Leidenschaftlich wild
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Magazin für die grüne Branche<br />
9<br />
7.<br />
der rosenkavalier<br />
holzwolle wird<br />
salonfähig<br />
intime orte sind<br />
en vogue<br />
Maschinenträume<br />
auf dem Flughafen<br />
Mai 2013
anche<br />
<strong>Leidenschaftlich</strong> <strong>wild</strong><br />
Die Rose gilt als «kapriziös», als «Diva des Gartens». Mit diesem Vorurteil wollte Alain Tschanz<br />
aufräumen und schrieb ein Buch, das die Pflanzengesundheit in den Mittelpunkt stellt. Mit<br />
Herzblut leben er und seine Frau Gisèle als Botschafter alter Rosen und Ursprungsarten, als<br />
Verfechter von umgänglichen, <strong>wild</strong>en Rosenschönheiten.<br />
Text: Carmen Hocker; Bilder: Carmen Hocker, Alain Tschanz<br />
«Entschuldigen Sie, aber haben Sie keine schönen Rosen?»,<br />
fragt ein Kunde etwas verwirrt. Es ist Anfang Juni und der<br />
Schaugarten der Rosenschule Tschanz steht in voller Blüte.<br />
Dass man in dieser überschäumenden Fülle an Weiss-,<br />
Rosé- und Pinktönen keine Schönheit erkennen kann, ist<br />
für Alain Tschanz nicht nachvollziehbar. Umgekehrt kann er<br />
den knalligen Farben einer orangenen ’Louis de Funès’ oder<br />
einer dunkelroten ’Ingrid Bergman’ nichts abgewinnen. Sein<br />
Rosenzüchterherz schlägt für alte Rosen und Wildrosen. Aber<br />
das war nicht immer so.<br />
Von den modernen Rosen zurück zu den alten<br />
Alain Tschanz wurde 1958 in eine Rosenzüchterfamilie hineingeboren.<br />
Nach Abschluss der Ausbildung in Lullier und<br />
einem Praktikum bei Harkness Roses in Grossbritannien tritt<br />
er ganz selbstverständlich in den elterlichen Betrieb ein. Von<br />
1982 bis 2000 führen er und sein Bruder Olivier die Rosenschule<br />
gemeinsam. «Damals hatte ich noch nicht alles<br />
über den Sinn des Lebens verstanden», erzählt Alain Tschanz<br />
mit Schalk in den Augen. Dabei war es eher ein Zufall, der<br />
ihn die alten Rosen und Wildrosen entdecken liess. Im Jahr<br />
1989 fragte das Arboretum Aubonne an, ob sie Wildarten für<br />
die Erweiterung des Rosengartens vermehren könnten. Der<br />
Auftrag wird angenommen und es ist Alain, der das Projekt<br />
übernimmt. «Ich erhielt Pfröpflinge, deren Namen ich noch<br />
nie gehört hatte», erinnert er sich. Als er die Rosen im Jahr<br />
nach der Veredlung auf dem Feld wachsen sah, tat sich ihm<br />
eine neue Perspektive auf. Während die modernen Rosen damals<br />
uniform wirkten, zeigten die Wildrosen eine Vielfalt an<br />
Wuchsformen, Blattfarben und Texturen, nicht zu sprechen<br />
von Blüte und Fruchtschmuck.<br />
Vom Broterwerb zum Lebensinhalt<br />
Nach diesem Projekt suchte Alain Tschanz jedes Jahr nach<br />
neuen Raritäten, die er in der Rosenschule pflanzte und beobachtete.<br />
Schliesslich verloren die modernen Rosen für ihn an<br />
Reiz. Zudem hatte er mittlerweile ein umfangreiches Wissen<br />
über alte Rosen und Wildrosen erworben – Zeit, einen Neu-<br />
10 9/2013
Remontant-Rose ’Sidonie’ – rechts die<br />
Knospe, oben voll erblüht.<br />
Rosa pimpinellifolia ’Double White’ (oben)<br />
und Rosa villosa ’Duplex’.<br />
Rosa majalis (links)<br />
und Rosa gallica ’Officinalis’<br />
anfang zu wagen. Während Olivier und seine beiden Söhne<br />
die Zucht der modernen Rosen fortführten, beginnt Alain bei<br />
Null. Zusammen mit seiner Frau Gisèle erwirbt er Land in<br />
Aclens (VD), oberhalb des Genfer Sees. Dort züchtet er seit<br />
2001 ausschliesslich alte Rosen und Wildrosen. Seither übt<br />
er den Beruf des Rosenzüchters viel intensiver aus: «Jetzt tue<br />
ich das, was mir gefällt. Vorher tat ich das, was man mir sagte<br />
zu tun.» Bewusst haben sich Alain und Gisèle Tschanz entschieden,<br />
nur so viele Rosen anzubauen, wie sie gemeinsam<br />
bewältigen können. Drei Monate im Jahr unterstützt sie ein<br />
Saisonnier, den sie schon lange kennen. Den Rest des Jahres<br />
teilen sie die anfallenden Arbeiten auf, wobei sich ihre Interessen<br />
