18.08.2014 Aufrufe

Wirtschaftswoche Ausgabe vom 18.08.2014 (Vorschau)

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34<br />

18.8.2014|Deutschland €5,00<br />

3 4<br />

4 1 98065 805008<br />

Gründer-Casting<br />

So finden Start-ups Investoren<br />

Musik, Filme, TV im Web<br />

Streaming-Dienste als Geldanlage<br />

Auf der Kippe<br />

Wie heftig wird der Konjunkturabschwung?<br />

Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />

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Einblick<br />

Die Regierung hat die Finanzreserven in Rekordtempo<br />

verpulvert. Leider kommt auch der Konjunkturknick<br />

viel schneller als gedacht. Von Henning Krumrey<br />

Winterschlaf wäre schön<br />

FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Kennen Sie den Unterschied zwischen<br />

der Vorgängerregierung<br />

und der großen Koalition? Bei<br />

Schwarz-Gelb wäre man froh gewesen,<br />

wenn sie ihren Koalitionsvertrag<br />

umgesetzt hätten.<br />

Während das frühere Kabinett in sturer<br />

Arbeitsverweigerung versprochene Reformen<br />

liegen ließ oder aus taktischem Ungeschick<br />

im Bundesrat scheiterte, haben die<br />

neuen Partner bereits in ihrem ersten Regierungsjahr<br />

vieles erledigt, was sie gemeinsam<br />

aufgeschrieben hatten. Eine gute<br />

Nachricht ist das freilich nur für jene, die<br />

politische Verlässlichkeit höher schätzen<br />

als ökonomische Vernunft.<br />

Das AVG und das BuStEG sind bereits<br />

verabschiedet. Kennen Sie nicht? Doch,<br />

heißt offiziell nur anders. Das Arbeitsplatzvernichtungsgesetz<br />

firmiert gemeinhin unter<br />

„Mindestlohn“, das Beitrags- und Steuererhöhungsgesetz<br />

bringt die Rente mit 63<br />

und die Mütterrente. Natürlich ist es legitim<br />

(und von der Mehrheit der Wähler gewünscht),<br />

derlei teure Vorhaben durchzusetzen.<br />

Redlich wäre es freilich, auch die<br />

wahren Kosten in Form von Jobverlusten<br />

und weniger verfügbarem Einkommen<br />

durch höhere Rentenbeiträge jetzt und höhere<br />

Steuern ab 2017 offen zu benennen.<br />

Entlastung für Betriebe und Beschäftigung<br />

ist dagegen kaum in Sicht. Weder bei<br />

den Kosten für Formulare und Bürokratie<br />

(im vergangenen Jahr wieder 1,5 Milliarden<br />

Euro mehr) noch beim Mehrwertsteuer-Wirrwarr.<br />

Bald dürfte das Bundesverfassungsgericht<br />

die Bevorzugung von<br />

Betrieben bei der Erbschaftsteuer kippen –<br />

und damit eine neue Gefahr für Familienunternehmen<br />

heraufbeschwören. Um den<br />

Abbau der kalten Progression wird derweil<br />

ein jämmerlicher Schaukampf aufgeführt,<br />

bei dem am Ende nichts herauskommt –<br />

außer Enttäuschung beim Durchschnittsbürger,<br />

der unter dem Abkassieren stärker<br />

leidet als ein Besserverdiener.<br />

Die bisherige Schönwetterpolitik steht<br />

im scharfen Kontrast zu den Gewitterwolken<br />

am Horizont: Kippt die Konjunktur,<br />

geht der großen Koalition das Geld aus.<br />

Dann sprudeln die Steuern langsamer, steigen<br />

die <strong>Ausgabe</strong>n für Arbeitslosigkeit, beklagen<br />

die Krankenkassen Löcher. Die finanziellen<br />

Rücklagen hat die Regierung in<br />

ebenso atemberaubendem Tempo verpulvert,<br />

wie sie neue Gesetze verabschiedete.<br />

Dieses Jahr wird das Wachstum noch<br />

ganz leidlich sein. Dass es 2015 und 2016<br />

magerer wird, sieht man nicht in der Statistik,<br />

wohl aber in den Auftragsbüchern. Die<br />

Orders brechen weg, durch Krisen und<br />

Kriege vor der Haustür, durch Wackelbörsen<br />

und wiederkehrende Euro-Skepsis.<br />

OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE<br />

Ein Ende der geopolitischen Schrecken ist<br />

nicht in Sicht. Man ahnt, wie es weitergeht,<br />

selbst wenn die Brutalo-Terrororganisation<br />

IS vernichtet würde: Dann werden die <strong>vom</strong><br />

Westen aufgerüsteten Kurden nicht ruhen,<br />

bis sie – quasi als Belohnung für den Einsatz<br />

gegen die Islamisten – einen eigenen<br />

Kurdenstaat im Nordirak ausgerufen haben.<br />

Das werden weder die irakische Zentralregierung<br />

noch die Nachbarn Türkei,<br />

Syrien und Iran mit ihren kurdischen Minderheiten<br />

hinnehmen. Dass es keine<br />

schnelle Perspektive für die Ukraine oder<br />

für die Konflikte im arabischen Raum oder<br />

in Afrika gibt, weiß jeder.<br />

Schon wackelt Schäubles schwarz-rote<br />

Null im Bundeshaushalt 2015. Trotzdem<br />

bereitet die Koalition unverdrossen die<br />

nächsten Wunderwerke deutscher Regierungskunst<br />

vor: Einschränkung der Zeitarbeit,<br />

Beschneiden der Werkverträge. Die<br />

Versorgung und Bezahlung von Behinderten<br />

soll besser werden – menschlich löblich,<br />

aber auch hier geht es am Ende eher<br />

um zehn als um fünf Milliarden Euro. Dann<br />

kommt die Lebensleistungsrente. Die ist<br />

nicht nur unbezahlbar, sondern auch ungerecht<br />

gegenüber all jenen, die nur wenig<br />

mehr als die garantierten 850 Euro Rente<br />

bekommen, aber stets gearbeitet haben.<br />

Eines ist gewiss: Sozialministerin Andrea<br />

Nahles, die schon die Rentenverteuerung<br />

und den Mindestlohn auf den Weg gebracht<br />

hat, wird sich nach diesen Herkula-<br />

Taten nicht bis zur nächsten Bundestagswahl<br />

in den sozialpolitischen Winterschlaf<br />

begeben. Dabei täte das uns allen gut. n<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 3<br />

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Überblick<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

6 Seitenblick Aufrüstung der US-Bürger<br />

8 Karstadt: Letzte Hoffnung Österreich<br />

9 Sparkassen: Allein gegen PayPal |<br />

Aldi: Umsatz verloren<br />

10 Nissan: Aufstieg in die Champions League |<br />

Interview: Bahn-Manager André Zeug lockt<br />

Rewe und Edeka in die Bahnhöfe<br />

11 Internet:Routerzwang vor dem Aus |<br />

SGL:Abstieg droht | Windenergie: Laues<br />

Lüftchen im grünen Ländle<br />

12 Chefsessel | Start-up Flightright<br />

14 Chefbüro Peter Gross, Chef des Herrenmodeherstellers<br />

Création Gross<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

16 Konjunktur Russland-Krise und schwacher<br />

Euro-Raum bringen die deutsche Wirtschaft<br />

in Schieflage | Wie der Mittelstand unter der<br />

Embargo-Politik leidet<br />

26 Euro-Krise Politiker und Gewerkschaften<br />

wehren sich gegen den Griff der EU in die<br />

deutsche Arbeitslosenkasse<br />

30 Großbritannien Nach einer Abspaltung<br />

hoffen schottische Nationalisten auf großen<br />

Reichtum aus dem Nordsee-Öl<br />

33 Global Briefing | Berlin intern<br />

Titel Konjunktur auf der Kippe<br />

Die schwache Weltwirtschaft, die Russland-Krise<br />

und Probleme in der Euro-<br />

Zone machen der deutschen Wirtschaft<br />

schwer zu schaffen. Die Konjunktur<br />

droht zu kippen, der Druck auf die Europäische<br />

Zentralbank, die Geldpolitik<br />

weiter zu lockern, steigt. Seite 16<br />

Motor USA<br />

Das Comeback der Industrie in den Vereinigten<br />

Staaten lässt bei den deutschen Fabrikausstattern<br />

die Kassen klingeln. Seite 38<br />

Der Volkswirt<br />

34 Nobelpreisträger Die Lindauer Tagung hat<br />

sich <strong>vom</strong> Altherrentreff zum internationalen<br />

Wissenschaftsevent entwickelt<br />

36 Denkfabrik US-Ökonom Martin Feldstein<br />

über den Versuch, die US-Notenbank an die<br />

Kette zu legen<br />

Unternehmen&Märkte<br />

38 USA Deutschland profitiert wie keine andere<br />

Nation von der Reindustrialisierung der<br />

Vereinigten Staaten | Verquere Argumente<br />

gegen das Freihandelsabkommen TTIP<br />

46 Carsharing Car2Go und DriveNow werden<br />

für Daimler und BMW zum Geschäft<br />

49 Interview: Rainer Baumgart Der IT-<br />

Lieferant der Bundesregierung verlangt<br />

schärfere Sicherheitsvorschriften<br />

52 Deutsche Bank Nach der Anklage auch<br />

gegen Co-Chef Jürgen Fitschen wächst die<br />

Nervosität<br />

53 Schornsteinfeger In der schwarzen Zunft<br />

tobt ein Kleinkrieg um die Pfründen<br />

55 Fußball Wie deutsche Nationalspieler ihren<br />

Markenwert steigerten<br />

56 Serie: Fit for Future (I) Übernahmen und<br />

Fusionen im Mittelstand<br />

Technik&Wissen<br />

58 Werkstoffe Moderne Schäume werden<br />

zum Allheilmittel. Ein Mega-Markt entsteht<br />

62 Grüner Pionier Ein deutscher Philosoph<br />

führt in Kenia die Mülltrennung ein<br />

Ganz schön<br />

aufgeblasen<br />

Metall, Keramik oder Plastik – fast<br />

jedes Material lässt sich heute zu<br />

Schaum schlagen. Eine Luftnummer?<br />

Von wegen: Die flüchtigen Gebilde<br />

schützen vor Explosionen, heizen<br />

Häuser und helfen Menschen,<br />

schlanker zu werden. Dank<br />

High-Tech-Schaum bleiben sogar<br />

Biere länger kühl. Seite 58<br />

TITELILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

4 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Nr. 34, 18.8.2014<br />

Vorsprechen bei Investoren<br />

In einer neuen TV-Show buhlen Gründer um fünf Geldgeber,<br />

darunter Touristikunternehmer Vural Öger (links). Der letzte Teil<br />

der Serie Gründer zeigt aber auch, wie Start-ups beim Pokern oder<br />

im Stundenhotel an Geld und gute Ratschläge kommen. Seite 66<br />

64 Auto Die Ingenieure erfinden den Reifen<br />

neu. Der funktioniert künftig ohne Luft<br />

65 Valley Talk<br />

Management&Erfolg<br />

66 Serie Gründer (VI) Bei welchen skurrilen<br />

Veranstaltungen Jungunternehmer an Geld<br />

und gute Ratschläge kommen<br />

70 Interview: Christian Muche und Frank<br />

Schneider Die Initiatoren der Digitalmesse<br />

Dmexco über die Zukunft des Marketing<br />

FOTOS: BAYER, PR, VOX/BORIS BREUER, GETTY IMAGES/THE IMAGE BANK<br />

Dressierte Freiheit<br />

Die Geschichte des Büros ist eine Geschichte der Kontrolle und<br />

Effizienzsteigerung der Angestellten: von der durchnormierten<br />

Tippfabrik zur Spielwiese für Kreative. Seite 92<br />

Flatrate für<br />

alle Medien<br />

Im jungen Markt der<br />

digitalen Vermarktung<br />

geistiger Inhalte – dem<br />

Web-Streaming – sind nur<br />

einige erfolgreich. Anleger<br />

sollten sich früh und klug<br />

positionieren. Seite 72<br />

Geld&Börse<br />

72 Internet-Aktien Musik- und Buchverlage,<br />

TV- und Filmindustrie werden durch neue<br />

interaktive Formate <strong>vom</strong> Kopf auf die Füße<br />

gestellt. Wie Anleger sich klug positionieren<br />

79 Börsen-Guru Warum Staatsanwälte weiter<br />

gegen Ex-Moderator Markus Frick ermitteln<br />

80 Finanzberater Wer auf Anleger losgelassen<br />

wird, muss sachkundig sein. Die Bank für<br />

Vermögen legt neue Regeln eigenwillig aus<br />

82 Steuern und Recht Immobilien in Österreich<br />

| Autokameras | Kinderbetreuung |<br />

Erbschaftsteuer | Hausratversicherung<br />

84 Geldwoche Kommentar: China-Syndrom |<br />

Trend der Woche: Dax | Dax-Aktien: Adidas |<br />

Hitliste: Bärenmärkte | Aktien: Eldorado<br />

Gold, Total | Chartsignal: Euro-Yen-Kurs |<br />

Anleihe: KfW in Brasilianischen Real |<br />

Investmentfonds: Danske Invest Russia<br />

Perspektiven&Debatte<br />

92 Büroarchitektur Die Geschichte des<br />

Büros erzählt <strong>vom</strong> Bemühen, Freiheit und<br />

Hörigkeit in ein Gehäuse zu fassen<br />

95 Kost-Bar<br />

Rubriken<br />

3 Einblick, 96 Leserforum,<br />

97 Firmenindex | Impressum, 98 Ausblick<br />

n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />

weltweit auf iPad oder iPhone:<br />

Diese Woche mit einem Zeitraffervideo,<br />

das zeigt, wie man in<br />

15 Tagen ein 30-stöckiges<br />

Hotel baut, sowie einem<br />

360-Grad-Blick in das<br />

Chefbüro von Modeunternehmer<br />

Peter Gross<br />

wiwo.de/apps<br />

n Sachsen-Wahl In zwei Wochen<br />

bestimmt Sachsen ein neues<br />

Landesparlament. Welche Partei<br />

ist für Sie die beste Wahl? Machen<br />

Sie den Test. wiwo.de/wahlomat<br />

facebook.com/<br />

wirtschaftswoche<br />

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+wirtschaftswoche<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 5<br />

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Seitenblick<br />

SCHUSSWAFFEN<br />

Aufgerüstet<br />

Amerikas Waffenliebhaber müssen vorerst keine<br />

strengeren Gesetze fürchten. Zwei Jahre nach den<br />

Amokläufen von Newtown und Aurora ist der Ruf nach<br />

Restriktionen fast tatenlos verhallt. Für die Waffenbranche<br />

eine gute Nachricht – und eine schlechte.<br />

89Schusswaffen kommen in den USA auf<br />

100 Einwohner, mehr als in jedem anderen Industrieland.<br />

Zum Vergleich: In Deutschland entfallen auf<br />

100 Bürger statistisch 30 Waffen. Allerdings ist in den<br />

USA das Geschäft mit Waffen und Munition in den<br />

letzten Monaten eingebrochen. Allein der US-Waffenriese<br />

Sturm, Ruger & Co. setzte im zweiten Quartal<br />

14 Prozent weniger um als ein Jahr zuvor.<br />

57000Anträge für den Kauf<br />

von Waffen und Munition mussten die Behörden im<br />

US-Bundesstaat Colorado im Dezember 2012 bearbeiten,<br />

eine Steigerung um 89 Prozent – nach einem<br />

Amoklauf in einem Kino. Viele Bürger rüsteten auf,<br />

weil sie strenge Kontrollen oder sogar Verbote<br />

befürchteten. Tatsächlich boxten Senatoren in Colorado<br />

Beschränkungen durch. Weitere Restriktionen<br />

drohen nicht mehr, der Absatz von Waffen sank auf<br />

sein früheres Niveau – bis zum nächsten Amoklauf.<br />

32000Menschen sterben<br />

in den USA jedes Jahr durch Schusswaffen, etwa 60<br />

Prozent durch Selbstmord, rund 35 Prozent bei einem<br />

Verbrechen, die anderen durch Unfälle. Doch durch<br />

den US-Kongress schaffte es in den letzten Jahren kein<br />

einziges landesweites Gesetz, das den Besitz von<br />

Waffen einschränkt. Derzeit ist auch keines geplant.<br />

thomas.stoelzel@wiwo.de<br />

FOTO: REPORTAGE BY GETTY IMAGES/CHARLES OMMANNEY<br />

Eine schrecklich nette Familie<br />

Ben Baker und seine Familie aus Ashburn im US-Bundesstaat<br />

Georgia stehen für Amerikas Waffenfreunde. Die Bakers<br />

besitzen ein großes Arsenal <strong>vom</strong> Sturmgewehr bis zur Schrotflinte.<br />

Der Vater stellt die Munition sogar selbst her<br />

6 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 7<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

Direktiven aus Tirol<br />

Investor Benko<br />

KARSTADT<br />

Letzte Hoffnung: Österreich<br />

Nicolas Berggruen ist mit der Sanierung<br />

von Karstadt gescheitert – und hat<br />

trotzdem Millionen verdient. Nun soll der<br />

neue Investor retten, was zu retten ist.<br />

Seine Botschaft war klar: „Niemand muss sich<br />

Sorgen machen“, beteuerte Nicolas Berggruen in<br />

einem Brief an die „lieben Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter“ von Karstadt im September 2013.<br />

Kurz zuvor hatte der Karstadt-Eigner die Mehrheit<br />

des Sport- und Premiumgeschäfts an den österreichischen<br />

Immobilienunternehmer René Benko<br />

und dessen Gesellschaft Signa verkauft. Doch „die<br />

klassischen Warenhäuser“, so versicherte Berggruen<br />

damals „bleiben vollständig im Besitz von<br />

Berggruen Holdings“. Schließlich „sehe ich mich<br />

hier in einer besonderen Verantwortung“, er sei<br />

sich „absolut sicher: Gemeinsam schaffen wir es“.<br />

Nicht einmal ein Jahr alt sind die Treueschwüre<br />

des deutsch-amerikanischen Investors. Spätestens<br />

seit vergangenem Donnerstag ist klar, wie viel sie<br />

wert sind: Berggruen zieht sich aus dem Unternehmen<br />

komplett zurück. Stattdessen übernimmt<br />

Signa-Chef Benko das Kommando. Da Signa auch<br />

der wichtigste Eigentümer der Karstadt-Immobilien<br />

ist, hat er viel mehr Optionen als sein Vorgänger.<br />

Am Donnerstagabend hätten sich die Parteien<br />

darauf verständigt, dass Berggruen alle Karstadt-<br />

Geschäftsanteile abgebe, hieß es in Verhandlungs-<br />

kreisen. Auch seine Minderheitsanteile am<br />

Premium- und Sportgeschäft werde er auf die<br />

Österreicher übertragen. Für die Transaktionen<br />

werde allenfalls ein symbolischer Preis gezahlt,<br />

hieß es im Umfeld der Beteiligten.<br />

Operativ ist Berggruen gescheitert, finanziell<br />

dürfte sich sein Warenhaus-Experiment aber<br />

gelohnt haben. „Berggruen hat mit Karstadt bisher<br />

40 bis 50 Millionen Euro verdient“, sagt Karstadt-<br />

Aufsichtsrat und Verdi-Vertreter Arno Peukes.<br />

Allein für die Nutzung der Karstadt-Namensrechte<br />

habe Berggruens Holding jährlich Millionenbeträge<br />

<strong>vom</strong> Unternehmen kassiert, rechnet Peukes<br />

vor. Die von „Mr. Karstadt“ in Aussicht gestellten<br />

Investitionen seien dagegen nie erfolgt.<br />

Offen ist, was Benko langfristig mit der Warenhausgruppe<br />

plant und wie sich der Eignerwechsel<br />

auf die Sparaktionen auswirkt, die die Geschäftsführung<br />

plant. Schon am kommenden Donnerstag<br />

soll der Aufsichtsrat tagen. Ursprünglich wollten<br />

Finanzchef Miguel Müllenbach und Arbeitsdirektor<br />

Kai-Uwe Weitz dann ihr Sanierungskonzept präsentieren.<br />

In den vergangenen Wochen wurde bereits über<br />

die Schließung von Standorten und über weitere<br />

Einschnitte etwa in der Logistik spekuliert. Die Arbeitnehmervertreter<br />

favorisieren indes Einsparungen,<br />

die die Verwaltungskosten senken und damit<br />

vor allem die Hauptverwaltung in Essen träfen.<br />

henryk.hielscher@wiwo.de<br />

Abgestürzt<br />

Umsatz der Karstadt<br />

Warenhaus GmbH<br />

in Milliarden Euro<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

2000 2013<br />

Quelle: Statista, Unternehmensangaben<br />

8 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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SPARKASSEN<br />

Allein gegen PayPal<br />

Eigentlich wollten die großen<br />

deutschen Privatbanken, darunter<br />

die Commerzbank und<br />

die Deutsche Bank, mit den<br />

Volks- und Raiffeisenbanken<br />

sowie den Sparkassen einen gemeinsamen<br />

Bezahldienst für<br />

das Internet schaffen. Er sollte<br />

sich in den nächsten Jahren der<br />

Ebay-Tochter PayPal entgegenstemmen,<br />

über die auch in<br />

Deutschland immer mehr Internet-Zahlungen<br />

laufen. Nun<br />

aber scheren die Sparkassen<br />

aus. Offizieller Grund: Bei der<br />

ursprünglich geplanten Kooperation<br />

sei dem Sparkassenverband<br />

unter Führung des Präsidenten<br />

Georg Fahrenschon<br />

bange um die Sicherheit der<br />

Kundendaten.<br />

Offenbar sind sich die Sparkassen<br />

aber sicher, dass sie<br />

stark genug sind, um alleine<br />

solch einen Online-Bezahldienst<br />

flächendeckend etablieren<br />

zu können. Immerhin<br />

sind sie Marktführer unter den<br />

Finanzdienstleistern in Deutschland.<br />

Derzeit prüfen sie die Übernahme<br />

eines schon aktiven Bezahldienstes<br />

und schauen sich<br />

dessen Geschäftsbücher an.<br />

Details wollen die Sparkassen<br />

Bankenallianz verlassen<br />

Sparkassenchef Fahrenschon<br />

noch nicht nennen, im Herbst<br />

wollen sie entscheiden.<br />

Die Koalition aus Volksbanken<br />

und Privatbanken berät<br />

weiter, wie sie ihren Kunden<br />

Bankdienste im Internet erleichtern<br />

kann. Denn der Druck<br />

durch PayPal steigt. So hat das<br />

US-Unternehmen vor wenigen<br />

Tagen angekündigt, dass es bald<br />

auch in Deutschland Kreditfinanzierung<br />

und Ratenzahlung<br />

bei Einkäufen anbietet. In den<br />

USA offeriert es dies bereits.<br />

Gleichzeitig ermöglicht es seinen<br />

zwölf Millionen deutschen<br />

Kunden seit Kurzem auch<br />

kostenlose Überweisungen via<br />

Smartphone-App.<br />

mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />

Aufgeschnappt<br />

Kaffee mit Hausboot Der Hamburger<br />

Kaffeeröster Tchibo geht<br />

aufs Wasser. Neben Schuhen,<br />

Regalen und – so ganz nebenbei<br />

– Kaffee bietet er jetzt auch<br />

Hausboote an. Drei Modelle ste-<br />

hen zur Auswahl, das günstigste<br />

zu 88 000 Euro. Gebaut werden<br />

die Boote <strong>vom</strong> Berliner Unternehmen<br />

Nautilus Hausboote,<br />

das der Architekt Andreas Hoffmann<br />

2012 gemeinsam mit der<br />

Bankkauffrau Dörte Schiemang<br />

gegründet hat. Gegen einen<br />

Aufpreis von 9500 Euro gibt es<br />

sogar einen Motor zum Boot.<br />

Dresdner mit Bitcoins Das<br />

Dresdner Start-up Coinbau will<br />

den effizientesten Chip zur<br />

Herstellung von Bitcoins entwickeln.<br />

Gefertigt werden soll er<br />

in der Dresdner Fabrik des US-<br />

Konzerns Globalfoundries. Noch<br />

in diesem Jahr will Coinbau in<br />

Island eine Rechnerfarm eröffnen<br />

und dort energiearm und kostengünstig<br />

Bitcoins erzeugen.<br />

HANDEL<br />

Rewe legt zu,<br />

Aldi verliert<br />

Die jüngsten Zahlen des Marktforschers<br />

GfK dürften bei Rewe-<br />

Chef Alain Caparros für<br />

Sektlaune sorgen. Laut den<br />

vertraulichen Daten, die der<br />

WirtschaftsWoche vorliegen,<br />

stiegen die Lebensmittelumsätze<br />

der Kölner Supermarktkette<br />

im ersten Halbjahr 2014 um<br />

stattliche sechs Prozent. Ein<br />

deutlicher Abstand zum Wettbewerber<br />

Edeka, der laut GfK<br />

nur um 1,9 Prozent zulegte.<br />

Weniger gut lief es für die großen<br />

Discounter. Aldi Süd büßte<br />

demnach 1,4 Prozent ein, Aldi<br />

Nord verlor sogar 2,5 Prozent.<br />

Bei Lidl und Penny gab es kaum<br />

Veränderungen. Vor allem beim<br />

Verkauf von Körperpflegeprodukten<br />

und Getränken würden<br />

die Billigheimer derzeit schwächeln,<br />

so GfK.<br />

Als Erklärung für die unterschiedlichen<br />

Entwicklungen<br />

von Supermärkten und Discountern<br />

verweisen die Marktforscher<br />

auf das Niedrigzinsniveau,<br />

das bei vielen Verbrauchern<br />

die Bereitschaft erhöhe,<br />

mehr Geld für Güter des täglichen<br />

Bedarfs auszugeben, statt<br />

zu sparen. Zudem hätten die<br />

Discounter die Zahl ihrer Sonderangebote<br />

reduziert.<br />

henryk.hielscher@wiwo.de<br />

FOTOS: DPA PICTURE-ALLIANCE/PHILIPP HORAK, WERNER SCHUERING, PR<br />

113 €<br />

Durchschnittspreis<br />

für Geschenke<br />

an Frauen<br />

31 %<br />

* geschätzt; Quelle: Boost Internet<br />

Paare<br />

17 %<br />

52 %<br />

110 €<br />

Nervenkitzel statt Romantik<br />

Der deutsche Markt für Erlebnisgeschenke<br />

Wer Geschenke bekommt und was sie kosten Entwicklung des Marktvolumens* Die beliebtesten Erlebnisgeschenke<br />

100 Mio. €<br />

Durchschnittspreis<br />

für Geschenke<br />

an Männer 2014<br />

500 Mio. €<br />

2020<br />

1. Krimidinner<br />

10,7 %<br />

2. Flugsimulator<br />

3. Segway fahren<br />

4. Ferrari fahren<br />

5. Candle-Light-Dinner<br />

4,2 %<br />

3,9 %<br />

3,8 %<br />

2,9 %<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 9<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

NISSAN<br />

Toyota<br />

entthronen<br />

Fußballfans wird es schon aufgefallen<br />

sein: Bei den Fußballspielen<br />

der Champions League<br />

wirbt nicht mehr der amerikanische<br />

Autokonzern Ford, sondern<br />

seit dieser Saison der japanische<br />

Konkurrent Nissan. Da<br />

Ford in Europa mit Verlusten<br />

Konkurrenten Ford abgelöst<br />

Nissan-Manager Schupp<br />

kämpfte, kam das sportliche<br />

Engagement intern nicht mehr<br />

gut an.<br />

Dafür sagt nun Nissans Europa-Marketingchef<br />

Bastien<br />

Schupp, was die Werbung in<br />

der europäischen Königsklasse<br />

bringen soll. Bereits in gut zwei<br />

Jahren will Nissan zum größten<br />

asiatischen Autobauer in Europa<br />

aufsteigen – und Toyota<br />

überholen. „Bis Ende 2016 wollen<br />

wir unseren Marktanteil<br />

in Europa von derzeit 3,8 auf<br />

5,0 Prozent steigern“, kündigt<br />

Schupp an. Nissan werde derzeit<br />

zu wenig wahrgenommen.<br />

Die Champions League soll das<br />

ändern. „Da sitzen pro Saison<br />

kumuliert vier Milliarden Zuschauer<br />

vor den TV-Geräten“,<br />

freut sich der Manager.<br />

Die Spiele werden längst<br />

auch außerhalb Europas verfolgt.<br />

50 Prozent des Werbewertes<br />

fallen laut Nissan außerhalb<br />

des Kontinents an. Wie viel der<br />

Autobauer dafür zahlt, ist geheim.<br />

Nur so viel: Die Summe<br />

liegt laut Schupp oberhalb der<br />

40 Millionen Euro, die Ford<br />

wohl gezahlt hat.<br />

juergen.salz@wiwo.de<br />

INTERVIEW André Zeug<br />

»Edeka und Rewe wollen<br />

in die Bahnhöfe rein«<br />

Der Bahnhofschef der Deutschen Bahn baut<br />

Stationen um und fordert Geld von den Bundesländern.<br />

Unrentable Gebäude will er verkaufen.<br />

Herr Zeug, im Nürnberger<br />

Bahnhof ist Alkohol verboten,<br />

um Krawalle zu verhindern.<br />

Wann gilt das Verbot für alle<br />

Bahnhöfe?<br />

Auch in Hannover hatten wir<br />

ein temporäres Alkoholverbot.<br />

Ich bin aber skeptisch. Leider<br />

kommen nicht wenige Menschen<br />

schon angetrunken in die<br />

Bahnhöfe. Ich halte ein Verbot<br />

daher für ein wenig taugliches<br />

Mittel. Nürnberg ist ein Test, die<br />

Evaluation läuft noch.<br />

Der Bahnhof ist das Tor zur<br />

Stadt, nicht jeder wirkt einladend.<br />

Wo sanieren Sie?<br />

Zurzeit sanieren wir die<br />

Bahnhöfe in Duisburg<br />

und Dortmund sowie das<br />

Empfangsgebäude in<br />

Münster. Solche Programme<br />

brauchen drei<br />

bis vier Jahre Planungsvorlauf.<br />

Früher wurde<br />

dort gebaut, wo der politische<br />

Druck am stärksten<br />

war. Heute entscheiden<br />

Sanierungsbedarf<br />

und Reisendenzahl.<br />

Zudem brauchen wir<br />

die Co-Finanzierung<br />

der Länder.<br />

Wer profitiert demnächst?<br />

Jedes Jahr finden rund<br />

3000 Bauprojekte an den<br />

Bahnhöfen statt. 2015<br />

steht zum Beispiel die<br />

Sanierung der Bahnhöfe<br />

Berlin Zoologischer<br />

Garten und Würzburg an.<br />

Die Ladenflächen in den<br />

Bahnhöfen vermieten Sie<br />

selbst. Bleibt es dabei?<br />

Ja. Mit Ausnahme von<br />

Leipzig und der Nordpassage<br />

im Hamburger<br />

Hauptbahnhof steuern<br />

wir alle größeren Stationen in<br />

Eigenregie. Dresden haben<br />

wir gerade modernisiert. Das<br />

Geschäft läuft sehr gut.<br />

Was treibt den Umsatz?<br />

Zum einen steigen die Reisendenzahlen.<br />

Zum anderen konnten<br />

wir interessante Unternehmen<br />

als Mieter gewinnen. Die<br />

Restaurant-Kette Vapiano<br />

zum Beispiel oder Albert Heijn<br />

aus Holland. Auch Edeka und<br />

Rewe wollen in den großen<br />

Bahnhöfen Geschäfte eröffnen.<br />

Welche Stationen stehen zum<br />

Verkauf?<br />

DER IMMOBILIENENTWICKLER<br />

Zeug, 58, leitet seit 2007 das Bahnhofsgeschäft<br />

der Bahn und will die Flächen in den Stationen<br />

wieder selbst vermieten. Der promovierte Jurist<br />

hat schon für die Lufthansa, die Treuhandanstalt<br />

und Stinnes gearbeitet.<br />

Wir verkaufen unsere Bahnhofsgebäude<br />

nur, wenn sie für<br />

den Bahnbetrieb nicht mehr<br />

notwendig und damit unrentabel<br />

sind. Wir haben insgesamt<br />

rund 1100 Empfangsgebäude in<br />

unserem Portfolio. Unser Ziel<br />

ist, 600 bis 700 Empfangsgebäude<br />

in größeren Stationen zu behalten.<br />

Von Paketverkäufen an<br />

Finanzinvestoren haben wir<br />

uns aber verabschiedet. Das hat<br />

sich nicht bewährt. Wir geben<br />

die Empfangsgebäude am liebsten<br />

an die Kommunen ab.<br />

Politiker fordern den barrierefreien<br />

Bahnhof bis 2020.<br />

Das wird schwer. 73 Prozent<br />

unserer Bahnhöfe sind bereits<br />

stufenfrei. Aber stufenfrei reicht<br />

nicht. Die Bahnsteighöhe muss<br />

auch stimmen, damit die<br />

Reisenden bequem in den Zug<br />

einsteigen können. Der Bund<br />

verlangt eine Bahnsteighöhe<br />

von 76 Zentimetern für<br />

den Fernverkehr, den Ländern<br />

reichen teilweise 55<br />

Zentimeter. 56 Prozent<br />

aller Bahnsteige erfüllen<br />

die Mindestnorm<br />

von 55 Zentimetern.<br />

Klappt es bis 2020?<br />

Der barrierefreie Umbau<br />

der Bahnhöfe ist<br />

bis 2020 nicht zu machen.<br />

Pro Jahr rüsten<br />

wir etwa ein bis anderthalb<br />

Prozent der Bahnhöfe<br />

um. Damit wären<br />

wir 20 bis 30 Jahre beschäftigt.<br />

Zehn Millionen<br />

Euro pro Jahr zusätzlich<br />

würden einen<br />

deutlichen Schub auslösen.<br />

Da der Bund nur<br />

Bahnhöfe mit mehr als<br />

1000 Reisenden pro Tag<br />

fördert, müssen auch<br />

die Länder in die Co-Finanzierung<br />

einsteigen.<br />

Wie viele Bahnhöfe<br />

erhalten WLAN?<br />

An mehr als 120 Bahnhöfen<br />

gibt es bereits<br />

WLAN. Die erste halbe<br />

Stunde pro Tag ist kostenlos.<br />

Unser Ziel: 150<br />

Bahnhöfe.<br />

christian.schlesiger@wiwo.de<br />

10 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: PR, DB STATION&SERVICE AG/PHILIPP VON RECKLINGHAUSEN, KEYSTONE/VOLKMAR SCHULZ, ACTION PRESS/BERND KAMMERER, ACTION PRESS/WALTER G. ALLGÖWER<br />

INTERNET<br />

Routerzwang<br />

vor dem Aus<br />

Es war der dreiste Versuch einiger<br />

Festnetzanbieter, die freie<br />

Wahl des Endgeräts einzuschränken<br />

– die erste Errungenschaft<br />

der Liberalisierung in der<br />

Kommunikationsbranche. Internet-Anbieter<br />

wie Telefónica,<br />

Vodafone und Unitymedia<br />

schrieben ihren Kunden vor anderthalb<br />

Jahren erstmals vor,<br />

mit welchem Router sie online<br />

gehen dürfen. Jetzt will Bundeswirtschaftsminister<br />

Sigmar<br />

Gabriel die Praxis unterbinden.<br />

Den Router-Herstellern sicherte<br />

er zu, die freie Gerätewahl gesetzlich<br />

festzuschreiben. „Wir<br />

werden eine entsprechende Regelung<br />

in das Telekommunikationsgesetz<br />

aufnehmen“, heißt<br />

es in einem Schreiben.<br />

Kunden und Hersteller müssen<br />

sich allerdings bis zum<br />

nächsten Jahr gedulden. Der<br />

Minister will warten, bis die EU-<br />

Kommission die Verordnungen<br />

zum vernetzten Kontinent verabschiedet.<br />

Für Ralf Koenzen,<br />

Chef des Router-Herstellers<br />

Lancom, der einzige Wermutstropfen:<br />

„Sobald die Neuregelung<br />

in Kraft ist, wird niemand<br />

mehr gezwungen sein, Router<br />

einzusetzen, die potenziell unsicher<br />

sind.“<br />

WINDENERGIE<br />

Flaute im<br />

Ländle<br />

juergen.berke@wiwo.de<br />

Ausgerechnet in Baden-Württemberg,<br />

dem einzigen Bundesland<br />

mit einem grünen Ministerpräsidenten,<br />

kommt der<br />

Ausbau der Windenergie nicht<br />

voran. 1000 neue Anlagen<br />

will Landeschef Winfried<br />

Kretschmann bis 2020 aufstellen.<br />

Bisher stehen knapp 400,<br />

und im ersten Halbjahr wurde<br />

18.08. Arzthonorar Die Kassenärztliche Bundesvereinigung<br />

informiert am Montag über die beginnenden<br />

Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen.<br />

Sie fordert eine „überfällige Anpassung“ an die<br />

„gestiegenen Praxiskosten“.<br />

19.08. US-Inflation Das amerikanische Arbeitsministerium<br />

veröffentlicht am Dienstag die Inflationsrate<br />

für Juli. Im Juni waren die Preise in den USA im<br />

Jahresvergleich um 2,1 Prozent gestiegen. Gegenüber<br />

dem Vormonat hatten sie sich um 0,3 Prozent<br />

erhöht.<br />

20.08. Deutsche Bahn Am Mittwoch gehen die Tarifverhandlungen<br />

zwischen der Bahn und der Gewerkschaft<br />

der Lokführer (GDL) in die dritte Runde. Die<br />

GDL fordert fünf Prozent mehr Lohn und eine Verkürzung<br />

der Wochenarbeitszeit um zwei auf 37<br />

Stunden. Diese kleine Gewerkschaft vertritt nach<br />

eigenen Angaben rund 80 Prozent der 20 000 Lokführer<br />

und 30 Prozent der 11 000 Zugbegleiter.<br />

Für die übrigen 140 000 Beschäftigten der Bahn<br />

verhandelt die Eisenbahner-Gewerkschaft EVG.<br />

21.08. Karstadt Der Aufsichtsrat des Warenhauskonzerns<br />

berät am Donnerstag über die Sanierung.<br />

nur eine einzige Windturbine<br />

errichtet. Die Anlage des<br />

ostfriesischen Herstellers Enercon<br />

steht auf dem Tännlebühl<br />

nahe Freiburg.<br />

Damit hinkt Baden-Württemberg<br />

nicht nur seinen<br />

Zielen hinterher, sondern<br />

auch anderen Ländern. Nur<br />

im Saarland stehen – abgesehen<br />

von den Stadtstaaten –<br />

noch weniger Anlagen:<br />

Die Ämter mahlen<br />

langsam Anlage im<br />

Südwesten<br />

TOP-TERMINE VOM 18.08. BIS 24.08.<br />

108, davon kamen im ersten<br />

Halbjahr immerhin acht dazu.<br />

Sogar im nicht windverwöhnten<br />

Bayern gingen im ersten<br />

Halbjahr 51 Turbinen ans Netz.<br />

„Die Genehmigungsverfahren<br />

sind bei uns langwieriger“, klagt<br />

ein Manager des baden-württembergischen<br />

Stromkonzerns<br />

EnBW. Der SPD-Fraktionschef<br />

im Landtag, Claus Schmiedel,<br />

fordert zur Genehmigung von<br />

Windparks mehr Beamte in<br />

den Landkreisen.<br />

mario.brueck@wiwo.de,<br />

andreas wildhagen<br />

SGL<br />

Drohender<br />

Abstieg<br />

Wer aufsteigt und wer absteigt,<br />

entscheidet die Deutsche Börse<br />

am 3. September – wenn sie<br />

turnusgemäß die Zusammensetzung<br />

ihrer Börsenindizes<br />

überprüft. Der Wiesbadener<br />

Grafitspezialist SGL, in den<br />

auch Susanne Klatten aus der<br />

Quandt-Dynastie groß investiert<br />

ist, scheint schon als Absteiger<br />

aus dem MDax, dem Index für<br />

mittelgroße Unternehmen,<br />

festzustehen. Dies geht jetzt<br />

aus Analysen der Landesbank<br />

Baden-Württemberg sowie<br />

des Frankfurter Bankhauses<br />

Close Brothers Seydler hervor.<br />

Wichtige Kriterien für die<br />

Entscheidung der Deutschen<br />

Börse sind der Börsenumsatz<br />

sowie der Börsenwert des<br />

Streubesitzes. Nach dem Katastrophenjahr<br />

2013, als Umsatz<br />

und Gewinn einbrachen, war<br />

Hiobsbotschaft in Sicht<br />

Großaktionärin Klatten<br />

die SGL-Aktie deutlich gefallen<br />

– trotz der schönen Aussichten<br />

für den Werkstoff Carbon, der<br />

neben Klatten auch BMW und<br />

VW als Großaktionäre von SGL<br />

angelockt hat.<br />

Neben SGL dürfte sich der<br />

Küchenausrüster Rational künftig<br />

im weniger imageträchtigen<br />

SDax, dem Auswahlindex für<br />

kleinere Unternehmen, wiederfinden.<br />

Dafür könnten das<br />

Immobilien-Unternehmen<br />

Deutsche Annington und der<br />

Gabelstapler-Spezialist Kion in<br />

den MDax aufrücken.<br />

juergen.salz@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 11<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

CHEFSESSEL<br />

START-UP<br />

GFK<br />

Pamela Knapp, 55, Finanzvorstand,<br />

verlässt Mitte<br />

Oktober den Nürnberger<br />

Marktforscher, um sich<br />

mehr ihren Aufsichtsratsmandaten<br />

und ihrem Privatleben<br />

zu widmen, wie<br />

sie sagt. Am Montag hatte<br />

GfK die Prognosen für Umsatz<br />

und Ergebnis gesenkt.<br />

Neuer Finanzvorstand wird<br />

Christian Diedrich, 56, der<br />

seit 1984 bei IBM arbeitet.<br />

Von dort kam Ende 2011<br />

auch GfK-Chef Matthias<br />

Hartmann. Anfang 2013<br />

hat er seinen Vertrag bis<br />

Ende 2019 verlängert.<br />

SCOUT 24<br />

Christian Gisy, 47, wechselt<br />

Unternehmen und<br />

Branche. Von September<br />

an arbeitet der Diplom-<br />

Volkswirt als Finanzvorstand<br />

für den Betreiber von<br />

Online-Marktplätzen. Bei<br />

Scout 24 kann er auch seine<br />

Börsenerfahrung einbringen.<br />

Dem Vernehmen nach<br />

strebt das Unternehmen aufs<br />

Parkett. Noch leitet Gisy die<br />

Kinokette Cinemaxx. Ihr neuer<br />

Eigner, der britische Kinobetreiber<br />

Vue International,<br />

nahm sie Anfang des Jahres<br />

von der Börse.<br />

KIA<br />

Martin van Vugt, 59, seit<br />

Februar 2011 Deutschland-<br />

Chef des koreanischen Autokonzerns,<br />

hat sich überraschend<br />

verabschiedet. Der<br />

Niederländer steigerte zwar<br />

den Absatz von 36 000 auf<br />

55 000 Autos, Kia wollte 2013<br />

aber 63 000 Fahrzeuge in<br />

Deutschland verkaufen.<br />

IFW<br />

Dennis Snower, 63, hat seinen<br />

Vertrag verlängert und<br />

bleibt bis 2019 Präsident des<br />

Instituts für Weltwirtschaft in<br />

Kiel, das er seit Oktober 2004<br />

leitet. Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut<br />

(HWWI)<br />

bekommt im September eine<br />

Doppelspitze: Christian Growitsch,<br />

38, und Henning Vöpel,<br />

41, lösen Thomas Straubhaar,<br />

57, ab. Hans-Werner<br />

Sinn, 66, Chef des Münchner<br />

ifo Instituts, geht 2016 in den<br />

Ruhestand. Auch das Institut<br />

für Wirtschaftsforschung in<br />

Halle braucht eine neue Spitze.<br />

Claudia Buch, 48, die letzte<br />

Leiterin, war zwar erst im Juni<br />

2013 gekommen, wechselte<br />

aber schon im Mai 2014 zur<br />

Bundesbank.<br />

PRIVAT-PKW<br />

56 Prozent<br />

der Haushalte in Hamburg und Schleswig-Holstein besitzen<br />

ein Auto, vor zehn Jahren waren es noch 60 Prozent. Bundesweit<br />

gehört 77,1 Prozent aller Haushalte ein Pkw, 2003 waren es<br />

76,9 Prozent. Gesunken ist die Zahl der Neuwagen: 2003 hatten<br />

35 Prozent aller Haushalte einen, heute sind es nur 33 Prozent.<br />

FLIGHTRIGHT<br />

Inkasso für genervte Fluggäste<br />

Zur Vorbereitung seiner Hochzeit kam Philipp Kadelbach zu<br />

spät, und den Gerichtstermin hätte er fast verpasst. Denn wieder<br />

einmal war sein Flug verspätet. Da reichte es dem Juristen. Er<br />

gründete Flightright. Das Potsdamer Unternehmen soll bei Fluggesellschaften<br />

Schadensersatz für Passagiere eintreiben, deren<br />

Flüge nicht pünktlich waren oder sogar annulliert wurden. „Wir<br />

sind quasi ein Robin-Hood-Inkasso“, sagt Kadelbach. Mehr als<br />

400 000 Menschen habe er seit Gründung des Unternehmens<br />

2010 schon geholfen.<br />

Seine wichtigste Waffe ist die EU-Fluggastrechteverordnung.<br />

Danach müssen Airlines ihre Passagiere entschädigen, wenn das<br />

Flugzeug stark verspätet ist oder gar nicht erst startet. Bis zu 600<br />

Euro können Reisende dann einfordern; vorausgesetzt, Start oder<br />

Landung erfolgten in einem EU-Land oder waren dort geplant.<br />

„Aktuell nutzen nur fünf bis zehn Prozent der Betroffenen ihr<br />

Recht“, sagt Kadelbach. Auf seiner Internet-Seite können Reisende<br />

ausrechnen, was ihnen zusteht. Stellt sich eine Airline stur, zieht<br />

Flightright sogar vor Gericht – und übernimmt das Kostenrisiko.<br />

„In 98 Prozent dieser Fälle<br />

Fakten zum Unternehmen<br />

Finanzierung <strong>vom</strong> Frühphasenfonds<br />

des Landes Brandenburg<br />

knapp 1 Million Euro<br />

Schadensersatz 2013 trieb<br />

Flightright einen zweistelligen<br />

Millionenbetrag ein<br />

sind wir erfolgreich“, sagt<br />

er. Als Provision kassiert<br />

Flightright 25 Prozent der<br />

erstrittenen Summe. Derzeit<br />

betreut er nur EU-<br />

Bürger, 2016 will er sich<br />

auch um Amerikaner auf<br />

EU-Flügen kümmern.<br />

matthias streit | mdw@wiwo.de<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/DANIEL KARMANN, PR (2)<br />

12 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />

Peter Gross<br />

Chef des Herrenmodeherstellers Création Gross<br />

Die Tasse Tee gehört für Peter<br />

Gross, 58, genauso auf den<br />

Schreibtisch wie Computertastatur,<br />

Monitor und Telefon. „Als<br />

passionierter Teetrinker darf eine<br />

Tasse grüner Tee nie fehlen“,<br />

sagt der geschäftsführende<br />

Gesellschafter der fränkischen<br />

Herrenmodemarke Création<br />

Gross. Sein Großvater August<br />

Gross hat das Unternehmen<br />

1925 gegründet, heute gehört<br />

es zu je 50 Prozent Peter Gross<br />

und seinem Cousin Wolfgang<br />

Gross, der stiller Teilhaber ist.<br />

Rund 61 Millionen Euro wollen<br />

die Franken in diesem Jahr mit<br />

Sakkos, Hosen und Anzügen<br />

umsetzen, vier Millionen mehr<br />

als im Vorjahr. Der Modehersteller<br />

erwirtschaftet Gewinn<br />

und ist bankenunabhängig.<br />

180 Beschäftigte<br />

arbeiten derzeit<br />

fest am Stammsitz in<br />

Hersbruck in der<br />

Nähe von Nürnberg.<br />

125 Shop-in-Shops<br />

betreibt das Familienunternehmen,<br />

360 Grad<br />

In unseren App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />

Sie an dieser<br />

Stelle ein interaktives<br />

360°-Bild<br />

davon 40 im Ausland, zudem<br />

zwei Online-Shops. „Manchmal<br />

bin ich mein eigener Proband“,<br />

beschreibt Gross sein<br />

Business-Outfit. Sein gut 30<br />

Quadratmeter großes Büro hat<br />

der Diplom-Kaufmann mit<br />

zeitlosem, unauffälligem Mobiliar<br />

eingerichtet. „Exklusive<br />

Interieurmarken brauche ich<br />

nicht“, betont Gross. Hinter<br />

seinem Schreibtisch<br />

hängt statt eines<br />

teuren Kunstwerks<br />

ein eingerahmtes<br />

Imagebild seiner<br />

Hauptmarke Carl<br />

Gross. Auch in den<br />

Schränken und Sideboards<br />

dreht sich<br />

alles um Mode. Neben Büchern<br />

zu Stilrichtungen archiviert<br />

Gross hier Unterlagen über die<br />

zweite Modelinie seines Hauses:<br />

CG-Club of Gents. „Mit<br />

CG-Club of Gents erzielen wir<br />

bereits mehr als ein Drittel<br />

unseres Umsatzes“, freut sich<br />

der Modemacher. Und wenn es<br />

stimmt, dass grüner Tee auch<br />

ein wenig zur guten Laune<br />

beiträgt, dann passt er zum<br />

aktuellen Stimmungsbild der<br />

Franken. Beide Labels sind<br />

erfolgreich in den USA und<br />

Kanada gestartet. Zudem hat<br />

Gross erste Gespräche mit<br />

potenziellen chinesischen Partnern<br />

geführt.<br />

ulrich.groothuis@wiwo.de<br />

FOTO: DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

14 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Aus der Traum<br />

<strong>vom</strong> ewigen Boom<br />

KONJUNKTUR | Die schwächere Weltwirtschaft, die Russland-Krise und die Probleme<br />

in vielen Kernländern der Euro-Zone machen der deutschen Wirtschaft schwer zu<br />

schaffen. Die Konjunktur droht zu kippen. Damit steigt der Druck auf die Europäische<br />

Zentralbank, die Geldpolitik weiter zu lockern.<br />

Eigentlich ist es für die<br />

Bankanalysten kein besonderes<br />

Ereignis, wenn<br />

die Beamten des Statistischen<br />

Bundesamtes einmal<br />

im Quartal die Zahlen<br />

zum Wachstum der<br />

deutschen Wirtschaft bekannt<br />

geben. Denn die<br />

Daten betreffen die Vergangenheit<br />

und werden meist im Vorfeld<br />

gut abgeschätzt. Doch Donnerstag vergangener<br />

Woche war es anders. Nicht nur, dass<br />

die zur Veröffentlichung anstehenden Zahlen<br />

für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im<br />

zweiten Quartal diesmal durch eine groß<br />

angelegte Revision der Statistik mit außergewöhnlicher<br />

Unsicherheit behaftet waren<br />

(siehe Seite 22). Mit Spannung blickten die<br />

Auguren auch darauf, ob die aktuelle Krise<br />

in Russland bereits erste Bremsspuren hinterlassen<br />

hat.<br />

Als dann um kurz nach acht Uhr morgens<br />

die neue BIP-Zahl über die Bildschirme<br />

flimmerte, trauten viele Analysten<br />

ihren Augen nicht: Deutschlands Wirtschaft<br />

war im zweiten Quartal um 0,2 Prozent<br />

geschrumpft. „Die Zahlen haben enttäuscht“,<br />

sagt Klaus Bauknecht, Volkswirt<br />

bei der IKB Deutsche Industriebank in<br />

Düsseldorf. Aufgrund von Witterungseffekten<br />

hatten Beobachter zwar mit einem<br />

schwachen zweiten Quartal gerechnet.<br />

„Doch die Zahlen deuten auf einiges mehr<br />

hin als nur den Einfluss des Wetters“, urteilt<br />

Bauknecht.<br />

Vor allem die Unsicherheit wegen des<br />

Konflikts um Russland und die Ukraine hat<br />

sich wie Mehltau auf die Stimmung und Investitionsbereitschaft<br />

der Unternehmen<br />

Erneuter Einbruch<br />

Reales Bruttoinlandsprodukt (saisonbereinigte<br />

Veränderung zum Vorquartal)<br />

0,8 %<br />

0,6 %<br />

0,4 %<br />

0,2 %<br />

0 %<br />

–0,2 %<br />

–0,4 %<br />

2012 2013 2014<br />

Quelle: Deutsche Bundesbank, Destatis<br />

gelegt. Dazu kommt, dass auch aus den<br />

Ländern der Euro-Zone, den wichtigsten<br />

Handelspartnern Deutschlands, schlechte<br />

Nachrichten kommen. Die Wirtschaft der<br />

Währungsgemeinschaft hat im zweiten<br />

Quartal stagniert.<br />

Für die WirtschaftsWoche hat das ifo Institut<br />

in München exklusiv 460 Unternehmen<br />

aus den wichtigsten Branchen der<br />

deutschen Wirtschaft befragt. Rund ein<br />

Drittel gab an, die geopolitischen Unruhen<br />

sowie die schwächelnde Konjunktur in<br />

wichtigen Handelspartnerländern stellten<br />

die größten Risiken für ihre Geschäfte dar.<br />

Der ifo-Geschäftsklimaindex, wichtigster<br />

Frühindikator für die deutsche Konjunktur,<br />

ist im Juli das dritte Mal in Folge<br />

gesunken – ein untrügliches Zeichen für eine<br />

Konjunkturwende nach unten. In der<br />

vergangenen Woche schmierte zudem der<br />

<strong>vom</strong> Mannheimer Zentrum für Europäische<br />

Wirtschaftsforschung (ZEW) ermittelte<br />

Index der Konjunkturerwartungen der<br />

Akteure an den Finanzmärkten ab. Der<br />

Einbruch war so heftig wie im Juni 2012, als<br />

die Angst vor dem Auseinanderbrechen<br />

der Währungsunion die Märkte in Atem<br />

hielt. Geht Deutschland, dem Powerhouse<br />

Europas, die Luft aus, hat dies weitreichende<br />

Konsequenzen – vor allem für die Europäische<br />

Zentralbank (EZB). Sie gerät immer<br />

stärker unter Druck, die geldpolitischen<br />

Schleusen noch weiter zu öffnen.<br />

MILDER WINTER<br />

Dabei hatte das Jahr eigentlich gut begonnen.<br />

Mit einem satten Wachstum von 0,7<br />

Prozent schürte die Wirtschaft Optimismus<br />

bei Analysten, Unternehmern und Verbrauchern.<br />

Sicher, der milde Winter hatte<br />

die Wirtschaftsleistung um rund 0,3 Prozentpunkte<br />

künstlich nach oben gehievt.<br />

Daher hatten Experten mit einer Gegenbewegung<br />

gerechnet. Die aber fiel nun heftiger<br />

aus als erwartet.<br />

Die Börse hatte die schlechten Konjunkturdaten<br />

bereits vorweggenommen. In den<br />

vergangenen sechs Wochen verlor der Dax<br />

in der Spitze 1000 Punkte, der Euro verbilligte<br />

sich seit Anfang Mai um rund vier Prozent<br />

auf nunmehr 1,33 Dollar. Die Angst<br />

vor einem Konjunkturcrash hat die Investoren<br />

in vermeintlich sichere Staatsanleihen<br />

getrieben. Die Rendite zehnjähriger<br />

Bundesanleihen purzelte am Donnerstag<br />

vergangener Woche unter die Marke von<br />

1,0 Prozent – ein neues Allzeittief.<br />

Nun rudern die Experten der Banken zurück.<br />

Von zwei Prozent Wachstum ist plötzlich<br />

nichts mehr zu hören. Die Ökonomen<br />

der Commerzbank rechnen für dieses Jahr<br />

nur noch mit einem BIP-Plus von 1,7<br />

»<br />

FOTO: DDP IMAGES; ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

16 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Welche Investitionspläne die Unternehmen für<br />

2015 hegen. Wir werden im Vergleich zu 2014…<br />

Ende des Höhenflugs<br />

...mehr investieren<br />

17%<br />

110<br />

108<br />

Zum jetzigen<br />

Zeitpunkt ist keine<br />

Aussage möglich<br />

19%<br />

41%<br />

...genau so viel<br />

investieren wie 2014<br />

106<br />

104<br />

Auftragseingänge<br />

in der deutschen<br />

Industrie*<br />

23%<br />

102<br />

2013 2014<br />

...weniger investieren<br />

* saisonbereinigt, 2010 = 100; Quelle: Deutsche Bundesbank<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

