />
Vorgänge nach strikten Regeln bearbeitet.<br />
Wer eine Aldi-Süd-Filiale kennt, findet sich<br />
als Kunde wie als Mitarbeiter schnell auch<br />
in einem anderen Markt zurecht. Weniger<br />
Komplexität im Geschäft bringt am Ende<br />
mehr: Mit einem Umsatz von 7900 Euro<br />
pro Quadratmeter Verkaufsfläche ist Aldi<br />
Süd der mit Abstand produktivste Lebensmittelhändler<br />
Deutschlands.<br />
4<br />
4. Halte das Geld<br />
zusammen!<br />
Die Albrecht’sche Sparsamkeit ist legendär.<br />
Tatsächlich lebte Karl Albrecht für einen<br />
Multimilliardär bescheiden, wenn auch<br />
längst nicht so asketisch, wie mitunter kolportiert<br />
wird. Er bewohnte ein großzügiges<br />
Anwesen im Essener Stadtteil Bredeney. In<br />
den Siebzigerjahren kaufte der begeisterte<br />
Golfspieler den Öschberghof, ein malerisch<br />
gelegenes Wellnesshotel mit<br />
27-Loch-Golfanlage. Dort, in der Nähe von<br />
Donaueschingen in Baden-Württemberg,<br />
fanden bisweilen auch die Familientreffen<br />
des Clans statt – zuletzt Anfang April.<br />
Chauffiert, so wird berichtet, wurde der<br />
94-jährige Patriarch von seinem vertrauten<br />
Fahrer im S-Klasse-Mercedes mit langem<br />
Radstand, aber sparsamem Dieselmotor.<br />
Albrecht wohnte wie immer abgeschirmt<br />
in einer Villa, die per Tunnel mit dem<br />
Öschberghof verbunden sein soll.<br />
Von der barocken Prachtentfaltung anderer<br />
Superreicher samt Yacht- und Privatjet-Exzessen<br />
blieb Albrecht jedoch stets<br />
weit entfernt. Öffentlich zur Schau gestellter<br />
Prunk war ihm ein Gräuel. Als Aldi-Manager<br />
ihrem Patron zum 90. Geburtstag ein<br />
Zirkus-Event nebst Galadinner spendierten,<br />
soll sich der Jubilar mit drei schlichten<br />
Sätzen bedankt haben: „Ich wollte nicht,<br />
dass ihr alle kommt. Ich habe Hunger. Und<br />
ich gehe bald wieder nach Hause.“<br />
Die Manager hätten es wissen müssen:<br />
Zu den zentralen Erfolgsfaktoren des Unternehmens<br />
zählt seit jeher eine bis ins<br />
Skurrile anmutende Kostendisziplin.<br />
Um Papier und Druckkosten zu sparen,<br />
hätten die Clanchefs jahrelang Briefbögen<br />
verwendet, auf denen die alte vierstellige<br />
Postleitzahl säuberlich durchgestrichen<br />
und durch die neue fünfstellige ersetzt<br />
wurde, erzählen Aldi-Veteranen gerne.<br />
Hochrangige Manager sollen gar eigens<br />
Bleistiftstummel in ihren Schubladen versteckt<br />
haben, um diese dann auf dem<br />
Schreibtisch zu platzieren, sobald ein Besuch<br />
des alten Herrn anstand.<br />
Derlei Storys fügen sich nahtlos ins Bild<br />
eines gnadenlos auf Effizienz getrimmten<br />
Konzerns. Die Folge der Sparsamkeitsdoktrin:<br />
Unternehmerische Hybris, gewagte<br />
Expansionen, teure Übernahmen von<br />
Wettbewerbern oder prunkvolle Zentralen<br />
sucht man im Aldi-Reich vergebens. Der<br />
Gewinn wird solide in das Kerngeschäft investiert<br />
oder für schwere Zeiten gebunkert.<br />
Das Unternehmen leistet sich nur, was es<br />
bezahlen kann, üppige Kredite sind tabu.<br />
5<br />
5. Schaffe<br />
klare Strukturen!<br />
Gut möglich, dass der Siegeszug von Aldi<br />
schon früh ins Stocken geraten wäre. Anfang<br />
der Sechzigerjahre konnten sich die<br />
Albrecht-Brüder angeblich nicht darüber<br />
einigen, ob Zigaretten ins Sortiment gehö-<br />
Brüderlicher Wettstreit<br />
Aldi Süd und Aldi Nord im Vergleich<br />
Umsatz weltweit in Milliarden Euro<br />
(in Deutschland)<br />
Filialen weltweit<br />
(in Deutschland)<br />
In wie vielen Ländern aktiv<br />
Umsatz pro Quadratmeter<br />
in Deutschland (in Euro)<br />
Mitarbeiter in Deutschland<br />
Vermögen der Eigentümerfamilie<br />
(in Milliarden Euro)<br />
38,51<br />
(15,6)<br />
4852<br />
(1826)<br />
Aldi Süd<br />
Quelle: Planet Retail, EHI, „Forbes“, Unternehmensangaben<br />
Aldi Nord<br />
28,31<br />
(11,3)<br />
5339<br />
(2425)<br />
9 10<br />
7900 5200<br />
35000 28000<br />
19,2 14,4<br />
Bruttoumsatz der führenden Discounter in<br />
Deutschland im Jahr 2013 (in Millionen Euro)<br />
26985<br />
15640<br />
11345<br />
18500<br />
12900<br />
7400<br />
3025<br />
1186<br />
Norma<br />
Penny*<br />
davon Aldi Süd*<br />
davon Aldi Nord*<br />
Netto*<br />
Lidl*<br />
Netto (Dansk Supermarked)<br />
* Schätzung; Quelle: Trade Dimensions<br />
Aldi-Gruppe*<br />
48 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: LAIF/SABINE BUNGERT<br />
ren oder nicht. Karl schlägt eine Trennung<br />
vor. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit willigt<br />
Theo ein, Aldi wird aufgeteilt. Karl bekommt<br />
den Süden und schlägt sein Hauptquartier<br />
in Mülheim auf, Theo beackert<br />
fortan von Essen aus den Norden. Die Demarkationslinie,<br />
der sogenannte Aldi-<br />
Äquator, verläuft mitten durch Hessen und<br />
Nordrhein-Westfalen. Wie ihren Heimatmarkt<br />
steckten die Brüder später auch ihre<br />
Claims weltweit ab. Die Märkte in den USA,<br />
der Schweiz und Österreich fielen an Karl.<br />
Frankreich, Spanien und Polen werden dagegen<br />
von Aldi Nord aus Essen gesteuert.<br />
Zudem betreiben die Essener in Amerika<br />
die Handelskette Trader Joe’s.<br />
Die frühere Grenzziehung tat dem Erfolg<br />
keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die brüderlichen<br />
Unternehmen haben sich im lockeren<br />
Verbund wohl besser entwickelt, als es<br />
unter einem starren Dach je möglich gewesen<br />
wäre. Streitigkeiten, Kompetenzgerangel<br />
oder wachsweiche Kompromisse wurden<br />
vermieden, der Wettbewerb untereinander<br />
angestachelt.<br />
Was die Brüder durch die Teilung vorexerzierten,<br />
wurde auch in die Unternehmen<br />
implementiert. „Eine glasklare<br />
Führungs- und Organisationsstruktur<br />
sowie operative Exzellenz“, macht der frühere<br />
Aldi-Süd-Manager Robert Peschke<br />
bei seinem ehemaligen Arbeitgeber<br />
aus. Peschke steuerte bis vor zwei Jahren<br />
den gesamten Verkauf innerhalb der Aldi-<br />
Regionalgesellschaft Langenfeld mit mehr<br />
als 1200 Mitarbeitern und einer halben<br />
Milliarde Euro Umsatz. Heute unterstützt<br />
er mit seiner in Dresden ansässigen Beratung<br />
DPMC Unternehmen aus dem Handels-,<br />
Produktions- und Konsumgüterbereich<br />
und greift dabei auf die Aldi-Prinzipien<br />
zurück.<br />
Der Kern: Freiräume schaffen innerhalb<br />
exakt definierter Aufgabenbereiche und<br />
durchorganisierter Prozesse. Als theoretische<br />
Basis für den Aldi-Führungsstil sehen<br />
Managementexperten das Harzburger Modell.<br />
Die in den Sechzigerjahren entwickelte<br />
Methode folgt dem Grundsatz, Verantwortung<br />
an Mitarbeiter zu übertragen – sie<br />
dabei aber streng zu kontrollieren.<br />
Im Aldi-internen Regelwerk wurden die<br />
Arbeitsbereiche lange Zeit bis hin zur<br />
Organisation der Schreibtische aufgedröselt.<br />
Es ist präzise festgelegt, wer in der<br />
Führungshierarchie <strong>vom</strong> Filialleiter bis<br />
zum Geschäftsführer über welche Themen<br />
zu bestimmen hat.<br />
„Führungskräfte dürfen nicht nur, sie<br />
müssen entscheiden“, sagt Peschke.<br />
„Durchregieren oder Weiterreichen von<br />
Verantwortung werden konsequent verhindert.“<br />
Erfolge wie Misserfolge sind so direkter<br />
messbar.<br />
6<br />
Einziger Luxus<br />
Golfplatz von Sparfuchs<br />
Albrecht – im<br />
Hotel nebenan tagt<br />
der Familienclan<br />
6. Sichere die Handlungsfähigkeit<br />
des<br />
Unternehmens ab!<br />
Mit den Managementstrukturen auf das<br />
Engste verzahnt ist die sogenannte systemische<br />
Stabilität des Konzerns. Soll heißen:<br />
So leicht bringt den Handelsriesen<br />
nichts ins Wanken. Stets versucht das Unternehmen,<br />
mehrere Lieferanten für ein<br />
Produkt parat zu haben. Im Zweifel kann<br />
der Hersteller ausgetauscht werden, ohne<br />
die Warenversorgung zu gefährden. Derlei<br />
Unabhängigkeitsbestrebungen ziehen sich<br />
durch alle Bereiche und machen auch vor<br />
dem Personal nicht halt. Im Mittelpunkt<br />
des Geschäftsmodells stehe nicht die Einzelleistung<br />
eines oder mehrerer Top-Manager,<br />
sagt Experte Peschke. Mitarbeiter<br />
würden stets auch für die nächsthöhere<br />
Führungsebene ausgebildet. Die Konsequenz:<br />
Jeder Mitarbeiter ist im System Aldi<br />
ersetzbar. Das gilt letztlich wohl selbst für<br />
eine Galionsfigur wie Karl Albrecht.<br />
7<br />
7. Regele rechtzeitig<br />
das Erbe!<br />
Dass für Familienunternehmen die Nachfolge-<br />
schnell zur Existenzfrage werden<br />
kann, zeigen Erbfolgekriege, wie sie jahrelang<br />
die Hamburger Kaffeedynastie Herz<br />
bei Tchibo ausfocht. Bei Aldi Süd scheinen<br />
derlei Grabenkämpfe ausgeschlossen. Mit<br />
Akribie und Vorausschau hat Karl Albrecht<br />
zu Lebzeiten geregelt, was zu regeln war.<br />
Bereits Anfang 1997 soll er laut „Spiegel“<br />
für knapp 70000 Mark acht Grabstellen im<br />
Feld 15 des städtischen Friedhofs in Essen<br />
Bredeney für sich und die Seinen gekauft<br />
haben. Schon vor Jahrzehnten balancierte<br />
er Aldis Eigentums- und Führungsstruktur<br />
so aus, dass auch im Todesfall der Fortbestand<br />
und die Unabhängigkeit des Unternehmens<br />
gesichert sind.<br />
Operativ wacht ein Koordinierungsrat –<br />
vergleichbar einem AG-Vorstand – aus drei<br />
angestellten Managern über die Geschicke<br />
des Discounters. Kontrolliert wird das Führungsteam<br />
um Norbert Podschlapp von einem<br />
Beirat, bestehend aus drei Eigentümervertretern<br />
– Familiensprecher Peter Heister,<br />
seiner Frau Beate und Albrecht-Enkel Peter<br />
Max Heister – sowie drei externen Räten:<br />
Neben Ex-BASF-Chef Jürgen Hambrecht<br />
gehören Renate Köcher, Leiterin des Allensbacher<br />
Instituts, sowie der Wirtschaftsprüfer<br />
Jost Wiechmann dem Gremium an.<br />
Zudem brachte Albrecht schon in den<br />
Siebzigerjahren den Großteil seines Vermögens<br />
in eine Familienstiftung ein: Die<br />
Siepmann-Stiftung – benannt nach dem<br />
Mädchennamen seiner Mutter – hält die<br />
Anteile an Aldi Süd. An ihrer Spitze steht<br />
Peter Max Heister, der über die Doppelfunktion<br />
in Stiftung und Beirat in Zukunft<br />
zum zentralen Aldi-Akteur werden könnte.<br />
Die diffizile Konstruktion macht nicht<br />
nur einen Verkauf oder eine Zerschlagung<br />
von Aldi Süd faktisch unmöglich, sondern<br />
bringt auch finanzielle Vorteile: Erbschaftsteuern<br />
auf den Milliardenbesitz können<br />
gedrückt und über einen langen Zeitraum<br />
gestreckt werden.<br />
n<br />
henryk.hielscher@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 49<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Zu wenig Praxiserfahrung«<br />
INTERVIEW | Walter Schwerdtfeger Deutschlands oberster Arzneiprüfer ist skeptisch bei neuen<br />
Medikamenten und sorgt sich um die Sicherheit von Herzschrittmachern und künstlichen Gelenken.<br />
Herr Professor Schwerdtfeger, immer öfter<br />
wird vor gefährlichen Nebenwirkungen<br />
bei Medikamenten gewarnt. Auch die<br />
Schadensmeldungen bei Brustimplantaten<br />
oder Herzschrittmachern nehmen zu.<br />
Wie sicher sind die Patienten noch?<br />
Grundsätzlich funktioniert das System der<br />
Überwachung. Es gibt aber Schwächen<br />
und Lücken, die zu Risiken führen können,<br />
vor allem bei Medizinprodukten, die<br />
in den Körper eingesetzt werden, wie etwa<br />
Brustimplantaten oder künstlichen Gelenken.<br />
Mehrere Tausend Frauen in Deutschland<br />
erhielten von der französischen Firma PIP<br />
hergestellte, schadhafte Brustimplantate.<br />
Wie lässt sich das verhindern?<br />
Das lässt sich nie ganz verhindern. Hier<br />
war kriminelle Energie des Herstellers im<br />
Spiel. Immerhin müssen die Überwachungsstellen<br />
in Zukunft auch nicht angemeldete<br />
Kontrollen der Hersteller durchführen.<br />
Bisher war eine 14-tägige vorherige<br />
Anmeldung üblich.<br />
Anderes Beispiel: Herzschrittmacher des<br />
US-Unternehmens Medtronic senden unvermutet<br />
Stromstöße aus. Der CDU-Politiker<br />
Wolfgang Bosbach ist deswegen im<br />
vergangenen Jahr zusammengebrochen.<br />
Medizinprodukte, die im Körper verbleiben,<br />
wie auch Herzschrittmacher, müssten<br />
in der klinischen Prüfung intensiver auf ihre<br />
Eignung zur Anwendung im menschlichen<br />
Körper untersucht werden.<br />
Wie sicher sind künstliche Gelenke?<br />
Sie steigern die Lebensqualität enorm. Mit<br />
zunehmender Verweildauer im Körper<br />
können zum Beispiel Schwermetalle in<br />
den Körper gelangen, oder es bilden sich<br />
Entzündungen. Auch hier wissen wir noch<br />
zu wenig über das Langzeitverhalten.<br />
Was hält Sie davon ab, genauer hinzusehen?<br />
Immerhin Sie sind doch der Präsident<br />
des Bundesinstituts für Arzneimittel<br />
und Medizinprodukte, kurz BfArM.<br />
Das Wort Medizinprodukte taucht zwar im<br />
Namen auf, aber mit der Prüfung haben<br />
wir nur am Rande zu tun. Wir registrieren<br />
Fehlermeldungen, nachdem etwa künstliche<br />
Hüftgelenke schon auf dem Markt<br />
sind. Die Verkehrsfähigkeit wird von Einrichtungen<br />
wie dem TÜV bescheinigt. Das<br />
VOM FORSCHER ZUM BEHÖRDENCHEF<br />
Schwerdtfeger, 65, leitet seit 2010 das<br />
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />
(BfArM) in Bonn, Deutschlands<br />
oberste Zulassungsbehörde. Der promovierte<br />
Biologe und Honorarprofessor begann in<br />
der Wissenschaft, unter anderem am Max-<br />
Planck-Institut für Hirnforschung. 1992<br />
wechselte er als Referatsleiter ins Bundesgesundheitsministerium.<br />
Schwerdtfegers<br />
Vertrag endet am 31. Juli; entsprechend<br />
offen äußert er sich im Interview. Ein Nachfolger<br />
ist noch nicht benannt.<br />
50 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Problem ist: Die Überwacher sind auf Aufträge<br />
aus der Industrie angewiesen. Es ist<br />
nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen<br />
weniger kritisch geprüft wird, um mehr<br />
Aufträge zu erhalten.<br />
Was muss sich ändern?<br />
Wirksamere Kontrollen können nur <strong>vom</strong><br />
europäischen Gesetzgeber beschlossen<br />
werden. Es ist aber sehr schwierig, dafür<br />
Mehrheiten zu finden, weil die Mitgliedsländer<br />
das Thema als unterschiedlich brisant<br />
einschätzen. Das BfArM bewertet sicherheitsbezogene<br />
Meldungen und<br />
schlägt gegebenenfalls Maßnahmen zur<br />
Abhilfe vor. Durchsetzen können solche<br />
Maßnahmen aber nur die Behörden der<br />
Länder. Deren Betrachtungsweisen sind<br />
nicht überall dieselben. Es scheint mir<br />
nicht der Intention des Grundgesetzes zu<br />
entsprechen, wenn auf diese Weise innerhalb<br />
von Deutschland ein unterschiedliches<br />
Schutzniveau entsteht.<br />
Arzneien werden strenger kontrolliert.<br />
Dennoch treten immer wieder unerwartete<br />
Nebenwirkungen auf. Warum?<br />
Das System der Arzneimittelkontrolle<br />
funktioniert im Prinzip sehr gut. Aber Sie<br />
können nicht jede Nebenwirkung über<br />
große klinische Studien erkennen – auch<br />
nicht, wenn mehrere Tausend Patienten<br />
einbezogen sind. Auch lassen sich nicht alle<br />
Wechselwirkungen mit anderen Präparaten<br />
ausschließen, bevor ein Medikament<br />
auf dem Markt ist. Natürlich haben Unternehmen<br />
und Patienten ein berechtigtes Interesse<br />
daran, dass neue Mittel schnell auf<br />
den Markt kommen. Aber die weisen eben<br />
noch wenig Praxiserfahrung auf. Ich selbst<br />
würde mich – wenn ich die Wahl zwischen<br />
einem älteren und einem neuen Medikament<br />
hätte – immer für das ältere entscheiden.<br />
Das kann in Wirkungen und Nebenwirkungen<br />
besser eingeschätzt werden.<br />
Boehringer Ingelheim hat mit Pradaxa ein<br />
Mittel auf den Markt gebracht, das<br />
Tausende Schlaganfälle verhindert, aber<br />
vereinzelt teils tödliche Blutungen auslösen<br />
soll, für die es kein Gegenmittel gibt.<br />
Darf so ein Mittel auf den Markt kommen?<br />
Ja, wenn die Zulassungsbehörden eine positive<br />
Nutzen-Risiko-Bewertung vorgenommen<br />
haben. Der Einsatz neuartiger<br />
Arzneimittel muss von den anwendenden<br />
Ärzten intensiv beobachtet werden.<br />
Über europaweite Zulassungen wie bei<br />
Pradaxa entscheidet die europäische Arzneimittelagentur<br />
EMA in London. Wie viel<br />
Einfluss hat Ihre nationale Behörde noch?<br />
Deutschland ist das größte EU-Land, wir<br />
sind die größte Arzneimittelbehörde in Europa<br />
und haben einigen Einfluss. Unsere<br />
Experten sind in wissenschaftlichen Ausschüssen<br />
und Gremien vertreten.<br />
Anfang dieses Jahres hat die EMA das<br />
neue Hepatitis-C-Mittel Sovaldi des US-<br />
Konzerns Gilead zugelassen. Eine dreimonatige<br />
Behandlung kostet um die 100 000<br />
Euro. Das ist doch nur noch dreist, oder?<br />
Für die Preisfestsetzung sind nicht die Zulassungsbehörden<br />
zuständig. Meine persönliche<br />
Meinung ist, dass der Preis für ein<br />
Arzneimittel wie zum Beispiel Sovaldi völlig<br />
überzogen ist, selbst wenn dieses neue<br />
Arzneimittel einen großen medizinischen<br />
Fortschritt mit sich bringen würde.<br />
Die EMA will für mehr Transparenz sorgen,<br />
da die Pharmakonzerne negative<br />
Aspekte klinischer Studien gegenüber der<br />
Öffentlichkeit gern unter Verschluss<br />
halten. Eine entsprechende Transparenz-<br />
Regelung ist gerade verschoben worden.<br />
Setzt sich da die Pharma-Lobby durch?<br />
Hier steht das berechtigte Informationsinteresse<br />
von Wissenschaftlern und Patienten<br />
im Widerstreit mit dem ebenso berechner<br />
Frau durch ein Pfizer-Mittel ausgelöst<br />
worden sein könnte. Warum öffnet das<br />
BfArM nicht häufiger seine Türen?<br />
Auch Behörden haben Beharrungsvermögen.<br />
Es ist gut, dass er den Hinweis zutage<br />
gefördert hat. Aber es gibt auf einen gerechtfertigten<br />
Verdacht Hunderte, an denen<br />
nichts dran ist. Wenn jeder unsere Bibliothek<br />
und Datenspeicher nutzen könnte,<br />
würde das unsere Arbeit lahmlegen. Die<br />
finanzielle Ausstattung ist jetzt schon<br />
knapp. Wir bekommen etwa neue Stellen<br />
grundsätzlich nur, wenn sie sich durch Gebühreneinnahmen<br />
refinanzieren. Es gibt<br />
Anfragen von Journalisten, Forschern und<br />
Unternehmen. Neulich hat eine Kollegin<br />
für eine Anfrage drei Tage lang kopiert. Dafür<br />
dürfen wir maximal 500 Euro nehmen.<br />
Können Sie garantieren, dass in den<br />
Arzneien für deutsche Apotheken und<br />
Kliniken immer genau das drin ist, was<br />
draufsteht?<br />
Es gibt ein gewisses Risiko, dass Arzneimittel<br />
gefälscht sind, also keinen oder einen<br />
falschen, womöglich schädlichen Wirkstoff<br />
»Ich selbst würde mich immer für ein<br />
älteres Medikament entscheiden«<br />
tigten Interesse der Unternehmen, ihre Betriebs-<br />
und Geschäftsgeheimnisse zu bewahren.<br />
Ich finde: Informationen über den<br />
Ablauf von klinischen Studien müssen offengelegt<br />
werden, aber nicht alle Details.<br />
Der Schweizer Konzern Roche hat gegenüber<br />
dem Forschernetzwerk Cochrane<br />
jahrelang Studien zu seinem umstrittenen<br />
Grippemittel Tamiflu zurückgehalten.<br />
Das habe ich auch nicht verstanden. Die<br />
Konzerne legen den Begriff Geschäftsgeheimnis<br />
weit aus und geben nichts heraus,<br />
was nicht zwingend vorgeschrieben ist.<br />
Also brauchen wir striktere Vorschriften?<br />
Daran arbeitet die EMA ja gerade.<br />
Ist es nachvollziehbar, dass Bayer die<br />
Akten zu einem Hormonpräparat aus den<br />
Siebzigerjahren nicht herausrückt, das<br />
etliche Patienten geschädigt haben soll?<br />
Es dürfte für Bayer schwer werden, die Akten<br />
dauerhaft zurückzuhalten. Grundsätzlich<br />
müssen die Unternehmen anerkennen,<br />
dass die Öffentlichkeit einen Anspruch<br />
auf solche Daten hat.<br />
Vor Jahren klagte sich der Witwer Lothar<br />
Schröder ins BfArM-Archiv. Dort fand er<br />
einen Hinweis, dass der Selbstmord seienthalten.<br />
Der Anteil liegt aber meines Erachtens<br />
immer noch unter einem Prozent.<br />
Das ist noch zu viel. Wer kontrolliert das?<br />
Die Zoll- und Polizeibehörden und die<br />
Überwachungsbehörden der Länder, mit<br />
denen wir eng zusammenarbeiten.<br />
Für Kriminelle ist das ein lukratives Feld.<br />
Kürzlich sind in Italien Krebsmittel<br />
gestohlen worden. Wie groß ist die Gefahr?<br />
Die italienischen Behörden haben uns gesagt,<br />
dass sie für die Sicherheit von Medikamenten<br />
aus ihrem Land nicht garantieren<br />
können. Derzeit wird etwa anhand der<br />
Lieferscheine der Importeure die Legalität<br />
der Lieferwege überprüft. Wir wissen aber<br />
nicht, wie lange der Betrug schon lief, bevor<br />
er aufflog. Wir müssen davon ausgehen,<br />
dass ein gewisser Anteil Patienten und<br />
Krankenhäuser erreicht hat.<br />
Wie können Patienten sich schützen?<br />
Fälschungen fallen oft nicht auf, zumal sie<br />
mit deutschen Beipackzetteln ausgestattet<br />
werden. Es gibt Forderungen, bestimmte<br />
Importwege von Arzneimitteln generell<br />
abzuschaffen. Aber das hilft nicht wirklich.<br />
Kriminelle Energie findet immer Wege. n<br />
juergen.salz@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 51<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Am offenen Herzen<br />
BILFINGER | Roland Koch hat zu viel auf einmal angepackt, werfen<br />
ihm interne Kritiker vor. Manager beklagen irrationale Vorgaben.<br />
Roland Koch setzt eigenes Geld ein,<br />
um den Kurssturz der Bilfinger-Aktie<br />
zu bremsen. Zuletzt hatte der Chef<br />
des Mannheimer MDax-Konzerns beim<br />
Amtsantritt 2011 Aktien gekauft. 2014 griff<br />
er schon zweimal zu: im Mai bei 86 Euro<br />
und am 7. Juli bei nur noch 70 Euro.<br />
Der jüngste Kauf erfolgte eine Woche<br />
nach der Gewinnwarnung, die den Bilfinger-Kurs<br />
auf Talfahrt geschickt hatte. Doch<br />
die investierten 50 000 Euro – nach 100 000<br />
Euro im Mai – waren wohl zu homöopathisch,<br />
um die skeptisch gewordenen Börsenprofis<br />
zu beeindrucken. Inzwischen<br />
notiert die Aktie nur noch bei 65 Euro.<br />
Koch, der Anleger, ist also im Minus.<br />
Koch, der Manager, ist es auch. Genau drei<br />
Jahre nach seinem aufsehenerregenden<br />
Wechsel von der Politik in die Top-Etage<br />
der deutschen Wirtschaft steckt der frühere<br />
hessische Ministerpräsident in der Krise.<br />
„Mir war von Anfang an klar, dass mir<br />
auch mal richtig der Wind ins Gesicht<br />
bläst“, gibt sich der 56-Jährige jüngst in einem<br />
Interview abgeklärt, „und das ist jetzt<br />
der Fall.“ Allerdings wirkt der Macher ratlos.<br />
Er erwägt eine weitere Internationalisierung<br />
Richtung Südafrika und Mittlerer<br />
Osten für den zum Industrie-, Kraftwerksund<br />
Gebäudedienstleister mutierten früheren<br />
Baukonzern. Aber das muss er erst<br />
einmal „im Vorstand entscheiden und im<br />
Aufsichtsrat erörtern“. Mitte November erst<br />
will Koch neue Mittelfristziele verkünden<br />
und damit „jene Fantasie wieder wecken,<br />
die im Moment aus der Aktie raus ist“.<br />
KONZERN ALS GROSSBAUSTELLE<br />
Strategisch drohen Bilfinger damit vier Monate<br />
Perspektivlosigkeit. Gleichzeitig sind<br />
die 74 000 Mitarbeiter angesichts der Vielzahl<br />
laufender Umstrukturierungs- und<br />
Sparprogramme zunehmend desorientiert,<br />
frustriert und maximal unter Druck.<br />
Die Großbaustelle Bilfinger ist auch für<br />
Eingeweihte kaum noch überschaubar.<br />
„Koch hat zu viel auf einmal angepackt<br />
und dabei das System so unter Stress gesetzt,<br />
dass Fehler passieren“, kritisiert IG-<br />
Metall-Vorstand Holger Timmer, der bis<br />
Mai im Bilfinger-Aufsichtsrat saß und inzwischen<br />
ThyssenKrupp kontrolliert:„Was<br />
»Koch setzt das<br />
System so unter<br />
Stress, dass<br />
Fehler passieren«<br />
Der bisherige Bilfinger-Aufsichtsrat und<br />
IG-Metall-Vorstand Holger Timmer<br />
verwaltung der bisher in München sitzenden<br />
Industrieservicesparte BIS, die fast die<br />
Hälfte des Bilfinger-Geschäfts steuerte,<br />
wird komplett demontiert. Das Management<br />
um den angesehenen BIS-Chef Thomas<br />
Töpfer wurde geschasst oder vergrault<br />
– zugunsten der Zentrale in Mannheim.<br />
Gut war das bislang für Berater wie die<br />
Boston Consulting Group. Unter Koch sei<br />
„eine hohe zweistellige Millionensumme“<br />
für Beratungsleistungen geflossen, verrät<br />
ein Insider. Ein anderer bestätigt, es seien<br />
40 bis 60 Millionen Euro gewesen.<br />
Was die Einschnitte Bilfinger bringen,<br />
muss sich noch zeigen. Von einer „Operation<br />
am offenen Herzen“ spricht Gewerkschafter<br />
Timmer: „Wie viel Zeit bleibt den Mitarbei-<br />
bei Bilfinger in den letzten drei Jahren an<br />
Programmen gestartet wurde, hätte auch<br />
andere Organisationen an den Rand des<br />
Funktionierens gebracht.“<br />
So soll das Strategieprogramm Best (Bilfinger<br />
Escalates Strength) unter anderem<br />
die „konzerninterne Vernetzung“ der 500<br />
Bilfinger-Einzelunternehmen für „verstärktes<br />
Cross-Selling“ fördern. Dafür wird etwa<br />
eine komplexe Auftrags-Datenbank aufgebaut,<br />
von der ein Manager sagt: „Der Aufwand<br />
ist riesig, aber ich glaube nicht, dass<br />
das mehr Aufträge bringt.“<br />
Während Best den Austausch fördern<br />
soll, verbreitet das Excellence-Programm<br />
vielerorts Misstrauen und Frust. Gedacht<br />
ist Excellence „zur Steigerung der Effizienz<br />
und Wettbewerbsfähigkeit“. 1250 Jobs<br />
überwiegend in Deutschland werden dabei<br />
abgebaut. Die funktionierende Selbsttern<br />
noch für die Kunden, wenn das Management<br />
sie zwingt, sich so viel mit sich<br />
selbst zu beschäftigen?“ Die Frage sei, „ob<br />
Koch die richtigen Prioritäten gesetzt hat, um<br />
Bilfinger weiter zu entwickeln“. Ein hochrangiger<br />
Bilfinger-Manager teilt Timmers Analyse:<br />
„Koch hat zu viel gleichzeitig gewollt. Die<br />
Energien werden innen vergeudet.“<br />
Nun herrscht Chaos allerorten.<br />
Die in München gekündigten Verwaltungsmitarbeiter<br />
gehen schneller als gewollt.<br />
Sobald sie neue Jobs haben, sind sie<br />
weg – und reißen Lücken. „Kollegen in<br />
Mannheim sollen ihre Funktionen übernehmen,<br />
ersaufen aber in Arbeit und finden<br />
keine Ansprechpartner mehr, die sie<br />
was fragen können“, klagt ein Mitarbeiter<br />
der ehemaligen BIS-Sparte. Neueinstellungen<br />
als Entlastung für die Mannheimer<br />
sind fraglich, weil gespart werden muss.<br />
NERVOSITÄT AN DEN STANDORTEN<br />
Rund 250 der 1700 Münchner Mitarbeiter<br />
sollen von fünf Standorten an einem zusammenrücken.<br />
„Aber wo in der Stadt, das<br />
sagt uns seit einem Dreivierteljahr kein<br />
Mensch“, schimpft der Bilfinger-Mann: „Da<br />
konkurrieren Interessen. Niemand haut<br />
auf den Tisch und entscheidet.“ Er attestiert<br />
„Führungsschwäche bis ganz oben“.<br />
Ähnlich unsicher ist die Lage in Hamburg.<br />
Im Herbst 2013 verkündete Koch, die<br />
elf Bilfinger-Standorte dort sollten in möglichst<br />
einer Immobilie zusammengeführt<br />
werden, um Kosten zu sparen. Klingt vernünftig.<br />
Doch wo das sein wird, wissen die<br />
Bilfinger-Hanseaten bis heute nicht.<br />
Auch im Ruhrgebiet herrscht Unsicherheit.<br />
In Oberhausen und Dortmund arbeitet<br />
gut die Hälfte der 1100 Mitarbeiter der<br />
Bilfinger-Kraftwerksparte. Ihr Auftragsmangel<br />
löste die Gewinnwarnung vor vier<br />
Wochen aus. Bis zu 300 der Power-Mitarbeiter<br />
müssen demnächst gehen – aber in<br />
welchen Betrieben und wer, das ist offen.<br />
Gefunden sind die Standorte der<br />
Shared-Service-Center, in denen Koch<br />
Buchhaltung und Gehaltsabrechnung zusammenführt:<br />
180 der Jobs sollen in Essen<br />
angesiedelt werden. Weitere 100 gehen vorläufig<br />
nach Eschborn bei Frankfurt – „bis<br />
über einen endgültigen Bilfinger-Standort<br />
in der Rhein-Main-Region entschieden ist“,<br />
teilt das Unternehmen mit. Viele Mitarbeiter<br />
stehen vor der Frage, ob sie umziehen<br />
sollen – auch rund 300 IT-Kräfte, deren 30<br />
Standorte auf zwölf reduziert werden.<br />
Nervosität überall. Aber Koch – von den<br />
Erwartungen des 20-Prozent-Aktionärs Cevian<br />
Capital getrieben – will auch noch das<br />
FOTO: LAIF/DOMINIK BUTZMANN<br />
52 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Excellence-Programm beschleunigen. Das<br />
freut vielleicht die Börsianer. Doch die Basis<br />
fasst sich an den Kopf. Der Top-Manager<br />
einer Bilfinger-Tochter klagt: „Was bei<br />
uns an Vorgaben ankommt, ist irrational.<br />
Frühverrentungen und einvernehmliche<br />
Trennungen sind Vereinbarungen. Die<br />
kann ich nicht wieder aufschnüren und ein<br />
bisschen schneller abwickeln.“<br />
Der Bilfinger-Verantwortliche berichtet,<br />
Planzahlen würden autoritär durchgedrückt:<br />
„Da will keiner mehr die Wahrheit<br />
hören.“ Ziele seien unrealistisch gewesen:<br />
„Irgendeiner hat sich in den Kopf gesetzt:<br />
Power macht zehn Prozent. Wir haben auf<br />
die Gewinnwarnung geradezu gewartet<br />
und uns gewundert, dass sie erst jetzt kam.“<br />
Kochs Ad-hoc-Meldung kassierte dann<br />
Ankündigungen ein, die er ein paar Wochen<br />
zuvor bei der Hauptversammlung<br />
noch bekräftigt hatte. Deshalb sei die aktuelle<br />
schroffe Kurskorrektur der Bilfinger-<br />
Aktie „keine Sache, die sich in zwei, drei<br />
Wochen erledigt“, glaubt Ingbert Faust,<br />
Analyst bei der Frankfurter Investmentbank<br />
Equinet. Fausts Kollege Marc Gabriel<br />
von der Lampe Bank hält den Kurssturz<br />
zwar für übertrieben, sieht aber Koch<br />
„deutlich stärker unter Erfolgsdruck“.<br />
Unter Erfolgsdruck<br />
Die Börse erwartet<br />
wieder steigende<br />
Gewinne von Bilfinger<br />
– Konzernchef<br />
und Ex-Politiker<br />
Koch muss liefern<br />
Hoch und Tief im Koch-Depot<br />
Wie sich die von Roland Koch gekauften Bilfinger-Aktien entwickelt haben (Kurs in Euro) 1<br />
1.7.2011<br />
1. Aktienkauf und<br />
Amtsantritt Koch,<br />
Kurs: 68,27 €<br />
Depot: 49 837 €<br />
Durchschnittlicher<br />
Einstiegskurs 2 :<br />
77,49 €<br />
20.8.2011<br />
Tiefstkurs: 50,47 €<br />
Depot: 36 843 €<br />
25.9.2012<br />
Umbenennung:<br />
Aus Bilfinger Berger<br />
wird Bilfinger<br />
8.5.2014<br />
2. Aktienkauf, Kurs: 85,76 €<br />
Depot: 162515 €<br />
4.4.2014<br />
Höchstkurs: 92,72 €<br />
Depot: 67 686 €<br />
20.9.2013<br />
Koch verkündet Abbau<br />
von 1250 Stellen<br />
7.7.2014<br />
3. Aktienkauf,<br />
Kurs: 70,16 €<br />
Depot: 183118 €<br />
30.6.2014<br />
Ad-hoc-<br />