und Fähigkeiten gut ergänzen: Alain trägt vor allem für<br />
die Produktion die Verantwortung, Gisèle kümmert sich um<br />
Administration und Verkauf.<br />
Renaissance alter Rosen?<br />
Alain Tschanz vertritt die Meinung, dass es noch immer zu<br />
wenig moderne Rosen gebe, die über Jahre ohne Eingriffe<br />
schön bleiben. Zu selbstverständlich sei es, dass man mit dem<br />
Kauf einer Rose gleichzeitig Fungizide und Insektizide erwerbe.<br />
Doch er spürt einen Wandel, vor allem in der Deutschschweiz.<br />
Auf dem Pflanzenmarkt in Wädenswil begegnet er immer<br />
mehr Kunden, die einen Hang zum naturnahen Gärtnern<br />
haben. Der Vorteil alter Sorten und Wildarten sei, dass sie<br />
sich optisch besser in einen naturnahen Garten einfügen und<br />
auch ohne Pflanzenschutz gedeihen. Oft wird den alten Rosen<br />
«vorgeworfen», dass sie fast alle nur einmal blühen. Doch<br />
wer erwartet von Forsythien oder Flieder, dass sie den ganzen<br />
Sommer über blühen? All die Widersprüche, Vorurteile und<br />
Wissenslücken, die sich um das Thema Rose ranken, waren<br />
letztendlich Auslöser, ein Buch zu schreiben. Die Idee entstand<br />
an einem weinseligen Abend mit dem Landschaftsarchitekten<br />
Olivier Fivaz. Die beiden Freunde hatten überlegt, wie man<br />
die Spezialitäten der kleinen Rosenschule einem interessierten<br />
Publikum näherbringen könnte. Da es schon unzählige<br />
Rosenbücher gab, galt es zunächst herauszufinden, welche Art<br />
von Buch noch fehlte.<br />
9/2013 11
Seit 2001 widmen sich<br />
Alain und seine Frau Gisèle<br />
der Zucht alter Rosen und<br />
Wildrosen.<br />
Mit spitzer Zunge geschrieben<br />
Alain Tschanz fehlte in den meisten Büchern der rote Faden.<br />
Und Aufzählungen von hunderten von Rosensorten stifteten<br />
mehr Verwirrung als Orientierung. Kein Autor hatte es bisher<br />
gewagt, die Pflanzengesundheit der Rosen in den Mittelpunkt<br />
zu stellen. Genau dieser Aspekt wurde zum Leitfaden des<br />
Buches «Roses d’excellence, tout naturellement» (Ausgezeichnete<br />
Rosen, ganz natürlich). Denn Alain Tschanz produziert<br />
seine Rosen aus Überzeugung biologisch. Auf den Feldern und<br />
im Schaugarten werden die Rosen überhaupt nicht behandelt,<br />
nur die Container-Rosen im Gewächshaustunnel werden mit<br />
biologischen Mitteln geschützt. Dass Tschanz-Rosen kein Bio-<br />
Label tragen, liegt an den damit verbundenen Kosten und dem<br />
administrativen Aufwand.<br />
Die rund 160 Rosenportraits des Buches umfassen nur jene<br />
Sorten und Wildarten, die ganz ohne Pflanzenschutz auskommen.<br />
Um die Auswahl zu erleichtern, sind alle Rosen nach<br />
Grösse und Verwendung eingeteilt. Doch auch der Duft vieler<br />
alten Rosen kommt nicht zu kurz. Unter der Rubrik «Der<br />
Nase nach» beschreiben die Parfumeure Philippe Sauvegrain<br />
und Matthijs van de Waal die Duftnoten einiger ausgewählter<br />
Rosen. Anerkennung fand Alain Tschanz nicht nur durch seine<br />
Kunden. Sein Buch wurde von der World Federation of Rose<br />
Societies (WFRS) mit dem Gartenbuchpreis 2012 ausgezeichnet.<br />
Und das, obwohl verschiedene Verleger kritisiert hatten,<br />
sein Buch sei zu spitz formuliert – ein Grund, warum Alain<br />
Tschanz auch keinen Verlag zur Veröffentlichung in Deutsch<br />
gefunden hatte. Doch das sieht der leidenschaftliche Züchter<br />
gelassen. Schliesslich möchte er es nicht allen recht machen.<br />
Wenn jemand seinen Rosen partout nichts abgewinnen kann,<br />
verweist er ihn gerne an die Rosenschule seines Bruders, der<br />
sich weiterhin den modernen Rosen widmet. Über Geschmack<br />
lässt sich bekanntlich streiten …<br />
Alain Tschanz, Isabelle Erne:<br />
«Roses d’excellence – tout naturellement»<br />
1. Auflage, Rossolis, 2009 in französischer Sprache<br />
ISBN: 978-2940365296<br />
www.rosiers.ch<br />
Alain Tschanz, Isabelle Erne:<br />
«Roses d’excellence – tout naturellement»<br />
1. Auflage, Rossolis, 2009 in französischer Sprache<br />
ISBN: 978-2940365296<br />
www.rosiers.ch<br />
12 9/2013