Prozent. Eine Rezession, bei der das BIP<br />

in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen<br />

schrumpft, erwarten sie allerdings nicht.<br />

„Dazu müssten die Geld- und Fiskalpolitik<br />

stark auf die Bremse treten, was derzeit<br />

nicht abzusehen ist“, sagt Commerzbank-<br />

Ökonom Ralph Solveen.<br />

WEITERE LOCKERUNG<br />

Das Gegenteil ist der Fall. Die EZB hat die<br />

Zinsen im Juni erneut gesenkt und weitere<br />

geldpolitische Lockerungsmaßnahmen in<br />

Aussicht gestellt. Und in den meisten Euro-<br />

Ländern heißt es nach den Sparpaketen<br />

der vergangenen Jahre erst einmal durchatmen.<br />

Nachdem die Regierungen die<br />

staatlichen Haushaltsdefizite im vergangenen<br />

Jahr im Schnitt um 0,7 Prozentpunkte<br />

gesenkt haben, rechnen Beobachter für<br />

dieses Jahr mit einem Rückgang von nur<br />

noch 0,5 Prozentpunkten.<br />

Die Mehrheit der <strong>vom</strong> ifo Institut befragten<br />

Unternehmen (73 Prozent) hält daher<br />

vorerst an ihren Geschäftsplänen fest. Die<br />

Firmen hoffen, der Einbruch im zweiten<br />

Quartal werde sich als Delle erweisen und<br />

der Aufschwung danach weitergehen.<br />

Doch die Risiken, dass die deutsche Wirtschaft<br />

stärker an Fahrt verliert, steigen.<br />

n Das weltwirtschaftliche Umfeld trübt<br />

sich ein. China, in den vergangenen Jahren<br />

der wichtigste Treiber der Weltwirtschaft, ist<br />

mit dem Umbau seines Wirtschaftsmodells<br />

von der export- zur binnenorientierten Expansion<br />

beschäftigt. Offenbar ist die Regierung<br />

bereit, ein geringeres Wachstumstempo<br />

hinzunehmen und verzichtet auf groß<br />

angelegte Konjunkturprogramme. Experten<br />

rechnen damit, dass sich die Wachstumsrate<br />

der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt<br />

von 7,7 Prozent im vergangenen Jahr auf<br />

rund sieben Prozent in diesem zurückbildet.<br />

Shoppen in Leipzig Der private Konsum<br />

wird zur Stütze der deutschen Konjunktur<br />

Japans Wirtschaft, die drittgrößte der<br />

Welt, ist im zweiten Quartal als Folge<br />

der kräftigen Mehrwertsteuererhöhung<br />

um 1,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal<br />

geschrumpft. Ein nachhaltiger Aufschwung<br />

ist nicht in Sicht, es mangelt an<br />

den dafür erforderlichen Strukturreformen.<br />

Unter der Schwäche Japans und<br />

Chinas leiden auch die südostasiatischen<br />

Länder, deren Handel stark mit beiden<br />

Ländern verflochten ist.<br />

In Lateinamerika bremsen die ökonomischen<br />

Schwergewichte Brasilien und Argentinien<br />

die Entwicklung. In Brasilien leidet<br />

die Wirtschaft unter der Hochzinspolitik<br />

zur Bekämpfung der Inflation, in Argentinien<br />

belastet die Aussicht auf einen sich<br />

abzeichnenden Staatsbankrott. Die Ökonomen<br />

der britisch-asiatischen Bank<br />

HSBC rechnen daher für Lateinamerika in<br />

diesem Jahr nur noch mit einem mickrigen<br />

Wachstum von 1,6 Prozent.<br />

Allein in den USA und Großbritannien<br />

wächst die Wirtschaft ordentlich. In den<br />

USA treibt nicht zuletzt die Reindustrialisierung<br />

durch die niedrigen Energiekosten<br />

die Wirtschaft an. Davon profitieren auch<br />

deutsche Unternehmen, die Amerika mit<br />

den Maschinen und Anlagen für die<br />

Wiederbelebung des industriellen Sektors<br />

beliefern (siehe Seite 38). Doch die robuste<br />

Konjunktur in den angelsächsischen Ländern<br />

allein reicht nicht, die Weltwirtschaft<br />

und damit die deutschen Exporte auf<br />

Touren zu bringen. So blieb das Plus der<br />

Ausfuhren aus Deutschland mit 2,4 Prozent<br />

im ersten Halbjahr 2014 deutlich<br />

Wie die Unternehmen auf den Wirtschaftseinbruch<br />

im zweiten Quartal reagieren<br />

Wie die Unternehmen die Aussichten für das<br />

zweite Halbjahr einschätzen<br />

Wir bauen Personal ab<br />

Wir fahren geplante<br />

Investitionen zurück<br />

Wir verzichten<br />

auf geplante<br />

Neueinstellungen<br />

13 %<br />

12 %<br />

9 %<br />

73 %<br />

Vorerst gar nicht,<br />

denn der Aufschwung<br />

bleibt intakt<br />

Die Aussichten…<br />

...werden sich<br />

verschlechtern<br />

Umfrage des ifo Instituts unter 464 Unternehmen aus Industrie, Bau,<br />

Handel und Dienstleistungen im Juli 2014, Mehrfachnennungen möglich<br />

16 % 16 %<br />

68 %<br />

...werden sich<br />

verbessern<br />

...bleiben gleich<br />

18 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: LAIF/JENS SCHWARZ; ILLUSTRATIONEN: KRISTINA DÜLLMANN, TORSTEN WOLBER<br />

hinter den Erwartungen von rund vier Prozent<br />

zurück.<br />

n In der Euro-Zone tritt die Konjunktur auf<br />

der Stelle. Diesmal sind es nicht die Krisenländer<br />

Spanien, Portugal, Irland und<br />

Griechenland, die den Aufschwung blockieren.<br />

Im Gegenteil. Spaniens Wirtschaft<br />

stürmte im zweiten Quartal mit einem<br />

Wachstum von 0,6 Prozent gegenüber dem<br />

Vorquartal voran. Die Reformen auf dem<br />

Arbeitsmarkt und die verbesserte preisliche<br />

Wettbewerbsfähigkeit infolge der zurückhaltenden<br />

Lohnpolitik der vergangenen<br />

Jahre machen sich bezahlt. Auch in<br />

Portugal legte das Bruttoinlandsprodukt<br />

um 0,6 Prozent kräftig zu. Sogar aus Griechenland<br />

kommen erste Erfolgsmeldungen.<br />

Im zweiten Quartal schrumpfte die<br />

Wirtschaft zwar noch geringfügig um 0,2<br />

Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal.<br />

Im Vergleich zum Vorquartal legte sie jedoch<br />

nach Berechnungen der Ökonomen<br />

der Berenberg-Bank saisonbereinigt um<br />

0,5 Prozent zu.<br />

IM BREMSERHÄUSCHEN<br />

Dagegen sitzen Italien sowie die Kernländer<br />

Frankreich, Belgien, Finnland und mit<br />

Einschränkungen auch die Niederlande im<br />

Bremserhäuschen der Euro-Konjunktur.<br />

Während Italien sich mehr und mehr als<br />

chronisch reformunfähig erweist und in eine<br />

Art Perma-Rezession abgerutscht ist, leiden<br />

die Kernländer unter den gleichen Problemen<br />

wie weiland Spanien und Co. „In<br />

den ersten Jahren der Währungsunion hat<br />

die EZB sich an der Entwicklung im damals<br />

kränkelnden Deutschland orientiert, für<br />

die anderen Euro-Länder war der Einheitszins<br />

zu niedrig“, erklärt Ökonom Solveen. In<br />

der Folge kam es in den meisten Südländern<br />

zu Übertreibungen, die nun korrigiert<br />

Wo die Unternehmen derzeit<br />

die größten Risiken sehen<br />

1%<br />

Keine Angabe<br />

7%<br />

Reform der<br />

Erbschaftsteuer<br />

Euro-<br />

Wechselkurs<br />

12%<br />

cherheiten für die ausgereichten Hypothekenkredite.<br />

Die Schulden der privaten Haushalte in<br />

den Euro-Kernländern erreichten zu Beginn<br />

der Währungsunion 70 bis 80 Prozent<br />

des BIPs. Die Immobilien- und Kreditbonanza<br />

der vergangenen Jahre hat die<br />

Quoten auf Werte zwischen 100 und 130<br />

Prozent getrieben. Um die Schulden wieder<br />

auf ein tragfähiges Niveau zu senken, müssen<br />

Unternehmer und Bürger mehr Geld in<br />

die Tilgung stecken. Das geht zulasten von<br />

Investitionen und Konsum – und dämpft so<br />

die Nachfrage nach deutschen Produkten.<br />

Dazu kommt, dass die Lohnstückkosten<br />

in Italien, Frankreich, den Niederlanden,<br />

Belgien und Finnland in den vergangenen<br />

Jahren im Trend gestiegen sind, während<br />

sie in Portugal, Spanien und Irland zurückgegangen<br />

sind. Um wieder wettbewerbsfäwerden<br />

müssen. „Diese Korrektur bremst<br />

nun die Konjunktur“, sagt Solveen.<br />

So haben die Niedrigzinsen der EZB die<br />

Häuserpreise in Belgien, den Niederlanden,<br />

Finnland und Frankreich in die Höhe<br />

getrieben. Inzwischen fallen die Preise<br />

wieder. Das dämpft die Bauinvestitionen<br />

und schmälert das Vermögen der Bürger<br />

und damit deren Kauflaune. Zudem leiden<br />

die Banken unter dem Wertverlust der Si-<br />

30%<br />

Schwächelnde<br />

Konjunktur wichtiger<br />

Handelspartner<br />

Die reale<br />

Kaufkraft<br />

der Bürger<br />

steigt<br />

33%<br />

Geopolitische<br />

Unruhen<br />

37% 37%<br />

Hohe<br />

Abgabenlast<br />

hig zu werden, müssen die Bürger in den<br />

Kernländern in den nächsten Jahren Lohnzurückhaltung<br />

üben.<br />

„Die Korrektur der Übertreibungen steht<br />

in den betroffenen Ländern erst am Anfang“,<br />

sagt Solveen. Weil diese für die Hälfte<br />

der Euro-Wirtschaft stünden, werde die<br />

konjunkturelle Erholung weiterhin quälend<br />

langsam verlaufen, prognostiziert der<br />

Commerzbanker. Das wird die Absatzchancen<br />

der deutschen Unternehmen beeinträchtigen.<br />

n Die Russland-Krise trübt die Aussichten<br />

zusätzlich (siehe Seite 24). Zwar gehen nur<br />

rund drei Prozent der deutschen Exporte<br />

nach Russland, weniger als halb so viel wie<br />

nach China. Doch in den ersten fünf<br />

Monaten dieses Jahres brachen sie um<br />

rund 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr<br />

ein. Die jüngst ergriffenen Sanktionen<br />

dürften die Talfahrt beschleunigen.<br />

Schrumpfen die Ausfuhren nach Russland<br />

im gesamten Jahr um 20 bis 25 Prozent,<br />

kostet das die deutschen Unternehmen<br />

nach Berechnungen der Ökonomen der<br />

Deutschen Bank 0,5 bis 0,7 Prozentpunkte<br />

beim Exportwachstum. Die Gesamtwirtschaft<br />

werde in diesem Fall um rund 0,3<br />

Prozent weniger wachsen.<br />

Das ließe sich noch verschmerzen. Doch<br />

viele deutsche Unternehmen sind über das<br />

reine Exportgeschäft hinaus durch Direktinvestitionen<br />

in Russland engagiert. So hat<br />

das ifo Institut in Sonderumfragen ermittelt,<br />

dass 47 Prozent der heimischen Industrieunternehmen<br />

Wirtschaftsbeziehungen<br />

zu Russland unterhalten. „Die deutsche<br />

Wirtschaft hat eben doch stärkere Hoffnungen<br />

in das Russland-Geschäft gesetzt,<br />

als es ein Blick auf die Statistiken hätte erwarten<br />

lassen“, sagt Hans-Werner Sinn, der<br />

Chef des ifo Instituts.<br />

Fachkräftemangel<br />

Wirtschaftspolitik<br />

der<br />

Bundesregierung<br />

40%<br />

40%<br />

»<br />

Steigende<br />

Energiekosten<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 19<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

Unter Beschuss<br />

Der Ukraine-Konflikt<br />

bedroht auch die<br />

deutsche Wirtschaft<br />

Da diese nun enttäuscht werden, steigt<br />

die Unsicherheit. „Das könnte das Investitionsverhalten<br />

in Deutschland empfindlich<br />

treffen – über den Einfluss der Handelsströme<br />

hinaus“, sagt Bauknecht von<br />

der IKB. „Nun müssen wir uns schon wieder<br />

Sorgen um den Investitionszyklus machen.“<br />

So erklären 23 Prozent der <strong>vom</strong> ifo<br />

Institut befragten Unternehmen, sie wollten<br />

im nächsten Jahr weniger investieren<br />

als in diesem Jahr. Nur 17 Prozent der Befragten<br />

wollen mehr Geld in neue Maschinen<br />

und Anlagen stecken.<br />

Bauknecht fürchtet daher, die Russland-Krise<br />

werde vor allem im nächsten<br />

Jahr hässliche Bremsspuren in der Konjunktur<br />

hinterlassen. „Schon ein moderater<br />

Rückgang des BIPs im vierten Quartal<br />

dieses Jahres verringert die Ausgangsbasis<br />

für das nächste Jahr und könnte das<br />

Niveau von Forschung<br />

und Entwicklung<br />

Die Russland-Krise<br />

trübt die<br />

Aussicht<br />

Wie die Unternehmen den Standort Deutschland bewerten<br />

Schulnoten von 1 = sehr gut bis 6 = ungenügend<br />

2,2 2,4 2,5 2,8 3,0<br />

Weltoffenheit<br />

Bildungssystem<br />

Verkehrswege<br />

3,3<br />

Wirtschaftswachstum 2015 von den bisher<br />

erwarteten zwei Prozent auf ein Prozent<br />

halbieren.“<br />

Richtig dicke für die deutsche Wirtschaft<br />

dürfte es kommen, wenn sich der Konflikt<br />

zu einem offenen Krieg zwischen der<br />

Ukraine und Russland ausweitet und sich<br />

die Sanktionsspirale noch schneller dreht.<br />

„Ein offener Krieg beschädigte das Vertrauen<br />

und die Kaufkraft von Haushalten und<br />

Unternehmen“, sagt Ben May, Ökonom<br />

beim Analyseunternehmen Oxford Economics.<br />

In diesem Fall werde die Euro-Wirtschaft<br />

2015 in die Rezession stürzen.<br />

Noch hören sich solche Warnungen für<br />

die meisten Bundesbürger wie apokalyptische<br />

Horrorszenarien an. Ihre gute Laune<br />

scheint trotz des allabendlichen Trommelfeuers<br />

von Kriegs- und Elendsmeldungen<br />

in den Nachrichtensendungen ungebrochen.<br />

Der Konsumklimaindex der Nürnberger<br />

Gesellschaft für Konsumforschung<br />

deutet für August auf einen Höchststand<br />

von 9,0 Punkten. Ausschlaggebend dafür<br />

ist die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt. Der<br />

ungebremste Anstieg der Beschäftigung,<br />

die kräftigen Lohnzuwächse sowie die<br />

niedrige Teuerungsrate von zuletzt 0,8 Prozent<br />

lassen die real verfügbaren Einkommen<br />

steigen. Die Ökonomen der GfK rechnen<br />

daher damit, dass der reale private<br />

Konsum in diesem Jahr um 1,5 Prozent<br />

zulegt und die Konjunktur stützt.<br />

Selbst wenn sich die Russland-Krise zuspitzen<br />

sollte, sind viele Unternehmen mit<br />

ihren Beschäftigungsplänen darauf gut vorbereitet.<br />

Beispiel Trumpf: Bei dem schwäbischen<br />

Werkzeugmaschinenbauer haben<br />

sich Geschäftsführung und Gesamtbetriebsrat<br />

mit dem „Bündnis 2016“ schon<br />

2011 auf mögliche konjunkturelle Krisen<br />

eingestellt. Das Arbeitszeitmodell für die<br />

deutschen Standorte Ditzingen, Gerlingen<br />

und Hettingen soll zwar den Beschäftigten<br />

auch „ermöglichen, ihr Leben flexibel zu<br />

planen – privat wie beruflich“, betont Unternehmenschefin<br />

Nicola Leibinger-Kammüller.<br />

Dafür können diese alle zwei Jahre ihre<br />

Arbeitszeit zwischen 15 und 40 Wochenstunden<br />

wählen oder bis zu 1000 Stunden<br />

für längere Freizeitblöcke ansparen.<br />

Effizienz der<br />

Verwaltung<br />

3,6<br />

Gesundheitsversorgung<br />

Arbeitsmarktgesetze<br />

4,0<br />

Steuersystem<br />

»<br />

FOTO: DDP IMAGES/CAMERAPRESS RIA NOVOSTI; ILLUSTRATIONEN: KRISTINA DÜLLMANN, TORSTEN WOLBER<br />

20 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Heute schon die<br />

Zinsen gesenkt?<br />

Noch spielt EZB-<br />

Chef Draghi die<br />

Risiken herunter<br />

jüngsten Zinssenkungen und die für September<br />

anstehenden langfristigen Geldleihgeschäfte<br />

auf die Realwirtschaft auswirken.<br />

Klar ist jedoch: Kommt die Konjunktur nicht<br />

bis spätestens Anfang nächsten Jahres in die<br />

Hufe, wird die EZB handeln.<br />

»<br />

Auch wenn der deutschen Wirtschaft<br />

dank stabiler Beschäftigung und ungeschmälerter<br />

Kauffreude der Bürger ein<br />

konjunktureller Absturz erspart bleibt – die<br />

Rolle der Lokomotive für Europa wird<br />

Deutschland mit Wachstumsraten von<br />

deutlich unter zwei Prozent nicht mehr<br />

übernehmen können. Schon werden Forderungen<br />

laut, die Bundesregierung solle<br />

mehr zur Ankurbelung der heimischen<br />

Konjunktur tun, um Europa Impulse zu geben.<br />

Frankreichs Staatspräsident François<br />

Hollande erklärte jüngst, Deutschland habe<br />

genügend Spielraum für finanzpolitische<br />

Stimuli. Bei deutschen Ökonomen rufen<br />

derartige Appelle Widerspruch hervor.<br />

„Die Bundesregierung sollte nichts tun. Eine<br />

Abkühlung ist noch keine Rezession.<br />

Ruhe bewahren ist die erste Bürgerpflicht“,<br />

sagt ifo-Chef Sinn.<br />

Die<br />

Korrektur<br />

steht erst<br />

am Anfang<br />

Je länger aber die Flaute in Europa anhält,<br />

desto größer wird der Druck auf die EZB, der<br />

europäischen Konjunktur mit weiteren Liquiditätsspritzen<br />

neues Leben einzuhauchen.<br />

Noch hält EZB-Chef Mario Draghi dagegen.<br />

So spielte er jüngst die Konjunkturrisiken<br />

mit Verweis auf technische Faktoren<br />

herunter. Beobachter gehen davon aus, dass<br />

die EZB zunächst abwarten will, wie sich die<br />

EIN TREPPENWITZ<br />

Dann werden die Notenbanker wohl das tun,<br />

was ihre Kollegen in London, Tokio und Washington<br />

schon lange machen: in großem<br />

Umfang Staatsanleihen kaufen und im Gegenzug<br />

frisches Zentralbankgeld in den Bankensektor<br />

pumpen. Die Wahrscheinlichkeit<br />

dafür setzen die Ökonomen der Commerzbank<br />

mit 40 Prozent an. Dass das Rotieren<br />

der Notenpresse der Konjunktur hilft, ist jedoch<br />

unwahrscheinlich. „Erst wenn die<br />

Übertreibungen der Vergangenheit korrigiert<br />

sind und die Euro-Länder die notwendigen<br />

Strukturreformen ergriffen haben, besteht<br />

die Chance auf ein höheres Wirtschaftswachstum“,<br />

sagt Commerzbanker Solveen.<br />

Das wissen auch die Währungshüter der<br />

EZB. Daher liegt der Verdacht nahe, dass<br />

sie die maue Konjunktur als Vorwand nutzen<br />

könnten, um durch den Kauf von<br />

Staatsanleihen und verbrieften Krediten<br />

den Banken notleidende Forderungen abzunehmen<br />

sowie den Finanzministern<br />

durch künstlich nach unten gedrückte Zinsen<br />

das Schuldenmachen zu erleichtern.<br />

Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte,<br />

wenn ausgerechnet der russische Autokrat<br />

Wladimir Putin durch eine Eskalation des<br />

Konflikts mit der Ukraine der EZB den Weg<br />

dazu ebnete, die Staatsschulden in der<br />

Währungsunion mit der Notenpresse zu<br />

finanzieren.<br />

n<br />

malte.fischer@wiwo.de, thomas glöckner<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 24 »<br />

STATISTIK<br />

Droge fürs BIP<br />

Neue Regel lässt das Wachstum steigen<br />

und die Schuldenquote sinken.<br />

Ab September wird das Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) in der EU nach einer<br />

neuen Regel kalkuliert. Das Statistische<br />

Bundesamt hat das deutsche Wirtschaftswachstum<br />

bereits im zweiten<br />

Quartal 2014 nach der neuen Vorschrift<br />

berechnet – und gleichzeitig auch die<br />

Daten zurück bis 1991 angepasst.<br />

Ergebnis: Im Durchschnitt fällt das nominale<br />

BIP nun rund drei Prozent höher aus<br />

als bisher.<br />

FORSCHUNG IST INVESTITION<br />

Die quantitativ wichtigste Änderung betrifft<br />

die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung.<br />

Bisher wurden die <strong>Ausgabe</strong>n<br />

hierfür als Vorleistungen behandelt, künftig<br />

gehen sie als Investitionen in die BIP-<br />

Berechnung ein. Letzteres gilt auch für die<br />

Anschaffung militärischer Waffensysteme.<br />

Selbst illegale Aktivitäten wie der Verkauf<br />

von Drogen steigern ab jetzt als Schätzwert<br />

das Bruttoinlandsprodukt.<br />

Obwohl dem Anstieg des BIPs ein rein<br />

statistischer Effekt zugrunde liegt, hat die<br />

Umstellung auch politische Auswirkung. So<br />

dient das Bruttoinlandsprodukt als Referenzgröße<br />

für die Verschuldungskriterien<br />

der Euro-Länder (höchstens drei Prozent<br />

Defizit, 60 Prozent Schuldenstand). Das<br />

höhere BIP lässt also mehr Spielraum für<br />

Neu- und Gesamtverschuldung, frühere<br />

Kredite wirken harmloser. Die neue Schuldenstandsberechnung<br />

steht noch aus.<br />

Nach einer Prognose der Deutschen Bank<br />

sinkt der Wert für Deutschland für 2013<br />

von 78,4 Prozent auf rund 76 Prozent.<br />

nils heisterhagen | politik@wiwo.de<br />

FOTO: GETTY IMAGES/THOMAS LOHNES; ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

22 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

MASCHINENBAU<br />

Nutznießer China<br />

Der deutsche Maschinenbau schlägt Alarm: Jetzt sind es die Russen<br />

selber, die Aufträge stornieren, weil sie weitere Sanktionen fürchten.<br />

Sächsischer Mahner Naumann<br />

Angst vor dem Verlust<br />

von Einfluss in Russland<br />

schrieb jüngst der Präsident des deutschen<br />

Maschinenbauverbandes VDMA, Reinhold<br />

Festge, die Haltung in Moskau. Im Klartext:<br />

Die Embargopolitik richtet sich inzwischen<br />

auch gegen deutsche Unternehmen – und<br />

zwar selbst dann, wenn sie von Sanktionen<br />

noch nicht direkt betroffen sind. „Die<br />

Russen stornieren“, klagt der Chef eines<br />

Maschinenbauers aus Ostwestfalen.<br />

Russland ist mit einem Handelsvolumen<br />

in Höhe von 7,8 Milliarden Euro der viertwichtigste<br />

Exportmarkt des deutschen<br />

Maschinenbaus. Nach Angaben des Branchenverbandes<br />

VDMA ist der Export nach<br />

Russland bis Ende Mai um 20 Prozent gesunken.<br />

Und das ist erst der Anfang. Hans<br />

Naumann, Chef der deutsch-amerikanischen<br />

Werkzeugmaschinengruppe Niles-<br />

Simmons, Hersteller von Bahntechnik aus<br />

Chemnitz, sagt: „Der Wegfall des russischen<br />

Marktes ist für die deutsche Industrie<br />

außerordentlich kritisch.“<br />

Niles-Simmons betreibt in Moskau, Nishny<br />

Novgorod und Jekatarinenburg eigene<br />

Verkaufsbüros. Zu konkreten Zahlen will<br />

sich Naumann nicht äußern, aber er sieht<br />

sein Geschäft mit Eisenbahnreparaturwerkstätten<br />

auf der Kippe. Pro Werkstatt ist ein<br />

Auftragsvolumen in Höhe von gut 30 Millionen<br />

Euro in Gefahr.<br />

„Aufträge aus Russland liegen bei uns<br />

derzeit auf Eis“, sagt Anton Müller, Chef<br />

des mittelständischen Maschinenbauunternehmens<br />

SHW aus Aalen-Wasseralfingen<br />

am nordöstlichen Ausläufer der<br />

Schwäbischen Alb. Der Hersteller von<br />

Werkzeugmaschinen, Pumpen und Motorenkomponenten<br />

für Radlader, Kräne<br />

und Traktoren mit einem Umsatz von 365<br />

Millionen Euro blickt auf eine mehr als<br />

600 Jahre währende Geschichte zurück.<br />

1365 als Schmiede- und Handelsbetrieb<br />

für Rohstoffe gegründet, ist SHW nun<br />

schon seit Jahrhunderten im Russlandgeschäft<br />

tätig, einst mit dem Import von<br />

Rohstoffen, heutzutage mit dem Export<br />

von Einbauteilen, die sowohl für zivile<br />

wie für militärische Zwecke geeignet sind.<br />

Und genau das ist das Problem.<br />

Weil die russischen Auftraggeber fürchten,<br />

Lieferungen aus Deutschland könnten<br />

wegen der europäischen Wirtschaftssanktionen<br />

gegen Russland dort nicht<br />

mehr ankommen, erteilen sie Aufträge<br />

nur noch äußerst zögerlich. So hängen<br />

bei SHW Aufträge in Höhe von zehn Millionen<br />

Euro zurzeit im luftleeren Raum, sagt<br />

Müller. Projekte mit einem Wert von weiteren<br />

15 Millionen Euro werden zurzeit von<br />

russischer Seite „nicht vorangetrieben“,<br />

weil Sanktionen befürchtet werden.<br />

„Gebt den Deutschen nicht mehr so viel<br />

Aufträge, gebt sie woanders hin.“ So be-<br />

Einbruch erwartet<br />

Deutsche Exporte nach Russland<br />

(in Milliarden Euro)<br />

Quelle: Destatis<br />

4,0<br />

3,5<br />

3,0<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

2009 2010 2011 2012 2013 14<br />

SITUATION VERSCHLIMMERT<br />

„Die Russen würden uns die Maschinen ja<br />

gerne abnehmen, aber es ist nicht sicher,<br />

ob sie zum Zeitpunkt der Fertigstellung<br />

überhaupt noch ausgeführt werden können“,<br />

beschreibt VDMA-Präsident Festge<br />

das Russlandproblem des Mittelstandes.<br />

Volker Treier, Außenwirtschaftschef des<br />

Deutschen Industrie- und Handelskammertages<br />

(DIHK), sagt, dass „russische Betriebe<br />

zum Teil die Kundenbeziehungen zu ihren<br />

deutschen Partnern selbst beenden.<br />

Diese Tendenz hat sich in den vergangenen<br />

zwei Wochen noch verschlimmert.“<br />

Stark gebeutelt von der Krise wird auch<br />

die deutsche Elektrotechnik-Industrie. Im<br />

Mai brachen die Ausfuhren nach Russland<br />

um nahezu ein Fünftel ein.<br />

Die Russen bestellen mittlerweile woanders,<br />

beispielsweise in China, sagt ein deutscher<br />

Mittelständler. Was Branchenvertreter<br />

besonders wurmt: Zum Teil weichen die Russen<br />

auch auf italienische und spanische Konkurrenten<br />

aus. In diesen Ländern seien die<br />

Ausfuhrkontrollen „viel laxer als in Deutschland“,<br />

wo mal wieder nach dem Buchstaben<br />

des Gesetzes vorgegangen werde. „Wenn<br />

FOTO: MAX LAUTENSCHLÄGER; ILLUSTRATIONEN: KRISTINA DÜLLMANN, TORSTEN WOLBER<br />

24 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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schon EU-Sanktionen, dann bitte für alle“,<br />

fordert der Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens.<br />

„Wir leiden sehr unter<br />

der Russland-Krise“, klagt der Geschäftsführer<br />

eines sächsischen Apparatebauers<br />

für Chemie- und Petrochemieanlagen. Schon<br />

zwei Großaufträge hat das Unternehmen verloren,<br />

obwohl „wir das günstigste Angebot<br />

unterbreitet haben“. Grund: „Der russische<br />

Kunde hatte Angst vor einem Embargo und<br />

will nun in Asien bestellen.“<br />

Hans Naumann aus Chemnitz sagt es<br />

aus der Sicht eines Deutsch-Amerikaners<br />

mit leicht sächselndem Tonfall. „Andere<br />

Nationen, die die Methoden des Kalten<br />

Krieges nicht beachten, werden sofort in<br />

die Startlöcher springen und der russischen<br />

Industrie mit Erfolg ihre Produkte<br />

anbieten. Damit wird ein von Deutschland<br />

langfristig erarbeitetes Maschinen-Verkaufspotenzial<br />

auf andere Länder überge-<br />

Der Kunde<br />

will in<br />

Asien<br />

bestellen<br />

hen und die dominierende Marktstellung<br />

Deutschlands und die Zuneigung der russischen<br />

Kunden für deutsche Qualitätsprodukte<br />

eingebüßt.“<br />

Angst vor der Verschärfung von weiteren<br />

Sanktionen beherrscht den deutschen Mittelstand.<br />

Peter Fenkl, Chef von Ziel-Abegg,<br />

Hersteller von Ventilatoren aus dem schwäbischen<br />

Künzelsau, sieht für die Zukunft<br />

seines Russlandgeschäfts schwarz. „Sollte<br />

die Politik den Handel mit Russland quasi<br />

ganz verbieten, dann werden sich unsere<br />

Kunden gezwungenermaßen neue Lieferanten<br />

außerhalb der EU suchen. Und die Hersteller<br />

aus Asien werden dankbar einspringen.“<br />

Entwarnung dagegen kommt von Stihl<br />

aus Waiblingen: „Russland ist ein bedeutender<br />

Absatzmarkt für uns. Für unsere<br />

Motorsägen bestehen keine Lieferverbote.“<br />

Dagegen müssen die mittelständischen<br />

Zulieferer für den russischen Automobilsektor<br />

um ihr Geschäft bangen. Die meisten<br />

dieser Unternehmen haben sich rund<br />

um das Volkswagen-Werk in Kaluga, rund<br />

200 Kilometer südwestlich von Moskau,<br />

angesiedelt. Die Unterbrechung des<br />

Nachschubs „kann langfristig zu einem<br />

Flaschenhals in den lokalen Zulieferstrukturen<br />

führen“, warnt Felix Kuhnert,<br />

Leiter Automotive des Beratungshauses<br />

PricewaterhouseCoopers (PwC).<br />

Der schwäbische Lackieranlagenbauer<br />

Dürr hat das VW-Werk in Kaluga mit Lackieranlagen<br />

ausgerüstet. Bei Dürr sieht<br />

man die Situation zwar noch gelassen,<br />

rechnet aber mit einem Schwund von<br />

Aufträgen in Höhe von gut zehn Millionen<br />

Euro. „Ein Rückgang der Automobilindustrie<br />

in Russland bedeutet für uns einen<br />

kleineren Markt“, heißt es bei Dürr. Viele<br />

Projekte werden zurzeit nicht vergeben.<br />

Das hinterlässt nicht nur im deutschen<br />

Mittelstand, sondern in der gesamten russischen<br />

Automobilwirtschaft Spuren. „Eine<br />

Struktur mit mittelständischen Zulieferbetrieben<br />

wie hier in Deutschland, entsteht<br />

in Russland gerade erst“, sagt Branchenexperte<br />

Stefan Bratzel <strong>vom</strong> Center of<br />

Automotive Management (CAM) in Bergisch<br />

Gladbach bei Köln. Einzig Theo<br />

Freye, Chef des Landmaschinenherstellers<br />

Claas, zeigt sich unbesorgt von der Russlandkrise:<br />

„Wir setzen die umfangreiche<br />

Produktionserweiterung in Krasnodar fort.“<br />

ANTRÄGE AUF HALDE<br />

Aber nicht nur in Russland machen die<br />

mittelständischen Maschinenbauer neue<br />

Erfahrungen – auch in Deutschland tauchen<br />

neue Probleme auf. Beim Bundesamt<br />

für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle<br />

(Bafa) liegen Exportanträge auf Halde,<br />

die Bearbeitung stockt. Denn die Bafa hat<br />

nach Schilderungen von Mittelständlern<br />

die Ausfuhrgenehmigungen für Russland<br />

de facto an das Bundeswirtschaftsministerium<br />

abgeben müssen.<br />

Nach den Angaben von Rüdiger Kapitza,<br />

Vorstandschef des Werkzeugmaschinenbauers<br />

DMG Mori Seiki, muss mit einer<br />

Bearbeitungszeit von drei bis vier<br />

Monaten gerechnet werden. Früher gab<br />

es innerhalb von drei Wochen grünes<br />

Licht. Unisono sollen die inoffiziellen Auskünfte<br />

des Ministeriums nach den gestressten<br />

Schilderungen der Maschinenbauer<br />

folgendermaßen lauten: Wenn Sie<br />

eine Antwort über die Zwischenstände<br />

der Ausfuhrprüfung haben wollen, dann<br />

bekommen Sie eine negative Antwort.<br />

Warten Sie lieber sechs Monate ab.<br />

andreas.wildhagen@wiwo.de,<br />

rebecca.eisert, lothar.schnitzler<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 25<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Kasse macht sinnlich<br />

EUROPA | Getarnt als gemeinsame Arbeitslosenversicherung will EU-Sozialkommissar Lászlo Andor<br />

ein neues Transfersystem etablieren. Deutschlands Beitragszahler würden zum Zahlmeister.<br />

Er ist ein Mann mit einer Mission. 15<br />

Länder in sechs Monaten will Pierre<br />

Moscovici bereisen, immer auf der<br />

Suche nach dem Wachstum. Bis November<br />

soll er seinen Bericht für den französischen<br />

Ministerpräsidenten Manuel Valls abschließen,<br />

wie die europäische Politik die<br />

Wirtschaft ankurbeln könnte.<br />

Dem früheren Finanzminister Frankreichs<br />

geht es bei seiner Tour d’Europe<br />

auch um Eigenwerbung. Als EU-Kommissar<br />

möchte er in Brüssel künftig am liebsten<br />

das Ressort Wirtschaft übernehmen.<br />

Europas dringendes Wachstumsproblem<br />

hat er verstanden, suggeriert er mit seiner<br />

weitläufigen Reisetätigkeit.<br />

Unter seinen Lösungsvorschlägen werden<br />

sich unkonventionelle finden und vor<br />

allem solche, die in Berlin auf wenig Gegenliebe<br />

stoßen. Der Sozialist ist in der Vergangenheit<br />

damit aufgefallen, Frankreichs<br />

Haushalt nicht ausreichend saniert zu haben,<br />

aber mehr Solidarität zwischen den<br />

PORTUGAL<br />

Vier Personen, 900 Euro<br />

Von Eismann in die Kälte führt der<br />

Weg von Nuno Berardo Reis. Vor zwei<br />

Jahren endete sein Job bei einer Tiefkühlfirma,<br />

nun sinkt sein Arbeitslosengeld<br />

von 950 auf 450 Euro. Genauso<br />

viel bekommt seine arbeitslose Frau<br />

Mitgliedstaaten der Euro-Zone einzufordern,<br />

etwa in Form einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung.<br />

Sein Vorschlag, erstmals vor knapp zwei<br />

Jahren unterbreitet, erhält gerade unerwarteten<br />

Auftrieb. Die italienische Regierung,<br />

die noch bis zum Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft<br />

innehat, treibt das Projekt<br />

ebenso voran wie der scheidende Sozialkommissar<br />

Lászlo Andor. Letzterer erklärte<br />

die Einheitskasse für Jobsucher in der Euro-Zone<br />

gar zu „einer der wichtigsten Prioritäten<br />

der nächsten EU-Kommission“<br />

(siehe WirtschaftsWoche 33/2014). Seinem<br />

Nachfolger hinterlässt er umfangreiche<br />

Vorarbeiten. Es ist unwahrscheinlich, dass<br />

ihm ein Liberaler folgt, der die Konzepte in<br />

der Schublade lässt. Traditionell geht der<br />

Posten an Politiker der Linken.<br />

Das weckt in Deutschland Sorgen – und<br />

eine breite Abwehrphalanx. Denn Europas<br />

bisherige Wirtschaftslokomotive müsste<br />

Milliarden von Euro mobilisieren, um die Arbeitslosen<br />

der Nachbarländer mitzuschleppen.<br />

Es droht die Transferunion über ein Nebengleis,<br />

während Berlin noch versucht, eine<br />

automatische Solidarität über die Hauptstrecke<br />

der Fiskalunion zu verhindern.<br />

Vor zwei Jahren war es Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel noch gelungen, eine Debatte<br />

über die gemeinsame Arbeitslosenversicherung<br />

zu ersticken. Nun ist die Gefahr<br />

wesentlich größer, dass es mittelfristig zu<br />

einer Transferunion kommt. Seit bei der<br />

FOTO: THOMAS MEYER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

26 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Europawahl Ende März Populisten deutliche<br />

Zuwächse erzielten, wird der Ruf nach<br />

einem sozialen Europa lauter. „Die soziale<br />

Fairness kam zu kurz“, sagt etwa der künftige<br />

Präsident der EU-Kommission Jean-<br />

Claude Juncker. Er verspricht, in seiner<br />

Amtszeit „die soziale Dimension Europas<br />

nie aus den Augen zu verlieren“.<br />

Solche Aussagen verleihen jenen Rückenwind,<br />

die mehr Zusammenhalt in Europa<br />

fordern. Solidarität zwischen den Völkern<br />

sei im EU-Vertrag ausdrücklich festgelegt.<br />

„Die Vergemeinschaftung der nationalen<br />

<strong>Ausgabe</strong>n für die Arbeitslosenversicherung<br />

in der Euro-Zone wäre ein starkes<br />

Signal der Integration und der Solidarität“,<br />

heißt es etwa in einem Arbeitspapier des<br />

Pariser Finanzministeriums, in dem die<br />

möglichen Transfers für die Jahre 2000 bis<br />

2012 durchgerechnet werden.<br />

Milliardenschwere Zahlungen zwischen<br />

den Euro-Ländern wären die Folge.<br />

Deutschland hätte in der fraglichen Zeit<br />

20,4 Milliarden Euro in den gemeinsamen<br />

Fonds einzahlen müssen, Frankreich 17,7<br />

Milliarden Euro. Als größter Nutznießer<br />

hätte Spanien 34,5 Milliarden Euro bekommen,<br />

für Griechenland wären es 4,2 Milliarden<br />

Euro gewesen (siehe Tabelle Seite<br />

29). Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung<br />

der Bundesagentur für Arbeit<br />

kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Mit<br />

den in Deutschland aufgebrachten Beiträgen<br />

würden „30 Prozent der gesamten<br />

Leistungen der europäischen Arbeitslosenversicherung<br />

finanziert“.<br />

Großes Gefälle<br />

Höhe des Arbeitslosengeldes in Europa<br />

(in Prozent des Nettoeinkommens der<br />

vergangenen sechs Monate)<br />

Portugal<br />

Luxemburg<br />

Schweden<br />

Griechenland<br />

Frankreich<br />

Belgien<br />

Niederlande<br />

Slowakei<br />

Spanien<br />

Deutschland<br />

Finnland<br />

Schweiz<br />

Italien<br />

Estland<br />

Österreich<br />

Irland<br />

Malta<br />

Quelle: SPIN<br />

0<br />

20 40 60 80 100<br />

Bisher unterscheiden sich die nationalen<br />

Systeme der sozialen Absicherung bei Jobverlust<br />

erheblich. Sie sind historisch gewachsen,<br />

reflektieren nationale Befindlichkeiten.<br />

Manche Länder verzichten nach<br />

wie vor auf einen kräftigen Anreiz, Arbeit<br />

zu suchen. Belgien mit seinen starken Gewerkschaften<br />

beispielsweise gewährt Arbeitslosengeld<br />

ohne jede Befristung. Im<br />

südlichen Landesteil Wallonie sind die<br />

Hälfte der Jobsucher Langzeitarbeitslose,<br />

darunter solche, die seit 20 Jahren Arbeitslosengeld<br />

beziehen. Ganz anders dagegen<br />

Malta und die Slowakei, wo die Stütze nur<br />

sechs Monate fließt. Auch die Sätze variieren<br />

gehörig. Frankreich und Luxemburg etwa<br />

gewähren Arbeitslosen mehr als 70 Prozent<br />

des letzten Lohns oder Gehalts, während<br />

es in Irland nicht einmal 40 Prozent<br />

sind (siehe Grafik).<br />

SOCKEL-SICHERUNG<br />

Sozialkommissar Andor selbst hält es für illusorisch,<br />

die nationalen Systeme stärker<br />

anzugleichen. Stattdessen hat er ein Modell<br />

vorgeschlagen, in dem die europäische<br />

Arbeitslosenversicherung die ersten<br />

sechs Monate lang 40 Prozent des letzten<br />

Gehalts übernimmt, also eine Art Sockel-<br />

Sicherung. Wenn Mitgliedstaaten Betrag<br />

oder Laufzeit aufstocken wollten, stünde<br />

ihnen dies frei – aus eigenen Mitteln. Somit<br />

wäre eine Harmonisierung dieser Variablen<br />

nicht notwendig, argumentiert er.<br />

Doch in der Praxis stellten sich viele Fragen.<br />

Ein Franzose hat schon nach vier Monaten<br />

Einzahlung Anrecht auf Arbeitslosengeld,<br />

Deutsche und Griechen dagegen<br />

erst nach zwölf Monaten. Ohne ähnliche<br />

Mindestanforderungen wäre das System<br />

ungerecht. Einen persönlichen Vorteil hätten<br />

lediglich Arbeitslose in Irland und Malta,<br />

die mehr Unterstützung bekämen als im<br />

bisherigen nationalen System.<br />

Die französische Regierung, die das Projekt<br />

wesentlich vorantreibt, blendet dabei<br />

geflissentlich aus, dass der Vertrag von<br />

Maastricht eine Transferunion ausdrücklich<br />

verbietet. „Den Befürwortern einer europäischen<br />

Arbeitslosenversicherung geht<br />

es nicht darum, dem einzelnen Arbeitslosen<br />

mehr Geld zukommen zu lassen, sondern<br />

es geht ihnen nur darum, woher das<br />

Geld kommt“, warnt Christoph M. Schmidt,<br />

Vorsitzender des Sachverständigenrats zur<br />

Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung (SVR). „Hier soll lediglich ein<br />

neues Transfersystem geschaffen werden.“<br />

Im Rat der fünf Weisen ist man sich in der<br />

Ablehnung der europäischen Einheits-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 27<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

kasse so einig wie selten. „Wenn die Befürworter<br />

nur konjunkturelle Schocks abfedern<br />

wollen, gäbe es bessere Lösungen“,<br />

sagt Peter Bofinger von der Universität<br />

Würzburg, der sonst mit seinen Ratskollegen<br />

gern mal über Kreuz liegt. „Eine europäische<br />

Arbeitslosenversicherung brächte<br />

nur Ärger, weil sie den Vorwurf auslöst: Da<br />

haben wir ja die Transferunion.“ Zudem<br />

lasse sich kaum auseinanderrechnen, welcher<br />

Teil der Arbeitslosigkeit konjunkturell,<br />

welcher strukturell bedingt ist. „Besser ist<br />

es, den Ländern größere Spielräume bei<br />

den Defizitvorgaben einzuräumen, wie es<br />

der Maastricht-Vertrag ja tut.“<br />

VORSTOSS OHNE KOMPETENZ<br />

Die Politik hält sich bei der Bewertung der<br />

Brüsseler Pläne noch weitgehend zurück.<br />

„Gegen die Idee der Einführung einer europäischen<br />

Arbeitslosenversicherung bestehen<br />

in der Bundesregierung Bedenken“,<br />

heißt es in einer Stellungnahme des Bundesarbeitsministeriums.<br />

Zur Einführung<br />

wären eine Harmonisierung der nationalen<br />

Arbeitslosenversicherungen, deren Verzahnung<br />

mit anderen sozialen Sicherungssystemen<br />

und der aktiven Arbeitsmarkpolitik<br />

sowie Harmonisierungen im Arbeitsrecht,<br />

zum Beispiel beim Kündigungsschutz,<br />

zwingend notwendig. Da bereits die Definition<br />

des Versicherungsfalles Arbeitslosigkeit<br />

innerhalb der EU auseinandergehe und<br />

auch die Finanzierung (über Steuern oder<br />

über Beiträge) unterschiedlich gestaltet sei,<br />

„sind die notwendigen Voraussetzungen für<br />

ein solches System nicht gegeben“.<br />

Rechtlich schwerer wiegt: Die EU-Länder<br />

müssten die Verträge ändern. „Für die<br />

Arbeitslosenversicherung sind die Mitgliedstaaten<br />

zuständig“, betont Bayerns Sozialministerin<br />

Emilia Müller (CSU). „Die<br />

EU hat hierbei keinerlei Kompetenz.“<br />

Wichtiger als „neue Umverteilungsinstrumente“<br />

sei, „dass gerade die Länder mit<br />

hoher Arbeitslosigkeit entschlossen Reformen<br />

angehen, damit Wachstum und Beschäftigung<br />

entstehen“.<br />

GRIECHENLAND<br />

Von 10 000 auf 450 Euro<br />

Der letzte Arbeitstag fällt Achilleas<br />

Giraud, 50, schwer – auch wenn’s nur<br />

ein Hilfsjob im Stadtpark von Kifissia bei<br />

Athen ist. Als Manager einer Lebensmittelfirma<br />

verdiente er einst 10 000 Euro.<br />

Künftiges Arbeitslosengeld: 450 Euro<br />

Zudem stellt sich die Frage, wer in den<br />

Euro-Ländern das gemeinsame Arbeitslosengeld<br />

verwaltet. Eine neue Behörde,<br />

die mit großem Aufwand aus dem Boden<br />

gestampft werden müsste? Oder doch die<br />

nationalen Ämter, bei denen die Gefahr besteht,<br />

dass sie Regeln doch wieder unterschiedlich<br />

auslegen und im Zweifel das<br />

Beste für ihre eigene Klientel herausholen.<br />

Zudem warnt der Wirtschaftsweise Lars<br />

Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts<br />

in Freiburg: Wie die Zusammenarbeit nationaler<br />

Behörden „vor dem Hintergrund<br />

des Datenschutzes ohne neue Ausweichund<br />

Betrugstatbestände gehen soll, ist<br />

mir ein Rätsel. Organisatorisch ist dies ein<br />

Albtraum.“<br />

Völlig offen ist auch, wie neben je 18 Finanz-<br />

und Arbeitsministern, die alle ein<br />

Wörtchen mitreden wollten, die Tarifpartner<br />

in das Projekt eingebunden würden.<br />

Die deutschen jedenfalls sind in ungewohnter<br />

einträchtiger Ablehnung vereint.<br />

„Wir haben große Zweifel, ob die Vorschläge<br />

von EU-Kommissar Andor der richtige<br />

Weg sind“, bremst DGB-Vorstandsmitglied<br />

Annelie Buntenbach, auch stellvertretende<br />

Vorsitzende des Verwaltungsrates der Bundesagentur<br />

für Arbeit. „Sozial- und verteilungspolitisch<br />

jedenfalls wäre es falsch, die<br />

FOTO: NIKOS PILOS<br />

28 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Lasten der bisherigen Krisenpolitik einseitig<br />

auf die Beitragszahler der nationalen<br />

Arbeitslosenversicherung abzuwälzen und<br />

damit kleine und mittlere Arbeitseinkommen<br />

in besonderer Weise zu belasten.“ Die<br />

deutsche Arbeitslosenversicherung sei<br />

schon derzeit nicht in der Lage, ausreichende<br />

Rücklagen aufzubauen, „um bei<br />

uns eventuell drohende Wirtschaftseinbrüche<br />

ausreichend abfedern und die<br />

Konjunktur stabilisieren zu können“.<br />

MEHR GELD INS GEBEUTELTE LAND<br />

Jedes Land brauche seine eigene Arbeitslosenversicherung,<br />

die auf seine Probleme<br />

zugeschnitten sei, bringt Arbeitgeberpräsident<br />

Ingo Kramer zur Unterstützung der<br />

DGB-Frau Buntenbach prompt vor. „Eine<br />

Einheitslösung hilft niemandem. Man<br />

kann nicht von einem Land verlangen,<br />

dass es die Leistungen für andere Länder<br />

finanziert.“ Dies gehe schon gar nicht,<br />

wenn der Geldgeber keinerlei Einfluss auf<br />

die Gestaltung des Arbeitsmarktes habe.<br />

„Es besteht die Gefahr, dass Deutschland<br />

zum Zahlmeister degradiert wird.“ Kramer<br />

kann sich nicht vorstellen, „wie die europäischen<br />

Sozialversicherungssysteme auf<br />

einen Nenner gebracht werden könnten“.<br />

Und er hofft, die künftige EU-Kommission<br />

werde diese Vorschläge vielleicht gar nicht<br />

aufgreifen.<br />

Die Befürworter der gemeinsamen Arbeitslosenversicherung<br />

halten den Aufwand<br />

für berechtigt, sehen sie doch in dem<br />

Konzept einen der „automatischen Stabilisatoren“.<br />

Die Ökonomen Sebastian Dullien<br />

und Ferdinand Fichtner <strong>vom</strong> Deutschen<br />

Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in<br />

Berlin sprechen von einem „stabilisierenden<br />

Element“ für die Euro-Zone, das die<br />

Konjunkturzyklen in Gleichklang bringen<br />

würde. Ihr Argument:Schwächelt die Konjunktur<br />

in einem Land, würden dessen<br />

Einzahlungen in den gemeinsamen europäischen<br />

Topf automatisch fallen, weil weniger<br />

Menschen beschäftigt sind. Gleichzeitig<br />

steigen die Auszahlungen, weil mehr<br />

Menschen Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />

haben. Das System brächte also mehr Geld<br />

in das gebeutelte Land – faktisch also eine<br />

klare, von den Erfindern gewünschte Umverteilung.<br />

Doch inwieweit der erhoffte Stabilisierungseffekt<br />

eintritt, hängt von vielen Faktoren<br />

ab. Etwa von der Größe des Systems.<br />

Andors Modell hätte geschätzt ein Volumen<br />

von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts,<br />

derzeit also 96 Milliarden Euro.<br />

Doch in den Krisenländern käme daraus<br />

voraussichtlich zu wenig an, um die Konjunktur<br />

zu stützen. Der Teufel liegt ohnehin<br />

im Detail, denn jede Variable – wie etwa<br />

die Bezugsdauer – beeinflusst den Effekt.<br />

„Die Stabilisierungswirkung der Arbeitslosenversicherung<br />

könnte sehr gering<br />

ausfallen, wenn sie schlecht entworfen ist“,<br />

argumentiert Guntram Wolff, Direktor des<br />

Brüsseler Thinktanks Bruegel. Er weist darauf<br />

hin, dass es interessantere Alternativen<br />

gibt, um starke Ausschläge der Konjunktur<br />

zu vermeiden: „Andere Stabilisierungsmechanismen<br />

wie Arbeitskräftemobilität<br />

und die Integration der Finanzmärkte<br />

sind derzeit unterentwickelt, gemessen<br />

an einer optimalen Währungsunion.“ Und<br />

in einer katastrophalen Rezession sei ein<br />

Investitionsprogramm der einfachere Weg<br />

zu einer Stabilisierung.<br />

Größte Schwachstelle des Konzepts sind<br />

jedoch die völlig falschen Anreize, die es<br />

setzt. Wenn Länder die Kosten der Arbeitslosigkeit<br />

nicht mehr alleine tragen müssen,<br />

sinkt der Anreiz, den heimischen Arbeitsmarkt<br />

zu reformieren. Dass Sozialkommissar<br />

Andor betont, sein Modell sei ohne<br />

Harmonisierung möglich, deutet darauf<br />

hin, wie wenig ein Umbau der nationalen<br />

Arbeitsmärkte geplant ist. Damit bliebe<br />

auch die Behauptung Illusion, langfristig<br />

Belgien zahlt immer weiter<br />

Leistungen der Arbeitslosenversicherung<br />

in Europa 1<br />

Land<br />

Belgien<br />

Portugal<br />

Frankreich<br />

Spanien<br />

Finnland<br />

Niederlande<br />

Deutschland<br />

Griechenland<br />

Irland<br />

Luxemburg<br />

Italien<br />

Österreich<br />

Maximale<br />

Bezugsdauer<br />

2<br />

unbegrenzt<br />

27,6<br />

24<br />

23,7<br />

23<br />

22<br />

12<br />

12<br />

12<br />

12<br />

8<br />

9<br />

Anspruch<br />

auf Leistung<br />

nach<br />

Monaten/<br />

im Lauf der<br />

letzen<br />

Monate<br />

12/18<br />

12/24<br />

4/28<br />

12/72<br />

8/ 28<br />

6/8<br />

12/24<br />

12/36<br />

6/24<br />

6/12<br />

12/24<br />

12/24<br />

Transfersaldo<br />

einer EU-<br />

Arbeitslosen<br />

versicherung<br />

2000–2012 3<br />

0,2<br />

3,9<br />

–17,7<br />

34,5<br />

–6,0<br />

2,6<br />

–20,4<br />

4,2<br />

2,0<br />

0,1<br />

–5,1<br />

–2,4<br />

1 ausgewählte Länder; 2 in Monaten; 3 in Milliarden Euro;<br />

Quelle: MISSOC, Social Policy Indicator Database<br />

(SPIN), Französisches Finanzministerium<br />

würde kein Land zum Dauerzahler, weil<br />

immer mal der eine, mal der andere Staat<br />

Probleme hätte.<br />

„Nur im Sandkastenmodell gleichen sich<br />

die Belastungen langfristig aus“, warnt der<br />

Chef-Wirtschaftsweise Schmidt. Doch dafür<br />

müssten sich alle nach Kräften um die<br />

eigene Leistungsfähigkeit bemühen.<br />

„Wenn sich die Kosten der Arbeitslosigkeit<br />

aber auf die Nachbarländer abwälzen lassen,<br />

sinkt der Anreiz zu entsprechenden<br />

Reformen beträchtlich. Wer wie Frankreich<br />

einen hohen Mindestlohn hat und den<br />

auch noch subventioniert, der soll nicht<br />

andere dafür zahlen lassen.“<br />

BESSERE MÖGLICHKEITEN<br />

Wenig überraschend, dass die Kritiker den<br />

Mitgliedstaaten andere Rezepte offerieren.<br />

„Um Schocks abzufedern, die die einzelnen<br />

Länder ungleich treffen, gibt es bessere<br />

Möglichkeiten als eine solche Einheitsversicherung“,<br />

sagt Regierungsberater<br />

Schmidt. „Ein flexibler Arbeitsmarkt, ein<br />

offener Binnenmarkt für Menschen und<br />

Kapital sowie die Bankenunion wirken<br />

besser und schaffen keine falschen Anreize.“<br />

Auch sein SVR-Kollege Feld setzt auf<br />

die bisherigen Vertragsgrundlagen: „Halten<br />

die Mitgliedstaaten ihr Pulver trocken,<br />

halten den Maastricht-Vertrag ein und liegen<br />

also unter 60 Prozent Schuldenquote,<br />

dann können sie in Eigenverantwortung<br />

ihre automatischen Stabilisatoren vernünftig<br />

zur Bekämpfung asymmetrischer<br />

Schocks ausstatten.“ Zudem sorge die Bankenunion<br />

dafür, dass schwere Finanzkrisen<br />

mit europäischer Unterstützung bewältigt<br />

werden. „Die Befürworter der europäischen<br />

Arbeitslosenversicherung haben<br />

nirgends schlüssig klargemacht, warum<br />

man dieses Instrument über den ESM und<br />

die Bankenunion hinaus braucht.“<br />

EU-Sozialkommissar Andor hält gleichwohl<br />

die europäische Arbeitslosenversicherung<br />

für besser als Euro-Bonds und<br />

auch für „die bessere Alternative, verglichen<br />

mit der Option, einzelnen Mitgliedstaaten<br />

mehr Spielraum in der Fiskalpolitik<br />

zu geben“.<br />

Der Wirtschaftsweise Schmidt hält strikt<br />

dagegen: „Wir haben in der Finanz- und<br />

Währungskrise gesehen: Wenn Entscheidung<br />

und Haftung nicht auf derselben<br />

Ebene liegen, kommt es immer wieder zu<br />

Fehlentwicklungen. In einer europäischen<br />

Arbeitslosenversicherung wäre wohl kaum<br />

zu vermeiden, dass es zu dauerhaften<br />

Transfers kommt.“<br />

n<br />

silke.wettach@wiwo.de| Brüssel, henning krumrey | Berlin<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 29<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Dem Ziel so nah<br />