Mitteilung<br />
24.7.2014<br />
Kurs: 66,00 € 3<br />
Depot: 172260 € 3<br />
2011 2012 2013 2014<br />
ISIN: DE0005909006; 1 nicht berücksichtigt: Kauf der Bilfinger-Aktienanleihe (ISIN: DE000TD16MA0) am 9.7.2014<br />
für 49 585 Euro; 2 gewichtet; 3 bei Redaktionschluss; Quelle: Thomson Reuters, Bilfinger<br />
95<br />
90<br />
85<br />
80<br />
75<br />
70<br />
65<br />
60<br />
55<br />
50<br />
DAS JAHR DER ENTSCHEIDUNG<br />
Bisher hatte die Börse Bilfingers Wandel<br />
<strong>vom</strong> Bauunternehmen zum profitableren<br />
Industriedienstleister honoriert. Der zurzeit<br />
laufende Verkauf der Tiefbausparte ist<br />
der letzte Schritt dieser Metamorphose.<br />
Doch die Energiekonzerne als wichtige<br />
Kunden des neuen Dienstleisters stecken<br />
selbst in der Krise. Analyst Faust hält deshalb<br />
Kochs Plan, die Marge im Kraftwerkbereich<br />
2016 wieder auf über acht Prozent<br />
zu heben, für „ambitioniert. Die Energiekonzerne<br />
werden Kosten senken, wo sie<br />
nur können – auch bei den Dienstleistern.“<br />
Im ersten Quartal blieb Bilfinger nach allen<br />
Belastungen nur ein knapper Gewinn.<br />
Die Zahlen des zweiten Quartals, die Koch<br />
am 11. August vorlegt, werden kaum besser.<br />
Bilfinger müsste in den kommenden<br />
Monaten enorm zulegen, um 2014 noch einen<br />
substanziellen Nettogewinn zu erzielen<br />
– bei zunächst höheren Kosten durch<br />
zusätzlichen Jobabbau. Das wird schwer.<br />
Die Börse aber wartet auf bessere Auftragszahlen,<br />
auf wieder real verdiente Gewinne.<br />
Ob Koch eine Amtsverlängerung gewährt<br />
wird, hieß es immer, entscheidet<br />
sich 2014. „Der Kursverlust“, sagt ein Weggefährte,<br />
„geht ihm tief unter die Haut.“ n<br />
harald.schumacher@wiwo.de, anton riedl<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 53<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Thinkbig100«<br />
SERIE GRÜNDER (III) | USA Deutsche Start-ups erobern das Internet-Mekka Silicon Valley. Ihr Erfolgsrezept:<br />
Sie entwickeln nicht wie viele andere Apps oder Online-Shops für die Masse, sondern bieten<br />
Unternehmenskunden hoch spezialisierte Dienste und Software an. Wer sind diese Hidden Champions?<br />
Zwischen all den coolen Gründertypen,<br />
die neue Messenger-Dienste<br />
wie WhatsApp oder andere verrückte<br />
Apps entwickeln, wirkt Tobias Bauckhage<br />
wie der Chef eines Versicherungskonzerns.<br />
Grundsolide ist das Geschäftsmodell seines<br />
Start-ups Moviepilot und auch ein wenig<br />
altmodisch. Die werbefinanzierte Filmempfehlungsseite<br />
ist auch schon seit sieben<br />
Jahren im Netz, Bauckhages Unternehmen<br />
mit Sitz am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg<br />
nimmt damit Jahr für Jahr<br />
hohe einstellige Millionensummen ein.<br />
Auf den zweiten Blick ist das Geschäft<br />
des 38-Jährigen aber so aufregend, wie es<br />
eines seiner Profilbilder im Internet verspricht:<br />
Auf dem Foto sieht Bauckhage aus<br />
wie Johnny Depp im Drogentrip-Film<br />
„Fear and Loathing in Las Vegas“ – mit getönter<br />
Skibrille posiert er in der Wüste, die<br />
lange Zigarette lässig im Mundwinkel.<br />
Die coole Pose passt, denn in Hollywood<br />
ist der deutsche Unternehmer inzwischen<br />
ein heimlicher Star. 2012 ging er nach Los<br />
Angeles. Am „Silicon Beach“, wo der angesagte<br />
Bilderdienst Snapchat oder das Filmportal<br />
Hulu sitzen, eröffnete Bauckhage eine<br />
Niederlassung und startete eine englische<br />
Version von Moviepilot. Inzwischen<br />
hat er monatlich bis zu 20 Millionen Besucher,<br />
bei Smartphone-Nutzern gehört Moviepilot<br />
zu den 50 beliebtesten Seiten der<br />
USA. Bei Facebook zählt Bauckhages Unternehmen<br />
27 Millionen Anhänger, verteilt<br />
auf Unterseiten für Fans etwa von Vampirfilmen<br />
oder von romantischen Komödien.<br />
Vor allem mit dem Wissen über die Vorlieben<br />
seiner Nutzer macht der gebürtige<br />
Bad Harzburger inzwischen sein Geschäft.<br />
„Wir haben mehr Daten über Filmfans als<br />
manche Studios“, sagt Bauckhage. Dieses<br />
Wissen stellt er den Marketingmanagern in<br />
Hollywood zur Verfügung: Wenn Sony<br />
oder 20th Century Fox Werbefeldzüge für<br />
neue Filme entwickeln, hilft Bauckhage mit<br />
seiner mächtigen Datenbank bei der Planung<br />
der Kampagnen auf Facebook. Dafür<br />
investieren die Filmproduktionsfirmen inzwischen<br />
sechsstellige Summen. „Wir<br />
konnten unser Geld viel effizienter ausgeben“,<br />
sagt Lutz Rippe, Marketingchef bei<br />
Andere Dimension<br />
Wagniskapital-Investitionen (in Mio. Euro)<br />
17 375<br />
2010<br />
723<br />
Quelle: NVCA, BVK<br />
USA<br />
22 127<br />
Deutschland<br />
20 344<br />
22 052<br />
717 567 674<br />
2011 2012 2013<br />
Studiocanal. Er hat mit Bauckhages Hilfe<br />
zuletzt den zweiten Teil der „Tribute von<br />
Panem“ in Deutschland beworben: Statt<br />
wie sonst 50 musste er nur 30 Cent pro<br />
Facebook-Fan ausgeben.<br />
Neben Moviepilot gibt es eine ganze Reihe<br />
deutscher Start-ups, die Büros in den<br />
USA eröffnet haben, um im Stammland der<br />
digitalen Avantgarde mit den US-Newcomern<br />
zu konkurrieren. Ihre Geschäfte<br />
machen sie ohne großes Tamtam und weitgehend<br />
unbemerkt von der breiteren<br />
Öffentlichkeit. Weder programmieren sie<br />
bekannte Apps, noch gehören sie zu den<br />
Online-Händlern, die auf Apple-Normalverbraucher<br />
zielen. Ihre Strategie ist unauffällig,<br />
aber erfolgreich: Sie bieten hoch spezialisierte<br />
Dienste und Software an, etwa<br />
für Datenanalyse oder Smartphone-Werbung.<br />
Ihre Kunden sind nicht die breite<br />
Masse, sondern zahlungskräftige Unternehmen<br />
wie Siemens, SAP oder Zalando.<br />
Auch in den USA sind die deutschen<br />
Spezialisten zunehmend gefragt. Bei Per<br />
Fragemann stammen sogar drei Viertel der<br />
350 Kunden aus den Vereinigten Staaten.<br />
Der Chef und Gründer des Berliner Unternehmens<br />
Small Improvements bietet Personalchefs<br />
eine Software, um Mitarbeiter-<br />
Feedback einzuholen. Das populäre Netzwerk<br />
Pinterest, Browser-Urgestein Opera<br />
oder die aus Australien stammenden Spezialisten<br />
für Surferkleidung von Quicksilver<br />
nutzen Small Improvements. In Deutschland<br />
hat Fragemann dagegen nicht einmal<br />
ein Dutzend Kunden. Die meisten Rechnungen<br />
seiner deutschen GmbH werden<br />
in Dollar fakturiert, darum zählt er auch<br />
den Umsatz in der US-Währung: „In den<br />
vergangenen 52 Wochen hatten wir 1,3<br />
Millionen“, sagt Fragemann. Die Euro-Million<br />
müsste also bald geknackt sein.<br />
HEIMLICHER MILLIARDENDEAL<br />
In der deutschen Gründerszene werden<br />
diese Hidden Champions im Gegensatz zu<br />
manchem gehypten Berliner Start-up<br />
kaum wahrgenommen. Dabei hat es sogar<br />
schon den Milliardenexit gegeben, auf den<br />
Investoren und Gründer hierzulande so<br />
sehnsüchtig warten: Im Mai wurde Team-<br />
Viewer aus dem schwäbischen Göppingen<br />
übernommen, ohne das jemand groß Notiz<br />
davon nahm. Der britische Finanzinvestor<br />
Permira zahlte schätzungsweise zwischen<br />
800 Millionen und 1,1 Milliarden<br />
Dollar für das Unternehmen.<br />
TeamViewer stellt eine Software her, mit<br />
der Computer aus der Ferne gesteuert<br />
werden. So können etwa die Kinder damit<br />
auf den Rechner der Eltern zugreifen und<br />
ein Software-Update installieren, wenn<br />
nichts mehr geht. 200 Millionen Anwender<br />
weltweit nutzen das Programm, auch in<br />
den USA wird TeamViewer immer populärer<br />
– vor allem, seit Ende 2013 ein US-<br />
Konkurrent mit einer ähnlichen Software<br />
seine kostenlose Einstiegsversion abgeschafft<br />
hat.<br />
„Jetzt entsteht die nächste große Generation<br />
an Start-ups“, sagt Dirk Kanngiesser,<br />
Geschäftsführer des German Accelerators,<br />
einem Programm, das deutschen Gründern<br />
bei der Eroberung des US-Marktes<br />
hilft. Der 58-jährige Investor war während<br />
des ersten Internet-Booms zur Jahrtausendwende<br />
Mitglied einer Taskforce der<br />
Deutschen Börse, die den Neuen Markt<br />
aufbaute. Nun will Kanngiesser der neuen<br />
Gründergeneration zur Börsenreife verhelfen.<br />
Vor zwei Jahren startete das <strong>vom</strong> Bundeswirtschaftsministerium<br />
mit jährlich<br />
rund einer Million Euro finanzierte Beschleunigungsprogramm<br />
im Silicon Valley,<br />
in diesem Monat hat ein Ableger in New<br />
FOTOS: GABOR EKECS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
54 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Venice FC In dem temporären Biergarten<br />
organisierte Bauckhage Fußball-WM-Veranstaltungen<br />
mit deutschen Gründern und<br />
Mitarbeitern von Firmen wie YouTube<br />
York eröffnet. Die Gründer bekommen für<br />
drei bis sechs Monate Büroräume gestellt.<br />
Bei Bedarf geben Silicon-Valley-Veteranen<br />
Ratschläge, wie Investoren am besten<br />
überzeugt werden können, oder vermitteln<br />
Kontakte.<br />
MOVIEPILOT | Tobias Bauckhage<br />
Bauckhage hilft Hollywood-Studios bei<br />
der Werbung in Facebook.<br />
Facebook-Fans<br />
27 Millionen<br />
ALLGEGENWÄRTIGE HELDEN<br />
Einer von Kannegießers aktuellen Schützlingen<br />
in Palo Alto ist Sebastian Klenk. Der<br />
Manager leitet die Auslandsexpansion des<br />
Nürnberger Datenbankspezialisten Exasol.<br />
Der Softwareentwickler hat eine besonders<br />
schnelle Datenbank entwickelt, mit der<br />
Unternehmen wie Adidas, Xing oder Zalando<br />
ihre Kundendaten speichern und<br />
analysieren. 40 Millionen Euro nahm das<br />
75 Mitarbeiter zählende Unternehmen damit<br />
2013 ein.<br />
Klenk hat ein Büro in einem unscheinbaren<br />
Flachbau an einer Ecke der University<br />
Avenue bezogen, die direkt zur Stanford-<br />
Universität führt. Neben seinem Schreibtisch<br />
steht ein Darth-Vader-Pappaufsteller<br />
– die „Star Wars“-Figur haben seine Vorgänger<br />
stehen lassen, als sie das Büro<br />
räumten.<br />
Die wichtigste Lektion speichern die<br />
Teams im Accelerator schon mit dem<br />
WLAN-Passwort: Thinkbig100. Das fällt<br />
nicht schwer. Denn die Spuren erfolgreicher<br />
Internet-Helden sind hier so allgegenwärtig<br />
wie Kirchen in europäischen Metropolen.<br />
In der Mittagspause etwa geht Klenk<br />
gern zu einem fünf Minuten entfernten<br />
Sandwichladen an der University Avenue:<br />
„Dort gegenüber war das erste Büro von<br />
Facebook“, sagt Klenk. Das stimmt zwar<br />
nicht ganz, Facebook hatte sein Büro einige<br />
Türen weiter, dafür wurde in dem gelbgrünen<br />
Haus 2005 Google gegründet. Später<br />
zog der Bezahldienst PayPal ein.<br />
Wie seine großen Vorbilder zielt Exasol<br />
inzwischen auch auf internationale Kunden.<br />
Im vergangenen Jahr konnte beispielsweise<br />
der durch seinen Börsengang<br />
bekannte Smartphone-Spielehersteller<br />
King.com gewonnen werden. Das britische<br />
Unternehmen nutzt die Datenbank für sein<br />
beliebtes Spiel Candy Crush. „Jeder Klick<br />
bei Candy Crush landet in unserer Datenbank“,<br />
sagt Klenk stolz.<br />
In den USA taten sich die Deutschen bislang<br />
schwer, Hauptkonkurrent Oracle hat<br />
hier ein Heimspiel. Die ersten drei Monate<br />
seien ziemlich schwierig gewesen, sagt<br />
Klenk, inzwischen entwickele sich das Geschäft<br />
aber ziemlich gut. Bei zwei Kunden,<br />
darunter einem großen Forschungsinstitut,<br />
laufen derzeit Testinstallationen. Zur<br />
Akquisition des Instituts hatte ihm sein<br />
Mentor geraten: Wenn Exasol die Forscher<br />
als Referenz gewinnen könnte, würde das<br />
auf dem US-Markt alle Türen öffnen. „Ich<br />
kannte das Institut zwar, aber dass die so<br />
wichtig sind, war mir nicht bewusst“, sagt<br />
Klenk. „Durch die Unterstützung des Accelerators<br />
kann man bestimmte Situationen<br />
besser einschätzen.“<br />
VERRÜCKTE GEHÄLTER<br />
Jörg Bienert hat da schon mehr Erfahrung.<br />
Der Kölner war 2012 einer der ersten Teilnehmer<br />
des Accelerator-Programms. Auch<br />
Bienert hat mit seinem Unternehmen Parstream<br />
eine Technologie für Big-Data-Analysen<br />
entwickelt. Das Deutsche Klimarechenzentrum<br />
nutzt das Programm zur Vorhersage<br />
von Hurrikans, der multinatio-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 55<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
nale Rohstoffriese Rio Tinto analysiert<br />
damit mögliche Lagerstätten von Bodenschätzen.<br />
Im Vorjahr nahm Parstream damit<br />
2,2 Millionen Euro ein.<br />
Wie wichtig der US-Markt für das Unternehmen<br />
ist, zeigt der jüngste Chefwechsel:<br />
Parstream hat den erfahrenen amerikanischen<br />
Marketingspezialisten Peter Jensen<br />
angeheuert, der den Job von Mitgründer<br />
Michael Hummel übernimmt und das US-<br />
Geschäft ankurbeln soll.<br />
Die Entwicklung bleibt<br />
Video<br />
Was deutsche<br />
Start-ups und<br />
Politiker auf einer<br />
Valley-Reise<br />
gelernt haben<br />
aber in Köln und wird<br />
von Hummel als Technikchef<br />
geleitet. Bienert<br />
kümmert sich weiter um<br />
das Tagesgeschäft.<br />
Technik in Deutschland<br />
und Marketing in<br />
den USA: Diese Arbeitsteilung<br />
ist häufig zu finden,<br />
vor allem aus Kostengründen. „Die<br />
Entwickler im Valley sind zwar teurer, aber<br />
nicht zwangsläufig besser“, sagt Bienert.<br />
Google oder Facebook etwa zahlen Uniabsolventen<br />
mehr als 100 000 Dollar. „Die<br />
Einstiegsgehälter haben verrückte Dimensionen<br />
angenommen“, findet auch Förderer<br />
Kanngiesser.<br />
MILLIONENFINANZIERUNGEN<br />
Auch die 65 Softwareentwickler von Ragnar<br />
Kruse sitzen in Hamburg, obwohl der<br />
ehemalige Intershop-Manager sein Unternehmen<br />
Smaato in den USA gegründet hat,<br />
direkt am Union Square, dem touristischen<br />
Herz San Franciscos. Von hier aus betreibt<br />
Smaato einen Marktplatz, auf dem Werbeanzeigen<br />
für Smartphone-Apps vermittelt<br />
werden. Als „Ebay für mobile Werbung“<br />
bezeichnet Kruse sein Unternehmen, Werbeplätze<br />
in Apps versteigert er innerhalb<br />
weniger Millisekunden, pro Tag drei Milliarden<br />
und mehr.<br />
Das im Fachjargon „real time bidding“<br />
genannte Verfahren hat sich bei Internet-<br />
Werbung inzwischen etabliert. Auch bei<br />
Anzeigen für Smartphones werden die<br />
Preise und Plätze inzwischen immer seltener<br />
fest gebucht, sondern über Auktionsplattformen<br />
wie Smaato versteigert. 80 000<br />
Kunden sind dort inzwischen registriert.<br />
Kruse hat die Entwicklung früh erkannt,<br />
schon bei der Smaato-Gründung 2005 ging<br />
er fest davon aus, dass Smartphones über<br />
kurz oder lang Computer ablösen würden.<br />
Der Erfolg brauchte Zeit, doch 2009 erwirtschaftete<br />
das Unternehmen die erste Umsatz-Million.<br />
„Jetzt hat das Wachstum richtig<br />
Fahrt aufgenommen“, freut sich Kruse.<br />
Eine zweistellige Millionensumme hat<br />
Smaato 2013 eingenommen, für dieses<br />
Jahr erwartet Kruse eine Verdreifachung.<br />
Die Durststrecke der ersten Jahre konnte<br />
Smaato dank eines üppigen Finanzierungspolsters<br />
durchstehen: Das Unternehmen<br />
ist mit 22 Millionen Dollar Wagniskapital<br />
ausgestattet. Nun kommt noch einmal<br />
eine ähnliche Summe hinzu.<br />
Von solchen Summen können die meisten<br />
Start-ups in Deutschland nur träumen.<br />
Während Gründer hierzulande im Vorjahr<br />
674 Millionen Euro eingesammelt haben,<br />
waren es im Silicon Valley 22 Milliarden<br />
Dollar (siehe Grafik Seite 54).<br />
Auch Datenbankspezialist Parstream hat<br />
den Schritt in die USA vor allem aus finanziellen<br />
Gründen gewagt. Im Valley kamen<br />
die ersten Millionen von Vinod Khosla,<br />
Mitgründer des ehemaligen Softwareherstellers<br />
Sun Microsystems, und von Wagniskapitalgeber<br />
Zachary Bogue, dem Ehemann<br />
von Yahoo-Chefin Marissa Mayer.<br />
„Das hätten wir in Deutschland nie bekommen“,<br />
sagt Bienert. Hierzulande investiere<br />
kaum jemand in B2B-Start-ups – also<br />
STREETSPOTR | Werner Hoier<br />
Mit der Smartphone-App erledigen die<br />
Nutzer unterwegs kleine Aufträge für<br />
Unternehmen.<br />
Mitglieder 250 000<br />
Unternehmen, deren Technologien für andere<br />
Firmen interessant sind. Anders in<br />
den USA: Ende 2013 hat Parstream noch<br />
mal acht Millionen Dollar eingesammelt.<br />
So weit ist Werner Hoier noch lange<br />
nicht. Er ist erst kürzlich nach San Francisco<br />
gekommen und muss sich noch an die<br />
bisweilen übertrieben euphorische amerikanische<br />
Art gewöhnen. „Hier ist alles immer<br />
super-awesome und incredible“, sagt<br />
Hoier. Als Deutscher müsse man erst interpretieren<br />
lernen, wie super-großartig und<br />
unglaublich der jeweilige Gesprächspartner<br />
das Projekt tatsächlich fände.<br />
SCHNELLERE KONTAKTE<br />
Der Wirtschaftsinformatiker hat 2011 zusammen<br />
mit Dorothea Utzt Streetspotr gegründet.<br />
Die beiden App-Entwickler sollten<br />
für BMW eine Software programmieren,<br />
mit der Öffnungszeiten und Preise von<br />
Parkhäusern im Navigationssystem erfasst<br />
werden können. Dafür haben beide eine<br />
Smartphone-App entwickelt, die solche<br />
Arbeiten auslagert. „Crowdsourcing“<br />
nennt sich das Prinzip: Nutzer der App<br />
können sich unterwegs etwas dazuverdienen,<br />
die mittlerweile 250 000 registrierten<br />
Mitglieder überprüfen beispielsweise für<br />
Unternehmen Adressen oder fotografieren<br />
Regale in Läden, um Produktplatzierungen<br />
zu kontrollieren. Für solche Minijobs bekommen<br />
sie ein paar Cent, zu den Auftraggebern<br />
gehören etwa Red Bull oder Microsoft.<br />
Die erste Finanzierungsrunde schlossen<br />
die Nürnberger im Frühjahr ab – in typisch<br />
deutschen Dimensionen: „Die Summe<br />
war sechsstellig“, sagt Hoier.<br />
Nun will er den US-Markt ausloten, sein<br />
Büro liegt in einem Jugendstilbau, in dem<br />
auch Twitter sein Hauptquartier hat. Hoiers<br />
Arbeitsplatz im sogenannten Runway –<br />
einer Art Gemeinschaftsgroßraumbüro –<br />
hat der German Accelerator eingerichtet<br />
und bezahlt. Weit mehr als ein Dutzend<br />
Start-ups werkeln hier, unmittelbar neben<br />
Hoier bastelt ein Team an Drohnen, die<br />
testweise durch den langen Flur sausen.<br />
Die ersten Gespräche mit möglichen<br />
Kunden hat Hoier schon geführt: „An den<br />
richtigen Kontakt zu kommen geht in den<br />
USA viel schneller als bei uns in Deutschland.“<br />
Kürzlich habe er sich sogar mit einem<br />
US-Konkurrenten getroffen. Das sei<br />
hier viel normaler als in der Heimat, man<br />
müsse nur aufpassen, nicht selbst zu viele<br />
Details zu verraten. Im Oktober zieht<br />
Streetspotr für drei Monate in das neue Accelerator-Büro<br />
nach New York. Hoier freut<br />
sich darauf: „Unsere potenziellen Kunden<br />
FOTOS: SWZ WERBEAGENTUR GMBH, LAIF/THOMAS RABSCH<br />
56 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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sind vor allem Konsumgüterhersteller. Und<br />
von denen sitzen viele an der Ostküste.“<br />
Ob die Nürnberger sich mit ihrer App auf<br />
dem US-Markt etablieren können, ist dennoch<br />
nicht sicher. Schon andere Teilnehmer<br />
des Accelerator-Programms haben gespürt,<br />
wie viel härter der Wettbewerb auf<br />
dem US-Markt ist. Das Dresdner Start-up<br />
Lovoo mit seiner Flirt-App etwa (WirtschaftsWoche<br />
26/2014) musste seine Hoffnungen<br />
erst mal begraben: Angesichts von<br />
Konkurrenten wie dem populären Tinder<br />
blies Gründer Benjamin Bak den Eroberungszug<br />
schnell wieder ab. „Wir lassen<br />
uns den US-Markt als mögliches Ziel noch<br />
offen“, umschreibt der Gründer den Fehlschlag<br />
diplomatisch. Stattdessen fokussiert<br />
er sich auf Europa und Brasilien.<br />
DEUTSCHE KUNDEN IM VALLEY<br />
Für Moviepilot-Gründer Bauckhage zahlt<br />
sich der Schritt über den Ozean dagegen<br />
voll aus: Er hat vor einem Monat sein<br />
Deutschlandgeschäft verkauft. 15 Millionen<br />
Euro bezahlte das französische Online-Unternehmen<br />
Webedia für die deutsche<br />
Filmempfehlungsseite moviepilot.de.<br />
„Wir wollen uns ganz auf das US-Geschäft<br />
konzentrieren“, sagt Bauckhage.<br />
Für Celonis hat sich die Zeit im Accelerator<br />
ebenfalls gelohnt. Das Münchner Unternehmen<br />
hat eine Software entwickelt, mit<br />
PARSTREAM<br />
Jörg Bienert, Michael Hummel<br />
Die Parstream-Gründer bieten Unternehmen<br />
eine besonders schnelle Datenbank.<br />
Finanzierung 14 Millionen Dollar<br />
der Konzerne wie Bayer oder Siemens Geschäftsprozesse<br />
analysieren und optimieren.<br />
Mit 40 Mitarbeitern erwirtschaftete Celonis<br />
im vergangenen Jahr einen Umsatz<br />
von vier Millionen Euro. Während seines<br />
US-Aufenthaltes im vergangenen Jahr hat<br />
Celonis-Chef Bastian Nominacher dort eine<br />
Schnellstart<br />
Der German Accelerator unterstützt<br />
deutsche Start-ups beim Gang in die<br />
USA und stellt Büros in San Francisco,<br />
Palo Alto und New York zur Verfügung,<br />
Geld gibt es nicht. Zweimal jährlich<br />
werden bis zu 16 Gründer ausgewählt,<br />
zuletzt gab es dafür 60 Bewerbungen.<br />
Gründung: 2012<br />
Bislang Geförderte Start-ups: 41<br />
Förderdauer: 3–6 Monate<br />
Nächste Bewerbungsfrist: 27. 8. 2014<br />
Mehr: germanaccelerator.com<br />
Dependance aufgebaut, vor allem aber die<br />
bislang wichtigste Partnerschaft festgezurrt<br />
– mit dem deutschen Softwareriesen SAP.<br />
Mit den Walldorfern war Nominacher<br />
schon daheim in Deutschland ein halbes<br />
Jahr in Kontakt – ohne konkretes Ergebnis.<br />
„In den USA ging es dann Schlag auf Schlag“,<br />
erinnert er sich. Er nahm mit SAP-Managern<br />
im Valley Kontakt auf, die sofort zu einem<br />
Treffen bereit waren. „Zwei Tage später waren<br />
wir im SAP-Start-up-Programm und<br />
noch zwei Wochen später auf der größten<br />
SAP-Kundenmesse“, freut sich Nominacher.<br />
Fast jeder deutsche Gründer schwärmt<br />
davon, wie viel einfacher und schneller solche<br />
wichtigen Termine im Valley zustande<br />
kommen. Darum ist es nicht ungewöhnlich,<br />
deutsche Partner über den Umweg<br />
USA zu akquirieren. „Es gibt viele Fälle, bei<br />
denen wir erst über das Valley mit großen<br />
deutschen Konzernen in ernsthaften Kontakt<br />
gekommen sind“, bestätigt auch Parstream-Gründer<br />
Bienert.<br />
Für die Münchner Celonis-Zentrale hat<br />
die im Silicon Valley geschlossene SAP-<br />
Partnerschaft noch einen ironischen Nebeneffekt,<br />
erzählt Nominacher: „Wir haben<br />
über SAP schon einige Termine mit<br />
US-CEOs vermittelt bekommen – nicht in<br />
den USA, sondern wenn die gerade in<br />
Deutschland waren.“<br />
n<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 57<br />
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Technik&Wissen<br />
Vom Pony<br />
zum Haifisch<br />
VERKEHR | Elektroauto, Brennstoffzelle oder bessere Verbrennungsmotoren: Die<br />
ganze Autobranche sucht nach der Antriebstechnik der Zukunft. Kaum ein Hersteller<br />
aber ist so dynamisch unterwegs wie der einstige koreanische Billigheimer Hyundai.<br />
Der weiße Hyundai Intrado, den<br />
der südkoreanische Hersteller<br />
im Frühjahr auf dem Genfer<br />
Automobilsalon als Weltpremiere<br />
zeigte, war mehr als ein<br />
Blickfänger. Denn hinter der aggressiven<br />
Optik des SUVs mit den an Haifischkiemen<br />
erinnernden Lüftungsschlitzen und dem<br />
orangefarbenen Innenleben blieben die<br />
wahren Innovationen zunächst verborgen:<br />
eine Karosserie in extremer Leichtbauweise<br />
– und ein leistungsfähiger Brennstoffzellenantrieb.<br />
Eine Konzeptstudie wie so viele, möchte<br />
man meinen. Ein Auto, das als Blickfänger<br />
auf einem Messestand dient und anschließend<br />
im Museum verschwindet – weil entweder<br />
die Technik alles andere als serientauglich<br />
und die Produktion zu teuer ist<br />
oder aber das Fahrzeugdesign einfach<br />
nicht für den Alltag taugt.<br />
Ganz anders bei Hyundai: Der Intrado ist<br />
nicht bloß ein Showcar, ein Spielzeugauto,<br />
an dem sich Designer und Ingenieure ausgetobt<br />
haben. Die Südkoreaner, lange Zeit<br />
als Billigheimer bekannt, meinen es ernst.<br />
Vor allem mit dem Brennstoffzellenantrieb<br />
demonstrieren Designer und Ingenieure,<br />
wie gegenwärtig die vermeintliche Zukunftstechnologie<br />
bei ihnen schon ist.<br />
Denn schon heute können Hyundai-<br />
Kunden den Geländewagen ix35<br />
– dessen Nachfolger der Intrado<br />
im kommenden Jahr werden<br />
soll – mit dem umweltverträglichen<br />
Elektroantrieb leasen.<br />
Und das nicht bloß im Heimatmarkt,<br />
das Angebot gilt global.<br />
„Sobald das Tankstellennetz<br />
dichter wird und die Nachfrage<br />
Karger Kasten<br />
steigt, können wir die Produktion hochfahren“,<br />
sagt Markus Schrick, Chef von Hyundai<br />
Deutschland. Gegenwärtig allerdings gibt<br />
es in Deutschland nicht mal 25 Tankstellen,<br />
an denen Wasserstoff getankt werden kann.<br />
Die Brennstoffzelle an Bord des Autos wandelt<br />
den Wasserstoff in Fahrstrom um.<br />
Das klingt nach einem Henne-Ei-Problem.<br />
Die Koreaner lassen sich davon<br />
ebenso wenig schrecken wie Toyota: Die<br />
Japaner wollen schon im März 2015 mit<br />
dem Modell FCV ihr erstes Brennstoffzellenauto<br />
auf den Markt bringen – zu einem<br />
Preis von umgerechnet 50 000 Euro. Daimler-Chef<br />
Dieter Zetsche, der sein Unternehmen<br />
bei dieser Technologie „ganz vorne<br />
dabei“ sieht, kann da nicht mithalten:<br />
Der Mercedes-F-Cell auf Basis der B-Klasse<br />
ist erst 2017 serientauglich.<br />
Mit „Pony“ kam Hyundai 1975 nach Europa<br />
WASSERDAMPF AUS DEM AUSPUFF<br />
Dabei forschen und arbeiten die Stuttgarter<br />
inzwischen schon seit zwei Jahrzehnten an<br />
Autos, aus deren Auspuff nur noch Wasserdampf<br />
entweicht. Zudem kommen Brennstoffzellenautos<br />
mit einer Tankfüllung 500<br />
Kilometer weit und mehr und damit wesentlich<br />
weiter als ein batteriegetriebenes Elektroauto.<br />
Deren Akku muss heute meist<br />
schon nach 160 Kilometern an die Steckdose<br />
und dort stundenlang aufgeladen werden.<br />
Der Hyundai Intrado macht aber noch<br />
etwas anderes deutlich: Vorbei sind die<br />
Zeiten, da Hyundai als Discounthersteller<br />
der Motobranche vor allem für preiswerte<br />
Mobilität stand. Für Innovation im Automobilbau,<br />
für Vorsprung durch Technik<br />
oder Freude am Fahren – waren andere zuständig.<br />
Die Südkoreaner, die vor knapp 40 Jahren<br />
mit ihrem unscheinbaren Kompaktwagen<br />
Pony (siehe unten) erstmals nach Europa<br />
kamen, haben sich in den zurückliegenden<br />
acht Jahren ein gewaltiges Erneuerungsprogramm<br />
verordnet. Nach der Phase<br />
als Billighersteller, der später Kunden<br />
mit robuster Qualität und ungewohnt langen<br />
Garantieversprechen lockte, zündet<br />
jetzt die dritte Stufe auf dem Weg in die erste<br />
Liga der Markenhersteller. Getrieben<br />
wird diese von Design – und Innovationen.<br />
Ob bei der Vielfalt der Antriebskonzepte,<br />
bei Design oder in der Produktion: Überall<br />
holen die Südkoreaner mächtig auf. Mit<br />
Tempo und Dynamik lehren sie nicht nur<br />
Toyota, sondern auch Volkswagen, Ford<br />
und General Motors das Fürchten. Heute<br />
schon ist der Konzern mit den Schwestermarken<br />
Hyundai und Kia und einem<br />
Absatz von über fünf Millionen<br />
Fahrzeugen fünftgrößter Pkw-Hersteller<br />
der Welt. Dabei sind seit der<br />
Gründung der Automotive-Gruppe<br />
noch nicht einmal 50 Jahre vergangen.<br />
Der Intrado, der Blickfänger aus Genf,<br />
soll den weiteren Weg weisen: Es ist<br />
das erste Hyundai-Fahrzeug, das die<br />
FOTOS: AUTO BILD/KLAUS KUHNIGK, PR<br />
58 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Scharfer Schlitten<br />
Strom für den Elektromotor<br />
in Hyundais Design-<br />
Studie „Intrado“ liefert<br />
eine Brennstoffzelle<br />
700<br />
bar Druck pressen 100<br />
Liter Wasserstoff in<br />
den Tank des E-Mobils<br />
59,7<br />
Milliarden Euro Umsatz<br />
machte Hyundai<br />
2013 weltweit<br />
600<br />
Kilometer Reichweite<br />
schafft der Hyundai<br />
Intrado rein elektrisch<br />
Handschrift des deutschen Hyundai-Chefdesigners<br />
Peter Schreyer (siehe Interview<br />
Seite 61) trägt. Das Auto ist zugleich eine<br />
Art Technik-Schaufenster.<br />
Zu bestaunen gibt es da unter anderem<br />
jede Menge Leichtbautechnik: Die Karosserie<br />
setzt auf einem Rahmen auf, den<br />
Rohre aus carbonfaserverstärktem Kunststoff<br />
bilden. Diese lassen sich wie Seile<br />
schlingen und zu einer extrem festen und<br />
verwindungssteifen Karosserie verbinden.<br />
Der Brennstoffzellenantrieb im Motorraum<br />
(siehe Grafik Seite 60) ist kleiner und<br />
stärker als der Vorgänger im aktuellen Modell<br />
ix35. Mehr Effizienz und geringes Gewicht<br />
von Antrieb und Fahrzeug sollen<br />
dem Intrado mehr als 600 Kilometer Reichweite<br />
ermöglichen. Dazu bunkert der Wagen<br />
über 100 Liter Wasserstoff unter 700<br />
bar Druck in zwei Hochdrucktanks. Der<br />
erste, kleinere Tank befindet sich unterhalb<br />
der Rücksitzbank. Der zweite, größere Tank<br />
steckt für eine bessere Gewichtsverteilung<br />
im Heck unter dem Kofferraumboden.<br />
Die elektrische Energie, die in der Brennstoffzelle<br />
durch die Reaktion von Wasserstoff<br />
mit Sauerstoff entsteht, speichert ein<br />
36 Kilowatt starker Akku – die leistungsfähigste<br />
Batterie, die bisher in einem Brennstoffzellenauto<br />
zum Einsatz gekommen ist.<br />
SYNERGIEN DANK SÜDKOREA AG<br />
Parallel treiben die Hyundai-Ingenieure die<br />
Entwicklung rein batteriegetriebener Elektroautos<br />
voran. Gerade erst präsentierte die<br />
Schwestermarke Kia das Modell Soul in einer<br />
Elektrovariante. Im Herbst soll der kleine<br />
Stromer mit einer Reichweite von mehr<br />
als 200 Kilometern mit einer Akkuladung<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 59<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
Konkurrenz für E-Klasse<br />
in den USA und in Europa an den Start<br />
gehen. Der Preis steht noch nicht fest.<br />
Die Südkoreaner profitieren von der großen<br />
Batterie- und Elektrokompetenz in ihrem<br />
Heimatland. Hyundai-Kia sitzt Tür an<br />
Tür mit den weltgrößten Batterieproduzenten<br />
wie Samsung und LG, die Teil der<br />
staatlich geförderten Südkorea AG sind.<br />