SCHOTTLAND | Der Countdown läuft: In einem Monat stimmen die Schotten über die<br />

Unabhängigkeit von Großbritannien ab. Die Ja-Kampagne hofft, die Wirtschaft bangt.<br />

Keep calm and carry on – die Durchhalteparole<br />

aus dem Zweiten Weltkrieg<br />

erfreut sich in Großbritannien<br />

auch heute noch großer Popularität. Sie<br />

prangt auf Kaffeebechern, T-Shirts, Postkarten.<br />

Auch politisch ist der Slogan derzeit<br />

wieder brandaktuell. Zwar droht dem<br />

Vereinigten Königreich kein Angriff von<br />

außen, dafür aber Gefahr von innen.<br />

Zum Beispiel von ihm: Colin Pyle, 33<br />

Jahre, geboren in Kirkcaldy. Seit 17 Jahren<br />

schon kämpft er für die Unabhängigkeit<br />

Mit fliegender Fahne Colin Pyle kämpft für<br />

die Unabhängigkeit seiner Heimat<br />

Schottlands. Ihn treibt – wie viele schottische<br />

Patrioten – eine tiefsitzende Abneigung<br />

gegen das politische Establishment in<br />

London. Endlich ist es so weit. Am 18. September<br />

stimmen die Schotten über ihre<br />

Unabhängigkeit ab. Eine Mehrheit für die<br />

Nationalisten würde das unwiderrufliche<br />

Ende der 307-jährigen Union mit Großbritannien<br />

bedeuten.<br />

Pyles Sieg wäre für Königin Elizabeth II.<br />

ein schmerzlicher Verlust. Die 88-jährige<br />

Monarchin regiert seit 62 Jahren, befindet<br />

sich auf dem Höhepunkt ihrer Popularität,<br />

hat in ihrer Amtszeit zwölf Premierminister<br />

ernannt. Doch während ihre berühmte<br />

Vorgängerin Victoria noch ein Weltreich<br />

regierte, in dem die Sonne niemals unterging<br />

und das am Ende des 19. Jahrhunderts<br />

ein Drittel der Weltbevölkerung und ein<br />

Fünftel der Erde umfasste, musste das<br />

Großbritannien unter Elizabeth II. den Ver-<br />

FOTO: BRENDAN MCNEILL FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

30 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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lust seiner Kolonien verkraften, den Übergang<br />

<strong>vom</strong> Empire zum Commonwealth<br />

erdulden, den Wandel seiner anglikanisch<br />

geprägten Gesellschaft zu einer multikulturellen<br />

Nation mit einer Vielzahl von<br />

Religionen ertragen. Nach einem Ja der<br />

Schotten würde von ihrem einst stolzen<br />

Königreich nicht mehr übrig bleiben als<br />

ein zersplittertes, politisch und wirtschaftlich<br />

geschwächtes Land.<br />

GLASGOW, 136 HOPE STREET<br />

In der Straße der Hoffnung, nur fünf Minuten<br />

<strong>vom</strong> Hauptbahnhof Glasgow entfernt,<br />

residiert die überparteiliche „Yes Scotland“-Kampagne.<br />

Den Eingang zieren aufmunternde<br />

Sprüche: „Sogar die Nein-Sager<br />

geben zu: Natürlich kann Schottland<br />

unabhängig werden!“<br />

»Wer Großbritannien<br />

verlässt,<br />

verlässt auch<br />

das Pfund«<br />

George Osborne, britischer Finanzminister<br />

die sich an den Interessen der englischen<br />

Mittelklasse orientiert“.<br />

„Australien, Kanada, eine ganze Reihe<br />

anderer Staaten und sogar die amerikanischen<br />

Kolonien haben sich von Großbritannien<br />

losgesagt, da ist Schottland nur<br />

das letzte Glied in einer langen Reihe. Für<br />

ren Investitionen, mehr Jobs und zu einem<br />

besseren Lebensstandard führen.<br />

Konkret werde eine künftige schottische<br />

Regierung die Körperschaftsteuer um drei<br />

Prozentpunkte unter das Niveau von Großbritannien<br />

senken und die Steuer für Flugreisende<br />

um 50 Prozent kürzen, um so den<br />

Tourismus anzukurbeln, sagt Pyle. Seinen<br />

rhetorischen Schliff und sein selbstsicheres<br />

Auftreten hat er in der PR-Abteilung der<br />

Royal Bank of Scotland (RBS) und als Berater<br />

von Alex Salmond, dem „First Minister“<br />

(Ministerpräsident) von Schottland und<br />

SNP-Chef, gelernt. Jetzt sucht der schottische<br />

Nationalist vor allem den Dialog mit<br />

den Unternehmen, um sie von den Vorteilen<br />

der Unabhängigkeit zu überzeugen.<br />

Doch hier herrscht große Skepsis. Sollte es<br />

künftig Grenzen und Zölle zwischen Schott-<br />

In einem kargen Konferenzraum treffen<br />

wir Pyle. Schon mit 16 war er der Scottish<br />

National Party (SNP) beigetreten. „Damals<br />

tobte die Debatte über die Einrichtung eines<br />

schottischen Regionalparlaments“, erinnert<br />

sich der 33-Jährige. „Wir glaubten,<br />

nur die SNP könne sicherstellen, dass dieses<br />

Gremium mehr als ein Pfarrgemeinderat<br />

wird.“ Sein Schlüsselerlebnis aber war<br />

die Einführung von Studiengebühren<br />

durch den damaligen Labour-Premier Tony<br />

Blair: „Für die Mehrheit der Schotten<br />

und jemanden wie mich, der fest an das<br />

Prinzip einer kostenlosen Bildung für alle<br />

glaubt, war das Verrat.“ Egal, welche Partei<br />

in London regiert, so Pyle, „wird uns hier in<br />

Schottland immer eine Politik aufgezwungen,<br />

für die wir nicht gestimmt haben und<br />

mich ist es großartig, Teil einer historischen<br />

Entscheidung zu sein“, sagt Pyle.<br />

Er hat für jedes Argument der „Better<br />

Together“-Kampagne, die mit düsteren<br />

Szenarien vor der Sezession warnt, eine<br />

passende Antwort.<br />

Ein unabhängiges Schottland sei ökonomisch<br />

stark genug, um alleine zu überleben.<br />

Das Pfund Sterling, kontrolliert von<br />

der Bank of England (BoE), wolle Schottland<br />

behalten und auch weiterhin Mitglied<br />

der EU und der Nato bleiben. Wer das Gegenteil<br />

behaupte, betreibe lediglich eine<br />

Einschüchterungskampagne. Pyle ist überzeugt:<br />

Wenn das mit Öl und erneuerbaren<br />

Energien gesegnete Schottland endlich seine<br />

eigenen Steuern festlegen, eintreiben<br />

und ausgeben könne, werde dies zu höheland<br />

und England geben, wäre dies für den<br />

bilateralen Handel verheerend, sagt Robert<br />

Wood, UK-Chefvolkswirt bei der Berenberg<br />

Bank. „Wir verkaufen mehr schottische Produkte<br />

nach England als in die restliche Welt,<br />

und bisher wissen wir nicht einmal, ob wir<br />

künftig eine gemeinsame Währung haben<br />

werden“, sagt der Labour-Politiker und Ex-<br />

Finanzminister Alistair Darling, Leiter der<br />

„Better Together“-Kampagne. Dass ein abtrünniges<br />

Schottland das Pfund behalten<br />

könne, stößt im Süden des Landes auf geballten<br />

Widerstand: „Wer Großbritannien<br />

verlässt, verlässt auch das Pfund“, polterte<br />

Finanzminister George Osborne und wird<br />

hierbei von der Labour-Partei und Notenbankchef<br />

Mark Carney unterstützt. Reiner<br />

Bluff sei dies, kontert Pyle.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 31<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Jeder blickt in<br />

seine Richtung<br />

Briten-Premier Cameron,<br />

Schottlands Erster<br />

Minister Salmond<br />

von der Universität von Aberdeen, einer<br />

der angesehensten Ölexperten, schätzt die<br />

Ölreserven in der Nordsee auf 11,7 bis 35,2<br />

Milliarden Barrel – aus der Erde gepumpt<br />

wurden dort seit den Siebzigerjahren mehr<br />

als 40 Milliarden Barrel.<br />

In den Umfragen liegen die Befürworter<br />

der Union mit England zwar bisher konstant<br />

vorne, doch ihr Anteil schwankt. Zuletzt<br />

waren es rund 45 Prozent. Rund 13<br />

Prozent der Wähler waren Anfang August<br />

noch unentschieden, sie sind hart umkämpft.<br />

Viele von ihnen leben in den ärmeren<br />

Stadtvierteln im Osten Glasgows.<br />

»<br />

Edinburgh ist nach London das zweitgrößte<br />

Finanzzentrum Großbritanniens<br />

und traditionell eine Hochburg für das<br />

Asset-Management, Pensionsfonds und<br />

Lebensversicherungen. Welche Währung,<br />

welches Steuersystem und welche Finanzaufsicht<br />

es dort geben wird, ist eine entscheidende<br />

Frage. Und: Wie steht es mit<br />

dem EU-Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen?<br />

Eine eigene schottische Aufsicht<br />

wäre den Finanzdienstleistern dort<br />

ein Graus – sie sorgen sich vor neuen<br />

Regeln und höheren Kosten.<br />

Schon plant der Versicherungskonzern<br />

Standard Life aus Edinburgh, dessen Kunden<br />

zu 90 Prozent außerhalb Schottlands<br />

leben, im Falle einer Abspaltung Teile des<br />

Geschäfts nach Süden zu verlegen. „Es<br />

wird immer klarer, dass unsere Kunden<br />

sich Sorgen machen, was im Falle der<br />

schottischen Unabhängigkeit mit ihren<br />

Ersparnissen passiert“, sagt Katherine Garrett-Cox,<br />

Chefin von Alliance Trust und<br />

Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank,<br />

deren Fondsgesellschaft in Dundee zehn<br />

Milliarden Pfund verwaltet.<br />

Die Ratingagentur Standard & Poor’s<br />

hält den schottischen Bankensektor ohnehin<br />

für viel zu groß, als dass eine kleine, auf<br />

sich gestellte Volkswirtschaft die Risiken<br />

alleine tragen könnte. Deshalb drängen<br />

Banken wie die RBS und die Lloyds Bank<br />

darauf, die BoE als Notfall-Kreditgeber zu<br />

behalten.<br />

Sollten die Schotten sich aber tatsächlich<br />

aus der Union verabschieden, hätte das<br />

auch für die Ölindustrie Konsequenzen.<br />

Die Produktion des Nordsee-Öls trägt rund<br />

zwei Prozent zum britischen Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) bei, umgelegt auf ein<br />

unabhängiges Schottland, wären es knapp<br />

20 Prozent des dortigen BIPs.<br />

Die meisten Experten gehen davon aus,<br />

dass Schottland rund 90 Prozent der britischen<br />

Ölreserven in der Nordsee zugeteilt<br />

werden, doch niemand weiß genau, wie<br />

viel noch übrig ist. Professor Alex Kemp<br />

Erhoffter Quell des Reichtums Ölplattform<br />

in der Nordsee vor Schottland<br />

UNHEILIGE ALLIANZ<br />

In dieser Gegend ist Mary McCabe, eine<br />

Veteranin der Unabhängigkeitsbewegung,<br />

aktiv. Abends klappert sie mit dem Wählerregister<br />

in der Hand Häuser und Wohnungen<br />

ab, verteilt Faltblätter der Yes-Kampagne<br />

und befragt die Bürger nach ihren<br />

Wahlabsichten. Oft steht sie vor verschlossener<br />

Tür. Aber ihre gute Laune verliert die<br />

enthusiastische Schottin nie. Ebenso unerschütterlich<br />

ist ihr Glaube, dass die Regierung<br />

im Süden in einer unheiligen Allianz<br />

mit den englischen Medien eine Autonomie<br />

Schottlands schon seit Jahrzehnten mit<br />

unsauberen Mitteln verhindert hat. „Was<br />

wir nicht schon alles gehört haben: dass ein<br />

unabhängiges Schottland so arm wäre wie<br />

Bangladesch!“, empört sie sich. Dabei ergab<br />

der McCrone Report von 1974, dass Schottland<br />

wegen seines Ölreichtums nicht nur<br />

autark, sondern sogar reich wie die Schweiz<br />

werden könnte.<br />

Ein Sieg des Ja-Lagers im September ist<br />

nicht unmöglich, vor allem wenn der charismatische<br />

Volkstribun Salmond in den<br />

letzten Wochen alle Register zieht. „Bei den<br />

Wahlen zum Regionalparlament 2011 lag<br />

er in den Umfragen hinten, holte dann<br />

aber beim Endspurt doch noch die Mehrheit“,<br />

warnt Alistair Carmichael, Schottland-Minister<br />

in London, der auf einer Hebriden-Insel<br />

geboren ist.<br />

Was Königin Elizabeth II. über all das<br />

denkt, ist nicht bekannt. Wie jedes Jahr<br />

weilt sie den Sommer über auf Schloss Balmoral<br />

im Osten Schottlands. Ihre Ratschläge<br />

an den jeweiligen Premierminister, den<br />

sie in den Sitzungswochen des Parlaments<br />

traditionell einmal in der Woche zu einem<br />

vertraulichen Gespräch empfängt, unterliegen<br />

strikter Geheimhaltung. „Keep calm<br />

and carry on“ ist jedoch ein Motto, mit dem<br />

sie seit mehr als sechs Jahrzehnten schon<br />

einige Krisen gemeistert hat. Diese auch? n<br />

yvonne.esterhazy@wiwo.de | London<br />

FOTOS: LAIF/POLARIS/MURDO MACLEOD, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

32 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: JOHANN SEBASTIAN KOPP, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE (2)<br />

SHANGHAI |<br />

Gesundes Essen will<br />

gekocht sein – nur<br />

was ist, wenn die<br />

Köche streiken? Von<br />

Philipp Mattheis<br />

Wenn die<br />

Suppe kribbelt<br />

Das Restaurant Yi Zhang<br />

Hong in Shanghai ist<br />

nicht nur wegen seiner<br />

scharfen Nudelsuppen<br />

bei Ausländern und jungen<br />

Chinesen gleichermaßen<br />

beliebt. Rustikales Ambiente, traditionelle<br />

chinesische Musik – das trifft<br />

den Zeitgeist: Chinesen, die den Sprung<br />

in die neue Mittelschicht geschafft haben,<br />

finden hier auch ein Stück der <strong>vom</strong><br />

Boom verschütteten Vergangenheit,<br />

von Wolkenkratzern und Shoppingmalls<br />

genervte Ausländer erfreuen sich an<br />

chinesischer Ursprünglichkeit.<br />

Dazu passt der Anspruch der<br />

Besitzerin, im Yi Zhang Hong auf den Geschmacksverstärker<br />

Glutamat zu verzichten.<br />

Die Zutat steht im Verdacht, das<br />

China-Restaurant-Syndrom auszulösen,<br />

eine Allergie, die sich in Form von Kribbeln,<br />

Jucken oder sogar kurzzeitiger Gesichtstaubheit<br />

äußert. Nach Weltkrieg,<br />

Hungersnot und Kulturrevolution hatten<br />

sich die Chinesen noch herzlich wenig um<br />

die Chemie ihrer Suppen gekümmert.<br />

Oberste Priorität war es, 1,3 Milliarden<br />

Menschen irgendwie satt zu bekommen.<br />

Aber die Zeiten haben sich geändert:<br />

Viele Chinesen werden zwar immer dicker,<br />

andere aber legen inzwischen viel<br />

Wert auf gesunde Kost – und der Luxus<br />

eines glutamatfreien Essens ist erschwinglich<br />

geworden.<br />

Nur bei den Köchen ist der neue Trend<br />

noch nicht angekommen. Im vergangenen<br />

Jahr musste sie zehn Küchenkräfte<br />

entlassen, erzählt die Besitzerin. Weil sie<br />

nicht wussten, wie sie die Gerichte ohne<br />

das Allround-Gewürzmittel zubereiten<br />

sollten, hatten sie heimlich Glutamat in<br />

die Küche geschmuggelt.<br />

Philipp Mattheis ist Korrespondent<br />

der WirtschaftsWoche in Shanghai.<br />

BERLIN INTERN | Eine Gruppe Bundestagsabgeordneter<br />

sucht flexiblere Wege in die Rente. Das muss<br />

nichts Schlechtes bedeuten. Von Max Haerder<br />

60, 67, 70<br />

Wer länger jobbt, ist später alt CDU-Linnemann<br />

will freie Wahl des Renteneintritts<br />

In der SPD nennen manche sie die<br />

„Linnemann-Kommission“. Das ist ein<br />

kleines bisschen spöttisch gemeint,<br />

aber der Namensgeber darf diese<br />

Titulierung trotzdem als Anerkennung verbuchen.<br />

Eigentlich heißt die Arbeitsgruppe<br />

nämlich deutlich bürokratischer „Flexible<br />

Übergänge in den Ruhestand“. Aber die<br />

Existenz dieses Gremiums ist eben nicht<br />

zuletzt Carsten Linnemann zu verdanken.<br />

Der Bundestagsabgeordnete und Chef<br />

der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT kritisierte<br />

und nörgelte so lange am schwarz-roten<br />

Rentenpaket herum, bis Sozialministerin<br />

Andrea Nahles (SPD) sich zu einem<br />

Geschäft hinreißen ließ: Der Wirtschaftsflügel<br />

der Union übte Milde bei der Abstimmung<br />

im Bundestag, dafür denkt nun ein eigens<br />

berufener Parlamentarier-Zirkel über<br />

Mittel und Wege nach, die Deutschen mit<br />

einem späteren Ruhestand zu versöhnen.<br />

Geplant war das nicht, zumindest nicht<br />

so plötzlich (der Koalitionsvertrag enthält<br />

nur versteckt ein paar Merk-Sätze für längeres<br />

Arbeiten). Was man schon daran erkennt,<br />

dass sich die abschlagfreie Rente ab<br />

63 als ein Teil des Rentenpakets und der<br />

Geist der neuen Kommission widersprechen<br />

– um es vorsichtig zu sagen. Aber wer<br />

Widerspruchsfreiheit sucht, sollte nicht in<br />

die Politik gehen.<br />

14 Parlamentarier von Union und SPD<br />

sind aufgerufen, bis Jahresende möglichst<br />

konkrete Vorschläge zu präsentieren.<br />

Nahles’ Staatssekretär Jörg Asmussen sitzt<br />

außerdem mit am Tisch, ebenso Vertreter<br />

von Bundeskanzleramt und Bundesfinanzministerium.<br />

Die Fraktionsexperten haben<br />

ausführliche Fragenkataloge an das Sozialministerium<br />

geschickt, der CDU-Arbeitnehmerflügel<br />

ein Positionspapier vorgelegt.<br />

Nach der Sommerpause startet die Arbeit<br />

im Detail.<br />

„Wir müssen das Potenzial der Älteren<br />

auf dem Arbeitsmarkt heben, und das merklich“,<br />

gibt Linnemann die Richtung vor.<br />

„Denkverbote darf es da nicht geben.“ Auch<br />

der SPD-Rentenexperte Martin Rosemann<br />

sagt: „Das Rentenpaket war wichtig. Aber<br />

eine neue Frühverrentungsdebatte wäre ein<br />

falsches Signal.“ Das klingt nach Konsens,<br />

dennoch beziffert ein Mitglied der Arbeitsgruppe<br />

die Chance auf konkrete Ergebnisse<br />

auf gerade mal „fifty-fifty“. Das Streitpotenzial<br />

beim Thema Ruhestand ist einfach höher<br />

als üblich, außerdem dürfen mögliche<br />

Reformvorschläge entweder nichts kosten<br />

oder müssen an anderer Stelle bei der Rente<br />

gegenfinanziert werden.<br />

Einige Stellschrauben werden sich die<br />

Abgeordneten genau ansehen: „Als ich erfuhr,<br />

dass nur rund 20 Prozent der Neurentner<br />

vor ihrem regulären Ruhestand sozialversicherungspflichtig<br />

beschäftigt waren,<br />

war ich schockiert“, berichtet SPD-Vertreter<br />

Rosemann. Jenseits des offiziellen Renteneintrittsalters<br />

arbeitet in Deutschland nicht<br />

einmal mehr jeder elfte. Im internationalen<br />

Vergleich ein ziemlich schlechter Wert.<br />

Eine verbesserte Teilrente – bei der man<br />

etwa frühzeitig eine halbe Rente bekommt<br />

und eine halbe Stelle behält – könnte helfen,<br />

Ältere länger an ihrem Arbeitsplatz zu<br />

halten. Bislang ist dieses Modell zu kompliziert<br />

und unattraktiv. Überhaupt soll es<br />

leichter werden, neben der Rente Geld zu<br />

verdienen. Das Ziel: Mehr Ältere bis oder<br />

eben über die Regelaltersgrenze hinaus in<br />

regulären Jobs halten.<br />

Arbeitnehmer mit Torschlusspanik hätte<br />

die große Koalition jedenfalls auf ihrer Seite,<br />

glaubt man einer Umfrage im Auftrag<br />

des Bundesverbandes deutscher Banken.<br />

54 Prozent der über 60-Jährigen würden<br />

gerne länger als bis zum 65. Geburtstag im<br />

Job bleiben – oder hätten es gerne getan.<br />

Also, Berlin, an die Arbeit!<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 33<br />

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Der Volkswirt<br />

ÖKONOMIE<br />

Der Inselgeist<br />

Die Lindauer Nobelpreisträgertagung ist <strong>vom</strong> Altherrentreff zum internationalen<br />

Wissenschaftsevent gewachsen. Dahinter steckt ein geschäftstüchtiger Spross der<br />

schwedischen Königsfamilie.<br />

Stolz mit Hut Gräfin Bettina Bernadotte im Kreis der Nobelpreisträger<br />

Ihren ersten Nobelpreisträger<br />

hat Gräfin Bettina Bernadotte<br />

im Alter von fünf Jahren zu<br />

Gesicht bekommen. Er hatte<br />

einen Plastikschlauch im Mund<br />

und ruinierte die Tischdekoration<br />

beim Galadinner. Der<br />

Physiker wollte Bettina und<br />

ihren Geschwistern das Prinzip<br />

der kommunizierenden Röhren<br />

demonstrieren, also hatte<br />

er sich ein paar Weingläser<br />

geschnappt und zog die mitgebrachten<br />

Schläuche aus den<br />

Sakkotaschen. Als die Kinder<br />

das Prinzip verstanden hatten,<br />

strahlte der Physiker, das durchnässte<br />

Tischtuch und die verdutzten<br />

Blicke der versammelten<br />

Honoratioren interessierten<br />

ihn nicht. „Solche Erlebnisse<br />

machen für mich den Geist von<br />

Lindau aus“, sagt die Gräfin<br />

heute, 35 Jahre später.<br />

Dieser Geist von Lindau ist<br />

es, dessentwegen jeden Sommer<br />

mehrere Dutzend Nobel-<br />

Ist Lindau<br />

bald das<br />

zweite Davos?<br />

Die Veranstaltung hat sie von<br />

ihren Eltern geerbt, es ist eine<br />

typische Nachkriegsgeschichte.<br />

Die Initiative für das Treffen<br />

ging von den Lindauer Ärzten<br />

Gustav Parade und Franz Karl<br />

Hein aus, die nach einem Ereignis<br />

suchten, um internationale<br />

Spitzenforscher nach Deutschland<br />

zu locken. Im Zuge der Naziherrschaft<br />

war Deutschland<br />

<strong>vom</strong> Zentrum der wissenschaftlichen<br />

Welt zur Diaspora geworden.<br />

Eine Tagung sollte her, das<br />

zu ändern.<br />

Auch Graf Lennart Bernadotte<br />

hatte zu dieser Zeit etwas<br />

nachzuholen. Der Spross der<br />

schwedischen Königsfamilie<br />

war nach der Heirat einer Bürgerlichen<br />

aus der Thronfolge<br />

verdrängt worden und hatte<br />

sich auf die Blumeninsel Mainau<br />

zurückgezogen, die einst<br />

<strong>vom</strong> Hause Baden an die schwedische<br />

Königsfamilie gefallen<br />

war. Das zurückgezogene Leben,<br />

zum hochgradig kommunikativen<br />

Graf Lennart passte es<br />

nicht. Er hatte bereits begonnen,<br />

die Insel samt Schloss für<br />

Besucher zu öffnen, doch die<br />

Idee der beiden Ärzte eröffnete<br />

seinem Drang nach gesellschaftlicher<br />

Teilnahme neue Dimensionen.<br />

Er nutzte seine<br />

Kontakte zum schwedischen<br />

Königshaus, das über die Nobelstiftung<br />

und die Königliche Wissenschaftliche<br />

Akademie eng<br />

mit dem Preis verbunden ist. So<br />

trafen im Sommer 1951 erstmals<br />

sieben Nobelpreisträger der<br />

Medizin in Lindau mit deutschen<br />

Studenten zusammen.<br />

Bald folgten auch die Gekrönten<br />

der Fächer Chemie und<br />

Physik, es stellte sich ein fester<br />

Turnus ein: Jedes Jahr eine Veranstaltung,<br />

jede Disziplin ist alle<br />

drei Jahre vertreten. Zum Abschluss<br />

jedes Treffens gibt es<br />

ein großes Dinner auf der Mainau,<br />

ein bisschen höfischer<br />

Glanz für den verstoßenen<br />

Prinzen.<br />

Gleich im ersten Jahr setzte<br />

die Tagung einen wichtigen Akpreisträger<br />

an den Bodensee<br />

pilgern, ganz ohne Honorar.<br />

Nach den Medizinern Ende Juni<br />

sind diese Woche die Ökonomen<br />

dran, 18 Nobelpreisträger<br />

haben sich angesagt.<br />

Bei der Eröffnungsfeier wird<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

eine Grundsatzrede halten. Vor<br />

der Tür werden Attac-Aktivisten<br />

in die Trillerpfeifen pusten. Der<br />

peruanische Literaturnobelpreisträger<br />

Mario Vargas Llosa<br />

wird über die Lage in Lateinamerika<br />

sinnieren. Aus dem<br />

trutschigen Altherrentreff ist<br />

unter der Ägide von Gräfin Bettina<br />

eine hochkarätige wissenschaftliche<br />

Veranstaltung geworden,<br />

die das ganze Land<br />

ziert. Und: Der Geist der Plastikschläuche,<br />

er ist immer noch da.<br />

PLÖTZLICH DIASPORA<br />

Außer, dass sie in einem Schloss<br />

wohnt, ist auf den ersten Blick<br />

wenig Royales an Gräfin Bettina<br />

Bernadotte zu erkennen. Die<br />

groß gewachsene 40-Jährige<br />

schlendert in T-Shirt, heller Leinenhose<br />

und Sportschuhen<br />

durch die langen Flure des<br />

Schlosses Mainau. Wären da<br />

nicht diese wachen, aufmerksamen<br />

Augen, die ihr eine eigentümlich<br />

unausweichliche Präsenz<br />

verleihen. Aus ihnen<br />

spricht das angeborene Selbstbewusstsein<br />

einer, für die der<br />

Kontakt mit den Großen dieser<br />

Welt von klein auf selbstverständlich<br />

ist. „Das Nobelpreisträgertreffen<br />

hat eine große Tradition,<br />

die es zu bewahren gilt,<br />

auf der wir uns aber nicht ausruhen<br />

können“, sagt sie.<br />

FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA, ACTION PRESS, LAIF, MATTHIAS JUNG FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, VISUM, BLOOMBERG NEWS, GETTY IMAGES, CORBIS<br />

34 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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zent. Zur Gründung des Kernforschungszentrums<br />

CERN kamen<br />

aus Lindau wichtige<br />

Impulse. Als Graf Lennart sich<br />

aus der aktiven Arbeit zurückzog,<br />

hinterließ er ein klar strukturiertes<br />

Erbe: Die Betriebsgesellschaft<br />

der Insel mitsamt<br />

Schloss ging an die Lennart-<br />

Bernadotte-Stiftung, die Erträge<br />

daraus sollten die weiteren Tagungen<br />

finanzieren.<br />

Doch die Insel gerät zunehmend<br />

in Probleme. Statt zwei<br />

Millionen Gäste, wie Mitte der<br />

Achtzigerjahre, kamen kurz vor<br />

der Jahrtausendwende gerade<br />

mal halb so viele; die Betriebsgesellschaft<br />

macht Verlust. Kurz<br />

darauf stirbt Graf Lennart. Seine<br />

Ehefrau und Mainau-Verwalterin,<br />

Gräfin Sonja, ist zwar „eine<br />

bewundernswerte Persönlichkeit,<br />

die sich von ganzem Herzen<br />

für die Stiftungsziele aufopferte“,<br />

sagt Dagmar Schipanski.<br />

Die Professorin, einstige CDU-<br />

Kandidatin für das Amt des<br />

Bundespräsidenten und zwischenzeitliche<br />

Wissenschaftsministerin<br />

in Thüringen, steht<br />

seit 2002 an der Spitze der Stiftung.<br />

Doch betriebswirtschaftlich<br />

haperte es.<br />

Auch das Treffen selbst geriet<br />

in eine Krise. Der ursprüngliche<br />

Auftrag, die deutsche Wissenschaft<br />

an die internationale Elite<br />

heranzuführen, war längst erfüllt.<br />

Viele Wissenschaftler<br />

kamen nach wie vor gern nach<br />

Konstanz, der wissbegierigen<br />

Eintrittskarte für Lindau<br />

Medaille der Nobelpreisträger<br />

jungen Leute und der schönen<br />

Landschaft wegen. Doch es waren<br />

zunehmend die gleichen<br />

Altmeister, die sich hier versammelten.<br />

Das änderte sich, als die junge<br />

Gräfin Bettina 2002 ihrer Mutter<br />

zur Seite sprang. Kurz vor deren<br />

Tod sechs Jahre später übernahm<br />

sie die alleinige Führung<br />

von Insel und Tagung. Anders<br />

als ihre Eltern brachte sie einschlägige<br />

Branchenerfahrungen<br />

mit, sie hatte einige Jahre lang<br />

im größten Freizeitpark der<br />

Region, dem Europapark,<br />

gearbeitet. Zunächst standen<br />

unangenehme Sanierungsentscheidungen<br />

an. Die Zahl der<br />

Stellen wurde um 40 auf 150 reduziert,<br />

auch sonst jeder Kostenpunkt<br />

infrage gestellt. Es folgten<br />

Investitionen, die sich über<br />

kräftige Preiserhöhungen heute<br />

in Umsatz und Gewinn widerspiegeln.<br />

Bei rund 25 Millionen<br />

Euro Umsatz erwirtschaftete die<br />

Insel in den vergangenen Jahren<br />

Überschüsse von rund 1,5 Millionen<br />

Euro. „Die Sanierung ist<br />

»Es ist wichtig,<br />

dass die Tagung<br />

ihren Charakter<br />

bewahrt«<br />

Dagmar Schipanski (CDU)<br />

nationale Besetzung: „Es ist uns<br />

gelungen, Lindau zu einem zentralen<br />

Treffpunkt für internationale<br />

Nachwuchswissenschaftler<br />

und Nobelpreisträger zu machen“,<br />

so Bernadotte. Auch die<br />

Finanzierung ist inzwischen auf<br />

mehreren Schultern verteilt, da<br />

sich die Tagung größtenteils<br />

über Sponsorengelder finanziert.<br />

„Die Stiftung muss heute<br />

nicht mehr so viel Geld zuschie-<br />

geglückt“, zeigt sich Chefaufseherin<br />

Schipanski begeistert, „die<br />

Mainau GmbH ist heute ein solide<br />

aufgestelltes, mittelständisches<br />

Unternehmen.“<br />

Davon profitiert auch die Tagung.<br />

2002 wurden erstmals die<br />

Nobelpreisträger der Ökonomie<br />

nach Lindau eingeladen, alle<br />

fünf Jahre wird zudem ein interdisziplinäres<br />

Treffen ausgerichtet.<br />

Vor allem aber hat sich der<br />

Fokus des Treffens völlig verändert:Die<br />

deutschen Studenten<br />

machen heute nur noch 20 Prozent<br />

der Teilnehmer aus, mehr<br />

als 100 akademische Partner in<br />

aller Welt sorgen für eine interßen<br />

wie in den ersten Jahren“,<br />

bestätigt Schipanski. Alles in allem<br />

ist die Tagung deutlich angewachsen.<br />

Lag das Budget des<br />

Chemikertreffens 2006 noch bei<br />

670 000 Euro, waren es 2013<br />

schon 3,5 Millionen Euro.<br />

STRENGE REGELN<br />

Manch einer sorgt sich da vor<br />

der wachsenden Kommerzialisierung.<br />

Ist Lindau bald das<br />

zweite Davos? „Es ist wichtig,<br />

dass die Tagung ihren speziellen<br />

Charakter bewahrt“, sagt<br />

Schipanski. Im Mittelpunkt<br />

müsse auch weiterhin „der unbefangene<br />

Gedankenaustausch<br />

zwischen Preisträgern und jungen<br />

Wissenschaftlern“ sein.<br />

„Entscheidend ist, dass keiner<br />

das Gefühl hat, hier werde jedes<br />

Wort von Kameras oder Journalisten<br />

aufgezeichnet.“ So gelten<br />

in Lindau weiterhin strenge Regeln.<br />

Auf den Podien sprechen<br />

mit Ausnahme der Abschlussveranstaltung<br />

nur Nobelpreisträger,<br />

die Öffentlichkeit ist nur<br />

am Auftaktabend zugelassen.<br />

Gräfin Bernadotte spricht von<br />

einer Art natürlicher Wachstumsgrenze,<br />

definiert durch die<br />

Lindauer Inselhalle. Die wird<br />

zwar bald saniert, bei rund 1000<br />

Gästen ist sie voll. „Mehr Teilnehmer<br />

kann die Tagung aus<br />

diesem Grund nicht haben.“<br />

Der Geist von Lindau, er soll<br />

auch weiterhin in der Flasche<br />

der Inselhalle bleiben.<br />

konrad.fischer@wiwo.de<br />

Welche Ökonomienobelpreisträger in diesem Jahr am Bodensee erwartet werden<br />

William Sharpe<br />

Preisträger 1990<br />

für Arbeiten zur<br />

Preisbildung am<br />

Kapitalmarkt<br />

Reinhard Selten<br />

Preisträger 1994<br />

für die Einführung<br />

der Spieltheorie<br />

in die Ökonomie<br />

James Mirrlees<br />

Preisträger 1996<br />

für seine Arbeit über<br />

die Rolle von Informationen<br />

im Markt<br />

Joseph E. Stiglitz<br />

Preisträger 2001<br />

für seine Kritik an<br />

der Globalisierung<br />

der Wirtschaft<br />

Edward C. Prescott<br />

Preisträger 2004<br />

für die Arbeit in der<br />

empirischen Konjunkturforschung<br />

Edmund S. Phelps<br />

Preisträger 2006<br />

für seinen Beitrag<br />

zur Entwicklung der<br />

Wachstumstheorie<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 35<br />

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Der Volkswirt<br />

DENKFABRIK | Ein Gesetzentwurf der Republikaner im US-Kongress will der<br />

amerikanischen Zentralbank formale Regeln für ihre Geldpolitik vorschreiben.<br />

Die Fed fürchtet um ihre Unabhängigkeit. Von Martin Feldstein<br />

Der Kampf gegen die Fed<br />

Die US-Zentralbank<br />

Federal Reserve<br />

(Fed) streitet derzeit<br />

mit dem Kongress<br />

über den Federal Reserve Accountability<br />

and Transparency<br />

Act. Der Gesetzentwurf soll die<br />

Notenbank dazu zwingen, bei<br />

ihren geldpolitischen Entscheidungen<br />

formale Regeln zu befolgen.<br />

Die Fed fürchtet deswegen<br />

um ihre Unabhängigkeit.<br />

Die Befürworter des Gesetzes<br />

hingegen argumentieren, damit<br />

seien die geldpolitischen Entscheidungen<br />

der Notenbanker<br />

besser vorhersehbar. Mit einer<br />

festen Regel sei das künftige<br />

Wachstum bei niedriger Inflation<br />

besser berechenbar. Wer<br />

hat recht?<br />

Um den Konflikt zu verstehen,<br />

ist es wichtig, zu wissen,<br />

welche rechtliche Stellung die<br />

Fed innerhalb des politischen<br />

Systems in den USA hat. Die<br />

Zentralbank ist unabhängig und<br />

trifft in diesem Sinne ihre geldpolitischen<br />

Entscheidungen<br />

ohne Einfluss der Regierung.<br />

Der US-Präsident kann ihr also<br />

nicht vorschreiben, wie sie die<br />

Zinssätze, Reserveanforderungen<br />

oder andere geldpolitische<br />

Aspekte reguliert.<br />

DUALES MANDAT<br />

Das Parlament allerdings, also<br />

der US-Kongress, hat der Fed<br />

per Gesetz ein duales Mandat<br />

erteilt. Danach soll die Fed für<br />

Preisstabilität und Vollbeschäftigung<br />

sorgen. Wie sie diese<br />

Ziele erreicht, obliegt allein der<br />

Fed. Sie ist nur verpflichtet,<br />

dem Kongress regelmäßig über<br />

ihre Geldpolitik zu berichten.<br />

Das geplante Gesetz würde die<br />

Entscheidungsfindung der Fed<br />

stark beeinflussen.<br />

Nach der Definition der Fed<br />

herrscht Preisstabilität bei einer<br />

Inflationsrate von rund zwei Prozent.<br />

In den vergangenen zwölf<br />

Monaten lag dieser Wert bei etwa<br />

1,5 Prozent. Vollbeschäftigung ist<br />

nicht fest definiert, aber für viele<br />

Ökonomen herrscht Vollbeschäftigung<br />

bei einer Arbeitslosenquote<br />

von etwa 5,5 Prozent. Der jüngste<br />

Wert lag bei 6,1 Prozent. Nun hält<br />

die Fed seit Jahren an einer Niedrigzinspolitik<br />

fest, obwohl sie ihr<br />

Inflationsziel nicht erreicht. Politiker<br />

fürchten, der lange Zeitraum<br />

»Eine formale<br />

Regel könnte<br />

eine restriktivere<br />

Geldpolitik<br />

erzwingen«<br />

niedriger Zinsen könnte zu einer<br />

erhöhten Inflation von mehr als<br />

zwei Prozent führen.<br />

Um das zu verhindern, soll das<br />

geplante Gesetz die Fed verpflichten,<br />

bei der Festsetzung ihres<br />

kurzfristigen Zinssatzes, der Federal<br />

Funds Rate, einer formalen<br />

Vorgabe zu folgen. Das Gesetz<br />

schlägt eine bestimmte Regel zur<br />

Festlegung des Zinses vor.<br />

Diese Regel entspricht weitgehend<br />

der 1993 von John Taylor,<br />

Ökonom an der Stanford-Universität,<br />

vorgeschlagenen Formel. Sie<br />

beruht auf einer statistischen<br />

Schätzung dessen, was die Fed-<br />

Chefs Paul Volcker und Alan<br />

Greenspan während einer Periode<br />

geringer Inflation und niedriger<br />

Arbeitslosigkeit getan haben. Die<br />

Taylor-Regel legt den kurzfristigen<br />

Zinssatz auf zwei Prozent plus die<br />

aktuelle Inflationsrate plus die<br />

Hälfte der Differenz zwischen der<br />

aktuellen Inflation und der Zielinflation<br />

fest, plus die Hälfte der<br />

Differenz zwischen dem aktuellen<br />

Wachstum des Bruttoinlandsprodukts<br />

(BIP) und dem BIP-<br />

Wachstum bei Normalauslastung<br />

der Kapazitäten.<br />

Das bedeutet: Bei Normalauslastung<br />

und Zielinflation muss der<br />

kurzfristige Zinssatz zwei Prozent<br />

plus Inflationsrate betragen. Er<br />

muss höher sein, wenn die Inflationsrate<br />

über dem Zielwert liegt,<br />

und niedriger, wenn sich das aktuelle<br />

BIP unter dem BIP bei Normalauslastung<br />

befindet. Angesichts<br />

der Unsicherheit über die<br />

genaue Höhe des BIPs bei Normalauslastung<br />

bliebe der Fed mit<br />

der Formel immer noch Spielraum.<br />

Sie könnte argumentieren,<br />

dass die Lücke zwischen aktuellem<br />

BIP und dem bei Normalauslastung<br />

größer ist als vermutet,<br />

weil derzeit viele Menschen nur<br />

Teilzeitjobs haben, die eigentlich<br />

eine Vollbeschäftigung suchen.<br />

Angenommen, die BIP-Lücke<br />

liegt entsprechend einer Schätzung<br />

des US-Haushaltsbüros bei<br />

vier Prozent, dann würde die Taylor-Regel<br />

einen optimalen Zinssatz<br />

von etwa 1,25 Prozent vorgeben,<br />

verglichen mit dem aktuellen Wert<br />

von nur 0,1 Prozent. Wenn, wie angenommen,<br />

die Fed den Leitzins in<br />

den kommenden 12 bis 18 Monaten<br />

auf ein Prozent festlegt,<br />

würde die sich bis dahin verringernde<br />

BIP-Lücke einen noch<br />

höheren Taylor-Zins nahelegen.<br />

Das Komplizierte daran ist, dass<br />

die enormen Überschussreserven<br />

der US-Banken im Zuge der<br />

Anleihekäufe der Fed dazu geführt<br />

haben, dass der Zinssatz<br />

nicht mehr der Schlüsselwert ist,<br />

der er einmal war.<br />

STABILE PREISE<br />

Insgesamt ist der Gesetzentwurf<br />

voller überzogener Anforderungen<br />

an die Fed. Selbst in verbesserter<br />

Form kann das von den<br />

Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus<br />

es möglicherweise<br />

gar nicht durchsetzen.<br />

Gelingt das doch, wird es<br />

nicht durch den demokratisch<br />

kontrollierten Senat kommen.<br />

Die Fed wehrt sich gegen das<br />

geplante Gesetz. Es sei falsch,<br />

Geldpolitik nach einer mathematischen<br />

Formel auszurichten,<br />

sagt Fed-Chefin Janet Yellen.<br />

Klar ist jedoch: Die Diskussion<br />

setzt die Fed unter Druck, ihrem<br />

Inflationsziel mehr Aufmerksamkeit<br />

als bisher zu<br />

schenken und einen dauerhaften<br />

Wert über ihrem Zielwert<br />

von zwei Prozent zu verhindern.<br />

Schafft sie das nicht, könnte<br />

tatsächlich ihre Unabhängigkeit<br />

eingeschränkt und sie gezwungen<br />

werden, ihre Geldpolitik<br />

stärker an ihrem Mandat, für<br />

stabile Preise zu sorgen, zu orientieren.<br />

Martin Feldstein ist Professor<br />

an der Harvard-Universität. Der<br />

renommierte US-Ökonom<br />

schreibt jeden Monat exklusiv<br />

für die WirtschaftsWoche und<br />

wiwo.de<br />

FOTOS: LAIF/POLARIS, GETTY IMAGES/AFP<br />

36 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Made with<br />

Germany<br />

USA | Preiswerte Energie und mäßige Löhne locken<br />

Unternehmen in die Vereinigten Staaten. Doch Angst vor<br />

einem Exodus hier ist unbegründet. Vom Comeback<br />

der Industrie in den USA profitiert Deutschland am meisten.<br />

FOTO: PR<br />

Neben der hoch aufragenden<br />

Michelle Obama in ihrem<br />

royalblauen Designerkleid<br />

fällt die kleinere Frau in<br />

Schwarz kaum auf. Unsicher<br />

taxiert sie durch ihre Brillengläser die First<br />

Lady der USA zu ihrer Linken. Plötzlich<br />

fällt der Name der jungen Frau und ein Lächeln<br />

huscht über ihr Gesicht. „Jackie Bray<br />

ist eine alleinerziehende Mutter aus North<br />

Carolina“, sagt US-Präsident Barack Obama.<br />

„Sie verlor ihre Stelle als Mechanikerin.<br />

Dann aber hat Siemens eine Gasturbinenfabrik<br />

in Charlotte eröffnet und sie eingestellt.<br />

Ich will, dass jeder Amerikaner, der<br />

einen Job sucht, die gleichen Chancen wie<br />

Jackie bekommt.“<br />

Der Tag, an dem Jackie Bray berühmt<br />

wurde, war der 25. Januar 2012. Auf Einladung<br />

des Weißen Hauses war sie nach Washington<br />

gereist, wo der Präsident seine<br />

Rede zur Lage der Nation hielt – und die<br />

frischgebackene Siemens-Mitarbeiterin<br />

vor 38 Millionen Fernsehzuschauern zum<br />

Inbegriff seiner Wirtschaftspolitik erklärte.<br />

Nun, zweieinhalb Jahre später, ist Obama<br />

seinem Ziel ein gutes Stück näher gekommen.<br />

Die Vereinigten Staaten erleben<br />

ein Comeback der heimischen Industrie,<br />

immer mehr Amerikaner finden einen Job<br />

in Auto- und Maschinenfabriken, in Chemieanlagen<br />

oder der Erdgasförderung.<br />

Und wie im Fall von Jackie Bray helfen immer<br />

häufiger deutsche Firmen dabei.<br />

Schon machte deswegen in Deutschland<br />

das Wort von der Deindustrialisierung und<br />

der Abwanderung wichtiger Unternehmen<br />

über den Atlantik die Runde. Mit Blick auf<br />

die niedrigen Energiepreise durch Schieferöl<br />

und -gas und die mäßigen Löhne in<br />

den USA warnte BASF-Chef Kurt Bock vor<br />

einem „Auszehrungsprozess“ in Deutschland<br />

mit entsprechenden Folgen für die Arbeitsplätze.<br />

Deutschland müsse „aufpassen,<br />

dass sich damit kein Prozess einer<br />

schleichenden Desinvestition festsetzt“,<br />

mahnt auch BDI-Präsident Ulrich Grillo.<br />

Ob ehrliche Sorge oder bloße Stimmungsmache<br />

− in der Realität entbehren<br />

solche Sichtweisen jeder sachlichen Begründung.<br />

Das ist das Ergebnis einer Studie<br />

der Unternehmensberatung Bain & Company<br />

exklusiv für die WirtschaftsWoche.<br />

Überraschendes Ergebnis: Die USA werden<br />

Deutschland im Rennen um ausländische<br />

Direktinvestitionen zwar abhängen. Trotzdem<br />

ist Deutschland im Vergleich zu anderen<br />

Wettbewerbern in Europa unterm<br />

Strich der große Gewinner der Reindustrialisierung<br />

in den Vereinigten Staaten.<br />

IMPORT VON ARBEITSPLÄTZEN<br />

„Amerika“, sagt Armin Schmiedeberg, Leiter<br />

der europäischen Industrie-Praxisgruppe<br />

von Bain & Company, „wird zu einer Lokomotive<br />

der deutschen Wirtschaft, im<br />

Umkehrschluss führt die Reindustrialisierung<br />

Amerikas nicht zu einer Deindustrialisierung<br />

Deutschlands.“ In der gegenwärtigen<br />

Konjunkturschwäche ist das ein<br />

Trost, denn ohne die Aufträge aus den USA<br />

sähe es für deutsche Wirtschaft schlechter<br />

aus (siehe Seite 16).<br />

Zwar kann Deutschland im Wettbewerb<br />

um ausländische Investitionen in neue Fabriken<br />

nach Bain-Schätzungen mit den<br />

USA nicht mithalten. Während die Vereinigten<br />

Staaten von 2013 bis 2017 gut 50<br />

Prozent mehr Kapital von außerhalb für<br />

neue Fabriken und Anlagen ansaugen<br />

»<br />

Keine Deindustrialisierung<br />

in Deutschland<br />

BASF-Anilin-Fabrik in Geismar im<br />

US-Bundesstaat Louisiana<br />

38 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Bevorzugt aus Deutschland<br />

Entwicklung der Einfuhren von Ausrüstungstechnik<br />

in die USA (Veränderungen in Prozent)<br />

Import gesamt<br />

Import aus Deutschland<br />

+43,0<br />

+2,1<br />

+6,6<br />

+3,0<br />

+8,0<br />

+8,0<br />

+13,0<br />

+5,6<br />

Maschinenbau gesamt<br />

Zementanlagen<br />

Baumaschinen<br />

Automatisierungstechnik<br />

1. Quartal 2014<br />

(Veränderung gegenüber<br />

Vorjahreszeitraum)<br />

2009 bis 2013<br />

(Jahresdurchschnitt)<br />

2009 bis 2013<br />

(Jahresdurchschnitt)<br />

2013 gegenüber 2012<br />

Quelle: Bain & Company<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 39<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Profiteur Deutschland<br />

Die USA können bis 2017 mit sehr viel mehr ausländischen Direktinvestitionen in die<br />

Industrie rechnen, wohingegen Deutschland kaum noch zulegt<br />

Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen<br />

in Industrie 1 (0 = gering, 5 = groß)<br />

USA<br />

Großbritannien<br />

Deutschland<br />

Schweiz<br />

Frankreich<br />

Italien<br />

2008–2012<br />

63,2<br />

1<br />

auf Basis von Gaspreis, Strompreis, Lohnkosten, Bevölkerungswachstum, Infrastruktur, IT-Angebot für Produktion, Kompetenz für<br />

Produktion; Vergleich unter 34 OECD-Staaten; 2013–2017: Prognose<br />

11,5<br />

4,2<br />

1,2<br />

1,0<br />

2,1<br />

2013–2017<br />

95,6<br />

Doch gleichzeitig wird die Nachfrage der USA nach Ausrüstungsgütern aus dem Ausland so<br />

stark steigen...<br />

Einfuhr ausländischer Investitionsgüter in die USA (kumuliert in Milliarden Dollar)<br />

2003 bis 2007<br />

2008 bis 2012<br />

2013 bis 2017<br />

Ausländische Direktinvestitionen<br />

(kumuliert in Milliarden Dollar)<br />

...dass Deutschland dank seiner wettbewerbsfähigen Produkte und Unternehmen wie keine<br />

andere große EU-Industrienation von der Reindustrialisierung in den USA profitieren wird<br />

Deutschland<br />

Schweiz<br />

Großbritannien<br />

Frankreich<br />

Italien<br />

0 1 2 3 4 5<br />

725<br />

832<br />

955<br />

Wettbewerbstärke bei der Lieferung von Industrieausrüstungen<br />

in die USA 2 (0 = gering, 5 = groß)<br />

0 1 2 3 4 5<br />

2008–2012<br />

105<br />

2<br />

auf Basis von Global Manufacturing Index, Global Innovation Index, World Competitiveness Index;<br />

Vergleich unter 34 OECD-Staaten; 2013–2017; Quelle: Bain & Company<br />

11<br />

38<br />

38<br />

38<br />

12,7<br />

4,5<br />

1,2<br />

0,9<br />

1,8<br />

Lieferung von Industrieausrüstungen in die USA<br />

(kumuliert in Milliarden Dollar)<br />

2013–2017<br />

134<br />

14<br />

46<br />

44<br />

43<br />

+107<br />

+123<br />

»<br />

dürften als 2008 bis 2012, kann Deutschland<br />

auf nur einen winzigen Zuwachs von<br />

4,2 auf 4,5 Milliarden Dollar hoffen.<br />

Doch dies ist nur eine Seite der Medaille.<br />

Zur anderen gehört, dass Deutschland mit<br />

diesem schwachen Zuwachs – zusammen<br />

mit Großbritannien – immerhin zu den bedeutenden<br />

Industrienationen Europas gehört,<br />

die weiterhin zusätzliches ausländisches<br />

Industriekapital anziehen werden.<br />

Noch wichtiger aber ist, dass es deutschen<br />

Unternehmen laut Bain gelingen wird, mit<br />

ihren Exporten aus der Heimat von der Reindustrialisierung<br />

in den USA so stark wie<br />

kein anderer zu profitieren.<br />

So werden laut Bain die deutschen Maschinenbauer,<br />

Fabrikausstatter und Fertigungstechniker<br />

zwischen 2013 und 2017<br />

Industrieausrüstungen im Wert von 29 Milliarden<br />

Dollar mehr in die USA verschiffen<br />

als 2008 bis 2012, ein Plus von knapp 28<br />

Prozent. Gemessen an Unternehmen wie<br />

dem schwäbischen Lasermaschinenbauer<br />

Trumpf, entspricht dies einem Zuwachs<br />

von knapp 25 000 Jobs – nicht in den USA,<br />

sondern in Deutschland, das mit seinen<br />

Produkten die dortige Reindustrialisierung<br />

erst ermöglicht. Aus made in Germany<br />

wird made with Germany.<br />

Kein anderes der übrigen 33 OECD-Länder<br />

kann da mithalten. Großbritanniens<br />

Unternehmen müssen sich mit einem Export-Plus<br />

gen USA von acht Milliarden Dollar<br />

zufriedengeben, gut einem Viertel des<br />

deutschen Zuwachses. Frankreich dürfte<br />

nur zusätzliche Industriegüter im Wert von<br />

sechs, Italien im Wert von fünf und die<br />

Schweiz im Wert drei Milliarden Dollar in<br />

die Vereinigten Staaten verfrachten.<br />

The Winner is...<br />

Wie Deutschland die Reindustrialisierung in den USA forciert<br />

Plastikzauber<br />

Jede vierte Import-Kunststoffmaschine<br />

in den USA kommt<br />

von Herstellern in Deutschland<br />

wie Sumitomo Demag in<br />

Schwaig bei Nürnberg<br />

Alles andere als<br />

flüchtig<br />

Der deutsche Gasehersteller<br />

Linde will bis zu sechs Erdgas-<br />

Verarbeitungsanlagen in den<br />

USA errichten<br />

40 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: SUMITOMO (SHI) DEMAG, VARIO IMAGES/MARTIN GEENE, LAIF/REA/HAMILTON, PR<br />

Um am Bau der neuen Produktionsstätten<br />

jenseits des Atlantiks mitzuverdienen,<br />

bringen sich deutsche Konzerne und<br />

Mittelständler derzeit in Stellung – sei es<br />

als Lieferant von Baumaterialien und<br />

Baumaschinen, einzelnen Produktionsmaschinen,<br />

ganzer Großanlagen oder<br />

von Ausgangsmaterialien für Produkte<br />

made in USA.<br />

Die Liste amerikanischer Einkäufer mit<br />

deutschen Adressen ist lang. Werkzeugmaschinenhersteller<br />

wie der Lasertechnik-<br />

Weltmarktführer Trumpf oder der Bielefelder<br />

Konzern DMG Mori Seiki (früher: Gildemeister)<br />

mit seinen Fräsmaschinen und<br />

Elektronikbauteilen gehören seit jeher zu<br />

den emsigsten Lieferanten der US-Industrie.<br />

2013 haben die deutschen Werkzeugmaschinenhersteller<br />

zwar neun Prozent<br />

weniger über den Großen Teich geliefert,<br />

aber wohl nur deshalb, weil die Exportvolumina<br />

in den Jahren davor bereits ungewöhnlich<br />

hoch waren.<br />

KLARER AUFWÄRTSTREND<br />

Nach Einschätzung von Bain brechen für<br />

die Branche dank des Produktionsbooms<br />

in den USA rosige Zeiten an. Die Nachfrage<br />

nach deutscher Werkzeugtechnik, so die<br />

Prognose, werde – verglichen mit Importen<br />

aus anderen Ländern – überproportional<br />

steigen, insbesondere in der Autoindustrie<br />

und der Metallverarbeitung.<br />

Noch klarer ist der Aufwärtstrend bei der<br />

Nachfrage nach Automatisierungstechnik.<br />

Wie kaum ein anderes deutsches Unternehmen<br />

setzt Siemens, der Weltmarktführer<br />

in der Automatisierung, auf den US-<br />

Markt (siehe Interview Seite 44). Aber auch<br />

für Wettbewerber wie den Antriebstechnikhersteller<br />

Bosch-Rexroth oder den Roboterhersteller<br />

Kuka sind die USA wichtige<br />

Absatzmärkte. Hinter der Branche liegt ein<br />

grandioses US-Jahr. 2013 stiegen die Einfuhren<br />

der Vereinigten Staaten auf diesem<br />

Gebiet um 43 Prozent. Mehr als die Hälfte<br />

entfiel auf die amerikanische Autoindustrie.<br />

Beste Chancen bescheinigt Bain den<br />

Herstellern auch für die Zukunft, weil US-<br />

Fabriken zunehmend ihre Effizienz steigern<br />

wollten und neue Anwendungsfelder<br />

für Roboter, etwa in der Logistik, Medizin<br />

oder Agrarindustrie, entstünden.<br />

Kunststoffmaschinenhersteller aus<br />

Deutschland wie KraussMaffei Technologies<br />

aus München oder Sumitomo Demag<br />

aus dem fränkischen Schwaig zählen auch<br />

zu den Kandidaten, die <strong>vom</strong> Industrieboom<br />

in den USA in den kommenden Jahren<br />

profitieren. Denn während der US-<br />

Wirtschaft von 2012 bis 2017 ein jährliches<br />

Wachstum von durchschnittlich rund zwei<br />

Prozent prognostiziert wird, können die<br />

Kunststoffmaschinenhersteller mit 6,6 Prozent<br />

rechnen. Plastikteile für die Autoindustrie<br />

und die Bauwirtschaft, Verpackungen<br />

in der Konsumgüterindustrie – Reindustrialisierung<br />

ist ohne einen Mehrverbrauch<br />

an Kunststoffen undenkbar. Die<br />

Deutschen werden dabei an vorderster<br />

Front mitmischen, denn sie sind schon<br />

heute die wichtigsten Lieferanten der amerikanischen<br />

Kunststoff verarbeitenden Industrie:<br />

Jede vierte in die USA importierte<br />

Kunststoffverarbeitungsmaschine kommt<br />

aus Deutschland.<br />

Auch bei allem, was für den Bau von Fabrikgebäuden<br />

und der zugehörigen Infrastruktur<br />

benötigt wird, sind deutsche Maschinenbauer<br />

gefragt: etwa Baufahrzeuge<br />

und Kräne von Liebherr oder Asphaltmaschinen<br />

und Walzen aus den Werken<br />

der Wirtgen-Gruppe im rheinischen Neuwied.<br />

In den vergangenen fünf Jahren kletterten<br />

die US-Importe von Baumaschinen<br />

insgesamt um acht Prozent pro Jahr, deutsche<br />

Anbieter dagegen konnten jährlich<br />

um 13 Prozent zulegen.<br />

HISTORISCHES AUSMASS<br />

Ähnlich stark sind die deutschen Anbieter<br />

von Zementanlagen. Hersteller wie das<br />

Düsseldorfer Unternehmen Loesche leben<br />

überwiegend <strong>vom</strong> Auslandsgeschäft.<br />

Durchschnittlich neun von zehn Anlagen<br />

verkaufen die deutschen Hersteller ins<br />

Ausland. Die USA sind nicht nur einer der<br />

wichtigsten Absatzmärkte, sondern mit einer<br />

prognostizierten jährlichen Wachstumsrate<br />

von neun Prozent in den kommenden<br />

fünf Jahren einer, der am meisten<br />

zusätzliches Geschäft verspricht.<br />

Auf einen Nachfrage-Boom gar historischen<br />

Ausmaßes treffen die deutschen Hersteller<br />

von Chemieanlagen in den USA. Die<br />

Erschließung der Schiefergasvorräte soll zu<br />

Investitionen in chemische Anlagen von<br />

rund zwei Billionen Dollar in den kommenden<br />

zwei Jahrzehnten führen. 2013 schnellte<br />

der Umsatz deutscher Chemieanlagenbauer<br />

mit den USA bereits um 400 Prozent<br />

auf über eine Milliarde Dollar hoch. Der<br />

Chemieanlagenhersteller Linde will zwischen<br />

2013 und 2017 in den USA zwischen<br />

drei und sechs neue Verarbeitungsanlagen<br />

für Erdgas errichten. ThyssenKrupp Industrial<br />

Solutions kann sich aufgrund des<br />

»<br />

Helfer am Bau<br />

Kräne, Bagger und sonstige<br />

Baumaschinen werden von<br />

amerikanischen Unternehmen<br />

überdurchschnittlich<br />

von deutschen Herstellern<br />

wie Liebherr importiert<br />

Tool Time<br />

Werkzeugmaschinen wie<br />

die von DMG Mori Seiki<br />

(früher: Gildemeister) in<br />

Bielefeld bilden ein Rückgrat<br />

der Industrie-Renaissance<br />

in den USA<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 41<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Sklaven für die Produktion<br />

Kuka-Roboter sind vor allem in der US-Autoindustrie gefragt, aber bald vielleicht auch in<br />

der Logistik, der Medizin und der Landwirtschaft<br />

»<br />

Erdgasbooms über die Bestellung von<br />

drei Düngemittelanlagen freuen.<br />

Fragt sich nur, wie nachhaltig der Industrie-Hype<br />

in den USA ist. Nach Einschätzung<br />

von Bain-Berater Schmiedeberg geht<br />

es um weit mehr als einen flüchtigen<br />

Trend. Das Comeback der US-Industrie<br />

läute „ein neues Kapitel der Weltwirtschaft“<br />

ein: „Weil die Kostenvorteile der<br />

Schwellenländer schrumpfen, werden alte<br />

Industrienationen wie die USA wieder<br />

wettbewerbsfähig. Die jahrzehntelange,<br />

einseitige Verlagerung von Industrieproduktion<br />

in Billiglohnländer hat ihren Höhepunkt<br />

überschritten.“<br />

GLEICHSTAND MIT CHINA<br />

Ins gleiche Horn stößt die Unternehmensberatung<br />

Boston Consulting Group (BCG).<br />

Sie prognostiziert, dass von 2015 an die Gesamtkosten<br />

der Produktion in den USA<br />

nicht mehr höher sein werden als in China.<br />

Die Vereinigten Staaten werden dann, sagt<br />

BCG-Berater Harold Sirkin, „einer der<br />

günstigsten Produktionsstandorte der entwickelten<br />

Welt sein“.<br />

Begonnen hatte die Zeitwende 2010.<br />

Seither kletterte die Zahl der Jobs in der industriellen<br />

Fertigung der USA langsam,<br />

aber stetig – um rund 600 000 auf derzeit<br />

12,1 Millionen. Zu den bekanntesten Ursachen<br />

gehören die gesunkenen Energiepreisen<br />

durch die massive Erschließung neuer<br />

Schiefergasvorräte. Dadurch ist Erdgas<br />

heute in den Vereinigten Staaten rund zwei<br />

Drittel günstiger zu haben als in Europa<br />

oder China. Strom kostet in den USA nicht<br />

wesentlich mehr als in China.<br />

Weniger ins öffentliche Bewusstsein gedrungen<br />

ist die Annäherung der USA an China<br />

bei den Gesamtproduktionskosten aufgrund<br />

der Lohnentwicklung. Während die<br />

Lohnstückkosten in den USA seit 2000 nahezu<br />

unverändert blieben, verdreifachten sie<br />

sich in China. Zwar verdient ein chinesischer<br />

Fabrikarbeiter mit durchschnittlich vier Euro<br />

pro Stunde nur ein Sechstel eines US-Arbeiters.<br />

Doch weil chinesische Fabriken für<br />

vergleichbare Arbeiten auch bis zu zehn Mal<br />

mehr Arbeiter benötigen, schmilzt der<br />

Standortvorteil im Reich der Mitte rasant.<br />

Zudem ist das durchschnittliche Lohnniveau<br />

in den USA wenig aussagekräftig. In<br />

den südlichen US-Bundesstaaten, wo die<br />

Gewerkschaften wenig Einfluss haben und<br />

wo sich die Industrie derzeit bevorzugt ansiedelt,<br />

wird der US-Durchschnittslohn von<br />

35 Dollar praktisch nie gezahlt. Bandarbeiter,<br />

die im Passat-Werk von Volkswagen im<br />

Bundesstaat Tennessee anheuern, müssen<br />

»Es beginnt ein<br />

neues Kapitel der<br />

Weltwirtschaft«<br />

Bain-Berater Armin Schmiedeberg<br />

sich mit Stundenlöhnen zwischen 14,50<br />

Dollar und 19,50 Dollar zufriedengeben.<br />

Nach Meinung von Bain kommen weitere<br />

Faktoren hinzu, die den Industrieboom<br />

in den USA sehr zur Freude deutscher Exporteure<br />

begünstigen. So ist die Infrastruktur<br />

in den Vereinigten Staaten den Verkehrswegen<br />

und der Stromversorgung vieler<br />

Schwellenländer deutlich überlegen.<br />

Das Wachstum der Bevölkerung von derzeit<br />

318 auf rund 400 Millionen Amerikaner<br />

im Jahr 2050 sorgt für einen Nachschub<br />

an Arbeitskräften. Und die hohe IT-Kompetenz<br />

in Internet-Innovationshochburgen<br />

wie dem Silicon Valley oder New York<br />

sind weltweit unübertroffen.<br />

Vor diesem Hintergrund macht in den<br />

USA ein neues Zauberwort die Runde: „ Reshoring“,<br />

das Gegenteil von „Offshoring“, also<br />

die Rückverlagerung einst ausgelagerter<br />

Fertigungsstätten. Es gibt sogar schon eine<br />

entsprechende Lobby-Gruppe, die „Reshoring<br />

Initiative“ im Bundesstaat Illinois. Von<br />

hier verbreitet Harry Moser, Präsident der<br />

Organisation, Optimismus. Seit 2010 haben<br />

nach seiner Rechnung rund 200 Unternehmen<br />

Produktion in die USA zurückgeholt.<br />

NICHT NUR AUS DER FERNE<br />

Mosers Liste ist eindrucksvoll: Apple baut<br />

mit 1700 Mitarbeitern ein Notebook-Modell<br />

neuerdings in Texas, General Electric<br />

hat die Produktion verschiedener Haushaltsgeräte<br />

von China nach Kentucky verlagert,<br />

der Chemieriese Dow Chemical<br />

schafft durch die Rückverlagerung nach<br />

Louisiana und Texas bis zu 35 000 Jobs.<br />

Auch Motorola, Boeing und Caterpillar haben<br />

ihre Liebe zum Standort USA wiederentdeckt.<br />

Möglicherweise sind diese Unternehmen<br />

aber nur die Vorhut. Derzeit<br />

überlegen laut einer Befragung von BCG<br />

über 54 Prozent der US-Unternehmen mit<br />

mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz, ob<br />

sie sich dem Trend anschließen.<br />

Natürlich betrachten deutsche Unternehmen<br />

den Standort USA nicht nur aus der<br />

Ferne. Wo nötig und möglich, versuchen sie,<br />

die Vorteile direkt abzugreifen. „Unsere Fertigungsindustrie<br />

hat die USA nicht nur als<br />

Exportmarkt, sondern auch als Standort im<br />

Visier“, sagt Bain-Berater Schmiedeberg. Für<br />

den Maschinenbauer-Verband VDMA steht<br />

zweifelsfrei fest: „Die USA ist der wichtigste<br />

ausländische Investitionsstandort.“ Und der<br />

Verband der chemischen Industrie setzt seine<br />

Hoffnungen vor allem auf die Vereinigten<br />

Staaten. „Die USA sind der wichtigste Markt<br />

und Produktionsstandort im Ausland.“ Dabei<br />

haben sich die Motive der Unterneh-<br />

»<br />

FOTO: BLOOMBERG NEWS/KRISZTIAN BOCSI<br />

42 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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TTIP<br />

Weit hergeholt bis frei erfunden<br />

Gegner des Transatlantischen Freihandelsvertrags sind sich für kein noch so falsches Argument zu schade.<br />

FOTOS: PR (2)<br />

Exportstarke deutsche Unternehmen<br />

würden von einem Transatlantischen Freihandelsabkommen<br />

(TTIP), über das die<br />

EU und die USA seit Juli 2013 verhandeln,<br />

sehr profitieren. Vor allem die chemische<br />

Industrie, der Maschinenbau und die Automobilbranche<br />

erhoffen sich erhebliche<br />

Umsatz- und Gewinnsteigerungen. Und<br />

das über die wachsenden Exporte hinaus,<br />

die die Unternehmensberatung Bain den<br />

hiesigen Fabrik- und Anlagenausrüstern<br />

durch die Reindustrialisierung in den Vereinigten<br />

Staaten prognostiziert. So geht<br />

das Münchner ifo Institut davon aus, dass<br />

die Ausfuhr von Industriegütern dank TTIP<br />

um 3,2 Prozent zulegen würde, gegenüber<br />

nur 2,5 Prozent bei Dienstleistungen.<br />

Vor allem eine einheitlichere Regulierung<br />

würde den Unternehmen das Geschäft<br />

erleichtern. Paradebeispiel sind die<br />

Autokonzerne, die einen Pkw für Europa<br />

mit orangefarbenen und einen für die USA<br />

mit roten Blinklichtern ausstatten müssen.<br />

Die Vielzahl solcher unterschiedlicher<br />

Vorschriften lassen die Mehrkosten für die<br />

Hersteller auf beiden Seiten des Atlantiks<br />

jedes Jahr auf 11,5 Milliarden Euro hochschnellen,<br />

ermittelte die niederländische<br />

VW Golf mit orangefarbenen Blinkern<br />

Fahrzeug für Kunden in Europa<br />

Beratungsgesellschaft Ecorys. „Am VW<br />

Golf könnte man 500 Euro einsparen,<br />

wenn man die technischen Standards auf<br />

beiden Seiten des Atlantiks vereinheitlichen<br />

würde“, rechnet der deutsche<br />

EU-Kommissar Günther Oettinger vor.<br />

Könnte man, würde man... Denn während<br />

die Industrieverbände auf beiden Sei-<br />

ten des Atlantiks Tausende von Produktlinien<br />

nach Vereinfachungen durchforsten, wächst<br />

gegen TTIP der Widerstand. So traut sich<br />

niemand, den deutschen Autofahrern einen<br />

roten Blinker zuzumuten, denn schon jetzt<br />

sind die Vorbehalte hierzulande erheblich.<br />

Nur vier Prozent der Deutschen trauen den<br />

US-Sicherheitsstandards bei Autos, ergab<br />

eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-<br />

Stiftung. Bei Umwelt- und Nahrungsmittelstandards<br />

lag der Anteil der Gutgläubigen<br />

jeweils sogar nur bei zwei Prozent.<br />

MÄR VON DER GENMAISFLUT<br />

Nichtregierungsorganisationen (NGO) machen<br />

seit Monaten Stimmung gegen TTIP.<br />

Kein Argument scheint den Kritikern zu<br />

weit hergeholt, manches ist schlicht frei erfunden.<br />

So behauptet der Verein Campact<br />

– Kampagnen für eine lebendige Demokratie<br />

mit Sitz im niedersächsischen Verden<br />

in einer Petition, die bereits 620 000 Menschen<br />

unterschrieben haben: „TTIP gefährdet<br />

unsere Gesundheit: Was in den USA<br />

erlaubt ist, würde auch in der EU legal – so<br />

wäre der Weg frei für Fracking, Gen-Essen<br />

und Hormonfleisch.“<br />

Einen solchen Automatismus beabsichtigt<br />

niemand. Das Verhandlungsmandat,<br />

das die 28 EU-Mitgliedstaaten erteilt<br />

haben, sieht ausdrücklich vor, dass das<br />

Niveau der Rechtsvorschriften beim Umweltschutz,<br />

Arbeitsrecht und Gesundheitsschutz<br />

„gewahrt“ werden muss. So darf Kanada<br />

explizit kein mit Wachstumshormonen<br />

behandeltes Rindfleisch in die EU exportieren.<br />

Auch eine Flut gentechnisch veränderter<br />

Organismen ist eine Mär. Das Thema<br />

steht bei den Verhandlungen gar nicht auf<br />

der Tagesordnung, und EU-Handelskommissar<br />

Karel De Gucht hat klargemacht,<br />

dass mit Chlor behandelte Hähnchen in der<br />

EU weiterhin verboten bleiben sollen.<br />

Zwischenzeitlich hatte er nur für eine Zulassung<br />

plus Kennzeichnung plädiert, rückte<br />

nach großer öffentlicher Entrüstung davon<br />

aber wieder ab.<br />

Besonders abstrus ist die Behauptung,<br />

TTIP löse die Privatisierung in der Wasserversorgung,<br />

dem Gesundheitsbereich und<br />

in der Bildung aus. Über die Privatisierung<br />

entscheiden ausschließlich Regierungen.<br />

Verhandelt werden soll nur ein<br />

besserer Zugang von Firmen zu öffentlichen<br />

Ausschreibungen. Zahlreiche US-<br />

Staaten lassen ausländische Unternehmen<br />

bisher nicht zu.<br />

Am heftigsten kritisieren die TTIP-Gegner<br />

den Investitionsschutz, den die NGO<br />

in arbeit<br />

VW Golf mit rotem Blinker Fahrzeug für<br />

Kunden in den USA<br />

Corporate Europe Observatory, kurz CEO,<br />

in Brüssel als „Parallelrecht“ brandmarkt.<br />

Dass Investitionsschutzverträge Völkerrecht<br />

sind, wird ausgeblendet, ebenso,<br />

dass Deutschland mit 131 Ländern Investitionsschutzverträge<br />

abgeschlossen hat,<br />

die seine Firmen vor politischer Willkür im<br />

Ausland schützen. Weil der schwedische<br />

Energiekonzern Vattenfall wegen des<br />

Atomausstiegs gegen Deutschland auf<br />

Schadensersatz klagt, stellen TTIP-Gegner<br />

den Investitionsschutz als Angriff auf die<br />

Demokratie dar. Dabei zielt der maximal<br />

darauf ab, Unternehmen Planungssicherheit<br />

zu geben.<br />

Zwar haben die geheimen Schiedsgerichte,<br />

denen sich wie bei Vattenfall auch<br />

Staaten unterwerfen, den Nachteil, dass<br />

hier über Gesetzgeber und Steuerzahler<br />

geurteilt wird, ohne dass diese die Begründung<br />

des Richterspruchs erfahren<br />

und dagegen rechtlich vorgehen können.<br />

Doch statt Abhilfe zu fordern, möchten<br />

die Gegner lieber das ganze Verfahren<br />

und damit TTIP insgesamt kippen. n<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 43<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

men verändert. „Häufig geht es nicht<br />

mehr nur noch darum, mit der US-Produktion<br />

den amerikanischen Markt besser bedienen<br />

zu können. Das war in der Vergangenheit<br />

oft das Motiv für Produktionsverlagerungen<br />

in den USA“, sagt Bain-Experte<br />

Schmiedeberg. „Die USA sind für deutsche<br />

Unternehmen heute immer öfter ein günstiger<br />

Produktionsstandort und ein Kompetenzzentrum,<br />

von wo aus zukünftig der<br />

Weltmarkt beliefert wird.“<br />

So investiert etwa BASF wegen der niedrigeren<br />

Energiepreise Milliarden in den<br />

Ausbau seiner Produktion in den USA. Der<br />

Spezialchemiehersteller Evonik produziert<br />

Leichtbauteile für Autos künftig in Alabama,<br />

Wettbewerber Lanxess hat neuerdings<br />

eine Fabrik für synthetische Materialien in<br />

North Carolina. Der Duisburger Stahlhändler<br />

Klöckner & Co. hat bereits über<br />

50 Standorte in den USA und sie zum<br />

„Kernwachstumsmarkt“ erklärt. Für Chef<br />

Gisbert Rühl sind die Staaten im Vergleich<br />

zu Deutschland „der bessere Industriestandort“,<br />

wo er vor allem organisch wachsen<br />

oder Wettbewerber übernehmen will.<br />

ZUFRIEDENHEIT IN SINDELFINGEN<br />

Die bekanntesten deutschen Direktinvestoren<br />

in den USA sind allerdings die Autobauer.<br />

VW hat eine Verdopplung der Kapazität<br />

im US-Werk im Bundesstaat Tennessee<br />

beschlossen. BMW erweitert das US-<br />

Werk in Spartanburg im Bundesstaat South<br />

Carolina bis 2016 mit einer Gesamtinvestition<br />

von rund einer Milliarde Dollar. Drei<br />

von vier Autos aus Spartanburg gehen in<br />

den Export. Daimler ist dabei, die Produktion<br />

der Mercedes C-Klasse von Stuttgart<br />

nach Tuscaloosa zu verlagern. Eine weitere<br />

Fabrik zur Belieferung des US-Markts soll<br />

zusammen mit Partner Nissan in Mexiko<br />

hochgezogen werden.<br />

Proteste in Deutschland gegen mehr Produktion<br />

in den USA sind selten. Die dort gebauten<br />

Autos sicherten durch Zulieferteile<br />

auch Jobs in Europa ab, heißt es etwa beim<br />

BMW-Betriebsrat. Auch die Belegschaftsvertreter<br />

bei Daimler sind zufrieden: Im Juli<br />

verkündete der Konzern, dass die Produktion<br />

nicht nur weltweit ausgebaut wird, sondern<br />

bis 2020 auch 1,5 Milliarden Euro in<br />

den Standort Sindelfingen fließen sollen.<br />

So werde dort künftig die neue E-Klasse<br />

und ein weiteres, noch unbekanntes Modell<br />

gebaut. „Damit haben wir“, freut sich<br />

der Sindelfinger Betriebsratsvorsitzende<br />

Ergun Lümali, „die Zukunft des Standorts<br />

über 2020 hinaus gesichert.“<br />

n<br />

martin.seiwert@wiwo.de | New York<br />

INTERVIEW Helmuth Ludwig<br />

»Unschlagbare Mischung«<br />

Der Chef der Siemens-US-Industriesparte setzt auf die Kombination<br />

deutscher und amerikanischer Stärken.<br />

Herr Ludwig, sind die<br />

600 000 neuen Fabrikjobs<br />

in den USA der<br />

Beginn einer großen<br />

Rückkehr der Industrie?<br />

Es spricht vieles für ein<br />

echtes Comeback der industriellen<br />

Produktion.<br />

Neben den niedrigen<br />

Energie- und Lohnkosten<br />

stehen derzeit 1900<br />

Milliarden Dollar für Investitionen<br />

in die US-Industrie<br />

zur Verfügung.<br />

Das ist im Verhältnis<br />

zum Bruttosozialprodukt<br />

so viel wie seit fünf<br />

Jahrzehnten nicht mehr.<br />

Außerdem hat sich die<br />

Einstellung geändert:<br />

Früher wurde man als Manager in den<br />

USA belächelt, wenn man nicht an die<br />

Wall Street ging, sondern zu einem Industrieunternehmen<br />

wie Siemens. Die<br />

Leute wussten noch nicht mal, wer Siemens<br />

ist. Heute ist es wieder sehr angesehen,<br />

wirklich etwas zu produzieren.<br />

Und an den Unis wissen die Studenten<br />

auch genau, wer Siemens ist.<br />

Wie profitiert Siemens von der steigenden<br />

Industrieproduktion in den USA?<br />

Wir sehen etwa eine hohe Nachfrage<br />

nach unserer Software für die Produktion.<br />

Wir haben Software für die Produktentwicklung<br />

und für die intelligente<br />

Steuerung und Automatisierung der<br />

Produktionsabläufe. Gerade unsere<br />

Kombinationen dieser Software kommen<br />

gut an. Ich spreche derzeit mit einem<br />

Unternehmen, das wirklich eine<br />

Ikone der US-Wirtschaft ist, über den<br />

Einsatz unserer Softwarelösungen. In<br />

der Autoindustrie, die in den USA schon<br />

wieder auf Vorkrisenniveau produziert,<br />

profitieren wir von hohen Investitionen<br />

in neue Produktionsverfahren und in<br />

neue Fabriken.<br />

Ihr Chef Joe Kaeser hat faktisch gesagt,<br />

dass sich das Schicksal von Siemens in<br />

den USA entscheidet, und den Sitz der<br />

Der Automatisierer<br />

Ludwig, 51, ist Chef des<br />

Siemens-Sektors Industrie in<br />

den USA und forscht nebenbei<br />

zum Industriestandort.<br />

Energiesparte dorthin<br />

verlegt. Ist das für<br />

deutsche Kollegen nicht<br />

ein bisschen viel USA?<br />

Die Menschen bei Siemens<br />

wissen, dass wir<br />

ein globaler Konzern<br />

sind, und sie sind stolz<br />

darauf. Es ist nicht eine<br />

einzelne Region, die uns<br />

stark macht, sondern<br />

das Zusammenspiel.<br />

Deutsche Ingenieurkunst<br />

und die Kompetenz<br />

im Maschinenbau,<br />

kombiniert mit US-Unternehmergeist<br />

und der<br />

Stärke in der IT, das ergibt<br />

eine unschlagbare<br />

Mischung. Auch bei der<br />

Technik sehen Sie dieses Zusammenspiel:<br />

Wir vereinigen Software aus<br />

Deutschland mit Software aus den USA<br />

zu einem Angebot. Wir machen also<br />

Freihandel im Kleinen. Unsere Vision<br />

2020 legt den Schwerpunkt auf Elektrifizierung,<br />

Automatisierung und Digitalisierung.<br />

Diese globale Ausrichtung von<br />

Siemens passt 100-prozentig zu dem,<br />

was gerade in den USA geschieht.<br />

Wenn die USA so wichtig sind, könnte<br />

Siemens doch auch den Hauptsitz der<br />

Industriesparte dorthin verlegen.<br />

Das ist derzeit kein Thema. Aber Teilbereiche<br />

des Industriesektors haben ihren<br />

Hauptsitz bereits in den USA, etwa die<br />

Produktentwicklungssoftware. Auch der<br />

Hauptsitz des Segments Industrielle Sicherheit<br />

ist in den USA.<br />

Siemens hat rund 100 US-Fabriken.<br />

Wird dort künftig mehr als bisher für<br />

den Weltmarkt produziert?<br />

Natürlich wird in einigen unserer Fabriken<br />

künftig mehr für den Weltmarkt produziert.<br />

Andererseits wird das Wachstum<br />

in den USA aber auch für mehr<br />

Importe aus Deutschland sorgen, wovon<br />

die deutschen Kollegen profitieren. Da<br />

ziehen wir alle an einem Strang.<br />

martin.seiwert@wiwo.de | New York<br />

FOTO: PR<br />

44 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Billiger ans Ziel Car2Go schnappt<br />

Taxi-Unternehmen Kunden weg<br />

An allen vorbei<br />

CARSHARING | Bisher unbekannte Zahlen zeigen, wie Car2Go für<br />

Daimler und DriveNow für BMW langsam zum Geschäft werden.<br />

Thomas Beermann hat den Kleinsten –<br />

und sieht darin riesige Chancen. Der<br />

47-Jährige ist Europa-Chef von<br />

Car2Go, der Carsharing-Tochter des Stuttgarter<br />

Autokonzerns Daimler und des<br />

Mietwagenriesen Europcar. Das Gemeinschaftsunternehmen<br />

aus der Nähe von<br />

Stuttgart hat 11 000 Smarts auf der Straße.<br />

Noch haben die Zweisitzer einen Wendekreis<br />

von neun Metern, das neue Modell,<br />

das ab 2015 zum Einsatz kommt, braucht<br />

zwei Meter weniger. „Dieser Wendekreis ist<br />

grandios“, sagt Beermann. „Das macht die<br />

Nutzung in der Stadt noch besser.“<br />

Vor rund einem halben Jahrzehnt von<br />

den Autobauern entdeckt, steht der Wettbewerb<br />

im Carsharing vor einer neuen<br />

Runde. Ob Car2Go, Multicity – die Elektroautoflotte<br />

der französischen Automarke<br />

Citroën – oder DriveNow, der Carsharing-<br />

Ableger von BMW und dem Autovermieter<br />

Sixt: Die Idee, sich ein Auto zu teilen, ist<br />

endgültig aus der Ökoecke heraus. Dort<br />

war das Konzept jahrelang wie festgenagelt,<br />

weil das geliehene Auto an der Ursprungsstation<br />

zurückgegeben werden<br />

musste.<br />

BREAK-EVEN ÜBERSCHRITTEN<br />

Doch ist das neue Carsharing, bei dem das<br />

Auto überall abgestellt werden kann, überhaupt<br />

ein Geschäft oder eher ein Marketinginstrument,<br />

um wenig autoaffine Städter<br />

für sich zu gewinnen? Lässt sich damit<br />

Geld verdienen? Und wie geht es weiter?<br />

Die Antwort gibt eine bisher unveröffentlichte<br />

Studie der auf Mobilität spezialisierten<br />

Hamburger Strategieberatung Civity.<br />

Danach hat Carsharing seine Nische im<br />

städtischen Nahverkehr gefunden. Beim<br />

Kampf um die Marktführerschaft stehen<br />

sich Daimler und BMW gegenüber. Für die<br />

Konzerne ist Carsharing nicht nur Marketing,<br />

sondern auch Geschäft.<br />

„Nach 24 bis 36 Monaten erreichen wir<br />

den Break-even“, sagt Car2Go-Manager<br />

Beermann. Je länger ein Carsharing-System<br />

das Stadtbild präge, desto besser seien<br />

die Zahlen. Konkurrent BMW, der zwei<br />

Jahre nach Daimler einstieg, behauptet<br />

Ähnliches. „Wir haben mit DriveNow die<br />

operative Gewinnschwelle auf Monatsbasis<br />

überschritten“, sagt Geschäftsführer Nico<br />

Gabriel. „Unseren Mutterkonzernen haben<br />

wir gezeigt, dass wir mit dem Thema<br />

Geld verdienen können.“<br />

Der Markt steht erst am Anfang. „Den<br />

Unternehmen ist es gelungen, ein neues<br />

Mobilitätsprodukt zu schaffen und zusätzliche<br />

Erlösströme zu generieren“, sagt Civity-Partner<br />

und Studienautor Stefan Weigele,<br />

die Alternative zum Taxi oder zum eigenen<br />

Auto wird zum globalen Massenmarkt.<br />

Für 2020 errechnen die Berater weltweit<br />

ein Umsatzpotenzial von bis zu 1,4 Milliarden<br />

Euro. Die Anzahl der Systeme müss-<br />

FOTO: PR<br />

46 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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te sich dazu von heute 30 auf rund 140 nahezu<br />

verfünffachen. Aktuell hat Daimler<br />

mit Car2Go die Nase klar vorn. Die Schwaben<br />

sind in 26 Städten rund um den Globus<br />

unterwegs. BMW beschränkt sich mit<br />

DriveNow auf sechs Städte. Die vorsichtige<br />

Gangart zahlt sich aus: Laut Civity liegt<br />

BMW bei den Erlösen vorn.<br />

Die Experten haben ein Jahr lang die öffentlich<br />

zugänglichen Daten über die<br />

Standorte der Autos auf den Carsharing-<br />

Internet-Seiten gescannt und daraus Ausleihzeiten<br />

und Fahrtwege errechnet. Das<br />

Ergebnis: „DriveNow ist das erfolgreichere<br />

Angebot“, sagt Civity-Berater Weigele.<br />

Wie viel Freude die Konzerne am Carsharing<br />

haben, zeigt sich in Berlin, wo laut<br />

Civity weltweit jeder vierte Umsatz-Euro<br />

erwirtschaftet wird. Mehr als 2000 Fahrzeuge<br />

werden hier zur Kurzzeitmiete angeboten.<br />

Die Hauptstädter nutzen sie vor<br />

allem für Kiez-Touren und Fahrten zwischen<br />

den Trendvierteln Mitte, Kreuzberg,<br />

Friedrichshain und Prenzlauer Berg.<br />

GEHEIME RABATTE<br />

Dabei gelingt es BMW offenbar besser als<br />

Daimler, die 650 Fahrzeuge auszulasten.<br />

DriveNow-Fahrzeuge rollen im Schnitt 78<br />

Minuten pro Tag durch die Stadt, die Stuttgarter<br />

kommen auf 62 Minuten. Weit abgeschlagen<br />

ist Multicity mit nur 26 Minuten.<br />

Mögliche Gründe für den Rückstand: Die<br />

Franzosen, die mit der Deutschen Bahn<br />

kooperieren, haben mit 370 Elektroautos<br />

eine kleinere Flotte als DriveNow und<br />

Car2Go, viele Kunden verzichten auf die<br />

dritte Option.<br />

Das Erstaunliche an der Civity-Analyse:<br />

Obwohl die Autos rund 23 Stunden am Tag<br />

ungenutzt herumstehen, reicht das offenbar<br />

annähernd zur Kostendeckung – behaupten<br />

zumindest Daimler und BMW.<br />

Beide sehen sich in Berlin auf gutem Weg<br />

ins operative Plus, obwohl DriveNow bei<br />

einem Minutenpreis von 31 Cent im<br />

Schnitt nur 24 Euro pro Tag und Fahrzeug<br />

erlöst, Car2Go sogar nur 18 Euro. Auch in<br />

anderen Städten erlösen die Bayern mehr<br />

als Car2Go, wenngleich alle Unternehmen<br />

dort von den Berliner Spitzenwerten weit<br />

entfernt sind (siehe Grafiken rechts).<br />

Im Zweikampf mit Car2Go sehen die Experten<br />

von Civity das DriveNow-System<br />

aus drei Gründen vorn:<br />

n Kleineres Einzugsgebiet Nicht nur in<br />

Berlin, auch in den anderen Städten ziehen<br />

die Bayern einen engen Kreis um die Innenstadt,<br />

in dem die Fahrzeuge abgeholt<br />

und abgestellt werden können. Im Schnitt<br />

88 Quadratkilometer groß ist das Einzugsgebiet<br />

von DriveNow, rund ein Drittel weniger<br />

als bei Car2Go. „DriveNow konzentriert<br />

sich auf dicht besiedelte Milieu-Stadtteile<br />

und erschließt so relevante Zielgruppen<br />

besser“, sagt Weigele. „Das spiegelt<br />

sich automatisch in der höheren Auslastung<br />

wider.“<br />

n Geräumigere Autos In die Autos von<br />

DriveNow passen vier, in die von Car2Go<br />

nur zwei Leute. „Die Bayern profitieren<br />

aber offensichtlich auch davon, dass sie<br />

hochwertigere und attraktivere Modelle<br />

anbieten“, vermutet Weigele. BMW und<br />

Sixt schicken zu 60 Prozent Mini auf die<br />

Straße, der Rest entfällt auf 1er-BMW. Zwischen<br />

April und Oktober wird auch das Mini<br />

Cabrio angeboten, für 34 statt 31 Cent<br />

pro Minute. Das motiviert die Kundschaft<br />

offenbar zusätzlich.<br />

n Jüngere Modelle Die Smart von Car2Go<br />

haben oft schon einige Betriebsjahre auf<br />

dem Kühler, das Navigationssystem ist veraltet.<br />

„Wir optimieren das zwar ständig“,<br />

sagt Car2Go-Manager Beermann, aber<br />

„wir werden auch über kürzere Haltedauern<br />

nachdenken“. Ursprünglich wollte die<br />

Daimler-Tochter die Smart vier Jahre in der<br />

Flotte halten, inzwischen gelten drei Jahre<br />

als Maximum. DriveNow gibt die Autos<br />

nach zehn bis zwölf Monaten zurück.<br />

Unklar bleibt, zu welchen Konditionen<br />

die Unternehmen die Autos finanzieren –<br />

eine wichtige Stellschraube im Kampf um<br />

Profitabilität. Während die Stuttgarter ihren<br />

Vorteil darin sehen, den Wertverlust<br />

der Autos im ersten Jahr durch eine möglichst<br />

lange Haltedauer zu kompensieren,<br />

minimieren die Münchner finanzielle Risiken:<br />

„Wir haben eine Leasingrate, mit der<br />

wir klar kalkulieren können“, sagt Gabriel.<br />

Für die Autohersteller sind die Carsharing-Töchter<br />

ein wichtiges Marketinginstrument:<br />

Wer mal einen Smart, Mini oder<br />

1er-BMW geliehen hat, kauft sich womöglich<br />

irgendwann auch so ein Modell. Und<br />

sie bringen Umsatz: Zum Listenpreis von<br />

10 000 Euro pro Fahrzeug würden die<br />

11 000 Car2Go-Smart 110 Millionen Euro<br />

bringen. Abzüglich der beträchtlichen Rabatte,<br />

deren genaue Höhe aber geheim ist.<br />

Dafür ist Wachstum garantiert:„Bis 2020<br />

werden wir weltweit in 40 bis 50 weiteren<br />

Städten an den Start gehen“, sagt Car2Go-<br />

Europa-Chef Beermann, drei Mal so viele<br />

wie heute. Sein Umsatzziel: eine Milliarde<br />

Euro. Auch BMW setzt auf Expansion, aber<br />

langsamer. „Unser Ziel in den kommenden<br />

Jahren: bis zu 15 europäische und 10 amerikanische<br />

Metropolen“, kündigt Gabriel<br />

»<br />

Auf Gewinnkurs<br />

Weltweiter Umsatz mit Carsharing<br />

(in Millionen Euro)*<br />

(30 Angebote)**<br />

53–64<br />

2013<br />

2020<br />

Car2Go<br />

(Daimler/Europcar)<br />

DriveNow<br />

(BMW/Sixt)<br />

Multicity<br />

(Citroën)<br />

Effektive tägliche Fahrzeit eines Carsharing-<br />

Fahrzeugs (in Minuten)<br />

Deutschland<br />

54<br />

41–50<br />

62<br />

(140 Angebote)**<br />

Berlin<br />

78<br />

11–13<br />

0,7–0,9<br />

58<br />

26<br />

Car2Go DriveNow Multicity<br />

Durchschnittlicher Tageserlös pro Carsharing-<br />

Fahrzeug (in Euro)<br />

Europa<br />

16<br />

18<br />

Berlin<br />

1400<br />

18<br />

24<br />

Car2Go DriveNow Multicity<br />

* ohne feste Abhol- und Abgabepunkte; Fahrerlöse;<br />

April 2013 bis März 2014; ** Angebote = Zahl der<br />

Städte, in denen ein Carsharing-Betreiber präsent ist;<br />

Quelle: Civity<br />

7<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 47<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

an. Dicke Gewinne wird Carsharing auf<br />

Dauer aber nur abwerfen, wenn die Betreiber<br />

nicht nur expandieren, sondern gleichzeitig<br />

Nutzerzahl und Auslastung erhöhen<br />

sowie zusätzliche Erlöse durch Extra-Angebote<br />

erzielen. Car2Go und DriveNow<br />

steigerten den Umsatz, indem sie ihren<br />

Kunden in einigen Städten erlaubten, die<br />

Autos auch außerhalb des City-Bereichs,<br />

etwa am Flughafen, abzustellen.<br />

Car2Go bietet in Berlin und Hamburg<br />

neben Smart auch die Mercedes B-Klasse<br />

an. Die 100 schwarzen Limousinen kosten<br />

zehn Euro pro Stunde und 49 Euro pro Tag<br />

– inklusive Benzin. Bei der Offerte „Car2Go<br />

Black“ werden dann ab Kilometer 51 zusätzlich<br />

29 Cent pro Kilometer fällig. Der<br />

Vorteil: Die Autos können auf festen Parkspots<br />

abgestellt werden, die Parkplatzsuche<br />

entfällt. Auch einfache Fahrten zwischen<br />

Hamburg und Berlin sind möglich.<br />

Car2Go attackiert damit die Autovermieter.<br />

FREIER EINTRITT IN DIE THERME<br />

Das nächste Schmankerl der Carsharing-<br />

Anbieter könnten Fahrten ins Umland werden.<br />

Die Möglichkeit, für acht Euro extra<br />

zwischen Köln und Düsseldorf zu pendeln,<br />

hat laut DriveNow auch Kunden über 45<br />

Jahre überzeugt. Jetzt wollen die Bayern die<br />

Auslastung weiter erhöhen, indem sie ihre<br />

Kunden zu Tagesausflügen animieren: in<br />

Köln oder Düsseldorf zum Wasserski, in<br />

Hamburg zum Outlet-Center oder in München<br />

in die Therme – jeweils mit Gutschein<br />

für Eintritt oder Einkauf.<br />

Die Ausflugsidee ist nur eine von vielen,<br />

an denen die Konzerne arbeiten. Wer mit<br />

Junge Flotte DriveNow-Chef<br />

Gabriel behält die Fahrzeuge<br />

nur ein Jahr<br />

Die erfolgreichsten Städte<br />

Fahrten pro Jahr und Fahrzeug*<br />

Mailand<br />

Portland<br />

Hamburg<br />

Seattle<br />

Berlin<br />

Wien<br />

München<br />

Hamburg<br />

Calgary<br />

Vancouver<br />

Denver<br />

Car2Go<br />

DriveNow<br />

* harmonisiert auf 24 Monate Betriebsdauer;<br />

Quelle: Civity<br />

2700<br />

2600<br />

2500<br />

2400<br />

2400<br />

2300<br />

2200<br />

2100<br />

2100<br />

2000<br />

1900<br />

DriveNow zum Beispiel zum Shopping zu<br />

Rewe fährt, erhält bis zu zehn freie Parkminuten<br />

sowie fünf Prozent Rabatt auf den<br />

Einkauf. „Solche Pakete sind noch kein riesiger<br />

Hebel“, sagt BMW-Manager Gabriel,<br />

„aber da ist noch viel Zukunftsmusik drin.“<br />

Bleibt die Frage, wie die Städte auf die<br />

neuen Autoflotten reagieren. Denn von deren<br />

Verwaltungen hängt der langfristige Erfolg<br />

des Carsharings ab, bei dem der Kunde<br />

sein Auto nach Belieben in der City abstellen<br />

kann. Nicht überall treffen die Unternehmen<br />

damit auf Gegenliebe. In London<br />

erlebte Car2Go ein Debakel, nach nur 18<br />

Monaten zog sich die Daimler-Tochter in<br />

diesem Jahr aus der britischen Hauptstadt<br />

zurück – wegen „administrativer Hürden“,<br />

wie Beermann formuliert. Alle 32 Stadtbezirke<br />

haben einen eigenen Bürgermeister,<br />

was beim Aufbau eines einheitlichen Parkraums<br />

zu Problemen geführt habe. „Wir<br />

mussten mit jedem einzelnen Stadtteil verhandeln<br />

– und wir hatten Ende 2013 nicht<br />

genügend Innenstadt-Bezirke beisammen.“<br />

Auch in Deutschland gibt es Bremser<br />

in den Städten. München etwa deckelt<br />

die Zahl der Fahrzeuge pro Anbieter auf<br />

500 und limitiert das Freiparken in Anwohnergebieten.<br />

Ohne das Wohlwollen der Behörden<br />

geht aber nichts. „Wir haben bewiesen,<br />

dass wir nachhaltig arbeiten und erste Entlastungseffekte<br />

bringen können“, sagt<br />

DriveNow-Chef Gabriel, „nun sollten die<br />

Städte entscheiden, ob und inwieweit sie<br />

das Carsharing weiter fördern und ausbauen<br />

wollen.“ Sinnvoll wäre es etwa, die Parkgebühren<br />

zu senken oder Park-Einschränkungen<br />

aufzuheben, sagt Gabriel.<br />

ZWEIFEL AN NACHHALTIGKEIT<br />

Streit ist auch aus einem anderen Grund<br />

programmiert. Denn die Civity-Studie<br />

weckt Zweifel am ökologischen Nutzen.<br />

Carsharing mit der Möglichkeit, Fahrzeuge<br />

nach Belieben abzustellen, sei „größtenteils<br />

motorisierte Bequemlichkeitsmobilität<br />

im Nahbereich“, sagt Autor Weigele. „50<br />

Prozent der Fahrten sind kürzer als fünf Kilometer.“<br />

Die Autos entzögen damit dem<br />

Taxigewerbe und den Bus- und Bahnbetrieben<br />

teilweise Kundschaft. Radfahrer<br />

steigen plötzlich wieder ins Auto.<br />

Doch der Markt ist noch jung, niemand<br />

weiß, ob Großstädter womöglich bereit<br />

wären, den Zweit- oder sogar den Erstwagen<br />

abzuschaffen oder wenigstens stehen<br />

zu lassen. „Was machen wir, wenn bei 1000<br />

zur Verfügung gestellten Carsharing-Fahrzeugen<br />

3000 oder 6000 Stellplätze frei werden,<br />

weil Haushalte das tun, was sie bei unseren<br />

Untersuchungen bislang angeben,<br />

nämlich zu einem nicht geringen Teil ihr<br />

Privatfahrzeug verkaufen?“, fragt Münchens<br />

Verkehrsstrategie-Chef Schreiner.<br />

Zusätzliche Radwege könnten Kritiker des<br />

flexiblen Carsharings überzeugen.<br />

Was staatliche Regulierung beim Carsharing<br />

vermag, zeigt das Beispiel Mailand,<br />

wo die Stadtverwaltung eine Innenstadt-<br />

Maut erhebt. Nirgendwo konnte die Daimler-Tochter<br />

innerhalb eines Jahres mehr<br />

Kunden gewinnen als in der norditalienischen<br />

Finanzmetropole. Ein „gigantisches<br />

Wachstum“, freut sich Manager Beermann.<br />

„Die Kunden haben Car2Go zu einem Modeartikel<br />

erklärt.“<br />

n<br />

christian.schlesiger@wiwo.de<br />

FOTO: PR<br />

48 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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»Wie im<br />

Wilden<br />

Westen«<br />

INTERVIEW | Rainer Baumgart Der<br />

Chef des Essener IT-Dienstleisters<br />

Secunet, Lieferant der Bundesregierung,<br />

fordert strengere<br />

Vorschriften gegen Cyberangriffe.<br />

FOTO: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Damit hatten die Funktionäre im<br />

Bundesverband Informationswirtschaft,<br />

Telekommunikation und<br />

neue Medien (Bitkom) nicht gerechnet. Als<br />

sich der neue Arbeitskreis Sicherheitspolitik<br />

zu seiner konstituierenden Sitzung am<br />

4. Juni in Berlin traf, war der Konferenzsaal<br />

so prall gefüllt wie noch nie. Über 100 Vertreter<br />

von Mitgliedsunternehmen reisten<br />

persönlich an. In den Bitkom-Arbeitskreisen<br />

treffen sich sonst nur ausgesuchte Spezialisten<br />

in kleiner Runde. Doch dieses Mal<br />

wollten alle live vor Ort sein, wenn der IT-<br />

Dachverband die Suche nach einer Lösung<br />

in einem Richtungsstreit aufnimmt, der<br />

seit den Enthüllungen des ehemaligen<br />

NSA-Agenten Edward Snowden zwischen<br />

den IT-Anbietern tobt.<br />

Die Zeit drängt. Bis heute habe keine<br />

„echte inhaltliche Diskussion über die<br />

Streitpunkte stattgefunden“, kritisieren<br />

Teilnehmer. Es geht um die IT-Souveränität<br />

Deutschlands. Viele Vorschläge liegen auf<br />

dem Tisch:Weniger Datenverkehr über die<br />

viel genutzte Transatlantik-Strecke oder lokale<br />

Datenspeicher beim Cloud Computing<br />

– so etwas könnte helfen, die Abhängigkeit<br />

von den durch die NSA-Affäre in<br />

Verruf geratenen Internet-Giganten aus<br />

den USA zu reduzieren.<br />

Einer, der bei solchen Debatten vorn<br />

mitmischt, ist Rainer Baumgart. Der Chef<br />

der Essener Secunet Security Networks AG<br />

ist einer der Bauherren des hochsicheren<br />

Regierungsnetzes und berät seit Jahren Minister<br />

und Behördenchefs in puncto IT-Sicherheit.<br />

Sein Wort hat auch in Berlin Gewicht<br />

– besonders in diesen Tagen, da die<br />

Bundesregierung ihre Marschroute bei der<br />

Abwehr von Cyberangriffen festlegt.<br />

DER SICHERHEITSPAPST<br />

Baumgart, 60, ist seit 2001 Vorstandsvorsitzender der Secunet Security Networks AG in<br />

Essen. Er kam 1997 <strong>vom</strong> TÜV zu Secunet. Das Unternehmen schützt die Bundesregierung<br />

mit hochsicheren Verschlüsselungstechniken vor Cyberattacken.<br />

Am kommenden Mittwoch will das Bundeskabinett<br />

die Digitale Agenda verabschieden,<br />

damit Deutschland „digitales<br />

Wachstumsland Nummer eins in Europa“<br />

werde. Ein Schwerpunkt wird die IT-Sicherheit<br />

sein. Die Vorschläge für eine verstärkte<br />

Cyberabwehr sollen in einem künftigen<br />

IT-Sicherheitsgesetz münden.<br />

Die Details sind höchst umstritten. So<br />

Herr Baumgart, das Bundeskabinett will<br />

am kommenden Mittwoch mit der Digitalen<br />

Agenda so etwas wie einen Masterplan<br />

beschließen, um den Rückstand von<br />

Deutschland im Internet aufzuholen.<br />

Reichen die geplanten Maßnahmen auch,<br />

um Unternehmen vor Cyberattacken zu<br />

schützen?<br />

Die Maßnahmen können nur ein Anfang<br />

propagiert die Bundesregierung den sein. Noch gibt es in Deutschland eine starke<br />

„Selbstschutz“ der Unternehmen und Privathaushalte.<br />

Gleichwohl soll es eine Meldepflicht<br />

bei Cyberangriffen geben, was bei<br />

der Industrie und bei Bitkom auf Widerstand<br />

IT-Sicherheitsindustrie. Die Digitale Agenda<br />

der Bundesregierung muss aber dazu führen,<br />

dass diese Technologien auch eingesetzt<br />

werden. Und zwar nicht nur bei Behör-<br />

stößt. Dazu vertritt Secunet-Chef den, sondern besonders auch in den Unter-<br />

Baumgart provokante Thesen. nehmen bis hin zu Privathaushalten. »<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 49<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Fast täglich werden inzwischen Attacken<br />

von Geheimdiensten und Cyberkriminellen<br />

bekannt, die Unternehmen<br />

ausspionieren. Woran fehlt es konkret?<br />

Viele Angriffe ließen sich abwehren, wenn<br />

die Betroffenen die vorhandenen Sicherheitstechniken<br />

konsequent installieren<br />

würden. Es gibt Unternehmen, die einen<br />

hohen Sicherheitsstandard erreicht haben.<br />

Aber die Mehrheit setzt IT-Sicherheitsprodukte,<br />

wenn überhaupt, nur als Feigenblatt<br />

ein. Die Verantwortlichen kaufen Firewalls<br />

und Virenschutzprogramme und meinen<br />

dann, ihre Aufgabe erfüllt zu haben.<br />

Haben die Enthüllungen des ehemaligen<br />

NSA-Agenten Edward Snowden die<br />

Verantwortlichen in den Firmen nicht<br />

wachgerüttelt?<br />

cherheit der Aufzüge an und gilt erst recht<br />

für die IT-Systeme. Die Unternehmen müssen<br />

Regeln aufstellen und durchsetzen und<br />

gelegentlich auch hinterfragen, ob sie überhaupt<br />

noch vernünftig sind. Bei der IT-Sicherheit<br />

spielt nach wie vor die Funktionalität<br />

und der Komfort eine ganz wichtige Rolle.<br />

Das heißt?<br />

Jeder will mobil überall unter allen Umständen<br />

erreichbar sein. Natürlich soll es<br />

auch sicher sein. Aber schon bei den geringsten<br />

Einschränkungen – dass ich mich<br />

zum Beispiel ausweisen oder eine Chipkarte<br />

einlegen muss – heißt es sofort: Das<br />

geht ja gar nicht. Dann bin ich ja nicht<br />

mehr so schnell und flexibel wie vorher.<br />

Manager und Mitarbeiter gehen dann zu<br />

ihren IT-Verantwortlichen und weigern<br />

Maxime für die Unternehmen fest. Auch<br />

künftig soll es nur ganz wenige Vorschriften<br />

geben. Und selbst die stoßen –<br />

wie die Meldepflicht bei Cyberangriffen –<br />

auf laute Proteste aus der Industrie.<br />

Kämpfen Sie gegen Windmühlen?<br />

Ich bin davon überzeugt: Ohne Regulierung<br />

mit strengen Vorschriften und ihrer<br />

konsequenten Überwachung, dass sie<br />

auch eingehalten werden, wird es keinen<br />

Schutz vor Cyberangriffen geben. Schauen<br />

Sie sich andere gesellschaftliche Bereiche<br />

wie zum Beispiel das Gesundheitswesen<br />

an. Hält sich niemand an die Hygienevorschriften,<br />

würden sich sofort gefährliche<br />

Erreger ausbreiten. Bricht doch eine Epidemie<br />

aus wie jetzt bei Ebola, gibt es exakte<br />

Notfallpläne. Für das Internet und die IT-<br />

Das sehe ich bisher nur in Einzelfällen. Ein<br />

Sicherheitsverantwortlicher gibt ja kaum<br />

zu, dass er in der Vergangenheit schlechte<br />

Arbeit abgeliefert hat. Deshalb wird keiner<br />

ankündigen: Jetzt muss ich etwas tun. Die<br />

meisten sagen, sie hätten schon alles getan,<br />

und werden in Zukunft so weitermachen<br />

wie bisher. Aber das ist definitiv zu wenig.<br />

Auch in den Unternehmen gibt es nachweislich<br />

noch viele Sicherheitslücken, die<br />

schnell geschlossen werden müssen.<br />

Das klingt doch sehr nach Eigenwerbung.<br />

Warum kaufen so wenig Unternehmen<br />

Ihre IT-Sicherheitslösungen, obwohl Sie<br />

mit der Bundesregierung eine hervorragende<br />

Referenz vorweisen können?<br />

Ganz einfach, weil hohe Sicherheit immer<br />

etwas Mehraufwand bedeutet. Das fängt<br />

beim profanen Feuermelder und bei der Sisich,<br />

das sichere Gerät zu nutzen. Die IT-<br />

Verantwortlichen sitzen dann zwischen<br />

Baum und Borke.<br />

Wollen Sie damit sagen, die deutschen<br />

Manager sind nicht auf der Höhe der Zeit?<br />

Sagen wir’s mal so: Wir sind in Deutschland<br />

noch immer in der Phase des Missionierens.<br />

Und die wird so lange andauern,<br />

wie Unternehmen IT-Sicherheit auf freiwilliger<br />

Basis einrichten. Bei der IT-Sicherheit<br />

gelten heute so wenig Regeln wie früher im<br />

Wilden Westen. Sobald man etwas in die<br />

Sicherheit investiert, glauben manche Verantwortliche,<br />

es sei schon ausreichend,<br />

auch wenn sie ahnen, dass sie Sicherheit<br />

oft nur vorgaukeln und an der falschen<br />

Stelle sparen.<br />

Die Bundesregierung hält in ihrer Digitalen<br />

Agenda am Selbstschutz als oberste<br />

Techniken gibt es das alles nicht. Jeder<br />

kann machen, was er will. Der Anwender<br />

wird lediglich aufgerufen, Vorsicht walten<br />

zu lassen. Das ist so, als würden Sie ein Auto<br />

ohne Bremsen verkaufen und den Fahrer<br />

ermahnen, gut aufzupassen.<br />

Die Bundesregierung will die deutschen<br />

IT-Sicherheitsfirmen fördern, um<br />

Abhängigkeit von den Internet-Giganten<br />

in den USA und Asien zu reduzieren.<br />

Trotzdem wurde Ihr Konkurrent Secusmart<br />

in Düsseldorf gerade an den kanadischen<br />

Smartphone-Hersteller Blackberry<br />

verkauft. Droht ein Ausverkauf der deutschen<br />

IT-Sicherheitsindustrie?<br />

Dieser Ausverkauf findet ja schon seit<br />

einigen Jahren statt. Wenn sich hiesige<br />

Unternehmen mit einem zertifizierten<br />

Produkt am Markt etabliert haben, werden<br />

50 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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sie plötzlich auch interessant für ausländische<br />