Daraus erwächst ein erheblicher Wettbewerbsvorteil,<br />
der sich in aggressiven Preisen<br />
auf dem Weltmarkt niederschlägt. Kein<br />
Wunder, dass LG ab 2016 auch die Antriebsbatterien<br />
für die nächste Generation<br />
des Elektro-Smart liefert.<br />
Mit niedrigen Preisen punkten kann<br />
Hyundai-Kia aber auch bei Autos mit konventionellem<br />
Antrieb. In Europa kam<br />
Hyundai 2013 auf 3,5 Prozent Marktanteil –<br />
ohne Kia. Weiteres Wachstum sollen 22<br />
neue Modelle bringen, die Europa-Chef<br />
Allan Rushforth für die nächsten vier Jahre<br />
ankündigt.<br />
Dass der frühere Billigheimer inzwischen<br />
ein ernst zu nehmender Konkurrent ist,<br />
musste VW-Chef Martin Winterkorn schon<br />
2011 bei der Frankfurter Automobilausstellung<br />
feststellen. Ein YouTube-Video, das im<br />
Netz längst Kultstatus hat, hält den Augenblick<br />
der Erkenntnis fest: Winterkorn hatte<br />
damals auf dem Hyundai-Stand den Golf-<br />
Konkurrenten i30 bestiegen. Der Vorstandschef<br />
aus Wolfsburg wackelte hier an einer<br />
Blende, ruckelte da an einem Halter und zog<br />
am verstellbaren Lenkrad, um schließlich<br />
sichtbar verärgert und mit dem Ausruf<br />
„Da scheppert nix“ Klaus Bischoff, den<br />
Designchef der Marke VW herbeizuzitieren.<br />
„BMW kann’s nicht, wir können’s nicht.<br />
Warum kann’s der?“, fragte ihn Winterkorn.<br />
Die Frage könnte er aktuell auch zur Profitabilität<br />
des Unternehmens stellen. Denn<br />
der Volkswagen-Konzern wäre wohl froh,<br />
eine ähnlich gute Umsatzrendite wie<br />
Hyundai vorweisen zu können: Bei der<br />
Marke VW lag sie in den ersten drei Monaten<br />
des Jahres nur bei mageren 1,8 Prozent.<br />
Bei Hyundai ist sie mit geschätzt zehn Prozent<br />
um ein Vielfaches höher.<br />
Doch trotz der schwindelerregenden<br />
Aufholjagd bei Technik und Innovationen<br />
– auch bei den Südkoreanern läuft längst<br />
noch nicht alles rund, gibt es noch Lücken<br />
im Technikportfolio und im Fahrzeugangebot.<br />
So fehlen etwa noch kleine sparsame<br />
Turbomotoren, ein automatisches<br />
Doppelkupplungsgetriebe statt der wenig<br />
sparsamen Wandlerautomatik. Die europäischen<br />
Hyundai-Manager wünschen<br />
sich zudem sehnsüchtig einen kompakten<br />
SUV wie den Renault Captur – das Segment,<br />
das im Moment europaweit am<br />
stärksten wächst. Und nicht zuletzt fehlen<br />
Cabrios und Sportwagen, die für ein frischeres<br />
Markenimage sorgen könnten.<br />
Die neue Sportlimousine Hyundai Genesis macht auf Luxus<br />
HOCH GESCHÄTZTER EUROPÄER<br />
Denn alle Technik ist nur schnödes Beiwerk,<br />
solange die Autos noch Billigheimer-<br />
Image atmen. Aufräumen soll damit auch<br />
der deutsche Hyundai-Chefdesigner Peter<br />
Schreyer. Er will Hyundai eine erkennbare<br />
frische Handschrift verleihen, denn „in<br />
Zeiten, wo sich Technik immer ähnlicher<br />
wird, werden Autos verstärkt über das Design<br />
verkauft“.<br />
Der heute 61-jährige Bayer aus Bad Reichenhall<br />
hat einst bei Audi den Sportwagen<br />
TT entworfen – seit 2006 frischt er die<br />
Optik von Kia auf. Seit Januar 2013 ist er<br />
auch für das Design der Marke Hyundai<br />
verantwortlich. Der 76-jährige Firmenpatriarch<br />
Chung Mong-koo schätzt Schreyers<br />
Arbeit so sehr, dass er den Deutschen 2013<br />
als ersten und einzigen Europäer ins Konzernpräsidium<br />
berufen hat.<br />
Hyundai investiert nicht nur in Design,<br />
Technik und Kundenzufriedenheit. Mindestens<br />
genauso wichtig ist die Produktivität<br />
der Werke außerhalb des Heimatlandes.<br />
In den USA zählen die Hyundai-Werke mit<br />
einer durchschnittlichen Fertigungszeit<br />
von knapp unter 20 Stunden pro Fahrzeug<br />
zu den produktivsten des Landes, wie Jahr<br />
für Jahr Oliver Wyman’s Harbour Report<br />
Moderner Dampfer<br />
Brennstoffzellenautos nutzen die Energie, die bei der chemischen Reaktion von Wasserstoff und<br />
Sauerstoff frei wird. Aus dem Auspuff entweicht lediglich Wasserdampf<br />
Wasserstofftanks<br />
Lithium-Ionen-Batterie<br />
Brennstoffzellenmodul<br />
Elektromotor<br />
60 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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FOTOS: PR<br />
ausweist. Sie arbeiten auch effektiver als<br />
die Hyundai-Werke im Heimatland.<br />
Und das brandneue Werk im brasilianischen<br />
Piracicaba, etwa 150 Kilometer<br />
nordwestlich von São Paulo, soll noch besser<br />
sein – aktuelle Zahlen legt Hyundai freilich<br />
nicht vor. Auf 1,4 Millionen Quadratmeter<br />
Fläche baut Hyundai dort pro Jahr<br />
180 000 Kompaktwagen des Typs HB20,<br />
der dem ix20 gleicht, für den brasilianischen<br />
Markt – den viertgrößten der Welt.<br />
Was auffällt: In den riesigen Hallen arbeiten<br />
nur wenige Menschen, die meisten<br />
Arbeiten in der Lackiererei oder in der<br />
Karosseriefertigung übernehmen Roboter.<br />
Nach dem brasilianischen Vorbild soll 2015<br />
eine neue Hyundai-Produktion im US-<br />
Bundesstaat Texas entstehen. „Hyundai<br />
und Kia haben sehr viel von den Japanern<br />
gelernt“, sagt Produktionsexperte Horst<br />
Wildemann von der Technischen Universität<br />
München.<br />
In den vergangenen Jahren hat Hyundai<br />
die gemeinsame Entwicklung und Produktion<br />
mit Kia drastisch vereinfacht und verschlankt:<br />
2002 nutzten die beiden Marken<br />
noch 22 verschiedene Plattformen. Bis Ende<br />
des vergangenen Jahres schmolz die<br />
Vielfalt aufgrund der Synergien auf sechs<br />
zusammen. Im Jahr 1998, als Hyundai Kia<br />
übernahm, teilten sich die beiden Marken<br />
lediglich 20 Prozent der rund 740 Zulieferer,<br />
aktuell sind es mehr als 90 Prozent.<br />
GRENZEN DES WACHSTUMS<br />
Doch die rasante Expansion hat auch<br />
Schattenseiten. Stefan Bratzel, Leiter des<br />
Lehrstuhls für Automobilwirtschaft an der<br />
Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch<br />
Gladbach, beobachtet nach Jahren stürmischer<br />
Expansion inzwischen eine Zunahme<br />
von Rückrufen – für den Fachmann ein<br />
Indiz für wachsende Qualitätsprobleme.<br />
2013 stieg die Zahl der Hyundai-Rückrufe<br />
etwa in den USA um 263 Prozent – bei einem<br />
branchenübergreifenden Zuwachs<br />
um 131 Prozent.<br />
Vermutlich auch deshalb hat Hyundai-<br />
Firmenpatriarch Chung Mong-koo nun<br />
den Fuß <strong>vom</strong> Gaspedal genommen. Insider<br />
berichten, der 76-Jährige befürchte,<br />
durch Qualitätsprobleme ebenso heftig gebeutelt<br />
zu werden wie Toyota vor einigen<br />
Jahren. Statt auf Masse soll der Fokus nun<br />
erst einmal auf die Qualität der Produkte<br />
gelegt werden, auf Herstellung und die Organisation.<br />
„Es wird interessant sein, wie<br />
gut sie aus dieser Phase der Reorganisation<br />
herauskommen“, sagt Bratzel.<br />
n<br />
juergen.rees@wiwo.de<br />
INTERVIEW Peter Schreyer<br />
»Wie ein Wassertropfen«<br />
Der Hyundai-Chefdesigner über Gestaltungssünden, Schneeflocken<br />
als Inspiration und die Arbeit unter Firmenpatriarchen.<br />
Reden wir über Designsünden moderner<br />
Autobauer: Mein Sohn klagte jüngst<br />
nach der Fahrt in Mercedes’ neuer<br />
A-Klasse, er könne <strong>vom</strong> Rücksitz nicht<br />
rausschauen. Der Hyundai i30 sieht<br />
ähnlich aus. Keilform mag ja sportlich<br />
wirken, aber rechtfertigt das alles?<br />
Die Gürtellinie hoch anzusetzen und<br />
Autos so sportlicher aussehen zu lassen<br />
ist auch eine Modeerscheinung. Wir<br />
nehmen die extreme Keilform schon<br />
wieder zurück. Andererseits sind Designer<br />
nicht allein verantwortlich, wenn<br />
Autos unübersichtlich werden.<br />
Wer denn sonst?<br />
Autos sind heute auch deswegen unübersichtlicher<br />
als vor 30 bis 40 Jahren,<br />
weil wir viele Sicherheitsvorschriften berücksichtigen<br />
müssen.<br />
Die geben die Keilform vor?<br />
Nein, aber beispielsweise die Anforderungen<br />
an die A-Säule, die die Windschutzscheibe<br />
umfasst. Die ist heute<br />
stärker und daher breiter als früher. So<br />
bleibt das Dach etwa bei einem Überschlag<br />
im Wesentlichen heil – und die<br />
Insassen überleben den Unfall. Autos<br />
von vor 30 Jahren wären danach platt.<br />
Wer bestimmt denn die Formen, der<br />
Käufer oder der Designer?<br />
Wir versuchen, die Bedürfnisse der Kunden<br />
von morgen zu ergründen und ihn<br />
mit unseren Entwürfen zu überraschen.<br />
Dann setzen Designer die Trends?<br />
Ja, klar. Oder wissen Sie heute, welches<br />
Auto Ihnen in fünf Jahren gefällt?<br />
Nein. Aber wenn Sie mir heute etwas<br />
zeigen, was ich in fünf Jahren kaufen<br />
kann, wüsste ich, ob es mir liegt.<br />
Die meisten Menschen wissen das aber<br />
nicht. Deshalb mag ich solche sogenannten<br />
Kliniktests nicht. Kommt etwas<br />
Ungewohntes, lehnen die Probanden es<br />
erst mal ab. Darauf zu reagieren und etwa<br />
das Heck des neuen Autos umzugestalten<br />
kann gutes Design kaputt machen.<br />
Ich gebe wenig auf solche Tests.<br />
Gibt es Autodesign, das weltweit gefällt?<br />
Bei Ford oder Fiat sind Versuche,<br />
Weltautos zu bauen, gescheitert.<br />
Das eine, einzige Weltauto gibt es nicht.<br />
Aber es gibt schon Produkte, die global<br />
ihre Fans finden: etwa Apples iPhone.<br />
Warum sollte das bei Autos anders sein?<br />
Wenn man die unterschiedlichen Ansprüche<br />
an Fahrzeuge in den Märkten<br />
beachtet, klappt das.<br />
Global verträgliches Design und<br />
emotional ansprechende Fahrzeuge für<br />
regionale Märkte, passt das überhaupt?<br />
Wir wollen noch etwas emotionaler<br />
werde. Ich könnte mir gut ein Cabrio<br />
DER VISIONÄR<br />
Schreyer, 61, ist Chefdesigner der südkoreanischen<br />
Autohersteller Hyundai und<br />
Kia. Einst gestaltete der gebürtige Bayer<br />
Autos wie den VW New Beetle, den Golf IV<br />
oder den Audi TT. Jetzt sitzt er als erster<br />
Nichtkoreaner im Präsidium des koreanischen<br />
Familienunternehmens.<br />
und einen Sportwagen vorstellen. Der<br />
Zeitpunkt steht aber noch nicht fest.<br />
Wie grenzen Sie denn den Charakter der<br />
Schwestermarken Kia und Hyundai ab?<br />
Unser Vize-Chairman, der Sohn von<br />
Konzernpatriarch Chung Mong-koo, hat<br />
es so formuliert:Kia ist wie eine Schneeflocke,<br />
Hyundai wie ein Wassertropfen.<br />
Apropos Chung Mong-koo, früher haben<br />
Sie für VW-Aufsichtsratschef Ferdinand<br />
Piëch gearbeitet und jetzt für den Hyundai-Patriarchen.<br />
Gibt es da Parallelen?<br />
Sie sind sich ähnlich, nicht nur beim<br />
Alter. Beide sind absolut leidenschaftlich<br />
und von ihrer Vision überzeugt.<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 61<br />
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Technik&Wissen<br />
Klärwerk als Biotop<br />
GRÜNER PIONIER | Gegen fast alles ist ein Kraut gewachsen. Der<br />
Franzose Thierry Jacquet reinigt Industrieabwässer mit Pflanzen.<br />
Skeptische Blicke ist Thierry Jacquet<br />
gewöhnt. „Es klingt ja auch ein<br />
bisschen seltsam, wenn einer<br />
behauptet, er würde Abwässer mithilfe<br />
von Pflanzen so sauber kriegen,<br />
dass man darin baden kann“, sagt der<br />
49-jährige Franzose und zwinkert vergnügt<br />
durch die runde Brille.<br />
Umwelt-Restaurator nennt er<br />
als Berufsbezeichnung, seit er<br />
vor zehn Jahren seine Firma<br />
Phytorestore gründete. „Phyto“<br />
wie das griechische Wort für<br />
„pflanzlich“ und „restore“ für<br />
„wieder herstellen“. „In 50 Jahren<br />
wird das völlig normal sein. Aber es<br />
braucht eben jemanden, der damit anfängt<br />
und die Überzeugungsarbeit leistet.“<br />
Jacquet, ursprünglich Städteplaner und<br />
Landschaftsarchitekt, wirbt für das Potenzial<br />
einer Technik, die bisher vor allem in Naturschwimmbädern<br />
zum Einsatz kommt,<br />
dass nämlich Pflanzen das verschmutzte<br />
Wasser reinigen. Der Ökopionier<br />
aber geht noch einen Schritt weiter.<br />
Er will beweisen, dass es<br />
Pflanzen – bis auf wenige hochgiftige<br />
Substanzen – selbst mit<br />
stark belasteten Industrieabwässern<br />
aufnehmen können; etwa<br />
von Kosmetik- und Waschmittelherstellern<br />
und sogar mit den<br />
verseuchten Böden von Tankstellen<br />
oder Reinigungsfirmen.<br />
WATEN IM FILTERGARTEN<br />
Wie das funktioniert, zeigt er eine<br />
gute Stunde Fahrt südlich von Paris:<br />
In La Brosse-Montceaux, einem<br />
Ort nahe der Grenze zur<br />
Bourgogne, wiegt sich Schilfrohr<br />
im Wind, so weit das Auge reicht.<br />
Frösche quaken, Vögel zwitschern,<br />
ein Biotop, könnte man<br />
vermuten. Doch unter dem<br />
Pflanzenteppich wabert eine<br />
dunkelgraue Brühe.<br />
Jacquet hat sich Gummistiefel<br />
über die Anzughose gezogen. Er<br />
watet durch einen Tümpel, greift<br />
sich eines der Gewächse und<br />
zieht es samt Wurzel heraus.<br />
Grüne Pioniere<br />
Alle Teile der<br />
Serie finden Sie im<br />
Internet unter<br />
wiwo.de/pioniere<br />
„Die Pflanzen sind nur Mittel zum<br />
Zweck. Die Arbeit machen Bakterien,<br />
die an den Wurzeln leben und den<br />
Schmutz fressen“, erklärt er die biologische<br />
Abwasserreinigung.<br />
Das Prinzip, Chemikalien mit Bakterien<br />
zu knacken, ist nicht neu. Heute<br />
kommt es in modernen Kläranlagen<br />
Entsorgungspark Unternehmer Jacquet in einer Pflanzen-Kläranlage<br />
zum Einsatz. Dort werden die<br />
Mikroorganismen den Abwässern<br />
beigemischt. Sie brechen<br />
unter anderem Kohlenwasserstoffketten<br />
auf.<br />
Doch wie sich das auch mit<br />
Pflanzen realisieren lässt, das<br />
hat Jacquet – bisher weltweit einzigartig –<br />
umgesetzt: Bei ihm vertilgen Farne Zyanid<br />
und Arsen, der breitblättrige Rohrkolben<br />
und Ölweiden Salze. Gewöhnlicher Gilbweiderich<br />
mag Zucker und Stärke, Miscanthus<br />
Schwermetalle. Seggen nehmen sich<br />
infektiöser Keime an, Zuckerrohre Pestiziden<br />
und Düngemitteln. Sogar gegen radioaktiv<br />
belastete Böden sei ein Kraut gewachsen:<br />
Wiesenklee.<br />
Und als reiche das nicht, will der Unternehmer<br />
mit seinen Filtergärten selbst kommunale<br />
Kläranlagen in Naherholungsparks<br />
verwandeln. „Die Technik ist absolut<br />
vielversprechend“, urteilt Jean-Louis Ducreux,<br />
Direktor der Beratungsfirma Atelier<br />
d’Ecologie Urbaine (AEU) in Paris.<br />
Auf seiner Biofarm in La Brosse-Montceaux<br />
hat Jacquet 24 Bassins ausgehoben.<br />
Er hat sie mit einer Geomembrane ausgelegt,<br />
um zu verhindern, dass Abwässer ins<br />
Grundwasser versickern. Dann folgen je eine<br />
Schicht Schlacke, Kalksteine und Kompost,<br />
in die er die Pflanzen setzt. Anschließend<br />
leitet er die Abwässer in die Bassins.<br />
ZU 99 PROZENT ENTGIFTET<br />
Zwei bis drei Jahre dauert es, bis aus Abwässern<br />
und belasteten Böden Kompost<br />
wird, aus dem die Pflanzen 99 Prozent der<br />
Schadstoffe abgebaut haben. „Labortests<br />
der Unternehmen SGS, Wessling, Eurofins<br />
und SAS Laboratoire haben das bewiesen“,<br />
versichert der Franzose. Aus den Pflanzen<br />
wird am Ende Dämmmaterial oder Substrat<br />
für Biogasanlagen. Er wolle nicht behaupten,<br />
dass er „für alles eine Zauberformel“<br />
habe. „Es gibt Stoffe, die Pflanzen<br />
nicht verarbeiten können.“ Daher lande,<br />
was die Bakterien an Gift übrig<br />
lassen – etwa die Schwermetalle<br />
Quecksilber oder Cadmium –, in<br />
einem separaten Becken. Dort<br />
sei die Konzentration der Stoffe<br />
so hoch, dass Spezialfirmen sie<br />
als Ressource herausfiltern und<br />
weiter verwenden könnten, erklärt<br />
AEU-Berater Ducreux.<br />
„Gute ökologische Lösungen<br />
müssen auch finanziell interessant<br />
sein“, sagt Jacquet. Bereits<br />
als selbstständiger Umweltberater<br />
hatte er für Kommunen Konzepte<br />
entwickelt, die günstiger<br />
waren als das übliche Verbrennen<br />
oder Vergraben von Industrieschlämmen.<br />
„Was aber fehlte,<br />
waren Unternehmen, die solche<br />
Lösungen hätten umsetzen<br />
können.“ Also gründete Jacquet<br />
diese Firma schließlich selbst.<br />
Trotzdem tat sich der Umwelt-Unternehmer<br />
mit der Verbreitung<br />
seiner Filtergärten lange<br />
schwer. Zum einen, weil die<br />
Reinigung so zeitaufwendig ist:<br />
„Bauträger etwa, die belastete<br />
Böden entgiften müssen, ha-<br />
»<br />
FOTO: LAIF/REA/HAMILTON<br />
62 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
»Filtergärten sind<br />
billiger als Kläranlagen<br />
– und sehen<br />
schöner aus«<br />
Thierry Jacquet, Phytorestore<br />
ben selten so viel Zeit“, sagt AEU-Experte<br />
Ducreux. Vor allem aber sieht er Phytorestore<br />
im Konflikt mit einer Lobby, die wenig<br />
Interesse an alternativen Konzepten zur<br />
Abwasseraufbereitung habe.<br />
Tatsächlich teilen sich in Frankreich<br />
heute zwei große Unternehmen im Wesentlichen<br />
den Entsorgungsmarkt – Veolia<br />
und Suez Environnement. Deren Angebote<br />
würden von Kommunen und Industriekunden<br />
praktisch nie in Zweifel gezogen,<br />
sagt Jacquet seufzend. In so einem Szenario<br />
mit neuen Ideen durchzudringen sei<br />
am Anfang extrem schwer gewesen. „Man<br />
hat mich angeschaut wie einen Alt-68er<br />
und gefragt, ob ich was geraucht habe.“<br />
In Schwellenländern mit weniger starren<br />
Strukturen sei der Markteintritt viel einfacher.<br />
Der Erfolg von Jacquets Filialen in Brasilien<br />
und China weckte schließlich auch das<br />
Interesse heimischer Auftraggeber; so etwa<br />
beim Kosmetikriesen L’Oréal oder der Lederwarensparte<br />
von Louis Vuitton. Auch die<br />
Ferienanlage des Club Med auf Mauritius<br />
und die zum Hermès-Konzern gehörende<br />
Kristallmanufaktur Saint-Louis-lès-Bitche<br />
gehören heute zu Jacquets Klärtechnik-Kunden.<br />
Inzwischen arbeite sein Unternehmen<br />
mit allen Großunternehmen des französischen<br />
Aktienindex CAC40 zusammen,<br />
berichtet der Pionier stolz. Sie liefern ihre<br />
Schmutzwässer nach La Brosse-Montceaux<br />
oder geben bei den inzwischen 40<br />
Spezialisten von Phytorestore hauseigene<br />
Pflanzenkläranlagen in Auftrag.<br />
Nun nimmt sich Jacquet die Städtebauer<br />
vor: Beim Entwurf neuer Quartiere sollten<br />
sie 20 Prozent der Fläche für Filtergärten<br />
reservieren, fordert er. „Damit können sie<br />
100 Prozent der Abwässer behandeln. Das<br />
ist viel billiger als eine herkömmliche Kläranlage<br />
– und sieht zudem schön aus.“<br />
Auch das ist längst mehr als eine Vision:<br />
Ein Ecoquartier sorgt bereits vor den Toren<br />
von Paris für Aufsehen – direkt neben dem<br />
Eurodisney-Park.<br />
n<br />
karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris<br />
Die Unscharf-Schützen<br />
FOTOGRAFIE | Top-Smartphones machen längst so gute Bilder wie<br />
Kompaktkameras. Dank neuer Technik wollen sie nun auch beim<br />
kreativen Spiel mit der Tiefenschärfe gleichziehen. Gelingt das?<br />
Lange war es eine kleine Wissenschaft<br />
für Fotoexperten, das kreative Spiel<br />
mit der Schärfentiefe – jenem gestalterischen<br />
Effekt, der das Bildmotiv gestochen<br />
scharf aus dem weich zerfließenden<br />
Hintergrund heraushob. Die<br />
Grenze zwischen Könner und<br />
Knipser, sie zeigte sich am virtuosen<br />
Spiel mit dem Fokusring<br />
am Objektiv, gepaart mit<br />
dem Wissen um Belichtungsund<br />
Blendensteuerung.<br />
Insofern stecken die Produzenten<br />
moderner High-End-<br />
Smartphones, trotz boomender<br />
Fotohandy-Verkäufe, in einem<br />
Dilemma, das ihren Produkten<br />
den Zugang zu höheren<br />
Weihen der Fotokunst verwehrt:<br />
Manuelle Belichtungsoder<br />
Blendensteuerung, das<br />
war bisher bei Top-Telefonen<br />
nicht zu haben. Das Spiel mit<br />
kreativer Unschärfe blieb die<br />
Domäne echter Fotoapparate.<br />
DREI WEGE – EIN ZIEL<br />
Bis jetzt. Denn nun gibt’s<br />
Unschärfe als Funktion auch<br />
bei Top-Smartphones. Refocus<br />
heißt die Funktion bei Microsofts<br />
Lumia 1020 (oben), U-<br />
Focus der Effekt bei HTCs Spitzenmodell<br />
One M8 (Mitte).<br />
Samsungs Galaxy S5 (unten) verfügt<br />
über einen selektiven Fokus.<br />
Allen gemein ist, dass sie das<br />
physikalische Defizit des regulierbaren<br />
Objektivs mit ausgefeilter<br />
Computertechnik und<br />
Linsensteuerung kompensieren<br />
wollen. Denn Smartphones<br />
fehlt nicht nur die regelbare<br />
Blende, die für Unschärfeeffekte<br />
weit offen sein muss. Außerdem<br />
ist der Abstand zwischen<br />
Linsen und Sensor zu klein –<br />
weil die Kameras der Telefone<br />
zwar immer besser werden<br />
müssen, aber nicht größer werden<br />
dürfen.<br />
Lumia 1020, HTC<br />
One M8, Samsung<br />
S5 Fotofunktion als<br />
Verkaufsargument<br />
Und so tricksen die Entwickler nach<br />
Kräften bei der Bildaufnahme. Computational<br />
Photography nennen Experten den<br />
technischen Kniff, der das Bild nach der<br />
Aufnahme noch digital aufpeppt.<br />
Dabei setzen die Hersteller<br />
bei ihren Smartphones auf drei<br />
ganz unterschiedliche Ansätze,<br />
um Unschärfe zu erzeugen.<br />
DER TRADITIONALIST<br />
Am ehesten an klassischer<br />
Technik orientiert sich das online,<br />
ohne Vertrag ab rund 350<br />
Euro angebotene Lumia 1020.<br />
Das spiegelt sich auch in der<br />
Bauform wider. Denn obwohl<br />
bei Smartphones sonst die Maxime<br />
gilt „Geht’s nicht schmaler?“,<br />
hat das Microsoft-Handy<br />
auf der Rückseite einen Buckel.<br />
Darunter verbirgt sich ein fokussierbares<br />
Linsensystem vor<br />
dem 41-Megapixel-Sensor. Wer<br />
die Ohren spitzt, hört, wie der<br />
Fokus scharf stellt. Das nutzen<br />
die Softwareentwickler in der<br />
Refocus-App. Sie schießt pro<br />
Aufnahme mehrere Bilder, fokussiert<br />
dabei Punkte in unterschiedlicher<br />
Distanz und montiert<br />
am Ende alles zusammen.<br />
So kann der Fotograf auch<br />
nachträglich noch wählen, was<br />
im Bild er scharf stellen will<br />
und was verschwimmen soll.<br />
DER STEREOGRAPH<br />
Einen anderen Weg gehen die<br />
taiwanischen Entwickler beim<br />
U-Focus des HTC One M8, das<br />
online ab etwa 520 Euro zu haben<br />
ist. Sie haben dem Handy<br />
mit einer zweiten Kamera einen<br />
Stereoblick beigebracht,<br />
wie er auch uns Menschen<br />
räumliches Sehen ermöglicht.<br />
Dürckt der Fotograf den Auslöser,<br />
nimmt die lichtstarke,<br />
aber gering auflösende Vier-<br />
Megapixel-Hauptkamera<br />
»<br />
64 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
das eigentliche Foto auf. Die<br />
andere erzeugt – in der Blickebene<br />
leicht versetzt – ein zweites Bild.<br />
Aus der Differenz der Fotos errechnet<br />
die Software die Tiefeninformationen:<br />
Das Handy erkennt<br />
so, was weiter vorne auf dem Foto<br />
zu sehen ist und was weiter im<br />
Hintergrund. Abhängig davon,<br />
welchen Bereich der Nutzer später<br />
scharf sehen will, belegt das<br />
Programm die übrigen Bildteile<br />
mit einem Unschärfefilter.<br />
DER ANALYTIKER<br />
Doppellinse oder Kamerabuckel<br />
wie bei HTC oder Microsoft haben<br />
sich die Designer des Samsung<br />
Galaxy S5 gespart. Stattdessen<br />
setzen die Südkoreaner bei dem<br />
online ab 480 Euro angebotenen<br />
Smartphone und seiner 16-Megapixel-Kamera<br />
allein auf Software,<br />
um per Bildanalyse Vorder- und<br />
Hintergrund sowie Hauptmotiv<br />
zu identifizieren.<br />
Sie bauen auf Konzern-Knowhow,<br />
mit dem auch die Entwickler<br />
von Samsungs Flachbildfernsehern<br />
zweidimensionale Filme für<br />
die 3-D-Darstellung umrechnen.<br />
Und so, wie TV- und Videobilder<br />
dann – durch die Stereobrille betrachtet<br />
– räumliche Tiefe bekommen,<br />
kann die Software im<br />
Smartphone ein am Motiv scharfes,<br />
ansonsten aber leicht verschwommenes<br />
Foto produzieren.<br />
So unterschiedlich die Strategien<br />
der Hersteller, so unterschiedlich<br />
sind die Ergebnisse. Alle<br />
Modelle eint: Tiefenschärfe-Effekte<br />
liefern die Smartphones nur,<br />
solange die Bedingungen günstig sind –<br />
und nicht mal dann entspricht das Ergebnis<br />
immer den Erwartungen.<br />
Lumia 1020 Bester Tiefenschärfeeffekt, weil die Smartphone-<br />
Kamera mechanisch auf mehrere Bildebenen fokussiert<br />
HTC One M8 Sind Vorder- und Hintergrund des Bildes nicht<br />
klar abgegrenzt, spielt – wie hier – der Unschärfefilter verrückt<br />
Samsung S5 Nur wenn sich der Fotograf an die Abstandsvorgaben<br />
für Motiv und Hintergrund hält, gelingt so ein Schärfeeffekt<br />
Am besten schlägt sich<br />
Foto-Test noch das Lumia 1020. Denn<br />
weil die Kamera mehrfach<br />
In der App-<strong>Ausgabe</strong><br />
finden Sie<br />
scharf stellt, entstehen tatsächlich<br />
an unterschiedli-<br />
hier weitere Vergleichsfotos<br />
von chen Stellen (un-)scharfe<br />
den Smartphones Aufnahmen. Insofern geht<br />
eben noch nichts über echte,<br />
optische Arbeit. Trotzdem<br />
hat der variable Fokus des Lumia enge<br />
Grenzen. Mangels ausreichender Bautiefe<br />
kann der Fotograf nachträglich nur auswählen,<br />
ob er ganz nah scharf fokussieren will,<br />
ziemlich nah – oder irgendwo weiter hinten.<br />
So flexibel wie eine traditionelle Kamera<br />
ist das Lumia 1020 also noch längst nicht.<br />
Mehr Spielraum bei der Wahl des Schärfepunktes<br />
bietet HTCs One M8. Sein Stereoblick<br />
errechnet für viel mehr Bildebenen<br />
die Distanz zum Fotografen. Der kann hinterher<br />
bestimmen, was U-Focus hinter dem<br />
Unschärfe-Filter verschwinden lässt.<br />
TRICKSEN BEI DER TIEFE<br />
Das gelingt umso besser, je klarer das Bild<br />
gegliedert ist. Ein Baum am Rand, Personen<br />
in mittlerer Distanz und ein ferner<br />
Hintergrund – das rechnet das One sauber<br />
auseinander. Soll ein Bildbereich scharf gestellt<br />
werden, reicht ein Tipp aufs Display.<br />
Dabei ist der Spielraum größer als beim<br />
Lumia – aber nur solange das<br />
3-D-Modell mit der realen Welt<br />
übereinstimmt. Das Foto der Rose<br />
(links) entlarvt, wo es schwierig<br />
wird. Denn die Software belässt<br />
neben Bildmotiv in der Mitte auch<br />
Teile des Bodens weit dahinter<br />
scharf. Andere verwischt sie. Offenbar<br />
hat das Programm Schwierigkeiten<br />
mit runden Übergängen<br />
und schlanken Objekten.<br />
Ähnliche Schwächen zeigen<br />
sich auch bei Testbildern des<br />
Samsung Galaxy S5. Das hat es im<br />
Vergleich allerdings auch am<br />
schwersten, weil rein Softwareintelligenz<br />
für den begehrten Bildeffekt<br />
verantwortlich ist. Damit das<br />
Programm überhaupt Motiv und<br />
Hintergrund erkennt, macht Samsung<br />
dem Fotografen konkrete<br />
Vorgaben: Das Objekt darf zum einen<br />
nicht weiter als 50 Zentimeter<br />
von der Kamera entfernt sein,<br />
muss sich zugleich aber mindestens<br />
dreimal so weit vor dem eigentlichen<br />
Hintergrund befinden.<br />
Nur, wer sich daran hält, den belohnt<br />
das Galaxy mit den gewünschten<br />
Unschärfe-Effekten.<br />
Sonst streikt die Software.<br />
Das Fazit ist eindeutig: Am verlässlichsten<br />
der Un-Scharfschützen<br />
arbeitet die Refocus-App im<br />
Lumia – mit dem Manko begrenzter<br />
Flexibilität. Das HTC One M8<br />
und Samsungs Galaxy S5 haben<br />
beide Stärken und Schwächen:<br />
Der U-Focus tut sich bei komplexen<br />
Strukturen schwer, Vorderund<br />
Hintergrund zu trennen.<br />
Samsungs Software ist in ihren<br />
Vorgaben sehr rigide.<br />
Und was dann übrig bleibt, sind in beiden<br />
Fällen – den Profi graust es bei dem<br />
Gedanken ohnehin – nur mehr oder minder<br />
mit Unschärfefiltern überdeckte Fotos.<br />
Das mag beim Bildversand übers Netz oder<br />
in sozialen Netzen reichen. Beim gekonnten<br />
Spiel mit der Unschärfe jedoch reichen<br />
auch die besten Smartphones noch nicht<br />
an die Qualitäten echter System- oder<br />
Spiegelreflexkameras heran.<br />
Klar ist aber auch: Die Handyhersteller<br />
werden an ihrer Software feilen – und spätestens<br />
mit der nächsten Gerätegeneration<br />
rücken die Telefone auch bei der Tiefenschärfe<br />
wieder ein Stück an die klassische<br />
Kamerawelt heran.<br />
n<br />
thomas.kuhn@wiwo.de<br />
66 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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VALLEY TALK | Bislang scheiterten alle Ausflüge in<br />
den Online-Handel. Bei seinem jüngsten Versuch<br />
reicht Facebook-Chef Mark Zuckerberg nun schon ein<br />
kleiner Erfolg. Von Matthias Hohensee<br />
Mini-Attacke auf Amazon<br />
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Wenn zwei Internet-Mogule<br />
gegeneinander antreten, wird<br />
es spannend. So wie gerade<br />
bei Mark Zuckerberg und Jeff<br />
Bezos. Der Facebook-Gründer will beweisen,<br />
dass im sozialen Netzwerk mindestens<br />
so viel Geschäftspotenzial steckt wie<br />
im Unternehmen des Amazon-Schöpfers.<br />
Rechnerisch hat Zuckerberg das ohnehin<br />
schon erreicht. Denn das soziale Netzwerk<br />
aus dem Silicon Valley hat den Online-<br />
Händler aus Seattle beim Börsenwert überholt.<br />
Beide Unternehmen wachsen, was<br />
Voraussetzung ist, um an der Wall Street<br />
geliebt zu werden. Zwar setzte Bezos’ Imperium<br />
vergangenes Jahr mit 78 Milliarden<br />
Dollar fast das Neunfache von Facebook<br />
um. Doch unterm Strich blieben wegen<br />
kostspieliger Investitionen und knapper<br />
Margen im Online-Handel nur 300 Millionen<br />
Dollar Gewinn übrig. Zuckerberg hingegen<br />
arbeitet sehr viel profitabler und holte<br />
aus seinen neun Milliarden Dollar Umsatz<br />
1,2 Milliarden Dollar Profit heraus.<br />
Trotz Facebooks teurer Zukäufe wie dem<br />
Kurznachrichten-Dienstleister WhatsApp<br />
oder dem Datenbrillen-Schöpfer Oculus<br />
wird sich das Missverhältnis zu Amazons<br />
Ungunsten dieses Jahr nicht ändern. Zumal<br />
Bezos weiter unbeirrt experimentiert wie<br />
etwa mit Smartphone-Hardware oder einer<br />
Flatrate für Bücher.<br />
Aber Zuckerberg steht dem Konkurrenten<br />
nicht nach. Er will demonstrieren, dass<br />
in seinem sozialen Netzwerk auch ein Stück<br />
Amazon steckt. Ausgewählte Händler dürfen<br />
seit Kurzem Kaufoptionen direkt in ihre<br />
Anzeigen einklinken. Über die können<br />
Facebook-Nutzer dann mittels Kreditkarte<br />
Waren einkaufen, ohne noch in den Shop<br />
des Anbieters wechseln zu müssen.<br />
Noch beschränkt sich der Test auf die<br />
USA und auf kleinere Anbieter wie einen<br />
Uhrenhändler aus San Francisco. Nicht nur<br />
deshalb sieht man bei Amazon die Mini-<br />
Attacke gelassen. Sie scheint vor allem eine<br />
Reaktion auf die Kooperation des Online-<br />
Händlers mit Twitter zu sein. Denn Nutzer<br />
des Kurznachrichtendienstes können dort<br />
seit ein paar Wochen Waren für den Einkauf<br />
bei Amazon markieren. Twitter-Chef Dick<br />
Costolo hat zudem mit CardSpring gerade<br />
einen Spezialanbieter gekauft, mit dem<br />
sich online verteilte Rabatte auf Kreditkarten<br />
übertragen und später automatisch<br />
beim Einkauf nutzen lassen.<br />
Zuckerbergs jüngster Vorstoß in den Handel<br />
ist nicht der erste, und frühere waren<br />
Flops. Facebook Credits, die Zahlungsplattform<br />
für virtuelle Güter, wurde eingestellt;<br />
ebenso Deals, die Antwort auf den Gutschein-Dienstleister<br />
Groupon. Auch Facebook<br />
Gifts, das den Geschenkeversand an<br />
Freunde erlaubt, existiert nicht mehr.<br />
AKZEPTANZ BLEIBT FRAGLICH<br />
Unstreitig ist , dass Menschen soziale<br />
Medien nutzen, um sich über Produkte und<br />
Dienstleistungen zu informieren, sie zu<br />
loben und zu kritisieren. Unbewiesen aber,<br />
ob sie auf dem Weg auch einkaufen wollen.<br />
Zwar haben Geschäftskunden akzeptiert,<br />
dass sie, im Gegensatz zu früher, für<br />
Präsenz in Zuckerbergs Netzwerk nun bezahlen<br />
müssen, weil ihre Meldungen kaum<br />
noch unbezahlt im Nachrichtenstrom auftauchen.<br />
Doch die Wirksamkeit der Unternehmensbotschaften<br />
bleibt umstritten.<br />
Da könnte es Facebook schon reichen,<br />
wenn die Nutzer Interesse an der Kaufoption<br />
zeigten. Denn damit könnte Zuckerberg<br />
sein Kerngeschäft – den Verkauf von<br />
Anzeigen auf der Plattform – stärken. Denn<br />
weil die Zahl der Anzeigen in Facebooks<br />
Nachrichtenstrom aus Akzeptanzgründen<br />
beschränkt ist, kann er seine Erlöse nur<br />
über höhere Anzeigenpreise erzielen.<br />
Wenn also die Kaufoption nur belegt,<br />
dass Werbung in Facebook nicht bloß wahrgenommen<br />
wird, sondern direkt zu Käufen<br />
führt, kann Zuckerberg die Anzeigenpreise<br />
leichter hochsetzen. Und dann reicht es für<br />
ihn auch, nur ein Mini-Amazon zu sein.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 67<br />
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Management&Erfolg<br />
Ständige Metamorphose<br />
SERIE DAS GEHEIMNIS MEINES ERFOLGS (VI) | Ulrich Dietz Vom Maschinenschlosser zum<br />
Gesprächspartner der Kanzlerin: Wie der GFT-Gründer aus einer Drei-Mann-<br />
Softwarebude ein globales IT-Unternehmen aufgebaut hat. Und warum ihm der<br />
Austausch mit Künstlern und Philosophen wichtig ist.<br />
Manchmal, wenn keiner<br />
mehr dort ist, kein Architekt,<br />
kein Statiker, kein<br />
Elektriker, macht er auf<br />
dem Heimweg von seinem<br />
Büro noch einen Schlenker. Fährt zwei Kilometer<br />
bis zu einem öden Gewerbegebiet<br />
in Stuttgart-Plieningen, parkt vor einem<br />
schmucklosen, gut 30 Jahre alten Zweckbau.<br />
Und läuft noch einmal durch jede der<br />
vier Etagen, über bloßen Estrich, vorbei an<br />
Bauschutt und halb abgerissenen Wandverschalungen,<br />
hindurch unter Kabeln,<br />
die von entkernten Decken hängen.<br />
„Das wird ganz toll hier“, sagt Ulrich<br />
Dietz. Der Gründer und Vorstandschef<br />
des IT-Mittelständlers GFT hat exakte Vorstellungen<br />
von der Zukunft dieses Gebäudes,<br />
das einst Mitarbeiter des Konkurrenten<br />
Oracle beherbergte, dann fast drei<br />
Jahre leer stand. Und noch vor Weihnachten<br />
zur neuen GFT-Unternehmenszentrale<br />
werden soll, auf rund 4000 Quadratmetern.<br />
Wo andere derzeit nichts als eine<br />
08/15-Baustelle sehen, schwärmt Dietz<br />
von der Ästhetik unverputzter Betonwände,<br />
Kunstharz- und Dielenböden und grau<br />
melierten Teppichböden, die hier bald<br />
verlegt werden. Einem mediterran anmutenden<br />
Café im Erdgeschoss inklusive Vortragssaal<br />
und Platz für einen<br />
Teil seiner Kunstsammlung,<br />
die er in den vergangenen<br />
zwei Jahrzehnten aufgebaut<br />
hat, „um zu verstehen, wie<br />
Künstler um die Ecke denken“.<br />
Und den künstlerischen<br />
Eingriffen, die er gerade mit<br />
Tobias Rehberger ausheckt,<br />
einem Künstler von Weltrang, mit dem<br />
Dietz seit Jahren befreundet ist.<br />
Warum er das alte Gebäude nicht einfach<br />
abreißt, um ein neues komplett nach<br />
seinen Vorstellungen bauen zu lassen? Warum<br />
er einem Künstler freie Hand gibt bei<br />
der Gestaltung eines Teils des Gebäudes?<br />
„Ich suche immer nach reizvollen Aufgaben<br />
mit Aha-Effekt, die mehr Grips als<br />
Geld kosten. Ich will neue Dinge ausprobieren,<br />
auch wenn sie anderen abseitig erscheinen“,<br />
sagt Dietz. „Und ich will Technologie<br />
schön präsentieren.“<br />
Überzeugungen, die nicht nur Dietz’ Anspruch<br />
an die Gestaltung der neuen Unternehmenszentrale<br />
deutlich machen. Sie beschreiben<br />
auch das Spannungsfeld, in dem<br />
der heute 56-jährige GFT-Gründer in den<br />
vergangenen 30 Jahren eines der führenden<br />
IT-Unternehmen Europas aufgebaut<br />
hat, mit knapp 350 Millionen Euro Umsatz,<br />
3000 Mitarbeitern und einer Eigenkapitalquote<br />
von mehr als 40 Prozent.<br />
„Unsere Entwicklung war manchmal wie<br />
auf einer Achterbahnfahrt – aber wir kamen<br />
immer wieder zurück“, fasst Dietz seine<br />
Karriere zusammen. Vom Drei-Mann-<br />
Betrieb im beschaulichen Schwarzwald<br />
zum global agierenden, börsennotierten<br />
Unternehmen. Vom Schulabbrecher zum<br />
Gesprächspartner der Bundeskanzlerin,<br />
<strong>vom</strong> Lehrling zum Multimillionär,<br />
von der Aushilfe im väterlichen<br />
Schmuckbetrieb<br />
zum visionären Aussteller auf<br />
der weltgrößten Computermesse<br />
Cebit. Immer auf der<br />
Suche nach innovativer Weiterentwicklung<br />
seines Geschäftsmodells,<br />
nach Austausch<br />
mit kreativen Köpfen <strong>vom</strong> Programmierer<br />
bis zum Philosophen, nach besseren<br />
Lösungen für seine Kunden.<br />
„Das Unbekannte lieben lernen, nie die<br />
Neugierde verlieren“, beschreibt Dietz einige<br />
seiner zentralen Erfolgsgeheimnisse<br />
(siehe Kasten Seite 69), „eigenen Ideen vertrauen<br />
– gerade wenn andere sie für schräg<br />
halten. Und immer fleißig schaffen.“<br />
ERSTE FIRMA MIT 17<br />
Grundsätze, die ihn von klein auf prägen:<br />
Statt seinen Lehrern in der Schule hört<br />
Dietz junior lieber seinen Eltern am Mittagstisch<br />
beim Gespräch über den familieneigenen<br />
Modeschmuckbetrieb zu.<br />
Guckt, statt zu Hause für bessere Noten zu<br />
büffeln, lieber seinem Vater im Laden im<br />
heimischen Pforzheim über die Schulter.<br />
Begleitet diesen schon mit 15 Jahren zu<br />
Messen, hilft ihm beim Aufbau der Stände.<br />
Macht statt Abitur lieber eine Lehre als Maschinenschlosser.<br />
Und lernt dort, „mit Präzision<br />
zu arbeiten und alles so gut wie<br />
möglich zu erledigen“ – egal, ob’s ums Feilen<br />
eines Werkstücks geht oder darum, den<br />
Hof zu fegen. Erlebt in jungen Jahren, wie<br />
viele seiner Kollegen in Kurzarbeit geschickt<br />
werden und was es heißt, eine Firma<br />
auch in schlechten Zeiten zu managen.<br />
Und hat dennoch nur ein Ziel: „Ich wollte<br />
immer Unternehmer werden.“<br />
Schon mit 17, da ist er noch Lehrling, ist<br />
es so weit: Dietz gründet ein Büro für technische<br />
Zeichnungen. Bald bekommt er so<br />
viele Aufträge, dass er einen Freiberufler<br />
beschäftigen kann. Holt auf der Abendschule<br />
doch noch das Abitur nach und studiert<br />
Maschinenbau an der Fachhochschule<br />
in Reutlingen. Die Eltern schie-<br />
»<br />
FOTO: MAKS RICHTER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
68 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Der IT-Ästhet<br />
GFT-Gründer und -Hauptgesellschafter<br />
Ulrich Dietz,<br />
56, legt nicht nur Wert<br />
auf leicht bedienbare Software,<br />
sondern auch auf<br />
eine aufgeräumte, attraktive<br />
Arbeitsumgebung<br />
Ulis Gebote<br />
1. Glaub deinen Ideen<br />
Es gibt immer Tausend Bedenkenträger, die<br />
einem eine Idee ausreden wollen. Und<br />
genauso viele Gründe, etwas nicht zu tun.<br />
Aber wer seinen Ideen vertraut, kann auch<br />
Skeptiker von seinen Projekten überzeugen.<br />
Und sollte mit einer Art positiver<br />
Sturheit sein Ding gegen alle Widerstände<br />
durchziehen.<br />
2. Ohne Fleiß kein Preis<br />
Networken kommt von ned worken: Karrieren,<br />
ob als Manager oder Unternehmer,<br />
werden nicht auf dem Golfplatz gemacht.<br />
Wer früher aufsteht und mehr arbeitet,<br />
hat am Ende auch mehr Möglichkeiten.<br />
3. Lebe deine Träume<br />
Wir leben in einer durch und durch rationalen<br />
Welt, ständig eingeengt von Budgetzielen,<br />
Kennzahlen, Leistungszwängen.<br />
Statt uns auf Fakten zurückzuziehen,<br />
sollten wir öfter träumen, über Visionen<br />
grübeln oder auf Zuruf rumspinnen.<br />
4. Vertrauen schlägt Geld<br />
„Lieber Geld verlieren als Vertrauen“:<br />
Diesen Wahlspruch von Robert Bosch hat<br />
mir mein langjähriger Beirat und Bosch-<br />
Chef Markus Bierich ans Herz gelegt.<br />
Denn Vertrauen ist die Basis jedes Unternehmens<br />
– zu Mitarbeitern, Kunden,<br />
Lieferanten.<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 69<br />
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Management&Erfolg<br />
Erfolg anvisiert<br />
Das GFT-Gründertrio Ulrich Dietz (links),<br />
Joachim Moser (Mitte) und Professor<br />
Michael Schönemann (1987)<br />
Auf Augenhöhe<br />
Dietz hat über die Jahre ein<br />
enges Netzwerk aufgebaut,<br />
zu dem auch Apple-Mitgründer<br />
Steve Wozniak zählt<br />
»<br />
ßen gerade mal 200 Mark im Monat zu,<br />
am Semesterende steht er regelmäßig mit<br />
ein paar Tausend Mark im Minus. Verdient<br />
aber mit seinen Zeichnungen in den Ferien<br />
so viel, dass das Konto zum neuen Semester<br />
wieder im Plus ist.<br />
Ans Studium schließt Dietz ein Praktikum<br />
an – beim Maschinenbauer Trumpf,<br />
mit dessen damaligem Eigentümer und<br />
Geschäftsführer Berthold Leibinger Dietz’<br />
Vater eine jahrzehntelange Freundschaft<br />
verbindet. „Uli wusste schon früh, dass Beziehungen<br />
nur dem schaden, der keine<br />
hat“, sagt Leibinger über seinen Patensohn.<br />
„Ich habe ihm bei uns die Tür aufgemacht,<br />
ihn aber nicht protegiert. Durchgegangen<br />
ist er selbst.“<br />
Ein Jahr bleibt Dietz, arbeitet erst in der<br />
Zentrale in Ditzingen, dann am US-Standort<br />
in Connecticut. Bis heute treffen sich<br />
Leibinger und Dietz einmal im halben Jahr<br />
zum Essen, gerade hat Dietz Trumpf bei einem<br />
internationalen Softwareprojekt beraten.<br />
„Der Bursche kann was“, sagt Leibinger,<br />
„er hat sich über die Jahrzehnte zu einem<br />
tüchtigen und begabten Unternehmer<br />
entwickelt.“<br />
GESTELL ZUM LANDEN<br />
Diese Begabung sollte sich schon bald zeigen:<br />
Nach einem zweiten Studium – Product<br />
Engineering in der kleinen, aber renommierten<br />
Fachhochschule in Furtwangen<br />
– gründet Dietz 1985 mit einem seiner<br />
damaligen Professoren und einem weiteren<br />
Mitstreiter im staatlich geförderten<br />
Technologietransferzentrum im Schwarzwald-Dörfchen<br />
St. Georgen ein Institut für<br />
Softwareentwicklung. Das ist untergebracht<br />
in den früheren Räumen der Technologiefirma<br />
Dual, die den Kampf gegen<br />
Schmucklose Keimzelle<br />
Im IT-Transferzentrum in St.<br />
Georgen wurde der Grundstein<br />
des Unternehmens gelegt<br />
die Konkurrenz aus Fernost damals schon<br />
verloren hatte. Dietz’ Idee: Konstruktionssoftware<br />
zu entwickeln, so bedienerfreundlich,<br />
als wäre sie von Apple. „Ein guter<br />
Programmierer war ich nie“, sagt Dietz.<br />
„Aber ich wusste immer: Wir müssen die<br />
Bedürfnisse unserer Kunden kennen, bevor<br />
wir anfangen, Produkte zu entwickeln –<br />
nicht umgekehrt.“<br />
Zwei Jahre später, 1987, wandeln die<br />
Gründer ihr Institut in ein Unternehmen<br />
um – GFT ist geboren. Dietz, mangels Eigenkapital<br />
erst angestellter Geschäftsführer<br />
für 3000 Mark Monatsgehalt, übernimmt<br />
zwei Jahre später per Kredit 75 Prozent<br />
der Anteile, weitere zwei Jahre später<br />
den Rest. „Der Kaufpreis war viel zu hoch“,<br />
sagt Dietz. Folgt aber schon damals seinem<br />
Motto: „Träume muss man leben.“<br />
Um seinen Ex-Partner auszahlen zu können,<br />
engagiert Dietz weitere Geschäftsführer,<br />
verkauft ihnen GFT-Anteile – darunter<br />
auch seiner Frau Maria. „Die beiden ergänzen<br />
sich sehr gut“, sagt Leibinger. „Sie hat<br />
das Unternehmen mit ihrer klaren Nüchternheit<br />
stabilisiert.“ Die Maxime der Betriebswirtin<br />
und Ex-Microsoft-Managerin:<br />
„Jede Idee braucht Flügel zum Fliegen –<br />
aber auch ein Gestell zum Landen.“<br />
Und das ist gerade in den Anfangsjahren<br />
wichtig: Zwar trifft GFT mit seinen Produkten<br />
den Nerv der Kunden, doch die Bonität<br />
bei den Banken ist mäßig. Bis Anfang der<br />
Neunzigerjahre „haben wir von der Hand<br />
in den Mund gelebt“, erinnert sich Dietz.<br />
Sogar auf seine Hochzeitsreise verzichtet<br />
er, „ich musste zu Hause bleiben und Geld<br />
verdienen“.<br />
Als GFT 1993 kurz vor dem Konkurs<br />
steht, steckt Dietz mit dem Mut der Verzweiflung<br />
250 000 Mark in eine Anzeigen-<br />
kampagne – und hat Erfolg: Unter den neu-<br />
en Kunden ist auch die Deutsche Post, die<br />
von GFT Lizenzen und Servicepakete für<br />
eine neue Produktions-, Planungs- und<br />
Steuerungssoftware erwirbt. Ein Millionendeal,<br />
„damit konnten wir in neue Dimensionen<br />
vorstoßen“, erinnert sich Dietz.<br />
GROSSVATER ALS VORBILD<br />
Sein Credo: „big enough to deliver, small<br />
enough to care“ – schlagkräftig wie ein<br />
Konzern, sorgfältig, flexibel und kundennah<br />
wie ein Mittelständler. Und das längst<br />
nicht mehr nur in Deutschland. Nach dem<br />
Vorbild seines Großvaters, der schon vor<br />
dem Ersten Weltkrieg Schmuck in Italien<br />
produzieren ließ, um ihn in Deutschland<br />
zu verkaufen, expandiert Enkel Uli ins Ausland:<br />
gründet 1996 ein Entwicklungszentrum<br />
in Irland, kauft 1997 in der Schweiz<br />
zu. Erweitert und verändert immer wieder<br />
das Produktportfolio, steigt ins Web-<br />
Design ein – bis auch die Konkurrenz auf<br />
den Selfmade-Mann aus dem Schwarzwald<br />
aufmerksam wird. Die Angebote, GFT<br />
zu verkaufen, häufen sich, im Spiel sind<br />
Summen ab 50 Millionen Mark. Dietz lehnt<br />
stets ab, denn „was die Konkurrenz macht,<br />
machen wir nicht schlechter“.<br />
Bestärkt fühlt er sich durch seinen Berater<br />
bei der Deutschen Bank. „Natürlich<br />
kannst du GFT verkaufen“, sagt ihm der Ende<br />
1998, als wieder mal ein US-Konzern an<br />
die Tür geklopft hatte. „Aber du kannst das<br />
Geld auch an der Börse einsammeln.“<br />
Dietz findet schnell Geschmack an der<br />
Idee – und holt seinen Ratgeber gleich mit<br />
an Bord: Markus Kerber. „Glücksgriff“<br />
nennt Dietz seinen neuen Finanzvorstand,<br />
der nach seiner GFT-Zeit zu Wolfgang<br />
Schäuble erst ins Bundesinnen-,<br />
»<br />
FOTOS: PR<br />
70 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Management&Erfolg<br />
Offenes Ohr<br />
Dietz legt großen Wert auf Austausch mit<br />
Künstlern wie Tobias Rehberger<br />
Peppige Plattform<br />
Mit Code_n bietet Dietz Startups<br />
auf der IT-Messe Cebit seit<br />
drei Jahren Präsentationsmöglichkeiten<br />
in einer aufwendig<br />
gestalteten Messehalle<br />
Bulliger Börsenstart<br />
Mehr als 34 Millionen Euro<br />
Expansionskapital sammelte<br />
GFT mit dem Börsengang im<br />
Juni 1999 ein<br />
FOTOS: MICHAEL DANNENMANN, PR (2)<br />
»<br />
später ins Finanzministerium wechseln<br />
sollte und heute Hauptgeschäftsführer des<br />
Bundesverbands der Deutschen Industrie<br />
ist. „Dietz“, sagt Trumpf-Legende Leibinger,<br />
„hatte immer ein gutes Händchen fürs<br />
Personal.“<br />
Statt auf Headhunter setzt er lieber auf<br />
das eigene Urteilsvermögen, beobachtet<br />
potenzielle Führungskräfte schon mal zwei<br />
Jahre, bevor er sie einstellt. Lädt sie zu sich<br />
nach Hause zum gemeinsamen Abendessen,<br />
Kinder inklusive. Fordert sie auf zum<br />
„Rumspinnen auf Zuruf“, nimmt sie mit ins<br />
Museum oder zum Spaziergang durch die<br />
Garmischer Alpen. „Ich will wissen, was<br />
die Leute umtreibt, auch außerhalb des<br />
Jobs“, sagt Dietz. „Wir sind ja keine Fabrik,<br />
sondern ein Wissensunternehmen.“<br />
Das nimmt mit dem Börsengang im Juni<br />
1999 gewaltig Fahrt auf: Am Neuen Markt<br />
herrscht Hochstimmung, Dietz verteilt<br />
zum Börsenstart Kuckucksuhren aus Schokolade.<br />
Der <strong>Ausgabe</strong>kurs liegt bei 23 Euro,<br />
die Erstnotiz bei 44 Euro, der Kurs klettert<br />
im Lauf des Tages auf bis zu 66 Euro. GFT<br />
sammelt durch den Börsengang mehr als<br />
34 Millionen Euro ein, wochenlang kennt<br />
der Kurs nur eine Richtung: nach oben. Ende<br />
1999 bewertet die Börse das Unternehmen<br />
mit zwei Milliarden Euro, „auf dem<br />
Kontoauszug an Silvester 1999“, erinnert<br />
sich Dietz, der damals 50 Prozent der GFT-<br />
Anteile hält, „stand schon ein sehr ordentlicher<br />
Betrag“. Auf dem Boden bleibt er<br />
trotzdem: „Den Porsche“, sagt Dietz,<br />
„konnte ich mir ja schon vorher leisten.“<br />
Statt sich – wie damals viele hochgejubelte<br />
Börsenstars der New Economy –<br />
Villen, Yachten, Sportwagen oder Wochenendtrips<br />
nach New York oder Hongkong zu<br />
leisten, bleibt Dietz lieber bei der Familie<br />
im Schwarzwald, steckt das Geld in den<br />
Ausbau des Unternehmens. Bietet seinen<br />
Mitarbeitern stets die technisch beste Arbeitsumgebung,<br />
stiftet Wasser und Kaffee –<br />
hält das Geld ansonsten aber beisammen:<br />
Fliegt, wie alle Mitarbeiter, innerhalb Europas<br />
bis heute ausschließlich Economy,<br />
übernachtet nie für mehr als 100 Euro. Papier<br />
bedruckt er gern beidseitig und ist sich<br />
auch nicht zu schade, abends in den Büros<br />
das Licht zu löschen. „Auch Kleinigkeiten<br />
machen was aus“, sagt Dietz, „in der Hinsicht<br />
bin ich sehr schwäbisch.“<br />
Das gilt auch für sein Arbeitspensum:<br />
„Ohne Fleiß kein Preis“, sagt Dietz, „wer<br />
seine Zeit auf dem Golfplatz verbringt, gehört<br />
nicht zu den Erfolgreichsten – wer früher<br />
aufsteht, hat mehr Möglichkeiten.“<br />
SPARRINGSPARTNER FÜR IDEEN<br />
Die Krise holt ihn zum Ende der New-Economy-Blase<br />
trotzdem ein: Weil Zahlen für<br />
das Jahr 2000 minimal schlechter ausfallen<br />
als prognostiziert, rauscht der Börsenkurs<br />
Ende März 2001 an einem Tag um fast 50<br />
Prozent in den Keller. „Wie ein Schlag in<br />
den Magen“ sei das gewesen, erinnert sich<br />
Dietz. Zusammen mit Finanzvorstand Kerber<br />
ertränkt er den Frust in der Bar eines<br />
schäbigen Hotels im Frankfurter Bahnhofsviertel<br />
in Whisky. Dietz’ Fazit nach einer<br />
durchzechten Nacht: „Der Druck ist<br />
weg, jetzt können wir das Unternehmen in<br />
aller Ruhe weiterentwickeln.“<br />
Sein Ziel: die gesamte Wertschöpfungskette<br />
für Geschäfte im Web abzudecken.<br />
Erster Schritt in die neue Zukunft: GFT<br />
übernimmt eine Tochtergesellschaft der<br />
Deutschen Bank, die sich mit 25 Prozent an<br />
dem Mittelständler beteiligt. Und setzt die<br />
internationale Expansion fort: Spanien, In-<br />
dien, Frankreich. Den Aufbau der französischen<br />
Tochtergesellschaft an der Côte<br />
d’Azur nutzt er für einen mehrjährigen Aufenthalt<br />
vor Ort, „um mal bewusst eine andere<br />
Perspektive auf sich und die Heimat<br />
zu bekommen“. Jüngster Schritt vor wenigen<br />
Wochen: die Übernahme des britischen<br />
IT-Finanzdienstleisters Rule Financial<br />
(siehe WirtschaftsWoche 30/2014).<br />
Heute ist GFT in elf Ländern mit Niederlassungen<br />
vertreten, allein 1600 der 3000 Mitarbeiter<br />
arbeiten in Spanien und Polen –<br />
„die sind nicht so teuer, aber gut ausgebildet,<br />
liefern viele Impulse“.<br />
Die erhofft sich der 56-Jährige auch aus<br />
der globalen Gründerszene, der er seit drei<br />
Jahren eine spektakuläre Bühne bietet: mit<br />
Code_n, einer Plattform für Start-ups, die<br />
Dietz in Kooperation mit der Messe Hannover<br />
konzipiert hat. In einer eigenen, 16<br />
Meter hohen Halle, die Dietz für rund eine<br />
Million Euro von Künstlern wie Biennale-<br />
Preisträger Tobias Rehberger oder angesagten<br />
Architekten wie Jürgen Mayer H.<br />
oder Clemens Weisshaar gestalten lässt,<br />
präsentieren während der weltgrößten<br />
Computermesse Cebit 50 junge Unternehmen<br />
von Südkorea bis Frankreich ihre Ideen.<br />
Thema 2014: Big Data.<br />
„Wir verstehen uns als Sparringspartner<br />
für neue Ideen“, sagt Dietz, „die in neue Geschäfte<br />
umgemünzt werden können.“<br />
Dieser Spirit soll auch die neue GFT-<br />
Zentrale beseelen: Dort wird es eine eigene<br />
Etage für rund zehn Start-ups und eine<br />
weitere für ehemalige Top-Manager etablierter<br />
Konzerne im Unruhestand geben,<br />
„damit sich jung und alt gegenseitig befruchten<br />
können – wie in einer ständigen<br />
Metamorphose“.<br />
n<br />
manfred.engeser@wiwo.de, michael kroker<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 71<br />
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Management&Erfolg<br />
»Intrigen frühzeitig erkennen«<br />
INTERVIEW | Hans-Joachim Reck Der Verbandschef kommunaler Unternehmen erklärt, warum Frauen<br />
in Top-Jobs oft scheitern. Und was sie von den Männern lernen können.<br />
Herr Reck, in den vergangenen Wochen<br />
haben sich mit Elke Strathmann bei Conti,<br />
Marion Schick bei der Telekom und Angela<br />
Titzrath bei der Post drei Frauen von<br />
Vorstandsposten großer Konzerne verabschiedet.<br />
Haben diese Frauen versagt?<br />
Es sind nicht die Frauen, die versagen, sondern<br />
die Männer – und zwar die, die jetzt<br />
mit 55 Jahren aufwärts die Staffelübergabe<br />
angehen. Wer einen Top-Job zu vergeben<br />
hat und aus der eigenen Branche hinausblickt,<br />
sollte unter den letzten drei Kandidaten<br />
problemlos eine Frau haben. Da kann<br />
sich kein Mann mehr rausreden.<br />
Wie würden Sie das sicherstellen?<br />
Männer sollten begründen müssen, warum<br />
sie frei werdende Chefposten nicht mit<br />
Frauen besetzen.<br />
Weil diverse Studien eigentlich belegen,<br />
dass gemischte Teams erfolgreicher sind?<br />
Dass mehr Frauen in die Führungspositionen<br />
kommen müssen, ist in der Tat klar. Es<br />
ist erwiesen, dass die Qualität der Entscheidungsprozesse<br />
steigt, wenn Frauen mit<br />
ihren Fähigkeiten – die sich von denen der<br />
Männer unterscheiden – in den Gremien<br />
mit von der Partie sind.<br />
Trotzdem schaffen weibliche Vorstände nur<br />
ein Drittel der Amtszeit ihrer männlichen<br />
Kollegen, wie die Beratung Simon Kucher<br />
und Partner errechnet hat. Woran liegt das?<br />
Es ist immer das Gleiche: Es heißt, „ach,<br />
dann wird das jetzt mal eine Frau, die Vita<br />
stimmt ja halbwegs“. Und die werden<br />
schnell konfrontiert mit Themen, die sie so<br />
noch nicht erlebt haben, sehen sich schnell<br />
ausgebremst, scheiden frustriert wieder<br />
aus oder werden krank.<br />
Oder wollen vielleicht gar keine Führungsaufgaben<br />
übernehmen?<br />
Wollen sie schon. Aber es müssen einige<br />
Hemmfaktoren beseitigt werden. Frauen –<br />
DER FRAUENVERSTEHER<br />
Reck, 61, ist Hauptgeschäftsführer des<br />
Verbands kommunaler Unternehmen,<br />
arbeitete bei der Deutschen Telekom als<br />
Personalmanager und war zuvor Bundesgeschäftsführer<br />
der CDU.<br />
das bestätigt etwa ein Projekt der Helmut-<br />
Schmidt-Universität in Hamburg – haben<br />
mehr Bedenken als Männer, in Führungspositionen<br />
zu versagen, und fürchten,<br />
Arbeits- und Familienleben nicht unter<br />
einen Hut zu bekommen.<br />
Wie lässt sich das verhindern?<br />
In der Wirtschaft hat es keinen Sinn, einfach<br />
irgendeine Ex-Wissenschaftlerin oder<br />
Ex-Politikerin anzuheuern. Dann sonnen<br />
sich die Männer wegen dieser Alibi-Plat-<br />
zierungen nur in den Medien. Dabei müssten<br />
sie den Frauen auch die Chance geben,<br />
zu reüssieren. Aber das geschieht nicht.<br />
Meist werden die Frauen einfach positioniert<br />
und sich dann selbst überlassen.<br />
Vielleicht muss die eine oder andere Frau<br />
einfach lernen, besser zu kämpfen?<br />
Auch wenn sie selbst keine Intrigen spinnen<br />
wollen, müssen Frauen zumindest in<br />
der Lage sein, diese zu erkennen. Das<br />
gehört zur Sozialkompetenz von Führungskräften.<br />
Frauen müssen lernen, mit<br />
männlichen Methoden zu agieren. Ihre<br />
Intellektualität alleine trägt sie in der luftigen<br />
Höhe nicht. Sie müssen lernen, in<br />
einer nachhaltig vernetzten Welt zu agieren.<br />
Und Männer sollten Frauen Zeit<br />
geben, sich an diese Spielregeln zu gewöhnen<br />
– etwa durch Coaching.<br />
Glauben Sie im Ernst, dass jemand wie<br />
die Schwedin Eva-Lotta Sjöstedt sich mit<br />
passenden Trainings gegen den Karstadt-<br />
Inhaber Berggruen durchgesetzt hätte?<br />
Frau Sjöstedt ist ja auch kein Beispiel<br />
dafür, dass Frauen es nicht packen können<br />
– im Gegenteil. Mir imponiert die Haltung<br />
der Karstadt-Managerin, die ihren Job ja<br />
aus eigenen Stücken hingeworfen hat. Sie<br />
hat in ihrem bisherigen Berufsleben<br />
gezeigt, dass sie gut ist, und jetzt zeigt sie<br />
Unabhängigkeit. Wenn man dann zu dem<br />
Ergebnis kommt, es passt nicht, und aussteigt,<br />
ist das konsequent und hat Vorbildcharakter.<br />
An wem sollen sich andere Frauen Ihrer<br />
Meinung nach noch orientieren?<br />
Nehmen Sie nur Bundeskanzlerin Angela<br />
Merkel oder Verteidigungsministerin<br />
Ursula von der Leyen. Sie agieren beide<br />
sehr rational und arbeiten ihre Punkte systematisch<br />
ab. Die haben jede für sich die<br />
Männerdomänen um sich herum geknackt<br />
– und achten darauf, dass in ihrem Umfeld<br />
auch andere Frauen Chancen bekommen.<br />
An wen denken Sie?<br />
Etwa an die frühere McKinsey-Beraterin<br />
Katrin Suder, die von der Leyen der gesamten<br />
Generalität als Rüstungsstaatssekretärin<br />
vorgesetzt hat. Damit sind die<br />
alten männlichen Seilschaften empfindlich<br />
gestört.<br />
n<br />
claudia.toedtmann@wiwo.de<br />
FOTO: WERNER SCHUERING<br />
72 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
Parallelwelt,<br />
ganz oben<br />
FRANKFURT | Die Europäische Zentralbank verändert<br />
die Finanzmetropole, sie wird internationaler,<br />
bunter – und reicher. Wie tickt die Stadt, in der über<br />
unser aller Geld bestimmt wird?<br />
Krachend kraxelt der Baustellenaufzug<br />
am Gerippe des ehemaligen<br />
Bürogebäudes in die Höhe.<br />
Im zwölften Stock hält er an,<br />
zwischen den nackten Wänden<br />
weitet sich der Blick über die Türme des<br />
Bankenviertels auf die sanften Hügel des<br />
Taunus. „Wer hier wohnt, ist oben angekommen“,<br />
verkündet Daniel Korn stolz.<br />
Der Mann im dezent blauen Anzug ist Immobilienentwickler<br />
und will die kleine<br />
Schar gepflegter Damen und Herren bei<br />
Häppchen und Hochglanzbroschüren<br />
überzeugen, ihr Geld in Frankfurts ambitioniertestes<br />
Wohnprojekt zu stecken. Die<br />
Vorzüge des fertigen „Onyx“ flimmern neben<br />
Korn über einen Fernseher, den der<br />
Veranstalter ganz unbescheiden den größten<br />
der Welt nennt.<br />
HUNDEWASCHPLATZ INKLUSIVE<br />
Bescheidenheit wäre fehl am Platz. Hier<br />
herrscht Luxus am Rand der Realsatire. Die<br />
Einfahrt zur Tiefgarage ist beheizt und garantiert<br />
breit genug für ausladende Limousinen,<br />
Videoüberwachung und Alarmmelder<br />
entsprechen den Standards des Bundeskriminalamts<br />
und dank Hundewaschplatz<br />
hinterlässt Fiffichen keine Schlammspuren<br />
auf dem Eichenparkett. Ein Concierge-Service<br />
zwischen 6 und 22 Uhr<br />
bringt die Wäsche zur Reinigung, besorgt<br />
Karten fürs Konzert in der Alten Oper um<br />
die Ecke, erfüllt jeden Wunsch. Wohnen<br />
heißt hier Leben in der Luxussuite. Onyx<br />
aber könnte genau so in jeder anderen Finanzmetropole<br />
stehen. Es ist ein global<br />
gültiges Wall-Street-Klischee, die Welt<br />
drum herum ist zweitrangig, bei Bedarf<br />
kann sie komplett draußen bleiben.<br />
Tatsächlich geht es in Frankfurt aufwärts<br />
– mehr Gewerbesteuer, mehr Einwohner,<br />
mehr Arbeitsplätze, mehr Studenten, mehr<br />
Museumsbesucher. Mehr alles. Selbst die<br />
„New York Times“ empfahl die Stadt, von<br />
der internationale Touristen bisher oft nur<br />
den Flughafen kennenlernten, als einen<br />
der global angesagten Plätze.<br />
„Die Stadt ist attraktiv und hat sich in den<br />
vergangenen 20 Jahren fantastisch entwickelt.<br />
Viele bleiben gerne auf Dauer hier,<br />
wir wünschen uns, dass es so weitergeht“,<br />
sagt Peter Rennpferdt, Vize-Personalchef<br />
der Europäischen Zentralbank.<br />
1000 Experten aus ganz Europa sollen bei<br />
der EZB innerhalb eines knappen Jahres aus<br />
dem Nichts die Aufsicht über die wichtigsten<br />
europäischen Banken<br />
Luxus an<br />
der Grenze zur<br />
Realsatire<br />
Entwickler Korn<br />
auf dem<br />
Onyx-Rohbau<br />
aufbauen. Rennpferdts<br />
Publikum klatscht artig.<br />
Es sind Männer im Anzug,<br />
Frauen im Kostüm,<br />
die Diskussionsrunde hat<br />
die Räume der Anwaltskanzlei<br />
in einem Hochhaus mit Blick auf<br />
den Main gut gefüllt, viele müssen stehen.<br />
Das Motto lautet „Boom bis zum Ruin?“<br />
und trifft das Unbehagen, das viele Frankfurter<br />
drückt. Sie fragen, ob es gesund oder<br />
schon gestört ist, was mit der Stadt passiert.<br />
Die EZB-Leute sind nur ein Teil des Ansturms,<br />
der überall nach Platz sucht, in der<br />
Schule, auf den Straßen und vor allem auf<br />
dem Wohnungsmarkt.<br />
Der Aufbruch verunsichert viele, auch<br />
weit jenseits der Aktivisten der Protestbewegung<br />
Occupy – und lässt manche zurück.<br />
Die Mieten steigen, Edel-Italiener<br />
und Tapas-Bars verdrängen die Apfelweinkneipen.<br />
Wie keine andere deutsche<br />
»<br />
FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
1478<br />
Milliarden Euro<br />
managen Fonds von<br />
Frankfurt aus<br />
74 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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10 000<br />
Euro kostet ein<br />
Quadratmeter<br />
in Spitzenlage<br />
1000<br />
Bankenaufseher<br />
stellt die EZB in<br />