Investoren. Um einen Know-how-Abfluss<br />

ins Ausland zu verhindern, hat die<br />

Bundesregierung schon vor über zehn Jahren<br />

das Außenwirtschaftsgesetz geändert<br />

und auch für Verschlüsselungstechnologien<br />

einen Genehmigungsvorbehalt eingeführt.<br />

Das heißt aber nicht, dass jedes Unternehmen,<br />

das eine Verschlüsselungslösung<br />

entwickelt hat, systemrelevant ist und<br />

sich ausländische Investoren dort nicht engagieren<br />

dürfen. Es gibt aber einen harten<br />

Kern von Unternehmen, deren Verkauf<br />

große Lücken in die IT-sicherheitstechnischen<br />

Fähigkeiten reißen würden. Die angestrebte<br />

digitale Souveränität Deutschlands<br />

oder Europas wäre dann in der Tat<br />

gefährdet.<br />

Großangriff auf Datenschätze<br />

Wie deutsche Unternehmen ausspioniert<br />

werden (in Prozent)<br />

49,6<br />

41,1<br />

38,4<br />

33,0<br />

21,9<br />

17,4<br />

Quelle: Corporate Trust<br />

Hackerangriffe auf IT-<br />

Systeme und -Geräte<br />

Abhören und Abfangen elektronischer<br />

Kommunikation<br />

Geschicktes Ausfragen von<br />

Mitarbeitern am Telefon und in<br />

sozialen Netzwerken<br />

Datendiebstahl durch eigene<br />

Mitarbeiter<br />

Abfluss von Daten durch externe Dritte<br />

wie Zulieferer, Dienstleister und Berater<br />

Diebstahl von Geräten wie<br />

Laptop und Smartphone<br />

auf diesem Markt spielen wollen. Auch die<br />

Großen unter ihnen sind kaum in der Lage,<br />

den Markt zu konsolidieren und die kleinen<br />

Anbieter zusammenzuführen. Secunet<br />

zum Beispiel ist mit einem Jahresumsatz<br />

zwischen 60 und 70 Millionen Euro einer<br />

der größten Anbieter in seinem Segment.<br />

Es ist aber zu erwarten, dass sich einige<br />

Kristallisationspunkte herausbilden,<br />

an denen sich viele ausrichten werden. Dabei<br />

könnte sich eine verstärkte Exportförderung<br />

deutscher IT-Sicherheitstechnik<br />

positiv auf die Stabilität und Entwicklung<br />

der Branche auswirken.<br />

Warum füllen Sie das Vakuum nicht,<br />

indem Sie Konkurrenten aufkaufen?<br />

Wir sind durchaus interessiert, aber es<br />

muss passen. Viele Technologien haben<br />

Ist diese gefährdet, wenn Secusmart bei<br />

Blackberry bleiben darf?<br />

Nein. Den Verkauf sehe ich nicht als so kritisch<br />

an, weil hier sicherheitsrelevante<br />

Komponenten nicht ausschließlich von<br />

Secusmart kommen. Verschlüsselungen<br />

für Smartphone-Telefonate bieten auch<br />

andere Unternehmen an.<br />

Bei vielen der hiesigen IT-Sicherheitsfirmen<br />

flattern gerade verstärkt<br />

Übernahmeangebote auf die Schreibtische<br />

der Eigentümer. Warum schauen<br />

sich ausländische Investoren gerade<br />

in Deutschland so intensiv um?<br />

Das Thema Cybersecurity ist gerade in aller<br />

Munde. Wenn sich Investoren umschauen,<br />

stellen sie schnell fest, dass<br />

Deutschland einer der größten IT-Sicherheitsmärkte<br />

in Europa ist. Die nehmen die<br />

Suche nach einem Unternehmen mit hohem<br />

Marktanteil auf, stellen dann aber fest,<br />

dass nur wenige eine wirklich dominante<br />

Position haben. Der Markt ist von vielen<br />

Spezialisten geprägt und in viele Nischen<br />

zersplittert. Den Investoren bleibt nur übrig,<br />

die Rosinen herauszupicken. Für<br />

manch einen Mittelständler ist es dann<br />

durchaus attraktiv, in der aktuellen Hype-<br />

Phase zu verkaufen.<br />

Sollte die Bundesregierung einen Schutzwall<br />

um diese Unternehmen bauen?<br />

Jemand hat mal die Idee aufgebracht, eine<br />

Art Airbus für die europäische IT-Sicherheitsindustrie<br />

zu bauen. Doch das halte ich<br />

für einen Irrweg. Im deutschen IT-Sicherheitsverband<br />

TeleTrust sind über 200 vorwiegend<br />

mittelständische Unternehmen<br />

organisiert, die alle eine besondere Rolle<br />

wir schon im eigenen Haus. Und viele Nischen<br />

sind so klein, dass sie für uns nicht<br />

attraktiv sind.<br />

Die Deutsche Telekom hält ebenfalls nach<br />

Übernahmekandidaten Ausschau.<br />

Könnte sie eine Art Schutzpatron für die<br />

kleinen deutschen Anbieter werden?<br />

Bislang nicht. Da lohnt ein Rückblick in unsere<br />

Firmenhistorie. Die Deutsche Telekom<br />

war schon mal an Secunet beteiligt,<br />

stieg dann aber aus und entwickelte wieder<br />

eigene Sicherheitstechnologien. Den Beweis,<br />

dass sie ein langfristig verlässlicher<br />

Partner für die deutsche IT-Sicherheitsbranche<br />

sein kann, hat sie daher bislang<br />

noch nicht erbracht. Die Entwicklungen im<br />

deutschen IT-Sicherheitsmarkt bleiben<br />

spannend.<br />

n<br />

juergen.berke@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 51<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Im Schatten von Kirch Deutsche-Bank-<br />

Co-Vorstandschef Fitschen<br />

Notausgang Rente<br />

DEUTSCHE BANK | Trotz der Anklage im Kirch-Verfahren<br />

sitzt Co-Chef Jürgen Fitschen fest im Sattel. Doch unter der<br />

selbstbewussten Oberfläche des Instituts gärt es.<br />

In der schnelllebigen Welt der Investmentbanken<br />

ist Christian Thun-Hohenstein<br />

eine Institution. Seit 30 Jahren hat<br />

er unter anderem in Diensten von Merrill<br />

Lynch, der Deutschen Bank und der japanischen<br />

Nomura Konzepte für Übernahmen<br />

und Restrukturierungen von Unternehmen<br />

entworfen. Manchmal, so beim<br />

Kauf von Mannesmann durch Vodafone<br />

Ende 1999, wurden die Pläne wahr. Oft jedoch<br />

wanderten sie, wie das in der Branche<br />

üblich ist, als bloße Fallstudien in den<br />

„Erledigt“-Ordner der Festplatte.<br />

Ein Szenario des aus österreichischem<br />

Adel stammenden Medienexperten hat jedoch<br />

ein langes, folgenschweres und dabei<br />

völlig ungeplantes Nachleben. In ihm skizzierte<br />

der Banker im Jahr 2002, wie sein damaliger<br />

Arbeitgeber Deutsche Bank den<br />

angeschlagenen Kirch-Medienkonzern<br />

möglichst profitabel zerlegen könnte.<br />

Die Bank erklärt die Überlegungen heute<br />

zu Planspielen mit geringem Realitätsbezug.<br />

Für die Münchner Staatsanwaltschaft<br />

sind sie ein wichtiges Beweisstück in ihrem<br />

beispiellosen Feldzug gegen das Frankfurter<br />

Institut. Der gipfelt nun in einer spektakulären<br />

Anklage. Mit Rolf Breuer, Josef<br />

Ackermann und Jürgen Fitschen wollen<br />

die Ermittler alle drei in diesem Jahrtausend<br />

amtierenden Vorstandsvorsitzenden<br />

vor Gericht. Hinzu kommen die früheren<br />

Vorstände Tessen von Heydebreck und<br />

Clemens Börsig. Die Anklageschrift soll<br />

nebst umfangreicher Anhänge 600 Seiten<br />

umfassen. Bei den Betroffenen war sie vergangene<br />

Woche noch nicht eingegangen.<br />

Vorerst rechnet sich die Bank gute Chancen<br />

aus, dass das Verfahren für Fitschen<br />

glimpflich endet. Intern wird seine Position<br />

kaum hinterfragt, ein Rücktritt ist derzeit<br />

kein Thema. Dennoch wäre ein weiterer<br />

Großprozess ein schwerer Schlag für das<br />

angekratzte Image des Instituts.<br />

GESCHLOSSEN HINTER DEM CHEF<br />

Dabei fallen die Vorwürfe gegen Fitschen<br />

tatsächlich eine Nummer kleiner aus als<br />

die gegen seine Ex-Kollegen. Während die<br />

beim Schadensersatzprozess in München<br />

gelogen haben sollen, wirft die Staatsanwaltschaft<br />

dem amtierenden Co-Chef der<br />

Bank vor, dass er falsche Aussagen nicht<br />

korrigiert hat. Die Strafverfolger hatten ihm<br />

bereits angeboten, die Sache gegen eine<br />

Zahlung von 500 000 Euro zu vergessen.<br />

Doch Fitschen sieht sich im Recht, „er will<br />

kämpfen“, heißt es in der Bank. Der Aufsichtsrat<br />

stehe dabei „geschlossen hinter<br />

ihm“, sagt ein Mitglied des Gremiums.<br />

Auch sein Amt als Präsident des Bankenverbandes<br />

steht nicht zur Debatte. Die<br />

Lobby-Organisation ist Kummer mit dem<br />

Führungspersonal gewohnt. Als Ex-Vorstand<br />

der BayernLB stand Geschäftsführer<br />

Michael Kemmer wegen der missglückten<br />

Übernahme der österreichischen Hypo<br />

Alpe Adria zuletzt in München vor Gericht.<br />

Unter der selbstbewussten Oberfläche<br />

herrscht in der Deutschen Bank jedoch<br />

Nervosität. Eine Nachfolgedebatte soll unbedingt<br />

vermieden werden. Die Kirch-Affäre<br />

ist ohnehin schon denkbar dumm und<br />

teuer gelaufen, nun haben sich die Bankmanager<br />

einmal mehr verrechnet. Anfang<br />

des Jahres hatten sie nach fast zwölf Jahren<br />

Streit einen Vergleich mit den Kirch-Erben<br />

geschlossen und fast eine Milliarde an sie<br />

überwiesen. Die Banker hofften, damit<br />

auch die Strafverfolger um die Staatsanwältin<br />

Christiane Serini milde zu stimmen.<br />

Als die Rechnung nicht aufging, spekulierten<br />

die Banker darauf, dass wenigstens<br />

Fitschen ohne Anklage davonkommen<br />

werde. Er selbst erklärte Anfang des Jahres,<br />

dass er weder gelogen noch betrogen habe<br />

und fest davon ausgehe, dass das die<br />

Staatsanwälte genauso sähen.<br />

Offiziell gibt sich die Bank zurzeit ausgesprochen<br />

schmallippig. Hinter vorgehaltener<br />

Hand wird aber mächtig über die<br />

FOTO: VISUM/STEFAN BONESS<br />

52 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: PLAINPICTURE/BILDHUSET<br />

Münchner Rechtsverfolger geschimpft.<br />

Deren Attacke gilt als „völlig absurd“ und<br />

„rein politisch motiviert“. Ähnlich selbstbewusst<br />

hatte die Bank auch schon im Zivilverfahren<br />

argumentiert. Obwohl sie durchaus<br />

Gründe dafür hatte, ist sie denkbar dramatisch<br />

gescheitert.<br />

Nun setzen die Banker darauf, dass der<br />

zuständige Richter Peter Noll ein Einsehen<br />

hat und die Klage gegen Fitschen gar nicht<br />

erst zulässt. Dass ihr Chef tatsächlich auf<br />

der Anklagebank Platz nimmt, will sich in<br />

Frankfurt keiner so recht vorstellen. Schon<br />

rechnen Insider vor, wie sich das Thema<br />

mehr oder weniger durch Zeitablauf erledigen<br />

lasse. Bis zum Beginn eines Prozesses<br />

könnten womöglich noch zwei Jahre<br />

vergehen. Dann stünde der bald 66-Jährige<br />

Fitschen kurz vor dem Ruhestand, sein<br />

Vertrag läuft im Frühjahr 2017 aus.<br />

KAUM ERSETZBAR<br />

Bisher hat Fitschen nicht definitiv erklärt,<br />

dass er als Angeklagter im Amt bleiben<br />

würde. Insider gehen aber fest davon aus.<br />

Denn ein Rücktritt käme zur Unzeit. Fitschen<br />

wäre aktuell kaum ersetzbar. Gegen<br />

seinen Co-Chef Anshu Jain laufen zwar<br />

keine Ermittlungen, als früherer Leiter des<br />

Investmentbankings gilt er aber als für etliche<br />

Verfahren in den USA verantwortlich.<br />

Zudem hat er in Deutschland bisher wenig<br />

Profil gewonnen. Als interner Kandidat für<br />

den Fitschen-Job galt Personal- und<br />

Rechtsvorstand Stephan Leithner. Dummerweise<br />

ist er aber auch von Kirch-Ermittlungen<br />

betroffen, auch wenn eine Anklage<br />

bei ihm noch in den Sternen steht.<br />

So fest die Bank zu ihrem Chef steht, so<br />

empört sind die Deutschbanker über das<br />

beispiellose Desaster. Die Frage, wie es so<br />

weit kommen konnte, treibt sie heftig um.<br />

Auch der Vergleich gilt keinesfalls als Heldentat.<br />

Ihn hätte die Bank so auch schon<br />

deutlich früher schließen können.<br />

Zumindest finanziell bemüht sich der<br />

Aufsichtsrat um Schadensbegrenzung. So<br />

soll wenn möglich Breuers Managerhaftpflicht<br />

einen Teil der Vergleichssumme<br />

übernehmen. Schon um sich nicht selbst<br />

der Untreue schuldig zu machen, prüfen<br />

die Mitglieder des Aufsichtsrats zudem<br />

Regressforderungen gegen die der<br />

Bank eng verbundene Kanzlei Hengeler<br />

Müller. Bei Ex-Chef Breuer sind sie<br />

schon einen Schritt weiter. Er soll einen<br />

Beitrag leisten, dessen Höhe das<br />

Institut derzeit prüft. Im Gespräch ist<br />

ein einstelliger Millionenbetrag. n<br />

cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />

Knatsch am Kamin<br />

SCHORNSTEINFEGER | Eineinhalb Jahre nach der Liberalisierung<br />

verteidigen die Alteingesessenen der Zunft verbissen ihre Pfründen.<br />

Nun soll ein Internet-Portal den Wettbewerb schüren.<br />

Etwa einmal im Monat fährt<br />

Schornsteinfegermeister Wolfgang<br />

Frei von seinem Sieben-<br />

Mitarbeiter-Betrieb in der Kleinstadt<br />

Bingen am Rhein nach Landau. Dort<br />

kontrolliert er die Heizung der öffentlichen<br />

Gebäude und kehrt deren Kamine.<br />

Der 47-Jährige genießt die Arbeit in<br />

der pfälzischen Kleinstadt eine Autostunde<br />

entfernt. „Ich mag die Experimentierungsfreude<br />

hier“, sagt Frei.<br />

Der Endvierziger gehört zu einer<br />

seltenen Spezies in Deutschland. Frei<br />

zählt sich zu den wenigen Hundert<br />

freien Schornsteinfegern hierzulande.<br />

So nennen sich die Angehörigen der<br />

schwarzen Zunft, die ihre Arbeiten<br />

deutschlandweit anbieten und keinen<br />

festen Bezirk haben. Und Landau ist<br />

die erste Stadt, die hierzulande Schornsteinfegerleistungen<br />

öffentlich ausschrieb<br />

und einen freien Anbieter beauftrage,<br />

seit vor eineinhalb Jahren das<br />

Kehrmonopol fiel. Vorher kehrte jeder<br />

Schornsteinfeger nur in seinem eigenen<br />

Bezirk. Die Kunden mussten sich<br />

mit diesem einen Anbieter zufriedengeben,<br />

Konkurrenz unter den Schornsteinfegern<br />

gab es nicht.<br />

Heute darf sich jeder Hausbesitzer<br />

oder Vermieter aussuchen, wer seinen<br />

Kamin kehren darf. Schornsteinfeger<br />

Frei etwa arbeitet mit seinem Unternehmen<br />

Frei’e Schornsteinfeger mittlerweile<br />

für Kunden in fünf Bundesländern.<br />

Doch die Liberalisierung stockt.<br />

Viele Schornsteinfeger pflegen ihre<br />

Kunden aus Monopolzeiten und kümmern<br />

sich nicht um neue Auftraggeber.<br />

Kunden nutzen die neue<br />

Wahlfreiheit am Kamin<br />

nicht. Höchstens<br />

fünf Prozent<br />

hätten ihren<br />

Schornsteinfeger<br />

gewechselt,<br />

schätzt der Zentralinnungsverband<br />

des Schornsteinfegerhandwerks<br />

(ZIV), der private Zusammenschluss von<br />

Zunftangehörigen.<br />

Das Problem sind die hoheitlichen Aufgaben,<br />

die <strong>vom</strong> Wettbewerb ausgeschlossen<br />

sind. Dazu zählen die Abnahme neuer<br />

Kamine und die zweimal in sieben Jahren<br />

fällige Feuerstättenschau, bei der alle Heizungen<br />

und Öfen im Haus kontrolliert werden<br />

müssen. Die sind den sogenannten<br />

bevollmächtigten Bezirksschornsteinfegern<br />

vorbehalten, die bisher das Monopol innehatten.<br />

Dadurch behalten die einstigen<br />

Platzhirsche ihre starke Stellung. Zwar machen<br />

die hoheitlichen Aufgaben nur etwa<br />

20 Prozent aller Schornsteinfegertätigkeiten<br />

aus, schätzt der ZIV. Doch die bevollmächtigten<br />

Bezirksfeger haben so bei den<br />

Kunden einen Fuß in der Tür – und können<br />

Eindringlinge leicht vertreiben.<br />

UNTER KARTELLVERDACHT<br />

„Das Monopol ist zum Kartell geworden“,<br />

klagt Roman Heit, einer der wenigen freien<br />

Schornsteinfeger in Berlin. Der 48-Jährige<br />

versucht schon seit 2011, in Berlin Kunden<br />

zu gewinnen, zunächst als Angestellter eines<br />

österreichischen Schornsteinfegerbetriebs.<br />

Anbieter aus der EU durften schon<br />

vor dem Fall des Monopols in Deutschland<br />

aktiv werden. Schon damals bekam Heit<br />

die Abwehr seiner Kollegen zu spüren. „Ick<br />

wurde richtig anjefeindet“, sagt er in breitem<br />

Hauptstadt-Dialekt.<br />

Heits Bilanz der vergangenen drei Jahre<br />

ist erschreckend. Insgesamt viermal musste<br />

er vor Gericht. Zweimal hatte ihn die Senatsverwaltung<br />

verklagt. Beide Male zog<br />

die Behörde ihre Klage während des Prozesses<br />

zurück. In den anderen zwei Fällen<br />

steckte hinter den Attacken die Organisation<br />

Rußtizia, ein Abmahn-Verein der Berliner<br />

Schornsteinfegerinnung. Rußtizia warf<br />

Heit vor, seine Tätigkeit für den österreichischen<br />

Betrieb verstoße gegen deutsches<br />

Recht. In zweiter Instanz gab das Kammergericht<br />

Heit recht. „Mich <strong>vom</strong> Markt zu<br />

drängen, det is deren einziges Ziel“,<br />

schimpft er.<br />

Offenbar ist Berlin überall. Auch in anderen<br />

Bundesländern haben es die freien<br />

Feger gegen die alteingesessenen Anbie-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 53<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

ter schwer. Mehr als die Hälfte<br />

der 16 Landeskartellämter bestätigten<br />

auf Anfrage der WirtschaftsWoche<br />

die Beschwerden<br />

von Kunden oder Kaminkehrern<br />

wegen Wettbewerbsbehinderungen.<br />

Ein Wettbewerb sei nicht<br />

spürbar, klagen das hessische<br />

und das bayrische Landeskartellamt.<br />

Aus Sicht der niedersächsischen<br />

Schwesterbehörde wird<br />

„die Liberalisierung zumindest<br />

nicht flächendeckend gelebt“.<br />

Besonders hartnäckig scheinen<br />

die Altmonopolisten in Nordrhein-Westfalen<br />

um ihren angestammten<br />

Bereich zu kämpfen.<br />

Gleich nach dem Fall des Monopols<br />

durchsuchte das Landeskartellamt<br />

in Köln Akten und<br />

Schränke von Schornsteinfegerbetrieben.<br />

Die Kaminkehrer, so<br />

der Verdacht, hätten in einem Ehrenkodex<br />

verabredet, geschäftliche<br />

Aktivitäten weiterhin auf ihre<br />

alten Bezirke zu beschränken<br />

und außerhalb nicht auf Kundenfang<br />

zu gehen. Mittlerweile laufen<br />

die Ermittlungen in insgesamt<br />

drei Landkreisen. Ein Ergebnis<br />

liegt nach Angaben des zuständigen<br />

Landeswirtschaftsministeriums<br />

noch nicht vor.<br />

Wenigstens ein mit den Kartellermittlungen<br />

verbundener Fall landete inzwischen<br />

vor Gericht. Als ein Kölner Schornsteinfeger<br />

in der Nachbarstadt Pulheim Prospekte<br />

verteilte, um Kunden zu werben, drohte der<br />

dortige Bezirkskehrer seinen abgewanderten<br />

Kunden schriftlich: Der Konkurrent aus<br />

der Domstadt sei nicht berechtigt, die Arbeiten<br />

auszuführen. Dem Kölner blieb nur,<br />

den Lügner mit einer einstweiligen richterlichen<br />

Verfügung zu stoppen.<br />

KUNDEN ZUCKEN ZURÜCK<br />

Auch zwischen freien Schornsteinfegern<br />

und ihren bevollmächtigten Kollegen gibt<br />

es Streit. Denn die Bezirksschornsteinfeger<br />

müssen die Arbeiten ihrer freien Kollegen<br />

kontrollieren. „Einige der Bevollmächtigten<br />

nutzen ihre Position aus“, behauptet<br />

der Bingener Feger Frei. Dazu bedienen sie<br />

sich zum Beispiel des Bescheids, der alle<br />

wichtigen Daten über eine Feuerstätte enthält<br />

und in dem die bevollmächtigten Bezirkskehrer<br />

auch die Fristen festlegen, in<br />

denen bestimmte Arbeiten an Kaminen<br />

und Öfen wie Abgasuntersuchung oder<br />

Kehrungen zu erledigen sind. „Das wird<br />

Feger in fünf Bundesländern<br />

Kaminkehrer Frei aus Bingen am Rhein<br />

ganz klar genutzt, um den Markt zu lenken“,<br />

ärgert sich Frei. So könne der Bezirksfeger<br />

die Terminplanung der freien Kollegen<br />

durcheinanderbringen, indem er zum<br />

Beispiel alle Termine auf den Januar lege,<br />

statt sie auf das Jahr zu verteilen.<br />

Die Kunden verunsichert der Streit in der<br />

Zunft. „Sobald ein bevollmächtigter<br />

Schornsteinfeger Ärger andeutet, kriegen<br />

die Kunden Panik und zucken sofort zurück“,<br />

sagt Freis Kollege Heit.<br />

Die Innungen spielen die Probleme herunter.<br />

Einzelfälle, sagt ZIV-Präsident Hans-<br />

13 Prozent<br />

sparte die Stadt Landau<br />

durch einen Wechsel<br />

ihres Schornsteinfegers<br />

Günther Beyerstedt, „Betroffene<br />

können jederzeit bei den Innungen<br />

Beschwerde einlegen.“ Die<br />

Kunden seien offenbar zufrieden,<br />

deshalb seien die Wechselquoten<br />

so niedrig.<br />

Das dürfte allerdings auch daran<br />

liegen, dass es noch keinen<br />

Billiganbieter in der Branche<br />

gibt, der Deutschland etwa mit<br />

einer Discount-Schornsteinfeger-Kette<br />

überziehen könnte.<br />

„Der Verbraucher kann bisher<br />

nicht wirklich viel sparen“, sagt<br />

Horst-Ulrich Frank von der Verbraucherschutzzentrale<br />

Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Mehr als<br />

fünf Euro seien bei einem Privathaus<br />

mit Kosten zwischen 60 und<br />

100 Euro im Jahr kaum drin.<br />

Für große Immobilieneigentümer<br />

lohnt sich der Wechsel<br />

trotz der geringen Preisunterschiede.<br />

Die Stadt Landau etwa<br />

spart 2014 durch die Ausschreibung<br />

und Vergabe des Auftrags<br />

an Frei brutto 2800 Euro, das sind<br />

rund 13 Prozent der Vorjahreskosten.<br />

Doch ein Großteil der<br />

Kommunen hat ihre Schornsteinfegerarbeiten<br />

bisher nicht<br />

einmal ausgeschrieben. Auch<br />

die großen Wohnungsgesellschaften<br />

halten sich zurück. Zwar beauftragte<br />

die Deutsche Annington nach dem<br />

Fall des Monopols den Bingener Frei damit,<br />

die Schlote von insgesamt 7000 Wohnungen<br />

in Baden-Württemberg, Essen und<br />

Dortmund zu betreuen. Doch die Konkurrenz<br />

sieht in solchen Projekten bisher keinen<br />

Sinn. Auch sind nur wenige Schornsteinbetriebe<br />

in der Lage, größere Aufträge<br />

anzunehmen.<br />

Frei hofft nun, über ein Internet-Portal<br />

mehr Bewegung vor die Kamine zu bringen.<br />

Auf der Internet-Seite kaminia.de, die<br />

in den kommenden Tagen online gehen<br />

soll, können Kunden anonym Aufträge<br />

ausschreiben und Schornsteinfeger anonym<br />

Angebote abgeben. Der Schornsteinfeger<br />

muss lediglich seinen Meisterbrief<br />

und seine Handwerkskarte dem Portal gegenüber<br />

vorweisen. Alteingesessene Wettbewerber<br />

haben so keine Chance herauszufinden,<br />

wer hinter einem Angebot steckt.<br />

Frei hat das Projekt initiiert. „Vielleicht<br />

trauen sich dann ein paar mehr Kollegen,<br />

auch außerhalb ihres Bezirks Aufträge anzunehmen“,<br />

hofft Frei.<br />

n<br />

jacqueline.goebel@wiwo.de, maximilian nowroth<br />

FOTO: RUDOLF WICHERT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

54 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Triumph der Job-Hopper<br />

FUSSBALL | Mario Gomez, Model des Bekleidungskonzerns Boss, steigt ab, der unscheinbare<br />

Mario Götze auf. Wie sich der Markenwert der deutschen Nationalspieler entwickelt hat.<br />

FOTOS: GETTY IMAGES (21)<br />

Unaufgeregt und sicher – für einen<br />

Einsatz in der Versicherungsbranche<br />

scheint Torwart Manuel Neuer<br />

wie geschaffen. Der eher hippe Stürmer<br />

Mario Götze würde als Werbeträger eines<br />

Modelabels eine gute Figur machen. Unternehmen,<br />

die im Internet um Kunden<br />

buhlen, sollten sich an Web-affine Stars<br />

wie Lukas Podolski und Mesut Özil halten.<br />

Die Düsseldorfer Managementberatung<br />

Batten & Company hat auch in diesem Jahr<br />

exklusiv für die WirtschaftsWoche den<br />

Markenwert deutscher Nationalspieler untersucht.<br />

Kurz vor dem Bundesligastart am<br />

22. August analysierten die Berater, welchen<br />

Wert die Spieler für den Verein und für<br />

Unternehmen haben, die mit den Kickern<br />

werben wollen. In die Berechnung flossen<br />

Daten wie das Spielergehalt, Werbeeinnahmen<br />

sowie das in einer repräsentativen<br />

Umfrage ermittelte Image ein.<br />

ZUWACHS TROTZ VERLETZUNG<br />

Der neue Spitzenreiter Mario Götze erreicht<br />

danach fast 37 Millionen Euro Markenwert;der<br />

Bayern-Stürmer profitiert von<br />

seinem Tor im WM-Finale. Ob er sich oben<br />

halten kann, hängt nach Meinung von Batten-Partner<br />

Björn Sander von Götze selber<br />

ab: „Er muss seinen Markenkern finden,<br />

damit der Erfolg nicht einmalig bleibt.“<br />

Nach der WM sei die Verlockung für viele<br />

Spieler groß, „sich jedem Werbepartner an<br />

den Hals zu werfen“, meint Sander. „Das<br />

bringt vielleicht kurzfristige Erträge, hat<br />

aber mit Markenaufbau nichts zu tun.“<br />

Neben Götze machten die Job-Hopper<br />

Toni Kroos (Real Madrid) und André<br />

Schürrle (seit 2013 bei Chelsea) die größten<br />

Sprünge. Verlierer im Ranking ist Mario<br />

Gomez, der es nicht einmal in den WM-Kader<br />

schaffte. Mit seinem Wechsel zum international<br />

eher unbedeutenden AC Florenz<br />

ist die Werbefigur des Bekleidungsherstellers<br />

Boss im schwäbischen Metzingen<br />

zudem aus dem Blickfeld der deutschen<br />

Öffentlichkeit verschwunden.<br />

Dem Dortmunder Marco Reus hat der<br />

Ausfall bei der WM wegen Verletzung<br />

kaum geschadet – dank seiner erfolgreichen<br />

Saison bei Borussia Dortmund. n<br />

juergen.salz@wiwo.de<br />

Markenwert deutscher Nationalspieler (in Millionen Euro)*<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Mario Götze<br />

FC Bayern München<br />

Thomas Müller<br />

FC Bayern München<br />

Toni Kroos<br />

Real Madrid<br />

Manuel Neuer<br />

FC Bayern München<br />

Bastian Schweinsteiger<br />

FC Bayern München<br />

Mesut Özil<br />

Arsenal London<br />

Philipp Lahm<br />

FC Bayern München<br />

Sami Khedira<br />

Real Madrid<br />

Jérôme Boateng<br />

FC Bayern München<br />

Mats Hummels<br />

Borussia Dortmund<br />

11<br />

36,7 (+128%) 12,5 (+23%)<br />

32,7 (+31%)<br />

27,5 (+213%)<br />

26,6 (+15%)<br />

25,3 (+25%)<br />

25,0 (+10%)<br />

21,1 (+4%)<br />

18,6 (+22%)<br />

14,4 (+25%)<br />

13,9 (+40%)<br />

* Veränderung im Vergleich zum Vorjahr, Stand: 11.8.2014; ** im Vorjahr nicht auf der Liste;<br />

Quelle: Batten&Company<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

20<br />

Marco Reus<br />

Borussia Dortmund<br />

Lukas Podolski<br />

Arsenal London<br />

12,0 (+45%)<br />

Mario Gomez<br />

AC Florenz<br />

11,9 (–28%)<br />

André Schürrle<br />

FC Chelsea<br />

10,4 (+126%)<br />

Benedikt Höwedes<br />

FC Schalke 04<br />

3,4<br />

6,2 (+107%)<br />

Per Mertesacker<br />

Arsenal London<br />

5,9 (+28%)<br />

Kevin Großkreutz**<br />

Borussia Dortmund<br />

4,3<br />

Christoph Kramer**<br />

Borussia Mönchengladbach<br />

0,8<br />

3,5<br />

Miroslav Klose<br />

Lazio Rom<br />

(–26%)<br />

Shkodran Mustafi**<br />

FC Valencia<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 55<br />

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Große Pläne<br />

Runners Point soll als Marke<br />

erhalten bleiben und international<br />

ausgebaut werden<br />

Aufreibender Poker<br />

Firmenverkäufe und -übernahmen nehmen zu, auch im Mittelstand. Wie Unternehmen<br />

einen Partner finden, beschreibt die erste Folge einer sechsteiligen Serie der WirtschaftsWoche in<br />

Kooperation mit der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte.<br />

Die Geschäfte liefen gut bei Thomas Mücke.<br />

1989 hatte der 53-Jährige ein Schuhgeschäft<br />

von seinen Eltern geerbt und das Familienunternehmen<br />

in den Jahren danach zu einer Ladenkette<br />

mit 13 über ganz Bayern verstreuten Filialen ausgebaut.<br />

Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Schuh Mücke einen<br />

Jahresumsatz von rund 100 Millionen Euro.<br />

Trotz des Erfolgs entschied Mücke sich vor gut einem<br />

Jahr dazu, sein Unternehmen zu verkaufen: Der Stress<br />

als Unternehmer machte ihm zu schaffen, ein neues<br />

Zentrallager musste gebaut werden, und privat musste<br />

Mücke nach ausführlichen Diskussionen im Familienkreis<br />

einsehen, dass keines seiner drei Kinder in das elterliche<br />

Geschäft einsteigen wollte.<br />

Um die Nachfolge zu regeln und seine Lebensqualität<br />

zu verbessern, rang Mücke sich dazu durch, seine<br />

Firma in andere Hände zu geben – schnell und zu 100<br />

Prozent. „Ansonsten hätte sich zu wenig an meiner persönlichen<br />

Lebenssituation geändert, weil man ja doch<br />

irgendwie in der Haftung bleibt“, sagt er heute.<br />

Wie Mücke stehen Jahr für Jahr viele mittelständische<br />

Unternehmer vor einer der wichtigsten Entscheidung<br />

ihres Lebens: Weil kein Nachfolger da ist, müssen sie<br />

verkaufen – ein emotional wie betriebswirtschaftlich<br />

schwieriger Vorgang. Denn der Verkauf soll den Eigentümern<br />

nicht nur genug Geld bringen, damit sie sich<br />

ohne Probleme zur Ruhe setzen können. Der Verkauf<br />

SERIE<br />

Mittelstand<br />

Fit for Future<br />

Fusionen & Übernahmen<br />

Der richtige Partner (I)<br />

Finanzinvestoren (II)<br />

Finanzierung (III)<br />

Osteuropa/Asien (IV)<br />

Integration (V)<br />

Interview (VI)<br />

soll auch die Zukunft des Unternehmens und seiner<br />

Mitarbeiter sichern.<br />

Im Alleingang und ohne fachlich versierten Beistand<br />

können Mittelständler solche Transaktionen kaum fehlerfrei<br />

über die Bühne bringen. Die WirtschaftsWoche<br />

startet darum in Kooperation mit der Wirtschaftsprüfungs-<br />

und Beratungsgesellschaft Deloitte in dieser<br />

<strong>Ausgabe</strong> eine sechsteilige Serie über Unternehmensverkäufe,<br />

Unternehmensübernahmen und Fusionen<br />

im Mittelstand. „Nur wenige Mittelständler haben<br />

dafür eine formale Akquisitionsstrategie“, sagt Sven<br />

Oleownik, Partner, Corporate Finance Advisory, bei<br />

Deloitte, „die meisten haben nur wenig Erfahrung in<br />

diesem Prozess und oft nur relativ vage Ziele. Daher<br />

fällt es ihnen auch schwer, Akquisitionen zu tätigen und<br />

die entsprechenden Risiken zu managen.“<br />

Doch Mittelständler verkaufen nicht nur, weil Nachfolger<br />

fehlen. Viele gehen selbst auf Einkaufstour: Um<br />

Zugang zu neuen Technologien oder Märkten im Inoder<br />

Ausland zu erlangen, aber auch, weil sie die Produktpalette<br />

erweitern oder den Umsatz steigern wollen,<br />

um Größenvorteile zu realisieren. „Ein Schwerpunkt<br />

der Akquisitionsabsichten ist es, die Marktdominanz<br />

zu erhöhen“, hat Oleownik beobachtet.<br />

Die Zeiten sind gerade gut für solche Pläne, der<br />

Markt für Transaktionen zieht merklich an. Die Kassen<br />

der meisten Unternehmen sind gut gefüllt, die Finan-<br />

FOTO: PR (2)<br />

56 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Mit Unterstützung von Deloitte*<br />

zierungen wegen der niedrigen Zinsen billig wie nie,<br />

die Aussichten trotz der Krisen in der Ukraine und Nahost<br />

immer noch gut. 650 Unternehmenstransaktionen<br />

mit einem Gesamtvolumen von mehr als 48 Milliarden<br />

US-Dollar allein in Deutschland registrierte der Finanzdienstleister<br />

Dealogic im ersten Halbjahr 2014 – der<br />

höchste Stand seit Ausbruch der Finanzkrise 2008.<br />

In der breiten Öffentlichkeit bekannt werden vor allem<br />

große Transaktionen wie die Übernahme der<br />

Rhön-Kliniken durch den Gesundheitskonzern Fresenius<br />

oder die gescheiterte Übernahme des französischen<br />

Bahntechnik-Ausrüsters Alstom durch Siemens.<br />

Doch auch wenn konkrete Zahlen fehlen: Tatsächlich<br />

entfällt der größte Teil aller Transaktionen nach Experteneinschätzung<br />

auf mittelständische Unternehmen:<br />

„Wir sehen viel Bewegung da draußen“, sagt Deloitte-<br />

Berater Oleownik.<br />

In der Serie zeigen WirtschaftsWoche und Deloitte,<br />

worauf Mittelständler bei solchen Transaktionen achten<br />

müssen. Die Finanzierung kann ebenso schiefgehen<br />

wie die Ermittlung des Kaufpreises, die Integration<br />

des übernommenen Unternehmens oder die Abwicklung<br />

der Transaktion.<br />

Partnerwahl und das Aushandeln eines für beide Seiten<br />

akzeptablen Preises zählen zu den langwierigsten<br />

Prozeduren – beim Kauf wie auch beim Verkauf. Zumal<br />

derzeit auch viele Finanzinvestoren nach lukrativen<br />

Beteiligungen suchen und die Preise in die Höhe treiben.<br />

Im Umkehrschluss heißt das: Bevor ein Interessent<br />

sich zum Kauf entschließt, muss er die Rentabilität<br />

des Kaufobjekts kritisch prüfen. „Da darf nichts schiefgehen“,<br />

sagt Deloitte-Experte Oleownik, „schließlich<br />

will man das Unternehmen ja nicht nach ein paar Jahren<br />

wieder verkaufen – oder noch schlimmer, das eigene<br />

Unternehmen riskieren.“<br />

Manchmal<br />

muss die<br />

Braut noch<br />

ein wenig<br />

aufgehübscht<br />

werden<br />

Hilft bei der Suche<br />

nach Interessenten<br />

Deloitte-Berater<br />

Oleownik begleitet Mittelständler<br />

bei Fusionen<br />

und Übernahmen<br />

Wie vor der Krise<br />

Finanzvolumen und<br />

Anzahl der M&A-Transaktionen<br />

in Deutschland<br />

150<br />

120<br />

90<br />

60<br />

Transaktionen<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

30<br />

Finanzvolumen<br />

200<br />

(in Mrd. $)<br />

2007 09 11 13 14<br />

Quelle: Dealogic<br />

SCHLIFF DES ROHDIAMANTEN<br />

Manchmal muss die Braut auch aufgehübscht werden,<br />

damit die richtigen Partner aufmerksam werden. Das<br />

war etwa bei Runners Point der Fall. Der Sportartikelhändler<br />

gehörte bis 2005 zu Karstadt, wurde dann von<br />

den beiden Geschäftsführern und der Beteiligungsgesellschaft<br />

Hannover Finanz herausgekauft, um ihn später<br />

mit Gewinn wieder zu verkaufen. „Das Management-Team<br />

hat uns überzeugt, dass es sich um einen<br />

Rohdiamanten handelt“, sagt Ulrich Mogwitz, der das<br />

Investment für die Hannover Finanz betreute.<br />

Um den zu schleifen, holte Mogwitz Berater von Deloitte<br />

an Bord. Die kümmerten sich um die Neuausrichtung<br />

der Logistik. Anschließend optimierten sie Schritt<br />

für Schritt das Produktportfolio, schlossen unrentable<br />

Filialen und eröffneten neue Märkte. „Durch diese<br />

Kombination konnten wir ein erhebliches Wachstum<br />

generieren“, sagt Mogwitz.<br />

Die Suche nach einem Käufer für Runners Point begann<br />

2010, das Deloitte-Team übernahm die Aufgabe,<br />

ernsthafte Interessenten für die Kette zu finden. Dabei<br />

macht es wenig Sinn, mit der Schrotflinte in den Wald<br />

zu schießen, das überfordert Management und Unternehmen.<br />

Je kleiner der Kreis der möglichen Käufer,<br />

desto intensiver können die Gespräche geführt werden,<br />

und desto mehr kommt dann am Ende auch heraus.<br />

Wenn die Zahlen stimmen, vereinfacht das den Prozess.<br />

Bei Runners Point hatte sich die Verschönerung<br />

ausgezahlt: 2013 erwirtschaftete die Kette einen Umsatz<br />

von knapp 200 Millionen Euro – mehr als doppelt<br />

so viel wie im letzten Jahr der Karstadt-Zugehörigkeit<br />

acht Jahre zuvor. Die Zentrale und die gut 220 Filialen<br />

gingen vor etwa einem Jahr an den US-Konkurrenten<br />

Foot Locker. Die neuen Eigentümer haben große Pläne<br />

für ihre Neuerwerbung: Die hierzulande gut eingeführte<br />

Marke Runners Point soll erhalten bleiben und international<br />

ausgebaut werden. „Am Ende ist es der natürliche<br />

Partner geworden“, sagt Investor Mogwitz.<br />

NOTBREMSE ALS LETZTER AUSWEG<br />

Wie lange es dauern kann, bevor der richtige Partner<br />

gefunden ist, musste auch der bayrische Schuhhändler<br />

Mücke erleben. 20 mögliche Kaufinteressenten hatten<br />

seine Berater von der Raiffeisen- und Volksbank-Tochter<br />

VR Corporate Finance im ersten Durchgang identifiziert.<br />

Sieben von ihnen präsentierte Mücke sein Unternehmen<br />

dann im Detail. Wichtigste Verhandlungsgrundlage<br />

waren dabei ausführliche Zahlen über Umsätze<br />

und Kosten. „Es geht darum, einen Plan für die<br />

Zukunft vorliegen zu haben, der möglichst detailliert<br />

mit Maßnahmen hinterlegt ist“, sagt Christian Näther,<br />

Partner der Beteiligungsgesellschaft Emeram Capital<br />

Partners.<br />

Zum Check jedes Übernahmekandidaten gehören<br />

außerdem Gespräche mit den angestellten Managern,<br />

wichtigen Kunden und den Lieferanten. „Es ist wichtig,<br />

dass man von Anfang an weiß, dass alle so eine Transaktion<br />

mittragen“, sagt Markus Loy, Sprecher der Geschäftsführung<br />

von VR Corporate Finance.<br />

Ist das nicht der Fall, muss die Notbremse gezogen<br />

werden. Nicht selten gehen beide Seiten mit völlig unterschiedlichen<br />

Vorstellungen in die Verhandlungen:<br />

Während der verkaufswillige Familienunternehmer<br />

seine bisherigen Investitionen und den historischen<br />

Wert der Firma vor Augen hat, interessiert sich der Käufer<br />

vor allem für die zukünftige Ertragslage und leitet<br />

daraus den Firmenwert ab.<br />

Zeitweise sei die Hälfte seiner Arbeitszeit für den<br />

Transaktionsprozess draufgegangen, erinnert sich Ex-<br />

Schuhhändler Mücke: „Ich habe das Arbeitsvolumen<br />

bei diesem Prozess total unterschätzt.“ Bei den letzten<br />

zwei Kandidaten musste er sogar vor den Banken der<br />

möglichen Käufer auftreten: „Da konnte sich einfach<br />

keiner vorstellen, dass man mit einem rein stationären<br />

Schuhhandel heute noch Geld verdient.“ Den Zuschlag<br />

erhielt schließlich die Schuhhandelsgruppe ANWR mit<br />

Sitz im hessischen Mainhausen. Ende Mai waren die<br />

Verträge unterschrieben.<br />

n<br />

manuel heckel | unternehmen@wiwo.de<br />

* Die Inhalte auf diesen Seiten wurden redaktionell von der WirtschaftsWoche<br />

erstellt. Deloitte hat die Realisierung der Serie finanziell unterstützt.<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 57<br />

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Technik&Wissen<br />

Latte macchiato<br />

im Weltall<br />

WERKSTOFFE | Von wegen aufgeblasene Luftnummer: Moderne Schäume<br />

schützen bei Unfällen, heizen Häuser und helfen Menschen, schöner und<br />

schlanker zu werden. Ein Streifzug durch die Welt der fragilen Gebilde.<br />

Wiebke Drenckhan ist eine<br />

professionelle Schaumschlägerin.<br />

Nein, sie ist keine<br />

Politikerin, Werberin<br />

oder Beraterin, denen Lästerer<br />

gerne nachsagen, allzu oft Luftnummern<br />

zu produzieren. Die preisgekrönte<br />

Physikerin hat ihre wissenschaftliche Karriere<br />

einem blasigen Phänomen gewidmet:<br />

dem Schaum.<br />

In ihrem Labor an der Universität Paris-<br />

Süd tupft die 37-Jährige einen Finger vorsichtig<br />

in Seifenschaum, den ein Mitarbeiter<br />

mit Druckluft produziert hat. Wie lange<br />

bleibt die Masse steif, wie fließt sie, wie<br />

groß sind die Bläschen? Die gebürtige<br />

Greifswalderin hat in Rostock<br />

und im neuseeländischen<br />

Christchurch<br />

studiert, in Dublin<br />

promoviert und arbeitet<br />

nun in Paris.<br />

Für ihre Forschung<br />

interessieren sich Unternehmen<br />

wie der Düsseldorfer<br />

Henkel-Konzern und der<br />

französische Kosmetikriese L’Oréal.<br />

„Das goldene Zeitalter der Schäume ist angebrochen“,<br />

ist Drenckhan überzeugt. Ihre<br />

Begeisterung ist so groß, dass kein Geburtstag<br />

ihrer zwei Kinder ohne Schaumschlacht<br />

verläuft und sie regelmäßig Schulklassen<br />

für die Wunderwelt der winzigen<br />

Bläschen zu interessieren versucht.<br />

Umso mehr, als diese Welt längst nicht<br />

mehr bloß aus Wasser und Seife besteht:<br />

Ob Plastik, Keramik, Glas oder Metalle und<br />

sogar Käse oder Schokolade – alles wird<br />

aufgeschäumt. Bisher allerdings waren das<br />

meist Nischenanwendungen – ob bei<br />

Heute lässt sich<br />

jede Schaumpore<br />

berechnen<br />

Mousse au Chocolat oder der<br />

schaumigen Waschlauge aus<br />

dem Seifenspender.<br />

Nun aber ist Schluss mit eher<br />

zufälligen Schöpfungen, bei denen<br />

Köche oder Entwickler ihre<br />

luftigen Produkte im Wechselspiel<br />

aus Versuch und Irrtum<br />

kreierten. Der Funktionsschaum<br />

der Zukunft ist das Ergebnis komplexer<br />

Computersimulation – Materialwissenschaft<br />

auf Bläschenniveau sozusagen.<br />

Denn dank des immensen Leistungsschubs<br />

der IT sind Wissenschaftler wie<br />

Wiebke Drenckhan und ihre<br />

Kollegen in den Laboren<br />

weltweit jetzt in der Lage,<br />

Eigenschaften von<br />

Schäumen am Computer<br />

vorauszuberechnen.<br />

Sie können jede einzelne<br />

Pore simulieren und so<br />

maßgeschneiderte Werkstoffe<br />

schaffen – egal, ob<br />

für den Einsatz in Architektur, im<br />

Fahrzeugbau, in der Kosmetik oder<br />

in der Lebensmittelbranche.<br />

Und seit die chaotisch geformten Schäume<br />

berechenbar sind, steigt die Nachfrage<br />

rasant. Weil Schäume zu 90 Prozent aus<br />

Löchern bestehen, sind sie leichter, benötigen<br />

weniger Rohstoff bei der Produktion<br />

und enthalten als Nahrungsmittel weniger<br />

Kalorien als herkömmliche Lebensmittel.<br />

Schaum kann elastisch sein wie eine<br />

Matratze oder hart wie Beton. Er kann Hitze<br />

horten oder Schall komplett verschlucken<br />

(siehe Kasten Seite 61). Er kann Autofahrer<br />

bei Unfällen schützen und in geselliger<br />

Runde das Bier kühl halten.<br />

Video<br />

In unseren<br />

App-<strong>Ausgabe</strong><br />

finden Sie an<br />

dieser Stelle<br />

Filme zum Thema<br />

Wie groß das Potenzial des luftigen<br />

Etwas ist, zeigen die Branchen<br />

Verkehr, Energie, Reinigung<br />

und Nahrung. Ein Blick in die Ideenschmieden<br />

der Unternehmen.<br />

Es klingt ein wenig wie ein Kuchenrezept<br />

mit viel Mehl und<br />

Backpulver: Man nehme eine Legierung<br />

aus Aluminium und Titanhydrid<br />

und erhitze sie kräftig. Dabei entsteht<br />

Wasserstoffgas, und das Material geht auf<br />

wie ein Rührkuchen. Lange hat Thomas<br />

Hipke <strong>vom</strong> Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen<br />

und Umformtechnik in<br />

Chemnitz nach den richtigen Zutaten und<br />

dem optimalen Fertigungsprozess gesucht.<br />

Jetzt beherrscht der 44-Jährige das Verfahren<br />

perfekt. Er packt den Aluschaum zwischen<br />

Bleche, fertig ist das Sandwich, das nur ein<br />

Fünftel eines massiven Bauteils wiegt.<br />

SCHAUMSCHIFF IM EIS<br />

Aus dem geschäumten Metall soll etwa die<br />

nächste ICE-Generation bestehen. Mitte<br />

Mai zeigte Hipke gemeinsam mit Industriepartnern<br />

erstmals einen Prototyp einer<br />

Fahrzeugfront aus dem Material. 2,5 Millionen<br />

Euro hat die Entwicklung bisher gekostet.<br />

Künftig soll ein brandenburgischer<br />

Betrieb die Zughauben fertigen. In zwei<br />

Jahren könnten sie durch Deutschland rollen,<br />

hofft der Ingenieur.<br />

Ein Zug aus diesem Stoff ist leichter als<br />

konventionelle Züge, braucht weniger<br />

Strom und kann mehr Personen befördern.<br />

Triebköpfe aus Kunststoff wären noch<br />

leichter. Doch das Material splittert, etwa<br />

bei der Kollision mit Vögeln. „Metallschaum<br />

bekommt dagegen nur Beulen“, so<br />

Hans-Wolfgang Seeliger, Chef des Alu-<br />

58 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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90 Prozent<br />

machen Löcher<br />

ungefähr<br />

im Schaum aus<br />

1000 Grad<br />

heiß wird<br />

Keramikschaum in<br />

Solarkraftwerken<br />

30 Minuten<br />

hält eiskalter<br />

Bierschaum das<br />

Getränk kühl<br />

Schaum Physiker enträtseln seine Geheimnisse | Bier Mehr Genuss<br />

durch eine gefrorene Krone | Auto Ferrari hat Aluschaum im Chassis<br />

verbaut | Solarturm Poröse Keramik fängt Sonnenenergie ein<br />

FOTOS: FOTOLIA, PR (2), VISUM/VEIT HENGST<br />

schaumerzeugers Pohltec Metalfoam in<br />

Köln. Die Blasen wirkten wie winzige Airbags<br />

und dämpften den Aufprall, erläutert<br />

Seeliger. Inzwischen schafften es die Hersteller,<br />

Hunderte Tonnen Metallschaum im<br />

Jahr zu fertigen. Ein wichtiger Abnehmer<br />

ist die Autoindustrie. Audi etwa hat im Geländewagen<br />

Q7 und Ferrari im Spider F430<br />

Aluschäume eingesetzt, die sich bei Crashs<br />

verformen und die Insassen schützen.<br />

Und langsam entdeckt die übrige Verkehrsbranche<br />

das Geheimnis der stabilen<br />

Blasen. Flughäfen wie etwa der Yeager Airport<br />

im US-Bundesstaat West Virginia bauen<br />

beispielsweise am Ende von Landebahnen<br />

Schaumbeton ein, der Flugzeuge abbremsen<br />

soll, die nicht mehr stoppen können.<br />

Ein ähnliches Konzept wird auch am<br />

Flughafen Zürich diskutiert.<br />

Es geht noch ungewöhnlicher: Veikko<br />

Hintsanen ist als Kapitän auf den Weltmeeren<br />

zu Hause. Soeben hat er, zugleich Chef<br />

des Unternehmens Laffcomp, der größten<br />

russischen Werft Sevmash zwei noch im<br />

Bau befindliche Öltanker abgekauft. Hintsanen<br />

will die Schiffe mit Aluschaum vollenden.<br />

Ein Investor habe an die zehn Millionen<br />

Euro zugesagt, die Verträge aber<br />

noch nicht unterzeichnet. Fraunhofer-Forscher<br />

Hipke bescheinigt den Schaum-<br />

Frachtern viele Vorteile: Sie sollen sogar einer<br />

Kollision mit einem Eisberg standhalten.<br />

Die Schiffe könnten daher ganzjährig<br />

auch im Norden unterwegs sein.<br />

Seemann Hintsanen träumt davon, Vorbild<br />

für eine erneuerte europäische Binnenflotte<br />

zu werden. Aus Schaum gebaut,<br />

könnte ein Frachter statt rund 1000 Tonnen<br />

nur die Hälfte wiegen und so mehr<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 59<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

Ladung transportieren. Sie liegen flacher<br />

im Wasser und können<br />

so auch bei Niedrigwasser<br />

fahren. Für unter Kostendruck<br />

stehende<br />

Reeder eine Verlockung:<br />

Obwohl ein<br />

Schaumschiff mit circa<br />

90 Millionen Euro<br />

ein Viertel mehr koste,<br />

amortisiere sich der Kauf nach<br />

einem Jahr, hat Hintsanen errechnet.<br />

Bremsender Porenbeton<br />

Geschäumtes Baumaterial stoppt<br />

zu schnelle Flugzeuge<br />

Nanoschaum<br />

sperrt Hitze<br />

komplett aus<br />

MINIHEIZUNG IM KELLER<br />

Schäume können nicht nur große Kräfte<br />

bei einem Autounfall verkraften und enorme<br />

Lasten in Schiffen transportieren. Sie<br />

halten auch brutale Hitze aus und speichern<br />

problemlos wertvolle Wärmeenergie.<br />

Jede Blase arbeitet wahlweise wie eine<br />

eingebaute Thermoskanne oder wie ein<br />

Heizkissen. Das sei zurzeit eine der gefragtesten<br />

Eigenarten des Materials, sagt Olga<br />

Mühldorfer, Vertriebsmanagerin beim russischen<br />

Schaumhersteller Exxentis.<br />

Wie gut das in der Praxis funktioniert,<br />

will Reiner Buck <strong>vom</strong> Deutschen Zentrum<br />

für Luft- und Raumfahrt herausfinden. In<br />

einigen Wochen soll in Spanien ein Solarturmkraftwerk<br />

von Abengoa Solar bei Sevilla<br />

in Betrieb gehen. Um den Turm herum<br />

ist ein Feld mit einigen Dutzend Spiegeln<br />

von Zimmertürgröße<br />

aufgebaut. Sie lenken die<br />

Sonnenstrahlen auf die<br />

Turmspitze.<br />

Dort, in 65 Meter<br />

Höhe, steckt das Herzstück<br />

der Anlage: ein<br />

Block aus Keramikschaum.<br />

Er heizt sich und<br />

die durchströmende Luft auf<br />

1000 Grad Celsius auf. Mit dieser<br />

Hitze wird Wasserdampf erzeugt, der<br />

wiederum Turbinen zur Stromerzeugung<br />

antreibt. Bisher nutzen die meisten Solarturmkraftwerke<br />

Metallschäume, erklärt<br />

Buck. Doch während Metalle bei den hohen<br />

Temperaturen schmelzen oder sich<br />

verformen, bleibt Keramik stabil. „Wir können<br />

so den Wirkungsgrad der Kraftwerke<br />

um etliche Prozentpunkte steigern“, sagt<br />

der Energieingenieur. „Immer mehr Solarturmanlagen<br />

werden langfristig mit Keramikschaum<br />

arbeiten.“<br />

Was im Großen funktioniert, soll auch<br />

im Kleinen klappen – etwa im Keller eines<br />

Erlanger Einfamilienhauses. Dort hat Antonio<br />

Delgado, Professor für Strömungsmechanik<br />

an der Universität Erlangen-<br />

Nürnberg, vergangenes Jahr die nach eigenen<br />

Angaben kleinste Haushaltsheizung<br />

der Welt installiert, die er mit Industriepartnern<br />

und der Universität Aachen entwickelt<br />

hat. In ihr steckt ein Stück Siliziumcarbid-Schaum<br />

von etwa der Größe einer<br />

Zigarettenschachtel.<br />

Durch das diamantähnliche Material<br />

strömt ein Gemisch aus Öl oder Gas und<br />

Luft, das in den Poren des Schaums verbrennt.<br />

Da die Bläschen eine riesige innere<br />

Oberfläche besitzen, läuft die Verbrennung<br />

besonders effektiv und sauber ab. Deshalb<br />

stößt die Heizung weniger Schadstoffe aus<br />

als übliche Brenner. Weil das löchrige Material<br />

die Hitze rasch ableitet, lässt sich die<br />

Verbrennung in Sekundenbruchteilen<br />

drosseln oder hochfahren – praktisch bei<br />

einem plötzlichen Wetterumschwung.<br />

Nun sucht Delgado ein Unternehmen,<br />

das die Miniheizung herstellt und vermarktet.<br />

Produktion und Betrieb sollen nicht<br />

mehr als bei bisherigen Anlagen kosten,<br />

hat ein Doktorand von Delgado berechnet.<br />

Schon arbeiten Werkstoffwissenschaftler<br />

großer Konzerne wie BASF an noch besseren<br />

Schäumen. Machen sie die Poren im<br />

Kunststoff Polyurethan nanometerklein,<br />

können sich die eingeschlossenen Gase<br />

nicht mehr bewegen. „So ein Nanoschaum<br />

sperrt Hitze komplett aus“, erklärt die Physikerin<br />

Drenckhan. „Da kann auf der einen<br />

Seite ein Feuer brennen und auf der anderen<br />

können Kinder spielen.“ Das Material,<br />

dessen Pilotfertigung gerade beginnt, ist<br />

damit ideal für die Dämmung von Gebäuden<br />

(siehe WirtschaftsWoche 38/2013).<br />

MOUSSE AUS DER FLASCHE<br />

Obwohl sich Schaumexpertin Drenckhan<br />

nun schon lange mit ihrem Lieblingsstoff<br />

beschäftigt, erstaunt er sie doch immer<br />

wieder. Etwa, als sie vergangenes Jahr im<br />

Auftrag des Kosmetikunternehmens<br />

L’Oréal herausfand, dass geschäumte Kosmetika<br />

besser reinigen als in flüssiger<br />

Form. „So recht versteht das noch keiner“,<br />

gibt sie zu. Aber der Effekt spricht sich in<br />

der Kosmetik- und Reinigungsmittelbranche<br />

zurzeit herum: Immer mehr Hersteller,<br />

erzählt Drenckhan, folgten dem Vorbild<br />

der Flüssigseifen, die als Schaum aus dem<br />

Spender quellen und verkauften Reiniger,<br />

die als weißes Mousse aus der Flasche<br />

kommen. Der Produktverbrauch sinkt – bei<br />

besserer Reinigungsleistung.<br />

Auch den Herstellern von Waschmaschinen<br />

ist das nicht entgangen. So brachte<br />

der südkoreanische Konzern Samsung Ende<br />

2010 eine erste Maschine auf den Markt,<br />

die das Waschmittel zunächst mit Luft und<br />

Wasser zu Schaum aufwirbelt. Diese Reinigungsblasen<br />

sollen vier Mal so schnell in<br />

den Stoff eindringen und gründlicher als<br />

FOTOS: PR<br />

60 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Schützendes Sandwich<br />