diesem Jahr ein<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 75<br />
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Geld&Börse<br />
»<br />
Stadt prägt eine globale Geldelite Frankfurt,<br />
ihre Vertreter sind eigentlich nicht<br />
hier, sondern in der Welt zu Hause. Sie bleiben<br />
unter sich, in der Frankfurter Innenstadt<br />
bilden sie und ihre Dienstleister – Anwälte,<br />
Werber, PR-Leute, Wirtschaftsprüfer<br />
– eine Blase, eine Parallelwelt, die nach eigenen<br />
Regeln funktioniert, wenig <strong>vom</strong> Außen<br />
weiß und wissen will. Das frühere<br />
Schmuddelkind Frankfurt ist stolz darauf,<br />
dass es sich entwickelt, verdrängt aber die<br />
Frage, wo es eigentlich hingehen soll.<br />
„Es ist die spannendste Stadt Deutschlands,<br />
strotzt vor Kraft und Selbstbewusstsein,<br />
aber es fehlt die verbindende Idee, die<br />
Identität. Geld und Internationalität reichen<br />
nicht“, sagt Johnny Klinke. Vor gut 50<br />
Jahren ist er hierhergekommen, das graue<br />
Strubbelhaar erinnert an die wilde Zeit, in<br />
der er mit seinen Kumpels Joschka Fischer<br />
und Daniel Cohn-Bendit die Revolution<br />
vorantreiben wollte. Noch heute bezeichnet<br />
er sich als „gelernten Hausbesetzer“,<br />
dabei ist er längst ein bekannter Kulturunternehmer,<br />
in seinem Varieté „Tigerpalast“<br />
treten seit 25 Jahren Clowns, Zauberer, Artisten<br />
aus aller Welt auf, das angeschlossene<br />
Restaurant hat zwei Michelin-Sterne.<br />
VOM ERFOLG SANFT EINGELULLT<br />
Klinke schätzt die Stadt für ihre seit der<br />
Nachkriegszeit geübte Toleranz, ihre Freiräume<br />
und ihre „Überraschungskultur. Jeder<br />
kann machen, was er will, wenn er<br />
kreativ und ausdauernd ist“, sagt er. Er sitzt<br />
auf einer Bank im Park des Skulpturenmuseums<br />
„Liebieghaus“, ein Frankfurter Vorzeigeplatz,<br />
die frühere Fabrikantenvilla ist<br />
nur wenige Meter <strong>vom</strong> Main entfernt. Vor<br />
30 Jahren beschlossen die Planer, die damals<br />
stinkende Dreckbrühe als natürliche<br />
Mitte der Stadt zurückzugewinnen. Das hat<br />
geklappt, heute ist der Fluss im Sommer<br />
Ausflugsziel für Hunderte Ruderer, Spaziergänger<br />
und sogar Schwimmer. „Frankfurt<br />
ist nicht mehr kalt und schwarz-weiß,<br />
sondern bunt und lebendig“, sagt Klinke.<br />
Aber nicht frei von Schatten. Klinke nervt<br />
das Gerede über soziales Auseinanderbrechen,<br />
die Netzwerke der Stadt seien stark<br />
genug, um das zu verhindern. „Was fehlt,<br />
ist eine Debatte, eine Vision, bei der sich alle<br />
fragen, wie sie die Zukunft mitten in Europa<br />
gestalten wollen“, sagt er. Der Erfolg<br />
lulle die Verantwortlichen ein, es fehle der<br />
folgenreiche Dialog zwischen Unternehmen<br />
und Kultur, Engagement beschränke<br />
sich auf das ablassartige Sponsoring einer<br />
Ausstellung. „Meine Generation tritt wohlversorgt<br />
ab“, sagt Klinke. „Die Jüngeren<br />
Gekommen, um zu<br />
bleiben EZB-Bankaufseherin<br />
Rebollo<br />
Die EZB hat in ganz Europa Werbung<br />
für das Leben in Frankfurt gemacht<br />
sind oft sehr schnell erfolgreich geworden,<br />
mit ihren internationalen Lebensläufen<br />
aber lockerer an die Stadt gebunden. Deshalb<br />
spüren sie weniger Verantwortung.“<br />
NOTENBANK ALS KATALYSATOR<br />
Der Bauzaun mit bunten Pinocchios und<br />
einem Chor düsterer Affen aus der Sprühdose<br />
schirmt das Hochhaus weitläufig ab,<br />
Hammerschläge hallen herüber, Männer<br />
mit Helmen laufen auf und ab. 201 Meter<br />
ragt die Glasfassade aus der Brachlandschaft<br />
um die ehemalige Großmarkthalle<br />
empor, sie wirkt, als wäre sie direkt aus<br />
Stanley Kubricks Filmklassiker „2001“ gelandet.<br />
Vier Jahre hat der Bau der neuen<br />
Zentrale der Europäischen Zentralbank gedauert,<br />
1,2 Milliarden Euro gekostet, selbst<br />
eine neue Brücke über den Main hat die<br />
Stadt der EZB spendiert. 2300 Menschen<br />
sollen hier arbeiten, Anfang 2015 ziehen<br />
sie ein. Es ist „Viertel vor Entwicklung“, wie<br />
das Plakat am Zaun verkündet.<br />
Entwickeln sollen die Neuankömmlinge<br />
das Ostend, das bisherige trübe Industriegrau<br />
soll weichen. Viel ist davon noch nicht<br />
zu sehen. Die Durchfahrtstraßen säumen<br />
ein Matratzenlager, Welt der Farben und<br />
Eisen Fischer, zwischen den Wohnhäusern<br />
flanieren Männer mit offenen Bierflaschen<br />
der Lokalmarken Binding und Henninger.<br />
Die Lokale heißen Hesse Wirtschaft und<br />
Zur Kutscherklause, Mittagsschnitzel gibt<br />
es hier für 6,90 Euro. Einsames Zeichen der<br />
neuen Zeit ist das Restaurant Oosten, ein<br />
großer Glaskasten direkt am Main, vor dem<br />
eine Gruppe jüngerer Anzugträger in der<br />
Mittagssonne Salat knabbert. Mehr soll folgen:<br />
Gerade hat die Stadt große Pläne<br />
durchgewinkt für 650 Wohnungen, Büros,<br />
bis zu drei Hotels.<br />
Ausreichend ausgestattet, um für Aufschwung<br />
zu sorgen, sind die EZB-Leute.<br />
Ein Bankenwächter kassiert zwischen<br />
65 000 und 100 000 Euro im Jahr – deutlich<br />
mehr, als nationale Behörden zahlen. Richtig<br />
attraktiv machen den Job die Vergünstigungen.<br />
Es gibt steuerfreie Zulagen, 325 Euro<br />
pro Kind, hauseigene Betreuung für kleinere<br />
und Plätze in der internationalen<br />
Schule für größere Kinder. Ausländer bekommen<br />
16 Prozent Ortszulage, es gibt Hil-<br />
FOTOS: ANGELIKA ZINZOW FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ACTION PRESS/KAMMERER, CORBIS/HICKS<br />
76 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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fe bei der Suche nach einem Job für den Lebenspartner<br />
und nach einer Wohnung und<br />
auch noch zwei Monatsgehälter extra – für<br />
Möbel. Alle zahlen keine deutsche Einkommensteuer,<br />
sondern einen deutlich niedrigeren<br />
Satz direkt in den EU-Haushalt.<br />
„Wir haben überall in Europa Werbung<br />
für Frankfurts Lebensqualität gemacht“,<br />
sagt EZB-Personaler Rennpferdt. Tausende<br />
Neuankömmlinge machen nun den Realitäts-Check,<br />
unbelastet von alten Klischees.<br />
Irene Rebollo etwa kennt weder Ebbelwoi-Showmaster<br />
Heinz Schenk („Es ist alles<br />
nur geliehen“) noch „Fall-für-<br />
Zwei“-Detektiv Josef Matula, sie denkt bei<br />
Frankfurt nicht an Dreck und Drogen und<br />
auch nicht an arrogante Bankbosse, die<br />
von ganz weit oben in ihren Türmen der<br />
„Peanuts“-Welt da unten „Victory“-Zeichen<br />
zeigen. Die zierliche Spanierin verbindet<br />
mit der Stadt vor allem die blaue<br />
Skulptur vor dem alten EZB-Gebäude in<br />
der Innenstadt. Allabendlich bebilderte die<br />
zu Hause in Madrid die Nachrichten, als<br />
Symbol des Euro und seiner Krise.<br />
ALLES AUF ANFANG<br />
Seit März ist Rebollo selbst ganz nah dran.<br />
„Ich wollte etwas Neues“, sagt sie. „In<br />
Frankfurt habe ich die Chance.“ Rebollo<br />
führt bei der neuen Aufsicht zehn Mitarbeiter<br />
aus vier Nationen, darunter nicht ein<br />
Deutscher. Ihr Team legt fest, welche Informationen<br />
Banken melden müssen, sie<br />
fängt bei null an, mehr Neues geht kaum.<br />
Für Frankfurt hat Rebollo ihre Stelle bei<br />
der spanischen Zentralbank aufgegeben,<br />
Mann und Sohn sind erst mal in Madrid<br />
geblieben. Die Aufseherin lebt wie eine<br />
Austauschstudentin, teilt sich die Wohnung<br />
mit einer spanischen Kollegin. Vorerst,<br />
denn ihr Aufenthalt soll kein Provisorium<br />
bleiben. „Ich bin glücklich hier, es<br />
lässt sich gut leben, es gibt viel Grün und<br />
kurze Wege“, sagt Rebollo. Bald zieht sie in<br />
eine Wohnung im Westend, im Herbst soll<br />
ihr Sohn hier in den Kindergarten.<br />
Das Westend ist immer noch die von<br />
Bankern bevorzugte und deshalb teuerste<br />
Wohnlage. Hier und in den anderen gefragten<br />
Vierteln rund um die Innenstadt<br />
marschieren die Immobilienpreise schon<br />
länger Richtung München. Im ersten Quartal<br />
waren Wohnungen mehr als zehn Prozent<br />
teurer als im Vorjahr, der Quadratmeter<br />
kostet 6000 Euro und mehr. Kaltmieten<br />
liegen zwischen 12 und 14 Euro, in Spitzenlagen<br />
können es auch 16 pro Quadratmeter<br />
sein. Der Boom hat nicht nur das Westend<br />
und das benachbarte Holzhausenviertel,<br />
Rendite für die Republik<br />
Wie viel Geld Fondsanbieter in Frankfurt<br />
für Privatanleger managen (in Mrd. Euro)<br />
170,2 DeAWM (Deutsche Bank)<br />
99,7<br />
96,4<br />
22,6<br />
7,8<br />
DekaBank (Sparkassen)<br />
Union Investment (Volksbanken)<br />
Universal (Berenberg, Bankhaus Lampe)<br />
Frankfurt-Trust (BHF-Bank)<br />
Stand: 31.5.2014; Quelle: BVI<br />
sondern auch das einst alternativ angehauchte<br />
Nordend, das frühere Arbeiterviertel<br />
Bornheim oder Sachsenhausen auf<br />
der anderen Mainseite erfasst.<br />
Wohnen ist teuer, denn der Platz wird<br />
knapp. Um 15 000 Einwohner wächst<br />
Frankfurt jährlich, in diesem Jahr überschreitet<br />
die Stadt die Schwelle von<br />
700 000. Um alle unterzubringen, müssten<br />
pro Woche 100 Wohnungen hinzukommen.<br />
Das ist nicht zu schaffen, aber die<br />
Stadt will es wenigstens versuchen. Neubauten<br />
sollen möglichst alle Lücken auf<br />
Auf der Sonnenseite Im Varieté Tigerpalast<br />
(oben) gibt es Artisten und Spitzenküche,<br />
der Opernplatz ist beliebter Bankertreff<br />
den 250 Quadratkilometer Stadtfläche<br />
schließen. Mit dem Riedberg im Nordwesten<br />
und dem Europaviertel auf dem Gelände<br />
des früheren Güterbahnhofs entstehen<br />
zwei komplette Stadtteile <strong>vom</strong> Reißbrett.<br />
Und in Sachsenhausen baut eine Gesellschaft<br />
von SAP-Gründer Dietmar Hopp gerade<br />
für 300 Millionen Euro 140 Meter in<br />
die Höhe. In Wohntürmen können sich<br />
Banker dann auch privat ganz oben angekommen<br />
fühlen. Und: Sie sparen Platz.<br />
Der Wohnungsboom macht die Stadt<br />
nicht überall schöner. Allerorten schießen<br />
gesichts- und geschichtslose Wohnblocks<br />
in die Höhe. Zum Ausgleich, wie um sich<br />
eines Stücks eigener Tradition zu versichern,<br />
baut die Stadt fast 70 Jahre nach der<br />
Zerstörung im Zweiten Weltkrieg jetzt einen<br />
Teil der historischen Altstadt wieder<br />
auf. Kritiker verspotten die Rekonstruktionen<br />
als „Zuckerbäckerhäuschen“. Doch die<br />
Nachfrage nach den bis zu 7250 Euro pro<br />
Quadratmeter teuren Wohnungen ist<br />
enorm, im November werden sie verlost.<br />
VERTEILUNGSKAMPF UM BAULAND<br />
Auf der Suche nach neuen Flächen dachten<br />
die Stadtplaner sogar mal daran, die<br />
Gewächshäuser entlang des Main abzureißen,<br />
in denen seit Goethes Zeiten die sieben<br />
Kräuter für die Frankfurter Grüne Soße<br />
angebaut werden. Nach lokalen Proteststürmen<br />
sah die Stadt davon ab. Vorerst.<br />
Jetzt sollen vermehrt Bürobauten zu Wohnungen<br />
werden. Die Bürostadt Niederrad<br />
etwa, ein 150 Hektar großes Areal auf dem<br />
Weg zum Flughafen, zum Lyoner Viertel<br />
wandeln. Wo heute am Abend gespenstische<br />
Ruhe herrscht, Fluglärm einmal ausgenommen,<br />
sollen künftig 6000 Menschen<br />
wohnen.<br />
Büroflächen in B-Lagen sind schwer zu<br />
vermieten – Banken und Berater drängen<br />
ins Zentrum. Aktuell stehen zehn Prozent<br />
der Büroflächen im Stadtgebiet leer, rund<br />
1,3 Millionen Quadratmeter. Trotzdem ziehen<br />
Investoren immer neue Projekte in die<br />
Höhe. So baut der Immobilienentwickler<br />
DIC Asset für 750 Millionen Euro das Maintor-Quartier<br />
direkt am Flussufer. Von<br />
74 000 Quadratmetern sind 90 Prozent<br />
schon vor Abschluss des Baus vermietet.<br />
„70 Prozent der Neubaufläche sind hier<br />
für Büros vorgesehen. Die braucht keiner“,<br />
sagt Anette Mönich und schaut empört.<br />
„Das ist mal wieder so ein völliger Blödsinn.“<br />
Die Frau mit den langen grauen Haaren<br />
und der Lederjacke steht im Innenhof<br />
des Universitätsgeländes, die Wände sind<br />
vollgesprayt, einzelne Studenten tragen<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 77<br />
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Geld&Börse<br />
Fit für den globalen<br />
Wettbewerb Kids-Camp-<br />
Gründerin Dorner<br />
Die Edel-Kita versorgt den Nachwuchs<br />
elf Stunden auf Englisch und Deutsch<br />
»<br />
Bücher vorbei, viele sind es nicht mehr.<br />
2017 ist im Stadtteil Bockenheim Schluss,<br />
die Hochschule zieht um, und wenn sie weg<br />
ist, rollt auf die meisten Gebäude aus den<br />
Sechzigerjahren trotz Denkmalschutz der<br />
Abrissbagger zu. Wo jetzt noch Fahrräder<br />
stehen, wird es nach dem aktuellen Plan eine<br />
Straße geben, gesäumt von Neubauten,<br />
die Mönich „total leblos, total steril“ findet.<br />
Sie will es anders, lebendig, interessant,<br />
will bezahlbare Wohnungen und Kultur für<br />
möglichst viele. All das sieht sie bedroht.<br />
Mönich führt einmal quer durch den<br />
Stadtteil, in dem sie seit 32 Jahren zu Hause<br />
ist, vorbei an Spuren des Wandels, an<br />
neuen Eigentumswohnungen, das frühere<br />
Verwaltungsgericht nennt sich jetzt Headquarter,<br />
aus den Amtsstuben sind kleine<br />
Apartments geworden, vermietet vor allem<br />
an Studenten und „sehr teuer“, wie<br />
Mönich sagt.<br />
Sie beklagt sich nicht aus Passion, ihre<br />
Sorgen teilen viele in Bockenheim. Das<br />
Viertel war sozial immer munter gemischt,<br />
nun droht eine Monokultur der Gutverdiener.<br />
Um die zu verhindern, hat die Initiative<br />
ein Büro gemietet, an den Wänden hängen<br />
Baupläne, Broschüren verkünden „Wir<br />
bleiben hier“. Mittwochs trifft sich die Mie-<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
terinitiative, es gibt Deutschkurse für Migranten,<br />
Beratung, Diskussionen. Als die<br />
städtischen Wohnungsgesellschaften die<br />
Mieten um 1,30 Euro je Quadratmeter erhöhten,<br />
machten die Berater Überstunden.<br />
„Das war richtig krass, da kamen Dutzende“,<br />
sagt Mönich. „Die Menschen haben<br />
Angst, dass sie sich ihr Leben bald nicht<br />
mehr leisten können.“ Es sind Menschen<br />
wie Veronika Walter*.<br />
AN DEN RAND GEDRÜCKT<br />
1975 ist sie in ihre Bockenheimer Altbauwohnung<br />
eingezogen, hat dort vier Kinder<br />
bekommen und großgezogen, das Wohnen<br />
war immer günstig, weil sich der alte<br />
Vermieter nur wenig um sein Haus kümmerte.<br />
Das änderte sich, als er das Haus<br />
2011 verkaufte. Der neue Eigentümer erhöhte<br />
die Miete sofort um 20 Prozent, ein<br />
älteres Ehepaar konnte sich das nicht leisten<br />
und musste sofort ausziehen. Inzwischen<br />
ist von den ursprünglichen Bewohnern<br />
nur noch Walter da. Mansarden und<br />
Dachboden hat der Investor zu einer Maisonette-Wohnung<br />
mit großer Dachterrasse<br />
umgebaut. Hier wohnt keine Familie, sondern<br />
eine Business-WG – Gutverdiener, die<br />
keinen Anhang haben oder am Wochenende<br />
nach Hause pendeln. Anfang des Jahres<br />
ist Walters Miete noch mal um 20 Prozent<br />
gestiegen. Die Rentnerin hat ihr Auto abgeschafft,<br />
seit vier Jahren ist sie nicht mehr in<br />
den Urlaub gefahren, sie spart, wo sie<br />
kann, aber es reicht nicht. Jetzt will sie sich<br />
eine neue Bleibe suchen, in eine Wohngemeinschaft<br />
mit anderen Älteren ziehen –<br />
eine Zwei-Zimmer-Wohnung kann sie sich<br />
von ihrer Rente nicht mehr leisten.<br />
Das ist die Schattenseite des Booms. Die<br />
sonnige zeigt sich direkt vor der Tür des Bockenheimer<br />
Stadtteilbüros. Wo bis vor Kurzem<br />
noch Ein-Euro-Resterampen, Internet-Cafés<br />
und Spielhallen dominierten,<br />
gibt es heute internationale Käsespezialitäten,<br />
gehobene Kochausrüstung und Tapas-<br />
Bars. In efeuberankten Höfen sitzen Lattemacchiato-Trinker<br />
vor Kunstgalerien.<br />
Selbst die über Jahre verlassene Kaufhof-<br />
Filiale ist wieder vermietet, hier ist gerade<br />
eines der ersten Outlet-Stores des Internet-<br />
Händlers Zalando eingezogen.<br />
Solche Einsprengsel verwandeln Frankfurt<br />
selbst da, wo es immer am finstersten<br />
war. Die Straßen um den Hauptbahnhof<br />
haben das negative Bild der Stadt geprägt,<br />
mit Drogen, Nutten und ab und an Schießereien.<br />
All das gibt es noch, aber heute ist<br />
das Bahnhofsviertel auch das angesagteste<br />
Ausgehquartier, an warmen Abenden stehen<br />
Hunderte auf den Straßen.<br />
ABGEFUCKT BIS ALTERNATIV<br />
Maxie Eisen, Bar Plank und Walon & Rosetti<br />
sind keine Kneipen, sondern Locations,<br />
sie geben sich abgefuckt bis alternativ<br />
– globale Konfektionsware für vollbärtige<br />
Hornbrillenwerber, die Mojitos trinken<br />
und sich nach Berlin träumen. Sechs<br />
S-Bahn-Stationen weiter aber ist nicht Mitte,<br />
sondern Offenbach.<br />
Banker tauchen im Bahnhofsviertel seltener<br />
auf, sie bewegen sich lieber rund um<br />
den Opernplatz. Ihr Spesenspielraum ist<br />
durch diverse Sparrunden nach der Krise<br />
zwar geschrumpft, die Boni fallen etwas<br />
dürftiger aus, mit der Dresdner Bank ist eine<br />
große Adresse verschwunden. Verglichen<br />
mit London und New York, ist Frankfurt<br />
aber glimpflich davon gekommen. „Es<br />
hat keine ganz großen Entlassungswellen<br />
gegeben“, sagt Jörg Janke, Partner bei der<br />
Personalberatung Egon Zehnder. „Frankfurt<br />
hat Stabilität bewiesen und ist nach der<br />
Krise attraktiver als vorher.“ Es sei eine<br />
Stadt kurzer Wege, Banker mit Familie<br />
schätzten das, zumal ihre Arbeitgeber<br />
kaum noch nach Standorten differenzierten:<br />
Angestellte desselben Hauses verdienen<br />
oft überall gleich. Wer Londoner Preise<br />
gewohnt ist, findet Frankfurt günstig.<br />
FOTOS: ANGELIKA ZINZOW FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, INTERFOTO/IMAGEBROKER/ROBBIN, REINHARD EISELE/EISELE-PHOTOS<br />
78 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Große Unternehmen, über Jahre ins Umland<br />
abgewandert – sogar die Deutsche<br />
Börse ging vor fünf Jahren ins benachbarte<br />
Eschborn –, ziehen wieder zu: General<br />
Electric, Nintendo, Honda, der US-Spielwarenhersteller<br />
Mattel.<br />
Peter Feldmann könnte zufrieden sein,<br />
darf es aber nicht so wirklich. Der SPD-<br />
Mann hat 2012 überraschend die Wahl gewonnen<br />
und die CDU-Frau Petra Roth als<br />
Oberbürgermeister beerbt. Der frühere<br />
Leiter eines Jugendzentrums im sozial<br />
schwachen Stadtteil Bonames hat inmitten<br />
des „Mehr“ weniger versprochen: weniger<br />
Fluglärm, weniger Kinder ohne Frühstück,<br />
weniger soziales Auseinanderfallen, weniger<br />
Hochkultur für die Elite. Auf dem Sonnenbalkon<br />
der Alten Oper fragt er nach einer<br />
Suppe. Als der Kellner eine Kaltschalen-Kreation<br />
offeriert, winkt Feldmann ab.<br />
Das ist ihm zu abgehoben, zu versnobt.<br />
„Die EZB macht Frankfurt zu einer globalen<br />
Marke“, sagt der Politiker. Die passe perfekt<br />
zur Stadt, in der „jeder Grundschüler<br />
früh den Umgang mit Geld lerne“. Feldmann<br />
will den Wandel nicht bremsen, aber<br />
in für alle verträgliche Bahnen lenken. Über<br />
Jahrhunderte habe Frankfurt integriert, das<br />
Leben statt Bürotristesse Der Main ist ein<br />
beliebtes Ausflugsziel, die Bürostadt Niederrad<br />
(oben) soll zum Wohnviertel werden<br />
stecke tief in der DNA der Händler- und Finanzstadt.<br />
Mit 43 Prozent hat sie den<br />
höchsten Migrantenanteil der deutschen<br />
Großstädte. Trotzdem könnten Menschen<br />
entspannt leben, Kinder sicher in die Schule<br />
schicken, selbst einkommensschwache<br />
Viertel sind keine Ghettos, in denen nachts<br />
die Mülltonnen brennen. „Es gibt keine<br />
Vorbehalte gegen irgendwen, die EZB-Mitarbeiter<br />
sind willkommen.“<br />
Wenn sie denn ankommen und nicht in<br />
ihrer Parallelwelt bleiben. In der Europäischen<br />
Schule etwa, die Kinder von Mitarbeitern<br />
der EZB bevorzugt aufnimmt. Sie<br />
platzt aus allen Nähten, im September werden<br />
hier rund 1450 Schüler aus 50 Ländern<br />
in vier Sprachen lernen. Viele erwartet kein<br />
Klassenraum, sondern ein Not-Container.<br />
VOM CAYENNE IN DEN CONTAINER<br />
Auch die anderen privaten Schulen boomen,<br />
vor der Phorms-Grundschule oder<br />
dem Kant-Gymnasium stauen sich morgens<br />
die Porsche Cayennes, mittags treffen<br />
sich Kinder und Nannys zum Auslauf im<br />
nahen Holzhausenpark. Kindergärten wie<br />
die Villa Luna versprechen Höchstleistung<br />
für Höchstpreise.<br />
So auch das Kids Camp, eine Rundum-<br />
Betreuungsstätte für Kinder von zwei Monaten<br />
bis zum Grundschulalter. Die Jugendstilvilla<br />
im Bankenviertel umgibt ein<br />
hoher Zaun, drinnen essen Kinder brav ihr<br />
vollwertiges Mittagsmahl, sie tragen Trikots<br />
von zehn Nationalmannschaften, Originale,<br />
keine billigen Kopien. „In Frankfurt<br />
leben so viele zugezogene Familien wie<br />
sonst nirgends“, sagt Leiterin Martina Dorner.<br />
Da fehlten Großeltern, die beim Betreuen<br />
helfen. Und Banken drängen darauf,<br />
dass Frauen nach der Geburt schnell<br />
in den Job zurückkehren, in Vollzeit.<br />
Damit der Nachwuchs die Eltern nicht<br />
bremst, wird er für 750 Euro monatlich im<br />
Kids Camp von acht Uhr morgens bis sieben<br />
Uhr abends versorgt. Jede Gruppe hat<br />
zwei Betreuer, je einer redet nur Englisch –<br />
Training für den globalen Wettbewerb.<br />
Die Nachfrage übersteigt das Angebot<br />
bei Weitem, ein Drittel der Bewerber wird<br />
abgelehnt. Deutsche Bank und Helaba haben<br />
Plätze reserviert. Dorner startete 2004<br />
mit 16 Kindern und zwei Mitarbeitern,<br />
zehn Jahre später kümmern sich 150 Angestellte<br />
um 500 Kinder. Noch eine Geschichte,<br />
die der Boom schrieb, ein Erfolg, bei<br />
dem aber auch viele draußen bleiben.<br />
Frankfurt eben.<br />
n<br />
cornelius.welp@wiwo.de, mark fehr, angela hennersdorf,<br />
saskia littmann, heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />
Boomstadt Frankfurt<br />
Die Einwohnerzahl wächst<br />
Einwohnerzahl (in Tausend)<br />
700<br />
650<br />
600<br />
550<br />
500<br />
450<br />
Quelle: Stadt Frankfurt<br />
5000<br />
4000<br />
3000<br />
09 10 11 12 13<br />
Die größere Nachfrage treibt die<br />
Immobilienpreise<br />
Kaufpreise für Eigentumswohnungen (in Euro/qm)<br />
2000<br />
09 10 11 12 13<br />
Quelle: Jones Lang Lasalle<br />
Es gibt mehr Jobs...<br />
Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte (in Tausend)<br />
525<br />
500<br />
475<br />
450<br />
1,6<br />
1,5<br />
1,4<br />
1,3<br />
1,2<br />
1,1<br />
1<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
09 10 11 12 13<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit<br />
Westend<br />
...wodurch die Stadt mehr einnimmt<br />
Gewerbesteuer (Milliarden Euro)<br />
09 10 11 12 13 14*<br />
* Haushaltsplan, Quelle: Stadt Frankfurt<br />
Nordend<br />
Bornheim/Ostend<br />
Innenstadt/Bahnhofsviertel/Gallus<br />
Selbst den Banken geht es gut<br />
Geschäftsentwicklung der Banken*<br />
09 10 11 12 13 14<br />
* CFS-Finanzplatzindex (Umfrage unter Finanzunternehmen),<br />
Quelle: Center for Financial Studies<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 79<br />
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Geld&Börse<br />
Kein Mensch Im Automobilbau ist die<br />
Automatisierung weit fortgeschritten<br />
weit fortgeschritten sind“, sagt Georg von<br />
Wallwitz, Geschäftsführer des Vermögensverwalters<br />
Eyb & Wallwitz in München. In<br />
seinen Portfolios hält er Aktien des Siemens-Konkurrenten<br />
ABB, von Kuka und<br />
Papiere des japanischen Anbieters Fanuc.<br />
Der größte Automatisierungstreiber seien<br />
die steigenden Lohnkosten in China,<br />
sagt von Wallwitz. Im bevölkerungsreichsten<br />
Land der Welt sind die Löhne in den<br />
vergangenen zehn Jahren im Schnitt um<br />
mehr als zehn Prozent pro Jahr gestiegen.<br />
Gleichzeitig sinkt die Arbeitsproduktivität.<br />
Daher müssen die Hersteller Kosten sparen<br />
– folglich ist China der größte und am<br />
schnellsten wachsende Robotermarkt der<br />
Welt. iPhone-Fertiger Foxconn etwa hat<br />
jüngst 10 000 Roboter bei Google bestellt.<br />
Renditemaschinen<br />
AKTIEN | Um Kosten zu sparen, kaufen Unternehmen neue Roboter<br />
für ihre Fabriken. Die Automatisierung steht in vielen Branchen<br />
noch am Anfang – das bietet Anlegern Chancen zum Investieren.<br />
Er arbeitet hinter Gittern, schnell, gezielt<br />
und leise, ohne Murren, trotz der<br />
stupiden Arbeit. Nur ein Surren klingt<br />
aus dem Käfig, immer im gleichen Takt:<br />
Pappe ansaugen, aufs Band legen, Folie<br />
draufsetzen. Immer und immer wieder.<br />
Roger Schlender beobachtet seinen neuen<br />
Roboter bei der Arbeit und flachst: „Einen<br />
Vorteil hat das Ding ja: Aufs Klo gehen<br />
muss er nicht.“<br />
Schlender führt ein kleines Unternehmen<br />
in Hattingen im Ruhrgebiet, seine 15<br />
Mitarbeiter fertigen Ringordner und edle<br />
Verpackungen. Keine Massenware, alles<br />
auf Bestellung. Vor wenigen Monaten hat<br />
sich der Chef einen neuen Mitarbeiter liefern<br />
lassen – einen Industrieroboter des<br />
Augsburger Roboterbauers Kuka. Schlender<br />
hat ihn für 35 000 Euro gekauft, um seine<br />
Angestellten von einfachen, aber anstrengenden<br />
Arbeiten zu entlasten, wie er<br />
sagt. Nebenbei liefert die Maschine eine<br />
durchgehend perfekte Qualität, schnell ist<br />
sie auch und nimmt außerdem nie Urlaub,<br />
nicht einmal ein freies Wochenende.<br />
Besser. Schneller. Mehr. Mit diesen drei<br />
Worten lässt sich eine Entwicklung beschreiben,<br />
die nicht nur in Hattingen, sondern<br />
auf den Werkbänken der ganzen Welt<br />
Einzug hält: Das Zauberwort für Effizienz<br />
heißt Automatisierung.<br />
ROBOTER FÜR ZWEI BILLIONEN<br />
Wer glaubt, die Industrie sei schon weitgehend<br />
automatisiert, der irrt. Für den Automobilbau<br />
ist das richtig, in japanischen<br />
Autofabriken etwa stehen pro 1000 Arbeiter<br />
bereits mehr als 150 Roboter am Band.<br />
Aber viele Branchen stehen noch ganz am<br />
Anfang. Die Unternehmensberatung<br />
McKinsey rechnet damit, dass die Automatisierung<br />
in zehn Jahren Umsätze von mehr<br />
als zwei Billionen US-Dollar schaffen wird<br />
– jährlich. Im vergangenen Jahr wurden<br />
weltweit 179 000 Industrieroboter verkauft,<br />
das sind 40 Prozent mehr als noch zu Beginn<br />
der Dekade.<br />
„Wer diesem Megatrend mit seinem Kapital<br />
folgen will, sollte auf Unternehmen<br />
setzen, die Roboter bauen und technisch<br />
SUCHMASCHINENRIESE AM START<br />
Google will bei der Roboter-Rallye mitmischen<br />
und hat acht Start-up-Unternehmen<br />
aus dem Bereich Robotik gekauft. „Der<br />
Markteintritt von Google bedeutet die<br />
größte Veränderung in der Robotikindustrie“,<br />
sagt Thomas Bauernhansl. Der Leiter<br />
des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik<br />
und Automatisierung erwartet von<br />
Google eine Software, die herstellerübergreifend<br />
auf verschiedenen Robotern laufen<br />
kann – so wie das Betriebssystem Android<br />
auf fast allen Smartphones. Das bringe<br />
die Branche in neue Dimensionen, weil<br />
Roboter einfacher und günstiger werden.<br />
Außerdem wird die Einführung von<br />
Leichtbaurobotern (LBR) das Geschäft antreiben.<br />
Heute kaufen kleinere Unternehmer<br />
wie Roger Schlender nur in Ausnahmefällen<br />
Roboter, weil diese meist groß<br />
und schwer sind und das Risiko besteht,<br />
dass in der Nähe arbeitende Menschen<br />
verletzt werden. Künftig sollen Arbeiter die<br />
Roboter wie Werkzeuge direkt am Band bedienen,<br />
ein Team aus Mensch und Maschine.<br />
„In fünf Jahren wird mehr als jeder dritte<br />
Roboter ein LBR sein“, glaubt Frank<br />
Kirchner, Robotik-Experte <strong>vom</strong> Deutschen<br />
Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.<br />
Die Technik werde dann auch für<br />
kleinere Unternehmen attraktiv.<br />
Wichtig ist, in welchen Branchen die<br />
Hersteller vertreten sind. Aktuell wird die<br />
Automatisierung etwa in der Flugzeugfertigung<br />
vorangetrieben. „Auch in der Textilbranche,<br />
in der Logistik und bei der<br />
Verpackung von Lebensmitteln wird viel<br />
automatisiert werden“, sagt Kirchner.<br />
FOTOS: KUKA SYSTEMS, DDP IMAGES/SCHUERMANN<br />
80 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Erfolgreiche Robotik-Unternehmen sind<br />
mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) von<br />
mehr als 20 höher bewertet als herkömmliche<br />
Maschinenbauer, deren KGV eher bei<br />
15 liegt. Das liegt daran, dass Anleger von<br />
ihnen stärkeres Wachstum und bessere<br />
Gewinnmargen erwarten. Vier große Unternehmen<br />
dürften von der zunehmenden<br />
Automatisierung besonders profitieren.<br />
n ABB Der größte unter den Automatisierern<br />
macht rund ein Viertel seines Umsatzes<br />
im Bereich Industrieautomation und<br />
Robotik. Im vergangenen Quartal lieferte<br />
dieser Bereich ein Drittel des Gewinns. Wie<br />
viel davon auf den Robotervertrieb zurückgeht,<br />
will ABB nicht verraten. Doch das Geschäft<br />
mit den intelligenten Maschinen gilt<br />
als Ertragsperle. Einzig im Bereich Energietechniksysteme<br />
schwächelt der profitable<br />
Siemens-Rivale, allerdings macht dieses<br />
Segment nur ein Sechstel des Umsatzes<br />
aus. ABB ist in mehr als 100 Ländern aktiv<br />
und setzt vor allem auf Großaufträge. Im<br />
jüngsten Quartalsbericht konnte das Unternehmen<br />
14 Prozent mehr Aufträge in<br />
China vermelden. Dort hat ABB seine globale<br />
Produktentwicklung und erschließt<br />
neue Märkte mit Leichtbaurobotern, etwa<br />
im Bereich Lebensmittelverpackung und<br />
Elektronik. Die Dividendenpolitik ist aktionärsfreundlich.<br />
Chance nnnnn<br />
Risiko nnnn<br />
Gewinne automatisieren<br />
Die Aktien von ABB, Fanuc, Kuka und Yaskawa bieten Chancen<br />
Unternehmen (Land)<br />
ABB (CH)<br />
Fanuc (JP)<br />
Kuka (DE)<br />
Yaskawa (JP)<br />
ISIN<br />
CH0012221716<br />
US3073051027<br />
DE0006204407<br />
JP3932000007<br />
Kurs<br />
in Euro<br />
17,81<br />
21,77<br />
44,00<br />
9,88<br />
1 2013; 2 Mittelzufluss nach Abzug von Investitionen etc.; 3 Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis des für 2014 geschätzten<br />
Gewinns; 4 Dividendenrendite in Prozent; Quelle: Bloomberg<br />
n Fanuc Der Kurs der Japaner ist zuletzt<br />
nur seitwärts gelaufen und hat Nachholpotenzial.<br />
Vom schwachen Yen konnte Fanuc<br />