Aluschaum soll Züge sicherer machen<br />

konventionelle Geräte reinigen, verspricht<br />

das Unternehmen. Testberichte bescheinigen<br />

der Schaumtechnik zumindest, dass<br />

sie bei 20 Grad Celsius so sauber wäscht<br />

wie sonst bei 40 Grad. Einige Konsumenten<br />

beunruhigt allerdings die weiße Masse<br />

– der Waschmittelschaum – in der Trommel,<br />

wie sie in Foren schreiben. Das hindert<br />

Samsung nicht daran, die Technik<br />

künftig in all seine Maschinen einzubauen.<br />

KÜHLE KRONE FÜR HIPSTER<br />

Nicht minder irritierend wäre umgekehrt<br />

vermutlich ein Bier ganz ohne Schaum, das<br />

wohl älteste Lebensmittel mit weißer Haube.<br />

Selbst Brot, Waffeln, Kuchen und Pizza<br />

sind für Lebensmitteltechniker<br />

nichts weiter als erstarrter<br />

Schaum. Eiscreme<br />

etwa wäre ohne<br />

Luft steinhart. „Der<br />

Mensch hat im Laufe<br />

der Evolution eine Vorliebe<br />

für Schaum entwickelt.<br />

Er steht für Genuss“,<br />

sagt der Erlanger Schaumforscher<br />

Antonio Delgado. Schäume sind außerdem<br />

leicht und haben oft weniger<br />

Kalorien.<br />

Diese Eigenschaften machen Schäume<br />

attraktiv für die Lebensmittelindustrie.<br />

Und erst in jüngster Zeit werden sie auch<br />

hier berechenbar. Kürzlich rief eine große<br />

deutsche Brauerei Delgado zur Hilfe. Auf<br />

dem Braukessel mit der Bierwürze türmte<br />

sich anderthalb Meter hoch der Schaum.<br />

Er stört, weil übelschmeckende Stoffe bei<br />

diesem Produktionsschritt nicht verdampfen<br />

können. „Im Extremfall muss die ganze<br />

Charge entsorgt werden, was Hunderttausende<br />

Euro kostet“, erklärt Delgado.<br />

Er näherte sich dem Problem rechnerisch.<br />

Sein Ratschlag: Durch eine vier Grad<br />

höhere Temperatur im Kessel würden die<br />

Schäume<br />

schmecken<br />

besonders intensiv<br />

Lamellen der Schaumblasen so dünn, dass<br />

fast alle zerplatzten. Es funktionierte, seitdem<br />

lief die Brauerei wieder reibungslos.<br />

Heute stehen rund 20 Lebensmittelunternehmen,<br />

darunter Mars und Nestlé, bei<br />

Delgado auf der Kundenliste. Sie wollen<br />

ihre neuen Schaumkreationen – Desserts,<br />

Waffeln oder Kaffeegetränke – rechnerisch<br />

in den Griff bekommen, um dann schnell<br />

große Mengen erzeugen zu können. Denn<br />

Schaumiges boomt.<br />

So lancierte der Schweizer Nahrungsmittelkonzern<br />

Nestlé 2006 vier Kaffeeprodukte,<br />

die per Kapselmaschine Milch- oder<br />

Espressoschaum liefern. Heute sind es<br />

mehr als 50. Und Susanne Kulhanek, Forschungsmanagerin<br />

von Nescafé Dolce<br />

Gusto, sagt: „Die Pipeline mit neuen Produkten<br />

ist voll.“ Nestlé treibt seine Schaumschlägerei<br />

mittlerweile in ungeahnte Höhen.<br />

Selbst auf der Internationalen Raumstation<br />

lässt der Konzern testen, wie die luftige<br />

Masse unter Schwerelosigkeit entsteht.<br />

Künftig gibt’s dann womöglich Latte<br />

macchiato im Orbit.<br />

Die Branche forscht auch deshalb so intensiv<br />

am Schaum, weil er intensiver als<br />

das pure Lebensmittel schmeckt. Aus jeder<br />

Pore können beim Kauen Aromen austreten.<br />

Deshalb dürfte das luftige Etwas Basis<br />

vieler Lightprodukte werden,<br />

erwartet Jörg Hinrichs,<br />

Lebensmitteltechnologe<br />

von der Universität<br />

Hohenheim: „Fettreduzierte<br />

Produkte enthalten<br />

oft viel Zucker,<br />

damit sie nach etwas<br />

schmecken. Bei Schaum<br />

erübrigt sich das.“ Luftige<br />

Streichkäse, Desserts und geschäumte<br />

Butter gibt es schon.<br />

Um Diätprodukte ging es der japanischen<br />

Brauerei Kirin nicht, als sie im März<br />

2012 ein Bier mit kühlem Eisschaum auf<br />

den Markt brachte. Minus fünf Grad hat die<br />

Krone des Getränks, das auch nach<br />

Deutschland exportiert wird. Die Produktentwickler<br />

hätten ein hippes Bier für junge<br />

Leute erfinden wollen und sich <strong>vom</strong><br />

Eiskaffee der Kaffeekette Starbucks inspirieren<br />

lassen, erzählt Naoyuki Yasutake,<br />

Verkaufsmanager für Europa.<br />

Zugleich aber erfüllt der Schaum noch<br />

einen ganz praktischen Zweck:„Viele junge<br />

Leute wollen nicht betrunken sein und<br />

trinken daher langsamer. Also muss das<br />

Bier länger kühl bleiben.“ Die luftige Eishaube<br />

reicht für eine halbe Stunde. n<br />

susanne donner | technik@wiwo.de<br />

LÄRM<br />

Gestoppte<br />

Explosion<br />

Flüssiger Schaum kann Schall<br />

komplett verschlucken – und sogar<br />

Bomben unschädlich machen.<br />

Welch wundersame Eigenschaften<br />

Schäume haben können, hat vor einigen<br />

Monaten der Pariser Physiker Valentin<br />

Leroy von der Universität Paris-<br />

Diderot erlebt. Er hat flüssige Schäume<br />

wie Rasier- oder Seifenschaum dazu<br />

gebracht, Lärm komplett zu schlucken.<br />

Warum das funktioniert, ist bisher<br />

unklar. Möglicherweise schwingen die<br />

Flüssigkeitslamellen der Blasen unter<br />

bestimmten Umständen genau im<br />

Gegentakt zum Schall und löschen ihn<br />

so aus, mutmaßt Leroy. Er will nun<br />

den perfekten Krachkiller entwickeln.<br />

Die Schaumexpertin Wiebke Drenckhan,<br />

Physikerin an der Universität Paris-Süd,<br />

rechnet bereits mit vielen Innovationen<br />

in diesem Bereich. So könnte<br />

etwa Schaum aus der Sprühdose, an<br />

Fenster- und Türritzen gespritzt, Hausbewohner<br />

bei Bauarbeiten vor dem<br />

Lärm von Presslufthämmern verschonen.<br />

Und Offshore-Windanlagenbauer<br />

könnten womöglich mit einem Schild<br />

aus Schaum Delfine und andere<br />

Meeressäuger vor dem Baulärm unter<br />

Wasser schützen, der die Tiere orientierungslos<br />

macht.<br />

DER GROSSE KNALL BLEIBT AUS<br />

Dass flüssiger Schaum Druckwellen regelrecht<br />

verschlingt, beweist ein reichlich<br />

kurioses Explosionsabwehrsystem<br />

aus den USA: Ein Sack mit Löschschaum<br />

wird auf den Fahrersitz eines<br />

Autos gestellt. Dann wird eine Autobombe<br />

gezündet. Jede Menge Schaum<br />

schießt aus dem Wagen, aber die Detonation,<br />

der große Knall, bleibt aus.<br />

Fenster und Türen, die ganze Karosse<br />

haben nicht eine Schramme.<br />

Die vielen Blasen schlucken die<br />

Druckwelle. Die Bombe kann deshalb<br />

kaum Schaden anrichten. Das amerikanische<br />

Verteidigungsministerium und<br />

die Geheimdienste haben sich schon<br />

von der Verlässlichkeit des Systems<br />

überzeugt.<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 61<br />

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Technik&Wissen<br />

Kehraus für<br />

Kenias Müllberge<br />

RECYCLING | Ein deutscher Philosoph führt die Abfalltrennung in<br />

den Slums von Nairobi ein – die Wertstoffe will er zu Geld machen<br />

und die Stadt ein bisschen sauberer.<br />

Braune Brühe steht und stinkt in dem<br />

kleinen Bach, den sie Nairobi River<br />

nennen. Plastiktüten und Putzlumpen,<br />

Hühnerknochen und Hundehaufen,<br />

Turnschuhe, Tetrapaks – Dreck in Reinform<br />

verrottet in dem Gewässer, das den<br />

Slum in Nairobis Bezirk Kangemi in zwei<br />

Hälften teilt. Ältere Bewohner der Wellblechhütten<br />

behaupten allen Ernstes, sie<br />

hätten früher aus dem Bächlein trinken<br />

können. Dem Besucher wird bei dem Gedanken<br />

schlecht. Das Viertel am Fluss ist<br />

typisch für Afrikas Städte, die rasant wachsen<br />

und dabei nicht mit dem Konsumboom<br />

Schritt halten können. Die Folge: Sie<br />

versinken immer tiefer im Müll.<br />

In Nairobi ist Abfall schlicht Teil des<br />

Stadtbilds. Wer ihn wie entsorgt, kümmert<br />

in Kenias Hauptstadt niemanden. Außer<br />

Daniel Paffenholz. Der 27-Jährige hatte vier<br />

Jahre seiner Kindheit in der Stadt verbracht<br />

und als Spross eines Entwicklungshelfer-<br />

Paars früh verstanden, dass Armutsbekämpfung<br />

dann nachhaltig funktioniert,<br />

wenn sie auf unternehmerischen<br />

Gedanken fußt. Die Idee kam<br />

dem jungen Mann mit der trendigen<br />

Hornbrille, als er vor vier Jahren<br />

seinen Eltern in Kenia besuchte – und<br />

das Müllchaos leibhaftig erlebte. „Niemand<br />

holte unseren Müll ab,<br />

Grüne Pioniere<br />

Alle Teile der<br />

Serie finden Sie im<br />

Internet unter<br />

wiwo.de/pioniere<br />

und die Nachbarn verbrannten<br />

ihn einfach“, erinnert sich Paffenholz,<br />

der in der Stadt blieb.<br />

Fortan hatte er eine Mission: Er<br />

will Nairobi sauberer machen,<br />

indem er Mülltrennung nach<br />

deutschem Vorbild organisiert.<br />

Nicht aus purem Altruismus, sondern um<br />

damit Geld zu verdienen.<br />

Einfach war das freilich nicht. Paffenholz<br />

hatte zuvor Philosophie in Schottland studiert.<br />

„Da lernt man zwar kritisch und umfassend<br />

zu denken“, sagt er, „aber die unternehmerische<br />

Erfahrung hat mir komplett<br />

gefehlt.“ Oft zogen ihn Behörden über den<br />

Tisch, etliche Ideen musste er begraben –<br />

bis er irgendwann den Social Innovation<br />

Challenge-Preis der US-Computerfirma<br />

Dell gewann. Plötzlich waren Geld und<br />

Aufmerksamkeit da, Fachleute in Netzwerken<br />

boten Hilfe an.<br />

Heute besitzt sein Start-up Taka Taka Solutions<br />

für vier Viertel in Nairobi die Lizenz<br />

zum Sammeln von Taka, wie Abfall auf<br />

Suaheli heißt. Den lässt Paffenholz zu Gläsern,<br />

Textilien, Sofa-Füllstoff und zu Kompost<br />

verarbeiten: Kenias Landwirtschaft,<br />

sagt er, kann organischen Dünger als<br />

Ergänzung zur üblichen Chemiekeule<br />

brauchen. So sieht das auch die deutsche<br />

Entwicklungsbank DEG, eine<br />

Tochter der staatlichen KfW, die ihm<br />

einen Kredit für den Bau größerer<br />

Kompostieranlagen bewilligt hat.<br />

Zu tun gibt es in Nairobi mehr<br />

als genug: 3,5 Millionen Einwohner<br />

produzieren täglich fast<br />

2000 Tonnen Müll. Den müsste<br />

eigentlich die Stadtverwaltung<br />

abholen. Doch deren acht Lkws<br />

können das nie und nimmer<br />

schaffen. Und was die Kipper<br />

abladen, pflücken die Ärmsten der Armen<br />

auseinander: Barfuß tapsen die Slum-Kinder<br />

auf der Suche nach Wertstoffen über<br />

Deponien, um später am Bunsenbrenner<br />

ein paar Tropfen Buntmetall aus dem<br />

Schrott zu kochen. Alt werden sie selten.<br />

FOTOS: TAKA TAKA SOLUTIONS<br />

So werden in Nairobi aus Abfällen Produkte<br />

1 2<br />

3<br />

1 Strikt getrennt nach Bio- und Restmüll<br />

sammelt Taka Taka Solutions Abfall ein<br />

2 Spaß bei der Arbeit haben Verwerter,<br />

die besser verdienen als ihre Landsleute<br />

3 Hunderte einzelner Schuhe landen in<br />

den Tonnen. Daraus entstehen neue Treter<br />

4 Stilvolle Glaspokale kreiert ein Glaser<br />

aus weggeworfenen Weinflaschen<br />

5 Auf den Bananenhügeln wird die<br />

Qualität des Taka-Komposts getestet<br />

4<br />

62 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Der Kangemi-Slum ist eines der besseren<br />

Wellblechviertel von Nairobi. In einigen<br />

Hütten gibt es fließend Wasser, von<br />

den Dächern grüßen Satellitenschüsseln.<br />

Unweit des Bachs funken Mobilfunkmasten,<br />

viele Männer handeln mit Ersatzteilen<br />

oder Elektronik oben an der Waiyaki-Straße.<br />

Warum sie aber im Monat 100 Schilling,<br />

also 85 Cent für die Abholung des Taka<br />

zahlen sollen, erschloss sich ihnen nicht<br />

sofort. „Am Anfang haben sie mich für verrückt<br />

erklärt“, erinnert sich Paffenholz an<br />

die ersten Tage vor drei Jahren, als er mit<br />

dem Entsorgungsdienst in Kangemi startete<br />

und seine ersten Mitarbeiter zu Infoveranstaltungen<br />

in Haushalte und Schulen<br />

schickte. Nur langsam fiel den Kenianern<br />

auf, wie sauber jene Hütten sind, an denen<br />

grüne Schilder hängen: Waste Management<br />

by Taka Taka Solutions. Heute legen<br />

die Bewohner im Viertel großen Wert darauf,<br />

dass solch ein Blechschild an der Tür<br />

hängt, sagt Paffenholz: „Unser Service ist<br />

zum Statussymbol geworden.“<br />

VORSORTIERUNG BEIM KUNDEN<br />

Es ist früher Nachmittag, wie jeden Tag<br />

knallt die Sonne mit Wucht auf die rote Erde<br />

vor dem Taka-Hof. Zwei Jungs, kaum<br />

zwölf Jahre alt, schieben Karren mit Müll<br />

herbei und begrüßen Paffenholz mit dem<br />

Standardspruch für weiße Männer: „Hello<br />

Mister, how are you?“ Der antwortet vorwurfsvoll:<br />

„Ihr solltet jetzt eigentlich in der<br />

Schule sein.“ Die Kinder liefern den Müll<br />

5<br />

»Unser Abfallservice<br />

ist<br />

zum Statussymbol<br />

geworden«<br />

Gründer Daniel Paffenholz<br />

im Auftrag ihrer Eltern ab. Für James Sunday<br />

bedeutet das zusätzliche Arbeit. „Die<br />

wenigsten Haushalte trennen so, wie wir<br />

das gerne hätten“, sagt der Entsorger, „darum<br />

sortieren unsere Leute beim Kunden<br />

vor.“ Die grobe Sortierung muss er nun auf<br />

dem Hof übernehmen, ehe seine Kollegen<br />

weiter hinten den Müll von 4000 Haushalten<br />

in 31 Fraktionen trennen – Papier, Glas,<br />

Metall, Elektroschrott und so weiter.<br />

Aus den Wertstoffen stellt ein Glaser<br />

bunte Gläser her; Partnerfirmen holen die<br />

Textilien ab. Aus guten Stoffen werden Klamotten,<br />

das schlechte Material schreddern<br />

sie zu Sofa-Füllung. Afrikaner können Könige<br />

des Recyclings sein, wenn sich mal jemand<br />

die Mühe des Sammelns macht.<br />

An Sundays Arbeitsplatz stinkt es gewaltig,<br />

der Besucher hält die Hand vor die Nase.<br />

Der Mittdreißiger im orangenen Overall<br />

lächelt trotzdem. Wie die meisten seiner<br />

Kollegen verdient er im Monat 10 000<br />

Schilling aufwärts, also 85 Euro und damit<br />

doppelt so viel wie im Land üblich.<br />

Hinter der mit Holzbrettern vernagelten<br />

Sortierabteilung beginnt ein 15 Meter langer<br />

Komposthaufen. Fliegen summen über<br />

dem schwarzen Berg organischen Abfalls.<br />

Es dampft, aber es stinkt kaum. Sechs Monate<br />

rottet er dahin, bis der Dünger auf einer<br />

Farm landet, die Taka Taka Solutions<br />

im Norden von Nairobi betreibt, auf den<br />

Banana Hills: „Wir weisen in Studien nach,<br />

dass unser Kompost die Bodenqualität verbessert“,<br />

so Paffenholz. Die Ergebnisse sind<br />

ein gutes Verkaufsargument für den Biodünger,<br />

den er Landwirten ab Jahresende<br />

für 200 Dollar pro Tonne verkaufen will.<br />

Irgendwann muss Paffenholz einen Gewinn<br />

vorweisen. Mit der DEG hat er einen<br />

Financier an Bord, der einen hieb- und<br />

stichfesten Geschäftsplan verlangt. „Wir<br />

denken, dass das Projekt Aussicht auf Erfolg<br />

hat, obwohl es mit höherem Risiko verbunden<br />

ist“, urteilt Tobias Bidlingmaier, der<br />

das Projekt betreut. Das Risiko sieht er darin,<br />

dass Paffenholz die Kompostmengen<br />

deutlich erhöhen muss: Nur wer Naturdünger<br />

tonnenweise liefern kann, kommt<br />

mit Kenias großen Agrarbetrieben ins Geschäft.<br />

Dazu braucht er Platz – und Müll.<br />

Ersteres ist das kleinere Problem; das DEG-<br />

Geld will der grüne Unternehmer in Kompost-Planen<br />

stecken. Das Volumen kann er<br />

nur erhöhen, indem er immer neue Lizenzen<br />

beschafft, immer neue Verträge abschließt.<br />

Ein Sisyphusjob, sagt Paffenholz:<br />

„Es ist nicht leicht, die Behörden von unserem<br />

Konzept zu überzeugen, die meisten<br />

Beamten haben von Mülltrennung nie etwas<br />

gehört.“ Einige wittern Betrug und halten<br />

die Erlaubnis zurück. Andere wollen<br />

Schmiergeld, das der Deutsche nicht zahlt.<br />

CHANCEN FÜR KLEINBAUERN<br />

Der Markt ist allerdings da. Denn Kenias<br />

Felder lechzen nach organischem Dünger.<br />

Jahrzehntelang bauten lokale Bauern Mais<br />

an, der günstig und ertragreich ist – aber<br />

stickstoffreichen Mineraldünger erfordert.<br />

Der laugt aber die Böden aus, was die Produktivität<br />

sinken lässt. Inzwischen hat unter<br />

Kenias Farmern ein Umdenken begonnen,<br />

bemerkt Raimund Hoffmann von der<br />

Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit<br />

(GIZ) in Nairobi: „Es gibt eine<br />

steigende Nachfrage nach organischem<br />

Dünger, der die Bodenqualität verbessert<br />

und den Pflanzen die Aufnahme von Nährstoffen<br />

erleichtert.“ Vor allem für Kleinbauern<br />

sei dies eine Chance: Die meisten Betriebe<br />

könnten dreimal so effizient wirtschaften,<br />

wenn sie bessere Dünger und<br />

hochwertiges Saatgut verwenden würden.<br />

Inzwischen lässt Paffenholz vermehrt in<br />

besseren Vierteln Nairobis sammeln. Dort<br />

produzieren die Bewohner mehr Müll und<br />

sind bereit, für dessen Entsorgung gutes<br />

Geld zu bezahlen. Sein Firmensitz ist weiter<br />

am Rande des Kangemi-Slums, wo die<br />

Schilder von Taka Taka Solutions fast an jeder<br />

zweiten Hütte hängen. Der Gründer<br />

will hier sehen, wie die Stadt seiner Kindheit<br />

jeden Tag ein bisschen sauberer wird.<br />

Vielleicht werden die Bewohner eines Tages<br />

wieder aus dem Nairobi River trinken,<br />

na ja, zumindest darin baden können. n<br />

florian.willershausen@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 63<br />

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Technik&Wissen<br />

Reifen ohne Puste<br />

AUTO | Ab November müssen Neuwagen den Reifendruck überwachen,<br />

um vor Pannen zu warnen. Damit es erst gar nicht so weit<br />

kommt, erfinden die Ingenieure gerade buchstäblich das Rad neu.<br />

Der schottische Tierarzt John Boyd<br />

Dunlop liebt seinen Sohn Johnny<br />

wirklich. Doch das Dreirad mit<br />

den Metallreifen, mit dem sein Filius<br />

lautstark durchs Wohnzimmer<br />

kurvt, nervt ihn Anfang des Jahres<br />

1888 kolossal. Johnny das<br />

geliebte Dreirad einfach wegzunehmen,<br />

das bringt Dunlop<br />

dann doch nicht übers<br />

Herz. Stattdessen bastelt der<br />

Vater dem Sohn in den kommenden<br />

Wochen ein neues,<br />

dessen Holzreifen er mit<br />

selbst zusammengeklebten<br />

Gummischläuchen ummantelt.<br />

Im Wohnzimmer war fortan<br />

Ruhe, und Dunlop meldete im<br />

Dezember 1888 das Patent für den<br />

ersten luftgefüllten Fahrradreifen<br />

an. Ohne seine Erfindung hätten Zweiräder<br />

und wenig später das Auto kaum ihren<br />

Siegeszug antreten können.<br />

Die neuartigen Motorwagen brachten<br />

aber erst die französischen Brüder André<br />

und Edouard Michelin im Jahr darauf mit<br />

den komfortablen und leisen Luftreifen so<br />

richtig in Schwung. Sie hatten ihn noch um<br />

einen Schlauch im Inneren ergänzt, um die<br />

Dichtigkeit zu verbessern.<br />

Heute sind luftgefüllte Reifen aus dem<br />

automobilen Alltag nicht mehr wegzudenken.<br />

Und die Forschung an den schwarzen<br />

Gummiwalzen geht immer weiter, um die<br />

Reifen sparsamer, sicherer und leichter zu<br />

machen. Die Hersteller arbeiten sogar daran,<br />

die Luft wieder aus den Pneus herauszulassen.<br />

1<br />

Speichen aus Kunststoff So sind luftlose<br />

Reifen aufgebaut 3<br />

Nie mehr Plattfuß Wie luftlose Reifen aufgebaut<br />

sind: 1 Lauffläche aus Gummi oder<br />

speziellem Kunststoff 2 Elastische, energieschluckende<br />

Speichen aus farbigem<br />

Kunststoff 3 Nabe für Verbindung mit Achse<br />

SCHWERE UNFÄLLE<br />

Denn die hat einen entscheidenden Nachteil:<br />

Sie entweicht langsam und meist unbemerkt.<br />

Laut einer Studie des japanischen<br />

Reifenherstellers Bridgestone aus dem vergangenen<br />

Jahr fuhren europaweit von den<br />

fast 40 000 überprüften Fahrzeugen mehr<br />

als ein Drittel mit zu niedrigem Luftdruck<br />

herum. Das wiederum kann zu Pannen<br />

und schweren Unfällen führen. Und es erhöht<br />

den Spritverbrauch um bis zu einen<br />

halben Liter pro 100 Kilometer. Der Gesetzgeber<br />

reagiert darauf: Ab November<br />

2014 sind elektronische Reifendruckkontrollsysteme<br />

für Neuwagen Pflicht.<br />

Diese Vorgabe erfüllt der amerikanische<br />

Reifenriese Goodyear recht elegant. Mit<br />

seiner Air Maintenance Technology (AMT)<br />

kann ein Reifen ganz ohne externe Pumpen,<br />

elektronische Systeme oder Eingriffe<br />

des Fahrers den optimalen Druck halten.<br />

Die Goodyear-Entwickler nutzen aus, dass<br />

Mehr oder<br />

weniger Profil<br />

Beim Konzeptreifen<br />

des südkoreanischen<br />

Herstellers<br />

Hankook<br />

lässt sich die Auflagefläche<br />

verändern<br />

– was Rollwiderstand<br />

und Verbrauch senkt<br />

2<br />

durch das Rollen der Reifen ein Luftdruck<br />

entsteht, und pumpen ihn bei jeder Umdrehung<br />

ein wenig auf.<br />

Das passiert mittels einer von außen<br />

nach innen verlaufenden Schlauchpumpe<br />

in der Seitenwand und einem Ventil, das<br />

sich unter Druck öffnet und dem Reifen die<br />

notwendige Luft zuführt. Der Druck befindet<br />

sich dadurch immer im optimalen Bereich.<br />

Joe Zekoski, Goodyears Entwicklungschef,<br />

ist sich sicher: „AMT wird den<br />

Verbrauch senken und die Lebensdauer<br />

der Reifen verlängern.“ Noch testen<br />

Zekoski und sein Team die neue<br />

Technik. Den genauen Marktstart<br />

verrät er noch nicht.<br />

Um Spritsparen geht es auch<br />

dem südkoreanischen Hersteller<br />

Hankook. Bei seinem Konzeptreifen<br />

namens eMembrane<br />

ändert sich die Lauffläche je<br />

nach Umdrehungszahl des Reifens<br />

und dem einwirkenden<br />

Druck. Die Techniker verändern<br />

dazu die Struktur in seinem Inneren.<br />

Im Ökomodus heben sie das<br />

Profil in der Mitte an, der Rollwiderstand<br />

und damit der Verbrauch sinken.<br />

Eher ein Marketinggag ist dagegen wohl<br />

der Wellness-Reifen. Beim Road-Beat-<br />

Konzept des südkoreanischen Herstellers<br />

Kumho sollen kleinste Löcher in der Lauffläche<br />

Alphaschallwellen im Frequenzbereich<br />

von 8 bis 13 Hertz erzeugen. Die<br />

wirken angeblich entspannend – und<br />

bremsen so vielleicht allzu heißblütige Autofahrer.<br />

Zugleich verbessern in der Lauffläche<br />

eingebaute LED-Leuchten die Sichtbarkeit<br />

des Autos. Den nötigen Strom erzeugt<br />

praktischerweise der Reifen durch<br />

seine kinetische Energie gleich selbst.<br />

NIE MEHR SCHMUTZIGE FINGER<br />

Mehr praktischen Nutzen verspricht die<br />

buchstäbliche Neuerfindung des Rads, an<br />

der Hankook, Bridgestone und Michelin<br />

arbeiten: Sie testen Reifen ganz ohne Luft.<br />

Sie bieten eine Menge Vorteile: Niemand<br />

fährt mehr mit einem halb platten Reifen<br />

los und riskiert schwere Unfälle, der Wartungsbedarf<br />

sinkt. Auch Plattfüße durch<br />

Bordsteine oder Nägel sollen genauso der<br />

Vergangenheit angehören wie schmutzige<br />

Finger beim Überprüfen des Luftdrucks.<br />

Beim Air Free Concept Tyre von Bridgestone<br />

trägt eine Speichenstruktur aus<br />

Kunststoff auf der Innenseite das Gewicht<br />

des Fahrzeugs. Sie besteht aus Thermoplast,<br />

einem sehr festen, aber gleichzeitig<br />

FOTOS: PR<br />

64 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

flexiblen und leistungsfähigen Kunstharz.<br />

Die Speichenstruktur soll wie luftbefüllte<br />

Reifen Stöße dämpfen. Mittlerweile haben<br />

die Entwickler den Rollwiderstand auf den<br />

Wert eines konventionellen energieeffizienten<br />

Reifens gesenkt. Während die ersten<br />

Prototypen nur sechs Kilometer pro<br />

Stunde schnell fahren konnten – bei einem<br />

Fahrzeuggewicht von gerade mal 100 Kilogramm<br />

–, schaffen die neuesten bereits 60<br />

Kilometer pro Stunde mit einem 410 Kilogramm<br />

schweren Fahrzeug.<br />

Noch radikaler sind die Hankook-Ingenieure:<br />

Sie haben bei ihrem Projekt iFlex<br />

Der erste luftlose<br />

Reifen war nur<br />

sechs Kilometer<br />

pro Stunde schnell<br />

sogar die Felge abgeschafft. Das ganze luftlose<br />

Rad ist aus hochelastischem Polyurethan-Kunststoff<br />

gefertigt, das Ganze ist zudem<br />

zu 95 Prozent recycelbar. Die Speichen<br />

sind miteinander verbunden und sollen<br />

den Druck so verteilen, dass der Reifen<br />

unter Belastung – etwa am Bordstein – zusammengepresst<br />

wird und sich zugleich<br />

nach oben ausdehnt. Und wer sagt, Reifen<br />

müssten immer schwarz sein? Die Kunststoffe<br />

sind leicht einfärbbar.<br />

Michelin dürfte mit seinem Konzept am<br />

weitesten sein: Statt der Luft dämpfen bei<br />

seinem Prototyp namens Tweel hochflexible,<br />

zwischen Lauffläche und Felge angeordnete<br />

Speichen Stöße. Der Rollwiderstand<br />

und damit der Verbrauch sollen sich<br />

verbessern, weil das Rad im Vergleich zu<br />

Gummireifen beim Fahren weniger Walkbewegungen<br />

aufweist. Zudem lässt sich<br />

seine Steifigkeit je nach Fahrzeugtyp über<br />

die Festigkeit der Speichen variieren. Noch<br />

wagt niemand eine Prognose, wann Autofahrer<br />

die luftlosen Reifen kaufen können,<br />

denn höhere Geschwindigkeiten verkraften<br />

sie noch nicht.<br />

Aber Didier Miraton, einer der Michelin-<br />

Entwickler, ist sich sicher: „Der Airless-<br />

Reifen wird kommen.“ Michelin testet den<br />

Tweel in den USA bereits bei Baumaschinen<br />

des US-Herstellers Caterpillar, bei<br />

Rollstühlen und sogar bei einer Mondlandefähre.<br />

n<br />

juergen.rees@wiwo.de<br />

VALLEY TALK | Vom Vertriebschef einer Softwarefirma<br />

zum Drogenkurier – eine ganz legale Karriere.<br />

Von Matthias Hohensee<br />

Die Macht des Erfolgs<br />

Einfach machen, sich durchsetzen<br />

und potenzielle Probleme später<br />

lösen. Mit diesem für Amerika so<br />

typischen Pragmatismus sind im<br />

und ums Silicon Valley herum viele erfolgreiche<br />

Unternehmen entstanden.<br />

Larry Page und Sergey Brin, die Gründer<br />

von Google, fragten nicht die Betreiber<br />

von Web-Seiten, ob sie deren Inhalte in ihre<br />

Suchmaschine aufnehmen durften.<br />

YouTube, heute die marktführende<br />

Video-Plattform, wäre nicht <strong>vom</strong> Fleck gekommen,<br />

hätten sich ihre Chefs zunächst<br />

Sorgen um den Urheberschutz gemacht.<br />

Auch die Macher hinter der Bettenbörse<br />

Airbnb klopften vor deren Start nicht aufwendig<br />

ab, ob das Vermitteln von Zimmern<br />

gegen städtische Vorschriften verstoßen<br />

könnte. Genau wie der Fahrdienst-Vermittler<br />

Uber. Wer hätte gedacht, dass<br />

jemand ohne den Erwerb einer Taxi-Lizenz<br />

Fahrgäste chauffieren kann?<br />

Die Probleme, so lehren diese Geschichten,<br />

verschwinden in der Regel mit dem Erfolg.<br />

Googles Suchmaschine wurde so populär,<br />

dass sich kein Web-Seitenbetreiber<br />

leisten konnte, auf sie zu verzichten. Um<br />

YouTubes rechtliche Auseinandersetzungen<br />

kümmerte sich Google, als es die Video-<br />

Plattform für 1,6 Milliarden Dollar erwarb.<br />

Airbnb und Uber sind – zumindest in<br />

Amerika – mittlerweile so populär, dass sie<br />

sich nicht mehr verbieten lassen.<br />

Derzeit testet Keith McCarthy die rechtlichen<br />

Grenzen bei einem politisch besonders<br />

heiklen Thema aus: Marihuana. Der<br />

Unternehmer hat in San Francisco das<br />

Start-up Eaze aus der Taufe gehoben. Es<br />

soll eine Art Uber für Marihuana werden.<br />

Eaze vermittelt Fahrer, welche die Droge<br />

frei Haus liefern. Derzeit täglich von acht<br />

Uhr morgens bis Mitternacht. Natürlich nur<br />

an Konsumenten, die Marihuana zur Linderung<br />

von Leiden von ihrem Arzt verschrieben<br />

bekommen haben.<br />

Schließlich ist McCarthy zwar kühn, aber<br />

nicht verrückt. In Kalifornien ist Marihuana<br />

zwar sehr populär, der Genuss ist aber nur<br />

auf Rezept legal. Im Gegensatz etwa zu den<br />

US-Bundesstaaten Washington und Colorado,<br />

wo der Konsum nach dem Willen der<br />

Wähler jüngst freigegeben wurde.<br />

Geordert werden soll wie bei Uber via<br />

Smartphone-App, die den Besteller auf<br />

dem Laufenden hält, wo sich die Sendung<br />

gerade befindet. Innerhalb von zehn Minuten<br />

will Eaze liefern.<br />

DIE MEHRHEIT WILL MARIHUANA<br />

Wie bei Uber koordiniert das Start-up die<br />

Fahrer, die pro Lieferung zehn Dollar erhalten.<br />

Die Kosten für die Kuriere übernehmen<br />

die miteinander konkurrierenden Marihuana-Apotheken.<br />

Im Gegensatz etwa zu Uber<br />

kann der Empfänger die ausgelieferte Ware<br />

nicht per Kreditkarte bezahlen, sondern nur<br />

in bar. Denn Kreditkartenanbietern ist es<br />

verboten, Drogengeschäfte abzuwickeln.<br />

Zwar sind Lieferdienste für medizinisch<br />

verordnetes Marihuana nicht neu. Aber<br />

McCarthy plant, einen besonders einfach<br />

zu nutzenden Service aufzubauen und ihn<br />

als nationale Marke zu etablieren.<br />

Erfahrung damit hat der Eaze-Gründer<br />

bereits. McCarthy war einst Vertriebschef<br />

bei Yammer, das Software für soziale Netzwerke<br />

in Firmen anbot und für 1,2 Milliarden<br />

Dollar an Microsoft ging. Er sieht sich<br />

als Vermittler zwischen den staatlich<br />

regulierten Apotheken für medizinisches<br />

Marihuana und deren Kunden. In 20 US-<br />

Staaten gibt es sie bereits. Allerdings toleriert<br />

die Bundesregierung sie nur.<br />

McCarthy setzt auf einen weiter wachsenden<br />

Markt. Laut einer Umfrage der<br />

Marktforscher <strong>vom</strong> Pew Research Center<br />

heißen 54 Prozent der Amerikaner die<br />

Legalisierung von Marihuana gut. Zwar<br />

scheiterte die Freigabe in Kalifornien 2010<br />

knapp am Votum der Wähler. Befürworter<br />

wollen es nach den Erfolgen in Washington<br />

und Colorado 2016 noch einmal versuchen.<br />

Eaze will bis dahin etabliert sein.<br />

Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />

im Silicon Valley und beobachtet<br />

von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />

wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 65<br />

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Management&Erfolg<br />

Deutschland sucht den<br />

Supergründer<br />

SERIE GRÜNDER (VI) | Treffpunkte In einer neuen TV-Show buhlen Gründer um die<br />

Gunst der Investoren. Geld oder gute Ratschläge gibt es aber auch bei anderen Start-up-<br />

Veranstaltungen – etwa am Pokertisch, beim Volksfest oder gar im Stundenhotel.<br />

Schon während Susan Schmelzer<br />

ihre bunten Schuhe sorgsam in<br />

dem Kölner TV-Studio drapiert,<br />

beginnt das Getuschel. Wie Flip-<br />

Flops sehen sie aus, haben aber<br />

lange Noppen an der Sohle. „Sollen das etwa<br />

Golfschuhe sein?“, fragt einer der fünf<br />

Juroren. „Nein, darin hat man doch gar keinen<br />

Halt“, antwortet ein anderer.<br />

Doch es sind tatsächlich Golfschuhe, die<br />

die Unternehmerin unter dem Namen<br />

„G-Flop“ vertreibt. Profispieler wie Florian<br />

Fritsch haben sie schon getestet. Auf der<br />

Sportmesse ISPO war Schmelzer als Finalistin<br />

für den Newcomer-Preis nominiert.<br />

Nun sitzt sie vor fünf prominenten Investoren,<br />

von denen sie gern 50 000 Euro für<br />

den Ausbau ihres Geschäfts hätte. Doch<br />

zumindest beim deutsch-türkischen Touristikunternehmer<br />

Vural Öger blitzt<br />

Schmelzer ab. Fast persönlich beleidigt ist<br />

der Öger-Tours-Gründer angesichts der<br />

Vorstellung, jemand könnte in solchen Latschen<br />

einen Ball schlagen. „Kein Golfer<br />

würde so etwas kaufen“, schimpft er, „mein<br />

Fuß würde ja darin hin- und herwackeln.“<br />

Willkommen in der „Höhle der Löwen“,<br />

einer neuen TV-Sendung auf Vox, in der ab<br />

19. August Gründer um das Geld von Investoren<br />

buhlen. Fast 100 Jungunternehmer<br />

präsentieren ihre Geschäftsideen vor<br />

der Jury, zu der neben Öger auch Erlebnisgutschein-Guru<br />

Jochen Schweizer, die Vorsitzende<br />

des Jungunternehmerverbandes<br />

Lencke Wischhusen, Investor Frank Thelen<br />

sowie Judith Williams, Moderatorin<br />

beim Shoppingkanal HSE24 und Kosmetikunternehmerin,<br />

gehören. Etwa zwei Millionen<br />

Euro werden die fünf im Laufe der<br />

Sendung aus ihren Vermögen investieren.<br />

In Großbritannien und den USA läuft die<br />

Sendung seit mehr als zehn Jahren unter<br />

den Namen „Dragons Den“ (Drachenhöhle)<br />

beziehungsweise „Shark Tank“ (Haifischbecken).<br />

Die Gründershow wurde schon in<br />

mehr als 20 Ländern adaptiert – darunter<br />

Nigeria und Afghanistan. Doch obwohl Vox<br />

bereits seit Jahren die Rechte hält, war der<br />

Sender offenbar skeptisch, ob im Erfinderland<br />

Deutschland eine solche Unternehmershow<br />

funktionieren kann.<br />

Diese Zurückhaltung ist typisch für die<br />

Bundesrepublik. Die Zahl der Gründungen<br />

ist seit Jahren rückläufig. 2003 waren es laut<br />

KfW noch fast 1,5 Millionen, zehn Jahre<br />

WIWO START-UP-TOUR<br />

Auf nach Berlin<br />

Von Gründern kann man viel lernen:<br />

wie sie neue Geschäftsideen entwickeln<br />

und erfolgreich umsetzen, wie sie<br />

Partner finden und eine moderne Unternehmenskultur<br />

aufbauen. Diese<br />

Themen standen bei der ersten Startup-Tour<br />

der WirtschaftsWoche im<br />

Mittelpunkt. Bei Besuchen von Unternehmen<br />

wie 6wunderkinder, Zalando<br />

oder dem Inkubator Rocket Internet und<br />

einem Netzwerkabend kamen Leser mit<br />

Gründern und der WirtschaftsWoche-<br />

Chefredaktion ins Gespräch. Nach<br />

dem gelungenen Auftakt findet die<br />

Start-up-Tour am 9./10. Oktober erneut<br />

statt. Alle Informationen zum Programm<br />

und zur Anmeldung finden Sie unter<br />

wiwo.de/startup<br />

später nur noch 870 000. Auch im europäischen<br />

Vergleich besteht Nachholbedarf,<br />

wie der Global Entrepreneurship Monitor<br />

zeigt: Während hierzulande im Vorjahr 3,1<br />

Prozent der Erwachsenen ein Unternehmen<br />

gründeten, waren es beispielsweise in<br />

Irland 5,5 Prozent, in Schweden 5,9 Prozent<br />

und in Estland sogar 8,8 Prozent.<br />

MEHR LUST AM GRÜNDEN<br />

Ein zentraler Grund ist die nicht immer<br />

wirtschaftsfreundliche Stimmung im Land.<br />

„Wenn Unternehmer in Deutschland<br />

scheitern, ernten sie Spott und Häme.<br />

Wer Erfolg hat und Millionen verdient,<br />

steht unter Ausbeuterverdacht“, sagt TV-<br />

Juror Schweizer. „Wir müssen lernen,<br />

dass Scheitern Teil des Erfolgs ist, und<br />

sollten denen, die es schaffen, nicht mit<br />

Neid begegnen.“<br />

Die Show soll dazu einen kleinen Beitrag<br />

leisten: „Wir glauben, dass jetzt der richtige<br />

Zeitpunkt gekommen ist, das international<br />

erfolgreiche Format auch in Deutschland<br />

auf den Bildschirm zu bringen“, sagt Vox-<br />

Chefredakteur Kai Sturm. Immer mehr<br />

Menschen hätten Lust, mit ihrem eigenen<br />

Geschäft durchzustarten, und es gebe<br />

mehr Respekt vor Unternehmertum.<br />

Wie groß die Erwartungen sind, zeigt die<br />

Platzierung zur Hauptsendezeit um 20.15<br />

Uhr. „Vielleicht werden einige Zuschauer<br />

durch ,Die Höhle der Löwen‘ überrascht<br />

sein, wie aufregend die trocken wirkende<br />

Wirtschaftswelt sein kann“, hofft Sturm.<br />

Tatsächlich ist der mögliche Lerneffekt<br />

groß – für die Zuschauer und die Start-ups.<br />

Denn es geht bei der „Höhle der Löwen“<br />

nicht darum, statt Möchtegern-Sängern<br />

nun überambitionierte Nachwuchsunter-<br />

FOTOS: VOX/BORIS BREUER<br />

66 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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nehmer zur Schnecke zu machen. Wenn<br />

Schweizer beispielsweise den nerdigen<br />

Hamburger Limonade-Machern, die eine<br />

Alternative zum Szenegetränk Club-Mate<br />

brauen, in drei Minuten vorrechnet, wie sie<br />

ihren Wareneinsatz kalkulieren und eine<br />

realistische Unternehmensbewertung ermitteln<br />

müssten, vermittelt die Show ganz<br />

nebenbei mehr über den Kern von Unternehmertum,<br />

als heutzutage die meisten<br />

Abiturienten in der Schule darüber lernen.<br />

Während einige Gründer schlecht wegkommen,<br />

überzeugen andere die Jury. In<br />

Strenge Juroren In der TV-Sendung „Höhle<br />

der Löwen“ kämpfen Gründer um ihre Gunst<br />

einem Fall beschließen Öger, Schweizer<br />

und Wischhusen nach kaum einer halben<br />

Stunde, 180 000 Euro für eine 30-Prozent-<br />

Beteiligung zu investieren.<br />

Die Finanzierung ist für viele Start-ups<br />

eine der größten Hürden, obwohl in<br />

Deutschland eigentlich genug Kapital vorhanden<br />

ist. „Das Problem ist, wie man das<br />

alte Geld an die neuen Leute bringt“, sagt<br />

Sanja Stankovic, Mitbegründerin der Initiative<br />

Hamburg Start-ups. Sie hat daher eine<br />

Veranstaltung organisiert, um Gründer<br />

und Investoren zusammenzubringen – auf<br />

der Hamburger Reeperbahn. Doch nicht<br />

nur auf der hanseatischen Partymeile wird<br />

versucht, Hochschulabsolventen zur Firmengründung<br />

zu ermutigen und frisch gestartete<br />

Jungunternehmer mit Mentoren<br />

oder Investoren zusammenzubringen.<br />

Welche außergewöhnlichen Veranstaltungen<br />

außerdem für Gründer und Geldgeber<br />

von Interesse sind, lesen Sie auf den folgenden<br />

Seiten.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 67<br />

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Management&Erfolg<br />

Prost, auf die Zusammenarbeit Ungezwungen netzwerken auf der Venture Wiesn im<br />

Wirtshaus am Bavariapark in München<br />

VENTURE WIESN<br />

Janker statt Jackett<br />

Der berühmte Pitch vor Investoren, also<br />

die Kurzpräsentation der eigenen Geschäftsidee,<br />

bescherte schon so manchem<br />

Gründer schlaflose Nächte. Einmal im Jahr<br />

drehen Harald Siebenweiber und seine<br />

Mitstreiter den Spieß um: Auf der Venture<br />

Wiesn müssen Investoren in 90 Sekunden<br />

um die versammelten Gründer werben.<br />

Als zusätzliche Hürde halten die Macher<br />

noch Schilder mit bayrischen Begriffen wie<br />

gschert (unanständig) oder hamma ned<br />

(haben wir nicht) hoch, die die Geldgeber<br />

in ihren Vortrag einbauen müssen.<br />

Ganz so ernst wie andere Pitches darf<br />

man das natürlich nicht nehmen, doch<br />

auch hier geht es darum, Geldgeber und<br />

Gründer zusammenzubringen. „Wir wollen<br />

dafür aber eine möglichst spielerische<br />

Atmosphäre schaffen“, sagt Siebenweiber,<br />

Geschäftsführer <strong>vom</strong> Start-up Contigua,<br />

das die App 10stamps entwickelt hat, die<br />

Stempelkarten zum Sammeln von Treuepunkten<br />

aufs Smartphone bringt.<br />

Eigentlich wollte Siebenweiber 2011 gemeinsam<br />

mit anderen Gründern aus dem<br />

Entrepreneurship Center der Münchner<br />

Ludwig-Maximilians-Universität ein Sommerfest<br />

organisieren, daraus wurde jedoch<br />

eine Gründerveranstaltung beim Oktoberfest.<br />

Etwa 300 Teilnehmer kommen jedes<br />

Jahr, darunter Manager bekannter Geldgeber<br />

wie Seven Ventures oder Carsten<br />

Maschmeyers Investmentgesellschaft Alstin.<br />

Zum lockeren Ambiente trägt auch<br />

bei, dass die meisten Teilnehmer in<br />

Lederhose und Trachtenjanker statt Anzug<br />

oder Kapuzenpulli erscheinen. Anfangs<br />

standen noch leichte Abwandlungen<br />

populärer Wiesn-Sportarten auf dem<br />

Programm: Statt Maßkrugstemmen und<br />

Hau den Lukas gab es Finanzierung-<br />

Stemmen oder Schaff den Exit. Inzwischen<br />

wurde der Unterhaltungsteil zurückgefahren.<br />

„Wir wollten nicht so viel Programm,<br />

damit mehr Zeit für Gespräche<br />

bleibt“, sagt Siebenweiber.<br />

E-ENTREPRENEURSHIP<br />

FLYING CIRCUS<br />

Werbetour fürs<br />

Unternehmertum<br />

Vermutlich wird Tobias Kollmann Anfang<br />

Oktober wenig schlafen. Der Professor für<br />

BWL und Wirtschaftsinformatik von der<br />

Universität Duisburg-Essen tourt dann<br />

zwei Wochen durch die Republik – in einem<br />

Reisebus über Köln, Hamburg, Berlin,<br />

Dresden und Erlangen nach Stuttgart. Mit<br />

seinem „E-Entrepreneurship Flying Circus“<br />

will er an sechs Hochschulen haltmachen<br />

und Studenten fürs Gründen begeistern.<br />

Mit dabei: etwa 60 Unternehmer, Investoren,<br />

Politiker und Wissenschaftler. In<br />

Diskussionsrunden soll es darum gehen,<br />

warum es in Deutschland keine digitalen<br />

Konzerne wie Facebook oder Google gibt<br />

und vor allem: weshalb es sich gerade hier<br />

und heute lohnt, ein Internet-Start-up aufzubauen.<br />

Start-up-Touren durch einzelne Städte<br />

oder Regionen sind beliebt – auch die WirtschaftsWoche<br />

bietet eine Reise durch die<br />

Berliner Szene an (siehe Kasten Seite 66).<br />

Kollmanns Werbetour fürs Gründertum<br />

startet im Oktober und könnte zeitlich besser<br />

kaum passen: Das Bundesbildungsministerium<br />

hat das Wissenschaftsjahr 2014<br />

unter die Überschrift „Die digitale Gesellschaft“<br />

gestellt und fördert die Bustour.<br />

Doch Kollmann will nicht nur Studenten<br />

zu Gründern konvertieren, bevor sie eine<br />

klassische Konzernkarriere einschlagen. Er<br />

will auch, dass in Deutschland weitere<br />

Lehrstühle für E-Entrepreneurship entstehen,<br />

um das Fach an den Unis besser zu<br />

verankern. Würde das geschehen, wären<br />

lange Bustouren nicht mehr nötig.<br />

GRÜNDERPOKERN<br />

Gute Karten für<br />

Gründer<br />

Dass Philipp Maximilian Scharpenack diesen<br />

Sommer so viel zu tun hat, verdankt<br />

der Unternehmer seinen eigens organisierten<br />

Pokerrunden. Der Gründer baut derzeit<br />

das Start-up Suckit auf, das Longdrinks<br />

in kleinen Tütchen herstellt und vertreibt –<br />

Cocktails zum Selbsteinfrieren und Lutschen.<br />

Im Juni 2013 startete er mit der Idee<br />

– inzwischen sind die „Frozen Cocktails“ in<br />

200 Läden und im Netz erhältlich. Unterstützt<br />

wird er von Inga Koster und Marco<br />

Knauf, die in Bonn den Smoothiehersteller<br />

true fruits hochgezogen haben. Die drei<br />

lernten sich am Pokertisch kennen, genauer<br />

gesagt: beim Gründerpokern.<br />

Diese Veranstaltung findet mehrmals im<br />

Jahr in deutschen Großstädten statt. Das<br />

Konzept ist so simpel wie erfolgreich:<br />

Gründer lernen sich bei einem Pokerturnier<br />

kennen – zwischendurch gibt es ein<br />

Buffet und kalte Getränke, am Ende erhalten<br />

die besten Spieler Sachpreise.<br />

„Wir haben gemerkt, dass man bei den<br />

klassischen Networking-Veranstaltungen<br />

immer mit denselben Leuten herumsteht“,<br />

sagt Scharpenack, der das Gründerpokern<br />

zusammen mit dem Kölner Unternehmer<br />

Jackpot Beim Pokern Investoren treffen<br />

FOTOS: PR<br />

68 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Philipp Mühlbauer 2010 gestartet hat. „Dabei<br />

sind diejenigen, die du noch nicht<br />

kennst, vielleicht viel interessanter für<br />

dich.“ Beim Gründerpokern wird die Sitzordnung<br />

an den Tischen ausgelost. Wer<br />

während des Turniers ausscheidet, trifft<br />

auf andere Gründer oder Investoren, mit<br />

denen er ins Gespräch kommen kann.<br />

Das Konzept hat sich auch finanziell behauptet:<br />

Inzwischen haben Scharpenack<br />

und Mühlbauer mehr als zehn Mal Gründer<br />

zum Pokerabend geladen. Die Tickets<br />

zu etwa 60 Euro decken die Kosten von<br />

rund 7000 Euro pro Abend. Unterm Strich<br />

konnten die Gründer sogar ein kleines Plus<br />

verzeichnen – genug, um sich eigene Pokertische<br />

zu kaufen. Das hat sie auf eine<br />

weitere Idee gebracht: Zusammen mit<br />

Ronja Heinz, der Schwester des ehemaligen<br />

Poker-Weltmeisters Pius Heinz, vermieten<br />

sie Tische an Firmen und organisieren<br />

Pokerturniere für Unternehmen.<br />

Auch das Konzept Gründerpokern soll<br />

weiter ausgebaut werden. In Zukunft wollen<br />

sie neben dem Netzwerken mehr Inhalt<br />

bieten – etwa Diskussionsrunden, Pokerschulungen<br />

oder Gespräche mit Investoren.<br />

Allerdings erst nach dem Sommer,<br />

denn im Moment hat Scharpenack mit seinen<br />

gefrorenen Longdrinks genug zu tun.<br />

STARTUPS@REEPERBAHN<br />

Investorentreff im<br />

Liebesmobil<br />

Die Suche vieler Start-ups nach potenten<br />

Investoren hat Sanja Stankovic schon häufig<br />

an Prostitution erinnert. Als die Mitbegründerin<br />

der Initiative Hamburg Startups<br />

dann 2013 ein Gründerevent im Rahmen<br />

des Hamburger Reeperbahnfestivals plante,<br />

kam ihr die Idee, Gründer und Geldgeber<br />

gleich im passenden Ambiente zusammenzubringen.<br />

Und so fand sich Philipp<br />

Baumgaertel <strong>vom</strong> Start-up Protonet mit<br />

potenziellen Investoren in einem Stundenhotel<br />

wieder. „Da stand ein Piccolo bereit“,<br />

erinnert sich Baumgaertel, „durch die Atmosphäre<br />

war das Eis gleich gebrochen.“<br />

Das außergewöhnliche Event kam bei<br />

Gründern und Geldgebern so gut an, dass<br />

in diesem September erneut Treffen in intimem<br />

Ambiente stattfinden. Denn wie das<br />

große Vorbild, das South-by-Southwest-<br />

Festival in Austin, Texas, soll das vor neun<br />

Jahren als Musikveranstaltung gestartete<br />

Reeperbahnfestival zu einem wichtigen<br />

Treffpunkt der Digitalwirtschaft werden.<br />

Dabei gibt es nur ein Problem: Das Hotel<br />

<strong>vom</strong> vergangenen Jahr wurde kürzlich abgerissen.<br />

Weil alternative Etablissements<br />

zu weit von den anderen Veranstaltungsorten<br />

entfernt sind, wird Stankovic fünf sogenannte<br />

Lovemobile aufstellen. Ganz so authentisch<br />

sind die Wohnwagen zwar nicht,<br />

„die es auf dem Kiez gibt, waren uns zu abgeranzt“,<br />

sagt Stankovic. Doch sie will die<br />

gemieteten Wagen zu stilechten Liebesmobilen<br />

umrüsten, mit blinkenden Herzen<br />

und Aufschriften wie „Start-ups are hot“.<br />

EUROPEAN PIRATE SUMMIT<br />

Piraten lassen<br />

Hüllen fallen<br />

Die Wände sind bunt besprüht, neben Metallzäunen<br />

stehen rostige Autogerippe.<br />

Doch die Besucher haben sich keinesfalls<br />

auf einen Schrottplatz verlaufen. Wer genauer<br />

hinsieht, entdeckt Funken sprühende<br />

Roboter und Wasser speiende Saurier<br />

aus Eisen. Das Kölner Veranstaltungsgelände<br />

Odonien, selbst erklärter „Freistaat<br />

für Kunst und Kultur“, ist wie gemacht für<br />

eins der angesagtesten Gründerevents der<br />

Republik: den European Pirate Summit.<br />

Seit 2011 lockt der Gipfel Jahr für Jahr<br />

Hunderte Jungunternehmer an, für die<br />

Gründen so abenteuerlich ist wie für Piraten<br />

eine Kaperfahrt. Die Analogie stammt<br />

von Michael Arrington, dem Gründer des<br />

Internet-Portals TechCrunch, der Entrepreneure<br />

mit Seeräubern des 17. Jahrhunderts<br />

vergleicht:Beide setzen fast alles aufs<br />

Spiel, aber haben nur geringe Chancen, einen<br />

Schatz zu heben.<br />

Arringtons Vergleich inspirierte Organisator<br />

Till Ohrmann, den Piratengipfel ins<br />

Leben zu rufen. Er war damals noch Student<br />

an der Business and Information<br />

Technology School in Iserlohn und wollte<br />

eine Veranstaltung aufbauen, um selbst<br />

mit Investoren ins Gespräch zu kommen.<br />

Zusammen mit dem Unternehmer Manuel<br />

Koelman entwickelte der damalige<br />

Student die Idee zum Pirate Summit.<br />

Auf einer Holzplanke, die den Charme<br />

eines Schiffdecks versprüht und als Bühne<br />

dient, pitchen nicht nur Start-ups um Investoren,<br />

sondern auch umgekehrt. An<br />

Bord geht es um Erfolg genauso wie ums<br />

Scheitern. „Wir wollen, dass die Leute die<br />

Hüllen fallen lassen und darüber reden,<br />

was beim Gründen weh tut“, sagt Ohrmann,<br />

„damit andere daraus lernen.“<br />

Der Zuspruch für die Veranstaltung ist<br />

gewaltig. Die Organisatoren verlängern<br />

den diesjährigen Gipfel von zwei auf fünf<br />

Tage. Ohrmann erwartet mehr als 2000<br />

Teilnehmer und peilt zum ersten Mal einen<br />

kleinen Profit an. Gewinne liefert inzwischen<br />

auch eine zweite Veranstaltungsreihe,<br />

die Ohrmann mit Koelman gestartet<br />

hat: die sogenannten Exec I/O-Konferenzen,<br />

die mehrmals im Jahr überall in<br />

Deutschland stattfinden. Dabei treffen<br />

Jungunternehmer mit etablierten Konzernlenkern<br />

zusammen. Beide Seiten tauschen<br />

sich zu Themen wie Finanzen, Handel<br />

oder Mobilität aus. „Nach jedem Pirate<br />

Summit sind Konzerne auf uns zugekommen,<br />

weil sie mit Technologie-Start-ups in<br />

Dialog treten wollen“, erzählt Ohrmann,<br />

„das wurde irgendwann so laut, dass uns<br />

klar war: Wir müssen etwas tun.“<br />

n<br />

oliver.voss@wiwo.de, jens.tönnesmann@wiwo.de<br />

Alle Mann an Bord Der Piratengipfel lockt Gründer im September nach Köln<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 69<br />

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Management&Erfolg<br />

»Ich gebe meine Daten gerne her«<br />

INTERVIEW | Christian Muche und Frank Schneider Die Gründer und Organisatoren der Digitalmesse<br />

Dmexco erklären, wie Traditionskonzerne die Digitalisierung überleben und warum Kühlschränke<br />

die Werbeindustrie revolutionieren.<br />

Herr Muche, Herr Schneider, Google entwickelt<br />

ein Auto, Apple bringt im Oktober<br />

eine Uhr auf den Markt: Werden die Technologiekonzerne<br />

in ein paar Jahrzehnten<br />

die gesamte Wirtschaft dominieren?<br />

Muche: Ja, das ist durchaus vorstellbar. In<br />

der Telekommunikationsbranche haben<br />

sie einstige Schwergewichte wie Nokia und<br />

Blackberry ja schon ausgeschaltet.<br />

Woher kommt diese Schlagkraft?<br />

Muche: Die Amazons und Googles dieser<br />

Welt haben nicht nur eine riesige Nutzerzahl<br />

und Datenmaterial hinter sich, sondern<br />

auch die finanzielle Kraft, um etablierte<br />

Konzerne herauszufordern und ihre<br />

Ideen durchzusetzen. Ich glaube aber, dass<br />

wir in zehn Jahren noch ganz andere Spieler<br />

in dieser Größenordnung am Markt haben<br />

werden, von denen wir heute noch<br />

nichts wissen.<br />

Das heißt, die Weltkonzerne aus der analogen<br />

Welt werden langsam, aber sicher<br />

aussterben?<br />

Schneider: Nein, nicht zwangsläufig. Aber<br />

sie müssen sich der Digitalisierung stellen.<br />

Muche: Nestlé zum Beispiel hat im vergangenen<br />

Jahr eine Dependance im Silicon<br />

Valley eingerichtet. Das halte ich für absolut<br />

sinnvoll.<br />

DIGITALE PIONIERE<br />

Christian Muche, 48, und Frank Schneider,<br />

51, haben im Jahr 2009 die mittlerweile<br />

international etablierte Messe Dmexco für<br />

digitales Marketing ins Leben gerufen.<br />

Muche arbeitete zuvor als Manager für die<br />

Internet-Konzerne Yahoo und AOL. Schneider<br />

war von 2006 bis 2008 Mitglied in der<br />

Geschäftsleitung beim Düsseldorfer Messeveranstalter<br />

Igedo.<br />

Warum?<br />

Muche: In jüngster Zeit war es unter Managern<br />

und Unternehmern chic, für ein paar<br />

Wochen dorthin zu fliegen und Kontakte<br />

zu knüpfen. Heute verlaufen die Entwicklungszyklen<br />

so schnell, dass die Unternehmen<br />

ständig am Ball bleiben müssen,<br />

wenn sie vorausschauend auf technologische<br />

Neuerungen reagieren und sich als<br />

innovative Marke präsentieren wollen. Sie<br />

müssen Mitarbeiter vor Ort haben, die das<br />

Wissen der Technologieunternehmen permanent<br />

abgreifen und sich täglich mit ihnen<br />

austauschen. Dies gilt vor allem für<br />

Konzerne außerhalb der IT- und Technologiewelt,<br />

damit sie die alltäglichen digitalen<br />

Evolutionen ihrer Kunden besser verstehen.<br />

Auf welche neuen Trends müssen sich<br />

Verbraucher einstellen?<br />

Muche: Bislang waren das Zuhause und<br />

auch das Auto noch Schutzzonen, in die<br />

die Digitalisierung nur sehr begrenzt vorgedrungen<br />

war. Das ändert sich gerade.<br />

Wir werden bald überall zusätzliche Bildschirme<br />

haben – an der Wohnungswand,<br />

in der Windschutzscheibe oder am Kühlschrank.<br />

Schneider: Die dort generierten Daten vervollständigen<br />

das bisherige Profil des Konsumenten,<br />

das sich bislang vor allem aus<br />

Informationen <strong>vom</strong> Smartphone oder dem<br />

Desktop-PC speist. Die Marketingmaßnahmen<br />

können so passgenau auf die Situation<br />

und das jeweilige Endgerät eines<br />

Verbrauchers zugeschnitten werden.<br />

Wie denn?<br />

Muche: Auf einem Bildschirm am Kühlschrank<br />

könnten etwa gesponserte Rezeptvorschläge<br />

von Online-Diensten wie chefkoch.de<br />

eingeblendet werden, die sich<br />

exakt aus den Lebensmitteln zaubern lassen,<br />

die im Kühlschrank noch vorrätig<br />

sind.<br />

Also anders ausgedrückt: Zusätzliche<br />

Werbeflächen in den eigenen vier<br />

Wänden...<br />

Schneider: Schon, aber sehr effizient und<br />

<strong>vom</strong> Verbraucher durchaus gewollt. Er behält<br />

Anbieter wie chefkoch.de positiv in Er-<br />

FOTO: RAIMAR VON WIENSKOWSK<br />

70 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: PR<br />

Volle Hallen Die Veranstalter der Dmexco rechnen 2014 mit mehr als 30 000 Besuchern<br />

innerung, weil die Marke ihm Mehrwert<br />

bietet. Im Büro oder unterwegs hätte der<br />

Rezeptvorschlag keinen Sinn ergeben. Wer<br />

gerade im Auto unterwegs ist, bekommt<br />

statt des Rezeptvorschlags Hinweise auf<br />

aktuelle Angebote des nächsten Supermarkts.<br />

Und woher wissen die Unternehmen, ob<br />

ich in diesem Moment gerade unterwegs<br />

bin oder nicht?<br />

Muche: Ihr vernetztes Auto erhebt diese<br />

Daten. Der Hersteller kennt die Strecken,<br />

die Sie regelmäßig zurücklegen. Demnächst<br />

könnte er mithilfe von Sensoren sogar<br />

feststellen, wie viele Leute bei Ihnen<br />

mitfahren. Er weiß, an welcher Tankstelle<br />

Sie meistens Ihr Benzin zapfen.<br />

Schneider: Und diese Tankstelle könnte<br />

Ihnen dann einen Gutschein auf Ihr Handy<br />

schicken, wenn Sie gerade in der Nähe<br />

sind.<br />

Schön und gut, aber gerade in Deutschland<br />

ist die Skepsis über exzessives<br />

Datensammeln unter Verbrauchern doch<br />

sehr groß...<br />

Muche: Die Industrie ist nicht blauäugig.<br />

Auch wir wissen, dass nicht alle Hurra<br />

schreien, wenn es um Datenerfassung<br />

geht. Aber das Wissen über den Konsumenten<br />

bietet schließlich ein riesiges Potenzial,<br />

ihn perfekt anzusprechen.<br />

Schneider: Solange es mir nützt, gebe ich<br />

meine Daten gerne her – und da bin ich sicherlich<br />

nicht der Einzige. Heute Morgen<br />

zum Beispiel habe ich auf dem Weg zum<br />

Flughafen im Stau gestanden – und Google<br />

Maps hat mir sofort eine alternative Route<br />

ausgespuckt. Das konnte es nur, weil die<br />

Software meinen Standort erkannt hat und<br />

die aller anderen Nutzer. Ich war jedenfalls<br />

pünktlich am Flughafen.<br />

Muche: Diese Fülle an Informationen muss<br />

ausgewertet und so aufbereitet werden,<br />

dass die Unternehmen sie zu Marketingzwecken<br />

nutzen können. Da besteht ein<br />

riesiger Nachholbedarf. Derzeit tummeln<br />

sich immer mehr Teilnehmer am Markt, die<br />

genau diese Dienstleistung anbieten. Denn<br />

die wenigsten Unternehmen haben dazu<br />

selbst ausreichend Ressourcen.<br />

Das gilt sicherlich besonders für kleine<br />

und mittlere Betriebe, die schon an ihre<br />

Grenzen stoßen, wenn sie ihr Facebook-<br />

Profil aktuell halten sollen.<br />

Schneider: Ja, allerdings muss ein kleines<br />

Unternehmen nicht die ganze Klaviatur<br />

des digitalen Marketings bedienen. Mein<br />

Lieblingsitaliener schickt zum Beispiel einmal<br />

pro Woche seine Speisekarte per Facebook.<br />

Dann kann ich mich in Ruhe entscheiden,<br />

an welchem Tag ich dort zu Mittag<br />

esse. Das reicht.<br />

Bei Konzernen reicht das aber schon<br />

lange nicht mehr. Alleine bei der Fußballweltmeisterschaft<br />

in Brasilien wurden<br />

zusätzlich 1,5 Milliarden US-Dollar in den<br />

Werbemarkt gepumpt.<br />

Muche: Ohne die digitalen Kanäle wäre es<br />

wohl nur ein Drittel gewesen.<br />

DMEXCO<br />

Messe und<br />

Konferenz<br />

Am 10. und 11. September 2014 findet<br />

in Köln zum sechsten Mal die Dmexco<br />

statt. Die Veranstaltung zu digitalem Marketing<br />

ist Messe und Konferenz zugleich.<br />

Während mehr als 800 Aussteller aus<br />

aller Welt im Kölner Congress-Centrum<br />

Nord die neuesten Trends beispielsweise<br />

zum Suchmaschinenmarketing, dem<br />

mobilen Bezahlen oder aus dem Bereich<br />

E-Commerce präsentieren, sprechen<br />

Hochkaräter wie Philips-CEO Pieter Nota<br />

oder Buzzfeed Gründer Jonah Peretti<br />

auf der dazugehörigen Konferenz vor<br />

Interessierten. Die Themen der Redner<br />

reichen von: Welche Fähigkeiten braucht<br />

ein Chief Marketing Officer heute und<br />

morgen ? Bis zu: Wie funktioniert eigentlich<br />

gutes mobile Marketing? Der Eintritt<br />

sowohl zur Messe als auch zur<br />

Konferenz ist an beiden Veranstaltungstagen<br />

kostenlos.<br />

Schneider: Es geht aber nicht nur um<br />

hohe Budgets, sondern um pfiffige Ideen.<br />

Erinnern Sie sich an den Biss des Uruguayers<br />

Suarez gegen den italienischen<br />

Spieler?<br />

Ja.<br />

Schneider: Schon kurz nach dem Vorfall<br />

schickte Snickers ein Foto von einem<br />

angebissenen Riegel über Twitter. Darüber<br />

stand: Wenn du das nächste Mal hungrig<br />

bist, schnapp dir ein Snickers. Die Folge:<br />

48 000 Retweets. So funktioniert Marketing<br />

heute – schnell auf Ereignisse reagieren<br />

und den Dialog mit den Kunden suchen.<br />

Muche: Und vielleicht hat ja in ein paar<br />

Jahren jeder Zuschauer eine Datenbrille<br />

an seinem Stadionsitz, auf der er auch<br />

dort die Zeitlupe aus allen möglichen<br />

Perspektiven anschauen kann. Die Einstellungen<br />

könnten zum Beispiel von Coca-<br />

Cola gesponsert werden, und wenn ich<br />

auf einen Knopf drücke, serviert mir eine<br />

Bedienung oder vielleicht sogar ein Roboter<br />

kurz darauf ein Glas von der braunen<br />

Brause.<br />

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass<br />

diese Innovationen nicht nur aus dem<br />

Silicon Valley, sondern aus Asien, Europa<br />

oder sogar aus Deutschland kommen?<br />

Schneider: Das Silicon Valley ist nach wie<br />

vor das Herzstück der Digitalisierung. Aber<br />

natürlich gibt es auch in Deutschland, Israel<br />

oder Indien digitale Ballungszentren<br />

und hochkarätige Veranstaltungen. Wir<br />

haben es mit der Dmexco ja auch geschafft,<br />

eine international anerkannte Messe auf<br />

dem Gebiet des digitalen Marketings in<br />

Deutschland zu etablieren.<br />

n<br />

kristin.schmidt@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 71<br />

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Geld&Börse<br />

Der Kampf ums Ohr<br />

INTERNET-AKTIEN | Was haben Sony, Goldman Sachs, Fondsanbieter Fidelity, Coca-Cola<br />

und Multimilliardär Li Ka-Shing gemeinsam? Sie haben in einen Streaming-Dienst<br />

investiert, der Musik im Internet anbietet. Musik- und Buchverlage, TV- und Filmindustrie<br />

werden durch neue interaktive Formate <strong>vom</strong> Kopf auf die Füße gestellt. Es gibt Verlierer<br />

und Gewinner. Anleger sollten sich früh positionieren.<br />

Daniel Ek, Gründer des Internet-Musikdienstes<br />

Spotify,<br />

verschwendet keine Zeit auf<br />

lange Reden. Bei seinem ersten<br />

Auftritt auf dem Branchentreff der Plattenbosse<br />

wartet der 23-Jährige geduldig, bis<br />

das Gemurmel im Saal sich legt. Seine erste<br />

Folie enthält keinen Text, nur zwei Symbole:<br />

eine durchgestrichene Piraten-Totenkopfflagge,<br />

und ein Bündel Dollar-Noten. Die<br />

zumeist älteren Herren schütteln die Köpfe;<br />

viele schauen wieder auf ihre Blackberrys<br />

statt auf die Präsentation des kahlköpfigen<br />

Schweden. Der junge Mann dort oben auf<br />

dem Panel verspricht nicht weniger, als die<br />

Produktpiraterie zu besiegen und die<br />

Musikbranche wieder auf Wachstumskurs<br />

zu bringen. In den Ohren vieler klingt das<br />

wie blanker Hohn – ausgerechnet ein Internet-Start-up<br />

erdreistet sich dazu. Das Internet<br />

ist für sie der Feind. Früher und tiefer als<br />

andere Branchen pflügt es gerade die<br />

Musikbranche um.<br />

Das war 2006, und der Trend hat sich<br />

noch sechs Jahre fortgesetzt. Allein durch<br />

Netz-Piraterie ging der Musikbranche von<br />

1999 bis 2012 fast die Hälfte ihres globalen<br />

Jahresumsatzes flöten. Das Problem Internet<br />

ist aber zugleich die Lösung: Der von Ek<br />

gegründete Internet-Musikdienst Spotify<br />

hat heute 41 Millionen Kunden, zehn Millionen<br />

davon zahlen regelmäßig für Musik<br />

im Internet. Seine alte Vision <strong>vom</strong> Tod der<br />

Piraten und neuen Einnahmequellen wird<br />

wahr: 2013 stiegen die Umsätze der Musikindustrie<br />

wieder, nach 15 Jahren stetigen<br />

Rückgangs; die beiden ersten Quartale<br />

2014 geben Anlass zu noch mehr Optimismus,<br />

bis 2018 soll der Umsatz der Branche<br />

in Deutschland laut den Konsumforschern<br />

von GfK um gut zehn Prozent zulegen. Zwar<br />

fallen die CD-Verkäufe weltweit weiter<br />

rapide. Doch eine neue digitale Vermarktungsform<br />

wächst rasant, je nach Land mit<br />

Raten von bis zu 90 Prozent pro Jahr:<br />

Musik-Streaming. Dabei greifen die Kunden<br />

gegen eine monatliche Pauschale (Flatrate-Abo)<br />

von rund zehn Euro über das<br />

Netz auf den gesamten Katalog fast aller<br />

Musikverlage zu. Bis zu 32 Millionen Titel<br />

aus allen Genres stehen ihnen für relativ<br />

kleines Geld zur Verfügung – wann sie wollen,<br />

wo sie wollen, so oft sie wollen, <strong>vom</strong><br />

Handy aus, <strong>vom</strong> PC, über die Stereoanlage.<br />

„Eine radikal kundenfreundliche Lösung,<br />

die anfangs in der Branche umstritten war,“<br />

sei das, sagt Philip Ginthör, Chef von Sony<br />

Music Mitteleuropa.<br />

Doch wahrscheinlich ist Streaming die<br />

letzte Chance, die über Jahre eingeschliffene<br />

Gratiskultur im Netz zu besiegen. Mit<br />

wegweisender Wirkung für andere Medienbranchen.<br />

„Die Musikindustrie hat<br />

nach 15 Jahren des Niedergangs endlich<br />

Die Tonleiter hoch<br />

Umsatz mit Musikstreaming* und Anzahl<br />

der Premium-Abo-Kunden weltweit<br />

Umsatz<br />

(in Millionen Dollar)<br />

Premium-Abo-Kunden<br />

(in Millionen)<br />

322<br />

8<br />

2010<br />

450<br />

13<br />

734<br />

20<br />

1111<br />

2011 2012 2013<br />

* Internet-Musik-Abonnements, nur Kundenzahlungen,<br />

ohne Werbeeinnahmen; Quelle: IFPI<br />

28<br />

Geschäftsmodelle gefunden, die ihr das<br />

Überleben in der rein digitalen Zukunft ermöglichen“,<br />

sagt Adam Bird, Director bei<br />

McKinsey und weltweit zuständig für Medien<br />

und Entertainment. Immer mehr<br />

Menschen bezahlen wieder für Musik,<br />

weltweit sind es schon über 30 Millionen,<br />

Tendenz steigend (siehe Grafik) – obwohl<br />

es weiter illegale, kostenlose Angebote gibt.<br />

DAS SCHLIMMSTE KOMMT NOCH<br />

TV-Sendern, Filmstudios und vor allem<br />

Verlagen, meint Bird, stehe der härteste<br />

Teil des Umbruchs noch bevor. Meilenweit<br />

seien die großen Player noch von einer gemeinsamen<br />

Netz-Strategie entfernt, von einem<br />

Schulterschluss über Branchengrenzen<br />

hinweg ganz zu schweigen. Doch die<br />

zweite Internet-Revolution betreffe „alle,<br />

die mit geistigem Eigentum handeln“, sagt<br />

Dieter Gorny, Chef des Bundesverbands<br />

Musikindustrie und Gründer des TV-Senders<br />

Viva, „auch TV-Sender und Verlage<br />

werden in 15 Jahren nicht wiederzuerkennen<br />

sein.“ Immer mehr Konsumenten<br />

wandern ab <strong>vom</strong> traditionellen TV zu den<br />

neuen Angeboten wie Netflix oder Hulu,<br />

lesen auf dem iPad statt auf Papier, hören<br />

Napster, Simfy oder Spotify statt Radio.<br />

Die großen Werbebudgets werden den<br />

Nutzern folgen und so die Umsätze der<br />

Etablierten weiter gefährden. Seit Neuestem<br />

drängen nun auch die Internet-Giganten<br />

Apple, Google und Amazon in das Geschäft.<br />

Sie haben das Potenzial von Streaming<br />

erkannt – und tiefe Taschen. Für Anleger<br />

bietet das Thema enorme Chancen.<br />

Sie tun gut daran, nicht zu spät auf den<br />

Trend zu springen. Im ersten digitalen Umbruch<br />

von 1988 bis 2000 wurden die Ge-<br />

»<br />

FOTO: GETTY IMAGES/THE IMAGE BANK<br />

72 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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204Prozent<br />

mehr digitale Musik<br />

wurde seit 2009 in<br />

Lateinamerika verkauft<br />

40 Millionen<br />

Deutsche nutzen bereits<br />

Video-Streaming, die<br />

meisten aber noch gratis<br />

508Prozent<br />

Wachstum bei Musik-Abos<br />

verbuchte die Branche<br />

seit 2009 in den USA<br />

Digitales Hör-Gerät Rundum-sorglos-Abos (Streaming)<br />

retten die Musikbranche in die Internet-Zukunft; bei TV-Serien<br />

und Filmen scheint das Modell ebenfalls zu funktionieren<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 73<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

winne zu Anfang gemacht, nicht erst<br />

kurz vor der Jahrtausendwende, als die Investmentbranche<br />

den Trend in Fonds und<br />

Zertifikate gegossen und ihre Promotion-<br />

Maschinen angeworfen hatte.<br />

DER GROSSE TESTFALL<br />

Gibt es ein Überleben in der Internet-Welt<br />

für ein Geschäft, das auf dem Verkauf geistigen<br />

Eigentums beruht? An dieser Frage<br />

scheiden sich im Moment die Geister. US-<br />

Starökonom Jeremy Rifkin sieht eine „neue<br />

Kultur des Teilens“ im Netz, die tradierte<br />

Geschäftsmodelle der Musik-, Film-, Buchund<br />

Zeitungsindustrie „ausradieren“ werde.<br />

Dagegen glaubt Bird von McKinsey:<br />

„Mehr Menschen als je zuvor konsumieren<br />

dank Internet Musik, Film und Texte; das<br />

sind goldene Zeiten für Inhalteanbieter –<br />

wenn sie die richtigen Formate finden.“<br />

Die Musikindustrie jedenfalls gilt als<br />

„der große Testfall, auf den die Manager<br />

der anderen Branchen mit einer Mischung<br />

aus Angst und Faszination schauen“, sagt<br />

Christoph Zeh, Analyst für Medien beim<br />

Marktforschungsinstitut GfK in Nürnberg.<br />

Sie wurde gut zehn Jahre früher als andere<br />

Medien von der Gratiskultur im Netz erfasst:<br />

„Musikdateien sind – verglichen etwa<br />

mit Film – relativ klein; man konnte sie<br />

schon Ende der Neunziger leicht illegal aus<br />

dem Netz ziehen, als Bandweite und<br />

Geschwindigkeit noch echte Hindernisse<br />

waren“, sagt James McQuivey, Analyst<br />

beim IT-Trendforscher Forrester und Autor<br />

des US-Bestsellers „Digital Disruption“.<br />

Die Folge: Weltweit fielen die Umsätze<br />

mit aufgezeichneter Musik (ohne Konzertgeschäft)<br />

von 26 Milliarden 1999 auf 15<br />

Milliarden Dollar 2013; die Zahl der weltweit<br />

agierenden, alle Genres abdeckenden<br />

Musikverlage (Major Labels) halbierte sich<br />

von sechs auf drei. Nun ruhen die Hoffnungen<br />

auf den digitalen Streaming-Abos, deren<br />

Umsatz und Nutzerzahlen gerade rapide<br />

wachsen. 2013 stieg der Streaming-Umsatz<br />

weltweit um 51 Prozent, auf zuletzt<br />

1,11 Milliarden Dollar, sagt Christina Boettner,<br />

leitende Marktforscherin des globalen<br />

Dachverbandes der Phonoindustrie IFPI.<br />

Die Zahl der zahlenden Kunden wuchs um<br />

40 Prozent auf 28 Millionen.<br />

Nutznießer sind nicht zuletzt die Labels<br />

selbst, denn die Streaming-Dienste geben<br />

55 bis 70 Prozent ihres Umsatzes an die<br />

Plattenfirmen weiter. Allein Marktführer<br />

Spotify hat seit 2008 mehr als eine Milliarde<br />

Dollar Lizenzgebühren ausgeschüttet. Bei<br />

Sony stieg der Streaming-Umsatz 2013 um<br />

130 Prozent. Warner Music meldete vergangene<br />

Woche 26 Prozent plus beim Digital-<br />

Umsatz auf 324 Millionen Dollar im letzten<br />

Quartal. 41 Prozent des Umsatzes sind bei<br />

Warner inzwischen rein digital (auch eine<br />

CD ist streng genommen digital, gemeint<br />

sind nicht-physische Formen wie Streaming<br />

und MP3-Downloads). „In einigen<br />

Ländern mit hoher Smartphone-Durchdringung,<br />

wie etwa in Schweden, macht<br />

Streaming schon 60 bis 70 Prozent der Umsätze<br />

aus“, sagt Marktforscherin Boettner.<br />

ZWEIFRONTENKRIEG<br />

Will die Medienindustrie im Kampf gegen<br />

die Gratiskultur im Netz obsiegen, muss<br />

sie zwei entscheidende Nutzergruppen<br />

für ihre Bezahlangebote gewinnen, sagt<br />

McQuivey von Forrester: „ Die junge Konsumentenschicht,<br />

die mit kostenlosen Inhalten<br />

im Netz aufgewachsen ist, und die<br />

Bevölkerung der Schwellenländer, die mit<br />

der westlichen Idee des Urheberrechts<br />

nicht viel anfangen kann.“<br />

»Zu den Leuten, die die Branche<br />

noch überzeugen muss, gehört<br />

Tim Borchers*, 17, aus Köln. Er surft im<br />

Netz, seit er acht ist, und zieht alles<br />

heraus, was er haben will: Songs, ganze<br />

Alben, Filme. Seine Sammlung umfasst<br />

mehrere Terabyte. Bezahlt davon hat<br />

er nichts, er kenne es nicht anders,<br />

sagt Tim. Ob das legal ist, sei für ihn<br />

kein Kriterium. „Ich hätte sowieso<br />

kein Geld, das zu kaufen, also entgeht<br />

denen auch kein Umsatz“, gibt er sich<br />

* Name von der Redaktion geändert<br />

So groß will er werden Spotify-Chef<br />

Daniel Ek expandiert weltweit<br />

geschäftsmännisch. Tim „shared“<br />

auch, was er aus dem Netz zieht: „Wenn<br />

ich was cool finde, sollen das auch meine<br />

Freunde sehen oder hören“, sagt er,<br />

„ich gebe denen ’nen Stick mit MP3s<br />

oder schicke den Link zum Download<br />

per Mail.“ Und er kennt schon einen<br />

Kniff, der Streaming unterminiert: Sein<br />

Vater habe ein Premium-Abo, sagt er.<br />

Die so zugänglichen Lieder schneidet<br />

Tim mittels einer Software mit, die ganz<br />

legal erhältlich ist: Die kopiert alles,<br />

was über die Soundkarte seines PCs<br />

läuft: Spotify, YouTube, Internet-Radio.<br />

Will Page ist von Haus aus Ökonom; er arbeitete<br />

für Banken, verfasste vor 20 Jahren<br />

Studien über die Integration der DDR in<br />

den Kapitalismus. Jetzt ist er Chefökonom<br />

und Leiter Research bei Spotify und beschäftigt<br />

sich mit Leuten wie Borchers, „allerdings<br />

nicht, wie in unserer Branche 20<br />

Jahre lang üblich, mit Kopierschutztechnik<br />

und Anwälten“, sagt der Schotte. Page erforscht,<br />

ob und wie sich an eine jahrelange<br />

Gratiskultur gewöhnte Konsumenten mit<br />

„positiven Anreizen“ für legale (und natürlich<br />

kostenpflichtige) Angebote zurückgewinnen<br />

lassen; seine Forschungen lassen<br />

aufhorchen, nicht nur in der Musikbranche.<br />

In den USA spricht er jetzt oft vor TVund<br />

Filmmanagern, etwa bei Time Warner,<br />

beim Kabelriesen Viacom oder bei Disney.<br />

Page macht seine Fallstudien dort, wo es<br />

besonders weh tut: in Holland, Russland<br />

oder Italien – Länder, in denen wegen eines<br />

laxen Urheberrechts das Musikgeschäft bis<br />

vor Kurzem so gut wie tot war. Ein neuer<br />

FOTOS: BLOOMBERG NEWS/LOUIS LANZANO, SZ PHOTO/SNAPSHOT-PHOTOGRAPHY<br />

74 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Goldkehle Rihanna<br />

Populärster weiblicher<br />

Star im Internet<br />

Nummer-eins-Hit etwa wurde in den Niederlanden<br />

pro legalen Download über 100<br />

Mal illegal aus dem Netz gezogen; in Umfragen<br />

gaben 2005 rund 90 Prozent der<br />

Holländer mit Internet-Anschluss an, gratis<br />

Musik aus dem Netz zu ziehen. Doch<br />

das ändert sich gerade:<br />

„Bereits der Start von Apples iTunes 2004<br />

hat die Raubkopier-Rate erheblich gesenkt“,<br />

meint Page, „und seit fast jeder Holländer<br />

ein Smartphone und eine Handyflatrate<br />

hat, ist die Piraterie dort so gut wie<br />

erledigt. Heute macht nur noch ein harter<br />

Kern von rund zehn Prozent der Internet-<br />

Nutzer Raubkopien, und das aus Prinzip.“<br />

Auffällig sei, „dass Streaming im Moment<br />

vor allem junge Musikfans unter 25<br />

Jahren gewinnt“, beobachtet auch Holger<br />

Christoph, Vice President Digital Sales bei<br />

Universal Music in Berlin, „etwa die Hälfte<br />

der Streamingnutzer war zuvor Nichtkäufer,<br />

die bislang gar kein Geld für Musik ausgegeben<br />

haben.“<br />

Sind die Teenager weltweit auf einmal zu<br />

braven Verfechtern des geistigen Eigentums<br />

mutiert? „Wohl kaum“, sagt Philip<br />

Ginthör, Chef von Sony Music im deutschsprachigen<br />

Raum. Der gelernte Anwalt<br />

sagt: „Mit Abmahnungen und dem Schließen<br />

von Piraterie-Web-Seiten würden wir<br />

die jungen Leute nie zurückgewinnen.“<br />

Ginthör setzt stattdessen auf „Convenience“:<br />

Der Kunde soll es so bequem wie<br />

nur möglich haben; mit Musik auf allen Kanälen,<br />

auf dem Handy, <strong>vom</strong> PC, aus der Hi-<br />

Fi-Anlage. Dann werde er schon zahlen.<br />

McQuivey sieht hier die einzige Lösung:<br />

„Sobald das professionelle Angebot für die<br />

Leute bequemer, schneller und einfacher<br />

ist als das illegale oder kostenlose, bezahlt<br />

ein hoher Anteil der Nutzer auch wieder<br />

dafür“, sagt er. Laut Umfragen sind in den<br />

meisten Ländern 45 bis 65 Prozent der Bevölkerung<br />

prinzipiell bereit, für Musik Geld<br />

auszugeben – solange sie die bequem und<br />

ohne lästige Einschränkungen der Auswahl<br />

bekommen.<br />

ZUM ERSTEN MAL LEGAL GEHÖRT<br />

Die Inhalte-Schaffenden selbst sind noch<br />

gespalten; viele Künstler üben harsche Kritik<br />

an den niedrigen Tantiemen, die das<br />

Streamen im Vergleich zu CD und Dateidownload<br />

abwirft – noch. Einige, wie die<br />

Alt-Rocker AC/DC, untersagen ihren Rechteverwertern<br />

gar das Einspeisen ihrer Werke<br />

in die Internet-Dienste. Andere, wie der<br />

Belgier Jonathan Vandenbroeck, besser bekannt<br />

als Milow, sehen die Chancen:<br />

„Streaming ermöglicht vielen Menschen<br />

überhaupt zum ersten Mal, Musik legal zu<br />

konsumieren“, sagt Milow. Viele Menschen<br />

in Schwellenländern hätten keine teuren<br />

CD-Player, aber Smartphone und Internet-<br />

Flat. Die aktuelle Debatte findet er kurzsichtig:<br />

„Ich denke, dass Streaming künftig<br />

mehr Leute erreicht, die noch nie oder seit<br />

langer Zeit nicht mehr für Musik bezahlt<br />

haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir sogar<br />

höhere und vor allem regelmäßigere<br />

Lizenzeinnahmen erhalten werden.“<br />

Das wäre wichtig; denn ohne Geld würde<br />

früher oder später auch der Nachschub<br />

an interessanten Inhalten austrocknen.<br />

Aus Sicht der Konsumenten ist die Sache<br />

klar: „Die Musikindustrie war noch nie so<br />

kundenfreundlich“, sagt Bird von McKinsey.<br />

Früher jubelte sie ihren Kunden alte<br />

Songs aus dem Archiv oder mies digital<br />

neu abgemischte Klassiker für teures Geld<br />

unter. Bird: „Heute kann jeder hören, was<br />

er will, so oft er will.“ Folge: Nicht nur Fans<br />

mit riesigen Plattensammlungen, die ohnehin<br />

viel Geld für ihre Leidenschaft ausgeben,<br />

sondern auch Menschen wie Albert<br />

Erdmann, 55, lassen sich ködern.<br />

»Günstiger,<br />

bequemer Service<br />

kann die Gratis-<br />

Kultur besiegen«<br />

Spotify-Gründer Ek<br />

»Mir war es immer zu anstrengend,<br />

neue Musik zu suchen, ich<br />

hörte halt, was im Radio lief“, sagt<br />

der Ingenieur. „Die Folge war, dass ich<br />

vor 20 Jahren ganz aufhörte, mir Musik<br />

zu kaufen, ich dachte: Heute wird<br />

eh nur noch Schrott gemacht, aber das<br />

ist falsch.“ Lässig sitzt Erdmann in der<br />

Hollywoodschaukel seines Obersendlinger<br />

Gartens und führt auf dem iPad<br />

vor: Ein Algorithmus empfiehlt ihm<br />

laufend neue Künstler; er funktioniert<br />

ähnlich wie der für Bücher bei Amazon:<br />

Du hast X und Y gehört, probier’<br />

mal Z. „Anfangs habe ich den ausgelacht“,<br />

sagt Erdmann, „ich programmiere<br />

selbst und weiß, wie das Zeug arbeitet;<br />

aber er wird immer besser und<br />

genauer, je mehr man ihn nutzt.“ Gefällt<br />

ihm ein Lied, speichert Erdmann<br />

es ab; er „besitzt“ es dann zwar nicht<br />

physisch, es liegt noch immer auf den<br />

Servern des Anbieters, irgendwo in<br />

der Datenwolke, der Cloud. Doch Erdmann<br />

kann es für zehn Euro im Monat<br />

nun so oft hören, wie er will, und alle<br />

24 Millionen restlichen Lieder im<br />

Bestand ebenso. „Auch offline“, sagt er,<br />

„unterwegs auf dem Handy oder so,<br />

dann verbrauche ich dabei nicht die<br />

teuren Datenkontingente meines<br />

Handyvertrags.“<br />

„Wir wollen potenziell jeden Menschen auf<br />

der Welt erreichen, der ein Smartphone<br />

besitzt“, sagt Page von Spotify, „genauer: 80<br />

Prozent davon, denn so hoch ist in fast jedem<br />

Kulturkreis der Anteil der Menschen,<br />

die regelmäßig Musik konsumieren.“ Nur<br />

zahlte bislang nur eine Minderheit dafür.<br />

„Der Musikkonsum selbst ging nie zurück“,<br />

sagt Zeh von der GfK, „aber die Monetarisierung<br />

durch Künstler und Rechteverwerter<br />

litt unter Pirate Bay oder Napster.“<br />

McQuivey von Forrester ist noch skeptisch,<br />

was das Potenzial der Kreativwirtschaft<br />

in den Schwellenländern betrifft: „In<br />

fast allen westlichen Ländern und in Japan<br />

geben die Menschen im Schnitt 65 Dollar<br />

pro Jahr für Musik aus; das Geld brauchen<br />

die meisten Bewohner Chinas, Indiens<br />

oder Brasiliens für wichtigere Dinge; außerdem<br />

wird in Teilen Asiens der Begriff<br />

,Copyright‘ als ,Recht zu kopieren‘ verstanden.“<br />

Doch es gibt andere Wege, Länder wie<br />

China zu erobern: „Als hilfreich haben sich<br />

Partnerschaften mit Telekomanbietern erwiesen“,<br />

sagt Verbandsmanagerin Boettner,<br />

„die Kunden bekommen Musik günstig<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 75<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

als Teil ihres Datenpakets, Künstler und<br />

Labels bekommen Lizenzeinnahmen, der<br />

Telekomanbieter kann sich mit Inhalten<br />

von Konkurrenten abgrenzen.“<br />

In Ländern wie Mexiko, Brasilien oder<br />

Thailand hat die Musikindustrie bereits<br />

zahlreiche Deals mit Handynetzbetreibern<br />

geschlossen. Labels wie Universal (4,9 Milliarden<br />

Euro Jahresumsatz, gehört zum Vivendi-Konzern)<br />

haben mit chinesischen<br />

Künstlern erste Verträge unterzeichnet;<br />

Verwertungsverträge mit lokalen Internetund<br />

Handynetzbetreibern wie China Mobile<br />

oder Baidu sind gemacht.<br />

„Auch chinesische Politiker erkennen,<br />

dass mit medialen Inhalten Umsätze und<br />

damit Steuereinnahmen winken, ihre Einstellung<br />

zum Urheberrecht verändert sich<br />

gerade“, sagt Gorny.<br />

SCHNELL CLAIMS ABSTECKEN<br />

Auch Risikokapitalisten und Finanzinvestoren<br />

gehen offensichtlich davon aus, dass<br />

hier Geld zu holen ist: Etliche haben sich<br />

an Streaming-Diensten beteiligt. Zwar ist<br />

noch kaum einer der Musik-Streamer profitabel,<br />

aber „es geht den meisten Investoren<br />

zunächst nicht um das Erreichen der<br />

Gewinnschwelle“, sagt André Burchart <strong>vom</strong><br />

Risikokapitalgeber Capnamic in Köln. Im<br />

Moment herrsche „Landgrabbing“: Jeder<br />

Anbieter versucht, so viele Kunden wie<br />

möglich zu gewinnen. „Das macht auch<br />

Funke springt über Am Tag nach<br />

seinem Live-Auftritt wurde Ed Sheeran<br />

millionenfach gestreamt<br />

Sinn“, sagt Burchart, „denn das Internet<br />

lässt erfahrungsgemäß pro Geschäftsidee<br />

nur einen richtig groß werden.“<br />

Die Sieger des ersten Digitalbooms haben<br />

es vorgemacht. Ob bei Suchmaschinen<br />

(Google), E-Commerce (Amazon),<br />

Online-Auktionen (Ebay) oder sozialen<br />

Netzen (Facebook): Die einst hoffnungsvollen<br />

Zweiten wie Ricardo.de, StudiVZ,<br />

Alltheweb, MySpace blieben auf der Strecke.<br />

„Zwar wird im Musik- und TV-Streaming<br />

mehr als einer übrig bleiben; aber<br />

derjenige, der als Erster sein Geschäft global<br />

etabliert, hat einen entscheidenden<br />

Vorteil“, meint Peter Dreide, Gründer des<br />

auf IT spezialisierten Fondsanbieters TBF.<br />

Derzeit ist Spotify in der Poleposition.<br />

Die Schweden haben mit ihren zehn Millionen<br />

zahlenden Kunden etwa doppelt so<br />

viele wie die Nummer zwei, Deezer. Die<br />

kostenfreie Version, mit der man keine<br />

Musik offline auf dem Handy hören kann<br />

und Werbung über sich ergehen lassen<br />

muss, nutzen weitere 31 Millionen registrierte<br />

Kunden. Spotify, das bisher keine<br />

Umsatz- und Gewinnzahlen veröffentlicht,<br />

hat laut einem beteiligten Finanzinvestor<br />

2013 seinen Umsatz aus Abos und Werbung<br />

grob auf eine Milliarde Euro verdoppelt,<br />

aber noch Verluste „in erheblichem<br />

Umfang“ geschrieben. 2012 fielen bei 435<br />

Millionen Euro Umsatz 59 Millionen Euro<br />

Verlust an. „Der Fokus liegt auf globaler Expansion,<br />

noch nicht auf Profitabilität“, sagt<br />

der Insider. Spotify will seinen Service in<br />

diesem Jahr in 18 weiteren Ländern starten,<br />

darunter in Japan, nach den USA<br />

zweitgrößter Musikmarkt; derzeit sind es<br />

56. Die drei Majorlabels Warner, Sony und<br />

Universal haben sich an Spotify beteiligt,<br />

auch Goldman Sachs, Fidelity und Coca-<br />

Cola sowie Multimilliardär Li Ka-Shing.<br />

Es gibt überraschende Profiteure<br />

des Booms. Zu ihnen gehört<br />

Peter Grundig. Seine Firma Greatech<br />

betreibt der 58-Jährige in einem unscheinbaren<br />

Wohnhaus in Mülheim/<br />

Ruhr; dort baut er mit einer Handvoll<br />

Mitarbeitern Funksysteme zusammen.<br />

„Alles made in Germany“, sagt Grundig,<br />

der mit der fränkischen Elektronik-Dynastie<br />

weitläufig verwandt ist,<br />

„sogar die Gehäuse.“ Die kleinen<br />

schwarzen Kästchen – so groß wie eine<br />

Zigarettenschachtel – kommen an die<br />

Stereoanlage oder an aktive Lautsprecherboxen,<br />

ein kleiner Sender in den<br />

USB-Anschluss von Laptop, PC oder<br />

iPad – fertig ist die drahtlose Verbindung<br />

von der neuen Welt des Web-<br />

Streamings auf die alte der Hi-Fi-Anlage.<br />

Grundig rüstet Profis wie DJs aus.<br />

Auf Privatkunden, die mit den Audiofly<br />

genannten Kästchen ihr Spotifyoder<br />

Deezer-Abo in guter Qualität auf<br />

die Stereoanlage übertragen wollen,<br />

war er gar nicht eingestellt, derzeit<br />

kann er die Nachfrage kaum befriedigen.<br />

„Normalerweise verkaufe ich<br />

knapp 1000 Stück im Jahr; jetzt kommen<br />

fast jeden Tag Anfragen für ein<br />

paar Dutzend rein.“ Sein Sohn sei<br />

gerade in Saudi-Arabien, sagt er, „für<br />

die Saudis machen wir die Gehäuse<br />

vielleicht golden statt schwarz, aber<br />

der Klang überzeugt auch die“.<br />

ÜBERNAHMEKANDIDATEN<br />

Fast jede Woche wird irgendwo auf der<br />

Welt ein neuer Musik- oder Film-Streamer<br />

gegründet. „Klar ist, dass nicht alle überleben<br />

werden“, sagt Burchart von Capnamic,<br />

der für seine Kunden – Vermögensverwaltungen<br />

reicher Familien, Verlage und Stiftungen<br />

– auch in Streaming-Dienste investiert,<br />

darunter in den Spotify-Konkurrenten<br />

Simfy und Video-Streamer Moving<br />

Image 24. Burchart erwartet „Übernahmen<br />

und Börsengänge“ in dem noch jungen<br />

Geschäft. US-Musik-Marktführer Pandora<br />

ging im Januar 2011 an die Börse, ist dort<br />

knapp vier Milliarden Dollar wert. In den<br />

FOTOS: PICTURE PRESS/CAMERA PRESS/LISA FERGUSON/TSPL, DPA PICTURE-ALLIANCE/TIM BRAKEMEIER<br />

76 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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vergangenen Tagen gab es Übernahmegerüchte:<br />

Ein großes Internet-Unternehmen<br />

wie Yahoo oder Google interessiere<br />

sich für den Streamer, heißt es.<br />

Auch die Berliner Soundcloud sowie<br />

Deezer aus Paris gelten als heiße Kandidaten<br />

für einen Aufkauf oder einen Börsengang.<br />

Spotify wird von Investmentbankern<br />

auf bis zu elf Milliarden Dollar Börsenwert<br />

geschätzt. Google soll Ende 2013 versucht<br />

haben, die Schweden zu kaufen, scheiterte<br />

aber. Twitter soll einen Kauf von Soundcloud<br />

erwogen haben.<br />

Spotify hat seit 2005 in sieben Finanzierungsrunden<br />

insgesamt 538 Millionen<br />

Dollar Investorengelder eingesammelt.<br />

„Das schreit alles nach Börsengang“, sagt<br />

Viva-Gründer Gorny. Oder nach einem<br />

großen Verkauf: Womöglich kauft Facebook<br />

die Schweden. Schon jetzt arbeiten<br />

die beiden Unternehmen intensiv zusammen:<br />

Kunden können sich über Facebook<br />

bei Spotify einloggen und dann die Playlisten<br />

und Aktivitäten anderer Spotify-Nutzer<br />

mit Facebook-Account nachverfolgen. „Für<br />

Facebook wäre Musik-Streaming ein interessanter<br />

Inhalt“, sagt ein Investor.<br />

WER VERDIENT DAS GROSSE GELD?<br />

Noch sind reinrassige Musik-Streaming-<br />

Dienste an der Börse selten: Anleger haben<br />

die Wahl zwischen Pandora und Sirius XM.<br />

Oder sie können via RealNetworks in<br />

Rhapsody investieren, das in Europa und<br />

Asien Napster heißt, nicht zu verwechseln<br />

mit der ersten Napster, deren Piraterie-Seite<br />

die Gerichte 2001 schlossen. Real Networks<br />

gehören nach der Ausgliederung<br />

von Napster noch knapp 50 Prozent der<br />

Rhapsody-Anteile.<br />

Im Bild-Streaming ist Netflix aus den USA<br />

Marktführer, bietet Filme, TV-Shows und<br />

zahlreiche populäre Serien wie „House of<br />

Cards“ oder „Breaking Bad“. Laut Umfrage<br />

des Marktforschers Harris ist der TV- und<br />

Film-Streamer bei den 18- bis 36-Jährigen<br />

in den USA schon genauso weit verbreitet<br />

wie Kabelfernsehen, hat das Satelliten-TV<br />

überholt. In wenigen Wochen geht der<br />

Streaming-Dienst in Deutschland an den<br />

Start. Die größten Konkurrenten sind Hulu,<br />

ein Joint Venture von Kabelanbieter Comcast,<br />

21st Century Fox und Disney, sowie<br />

Amazons „Prime TV“. Netflix meldet eindrucksvolle<br />

Wachstumszahlen, wird an der<br />

Börse aber sportlich bewertet: Für 4,4 Milliarden<br />

Dollar Umsatz (2013) bezahlen Anleger<br />

knapp 27 Milliarden Dollar ; das Kurs-<br />

Gewinn-Verhältnis liegt bei 115, gemessen<br />

an den Schätzungen für das laufende Jahr.<br />

Viele Kanäle<br />

Verbandschef,<br />

Ex-TV-Boss und<br />

FH-Prof Gorny<br />

»Auch TV-Sender<br />

werden in 15 Jahren<br />

nicht wiederzuerkennen<br />

sein«<br />

Viva-Gründer Gorny<br />

Wahrscheinlich ist es langfristig gar nicht<br />

mal die beste Idee, auf die Pure-Plays zu<br />

setzen. „Das Geschäftsmodell der reinrassigen<br />

Streamer funktioniert zwar, sobald<br />

sich mehr Leute dafür gewinnen lassen,<br />

und da sieht es sehr gut aus“, sagt Investor<br />

Dreide, „aber die Frage ist, wer am Ende<br />

das große Geld verdienen wird.“ Auffällig<br />

drängen in den letzten Wochen die Web-<br />

Giganten Apple, Google und Amazon in<br />

das Streaming-Geschäft. Apple kaufte für<br />

drei Milliarden Dollar den kleinen Anbieter<br />

Beats, besser bekannt durch seine<br />

Kopfhörer. Google übernahm den Musik-<br />

Streamer Songza und hat mit YouTube 90<br />

Prozent Marktanteil bei Internet-Videos,<br />

die auf dem PC, Tablet oder Handy geschaut<br />

werden. Amazon bietet seit Kurzem<br />

Musik-Streaming für seine „Prime“-Kunden;<br />

Yahoo macht sich einen Namen beim<br />

Streamen exklusiver Live-Konzerte.<br />

„Apple will die Kunden für seine Hardware,<br />

wie iPad und iPhone, über Inhalte an<br />

sich binden“, sagt Analyst McQuivey. Dazu<br />

gehören Musik, TV, Film. Wer etwa sein<br />

iPhone durch ein Konkurrenzmodell ersetzt,<br />

kann weder seine Musiksammlung,<br />

noch seine Filme und Apps weiter nutzen.<br />

Zusätzlich wollen die Web-Giganten<br />

über Musik- und TV-Kunden an die großen<br />

Werbebudgets: 2014 werden global laut<br />

Marktforscher Wilkofsky Gruen rund 509<br />

Milliarden US-Dollar für Werbung ausgegeben,<br />

der größte Teil davon für TV-Clips<br />

(204 Milliarden Dollar); doch rein digitale<br />

Werbeformate haben Radio und Print<br />

schon überholt, „sie werden in den kommenden<br />

Jahren am schnellsten wachsen“,<br />

sagt McKinsey-Director Bird.<br />

„Schon in zehn Jahren wird der Großteil<br />

der Werbebudgets an Internet-Plattformen<br />

wie YouTube, Google oder Facebook gehen“,<br />

sagt Franz Blach, Direktor beim<br />

Trendforscher Ideo. „Der Vorteil aus Sicht<br />

der Werbetreibenden ist, dass Apple,<br />

Mit dem Stream schwimmen<br />

Mit welchen Aktien Anleger in den digitalen Medienboom investieren können<br />

Aktie/Branche/Land<br />

ISIN<br />

Amazon/Versandhandel, Medien/USA US0231351067 244,41 112,9 60,3 7/6<br />

Nutzt seine Macht gegenüber Verlagen, Labels und TV-Produzenten zunehmend aus, noch schwach beim Gewinn<br />

Google/Internet, Medien/USA<br />

US38259P5089 438,44 291,9 46,5 7/6<br />

Verdient bereits blendend an Internet-Werbung; digitale Musik und Filme werden noch mehr Werbegeld bringen<br />

Netflix/Film- und TV-Streaming/USA US64110L1061 336,87 20,3 3,6 8/8<br />

Aktie sehr teuer, langfristig Konkurrenz durch Apple, Google und Amazon; hat aber bisher Kritiker stets widerlegt<br />

Pandora/Musik-Streaming, Web-Radio/USA DK0060252690 56,62 4,3 0,5 8/7<br />

Probleme mit dem Gewinnwachstum, weil ein Gutteil des Umsatzes an Labels geht; dafür Übernahmefantasie<br />

Real Networks/Software, Musik-Streaming/USA US75605L7082 5,73 0,2 0,2 8/7<br />

Über Rhapsody am wachsenden Streaming-Dienst Napster 2.0 beteiligt; führend bei Video-Streaming-Software<br />

Sony/Hardware, Musik/Japan<br />

JP3435000009 13,28 13,8 57,4 7/6<br />

Hedgefonds fordern Abtrennung des Musikgeschäfts von der Elektronik, also Kursfantasie durch Zerschlagung<br />

Vivendi-Universal/Musik, TV, Telekommunik./FR FR0000127771 19,18 25,9 19,4 7/6<br />

Hat früh in neue digitale Formate investiert; profitabler Marktführer, aktiv auch in wachsenden Schwellenländern<br />

1 = in Euro, 14.8.2014; 2 in Milliarden Euro; 3 WirtschaftsWoche-Einschätzung für die kommenden Jahre,<br />

1 = sehr gering, 10 = sehr hoch; Quelle: Bloomberg, Unternehmensangaben, eigene Recherchen<br />

Kurs 1<br />

Börsenwert<br />

2<br />

Umsatz 2<br />

2014<br />

Chance/<br />

Risiko 3<br />

Apple/Hardware, Software, Medien/USA US0378331005 72,70 435,3 131,3 7/5<br />

Über iTunes schon jetzt wichtiger Distributor von Medien; neue Modelle (iPhone 6) werden Schub bringen<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 77<br />

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Geld&Börse<br />

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Google, Amazon und Spotify, weil sie<br />