in den vergangenen Jahren genauso wenig<br />
profitieren wie von der Geldschwemme<br />
der japanischen Notenbank, weil der Vertriebsschwerpunkt<br />
noch sehr stark auf dem<br />
Heimatmarkt liegt. Für eine kurzfristige<br />
Kurssteigerung spricht der hohe freie<br />
Cash-Flow, aus dem Fanuc eigene Aktien<br />
zurückkaufen könnte. Mit einer neuen Generation<br />
von automatischen Roboterzellen<br />
für den Automobilbau sollen neue Kunden<br />
gewonnen werden. Im kommenden Geschäftsjahr<br />
wollen die Japaner den Gewinn<br />
um ein Drittel steigern. Dafür muss sich<br />
aber die zuletzt eingebrochene Nachfrage<br />
aus China erholen.<br />
Chance nnnnnnn<br />
Risiko nnnnnn<br />
Umsatz 1<br />
30850<br />
3300<br />
1774,5<br />
2654,1<br />
Gewinn 1<br />
(in Millionen Euro)<br />
2790<br />
809<br />
58,3<br />
128,6<br />
41261<br />
30612<br />
1492,3<br />
2528,5<br />
Freier<br />
Cash-Flow 2<br />
2303,7<br />
797,2<br />
185,3<br />
18,3<br />
KGV 3<br />
21,4<br />
25,6<br />
26,7<br />
19,1<br />
Börsenwert<br />
Dividende<br />
1, 4<br />
3,0<br />
1,3<br />
1,0<br />
1,0<br />
n Kuka Die Aktie des Augsburger MDax-<br />
Unternehmens geht sei 2010 steil nach oben<br />
und hat dieses Jahr schon 25 Prozent zugelegt.<br />
Kurzfristig wird die Roboter-Rallye wohl<br />
eine Pause einlegen müssen, das Unternehmen<br />
ist mit dem dreieinhalbfachen Buchwert<br />
sehr hoch bewertet. Allerdings spricht<br />
einiges dafür, dass die Augsburger ihre erfolgreiche<br />
Börsenstory langfristig fortsetzen:<br />
Durch den Kauf des Aerospace-Experten<br />
Alema baut Kuka die Flugzeugbausparte<br />
aus. Anleger spekulieren auf Aufträge von<br />
Airbus, die gegenüber Boeing in der Automatisierung<br />
ihrer Fertigung zulegen müssen.<br />
Um in China zu expandieren, hat Kuka<br />
vor einigen Monaten den Systemintegrator<br />
Reis gekauft. In diesem Jahr sollen dort 5000<br />
Roboter produziert werden. Die große Zukunftshoffnung<br />
ist ein neuer Leichtbauroboter,<br />
der die Zusammenarbeit von Menschen<br />
und Maschinen ermöglichen soll und auch<br />
für kleine Unternehmen attraktiv sein kann.<br />
Chance nnnnnn<br />
Risiko nnnnn<br />
Mehr Bewegung<br />
Yaskawa baut<br />
ein motorisiertes<br />
Außenskelett<br />
für Gelähmte<br />
Leichtbautechnik ermöglicht Teams<br />
aus Menschen und Robotern<br />
n Yaskawa. Der japanische Robotikspezialist<br />
hat einen großen Wettbewerbsvorteil:<br />
Er ist Technologiepartner des Start-ups Argo<br />
Medical, dessen motorisiertes Außenskelett<br />
als erste Roboter-Gehhilfe für Gelähmte<br />
zugelassen wurde. Die Entwicklung<br />
bis zur Produktionsreife dauerte Jahre, nun<br />
kann Yaskawa als Pionier das Produkt in<br />
Asien vermarkten und weiterentwickeln.<br />
So will das Unternehmen eine führende<br />
Rolle im Bereich Privat-Robotik einnehmen.<br />
Hier sind die Margen meist besser als<br />
in der Industrie-Robotik. Ab 2015 werden<br />
die ersten Umsätze durch die Kooperation<br />
erwartet. Alles in allem ist Yaskawa also<br />
eher eine Wette auf die Zukunft, auch weil<br />
in diesem Jahr erhebliche Investitionen für<br />
eine Restrukturierung anstehen.<br />
Chance nnnnnnn<br />
Risiko nnnnnnn n<br />
maximilian nowroth | Frankfurt, geld@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 81<br />
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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />
PROKON<br />
Rodbertus bleibt draußen<br />
Wie es beim insolventen Windparkfinanzierer weitergehen dürfte.<br />
Der Machtkampf zwischen Prokon-Gründer<br />
Carsten Rodbertus<br />
und Insolvenzverwalter<br />
Dietmar Penzlin ist entschieden.<br />
Auf der Gläubigerversammlung<br />
stellte sich die Mehrheit<br />
auf die Seite von Penzlin.<br />
Bis Januar kommenden Jahres<br />
soll der Insolvenzverwalter einen<br />
Sanierungsplan erarbeiten.<br />
Wie geht es bis dahin weiter?<br />
Insolvenzverwalter Penzlin hat<br />
den Anlegern in Aussicht gestellt,<br />
dass sie zwischen 30 und<br />
60 Prozent ihres investierten Kapitals<br />
zurückerhalten. Ob sie das<br />
übrige Geld bei Prokon-Gründer<br />
Rodbertus einklagen können,<br />
bleibt fraglich. „Vor einer<br />
möglichen Klage prüfen wir, ob<br />
er noch zahlungsfähig ist“, sagt<br />
Dirk-Andreas Hengst, Anwalt<br />
der Kanzlei Gröpper Köpke in<br />
Hamburg.<br />
Könnte der Prokon-Gründer<br />
das Unternehmen wieder übernehmen?<br />
Eher nicht. „Rodbertus<br />
hat keine juristischen Möglichkeiten<br />
mehr, die Beschlüsse<br />
der Gläubigerversammlung zu<br />
kippen“, sagt Marc Gericke,<br />
Rechtsanwalt bei der Kanzlei<br />
Göddecke in Berlin. Rodbertus<br />
habe keinen Antrag gestellt, die<br />
Beschlüsse der Gläubigerversammlung<br />
<strong>vom</strong> Insolvenzgericht<br />
überprüfen zu lassen. Solche<br />
Anträge sollen vermeiden,<br />
dass Beschlüsse, die gegen die<br />
Interessen der Gläubiger gefasst<br />
wurden, wirksam werden.<br />
INTERESSENKONFLIKT<br />
Zwar seien Kanzleien dagegen<br />
vorgegangen, dass etwa 15000<br />
Stimmen auf der Versammlung<br />
nicht zugelassen wurden. Das<br />
werde aber keinen Einfluss haben,<br />
da die Stimmen die Mehrheitsverhältnisse<br />
nicht geändert<br />
hätten, so Gericke. Die Stimmen<br />
wurden nicht zugelassen, weil<br />
Rodbertus die dazugehörigen<br />
Vollmachten über seinen Vertrauten<br />
Alfons Sattler einsammeln<br />
ließ, was nach Ansicht der<br />
Rechtspflegerin des Insolvenzgerichts<br />
ein unzulässiger Interessenkonflikt<br />
sei.<br />
Der Berliner Anwalt Jochen<br />
Resch und zwei weitere Kanzleien<br />
hatten darauf einen Befangenheitsantrag<br />
gegen die<br />
Rechtspflegerin gestellt, waren<br />
aber damit gescheitert. „Das Gericht<br />
hätte die Anleger früher<br />
und nicht erst auf der Versammlung<br />
informieren müssen, dass<br />
ihre Stimmen möglicherweise<br />
annulliert werden“, sagt Resch.<br />
Anleger, die Sattler Vollmachten<br />
ausgestellt hätten, seien keine<br />
Marionetten des Prokon-Gründers<br />
gewesen. Resch selbst, der<br />
mehrere Tausend Prokon-Anleger<br />
vertritt, sieht sich als Rodbertus-Kritiker:<br />
„Er hat Prokon<br />
ohne Zweifel an die Wand gefahren.“<br />
Er glaube nicht, dass<br />
Rodbertus bei Prokon noch eine<br />
Rolle spielen werde.<br />
Rodbertus einzige Chance<br />
wäre, genügend Anleger auf seine<br />
Seite zu ziehen, um bei der<br />
Abstimmung über den Sanierungsplan<br />
Anfang 2015 Penzlin<br />
auszubremsen. Nach dem missglückten<br />
Versuch, Stimmen für<br />
die Gläubigerversammlung einzusammeln,<br />
ist das allerdings<br />
unwahrscheinlich.<br />
martin.gerth@wiwo.de<br />
RECHT EINFACH | Unfälle<br />
Bei extrem ausgefallenen Unglücksfällen<br />
sagen Richter meist<br />
„selber Schuld“ und lehnen<br />
Schadensersatz ab.<br />
§<br />
Eingeklemmt. Trotz Verbots<br />
verkaufte ein Ladenbesitzer<br />
einem 14-Jährigen Alkoholika.<br />
Angetrunken musste<br />
sich der Jugendliche erleichtern.<br />
Anschließend wollte er den Reißverschluss<br />
seiner Hose schließen.<br />
Dabei klemmte er sich die Vorhaut<br />
ein, die später im Krankenhaus<br />
entfernt werden musste.<br />
Wegen der Verletzung wollte der<br />
14-Jährige Geld <strong>vom</strong> Ladenbesitzer.<br />
Er ging jedoch leer aus. Das Jugendschutzgesetz<br />
schütze vor Alkoholsucht,<br />
nicht jedoch vor Unfällen<br />
beim Wasserlassen, so das Gericht<br />
(Landgericht Weiden, I O 190/03).<br />
Finger gebrochen. Ein Rheinländer<br />
wollte beim Bankautomat Geld abheben.<br />
Als die Scheine erschienen,<br />
griff der Mann mit der ganzen Hand<br />
in das <strong>Ausgabe</strong>fach. Dummerweise<br />
war seine Hand noch drin, als sich<br />
die Klappe wieder schloss. Ergebnis:<br />
Quetschungen und ein gebrochener<br />
Mittelfinger. Der Kunde<br />
verlangte von der Bank 5000 Euro<br />
Schmerzensgeld. Ohne Erfolg.<br />
Das Geldinstitut konnte belegen,<br />
dass es die Automaten regelmäßig<br />
kontrollieren und warten<br />
ließ (Landgericht Düsseldorf, 6 O<br />
330/13).<br />
Zähne ausgeschlagen. Ein Angestellter<br />
wollte Unterlagen kopieren.<br />
Weil ein Kollege den Kopierer<br />
benutzte, wollte sich der Mann<br />
die Wartezeit mit einer Flasche<br />
alkoholfreiem Bier vertreiben. Als<br />
die Flasche beim Öffnen überschäumte,<br />
wollte er schnell abtrinken.<br />
Dabei schlug er sich am<br />
Flaschenhals mehrere Zähne<br />
aus. Die Zahnarztkosten musste<br />
er selbst zahlen. Es handele sich<br />
nicht um einen Arbeitsunfall,<br />
so die Richter (Sozialgericht Dresden,<br />
S 5 U 113/13).<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA/REINHARDT/WARNECKE, PR<br />
82 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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SPANIEN-IMMOBILIEN<br />
Verkaufen wird von 2015 an teurer<br />
Wer vor 1995 in Spanien eine<br />
Immobilie gekauft hat und sie<br />
mit Gewinn veräußern will, sollte<br />
möglichst noch in diesem<br />
Jahr handeln, denn der spanische<br />
Staat will 2015 einige Steuerregeln<br />
für Verkäufer von Immobilien<br />
verschärfen. Dies trifft<br />
auch deutsche Eigentümer.<br />
Zwar soll der Steuersatz für Gewinne<br />
auf Häuser oder Wohnungen<br />
von 21 auf 20 Prozent<br />
gesenkt werden, dennoch wird<br />
es für die meisten Immobilienverkäufer<br />
teurer. „Das liegt vor<br />
allem daran, dass ab 2015 Kürzungskoeffizienten<br />
wegfallen,<br />
die den steuerpflichtigen Wert<br />
der vor 1995 gekauften Immobilie<br />
erheblich reduzieren“, sagt<br />
Stefan Meyer, Anwalt in Madrid.<br />
Meyer rechnet vor: Wer eine Immobilie<br />
vor Ende dieses Jahres<br />
für drei Millionen Euro verkauft,<br />
die er 1985 für eine Million Euro<br />
gekauft hatte, müsste bei Anwendung<br />
des Kürzungskoeffizienten<br />
einen steuerpflichtigen<br />
Gewinn von 481 521,80 Euro<br />
versteuern. Bei einem Steuersatz<br />
von 21 Prozent würde er<br />
derzeit 101 119,58 Euro ans spanische<br />
Finanzamt überweisen.<br />
Bei einem Verkauf im kommenden<br />
Jahr sähe die Steuerbilanz<br />
deutlich schlechter aus: Der<br />
steuerpflichtige Gewinn läge<br />
dann bei zwei Millionen Euro.<br />
UMSATZSTEUER<br />
Ein Raum, eine Steuer<br />
Das Vermieten von Immobilien<br />
ist von der Umsatzsteuer befreit.<br />
Viele Eigentümer, die gewerblich<br />
vermieten, verzichten<br />
auf die Steuerfreiheit. Vorteil:<br />
Sie können die auf den Kaufpreis<br />
gezahlte Mehrwertsteuer<br />
beim Finanzamt im Rahmen<br />
des Vorsteuerabzugs geltend<br />
machen. Oft werden Immobilien<br />
teilweise gewerblich und<br />
teilweise als Wohnraum vermietet.<br />
Vermieter können dann<br />
bei dem gewerblich vermieteten<br />
Teil auf die Steuerfreiheit<br />
SCHNELLGERICHT<br />
CHEF HAFTET NICHT FÜR DRÜCKERKOLONNE<br />
§<br />
Der Geschäftsführer eines Vertriebs für Gaslieferverträge<br />
haftet nicht persönlich für unlautere und<br />
damit wettbewerbswidrige Methoden bei Haustürgeschäften.<br />
Dies gelte, solange der Geschäftsführer<br />
nicht selbst am Vertrieb beteiligt war oder dieses<br />
gesetzeswidrige Geschäftsmodell angeordnet hat<br />
(Bundesgerichtshof, I ZR 242/12). Geklagt hatte ein<br />
Energieversorger, der dem Vertrieb des Konkurrenten<br />
vorwarf, seine Kunden mit irreführenden Informationen<br />
zu überreden, bestehende Verträge zu kündigen.<br />
verzichten. Das funktioniert<br />
aber nur, wenn die Räume baulich<br />
klar voneinander abgegrenzt<br />
sind (Bundesfinanzhof,<br />
V R 27/13). Dies gelte etwa für<br />
Immobilien mit Wohnungen<br />
und Ladenlokalen. Die Miete<br />
für einzelne Räume lasse sich<br />
dagegen nicht in einen Teil mit<br />
und einen ohne Umsatzsteuer<br />
trennen. In diesen Fällen müsse<br />
sich der Eigentümer für eine<br />
private oder eine gewerbliche<br />
Vermietung entscheiden – und<br />
somit für eine Steuervariante.<br />
Bei einem Steuersatz von 20<br />
Prozent wären das 400 000 Euro.<br />
Für Deutsche, die ihren<br />
Hauptwohnsitz in Spanien hatten<br />
und in ein anderes EU-Land<br />
wollen, gibt es von 2015 an einen<br />
Weg, die erhöhte Steuer zu<br />
vermeiden: Wenn sie den Verkaufserlös<br />
komplett in eine<br />
neue, von ihnen bewohnte Immobilie<br />
investieren, bleibt der<br />
Gewinn auf das spanische Haus<br />
steuerfrei. Eine spanische Immobilie<br />
an Angehörige zu<br />
schenken ist dagegen kein Steuersparmodell.<br />
Sowohl für das<br />
Erbe als auch den Wertzuwachs<br />
der Immobilie sind in Spanien<br />
Steuern zu zahlen.<br />
WERBUNGSKOSTEN<br />
Keine Miete,<br />
kein Abzug<br />
Pendler, die eine Einliegerwohnung<br />
im Haus ihrer Eltern als<br />
Zweitwohnsitz angeben, können<br />
nicht automatisch Kosten<br />
für doppelte Haushaltsführung<br />
absetzen (Bundesfinanzhof, VI<br />
R 79/13). Wenn die Arbeitnehmer<br />
keine Miete zahlen und<br />
sich nicht an der Haushaltsführung<br />
der Eltern beteiligen, unterhalten<br />
sie keinen eigenen<br />
Hausstand, folglich entfällt der<br />
Steuerbonus.<br />
ALLE MIETER MÜSSEN FÜRS GAS ZAHLEN<br />
§<br />
Ein Energieversorger verklagte eine Mieterin eines<br />
Einfamilienhauses in Berlin auf Zahlung einer Gasrechnung.<br />
Die Gaskundin weigerte sich, die Rechnung<br />
zu bezahlen, weil sie nicht in dem Haus gewohnt,<br />
sondern lediglich gemeinsam mit ihrem inzwischen<br />
zahlungsunfähigen Lebensgefährten den<br />
Mietvertrag unterschrieben habe. Der Vermieter habe<br />
aus „Bonitätsgründen“ auf ihrer Unterschrift bestanden.<br />
Sie selbst und Ihre Kinder hätten in einer anderen<br />
Wohnung gelebt, ein Vertrag mit dem Gasversorger<br />
sei nie zustande gekommen. Der Bundesgerichtshof<br />
sah die Beklagte in der Pflicht, auch wenn sie<br />
nicht in dem Haus gewohnt habe (VIII ZR 313/13).<br />
Schließlich habe sie den Mietvertrag unterzeichnet<br />
und anschließend geduldet, dass ihr Lebensgefährte<br />
Gas verbrauche. Sie habe damit rechtlich einen Vertrag<br />
mit dem Gasversorger abgeschlossen.<br />
FLUGGEPÄCK WEG<br />
RONALD SCHMID<br />
ist Dozent<br />
und Anwalt<br />
für Reise- und<br />
Luftverkehrsrecht<br />
in<br />
Frankfurt.<br />
n Herr Schmid, wie viel<br />
muss die Fluggesellschaft<br />
zahlen, wenn der Koffer<br />
verloren geht?<br />
Maximal 1000 Sonderziehungsrechte<br />
(SZR), das sind<br />
momentan rund 1140 Euro.<br />
Die Grenze ist international<br />
gültig für aufgegebene Gepäckstücke,<br />
die in Obhut der<br />
Airline zerstört, beschädigt,<br />
verloren oder zu spät ausgeliefert<br />
worden sind.<br />
n Wie kommen ich als Geschädigter<br />
an mein Geld?<br />
Am besten ist, Sie prüfen das<br />
Gepäck sofort nach dem<br />
Empfang und melden den<br />
möglichen Schaden noch am<br />
Flughafen. Bei wertvollem<br />
Handgepäck sollten Sie schon<br />
an Bord schauen, ob es unversehrt<br />
ist. Später wird es<br />
schwieriger, nachzuweisen,<br />
dass der Schaden während<br />
des Fluges entstanden ist.<br />
Nach sieben Tagen ist jegliche<br />
Haftung ausgeschlossen.<br />
n Was kann ich tun, um besonders<br />
wertvolles Gepäck<br />
finanziell abzusichern?<br />
Sie haben zwei Möglichkeiten:<br />
Entweder Sie schließen eine<br />
Reisegepäckversicherung ab.<br />
Oder Sie übergeben der Fluggesellschaft<br />
eine Wertdeklaration,<br />
dann muss die Airline<br />
den nachgewiesenen Schaden<br />
ersetzen. Das kostet einen<br />
Zuschlag von rund drei Prozent<br />
des Gepäckwertes.<br />
n Verändert sich die Haftung<br />
bei Geschäftsreisen?<br />
Nein, auch da zahlt die Fluggesellschaft.<br />
Der Arbeitgeber<br />
kann freiwillig einen Teil des<br />
Schadens ersetzen, wenn der<br />
Flug über ihn gebucht wurde.<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 Redaktion: martin.gerth@wiwo.de, maximilian nowroth | Frankfurt<br />
83<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Große Teile der<br />
Finanzbranche haben ihr<br />
Vertrauen bei Anlegern verspielt.<br />
Von Annina Reimann<br />
Alles Lüge?<br />
Die viel gescholtene Finanzbranche<br />
will das<br />
verlorene Vertrauen<br />
der Anleger zurückgewinnen.<br />
Nun versuchen die<br />
Lobbyisten des Versichererverbands<br />
GDV es mit der Pippi-<br />
Langstrumpf-Methode („Ich<br />
mach’ mir die Welt, wie sie mir<br />
gefällt“). Sparer hätten 2013<br />
nur 3,3 Prozent der Lebensversicherungsverträge<br />
gekündigt,<br />
weniger als im Vorjahr, der<br />
niedrigste Wert seit 1993, ein<br />
„Vertrauensbeweis der Kunden<br />
in ihre Lebensversicherung“.<br />
Doch die Realität ist grau,<br />
nicht kunterbunt, wie bei Pippi.<br />
Zwar stimmt die Zahl. Blickt<br />
man aber auf das Volumen, also<br />
den Wert der gekündigten Verträge<br />
in Euro, so hat die Branche<br />
mehr verloren als 2012: 4,3 Prozent<br />
des Vertragsvolumens wurden<br />
von Versicherten gekündigt.<br />
Das liege daran, so der GDV,<br />
dass die Verträge üppiger dotiert<br />
waren, Sparer hätten mehr<br />
eingezahlt, weil ihre Einkommen<br />
gestiegen seien.<br />
Groß darüber zu streiten, welche<br />
Zahl nun aussagekräftiger<br />
ist, lohnt nicht. Denn bereits die<br />
offizielle Lobby-Zahl ist ein<br />
Alarmsignal.<br />
Der Bund der Versicherten<br />
hat ausgerechnet, dass sich<br />
schon nach der für die Branche<br />
erfreulicheren Prozentzahl der<br />
Versicherer nach 30 Jahren etwa<br />
zwei Drittel der Kunden per<br />
Kündigung verabschiedet haben.<br />
Gemessen am Vertragsvolumen,<br />
fallen drei Viertel weg.<br />
Die ganz große Mehrheit der<br />
Versicherten hält also beim Altersvorsorgeprodukt<br />
Lebensversicherung<br />
nicht bis zum Ende<br />
durch – sei es, weil sie sich die<br />
teuren Verträge nicht mehr leisten<br />
können, sei es, weil sie keine<br />
Lust mehr haben, sich für zu<br />
niedrige Renditen jeden Monat<br />
Beiträge abzuknapsen.<br />
Knackpunkt: Nur wenn ein<br />
Kunde bis zum Vertragsende<br />
durchhält, rechnet es sich. Wer<br />
eher ausscheidet, bekommt<br />
wegen hoher Kosten in den Anfangsjahren<br />
kaum sein eingezahltes<br />
Kapital heraus. Das ist<br />
gut – für Versicherer.<br />
KURSE MANIPULIERT<br />
Verglichen mit den Banken, sind<br />
Versicherer allerdings noch Waisenknaben.<br />
Wir wollen nicht von<br />
denen reden, die Steuerhinterziehern<br />
halfen, via Schweiz und<br />
Luxemburg den Fiskus und damit<br />
jeden Steuerzahler zu betrügen.<br />
Das Kapitel ist erledigt. Ein<br />
anderes noch nicht: die Manipulation<br />
der Zinssätze Euribor und<br />
Libor in die für die beteiligten<br />
Banker jeweils vorteilhafte Richtung;<br />
die Manipulation des Goldpreises,<br />
die Manipulation von<br />
Devisenkursen. Vergangene Woche<br />
sagte der Chef der großen<br />
Royal Bank of Scotland, die<br />
Währungsmanipulation sei vermutlich<br />
noch teurer für die Branche<br />
als die der Zinssätze. Ein<br />
mieses Gefühl: Der Zins auf dem<br />
Tagesgeldkonto und für den<br />
Hypothekenkredit, der Preis, zu<br />
dem ich einen Krügerrand gekauft<br />
habe, der Kurs, den ich für<br />
die Urlaubswährung bezahlt habe<br />
– alles falsch, alles Lüge?<br />
Die Finanzaufseher ermitteln,<br />
wer manipuliert hat, werden es<br />
vermutlich auch herausbekommen.<br />
Banken werden wieder ein<br />
paar Milliarden Strafe zahlen<br />
und ein paar Leute feuern. Wie<br />
viel Schaden entstand, bei Sparern,<br />
Kreditnehmern, Urlaubern,<br />
wird nie zu ermitteln sein. Und<br />
beschädigtes Vertrauen lässt<br />
sich schon gar nicht beziffern.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Metall-Monopoly vorbei<br />
Nach drei Jahren Baisse wächst am Kupfermarkt die<br />
Hoffnung auf eine Preisstabilisierung.<br />
Wer glaubt, der Kupferpreis sei<br />
für Aktionäre ein zuverlässiger<br />
Wegweiser, sollte die Preiskurve<br />
des Metalls und einen Aktienindex<br />
wie MSCI, Dow Jones oder<br />
Dax aufeinanderlegen – schon<br />
erlebt er sein rotes Wunder: Obwohl<br />
Kupfer wegen seiner vielfältigen<br />
industriellen Verwendung<br />
eng mit der Konjunktur<br />
und damit auch mit den Aktienkursen<br />
verbunden sein sollte,<br />
driften die Chartkurven auseinander.<br />
Während die Aktien seit<br />
2011 eine Hausse hingelegt haben,<br />
schnurrte der Kupferpreis<br />
von 10150 Dollar je Tonne auf<br />
bis zu 6400 Dollar zusammen.<br />
Diese seltsame Preisschere hat<br />
einen Grund: Vorher, von 2009<br />
bis 2011, hatte sich der Kupferpreis<br />
im Zuge einer Spekulationsblase<br />
vervierfacht. Gezockt<br />
Rolle vorwärts<br />
Kupferlager im ostchinesischen<br />
Nantong<br />
wurde nicht nur auf den endlosen<br />
Kupferbedarf in China und<br />
Indien; zusätzlich wurde Kupfer<br />
in großem Stil als Basiswert für<br />
Fonds und Derivate entdeckt.<br />
Die notwendigen Deckungskäufe<br />
ließen den Preis eskalieren.<br />
Mit der Kupfer-Baisse der vergangenen<br />
Jahre ist dieser Rausch<br />
verflogen. Reihenweise haben<br />
sich große Spieler wie Morgan<br />
Stanley, JP Morgan, Barclays und<br />
Deutsche Bank <strong>vom</strong> Metallhandel<br />
verabschiedet. Gut möglich,<br />
dass in Zukunft wieder das Verhältnis<br />
von echter Nachfrage<br />
und Angebot den Preis bestimmt.<br />
Und der könnte sich um<br />
7000 Dollar stabilisieren – allein<br />
schon, weil wegen der globalen<br />
Energiewende der Kupferbedarf<br />
für Leitungen, Generatoren,<br />
Elektromotoren steigen wird.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 24.7.2014 / 18.00 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9794,06 +0,4 +16,9<br />
MDax 16510,80 +0,4 +16,3<br />
Euro Stoxx 50 3220,07 +2,0 +17,0<br />
S&P 500 1990,59 +1,7 +18,1<br />
Euro in Dollar 1,3472 –0,4 +1,7<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,17 +0,01 2 –0,46 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,49 –0,02 2 –0,08 2<br />
Rohöl (Brent) 3 107,38 –0,2 –0,9<br />
Gold 4 1292,75 –0,7 –3,2<br />
Kupfer 5 7151,00 +1,7 +1,1<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 959,73 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CORBIS/IMAGINECHINA, PR<br />
84 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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DAX-AKTIEN<br />
Gefährliches Vorzeichen<br />
Bevor nicht klar ist, welche Strafen auf die Deutsche<br />
Bank zukommen, wird sich die Aktie nicht erholen.<br />
HITLISTE<br />
Blendende Aussicht<br />
LEDs von Cree an der Bay<br />
Bridge in San Francisco<br />
Dass die Deutsche Bank von<br />
der amerikanischen Notenbank<br />
und dem US-Senat scharf<br />
für ungenaue Berichterstattung<br />
gerügt wird, ist ein gefährliches<br />
Vorzeichen. Es signalisiert,<br />
dass die Stimmung in<br />
den USA gegenüber der führenden<br />
deutschen Bank extrem<br />
frostig ist – und das kann<br />
teuer werden. Die französische<br />
Großbank BNP Paribas bekam<br />
von US-Behörden eine Mega-<br />
Strafe von umgerechnet 6,5<br />
Milliarden Euro wegen Embargoverstößen<br />
aufgebrummt.<br />
Dass die Deutsche Bank, die so<br />
viele Rechtsstreitigkeiten wie<br />
niemand sonst in der Branche<br />
am Bein hat, viel billiger wegkommt,<br />
ist wenig wahrscheinlich.<br />
Die von der Deutschen<br />
bisher für Rechtsstreitigkeiten<br />
zurückgestellten zwei Milliarden<br />
Euro dürften bei Weitem nicht<br />
ausreichen. Wahrscheinlich sind<br />
die Deutsch-Banker gerade dabei,<br />
dieses Polster zu verstärken.<br />
Gewinn und Kapital im aktuellen<br />
Quartalsabschluss wird das<br />
schwer drücken – bitter für die<br />
Bank und den Aktienkurs.<br />
TRENDMÄRKTE<br />
Zum Erfolg verdammt<br />
Warum 3-D-Drucker und LED-Lampen ihre Branchen<br />
revolutionieren, Anleger aber enttäuschen.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr 2014 2015 2015<br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 9794,06 +0,4 +16,9<br />
Aktie<br />
Stand: 24.7.2014 / 18.00 Uhr<br />
Adidas 72,52 –0,9 –12,9 4,10 4,90 15 15172 2,07<br />
Allianz 129,80 –0,1 +10,6 13,63 13,96 9 59182 4,08<br />
BASF NA 82,35 –1,5 +17,9 5,87 6,44 13 75637 3,28<br />
Bayer NA 100,95 +0,4 +19,8 6,12 6,94 15 83480 2,08<br />
Beiersdorf 67,95 –1,1 –0,6 2,54 2,82 24 17123 1,03<br />
BMW St 95,51 +1,1 +29,3 8,76 9,27 10 61383 2,72<br />
Commerzbank 11,15 +2,2 +62,7 0,62 1,01 11 12694 -<br />
Continental 169,55 +1,9 +43,4 12,63 14,27 12 33911 1,47<br />
Daimler 66,30 –0,4 +24,1 6,09 6,84 10 70903 3,39<br />
Deutsche Bank 26,90 +0,9 –21,8 2,52 3,52 8 36502 2,79<br />
Deutsche Börse 54,26 +0,5 +0,7 3,73 4,12 13 10472 3,87<br />
Deutsche Post 25,38 –1,8 +19,6 1,71 1,91 13 30685 3,15<br />
Deutsche Telekom 12,22 –0,1 +31,2 0,63 0,68 18 54393 4,09<br />
E.ON 14,92 +2,6 +16,7 0,94 0,98 15 29845 4,02<br />
Fresenius Med.C. St 50,37 –1,3 +1,8 3,60 3,97 13 15491 1,53<br />
Fresenius SE&Co 109,75 –2,9 +12,7 6,21 7,17 15 24768 1,14<br />
Heidelberg Cement St 59,00 –0,8 +7,3 4,05 5,11 12 11063 1,02<br />
Henkel Vz 85,79 +0,3 +16,7 4,31 4,70 18 34512 1,42<br />
Infineon 9,24 +1,6 +27,8 0,44 0,54 17 9982 1,30<br />
K+S NA 23,90 +4,3 –7,5 1,43 1,54 16 4574 1,05<br />
Lanxess 49,08 +1,4 +2,1 2,17 3,47 14 4083 1,02<br />
Linde 154,60 +2,2 +6,6 7,89 8,93 17 28701 1,94<br />
Lufthansa 14,58 –0,2 –6,1 1,36 2,51 6 6704 -<br />
Merck 65,43 +0,7 +6,0 4,63 4,86 13 4228 2,90<br />
Münchener Rückv. 164,40 +1,3 +11,0 17,44 17,56 9 29484 4,41<br />
RWE St 31,63 +2,4 +34,3 2,21 2,29 14 19177 3,16<br />
SAP 60,70 +2,2 +9,0 3,37 3,71 16 74570 1,81<br />
Siemens 94,45 +1,7 +13,0 6,54 7,45 13 83210 3,18<br />
ThyssenKrupp 21,82 –0,9 +26,4 0,57 1,20 18 11226 -<br />
Volkswagen Vz. 183,35 –0,9 +5,6 21,76 24,46 7 84711 2,21<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
Solar<br />
SolarCity (US)<br />
FirstSolar (US)<br />
Yingli (CN)<br />
3-D-Druck<br />
Voxeljet (D)<br />
Stratasys (US)<br />
3D Systems (US)<br />
LED<br />
Cree (US)<br />
Leyard (CN)<br />
Osram (D)<br />
Börsenwert 1<br />
6,4<br />
6,3<br />
0,6<br />
0,4<br />
5,1<br />
5,9<br />
6,1<br />
1,0<br />
4,9<br />
Die Deutsche Bank spricht in<br />
einer Studie von einem „Goldrausch“<br />
bei Solaranlagen. Autozulieferer<br />
wie Hella richten<br />
ihre Produktion ganz auf<br />
LED-Lampen aus. Und 3-D-<br />
Drucker sollen ohnehin die<br />
gesamte Industrie revolutionieren.<br />
Wer sich aktuell an der<br />
Börse auf diese Verheißungen<br />
einlässt, muss entweder glücklich<br />
spekulieren oder noch die<br />
Finger von den Trendmärkten<br />
lassen. Denn die Kurse der<br />
Aktien schwanken innerhalb<br />
eines Jahres zu stark, als dass<br />
sie sich als solides Investment<br />
empfehlen. Die Abweichungen<br />
der Aktienkurse von ihrem<br />
Mittelwert lassen sich an<br />
ihrer Volatilität ablesen. Während<br />
etwa die Volkswagen-Aktie<br />
2013 um 25 Prozent schwankte,<br />
kommt der 3-D-Drucker Voxeljet<br />
auf einen Wert von 83 seit<br />
Anfang 2014. Erst langsam etablieren<br />
sich die Trendprodukte<br />
auf ihren Märkten. Die Unternehmen<br />
sind im Vergleich zu<br />
ihren Erlösen deutlich überbewertet,<br />
was ein Blick auf die<br />
Kurs-Gewinn-Verhältnisse<br />
zeigt. Einige Anbieter machen<br />
gar noch Verluste, oder sie<br />
haben noch wenig Kunden,<br />
wie Voxeljet, die 2013 ganze<br />
neun 3-D-Drucker an Industriekunden<br />
auslieferten.<br />
Volatilität 2<br />
Umsatz 2013 1<br />
85,9 0,2<br />
67,5 3,3<br />
85,5 2,2<br />
82,9 4 0,0<br />
49,3 0,5<br />
52,1 0,5<br />
42,1 1,4<br />
53,9 0,1<br />
33,9 4 6,9<br />
1 in Mrd. US-Dollar; 2 Schwankungsbreite der Aktienkurse im Jahr 2013;<br />
3 Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2014 geschätzt; 4 Daten für 2014; Quelle: Bloomberg<br />
KGV 3<br />
Verlust<br />
23,8<br />
Verlust<br />
Verlust<br />
46,9<br />
66,9<br />
30,6<br />
44,4<br />
16,0<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 85<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
AKTIE IBM<br />
Der Gewinn war noch<br />
nie so fett wie heute<br />
Starker Anschluss Mehr<br />
Geschäft durch Partner Apple<br />
Das Bündnis der einstigen<br />
Rivalen IBM und Apple ist<br />
vielversprechend. Beide<br />
High-Tech-Ikonen wollen<br />
das lukrative Geschäft mit<br />
Smartphones und Tablet-<br />
Computern bei Unternehmen<br />
massiv ausbauen. Apple, bisher<br />
vor allem auf private Nutzer<br />
konzentriert, bekommt<br />
mit seinen Geräten dann Zugang<br />
zu Firmenkunden und<br />
großen Behörden; IBM kann<br />
endlich teilnehmen am<br />
wachstumsstarken Geschäft<br />
um iPhone und iPad. Schon<br />
in den nächsten Monaten<br />
wird IBM für die Kooperation<br />
erste auf Unternehmenskunden<br />
zugeschnittene Softwareanwendungen<br />
entwickeln.<br />
Die Allianz mit Apple ist für<br />
IBM Gold wert. Sie ist ein<br />
Meilenstein der Strategie, das<br />
rückläufige traditionelle Geschäft<br />
mit Personalcomputern<br />
durch neue Sparten zu<br />
ersetzen: etwa durch mobile<br />
Dienste, das Management<br />
großer Datenmengen und<br />
Cloud Computing (Zugriff auf<br />
Programme via Internet).<br />
Dabei kommt IBM schon<br />
bisher gut voran. Obwohl das<br />
klassische Geschäft mit Computern<br />
im zweiten Quartal um<br />
elf Prozent schrumpfte, hielt<br />
sich der Umsatzrückgang im<br />
Gesamtkonzern mit minus<br />
zwei Prozent in Grenzen. Besonders<br />
das Cloud-Geschäft<br />
ist mit plus 50 Prozent Umsatzwachstum<br />
im zweiten<br />
Quartal erfolgreich. Mit dem<br />
Verkauf der Sparte Kleinserver<br />
an den chinesischen Computerkonzern<br />
Lenovo verringerte<br />
IBM den Anteil seiner Hardwareproduktion.<br />
Entscheidend für Aktionäre<br />
ist, dass die Nettorechnung aufgeht.<br />
Und da sieht es gut aus:<br />
Um 28 Prozent erhöhte IBM<br />
den Gewinn im zweiten Quartal.<br />
Wenn die allgemeine Konjunktur<br />
nicht völlig wegbricht,<br />
sind bis Jahresende mehr als 17<br />
Milliarden Dollar Reingewinn<br />
möglich. Das wären trotz leicht<br />
rückläufiger Umsätze nicht nur<br />
mehr als die 16,5 Milliarden<br />
Dollar von 2013. IBM würde mit<br />
einem solchen Rekordgewinn<br />
eine Nettomarge (Reingewinn<br />
<strong>vom</strong> Umsatz) von fast 18 Prozent<br />
erzielen. Seit dem Tiefpunkt<br />
von 2002 (6,6 Prozent<br />
Nettomarge) hat IBM seine Gewinnkraft<br />
also nachhaltig erhöht.<br />
Noch nie in seiner mehr<br />
als 100-jährigen Geschichte hat<br />
Big Blue, wie IBM unter Börsianern<br />
heißt, so fett Geld verdient.<br />
Daran gemessen ist die elffache<br />
Gewinnbewertung (KGV 2014)<br />
von IBM-Aktien günstig.<br />
IBM<br />
ISIN:US4592001014<br />
220<br />
50-Tage-Linie<br />
210<br />
200-Tage-Linie<br />
200<br />
190<br />
180<br />
170<br />
Kurs/Stoppkurs (in Dollar): 192,50/163,60<br />
KGV2014/2015: 10,8/9,7<br />
Dividendenrendite (in Prozent): 2,3<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
2013 2014<br />
Gefundenes Fressen<br />
Mobiles Internet<br />
in Thailand<br />
AKTIE Telenor<br />
Gute Verbindungen in<br />
Schwellenländern<br />
Mit knapp über 50 Prozent<br />
der Stimmrechte kontrolliert<br />
der norwegische Staat seinen<br />
Kommunikationsanbieter<br />
Telenor. Der ist auf dem heimischen<br />
Markt führend, erzielt<br />
als eines der größten Unternehmen<br />
des Landes dort<br />
aber nur etwa 24 Prozent seiner<br />
Umsätze. Fast die Hälfte<br />
der Erlöse stammt aus Asien.<br />
Mit 176 Millionen Mobilfunkkunden<br />
weltweit hat Telenor<br />
gut 30 Millionen Mobilfunkkunden<br />
mehr als die Deutsche<br />
Telekom. Und das,<br />
obwohl der Konzern mit 35<br />
Milliarden US-Dollar Börsenwert<br />
nur halb so groß ist.<br />
Vor allem die Töchter in<br />
den Schwellenländern Indien<br />
(Uninor), Malaysia (DiGi),<br />
Thailand (dtac) und Bangladesch<br />
(Graamenphone) sorgen<br />
für ein konstantes Konzernwachstum<br />
um die vier<br />
Prozent. Auf dem riesigen<br />
Mobilfunkmarkt Indien etwa<br />
gewann Telenor zuletzt zwei<br />
Millionen neue Kunden hinzu.<br />
Wegen hoher Investitionen<br />
macht Telenor in Indien<br />
allerdings noch Verluste.<br />
Die skandinavischen Heimatmärkte<br />
sind hart umkämpft.<br />
Während Telenor im<br />
zweiten Quartal 2014 in Norwegen<br />
seine Umsätze pro<br />
Mobilfunkkunden um fünf Prozent<br />
steigern konnte, brachen<br />
die Geschäfte in Dänemark<br />
um sechs Prozent ein.<br />
Insgesamt sieht es für den<br />
Konzern gut aus: 2013 erzielte<br />
er 1,1 Milliarden Euro Reingewinn.<br />
Zwar lag der Gewinnanteil<br />
<strong>vom</strong> Umsatz mit gut acht<br />
Prozent auf einem für Telenor<br />
niedrigen Level. 2014 soll die<br />
Marge auf 13 Prozent steigen.<br />
Die Halbjahreszahlen in der<br />
vergangenen Woche übertrafen<br />
die Markterwartungen: Telenor<br />
rechnet jetzt mit einem leicht<br />
wachsenden Geschäft für 2014.<br />
Telenor<br />
ISIN: NO0010063308<br />
160<br />
150<br />
140<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
Kurs/Stoppkurs (in NOK): 149,80/127,30<br />
KGV 2014/2015: 15,9/14,0<br />
Dividendenrendite (in Prozent): 4,8<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
2013 2014<br />
FOTOS: REUTERS/RATTAY, GETTY IMAGES, CORBIS/IMAGINECHINA, LAIF/WOLF<br />
86 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Anton Riedl, Sebastian Kirsch<br />
Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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ZERTIFIKATE Gold und Silber<br />
Starke Käufer langen<br />
wieder zu<br />
ANLEIHE Daimler<br />
Finanzen<br />
plus Autos<br />
Eintritt zum Aufstocken Portal<br />
der Goldbörse Shanghai<br />
Die Eskalation der Krisen im<br />
Nahen Osten, im Irak und in<br />
der Ukraine lässt die Preiskurven<br />
für Gold und Silber<br />
nach oben zucken. Das hilft<br />
bei der Stabilisierung auf<br />
den Edelmetallmärkten, die<br />
sich im Gold zwischen 1200<br />
und 1300 Dollar abspielt. Gut<br />
möglich, dass daraus eine längere<br />
Aufwärtsbewegung wird.<br />
Hauptgrund für das Comeback<br />
von Gold und Silber ist<br />
das weltweite Misstrauen in<br />
die Papierwährungen, das<br />
sich zuallererst an der Inflationsrate<br />
ablesen lässt. Die ist<br />
zwar in der EU offiziell noch<br />
außergewöhnlich niedrig,<br />
zieht aber in den Vereinigten<br />
Staaten (im Juni: 2,1 Prozent)<br />
und seit Kurzem auch in<br />
Großbritannien wieder an.<br />
Dank robuster Arbeitsmärkte<br />
könnte sich diese Tendenz verstärken<br />
und in einer zweiten<br />
Welle dann auch die Euro-<br />
Zone erreichen.<br />
Am Goldmarkt jedenfalls<br />
langen die starken Käufer wieder<br />
zu. Der führende Goldfonds<br />
SPDR, der im vergangenen<br />
Jahr noch 550 Tonnen<br />
abgab, hat seinen Bestand in<br />
diesem Jahr bisher um rund<br />
800 Tonnen aufgestockt. An der<br />
Shanghai Gold Exchange sind<br />
chinesische Investoren weiter<br />
überwiegend auf der Käuferseite.<br />
In Indien nahmen die<br />
Goldimporte zuletzt deutlich<br />
zu, weil unter der neuen Regierung<br />
die Zölle für Edelmetallkäufe<br />
sinken dürften. Selbst die<br />
weltweiten Notenbanken dürften<br />
in diesem Jahr wieder etwas<br />
mehr Gold ordern.<br />
Darüber hinaus gibt es bei<br />
Silber einen Zusatzeffekt. Wegen<br />
seiner hohen Leitfähigkeit<br />
wird es auch industriell bei<br />
vielen Produkten verarbeitet,<br />
die auf Jahre hinaus gefragt<br />
sein dürften: Solarpanels, Katalysatoren,<br />
Kontakte aller Art –<br />
auch für Trendprodukte wie<br />
Smartphones oder Tablets.<br />
Edelmetall zum Spekulieren<br />
Zertifikate auf die Erholung der Preisnotierungen von Gold<br />
(1298 Dollar je Feinunze) und Silber (20,80 Dollar je Feinunze)<br />
Kurs (Euro)<br />
Stoppkurs (Euro)<br />
Funktion<br />
Kauf-Verkaufs-<br />
Spanne<br />
Emittentin<br />
(Ausfallprämie)<br />
ISIN<br />
Chance/Risiko<br />
Faktorzertifikat auf Gold<br />
8,80<br />
6,60<br />
Verstärkt die täglichen Schwankungen der Edelmetallpreise mit sechsfachem<br />
Hebel; Beispiel: Steigt Gold bzw. Silber an einem Tag um 1,5 Prozent,<br />
legt das Zertifikat um 9 Prozent zu; keine feste Laufzeit, kein Knockout;<br />
dafür leichte Verluste in Seitwärtsphasen und hohe Verluste bei Preisrückgängen<br />
der Edelmetalle; Euro-Dollar-Währungsschwankungen fließen<br />
direkt in die Kursberechnung der Zertifikate ein<br />
0,40 Prozent<br />
1,30 Prozent<br />
Deutsche Bank<br />
(0,8 Prozent = geringes Risiko)<br />
DE000DX6XAU4<br />
10/9<br />
Quelle: Banken, Thomson Reuters<br />
Faktorzertifikat auf Silber<br />
8,02<br />
6,01<br />
Commerzbank<br />
(1,0 Prozent = mittleres Risiko)<br />
DE000CB8LY40<br />
10/9<br />
Mit knapp 1,2 Millionen Fahrzeugen<br />
hat Daimler im ersten<br />
Halbjahr so viele Autos,<br />
Transporter, Lastwagen und<br />
Busse ausgeliefert wie nie zuvor.<br />
Geht es in diesem Tempo<br />
weiter, werden es bis Jahresende<br />
gut 2,4 Millionen Fahrzeuge.<br />
Angesichts der stabilen<br />
Preise wären dann mehr als<br />
125 Milliarden Euro Umsatz<br />
möglich, plus sechs Prozent.<br />
Die operativen Gewinne im<br />
Kerngeschäft mit Mercedes-<br />
Autos ziehen an. Bis Jahresende<br />
dürfte Daimler die Hochrechnungen<br />
der Analysten<br />
(6,5 Milliarden Euro Nettogewinn)<br />
problemlos toppen.<br />
Kein Wunder, dass die gerade<br />
auf den Markt gekommene<br />
Daimler-Anleihe mit Laufzeit<br />
bis 2024 gut ankam, obwohl<br />
sie nicht einmal zwei Prozent<br />
Jahresrendite verspricht. Immerhin,<br />
im Vergleich zu 1,1<br />
Prozent aus Bundesanleihen<br />
ein akzeptables Angebot.<br />
Die Geschäftsaussichten für<br />
Daimler sind gut. In diesem<br />
Jahr dürfte sich die weltweite<br />
Autonachfrage um vier Prozent<br />
erhöhen. Wie im ersten<br />
Halbjahr sollte der Daimler-<br />
Absatz etwas stärker zulegen.<br />
Der wichtige amerikanische<br />
Automarkt wird von der robusten<br />
US-Konjunktur angetrieben;<br />
in China wird aus Gründen<br />
des Umweltschutzes der<br />
Ersatz alter Fahrzeuge durch<br />
neue, sauberere forciert;in Europa<br />
dürfte sich die moderate<br />
Erholung des Automarkts fortsetzen.<br />
Das Nutzfahrzeuggeschäft,<br />
das ein Drittel zum<br />
Umsatz beisteuert, profitiert<br />
<strong>vom</strong> langfristigen Wachstum<br />
des Transportbedarfs.<br />
Ein Schwachpunkt von<br />
Daimler ist auf den ersten<br />
Blick die mit 64 Milliarden Euro<br />
hohe Nettoverschuldung.<br />
Stern geht auf Mehr als 6,5<br />
Milliarden Euro netto in Sicht<br />
Der Grund jedoch sind 81 Milliarden<br />
Euro Verbindlichkeiten<br />
der Abteilung Financial Services<br />
(im Industriegeschäft verfügt<br />
Daimler über 17 Milliarden<br />
Liquidität). In der Finanztochter<br />
bündeln die Stuttgarter das<br />
Geschäft mit Leasing, Absatzfinanzierungen,<br />
Versicherungen<br />
und eine kleine Direktbank.<br />
Für Daimler hat diese Konstruktion<br />
drei Vorteile: Es werden<br />
damit enorme Finanzmittel<br />
erschlossen, allein Anleihen<br />
über 40 Milliarden Euro; der<br />
Absatz im Kerngeschäft Fahrzeuge<br />
wird gepusht;und zudem<br />
trägt der Finanzableger mit<br />
einem Viertel zum operativen<br />
Gewinn bei. Wenn Daimler also<br />
inklusive Financial Services<br />
auf 24 Prozent Eigenkapitalquote<br />
kommt, ist das für einen<br />
gemischten Industrie- und<br />
Finanzkonzern ein solider Wert.<br />
Von Standard & Poor’s bekommt<br />
Daimler die Note A- mit<br />
stabilem Ausblick, mittlerer Investmentgrade.<br />
Dass Daimler<br />
selbst in den schweren Konjunkturkrisen<br />
2003 und 2009<br />
stets Investmentklasse blieb,<br />
spricht für die Stabilität des<br />
Stuttgarter Geschäftsmodells.<br />
Kurs (%) 100,15<br />
Kupon (%) 1,875<br />
Rendite (%) 1,86<br />
Laufzeit bis 8. Juli 2024<br />
Währung<br />
Euro<br />
ISIN<br />
DE000A11QSB8<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 87<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
FONDS Banque de Luxembourg Emerging Markets<br />
Anlegergelder fließen<br />
wieder nach Asien<br />
Grazien in Gelb Amorepacific-<br />
Kosmetik läuft an der Börse<br />
Schwellenländer sind aus der<br />
Mode gekommen, seitdem<br />
China nicht mehr ganz so<br />
stark wächst und niedrige<br />
Rohstoffpreise in vielen Ländern<br />
die Exporteinnahmen<br />
drückten. Soziale Unruhen<br />
und schleppende Wirtschaftsreformen<br />
belasteten die Unternehmen.<br />
Nach Währungsabwertungen<br />
können einige<br />
ihre Produkte jetzt wieder<br />
günstiger auf dem Weltmarkt<br />
anbieten. Die Wachstumsprognosen<br />
für Malaysia, Indonesien,<br />
Indien, Taiwan und<br />
Thailand werden nach oben<br />
angepasst. Anlegern blieb das<br />
nicht verborgen. Seit Ende<br />
Mai waren die wöchentlichen<br />
Kapitalzuflüsse in die Schwellenländer<br />
unterm Strich höher<br />
als die Abflüsse. „Da Asien<br />
im Schwellenländer-Universum<br />
der größte Markt ist, fließt<br />
entsprechend viel Geld dorthin“,<br />
sagt Marc Erpelding,<br />
Fondsmanager bei der Banque<br />
de Luxembourg. Er hat<br />
derzeit 75 Prozent seines<br />
Fondsvermögens in Aktien investiert,<br />
unter anderem aus<br />
Südkorea, Taiwan, China und<br />
Indonesien. Den Rest füllt er<br />
mit Anleihen auf.<br />
Durchweg günstig seien<br />
Schwellenmärkte nicht. „Anleger<br />
müssen für Unternehmen<br />
aus den Branchen Finanzen<br />
und Rohstoffe, die 46<br />
Prozent des Aktienindex ausmachen,<br />
zwar nur das Achtfache<br />
der erwarteten Gewinne<br />
zahlen“, sagt Erpelding. Nichtzyklischer<br />
Konsum und Pharma,<br />
die krisenresistenter sind,<br />
kosten mit dem 21-Fachen des<br />
erwarteten Jahresgewinns<br />
enorm viel. Staatlich dominierte<br />
Energieriesen wie die brasilianische<br />
Petrobras oder die russische<br />
Gazprom meidet er ebenso<br />
wie chinesische Großbanken –<br />
politischer Einfluss sei selten im<br />
Sinne der Investoren. Erpelding<br />
sucht stattdessen regionale<br />
Marktführer, die rentabel arbeiten<br />
und ein margenstarkes Geschäft<br />
mit einem hohen Zufluss<br />
liquider Mittel betreiben. Dazu<br />
zählt der Fahrradhersteller<br />
Samchuly Bicycle, der in Südkorea<br />
mit bekannten Marken und<br />
breitem Sortiment 40 Prozent<br />
Marktanteil erobert hat. Ähnlich<br />
erfolgreich ist Amorepacific.<br />
Deren Kosmetika und Körperpflegeprodukte<br />
sind in Südkorea<br />
beliebt und haben auch bei<br />
chinesischen Touristen einen<br />
guten Ruf. Dadurch steigt der<br />
Duty-free-Umsatz stark an. Aus<br />
Indonesien steckt Gudang<br />
Garam im Fonds, die unter anderem<br />
dort beliebte Nelkenzigaretten<br />
rentabel herstellen.<br />
BL Emerging Markets<br />
ISIN: LU0309191905<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
JPM EMBI-Schwellenländer-<br />
Anleihenindex<br />
80<br />
MSCI<br />
Emerging Markets-Aktienindex<br />
70<br />
2011 2012 2013 14<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Auf 100 umbasiert;<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
BL Emerging Markets<br />
Hoch<br />
Mischungen für Schwellenländer und Asien<br />
Wie die erfolgreichsten Fondsmanager abgeschnitten haben<br />
Fondsname<br />
Mischfonds Schwellenländer<br />
Comgest Growth Emerg. Markets Flex<br />
UniRak Emerging Markets<br />
Sauren Emerging Markets Balanced<br />
Baring Dynamic Emerging Market<br />
Amundi Multi Asset Emerging Markets<br />
Global EM Balance Portfolio<br />
AB EM Multi-Asset<br />
Veri ETF-Allocation Emerging Markets<br />
HSBC Trinkaus Strategie EM<br />
Investec GSF EM MultiAsset<br />
World Top Emerging Market UI<br />
Capital International EM Opps.<br />
Templeton EM Balance<br />
Emerging Markets Exklusivfonds T<br />
Pimco GIS EM Multi-Asset € Hedge<br />
Banque de Luxemb. Emerging Markets<br />
UBS KSS EM Income USD<br />
Carmignac EM Patrimoine<br />
Lupus alpha Structure Sustainable EM<br />
Mischfonds Asien<br />
Invesco Asia Balanced<br />
Schroder ISF Asian Total Return<br />
JPMorgan Asia Pacific<br />
Allianz Asian Multi Income Plus<br />
Schroder ISF Asian Diversified Growth<br />
Aberdeen Global II AP Multi Asset<br />
Aktienfonds Asien<br />
Fidelity Asian Smaller Comp.<br />
Comgest Growth Asia Ex Japan<br />
Investec GSF Asia Pacific Equity<br />
First State Asia Pacific<br />
Allianz Asia Pacific Equity<br />
Blackrock Asia Pacific Equity<br />
First State Asien Pacific Sustainability<br />
Coutts Pacific Basin Eq.<br />
Axa Rosenb. Pacific ex-Japan Small Cap<br />
M&G Asian<br />
JPMorgan Asia Pacific Strategic<br />
Matthews Asia Funds Asia Small Comp.<br />
Vanguard FTSE De Asia Pac. ETF<br />
Pictet Pacific Ex Japan Index<br />
Threadneedle Asia Ret Net EUR<br />
UBS ETF MSCI Pacific (ex Japan)<br />
BlackRock ISF Pacific Rim Index<br />
iShares Core MSCI Pacific ex Japan<br />
iShares MSCI Pacific ex-Japan<br />
db x-trackers MSCI Pacific ex-Japan<br />
ComStage MSCI Pacific ex Japan ETF<br />
BlackRock GIF Pacific ex Japan Eq.<br />
Axa Rosenberg AC Asia Pacific ex Japan<br />
HSBC MSCI Pacific ex Japan ETF<br />
ISIN<br />
IE00B8J4DS78<br />
LU0383775318<br />
LU0580224201<br />
IE00B4KK7623<br />
LU0841673394<br />
LU0455866771<br />
LU0633140560<br />
DE0005561682<br />
DE000A1J6B27<br />
LU0700851271<br />
DE000A1JLRE0<br />
LU0302646574<br />
LU0608807516<br />
AT0000505904<br />
IE00B7DX4134<br />
LU0309191905<br />
LU0878005551<br />
LU0592698954<br />
DE000A1JDV87<br />
LU0367026217<br />
LU0326948709<br />
LU0117844612<br />
LU0488056044<br />
LU0776413519<br />
LU0513837459<br />
LU0702159772<br />
IE00B16C1G93<br />
LU0499858602<br />
GB0030183890<br />
LU0204480833<br />
LU0414403419<br />
GB00B0TY6S22<br />
IE0004887141<br />
IE0031069499<br />
GB00B3K51D55<br />
LU0441855714<br />
LU0871673728<br />
IE00B9F5YL18<br />
LU0148538712<br />
GB00B0WGVL36<br />
LU0446734526<br />
IE00B8J31D58<br />
IE00B52MJY50<br />
IE00B4WXJD03<br />
LU0322252338<br />
LU0392495296<br />
LU0836512961<br />
IE00B03Z0R82<br />
IE00B5SG8Z57<br />
Wertentwicklung<br />
in Prozent<br />
seit 3 seit 1<br />
Jahren 1 Jahr<br />
1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />
(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />
Quelle: Morningstar; Stand: 22. Juli 2014<br />
–<br />
0,3<br />
–<br />
3,6<br />
–<br />
2,5<br />
0,1<br />
2,9<br />
–<br />
–<br />
–<br />
2,8<br />
0,1<br />
4,5<br />
–<br />
8,5<br />
–<br />
0,3<br />
–<br />
8,6<br />
9,4<br />
7,2<br />
4,2<br />
3,6<br />
4,6<br />
–<br />
4,4<br />
7,0<br />
11,0<br />
4,8<br />
10,0<br />
13,6<br />
6,2<br />
9,1<br />
8,1<br />
6,8<br />
–<br />
–<br />
9,1<br />
5,2<br />
8,8<br />
–<br />
8,6<br />
8,6<br />
8,6<br />
9,2<br />
–<br />
5,3<br />
9,1<br />
9,0<br />
8,3<br />
8,0<br />
6,5<br />
6,5<br />
5,8<br />
5,6<br />
5,0<br />
4,6<br />
4,4<br />
4,2<br />
3,6<br />
3,4<br />
3,3<br />
3,3<br />
2,8<br />
2,4<br />
2,1<br />
2,1<br />
6,8<br />
6,8<br />
4,5<br />
2,2<br />
2,2<br />
1,9<br />
29,3<br />
22,3<br />
18,3<br />
16,6<br />
16,6<br />
15,7<br />
15,5<br />
15,4<br />
15,3<br />
15,1<br />
14,6<br />
14,1<br />
14,1<br />
13,9<br />
13,9<br />
13,7<br />
13,5<br />
13,5<br />
13,3<br />
13,3<br />
13,2<br />
13,2<br />
13,1<br />
13,0<br />
Volatilität<br />
2<br />
in<br />
Prozent<br />
–<br />
12,5<br />
–<br />
9,9<br />
–<br />
8,6<br />
11,3<br />
9,4<br />
–<br />
–<br />
–<br />
8,5<br />
11,4<br />
2,6<br />
–<br />
8,0<br />
–<br />
9,2<br />
–<br />
8,9<br />
10,4<br />
9,7<br />
8,0<br />
7,7<br />
7,8<br />
–<br />
13,2<br />
14,0<br />
11,7<br />
13,9<br />
16,0<br />
10,1<br />
14,9<br />
16,4<br />
15,1<br />
14,0<br />
–<br />
–<br />
16,0<br />
15,0<br />
15,6<br />
–<br />
15,6<br />
15,6<br />
15,6<br />
15,5<br />
–<br />
14,4<br />
15,5<br />
FOTOS: REUTERS/LEE JAE-WON, PR<br />
88 Redaktion Fonds: Heike Schwerdtfeger<br />
Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
NACHGEFRAGT Harry Assenmacher<br />
»Im Internet fahren<br />
keine Busse«<br />
RELATIVE STÄRKE<br />
Akku wieder geladen<br />
Dank neuer Geschäftsfelder kann TecDax-Wert<br />
Manz in diesem Jahr in die Gewinnzone kommen.<br />
Nach dem Prokon-Skandal<br />
braucht die Aufsicht<br />
mehr Mittel, um gegen<br />
Betrug am Kapitalmarkt<br />
vorzugehen, fordert der<br />
Chef von Forest Finance.<br />
Herr Assenmacher, Berlin will<br />
Anleger mit besseren Informationen<br />
versorgen lassen<br />
oder durch Vertriebsbeschränkungen<br />
vor heiklen<br />
Anlagen schützen. Reichen<br />
unsere Gesetze nicht?<br />
Neue sind kaum notwendig.<br />
Das ist wie bei Lebensmitteln:<br />
Die besten Gesetze nutzen<br />
wenig, wenn die Chance,<br />
erwischt zu werden, gering<br />
ist. Die Aufsicht BaFin<br />
braucht mehr Durchgriffsrechte,<br />
Geld und Leute.<br />
Windkraftanbieter Prokon<br />
konnte jahrelang Kapital<br />
einsammeln, ohne testierte<br />
Bilanzen vorzulegen.<br />
Das soll sich ja ändern, etwa<br />
durch Werbeverbote.<br />
Werbung ist nicht per se<br />
schlecht, muss aber im Rahmen<br />
der Verbraucherschutzgesetze<br />
laufen. Wenn die<br />
BaFin Werbung erst freigeben<br />
müsste, wäre dies eine Hilfe.<br />
Aber ziemlich aufwendig...<br />
Die jetzt vorgelegten Ideen<br />
sind teils verfassungsrechtlich<br />
bedenklich. Warum darf auf<br />
Litfaßsäulen, Plakaten oder<br />
auf Bussen für Bier geworben<br />
werden, für Windkraft-Genussscheine<br />
aber nicht?<br />
DER WALD-MACHER<br />
Assenmacher, 59, gründete<br />
2005 Forest Finance, die<br />
80 Millionen Euro Anlegergeld in<br />
16 000 Hektar Ökowald (Lateinamerika,<br />
Vietnam) investiert hat.<br />
Brauer versprechen keine<br />
sieben Prozent Rendite.<br />
Das Verbraucherschutzministerium<br />
kämpft Schlachten von<br />
gestern. Die Werbemethoden<br />
von Prokon waren Auslaufmodelle.<br />
Bus- und Bahnwerbung<br />
ist teuer und gegenüber Internet-Werbung<br />
ineffektiv. Moderne<br />
Werbemethoden sind wirksamer<br />
kaum zu durchschauen.<br />
Welche?<br />
Etwa Tracking, also die Aufzeichnung<br />
und Auswertung des<br />
Nutzerverhaltens im Internet,<br />
oder das Erstellen von Bewegungs-<br />
und Verhaltensmustern.<br />
Im Internet fahren keine Busse.<br />
Vorgehen könnte man gegen<br />
Lead-Generierer, die Nutzern<br />
Kontaktdaten abschwätzen.<br />
Die Verbraucherzentrale NRW<br />
hat Sie verklagt, weil Sie Investments<br />
in Forstprojekte als<br />
„Waldsparbuch“ und „Baumsparvertrag“<br />
bewerben. Das<br />
suggeriere Sparbuch-Sicherheit<br />
und lenke von Risiken<br />
einer unternehmerischen<br />
Beteiligung ab.<br />
Die Klage wurde <strong>vom</strong> Landgericht<br />
Bonn abgewiesen. Eine<br />
klare Regelung, etwa die Freigabe<br />
der Werbung durch die Ba-<br />
Fin, hätte Rechtssicherheit gebracht,<br />
es wäre nie zum Prozess<br />
gekommen.<br />
Müssen Investoren vor sich<br />
selbst geschützt werden?<br />
Man sollte über Beschränkungen<br />
nachdenken. In den USA<br />
sind bestimmte Investments<br />
nur für Reiche mit mehr als einer<br />
Million Dollar gestattet.<br />
frank.doll@wiwo.de<br />
Mit 140 Prozent plus in zwölf<br />
Monaten ist WirtschaftsWoche-Favorit<br />
Manz (4/2013) eine<br />
der heißesten Aktien der<br />
Tabelle. Vor wenigen Wochen<br />
bekamen die Reutlinger einen<br />
wichtigen Großauftrag für<br />
Lithium-Ionen-Akkus. Dieser<br />
Wachstumsmarkt, der <strong>vom</strong><br />
Boom der mobilen Kommunikation<br />
beflügelt wird, dürfte<br />
durch den steigenden Akku-<br />
Bedarf für Elektroautos noch<br />
beschleunigt werden. Die<br />
Wende <strong>vom</strong> Solarzulieferer zu<br />
neuen, vielversprechenden<br />
Sparten (Displays, Akkus) ist<br />
Manz gelungen. Der hohe Auftragsbestand<br />
und stabile Margen<br />
signalisieren, dass nach<br />
dem schwachen ersten Quartal<br />
(6,6 Millionen Euro Verlust) im<br />
Jahresverlauf auch die operative<br />
Wende möglich ist.<br />
Wer schlägt den Index?<br />
Die innerhalb der vergangenen drei Monate am stärksten<br />
gestiegenen und gefallenen Aktien 1<br />
Rang Aktie Index Kurs 2 Kursentwicklung Relative Trend 3<br />
(€) (in Prozent) Stärke<br />
3 Monate 1 Jahr<br />
(in Prozent)<br />
Gewinner<br />
1 Nordex TecDax 15,45 +39,88 +164,15 32,9<br />
2 Dialog Semic. NA (GB) TecDax 23,79 +29,80 +101,91 28,9<br />
3 Manz TecDax 78,00 +20,24 +140,74 19,1 4<br />
4 Cancom TecDax 37,86 +19,42 +70,94 17,9<br />
5 KUKA MDax 44,02 +19,60 +29,03 17,8<br />
6 Gagfah (LU) MDax 13,49 +18,70 +55,74 16,9<br />
7 Qiagen (NL) TecDax 18,56 +17,69 +17,88 15,8<br />
8 Glencore Plc (JE) Stoxx50 372,75 +19,26 +31,85 15,4 4<br />
9 Stratec Biomed TecDax 38,40 +16,01 +38,20 14,7<br />
10 DMG Mori Seiki MDax 26,12 +16,74 +50,81 13,7<br />
11 RWE St Dax 31,48 +14,73 +34,83 12,9<br />
12 Nemetschek TecDax 71,25 +18,87 +57,46 12,1 5<br />
13 Symrise MDax 41,23 +14,86 +27,61 11,7<br />
14 Drillisch TecDax 30,29 +12,84 +133,95 11,2<br />
15 LEG Immobilien MDax 54,18 +12,58 +41,09 11,0 4<br />
16 Kabel Deutschland MDax 108,85 +11,38 +29,11 9,8<br />
17 Infineon Dax 9,34 +9,53 +29,63 9,7<br />
18 Ericsson LMB (SE) Stoxx50 87,15 +7,59 +16,12 9,4 4<br />
19 Wacker Chemie MDax 93,30 +11,20 +33,71 8,7 4<br />
20 Hugo Boss NA MDax 110,05 +11,16 +27,54 8,4 5<br />
21 Morphosys TecDax 67,66 +11,93 +29,49 8,0<br />
22 Gerresheimer MDax 53,09 +8,71 +21,63 7,0<br />
23 Zurich Insur. Grp (CH) Stoxx50 273,50 +8,83 +7,97 6,8<br />
24 Dürr MDax 61,64 +7,13 +25,03 6,8 4<br />
Verlierer<br />
152 Software TecDax 19,64 -26,96 -22,92 -29,2<br />
151 Bilfinger MDax 65,07 -25,26 -12,35 -25,7<br />
150 Drägerwerk TecDax 66,18 -22,93 -36,24 -24,0<br />
149 Lufthansa Dax 14,40 -22,38 -4,39 -22,0<br />
148 Barclays PLC (GB) Stoxx50 211,10 -15,22 -28,97 -18,0<br />
147 Wincor Nixdorf MDax 39,55 -17,78 -9,09 -17,7<br />
146 Freenet TecDax 20,97 -14,90 +20,61 -17,5<br />
145 LPKF Laser&El. TecDax 13,74 -14,80 +0,55 -16,6 5<br />
144 Commerzbank Dax 10,92 -16,70 +64,73 -16,4<br />
1<br />
aus Dax, MDax, TecDax und Stoxx Europe 50 im Vergleich zum Stoxx Europe 600;<br />
2<br />
bei GB in Pence, bei CH in Franken; 3 Änderung um mindestens fünf Ränge; 23.7.2014,<br />
13:01 Uhr<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 89<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
Kommt. Zu. Uns.<br />
STANDORT | Im Main-Tauber-Kreis zwischen Wertheim<br />
und Rothenburg ob der Tauber versammeln sich 23 Weltmarktführer.<br />
Ihr Wachstum kennt vor allem eine Hürde:<br />
ausreichend Mitarbeiter für sich zu finden. Ein Besuch in<br />
einer Region mit High-Tech-Unternehmen und viel Ruhe.<br />
Das Navi macht einen Bogen um<br />
das Taubertal. Auf dem Weg<br />
nach Bad Mergentheim lässt<br />
es auf der A 3, aus Richtung<br />
Frankfurt kommend, die Ausfahrt<br />
liegen und empfiehlt den Umweg<br />
über die A 81. Der ist schneller.<br />
Effizient die Ziele erreichen – das Navi<br />
passt in diese Region, den Main-Tauber-<br />
Kreis. Als „lieblich“ bezeichnet das Marketing<br />
des Kreises das Taubertal. Das ist es<br />
auch mit seinen sanften Hügeln rechts und<br />
links der beschaulich mäandernden Tauber,<br />
aber es ist vor allem erfolgreich. Außer<br />
im Wettstreit um die Talente. Da unterliegt<br />
es München oder Hamburg, ja, auch der<br />
Region um Stuttgart.<br />
Die Einladung des Main-Tauber-Kreises<br />
lockt mit der Aussicht, einige der mehr als<br />
20 Weltmarktführer zwischen Wertheim<br />
und Rothenburg ob der Tauber zu besuchen.<br />
Und ein wenig von der Kulturlandschaft<br />
zu genießen samt Schwarzriesling<br />
und Kurgarten. Sie liest sich wie eine Offerte,<br />
gleich für immer zu bleiben. „Dort arbeiten,<br />
wo andere Urlaub machen“, heißt<br />
es. Und weiter: „Optimale Bedingungen,<br />
um Arbeit und Familie in Einklang zu bringen:<br />
Attraktive Jobs und eine idyllische<br />
Wohngegend.“<br />
Das hat sich nur noch nicht ausreichend<br />
herumgesprochen. Findet Jochen Müssig,<br />
Dezernent für Kreisentwicklung und Bildung,<br />
Wirtschaft, Tourismus und Kultur<br />
des Kreises. Die erste Pressereise soll das<br />
ändern, wenngleich die Resonanz der<br />
Medien auf Anhieb noch nicht so groß ist,<br />
wie erhofft. „Aber wir können ja nicht<br />
sagen, wir führen es nicht durch“, raunt Rico<br />
Neubert, Leiter des Amtes für Strukturentwicklung,<br />
Wirtschaftsförderung und<br />
Tourismus, einer Journalistin aus der Region<br />
vor der offiziellen Begrüßung zu. Gewiss,<br />
es kommen Menschen, aber es dürfen<br />
mehr sein. Zur Pressereise wie zum Leben<br />
und Arbeiten.<br />
HILFE, WIR SUCHEN!<br />
Die Arbeitslosigkeit liegt im Main-Tauber-<br />
Kreis bei 3,4 Prozent. „Hilfe, wir suchen...“,<br />
beginnt das Stellenangebot einer Metzgerei<br />
auf einer großen Tafel an der B 290. Die<br />
ist zwischen Tauberbischofsheim und Bad<br />
Mergentheim breit genug, damit Lkws<br />
überholt werden können, und Teil der Romantischen<br />
Straße. Die Zahl der Bewohner<br />
sank in den vergangenen zehn Jahren von<br />
138 000 um 8000. Geht es so weiter, rechnet<br />
Müssig für das Jahr 2030 mit nur noch<br />
123 000. Der Trend soll sich ändern: „Unser<br />
Problem heißt Demografie. Kaufmännisch<br />
betrachtet, sind junge Leute ein rares Gut.“<br />
Nicht nur, dass Ortschaften wie Assamstadt<br />
oder Boxberg-Windischbuch mit München<br />
oder Stuttgart beim Werben um Mitarbeiter<br />
aus dem In- und Ausland im Wettbewerb<br />
stehen – nein, selbst die lokale Jugend<br />
ist oft ahnungslos ob der Vorzüge der<br />
Region. „Ein Bad Mergentheimer Schüler<br />
weiß wenig darüber, was in Wertheim geboten<br />
wird“, sagt Müssig.<br />
Oder in Igersheim. Zum Beispiel Arbeitsplätze<br />
in Büros und Produktion, die direkt<br />
einem Prospekt für die Zukunft der Arbeit<br />
entnommen sein könnten. Das Unternehmen<br />
Wittenstein ist ein klassischer Mittelständler,<br />
hervorgegangen aus einer Nähmaschinenfabrik<br />
von 1949. Heute pro-<br />
»<br />
FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
90 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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»Man kann hier gut<br />
leben. Es muss<br />
sich nur noch<br />
herumsprechen«<br />
Platz für Mensch und Maschinen<br />
Grünsfelds Bürgermeister Joachim Markert<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 91<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
»<br />
duziert es mit 1800 Beschäftigten weltweit<br />
elektromechanische Antriebe und Getriebe,<br />
die unter anderem im Airbus A380<br />
mitfliegen. Stephan Bug, Leiter Fertigung<br />
Elektronik am Standort Harthausen, sechs<br />
Kilometer von Igersheim entfernt, verkauft<br />
große Ziele mit der Sachlichkeit des Ingenieurs:<br />
Umsatzverdoppelung in fünf Jahren,<br />
15 Prozent Wachstum jährlich. Dazu<br />
braucht es Mitarbeiter, die in der neu eröffneten<br />
Innovationsfabrik Bauteile entwickeln,<br />
konstruieren und zusammenbauen.<br />
Flexibilität ist hier Programm: Schreibtische<br />
wie Werkbänke lassen sich auf Rollen<br />
zu neuen Einheiten verschieben, je nachdem,<br />
was ein neues Projekt benötigt.<br />
Ein kurzer Weg ist es hinauf zur Innovationsfabrik<br />
von dem älteren Bürotrakt, in<br />
dessen Entree Pop-Art von James Rizzi<br />
hängt. Im Hof bietet ein botanischer Garten<br />
mit Pflanzen aus allen Ländern, in denen<br />
Wittenstein vertreten ist, Entspannung.<br />
Mehrmals die Woche wird er von einem<br />
Gärtner gepflegt – eine Idylle, die die<br />
Mitarbeiter genießen können, während sie<br />
sich über ihre Laptops beugen. Geworben<br />
werden sie mit einem blauen Sofa auf Jobmessen.<br />
„Pioniere zu uns“ steht da drauf.<br />
Bug ist sich sicher, dass das Unternehmen<br />
viel zu bieten hat: „Hier bekommen sie einen<br />
Überblick über das ganze Produkt<br />
nicht nur einen Teil.“<br />
HOCHREGALLAGER AM HORIZONT<br />
Der Bürgermeister von Igersheim, Frank<br />
Menikheim, begleitet den Rundgang. Er ist<br />
stolz auf eine Gemeinde, der es gelungen<br />
ist, sämtlichen Abgängern der Hauptschule<br />
einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu<br />
vermitteln. Probleme, wie sie Menschen<br />
aus den Ballungszentrum kennen, tauchen<br />
in Igersheim nicht auf. Ob denn bei so viel<br />
benötigten Arbeitskräften auch die Versorgung<br />
mit Kindergartenplätzen bis in den<br />
Raum für Ruhe Historisches Fachwerk trifft<br />
auf nüchterne Nachkriegsarchitektur<br />
High Tech auf der grünen Wiese Die Innovationsfabrik von Wittenstein<br />
Abend gewährleistet sei? „Dafür gibt es<br />
hier keinen Bedarf“, sagt Menikheim.<br />
Wer an einem Mittwoch gegen 16 Uhr<br />
zur Außenstelle Bad Mergentheim des<br />
Schraubenimperiums Würth fährt, ahnt,<br />
warum:Die Mitarbeiter verlassen in großer<br />
Zahl das Gelände in Richtung Heimat, vorbei<br />
an den großen Transparenten, die an<br />
der Zufahrtsstraße um Mitarbeiter werben.<br />
Das tut auch auf seine Weise das 45 Meter<br />
messende Hochregallager mit automatischer<br />
Bedienung. Es ragt über die Baumwipfel<br />
und ist schon von Weitem von der<br />
B 290 zu sehen. Lieblich ist allerdings anders.<br />
1999 wurde auf dem Kasernengelände<br />
mit gut 70 Mitarbeitern gestartet. Heute<br />
arbeiten etwa 1250 Mitarbeiter auf dem<br />
122 Hektar großen Areal, und noch ist Platz<br />
für Wachstum.<br />
Die Region litt wie viele andere ländliche<br />
Gebiete, als die Bundeswehr zahlreiche<br />
Standorte schloss. Sichere Arbeitsplätze<br />
gingen verloren, solide, aber wenig reizvolle<br />
Bauten sind die Hinterlassenschaften,<br />
mit denen die Bürgermeister umgehen<br />
müssen. Während Bad Mergentheim mit<br />
Würth ein großes Unternehmen gewinnen<br />
konnte, werden im i_PARK in Lauda-<br />
Königshofen kleinere Brötchen gebacken.<br />
Zimmer 07.047 belegt Armin Kordmann,<br />
Geschäftsführer der Gesellschaft i_PARK<br />
Tauberfranken, die den alten Wohntrakten<br />
neues Leben eingehaucht hat: „Das ist<br />
noch die Nummerierung von der Bundeswehr,<br />
wir haben sie anfangs einfach belassen,<br />
später habe ich sie verinnerlicht.“ Die<br />
Bäume vor den Fenstern, die die Bundeswehr<br />
als Tarnung schätzte, ließ Kordmann<br />
abholzen, Baderäume wurden herausgerissen<br />
und kleine Gemeinschaftsküchen<br />
eingebaut. Keine sechs Euro kostet hier ein<br />
Quadratmeter Bürofläche. Ideal für Neugründungen.<br />
Ist ein Trakt mit Mietern belegt,<br />
wird der nächste angegangen – zu Beginn<br />
hat Kordmann noch selber den Rasen<br />
gemäht und Wände in Wischtechnik aufgehübscht;<br />
im ehemaligen Offizierskasino<br />
werden heute Hochzeiten gefeiert, der<br />
Klassenzimmer-Atmosphäre zum Trotz.<br />
Die Versuche, mit Annoncen in Branchenblättern<br />
Mieter zu gewinnen, schlugen<br />
fehl. Heute läuft alles über Mundpropaganda,<br />
und was zählt, ist der Preis: „Da kommt<br />
keiner aus Stuttgart und sagt: Herrliche Büros!“<br />
Ein Restaurant ist in eines der Gebäude<br />
eingezogen, mit guter Küche, aber schlechtem<br />
Handyempfang. „Die Bundeswehr hat<br />
immer solide gebaut“, sagt die Kellnerin.<br />
SCHNELL DA, SCHNELL WEG<br />
Freie Grundstücke hingegen verspricht der<br />
Industriepark ob der Tauber der Gemeinden<br />
Grünsfeld und Lauda-Königshofen.<br />
Der Schweizer Kaffeemaschinenhersteller<br />
Franke hat hier seinen Deutschlandsitz. Er<br />
liegt ideal, in der Mitte Europas und nahe<br />
der A 81. Man ist schnell da. Und schnell<br />
weg. Die Mitarbeiterinnen aus dem Marketing<br />
wohnen lieber in Würzburg.<br />
Grünsfelds Bürgermeister Joachim Markert<br />
erzählt, wie die hiesige, traditionelle<br />
Gastronomie langsam ausstirbt, weil zu viele<br />
Betriebe keinen Nachfolger finden und<br />
weil es hier genug Arbeit gibt, die nicht in<br />
den Abend und übers Wochenende geht.<br />
Markert schaut über einen Acker, im Hintergrund<br />
locken die grünen Hügel des Umlands.<br />
500 weitere Arbeitsplätze hätten hier<br />
entstehen sollen, doch die Zusage eines Logistikunternehmens<br />
wurde kurzfristig zurückgezogen.<br />
Welches es war, möchte Markert<br />
nicht verraten, noch ist die Hoffnung<br />
nicht verloren, dass zu den 30 bebauten<br />
Grundstücken ein großes dazukommt – für<br />
ein internationales Unternehmen mit<br />
Strahlkraft.<br />
Der Bürgermeister Markert hätte auch<br />
Platz für mehr Eigenheimbebauung, daran<br />
soll es nicht scheitern. Unternehmen und<br />
Mitarbeiter sind hier sehr willkommen. Es<br />
muss sich halt nur noch rumsprechen. n<br />
thorsten.firlus@wiwo.de<br />
FOTOS: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
92 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />
ALLES ODER NICHTS<br />
SEGLER IN ROSTOCK<br />
Wettfahrt der Haikutter<br />
Mehr als 200 Großsegler und Traditionsschiffe werden <strong>vom</strong> 7. bis 10. August<br />
zur 24. Hanse Sail Rostock, dem größten Volksfest Mecklenburg-Vorpommerns,<br />
erwartet. Neben Stars der Szene wie dem schnellen Dreimaster Stad Amsterdam,<br />
den russischen Viermast-Barken Kruzenshtern und Sedov sowie dem deutschen<br />
Segelschulschiff Gorch Fock haben in diesem Jahr zwei Neulinge ihren Auftritt: Der<br />
aus Portugal stammende, 1937 gebaute Viermaster Santa Maria Manuela bietet<br />
Tagesausflüge an, und der Frachtsegler Tres Hombres, ein umgebauter, motorloser<br />
Fischkutter, entlädt im Rostocker Stadthafen Rotwein und Kaffee, der im Fairtrade-<br />
Café verkauft werden soll. Zum Auftakt der Hanse Sail liefern sich Haikutter aus<br />
dem dänischen Nysted eine Wettfahrt. hansesail.com<br />
FESTIVAL AN DER RUHR<br />
Grenzenlos<br />
Der Intendant der Ruhrtriennale<br />
Heiner Goebbels setzt <strong>vom</strong> 15.8.<br />
bis 28.9. auf ein Musiktheater,<br />
das „die Grenzen zu anderen<br />
Künsten nicht mehr kennt“, das<br />
Musik, Installation und Tanz zu<br />
neuen Formen verbindet. Dafür<br />
steht Louis Andriessens Oper<br />
„De Materie“ über das Verhältnis<br />
von Geist und Materie<br />
ebenso wie Matthew Barneys<br />
filmisches Gesamtkunstwerk<br />
„River of Fundament“. Zu einem<br />
Konzert-Marathon lädt Jean-<br />
Guihen Queyeras: Er spielt alle<br />
sechs Cello-Suiten von Bach<br />
und dazwischen zeitgenössische<br />
Stücke.ruhrtriennale.de<br />
THE NEW YORKER<br />
MARCEL LOKO<br />
Gründer und Kreativgeschäftsführer<br />
der Werbeagentur<br />
Zum goldenen<br />
Hirschen<br />
Aktien oder Gold?<br />
Aktien und Zum goldenen<br />
Hirschen.<br />
iPhone oder Blackberry?<br />
Kreative sind treue Seelen.<br />
Apple. In guten wie in<br />
schlechten Zeiten.<br />
Cabrio oder SUV?<br />
Beide leider geil.<br />
Apartment oder Villa?<br />
Ich mag es, direkte Nachbarn<br />
zu haben.<br />
Paris oder London?<br />
Paris nach Verlängerung und<br />
Elfmeterschießen.<br />
Dusche oder Wanne?<br />
7:1 fürs Duschen.<br />
Maßschuhe oder Sneakers?<br />
Maßgeschneiderte Sneakers.<br />
Rotwein oder Weißwein?<br />
Ein großartiges, unglaublich<br />
spannend herausgespieltes<br />
Unentschieden.<br />
Jazz oder Klassik?<br />
Ja, es gibt großartigen<br />
Jazz. Aber auf die Dauer oft zu<br />
anstrengend. Also: Vivaldi,<br />
Albinoni und Debussy.<br />
Mountainbike oder Rennrad?<br />
Mountainbike – so oft wie ich<br />
auf den Bordstein knalle...<br />
Berge oder Meer?<br />
Wieder Unentschieden: Thrill<br />
beim Snowboarden, Entspannung<br />
am Strand.<br />
FOTOS: HANSE SAIL ROSTOCK, PR, CARTOON: HARRY BLISS/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
94 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />
Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Leserforum<br />
Mautstelle Warnowtunnel Autofahrer zahlen bereits seit 2005<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Die Parlamentspause wird zum<br />
handfesten Beziehungstest für<br />
die Koalition. Heft 29/2014<br />
Zur Kasse bitten<br />
Leiden inzwischen sämtliche<br />
Beteiligten an Begriffsverwirrung<br />
und einseitiger Blindheit,<br />
wenn sie die angebliche Diskriminierung<br />
der ausländischen<br />
Autofahrer beklagen. Was ist gewollt?<br />
Mehr Geld für den Straßenbau.<br />
Warum nur von den<br />
ausländischen Benutzern? Weil<br />
wir bereits über Kfz- und Mineralölsteuern<br />
zur Kasse gebeten<br />
werden und Maut im Ausland<br />
entrichten müssen. Wir werden<br />
gegenüber den Fahrern aus<br />
Maut erhebenden Staaten diskriminiert.<br />
Deshalb sollte Bundesverkehrsminister<br />
Dobrindt<br />
zwei Dinge durchsetzen: die<br />
vollständige Verwendung von<br />
Kfz- und Mineralölsteuer für die<br />
Erhaltung und Verbesserung der<br />
Verkehrsinfrastruktur. Und er<br />
sollte auf die Einführung einer<br />
Vignettenpflicht in Deutschland<br />
nur für Kraftfahrzeuge aus Staaten<br />
bestehen, die ihrerseits Maut<br />
erheben.<br />
Jürgen Lux<br />
Endingen (Baden-Württemberg)<br />
Einblick<br />
Chefredakteur Roland Tichy über<br />
Deutschlands Sommermärchen und<br />
die Angst vor morgen. Heft 30/2014<br />
Klare Diktion<br />
Wieso „Angst vor morgen?“ In<br />
seiner gewohnt klaren Diktion<br />
nennt Roland Tichy die Gründe<br />
dafür. „Getrieben von der SPD,<br />
schreitet die Union auf dem Weg<br />
fort, den Einzelnen von aller Verantwortlichkeit<br />
seines Handelns<br />
oder Unterlassens zu befreien.<br />
So entsteht eine neue Moral, in<br />
der das Individuum nicht mehr<br />
für sein Schicksal verantwortlich<br />
ist, sondern irgendwelche<br />
Institutionen.“ Eine treffende<br />
Beschreibung der staatlichen<br />
Gängelei, neudeutsch „Nanny-<br />
Staat“, ist Roland Tichy mit dieser<br />
Bestandsaufnahme gelungen.<br />
Die von ihm eindrucksvoll<br />
charakterisierten Fakten sind in<br />
der Tat ein Grund für die „Angst<br />
vor morgen“.<br />
Erik Schneider<br />
Frankfurt<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
Energie: 1,4 Gigawatt Strom soll das<br />
Unterseekabel NordLink transportieren.<br />
Heft 30/2014<br />
Wenn der Wind weht<br />
Zur Klarstellung: 1,4 Gigawatt<br />
bezeichnet ein elektrisches<br />
Leistungsvermögen. Fließt das<br />
ganze Jahr die maximal mögliche<br />
Strommenge, dann werden<br />
12 264 Gigawatt (GWh) oder<br />
12,264 Terawattstunden (TWh)<br />
transportiert, was etwa zwei<br />
Prozent des deutschen Jahresverbrauchs<br />
entspricht. Anders<br />
ist bei einem Windpark an Land<br />
mit ebenfalls 1,4 GW installierter<br />
Leistung zu rechnen. Hier<br />
wäre trotz gleicher Nennleistung<br />
weniger als ein Fünftel<br />
dieser Jahresstrommenge zu erwarten,<br />
weil nur dann Strom<br />
produziert wird, wenn Wind im<br />
richtigen Stärkebereich weht,<br />
und das ist meistens eben nicht<br />
der Fall.<br />
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Althoff<br />
St. Wendel (Saarland)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
EU Handelskommissar Gucht über die<br />
geringe Unterstützung bei den TTIP-<br />
Verhandlungen. Heft 30/2014<br />
Kapituliert<br />
Das Umweltinstitut München<br />
hat eine Musterantwort für das<br />
Konsultationsverfahren zum Investitionsschutzkapitel<br />
in der<br />
TTIP erstellt. Fast 32.000 Personen<br />
haben diese Musterantwort<br />
verwendet und sie unverändert,<br />
gekürzt oder durch eigene Überlegungen<br />
ergänzt in das Verfahren<br />
eingespeist. Aus unserer<br />
Sicht ist das keine Attacke auf<br />
das System der EU-Kommission<br />
und war auch nicht als solche<br />
geplant. Vielmehr ging es uns<br />
und den Teilnehmern darum,<br />
eine ablehnende Haltung zu<br />
TTIP, CETA und zum Investitionsschutz<br />
einzubringen. Immerhin<br />
dient das Konsultationsverfahren<br />
als Instrument zur<br />
Beteiligung der Öffentlichkeit.<br />
Deshalb ist es auch kaum nachvollziehbar,<br />
dass bei einem Verfahren<br />
für über eine halbe Milliarde<br />
EU-Staatsbürger die Server<br />
der Kommission bereits bei<br />
100000 Teilnehmern kapitulieren.<br />
Wenn Kommissar Karel De<br />
Gucht das nun als Angriff empfindet,<br />
zeigt das sehr deutlich,<br />
dass eine Beteiligung vieler Bürgerinnen<br />
und Bürger nicht erwartet<br />
und nicht erwünscht war.<br />
Karl Bär<br />
Umweltinstitut München e. V.<br />
München<br />
Geld&Börse<br />
Boston Consulting hat die zehn besten<br />
Aktien aus 16 Branchen herausgefiltert.<br />
Heft 29/2014<br />
Wenig ratsam<br />
Ein wesentlicher Aspekt ist die<br />
Umsetzbarkeit eines Papiers, ich<br />
habe die Aktie der chinesischen<br />
Hengan International Group untersucht,<br />
und es zeigt sich, dass<br />
sie selten an einer ausländischen<br />
Börse wie zum Beispiel<br />
Frankfurt oder New York gehandelt<br />
wird. Es ist meiner Ansicht<br />
nach deshalb nicht ratsam, einem<br />
Investor ein solches Papier<br />
anzubieten.<br />
Salomon Katzenstein<br />
via E-Mail<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
Seitenblick: Der Flughafen Amsterdam-Schiphol<br />
legt einen Park gegen<br />
den Fluglärm an. Heft 28/2014<br />
Beeindruckend<br />
Ihr Beitrag hat mich beeindruckt.<br />
Diese Idee mit den „Bioschalldämpfern“<br />
gegen den<br />
Fluglärm müsste man doch<br />
auch an anderen Flughäfen umsetzen<br />
können.<br />
Dr. Ulrich Neumann<br />
Dortmund<br />
Perspektiven&Debatte<br />
Über die Kieler Woche und das<br />
Treffen der Segelschiffe aus aller<br />
Welt. Heft 25/2014<br />
Ein Mast zu viel<br />
Auf einem Foto wird die Gorch<br />
Fock erwähnt, und zwar mit<br />
dem Zusatz, dass ihr „mit der<br />
russischen Kruzenshtern ein<br />
weiterer Viermaster folge“. Ein<br />
weiterer? Bei dem Segelschulschiff<br />
Gorch Fock handelt es sich<br />
allerdings um eine Dreimastbark,<br />
also mitnichten um einen<br />
sogenannten Viermaster. Man<br />
muss kein ausgewiesener<br />
Fahrensmann sein, um das zu<br />
wissen, zierte die Gorch Fock<br />
doch jahrzehntelang den<br />
Zehn-D-Mark-Schein unserer<br />
Republik.<br />
Jens Heinrich Beckmann<br />
Industrieverband Schneidund<br />
Haushaltswaren<br />
Solingen<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
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96 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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Anfang des jeweiligen Artikels<br />
A<br />
ABB..................................................................... 80<br />
Adidas............................................................19, 54<br />
Aercap................................................................. 11<br />
Air Baltic.............................................................. 16<br />
Airbus............................................................ 26, 80<br />
Aldi...................................................................... 46<br />
Alema.................................................................. 80<br />
Allianz..................................................................11<br />
Amazon................................................................67<br />
Amira...................................................................13<br />
Apple............................................................. 61, 86<br />
Argo Medical........................................................ 80<br />
B<br />
Banque de Luxembourg........................................ 88<br />
Barclays...............................................................84<br />
BASF....................................................................46<br />
Bastei Lübbe........................................................ 14<br />
Bayer............................................................. 50, 54<br />
Beiersdorf............................................................ 29<br />
Bilfinger............................................................... 52<br />
BNP Paribas......................................................... 85<br />
Boehringer Ingelheim............................................50<br />
Boeing............................................................11, 80<br />
Bombardier.................................................... 13, 14<br />
Robert Bosch........................................................40<br />
Boston Consulting Group.......................................52<br />
BP........................................................................26<br />
C<br />
CardSpring........................................................... 67<br />
Celesio.................................................................13<br />
Celonis.................................................................54<br />
Cirrus Airlines.......................................................16<br />
Cityjet.................................................................. 13<br />
Club Med..............................................................62<br />
Continental...........................................................72<br />
Cringle................................................................. 14<br />
Custodia...............................................................13<br />
D<br />
Daimler.................................................... 40, 58, 87<br />
DCNS................................................................... 26<br />
Deutsche BA........................................................ 16<br />
Deutsche Bank........................13, 26, 68, 74, 84, 85<br />
Deutsche Lufthansa........................................26, 28<br />
Deutsche Post...................................................... 72<br />
Deutsche Telekom.......................................... 72, 86<br />
DIC Asset............................................................. 74<br />
DPMC.................................................................. 46<br />
Dresdner Bank......................................................74<br />
E<br />
EDF......................................................................10<br />
Embraer............................................................... 13<br />
Enel..................................................................... 26<br />
EnBW...................................................................26<br />
Eni....................................................................... 26<br />
Eurodisney........................................................... 62<br />
Exasol.................................................................. 54<br />
Eyb & Wallwitz......................................................80<br />
F<br />
Facebook............................................................. 67<br />
Fanuc...................................................................80<br />
Fiat......................................................................61<br />
Fireeye.................................................................40<br />
Ford......................................................... 40, 58, 61<br />
Forest Finance......................................................89<br />
Foxconn...............................................................80<br />
Franke..................................................................90<br />
Fraport.................................................................26<br />
G<br />
Gazprom.............................................................. 26<br />
General Electric....................................................74<br />
General Motors.....................................................58<br />
German Accelerator..............................................54<br />
GFT......................................................................68<br />
Gilead.................................................................. 50<br />
GlaxoSmithKline................................................... 12<br />
Google................................................................. 80<br />
H<br />
Hapag-Lloyd.........................................................26<br />
Helaba................................................................. 74<br />
Henkel................................................................. 26<br />
Hermès................................................................ 62<br />
HHLA................................................................... 26<br />
Honda.................................................................. 74<br />
HTC.....................................................................64<br />
Hulu.....................................................................54<br />
Hyundai..........................................................58, 61<br />
I<br />
i_PARK.................................................................90<br />
IBM................................................................40, 86<br />
J<br />
JP Morgan............................................................84<br />
K<br />
Karstadt...............................................................72<br />
Kia................................................................. 58, 61<br />
Kuka.................................................................... 80<br />
L<br />
L’Oréal................................................................. 62<br />
Lendstar...............................................................14<br />
Lenovo................................................................. 86<br />
LG........................................................................58<br />
Lovoo...................................................................54<br />
LVMH...................................................................14<br />
M<br />
Malaysia Airlines...................................................11<br />
Malev...................................................................16<br />
Manz....................................................................89<br />
Marseille Kliniken................................................. 13<br />
Mattel.................................................................. 74<br />
McAfee................................................................ 40<br />
McKinsey....................................................... 72, 80<br />
Medtronic............................................................ 50<br />
Mercedes....................................................... 58, 61<br />
Merck.................................................................. 12<br />
Metro...................................................................46<br />
Microsoft........................................................40, 64<br />
Morgan Stanley.................................................... 84<br />
Moviepilot............................................................ 54<br />
N<br />
Nintendo.............................................................. 74<br />
Novatek................................................................26<br />
O<br />
Oculus..................................................................67<br />
Opera...................................................................54<br />
Oracle............................................................ 54, 68<br />
P<br />
Parstream............................................................ 54<br />
Payfriendz............................................................ 14<br />
PayPal..................................................................14<br />
Pfizer................................................................... 50<br />
Pinterest.............................................................. 54<br />
PIP.......................................................................50<br />
Playmobil............................................................. 14<br />
Porsche................................................................13<br />
Prokon................................................................. 89<br />
Q<br />
Quicksilver........................................................... 54<br />
R<br />
Rahvapank........................................................... 10<br />
Renault................................................................ 58<br />
Rewe..............................................................40, 46<br />
Rio Tinto...............................................................54<br />
Roche.................................................................. 50<br />
Rosneft................................................................ 26<br />
RWE.....................................................................40<br />
RZD..................................................................... 26<br />
S<br />
Saint-Louis-lès-Bitche...........................................62<br />
Samsung........................................................ 58, 64<br />
SAP......................................................................54<br />
Secunet................................................................40<br />
Siemens................................................... 26, 54, 80<br />
Simon Kucher und Partner.................................... 72<br />
Smaato................................................................ 54<br />
Small Improvements............................................. 54<br />
Snapchat..............................................................54<br />
Sony.....................................................................54<br />
Steep................................................................... 14<br />
Streetspotr...........................................................54<br />
Studiocanal.......................................................... 54<br />
Suez Environnement............................................. 62<br />
Sukhoi..................................................................13<br />
T<br />
Tchibo..................................................................46<br />
Telenor.................................................................86<br />
ThyssenKrupp...................................................... 52<br />
Tiffany..................................................................14<br />
Tinder.................................................................. 54<br />
TNK-BP................................................................26<br />
Toyota..................................................................58<br />
Trumpf.................................................................68<br />
20th Century Fox..................................................54<br />
Twitter............................................................54, 67<br />
V<br />
Varta....................................................................40<br />
Veolia...................................................................62<br />
Volkswagen.............................................. 13, 58, 61<br />
Volvo....................................................................40<br />
Voxeljet................................................................ 85<br />
Louis Vuitton........................................................ 62<br />
W<br />
Waha Capital........................................................ 11<br />
WhatsApp............................................................ 67<br />
Wittenstein...........................................................90<br />
Würth...................................................................90<br />
X<br />
Xing..................................................................... 54<br />
Y<br />
Yaskawa...............................................................80<br />
Z<br />
Zalando..........................................................54, 74<br />
Egon Zehnder....................................................... 74<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 97<br />
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Ausblick<br />
„Kompromiss ist,<br />
wenn alle Beteiligten gleich<br />
unglücklich sind.“<br />
Angela Merkel<br />
Bundeskanzlerin (CDU)<br />
„Diese Entscheidung fällt<br />
schwer, aber sie ist notwendig.“<br />
Satya Nadella<br />
Microsoft-Chef, zur Streichung von<br />
weltweit 18 000 Arbeitsplätzen<br />
„Ich bin auch bereit<br />
zu sagen, wir brauchen den Soli<br />
ab 2020 nicht mehr.“<br />
Wolfgang Schäuble<br />
Bundesfinanzminister (CDU), zum<br />
Solidaritätszuschlag, der 1991<br />
eingeführt wurde, um die Kosten der<br />
deutschen Einheit zu finanzieren<br />
„Es ist gut, dass vielfältige<br />
Handelsbeziehungen zu<br />
Russland bestehen. Es ist zudem<br />
eines der finanziell<br />
solidesten Länder überhaupt<br />
mit nur zehn Prozent<br />
Staatsverschuldung.“<br />
Karl-Erivan Haub<br />
Chef des Handelskonzerns<br />
Tengelmann<br />
„Gerade beim Tourismus<br />
und beim Einkauf<br />
in den Grenzregionen drohen<br />
wirtschaftliche Einbußen.“<br />
Martin Burkert<br />
SPD-Bundestagsabgeordneter und<br />
Vorsitzender des Bundestags-<br />
Verkehrsausschusses, zur Pkw-Maut<br />
für Ausländer<br />
„Wenn ein Mann eine<br />
klare Kante zeigt, dann ist er ein<br />
Entscheider. Wenn eine<br />
Frau durchgreift, will sie sich<br />
etwas beweisen oder ist zickig.“<br />
Elke Strathmann<br />
Ex-Personalvorstand beim Automobilzulieferer<br />
Continental, zum<br />
Rollenverständnis in Konzernen<br />
„Das Internet ist<br />
das erste von Menschen<br />
erschaffene Ding, das<br />
der Mensch nicht versteht. Es<br />
ist das größte Experiment<br />
in Anarchie, das es jemals gab.“<br />
Eric Schmidt<br />
Chef des Internet-Konzerns Google<br />
„Seien wir ehrlich.<br />
Wir haben in der Produktivität<br />
gegenüber den Kernwettbewerbern<br />
unverändert<br />
erheblichen Nachholbedarf.“<br />
Martin Winterkorn<br />
VW-Chef<br />
„Die Situation ist nicht so, als<br />
ob ich zwischen Krankenhaus<br />
und Gefängnis wählen müsste.“<br />
Michel Platini<br />
Präsident des Europäischen Fußballverbandes<br />
(Uefa), auf die Frage,<br />
ob er sich 2015 um das Präsidentenamt<br />
im Fußball-Weltverband Fifa<br />
bewerben will<br />
„Dacia ist eine große Sache.<br />
Wir glauben, dass es<br />
Möglichkeiten für Opel gibt,<br />
mit so etwas wie einem<br />
Einstiegsmodell auf den<br />
Markt zu kommen.“<br />
Karl-Thomas Neumann<br />
Opel-Chef, über die Renault-Tochter<br />
als Vorbild für den Bau von Billigautos<br />
„Wir wachsen profitabel, unsere<br />
Strategie trägt Früchte.“<br />
Dieter Zetsche<br />
Daimler-Vorstandsvorsitzender,<br />
über den Quartalsumsatz von mehr<br />
als 31 Milliarden Euro<br />
„Ich habe Glück gehabt,<br />
sehr viel Glück.“<br />
Karl Albrecht<br />
(1920–2014) Mitbegründer der<br />
Discountkette Aldi<br />
»Mit drei Arbeitstagen pro Woche<br />
hätten wir mehr Zeit, uns zu<br />
entspannen, und mehr Lebensqualität.«<br />
Carlos Slim<br />
Chef des mexikanischen Telekommunikationskonzerns Telmex und<br />
einer der reichsten Männer der Welt<br />
„Ich hatte zuerst ,Millionen‘<br />
verstanden. Als ein Anwalt<br />
mir sagte, dass es um Milliarden<br />
geht, war das unglaublich.“<br />
Cynthia Robinson<br />
Witwe eines Kettenrauchers,<br />
über die Zahlung von 23 Milliarden<br />
Dollar (17 Milliarden Euro) Schadensersatz,<br />
die ein US-Gericht gegen den<br />
Zigarettenhersteller R.J. Reynolds<br />
Tobacco Company verhängte<br />
„Es ist ein Potemkinsches Dorf<br />
hier, grotesk, so wie ich<br />
es erwartet hatte. Ich fühle<br />
mich wie damals, als ich angefangen<br />
habe, in der Wirtschaft<br />
zu arbeiten. Ganz unten.“<br />
Hans-Olaf Henkel<br />
neuer AfD-Abgeordneter im<br />
EU-Parlament und ehemaliger<br />
IBM-Manager, über das EU-Parlament<br />
und sein Brüsseler Büro<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
98 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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