Kunden aktiv in den Auswahlprozess der<br />

Inhalte einbinden, viel mehr werberelevante<br />

Daten sammeln können als TV-Sender<br />

oder Printverlage “, sagt Blach.<br />

„Die traditionellen Anbieter haben es<br />

versäumt, konkurrenzfähige Gegenangebote<br />

aufzubauen“, sagt Bird von McKinsey.<br />

Wer will schon eine halbe Million für eine<br />

Kampagne ausgeben, bei der man nicht<br />

weiß, wen man erreicht, wenn Google oder<br />

Apple genau das haarklein darlegen?<br />

Google hat über YouTube 90 Prozent<br />

Marktanteil beim Video-Streaming, de<br />

facto ein Monopol, werbefinanziert und<br />

deshalb gratis. Noch finden sich dort vor<br />

allem kurze Schnipsel und Amateurvideos,<br />

die von Nutzern lizenzfrei hochgeladen<br />

werden. Google wird seinen populären<br />

Web-Streaming-Kanal aber zum interaktiven<br />

Musik- und TV-Sender ausbauen,<br />

schließt bereits Lizenzverträge mit professionellen<br />

Anbietern. Dabei nutzt Google<br />

seine Marktmacht.<br />

Nachdem es sich mit den drei großen<br />

Musiklabels geeinigt hatte, setzte es die<br />

restlichen (rund 800 kleineren) unter<br />

Druck: Wer die Bedingungen nicht annimmt,<br />

dem droht Google mit der Löschung<br />

seiner Inhalte auf YouTube. „Das<br />

zeigt die Richtung“, sagt McQuivey, „Google<br />

und Amazon brauchen die Inhalte gar<br />

nicht selbst zu besitzen; es genügt, die<br />

Schnittstelle zum Konsumenten zu beherrschen,<br />

um den Inhalte-Anbietern die Bedingungen<br />

zu diktieren.“<br />

Fondsmanager Dreide geht noch weiter:<br />

„Wer die Schnittstelle zum Nutzer hat, sei<br />

Zugpferde<br />

Serien wie<br />

„Breaking Bad“<br />

locken Millionen<br />

TV-Zuschauer<br />

ins Netz<br />

Geht der Plan der<br />

Musikbranche auf,<br />

werden andere<br />

Medien ihr folgen<br />

es iPhone, Google-TV oder Amazons Kindle<br />

für Bücher, der kann dort früher oder<br />

später eine Art Inhalte-Maut erheben, einen<br />

Teil der Einnahmen für das Bereitstellen<br />

der Infrastruktur verlangen.“<br />

Zusätzlich geht es um Daten, die sich gewinnbringend<br />

verkaufen lassen. Wer alle<br />

interaktiven Möglichkeiten etwa von Amazon,<br />

YouTube oder Spotify nutzt, hinterlässt<br />

dabei eine Fülle von interessanten<br />

Daten für die Werbeindustrie: Wer hört<br />

wann welche Musik? Wer folgt wessen<br />

Listen? Spotify erforscht zusammen mit<br />

Universitäten, welche Musik bestimmte<br />

Stimmungen verstärkt. Werbeagenturen<br />

sind begeistert.<br />

Sollte das globale Experiment der Musikbranche<br />

mit All-inclusive-Abos erfolgreich<br />

sein, „werden andere Medien folgen“,<br />

meint Bird von McKinsey. Schon heute<br />

nutzen 40 Millionen Deutsche Video-<br />

Streaming im Netz, meist gucken sie dabei<br />

YouTube-Videos oder TV über Anbieter<br />

wie Zattoo auf dem PC. Auch die Sender<br />

selbst, von ARD bis RTL, streamen einen<br />

Teil ihres TV-Programms im Netz. „Aber<br />

das ist nicht die Zukunft“, sagt Investor Burchart,<br />

„die gehört nicht dem Konsum des<br />

normalen TV-Programms am PC, sondern<br />

den voll individualisierbaren, interaktiven<br />

TV-Abos, die TV-Serien und Filme in unbegrenzter<br />

Vielfalt anbieten – analog zu<br />

Spotify oder Simfy bei der Musik.“<br />

McQuivey sieht das ähnlich: „Sie sind<br />

kundenfreundlicher“, sagt der Marktforscher,<br />

„man kann seine Lieblingsserie<br />

schauen, wenn man Zeit und Lust hat,<br />

nicht, wenn Fox oder CBS sie zufällig senden.<br />

Wer die Auswahl und Individualität<br />

von TV-Streaming kennt, geht nicht zurück<br />

zum normalen TV-Programm.“<br />

TV NUR NOCH ÜBER DAS NETZ<br />

Der Bezahlsender Sky feiert bereits Erfolge<br />

mit seinem On-Demand-Angebot Sky-Go:<br />

Die Serie „Game of Thrones“ wurde allein<br />

von April bis Juni in Deutschland 2,3 Millionen<br />

Mal von zahlenden Kunden abgerufen.<br />

Vor allem junge TV-Zuschauer ließen<br />

sich „kaum noch mit einem vorgefertigten,<br />

alternativlosen Programm abspeisen“, sagt<br />

Viva-Gründer Gorny, der heute Medienwissenschaft<br />

an der FH Düsseldorf lehrt.<br />

Frage er Studenten, wer Musik und TV im<br />

Netz nutze, „zeigen alle auf; frage ich nach<br />

herkömmlichem TV, ist es noch die Hälfte,<br />

bei Zeitungen geht die Quote gegen null“.<br />

TV-Angebote im Internet werden heute<br />

noch hauptsächlich in den USA genutzt,<br />

wo es dank der weiten Verbreitung des Kabel-TV<br />

ein bandweitenstarkes Netz gibt.<br />

Marktführer Netflix startet im September in<br />

Deutschland. Die Konkurrenten Hulu und<br />

WatchEver, eine Tochter von Vivendi-Universal,<br />

wachsen schnell. Auch Amazon<br />

mischt schon mit: Über Amazon Prime<br />

können Kunden Filme downloaden und<br />

elektronische Bücher leihen – für nur 100<br />

Dollar pro Jahr.<br />

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die<br />

neue Art des Fernsehens im Rest der Welt<br />

durchsetzt. „Die TV-Branche wird überrollt,<br />

sobald ein schnelles, mobiles Netz<br />

flächendeckend verfügbar ist“, meint<br />

Fondsmanager Dreide. Neue Geräte –<br />

UltraHD oder 4K genannt – werden leichter<br />

sein und ein noch besseres Bild haben<br />

als die heutigen HD-Flachbildfernseher.<br />

„Sie werden Spielkonsole, TV, Radio, Computer<br />

und Musikanlage in einem sein“, sagt<br />

Dreide. Für den Investor ist klar: „Es wird<br />

Platz geben für Netflix und Spotify, aber die<br />

besten Karten haben die Großen, die alles<br />

aus einer Hand anbieten: Filme, TV-Serien,<br />

Musik und Bücher.“<br />

Soll heißen: Amazon, Google und Apple. n<br />

stefan.hajek@wiwo.de<br />

78 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: ALLSTARPICTURE LIBRARY/SONY PICTURES TELEVISION, DPA PICTURE-ALLIANCE/ANDREAS ARNOLD<br />

»Mindestens 100%«<br />

BÖRSEN-GURU | Staatsanwälte ermitteln weiter gegen Markus Frick.<br />

Er könnte Kurse getrieben und dafür Werbegelder kassiert haben.<br />

Unter 500 000 Euro ging gar nichts:<br />

Wer einen Termin mit ihm wolle,<br />

müsse mindestens diese Summe<br />

für Auftritte auf seinen Anlegerseminaren<br />

hinblättern, das sei „Minimum“.<br />

So soll der Ex-TV-Moderator Markus Frick<br />

vor einem Kompagnon geprahlt haben, erinnert<br />

sich dieser.<br />

Frick, wegen Marktmanipulation verurteilt,<br />

denkt in großen Summen – nicht nur<br />

an der Börse, sondern auch auf von ihm<br />

initiierten Anlegerseminaren. Offiziell verdient<br />

die Berliner Frick-Firma ISP Finanz<br />

ihr Geld mit der Marke „MoneyMoney“. Zu<br />

der gehören neben einem Börsenbrief<br />

auch eine Internet-Seite und eine Börsen-<br />

TV-Sendung im Netz.<br />

In den vergangenen Jahren stellte ISP<br />

Kunden Millionen Euro für Werbebanner<br />

und Auftritte auf Anlegerseminaren in<br />

Rechnung. Allein von 2010 bis 2012 verbuchte<br />

ISP knapp 13 Millionen Euro für<br />

Bannerwerbung – das Werbegeschäft<br />

machte mit rund 68 Prozent das Gros der<br />

Erlöse aus, die Einnahmen aus dem<br />

Flaggschiff, dem Börsenbrief „Money-<br />

Money“, lagen bei drei Millionen Euro.<br />

AUFFÄLLIG HOHE WERBEERLÖSE<br />

Tatsächlich hat ISP auch Werbebanner verbreitet.<br />

Nur die Einnahmen daraus scheinen<br />

viel zu hoch. Zum Vergleich: Internet-<br />

Marktführer „Spiegel Online“ soll 2011 laut<br />

einem Bericht der Wochenzeitung „Die<br />

Zeit“ 30 Millionen Euro mit Werbung umgesetzt<br />

haben. Der Verdacht: Ein Teil des<br />

von ISP kassierten Werbegelds dürfte für<br />

andere Leistungen geflossen sein.<br />

Unterlagen legen den Verdacht nahe,<br />

dass ISP im Auftrag von Hintermännern für<br />

Aktien getrommelt und dafür Rechnungen<br />

für Anlegerseminare oder Werbebanner in<br />

ISP-Medien geschrieben hat. Ein Ex-Partner<br />

von Frick selbst sagt, ihm sei klar geworden,<br />

dass die Gelder dazu gedacht waren,<br />

um für das Pushen von Aktienkursen<br />

zu bezahlen. Weder Frick noch ISP haben<br />

Fragen der WirtschaftsWoche bis zum Redaktionsschluss<br />

beantwortet.<br />

Auffällig ist etwa der Fall der Aktie des<br />

heute insolventen Finanzmaklers Univerma.<br />

Die Aktie wurde massiv im Börsendienst<br />

„das-musterdepot“ empfohlen. Offiziell<br />

verantwortete ein gewisser Stefan Zapf<br />

„das-musterdepot“ redaktionell. Insidern<br />

zufolge war Zapf ein Pseudonym von Frick.<br />

Dokumente und die Aussagen von Insidern<br />

deuten darauf hin, dass Univerma-<br />

Großaktionäre dafür gezahlt haben könnten,<br />

dass Frick Leser zum Kauf der Aktie<br />

animierte. Die Univerma-Eigner hätten<br />

dann ihre eigenen Papiere an die Frick-Leser<br />

abstoßen können.<br />

Top-Aktienwerber Frick, verurteilt wegen<br />

Marktmanipulation, zieht vor den BGH<br />

Böse Überraschung<br />

Die Werbung für die Univerma-Aktie endete<br />

gegen Weihnachten 2010 (Kurs in Euro)<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

2010 2011<br />

70<br />

50<br />

30<br />

10<br />

2<br />

Der Fall Univerma könnte damit das<br />

nächste Kapitel im Frick-Skandal werden,<br />

nach dem Strafprozess, in dem das Landgericht<br />

Frankfurt ihn im Februar wegen<br />

Marktmanipulation zu 31 Monaten Haft<br />

verurteilt hat. Das Urteil ist nicht rechtskräftig,<br />

Frick hat Revision eingelegt. Der<br />

Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof<br />

bestätigte den Eingang der Akten.<br />

Ungeachtet dessen ermitteln die Staatsanwälte<br />

in Frankfurt nun in Sachen Univerma<br />

wegen Marktmanipulation. Die Behörde<br />

bestätigt Ermittlungen. Sie würden<br />

„noch längere Zeit in Anspruch nehmen“.<br />

Univerma war 2010 in Wien an die Börse<br />

gegangen, zum Mondpreis von 60 Euro je<br />

Aktie. Die Gründer, Großaktionäre und<br />

Vorstände Fabian Voß und Kai Hoffmann<br />

hatten sich verpflichtet, den Großteil der<br />

eigenen Papiere erst ab 2012 zu verkaufen.<br />

So weit die offizielle Version.<br />

Die hinter der Fassade geht so: „dasmusterdepot“<br />

trommelte 2010 für die<br />

„Kursrakete Univerma“. Die Aktie sollte zur<br />

Weihnachtszeit in das „1. Million Depot“<br />

des Dienstes aufgenommen werden. Die<br />

Macher <strong>vom</strong> Musterdepot hielten Univerma<br />

für einen „Eilkauf“. Viele Medien hätten<br />

berichtet, das Handelsvolumen sei enorm<br />

gestiegen. Wer die Aktie kauft, schienen die<br />

Macher hellsehen zu können, sollte „mindestens<br />

100 % Gewinn“ machen.<br />

DAS-MUSTERDEPOT VON FRICK<br />

Hinter „das-musterdepot“ soll Frick gestanden<br />

haben, der damals Geschäftsführer<br />

der ISP Finanz war. Alleiniger Gesellschafter<br />

der ISP war mindestens bis Sommer<br />

2012 Fricks Vater Walter Frick. Der Senior<br />

hatte Sohn Markus bis Mitte 2012 zum<br />

Geschäftsführer bestellt. Frick senior äußerte<br />

sich auf Anfrage nicht zu dem Fall.<br />

Wenige Tage nach der Empfehlung, als<br />

der Univerma-Kurs abgestürzt war, schrieb<br />

Stefan Zapf im typischen Frick-Stil seinen<br />

Lesern, er sei „schockiert“, irgendwie liege<br />

der Absturz wohl an den Weihnachtsfeiertagen.<br />

Der wahre Grund aber dürften Verkäufe<br />

gewesen sein, die nach der Propaganda<br />

für die Aktie einsetzten.<br />

Das Schema ist erprobt: Börsenbrief-<br />

Macher legen Anlegern Aktien ans Herz.<br />

Greifen die zu, laden Hintermänner Aktien<br />

bei Lesern ab. Endet das redaktionelle<br />

Trommelfeuer, stürzen die Kurse ab.<br />

ISP stellte an mit den Univerma-Gründern<br />

verbundene Unternehmen Rechnungen<br />

über mindestens 1,5 Millionen Euro<br />

aus. Empfehlungen und Geldflüsse gingen<br />

Hand in Hand: So schickte ISP vor der<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 79<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

Empfehlung in „das-musterdepot“ mehrere<br />

Rechnungen an die Fabian Voß Vermögensverwaltung<br />

und die Univerma Vertriebspartner<br />

AG. Die erste Firma gehört<br />

Univerma-Gründer Voß, die zweite Voß<br />

und Co-Gründer Hoffmann gemeinsam.<br />

Mehrfach gingen bei ISP Ende 2010 Gelder<br />

von Voß und Univerma Vertriebspartner<br />

ein, insgesamt über 1,8 Millionen Euro<br />

– mehr noch als die 1,5 Millionen aus den<br />

von ISP ausgestellten Rechnungen. So sollte<br />

Voß laut Rechnung <strong>vom</strong> 20. Dezember<br />

2010 stolze 595 000 Euro zahlen. Gegenleistung:<br />

ein Werbebanner bei „MoneyMoney<br />

TV“ sowie „Exklusiv-Zeit-Slots“ à 150 000<br />

Euro auf drei „MoneyMoney“-Börsenseminaren,<br />

die ISP Wochen später veranstalten<br />

wollte. Viel Geld, gemessen daran,<br />

dass auf den Seminaren maximal wenige<br />

Hundert Leute auftauchen. Weder Voß<br />

Noch schnell unters<br />

Dach gerettet<br />

FINANZVERMITTLER | Bevor Berater auf Kunden losgelassen werden,<br />

müssen sie beweisen, dass sie qualifiziert sind. Das ist Gesetz.<br />

Die Bank für Vermögen interpretiert dies, nun ja, sehr eigenwillig.<br />

Der Guru-Neuling<br />

nennt sich<br />

jetzt Jan Pahl<br />

noch Hoffmann waren erreichbar, Anrufe<br />

und E-Mails blieben unbeantwortet.<br />

Nach Informationen der Wirtschafts-<br />

Woche bezichtigt die Aufsicht BaFin<br />

mehrere Personen, durch Verkäufe von<br />

Univerma-Aktien innerhalb weniger Tage<br />

Millionengewinne erzielt zu haben. Verdächtige<br />

hätten Empfehlungen für die<br />

Aktie durch Zapf veröffentlichen lassen.<br />

Univerma-Gründer Hoffmann soll über<br />

mehrere Depots Käufe und Verkäufe veranlasst<br />

haben, die gegeneinander ausgeführt<br />

worden seien. So könnte suggeriert<br />

worden sein, dass die Aktie liquide gehandelt<br />

wurde. Die BaFin bestätigt, sie habe<br />

2011 im Fall Univerma bei der Staatsanwaltschaft<br />

Frankfurt Anzeige wegen möglicher<br />

Marktmanipulation erstattet.<br />

Selbst Frick sollen Zweifel gekommen<br />

sein. Einem Vertrauten soll er gebeichtet<br />

haben, dass er einmal Geld, das die Univerma-Leute<br />

an ISP gezahlt hatten, zurücküberwiesen<br />

habe. Er habe Angst gehabt,<br />

dass der Zusammenhang mit den Empfehlungen<br />

aufgedeckt werden könnte.<br />

ISP macht auch heute, nach dem Ausscheiden<br />

Fricks, mit Anlegerseminaren<br />

weiter. Der neue Guru heißt Jan Pahl. Doch<br />

auch dieser Name ist ein Pseudonym. n<br />

annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt<br />

Ralf Berndt, Vorstand der Stuttgarter<br />

Versicherung, liegt das Wohl der<br />

Verbraucher am Herzen. Anlageberater,<br />

die nicht ausreichend qualifiziert seien,<br />

sagte er bei einer Podiumsdiskussion in<br />

Leipzig, müssten „aus der Branche gedrückt<br />

werden“. Richtig. Berndt will die<br />

Forderung aber offenbar nur auf Wettbewerber<br />

angewandt wissen: Denn für den<br />

Finanzdienstleister BCA, an dem die Stuttgarter<br />

Versicherung beteiligt ist und bei<br />

dem Berndt im Aufsichtsrat sitzt,<br />

sind möglicherweise Berater tätig, die<br />

nicht über die gesetzlich vorgeschriebene<br />

Qualifikation verfügen.<br />

Ein Fall für die Finanzaufsicht BaFin.<br />

An BCA sind neben der Stuttgarter auch<br />

die Barmenia, die Signal Iduna, der Volkswohl<br />

Bund und die Ideal Lebensversicherung<br />

beteiligt. Zum Konzern gehören mehrere<br />

Gesellschaften, die Dienstleistungen<br />

für Makler und Anlageberater anbieten.<br />

Makler sind selbstständige Berater, die<br />

Kunden, anders als etwa Versicherungsvertreter,<br />

Produkte verschiedener Anbieter<br />

Kein Vertrauensvorschuss Kunden sollten<br />

fragen, welche Ausbildung ihr Berater hat<br />

verkaufen können. Der BCA-Konzern ist<br />

mit 10 000 Beratern und einem Vertriebserlös<br />

um die 50 Millionen Euro eine der größten<br />

Finanzmaklerorganisationen („Maklerpool“)<br />

hierzulande.<br />

MEHR BERATER, MEHR GELD<br />

Den Versicherern Kopfschmerzen bereiten<br />

könnte die Bank für Vermögen (BfV) – eine<br />

Wertpapierhandelsbank, der sich Anlageberater<br />

anschließen können. Sie treten<br />

ihren Kunden gegenüber wie Bankangestellte<br />

auf und vertreiben deren Produkte.<br />

Formal bleiben sie aber selbstständig. Im<br />

Gegenzug haftet die Bank für sie – die Berater<br />

gehen unter das „Haftungsdach“ der<br />

Bank, wie es im Fachjargon heißt.<br />

Seit November 2012 müssen Berater jedoch<br />

nachweisen, dass sie Fachwissen haben,<br />

bevor sie auf Kunden losgelassen werden.<br />

Das macht es schwieriger, neue Produktverkäufer<br />

zu finden. Die Anforderun-<br />

FOTO: UNITED ARCHIVES; DMITRI BROIDO [M]<br />

80 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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gen könnten „von etlichen Bewerbern<br />

nicht erfüllt werden“, sagt Sebastian Grabmaier,<br />

Vorstand des Finanzvertriebs Jung,<br />

DMS&Cie.<br />

Als qualifiziert gelten Anlageberater nur<br />

noch, wenn sie eine IHK-Prüfung bestanden<br />

oder eine Ausbildung, etwa als<br />

Bankkaufmann, absolviert haben. Ein<br />

gleichwertiger Uni-Abschluss tut es auch.<br />

Zudem kann die Sachkunde „in anderer<br />

geeigneter Weise“ nachgewiesen werden.<br />

Dieser Gummiparagraf sollte laut Nero<br />

Knapp, Geschäftsführer des Verbands unabhängiger<br />

Vermögensverwalter, allerdings<br />

nur ausnahmsweise angewendet<br />

werden – und diese Ausnahmen müssten<br />

gut begründet werden.<br />

KEIN PLATZ MEHR FÜR AMATEURE<br />

Ausgenommen sind auch „alte Hasen“ –<br />

Berater, die bis spätestens Mai 2013 nachgewiesen<br />

hatten, dass sie über sechs Jahre<br />

ununterbrochen in der Anlageberatung für<br />

ein von der BaFin reguliertes Unternehmen<br />

tätig waren. Berufserfahrung zählt also<br />

nur, wenn diese in einem überwachten<br />

Institut gesammelt wurde. Ahnungslose<br />

Vermittler sollten so aus dem Markt gespült<br />

werden – ganz so, wie Stuttgarter-Vorstand<br />

Berndt es sich wünscht.<br />

Nur interessiert das die Bank für Vermögen<br />

offenbar nicht. Ein BfV-Sprecher beteuert<br />

zwar, die Berater der Bank wären<br />

ausreichend qualifiziert. Doch was qualifiziert<br />

ist, definiert die BfV recht eigenwillig:<br />

Qualifikation werde etwa „in anderer geeigneter<br />

Art und Weise“ durch die bisherige<br />

Anbindung an einen Maklerpool nachgewiesen,<br />

so die Bank.<br />

Dumm nur, dass Maklerpools normalerweise<br />

nicht von der BaFin reguliert werden.<br />

„Die mehrjährige Tätigkeit für einen<br />

Maklerpool reicht nicht einmal, um die<br />

Ausnahmeregel für alte Hasen in Anspruch<br />

zu nehmen“, sagt Verbandsgeschäftsführer<br />

Knapp. „Dementsprechend absurd wäre<br />

es, wenn hierdurch nun die Sachkunde des<br />

Beraters nachgewiesen werden könnte.“<br />

Die BfV schafft sich offenbar ihre eigenen<br />

Regeln. So erklärt sie in einer Stellungnahme<br />

weiter, dass Vermittler entsprechend<br />

ihrer Qualifikation unterschiedlichen<br />

Haftungsdachstufen zugeordnet würden.<br />

In Stufe 1 dürfen sie etwa zu Riester-<br />

Verträgen beraten. In Stufe 2 kämen Investmentfonds<br />

hinzu. „Das dürfte den gesetzlichen<br />

Vorgaben kaum gerecht werden“,<br />

meint Knapp. „Es gebe im Wertpapierbereich<br />

grundsätzlich keine auf einzelne Produkte<br />

beschränkte Qualifikationsanforderung“,<br />

sagt er. Das Gesetz sieht vielmehr einen<br />

breit angelegten Ausbildungsstandard<br />

für Anlageberater vor. Punkt.<br />

Die BCA-Wettbewerber Jung, DMS und<br />

Netfonds erklärten denn auch, dass für alle<br />

ihre Berater dieselben Anforderungen an<br />

die Qualifikation gelten würden. Wie viele<br />

schlecht ausgebildete Berater im Namen<br />

der BfV ahnungslosen Kunden Finanzprodukte<br />

andrehen, lässt sich nicht überprüfen.<br />

Die BaFin führt zwar alle Vermittler<br />

von Finanzprodukten in einem Register.<br />

Welche Qualifikation diese haben, fragt die<br />

Behörde allerdings nicht ab. Dafür ist die<br />

Organisation verantwortlich, die für den<br />

Berater haftet – also etwa die BfV.<br />

„Lässt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen<br />

Berater für die Anlageberatung<br />

zu, die nicht über die gesetzlich vorgeschriebene<br />

Qualifikation verfügen, wäre<br />

»Nicht fähige<br />

Anlageberater<br />

müssen aus<br />

der Branche<br />

gedrückt werden«<br />

Ralf Berndt, Stuttgarter Versicherung<br />

das ein Verstoß gegen das Gesetz“, sagt eine<br />

Sprecherin der BaFin. Dieser könne von der<br />

Aufsicht geahndet werden – im schlimmsten<br />

Fall mit dem Entzug der Lizenz.<br />

Es besteht nicht nur der Verdacht, dass<br />

die BfV Anlageberater mit mangelhafter<br />

Qualifikation zulässt. Hinzu kommt, dass<br />

der BfV-Generalbevollmächtigte Jörg Strobel<br />

vor zwei Jahren in einem Artikel davor<br />

warnte, dass der 31. Oktober 2012 zum<br />

„Schicksalstag“ für Finanzvermittler werden<br />

könnte, die sich in Sachen Qualifizierung<br />

„nicht gerade auf dem Höchststand“<br />

befänden. Ihnen empfahl er bis Ende Oktober<br />

einen Anschluss an ein Haftungsdach<br />

„noch zu den derzeit gültigen Qualifikationsvoraussetzungen<br />

in Erwägung zu<br />

ziehen“. Wohlgemerkt: Im November 2012<br />

traten die neuen Berater-Regeln in Kraft.<br />

Bislang seien die Anforderungen der<br />

Haftungsdächer nicht allzu streng, lockte<br />

Strobel weiter. Künftig müssten aber auch<br />

sie sicherstellen, dass die bei ihnen untergekommenen<br />

Vermittler sachkundig seien.<br />

Die Botschaft an die Berater: Wer sich uns<br />

jetzt noch anschließt, entkommt den strengen<br />

Regeln des neuen Gesetzes. Wie Strobel<br />

zu dieser Einschätzung der Rechtslage<br />

kam, wollte die Bank nicht erklären.<br />

Sie ist auch falsch.<br />

Denn die Qualifikationsanforderungen<br />

galten ab November 2012 für alle Berater,<br />

unabhängig davon, wann sie einem Haftungsdach<br />

beigetreten sind. Grabmaier<br />

von Jung, DMS sagt, dass der Zeitpunkt des<br />

Beitritts eines Vermittlers keine Rolle spiele<br />

bei der Bewertung, ob er qualifiziert sei.<br />

Von Netfonds hieß es, sie forderten Nachweise<br />

zur Berufsqualifikation, wie sie heute<br />

das Gesetz fordert, bereits seit 2005.<br />

Doch der Trick der Bank funktionierte.<br />

Aktuell sind rund 400 Personen und<br />

Unternehmen, die auch mehrere Berater<br />

beschäftigen, der BfV angeschlossen. Davon<br />

sind rund 200 zum 31. Oktober 2012<br />

beigetreten.<br />

Zum Vergleich: Dem Haftungsdach von<br />

Jung, DMS trat im Oktober 2012 kein einziger<br />

Berater bei. Netfonds verzeichnete nur<br />

zwei Anmeldungen. Die Vermutung liegt<br />

nahe, dass ein Großteil der BfV-Neuzugänge<br />

sich gezielt der Bank angeschlossen hat,<br />

um weitermachen zu können – ohne Qualifikation<br />

und ohne alter Hase zu sein.<br />

Die Bank für Vermögen erklärt hierzu,<br />

ihr Zuwachs sei darauf zurückzuführen,<br />

dass Vermittler aus dem Maklerpool der<br />

BCA unter das BfV-Haftungsdacht gewechselt<br />

seien. „Dies geschah unter Einhaltung<br />

der gesetzlichen Vorgaben.“<br />

BEI VERLUST GELD ZURÜCK?<br />

Für Anleger, denen von schlecht ausgebildeten<br />

Vermittlern miese Finanzprodukte<br />

aufgedrückt wurden, tun sich ungeahnte<br />

Möglichkeiten auf:<br />

Verkaufe eine Bank Produkte, ohne dass<br />

sie die erforderliche Lizenz besitzt, sagt der<br />

Kapitalmarktrechtler Klaus Rotter, „ist der<br />

Kunde gemäß der geltenden Rechtsprechung<br />

so zu stellen, als habe er das Geschäft<br />

nie abgeschlossen“. Er bekommt also<br />

sein Geld zuzüglich entgangener Zinsen<br />

einer geeigneten Alternativanlage zurück.<br />

„Diese Rechtsprechung dürfte auch für<br />

Anleger gelten, die von einem Vermittler<br />

beraten wurden, der diese Tätigkeit nicht<br />

hätte ausüben dürfen“, sagt Rotter.<br />

Jedes schlecht laufende Produkt und jeder<br />

unzufriedene Kunde würde damit für<br />

die BfV zu einem finanziellen Risiko. Ralf<br />

Berndt muss nun handeln. Nicht nur zum<br />

Wohl der Verbraucher, sondern auch zum<br />

Wohl der Bank.<br />

n<br />

melanie.bergermann@wiwo.de | Frankfurt<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 81<br />

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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />

KINDERBETREUUNG<br />

Geld maximal<br />

für 25 Tage<br />

IMMOBILIEN<br />

Urlaub ja, Zweitwohnsitz nein<br />

Österreich erschwert den Immobilienkauf für Auswärtige und verstärkt Kontrollen.<br />

Touristen sind in Österreich willkommen, Immobilienkäufer<br />

nicht unbedingt. Damit für Einheimische<br />

noch genug bezahlbarer Wohnraum<br />

übrig bleibt, verbietet etwa das Land Salzburg<br />

(Zell am See, Kaprun, Saalbach-Hinterglemm,<br />

Leogang) Österreichern wie Ausländern, einen<br />

Zweitwohnsitz in dem Bundesland anzumelden.<br />

„Davon ausgenommen sind nur geerbte Immobilien<br />

und solche, die bereits vor dem Jahr<br />

1993 als Zweitwohnsitz genutzt wurden, sowie<br />

speziell für Zweitwohnsitze ausgewiesene Flächen,<br />

von denen es in der Stadt Salzburg aber nur<br />

eine gibt“, sagt Franz Stiller, Chef der Stiller &<br />

Hohla Immobilientreuhänder. Die Regeln sind<br />

nicht in allen neun Bundesländern so streng. In<br />

Wien sind Zweitwohnsitze erlaubt.<br />

Wer trickst und einen Hauptwohnsitz in der<br />

Heimat und einen weiteren in Österreich anmeldet,<br />

macht sich mitunter strafbar. Das Land<br />

Salzburg verlangt neuerdings eine Nutzungserklärung<br />

<strong>vom</strong> Käufer, in der er bestätigt, dass die<br />

Immobilie nicht als Zweitwohnsitz dient, der nur<br />

am Wochenende oder im Urlaub bewohnt wird.<br />

Da die Stadtverwaltungen zu Kontrollen verpflichtet<br />

sind, informieren sie sich bei Stromund<br />

Wasserversorgern über den Energieverbrauch,<br />

um Feriennutzer zu enttarnen.<br />

Auch Altfälle können teuer werden: Wer mit<br />

einer nach 1994 gekauften Immobilie gegen das<br />

Zweitwohnsitzverbot verstößt, muss je nach<br />

Bundesland mit einer Geldstrafe bis 25 000 Euro<br />

oder sogar einer Zwangsversteigerung rechnen.<br />

Arbeiten beide Elternteile und<br />

wird ein Kind krank, kann der<br />

Kinderarzt dem Vater oder der<br />

Mutter bescheinigen, dass sie<br />

zur Pflege gebraucht werden.<br />

Sind die Kinder jünger als zwölf<br />

Jahre, muss der Arbeitgeber sie<br />

jährlich zehn Arbeitstage pro<br />

Kind und Jahr freistellen, maximal<br />

25 Tage für alle Kinder<br />

zusammen. Alleinerziehende<br />

haben den gleichen Anspruch<br />

wie die Eltern gemeinsam.<br />

Da die meisten Tarifverträge<br />

die Lohnfortzahlung hier ausschließen,<br />

kürzt der Arbeitgeber<br />

das Gehalt anteilig.<br />

Gesetzlich Versicherten zahlen<br />

die Kassen Krankengeld in<br />

Höhe von derzeit maximal<br />

94,50 Euro täglich, auch das für<br />

zehn Tage pro Kind und maximal<br />

25 Tage für alle Kinder zusammen.<br />

Ist das erkrankte Kind<br />

bei einem Elternteil privat krankenversichert,<br />

bekommt ein gesetzlich<br />

versichertes Elternteil<br />

kein Krankengeld.<br />

Beamte und privat Versicherte<br />

im öffentlichen Dienst erhalten<br />

pro Kind nur vier Tage frei,<br />

bekommen allerdings in der<br />

Zeit auch den vollen Lohn weitergezahlt.<br />

Erkrankt ein weiteres<br />

Kind, dürfen sie insgesamt<br />

maximal fünf Tage im Jahr<br />

fehlen (Bundesarbeitsgericht,<br />

9 AZR 878/12).<br />

RECHT EINFACH | Wespen<br />

Wespen können zur Plage werden.<br />

Während der Sommermonate<br />

sind Insekten auch Gegenstand<br />

von Gerichtsverfahren.<br />

§<br />

Schwarm. In einer Mietwohnung<br />

in Unterfranken hatten<br />

sich Wespen einen Rollladenkasten<br />

für ihr Nest ausgesucht.<br />

An einem Sonntag<br />

schwärmten Hunderte Insekten<br />

über den Balkon der Mieter. Die<br />

Familie geriet in Panik: Sie fürchtete<br />

um die Gesundheit ihrer zweijährigen<br />

Tochter; zudem litt die<br />

Mutter an einer Allergie gegen<br />

Insektenstiche. Nachdem der Vermieter<br />

telefonisch nicht greifbar<br />

war, alarmierte die Familie die<br />

Feuerwehr. Zu Recht, befand später<br />

der Richter. Die Kosten für die<br />

Entfernung des Nests musste der<br />

Vermieter tragen (Amtsgericht<br />

Würzburg, 13 C 2751/13).<br />

Umlage. In einem Mehrfamilienhaus<br />

in München ließ ein Wespennest<br />

unter dem Dach die Bewohner<br />

nicht mehr zur Ruhe kommen. Der<br />

Eigentümer ließ einen Kammerjäger<br />

anrücken. Die Kosten wollte er als<br />

„Ungezieferbekämpfung“ in der<br />

Nebenkostenabrechnung auf die<br />

Mieter umlegen. Diese zogen vor<br />

den Kadi und hatten Erfolg. Der<br />

Richter klärte den Vermieter auf,<br />

dass zu „Betriebskosten“ nur regelmäßige<br />

Instandhaltungsmaßnahmen<br />

zählten. Die einmalige<br />

Entfernung eines Wespennestes<br />

gehöre nicht dazu (Amtsgericht<br />

München, 412 C 32370/10).<br />

Strand. Ein Kölner Ehepaar buchte<br />

eine Reise in die Dominikanische<br />

Republik. Kleine, hyperaktive<br />

Sandwespen machten die Zeit<br />

am Strand zur Tortur. Einen Preisnachlass<br />

bekamen die Rheinländer<br />

nicht. Der Richter blätterte<br />

in Biobüchern. Ergebnis: In warmen<br />

Gefilden seien Sandwespen<br />

„nicht zu verhindernde Naturerscheinungen“<br />

(Amtsgericht<br />

Köln, 134 C 419/07).<br />

FOTOS: GETTY IMAGES, A1 PIX/YOURPHOTOTODAY, PR<br />

82 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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AUTOKAMERAS<br />

Polizei kann zugreifen<br />

ERBSCHAFT<br />

Wohnrecht ist zu wenig<br />

Ein etwa von einer Witwe weiter<br />

bewohntes „Familienheim“<br />

bleibt von der Erbschaftsteuer<br />

befreit, wenn es noch mindestens<br />

zehn Jahre nach dem Erbfall<br />

ihr Wohnsitz bleibt. Das hat<br />

den Vorteil, dass ihr persönlicher<br />

Freibetrag bei der Erbschaftsteuer<br />

für weitere Vermögensteile<br />

erhalten bleibt. Wohnt<br />

sie weniger als weitere zehn<br />

Jahre im Familienheim, fiele der<br />

Steuervorteil nachträglich weg<br />

– es sei denn, die Zeit verkürzt<br />

sich aus wichtigen Gründen.<br />

SCHNELLGERICHT<br />

ABSCHREIBUNGSEXTRA BEI SANIERUNG<br />

§<br />

Weist eine Kommune in ihrer Satzung ein Sanierungsgebiet<br />

aus, können Immobilieneigentümer<br />

Instandsetzungs- und Modernisierungskosten im<br />

Verlauf von zwölf Jahren auch für selbst bewohnte<br />

Wohnungen voll absetzen. Dazu muss aber das Sanierungsgebiet<br />

zum Zeitpunkt der Baumaßnahmen<br />

noch bestehen (Bundesfinanzhof, X R 4/12).<br />

RENTNERIN MUSS NICHT ZAHLEN<br />

§<br />

Ein Rechenfehler fiel der Rentenkasse erst<br />

nach sechs Jahren auf. Die zurückgeforderten<br />

215 Euro muss eine Rentnerin nicht zahlen, weil<br />

sie die Rentenkasse über eine einmalige Zahlung<br />

ihres Ex-Arbeitgebers informiert hatte und nicht<br />

Ein solcher Grund wäre etwa<br />

der Umzug in ein Pflegeheim.<br />

Allerdings muss der länger<br />

lebende Partner zumindest Miteigentümer<br />

des Hauses werden,<br />

um die Steuerbefreiung zu erhalten,<br />

entschieden die Richter<br />

am Bundesfinanzhof (II R<br />

45/12). Die Steuerbefreiung<br />

entfällt, wenn die Ehefrau testamentarisch<br />

verpflichtet wird,<br />

das Familienheim durch ein<br />

Vorausvermächtnis auf die<br />

Kinder zu übertragen, und ihr<br />

nur ein Wohnrecht bleibt.<br />

Neue Autos speichern eine<br />

Menge Daten und geben sie etwa<br />

durch einen automatischen<br />

Notruf weiter. Zunehmend wird<br />

wegen der immer populärer<br />

werdenden Dashcams geklagt.<br />

Mit den Auto-Videokameras,<br />

die entweder am Armaturenbrett<br />

(„dash“), an der Windschutzscheibe<br />

oder am Rückspiegel<br />

befestigt werden,<br />

können Autofahrten gefilmt,<br />

auf einem Chip gespeichert und<br />

später etwa ins Internet gestellt<br />

werden. Das Bayerische Landesamt<br />

für Datenschutz hatte<br />

ihren Einsatz wegen Verstoßes<br />

gegen das Datenschutzgesetz<br />

verboten. Ein Anwalt hatte dagegen<br />

geklagt. Er wollte Beweise<br />

gegen Autofahrer sammeln,<br />

die ihn im Straßenverkehr<br />

bedrängten. Das Verbot der Behörde<br />

kippten die Richter am<br />

Verwaltungsgericht Ansbach,<br />

aber nur aus formalen Gründen<br />

(AN 4 K 13.01634). Sie ließen<br />

wegen der grundsätzlichen<br />

Bedeutung Revision zu.<br />

Passanten und Autofahrer<br />

hätten das Recht, nicht heimlich<br />

gefilmt zu werden. Auch<br />

wenn weder Köpfe noch Nummernschilder<br />

auf den Videos<br />

erkennbar wären, ließen sich<br />

Menschen identifizieren.<br />

Das Amtsgericht München<br />

dagegen hatte die Nutzung eines<br />

Radfahrer-Videos in einem<br />

Prozess für zulässig erklärt (343<br />

C 4445/13).<br />

„Interesse an den Daten<br />

haben etwa Autoversicherer,<br />

Autohersteller, aber auch der<br />

Staat“, sagt die Hamburger Anwältin<br />

Daniela Mielchen. Das<br />

Datenschutzrecht halte mit den<br />

technischen Möglichkeiten<br />

nicht Schritt. Wer die Kamera<br />

nutze, müsse damit rechnen,<br />

dass die Polizei auf sie zugreife.<br />

Dies dürfe sie auch ohne richterlichen<br />

Beschluss. Bei Daten<br />

bestünde die Gefahr, dass sie<br />

gelöscht würden. Die Polizei<br />

könne sich also darauf berufen,<br />

dass Gefahr im Verzug sei.<br />

JOB-DARLEHEN<br />

Den Verlust<br />

absetzen<br />

Ein Arbeitnehmer, der zugestimmt<br />

hat, dass geleistete Überstunden<br />

in Genussrechtskapital<br />

seiner Firma umgewandelt werden,<br />

darf nach deren Pleite den<br />

Kapitalverlust als Werbungskosten<br />

absetzen (Bundesfinanzhof,<br />

VI R 57/13). Da der Arbeitgeber<br />

finanziell angeschlagen war,<br />

sei der Mitarbeiter das Risiko<br />

aus beruflichen Gründen eingegangen.<br />

Es kam ihm nicht auf<br />

Rendite an.<br />

grob fahrlässig handelte (Sozialgericht Gießen,<br />

S 4 R 451/12).<br />

KEIN KLASSENWECHSEL NACH PRÜGELEI<br />

§<br />

Provoziert ein Schüler einen anderen und schlägt<br />

dieser ihm dann ins Gesicht, kann der Geschlagene<br />

nicht verlangen, dass sein Gegner die Klasse<br />

wechselt (Verwaltungsgericht Darmstadt 3 L 879/14).<br />

GLEICHBEHANDLUNG BEI HOCHZEITSVILLA<br />

§<br />

Der gewerbliche Vermieter einer Villa für Hochzeitsfeiern<br />

verstieß gegen das Gleichbehandlungsgesetz<br />

(AGG), weil er nicht an ein gleichgeschlechtliches<br />

Paar vermietete. Das Paar bekommt 750 Euro<br />

Entschädigung (Amtsgericht Köln, 147 C 68/14).<br />

EINBRUCHDIEBSTAHL<br />

STEFAN PIOTROWSKI<br />

ist Fachanwalt<br />

für Versicherungsrecht<br />

in<br />

der Kanzlei<br />

SH Rechtsanwälte.<br />

n Herr Piotrowski, Hausratversicherer<br />

zahlen bei Einbruch<br />

mit Diebstahl nicht<br />

immer. Worauf müssen Versicherungskunden<br />

achten?<br />

Der Kunde darf nicht grob<br />

fahrlässig handeln: Wer das<br />

Haus verlässt, muss die Fenster<br />

schließen, wer Schlüssel<br />

zusammen mit dem Pass verliert,<br />

die Schlösser austauschen.<br />

Um Streit zu vermeiden,<br />

kann man eine Police<br />

wählen, bei der der Versicherer<br />

ganz oder teilweise darauf<br />

verzichtet, grobe Fahrlässigkeit<br />

zu prüfen. Deren Beitrag<br />

ist etwas höher.<br />

n In welche Versicherer-<br />

Fallen tappen Kunden sonst?<br />

Unterversicherung ist ein<br />

Problem – ist der Hausrat<br />

wesentlich mehr wert als die<br />

versicherte Summe, kann der<br />

Versicherer die Auszahlung<br />

nach dem Einbruch proportional<br />

zum Grad der Unterversicherung<br />

kürzen. Außerdem<br />

ist die versicherte Summe für<br />

Schmuck und andere Wertgegenstände<br />

oft gedeckelt,<br />

etwa bei 20 Prozent der Versicherungssumme.<br />

Wer Ärger<br />

vermeiden will, sollte Wertsachen<br />

gesondert versichern,<br />

Wertsachen fotografieren und<br />

Quittungen aufheben.<br />

n Wie verhält man sich nach<br />

einem Einbruch korrekt?<br />

Sofort die Polizei einschalten<br />

und den Versicherer benachrichtigen.<br />

Binnen einer Woche<br />

sollte man bei beiden eine<br />

Liste der gestohlenen und beschädigten<br />

Sachen einreichen.<br />

Wer das versäumt oder<br />

deutlich zu spät reagiert, kann<br />

seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung<br />

verlieren.<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 Redaktion: heike.schwerdtfeger@wiwo.de | Frankfurt, annina reimann | Frankfurt<br />

83<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

KOMMENTAR | Nie wieder wollte<br />

ich über Frankfurts China-Aktien<br />

schreiben. Börsen-Zombies,<br />

sinnlos, erledigt. Von Hauke Reimer<br />

Aus dem Tollhaus<br />

Doch was hier abgeht,<br />

ist einfach zu unterhaltsam.<br />

Also noch<br />

eine Geschichte:<br />

Youbisheng Green Paper, Hersteller<br />

von Ökopappe, 2011<br />

an die Börse gegangen, Börsenwert<br />

zu Spitzenzeiten 66 Millionen<br />

Euro, meldet noch Ende Mai<br />

„stabile Geschäftsentwicklung“.<br />

BankM, die Youbisheng aufs<br />

Frankfurter Parkett gebracht<br />

hat, sieht im Mai einen fairen<br />

Wert von 12,97 Euro je Aktie –<br />

bei einem Börsenkurs von damals<br />

3,40 Euro – und sagt „kaufen“.<br />

Danach fällt der Kurs wie<br />

ein Stein, „ohne neue Informationen“,<br />

wie sich die Banker Mitte<br />

Juni wundern. Sie beschließen<br />

nach China zu reisen. Zehn<br />

Tage später kehren sie wieder<br />

zurück, frustriert und unverrichteter<br />

Dinge: Youbisheng-Chef<br />

Huang sei verschwunden, sein<br />

Vertreter stand „nicht für ein<br />

Gespräch zur Verfügung“.<br />

Es kommt noch besser: Am<br />

4. Juli meldet Youbisheng, die<br />

Chinesen hätten Finanzvorstand<br />

David Tsui nicht ins Werk gelassen,<br />

der die Bücher „begutachten“<br />

wollte. Stellt sich die Frage:<br />

Was hat dieser Finanzchef vorher<br />

die ganze Zeit gemacht?<br />

Weil Aufsichtsrat und Finanzvorstand<br />

„trotz intensiver Nachforschungen“<br />

keine Ahnung<br />

haben, wo Herr Huang steckt –<br />

und nebenbei auch keinen<br />

Schimmer von den Finanzen der<br />

Firma –, tritt Tsui zurück. Führungslos<br />

schlingert Youbisheng<br />

über das Börsenparkett. Aber<br />

der Aufsichtsrat verspricht seine<br />

Nachforschungen zu „intensivieren“.<br />

Einen Monat (!) später<br />

feuert er dann todesmutig den<br />

verschwundenen Chef, Herrn<br />

Haiming Huang, und präsentiert,<br />

welch genialer Schachzug,<br />

einen neuen: Herrn Haibo Huang,<br />

den Bruder des Entschwundenen.<br />

Der soll zackig „belastbare<br />

Informationen“ über die<br />

Kassenlage liefern. Anleger<br />

wittern Morgenluft, treiben den<br />

Kurs von 0,90 auf 1,60 Euro.<br />

Eine Woche später wird klar,<br />

dass Herr Huang II auch keinen<br />

Schimmer hat, er tritt zurück.<br />

Der Aufsichtsrat bekommt kalte<br />

Füße, zum „Schutz der Gläubiger<br />

und Aktionäre“ beantragt er<br />

Insolvenz. Die Aktie knallt von<br />

1,60 Euro auf 32 Cent. Am 14.<br />

August geht Youbisheng in die<br />

Insolvenz. Vorhang und Schluss.<br />

WO SIND DIE MILLIONEN?<br />

In Frankfurt notierte China-<br />

Unternehmen sind dreistufig<br />

aufgebaut: Anleger kaufen an<br />

der Börse die AG mit deutschem<br />

Aufsichtsrat, darunter hängt<br />

eine Holding in Singapur oder<br />

Hongkong, darunter die Firma,<br />

die Zugriff auf Fabrik und Kasse<br />

hat. Bei Youbisheng waren in der<br />

noch 38 Millionen Euro – bevor<br />

der Chef abhanden kam.<br />

Dass die deutschen Aufsichtsräte<br />

da nichts kontrollieren können,<br />

ist vollkommen klar. Deshalb<br />

findet sich kaum jemand,<br />

der den Job machen will. Bei<br />

zwei 2014er-Neulingen führte<br />

dann eben der Banker, der die<br />

Unternehmen an die Börse gedrückt<br />

hatte, den Aufsichtsrat.<br />

Anlegern bleibt nur eine<br />

Faustregel: Finger weg von Unternehmen,<br />

die nur im Ausland<br />

an der Börse sind, nicht aber in<br />

ihrem Heimatland. Denn wenn<br />

keine einheimischen Anleger<br />

geschädigt wurden, interessiert<br />

das Behörden in China oder anderswo<br />

null – mag der Betrug<br />

auch noch so dreist sein.<br />

Hätte man eigentlich drauf<br />

kommen können.<br />

TREND DER WOCHE<br />

Druck über den Euro<br />

Die 9000-Punkte-Marke im Dax hat gehalten, große<br />

Sprünge sind vorerst aber nicht zu erwarten.<br />

Krise im Blick<br />

Henkel-Chef Rorsted sieht das<br />

Gewinnwachstum schrumpfen<br />

Jetzt ist es amtlich: Die deutsche<br />

Wirtschaft schrumpfte im<br />

zweiten Quartal – um 0,2 Prozent<br />

(siehe auch Seite 16). Damit<br />

bestätigt sich, was sich im<br />

Rückgang des Dax andeutete.<br />

Der Wirtschaftskrieg mit Russland<br />

hatte noch kaum Einfluss<br />

auf die jüngsten Wirtschaftsdaten.<br />

Dieser wird erst im zweiten<br />

Halbjahr durchschlagen.<br />

Das befürchtet auch Kasper<br />

Rorsted. Der Chef des Düsseldorfer<br />

Konsumgüterkonzerns<br />

warnte vor schwächerem Gewinnwachstum.<br />

Nachdem der erste Schock<br />

verdaut war, erinnerten sich<br />

Anleger aber an die Börsenweisheit,<br />

dass politische Börsen<br />

kurze Beine haben, also die<br />

Kursrichtung von geopolitischen<br />

Risiken nur kurzzeitig bestimmt<br />

wird. Der Dax stabilisierte<br />

sich oberhalb von 9000<br />

Punkten. Wichtigster Faktor für<br />

die Börse aber bleibt der Euro-<br />

Kurs. Ein schwacher Euro erzeugt<br />

Verkaufsdruck bei ausländischen<br />

Investoren. Weil diese<br />

in Deutschland und der Euro-<br />

Zone das Zepter an den Finanzmärkten<br />

übernommen haben,<br />

drückte ihr Abschied die Kurse<br />

von Aktien und Anleihen. EZB-<br />

Präsident Mario Draghi weiß<br />

das, will aber trotzdem einen<br />

schwachen Euro. Warum? Gewiss<br />

nicht nur, um die internationale<br />

Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Unternehmen zu stärken.<br />

Denkbar: Über einen schwachen<br />

Euro kann Draghi Druck<br />

machen auf die Regierungen in<br />

Paris und Rom, endlich Strukturreformen<br />

anzupacken.<br />

Trends der Woche<br />

Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />

Stand: 14.8.2014 / 18.00 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />

Dax 30 9225,10 +2,1 +9,3<br />

MDax 15746,68 +2,6 +6,0<br />

Euro Stoxx 50 3058,16 +1,5 +7,2<br />

S&P 500 1952,51 +2,2 +15,8<br />

Euro in Dollar 1,3373 ±0 +1,0<br />

Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,01 –0,05 2 –0,80 2<br />

US-Rendite (10 Jahre) 1 2,40 –0,03 2 –0,31 2<br />

Rohöl (Brent) 3 102,67 –2,7 –7,4<br />

Gold 4 1313,50 +0,6 –1,0<br />

Kupfer 5 6886,50 –1,3 –5,3<br />

1<br />

in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />

umgerechnet 980,08 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />

FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, REUTERS/SIMON NEWMAN, MAURITIUS IMAGES/SCIENCE SOURCE<br />

84 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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DAX-AKTIEN<br />

Vertrauensbeweis<br />

Adidas-Chef Herbert Hainer kauft nach dem<br />

Kursrutsch ein dickes Paket eigener Aktien.<br />

HITLISTE<br />

Der Sommerschlussverkauf<br />

bei Adidas lockt Käufer an, allen<br />

voran Vorstandschef Herbert<br />

Hainer, der in der vergangenen<br />

Woche 400 000 Euro in<br />

Aktien des eigenen Unternehmens<br />

steckte. Hainers Vorstandskollege<br />

Robin Stalker<br />

zog gleich mit und kaufte für<br />

100 000 Euro. Zuletzt hatte der<br />

Adidas-Chef im Mai 2010 zugegriffen,<br />

davor beim Ausverkauf<br />

nach der Lehman-Pleite<br />

2008. Mit diesen Positionen<br />

liegt Hainer, trotz des jüngsten<br />

Kurseinbruchs, immer<br />

noch zwischen 50 und 135 Prozent<br />

vorne. Anleger können<br />

hoffen, dass Hainer erneut ein<br />

glückliches Investment-Händchen<br />

beweist. Etwas Pulver trocken<br />

halten sollten sie sich dennoch.<br />

Die unsichere Situation<br />

um den wichtigen Markt Russland<br />

und das kränkelnde Golf-<br />

Geschäft setzen den Herzogenaurachern<br />

zu. Sollte es im Zuge<br />

einer allgemeinen Börsenschwäche<br />

mit dem Adidas-Kurs<br />

noch eine Etage tiefer gehen,<br />

bieten sich Kurse unter 50 Euro<br />

an zum Nachfassen.<br />

Sachwert Auto<br />

Nach dem Crash fehlt meist Cash<br />

BÄRENMÄRKTE<br />

Fünf verlorene Jahre<br />

Im historischen Schnitt zehrt eine Baisse an der<br />

Wall Street die Kursgewinne von 21 Quartalen auf.<br />

Dax<br />

Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />

(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />

1 Woche 1 Jahr 2014 2015 2015<br />

(Mio. €) rendite<br />

(%) 1<br />

Dax 9225,10 +2,1 +9,3<br />

Aktie<br />

Stand: 14.8.2014 / 18.00 Uhr<br />

Adidas 59,70 +7,6 –29,3 3,10 3,83 16 12490 2,51<br />

Allianz 126,75 +4,5 +7,9 13,72 14,04 9 57792 4,18<br />

BASF NA 75,92 +1,9 +11,8 5,76 6,30 12 69731 3,56<br />

Bayer NA 97,69 +1,8 +12,3 6,05 6,92 14 80785 2,15<br />

Beiersdorf 66,57 +0,9 –3,2 2,49 2,76 24 16776 1,05<br />

BMW St 88,28 +2,4 +18,7 8,98 9,42 9 56972 2,95<br />

Commerzbank 10,73 +2,6 +34,2 0,56 0,98 11 12216 -<br />

Continental 156,25 +2,6 +30,8 12,80 14,27 11 31251 1,60<br />

Daimler 61,07 +3,6 +10,1 6,17 6,85 9 65310 3,68<br />

Deutsche Bank 24,67 +0,4 –23,8 2,26 3,30 7 25149 3,04<br />

Deutsche Börse 53,87 +4,1 –0,6 3,66 4,02 13 10397 3,90<br />

Deutsche Post 23,70 +1,3 +8,5 1,71 1,86 13 28654 3,38<br />

Deutsche Telekom 11,24 –1,1 +13,2 0,62 0,67 17 50031 4,45<br />

E.ON 13,77 +4,7 +11,5 0,94 0,99 14 27554 4,36<br />

Fresenius Med.C. St 51,82 –0,5 +4,0 3,54 3,95 13 15937 1,49<br />

Fresenius SE&Co 36,75 +1,0 +15,8 2,04 2,36 16 8293 3,40<br />

Heidelberg Cement St 55,41 +5,2 –6,2 3,96 5,00 11 10389 1,08<br />

Henkel Vz 79,37 –3,2 +1,9 4,30 4,70 17 32459 1,54<br />

Infineon 8,47 +3,0 +17,8 0,44 0,53 16 9150 1,42<br />

K+S NA 24,20 +7,1 +32,2 1,46 1,54 16 4632 1,03<br />

Lanxess 46,66 –0,5 –3,6 2,10 3,28 14 3882 1,07<br />

Linde 148,35 +1,1 +2,4 7,81 8,82 17 27541 2,02<br />

Lufthansa 12,67 +1,5 –14,0 1,23 2,37 5 5825 -<br />

Merck 64,90 +2,7 +8,4 4,85 5,29 12 4194 2,93<br />

Münchener Rückv. 150,15 +0,7 +4,5 17,45 17,49 9 26928 4,83<br />

RWE St 28,69 +1,2 +34,3 2,21 2,29 13 17381 3,49<br />

SAP 57,57 +0,2 +0,2 3,40 3,72 15 70725 1,91<br />

Siemens 91,63 +2,7 +8,6 6,54 7,42 12 80726 3,27<br />

ThyssenKrupp 21,05 +6,0 +26,6 0,58 1,20 18 10827 -<br />

Volkswagen Vz. 167,90 +0,7 –10,0 21,49 24,05 7 78099 2,42<br />

1<br />

berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />

In den vergangenen 85 Jahren<br />

durchlief die Wall Street 15<br />

Bärenmärkte. 1932 zehrte die<br />

Baisse die Gewinne von 62<br />

Quartalen auf – historischer<br />

Rekord. Dagegen standen<br />

1998 am Ende der Baisse nur<br />

die Käufer von vier Quartalen<br />

mit ihren Aktien unter Wasser.<br />

Im Schnitt gingen in den Bärenmärkten<br />

die Kursgewinne<br />

von 21 Quartalen verloren,<br />

bevor es wieder nach oben<br />

ging. Sollte die Wall Street in<br />

diesem Quartal den Höhepunkt<br />

der 2009 startenden Hausse sehen<br />

und ein neuer Bärenmarkt<br />

beginnen, dann drohte dem<br />

S&P 500 statistisch gesehen ein<br />

Fall auf den Stand <strong>vom</strong> zweiten<br />

Quartal 2009. Gemessen an seinem<br />

durchschnittlichen Indexstand<br />

seit Quartalsbeginn von<br />

1960 Punkten, bedeutete das<br />

für den wichtigsten US-Aktienindex<br />

fast 40 Prozent minus.<br />

Wie viele Quartale mit Preiszuwächsen in vergangenen Bärenmärkten an Wall<br />

Street ausgelöscht wurden<br />

Bärenmarkt bis ...<br />

1932<br />

1938<br />

1942<br />

1958<br />

1962<br />

1967<br />

1970<br />

1974<br />

1978<br />

1982<br />

1987<br />

1990<br />

1998<br />

2003<br />

2009<br />

Durchschnitt<br />

...löschte den Preiszuwachs<br />

von ... Quartalen aus<br />

62<br />

11<br />

30<br />

10<br />

15<br />

12<br />

29<br />

32<br />

12<br />

8<br />

5<br />

13<br />

4<br />

24<br />

48<br />

21<br />

Sollte der S&P 500 im 3. Quartal 2014 einen<br />

Gipfel erreichen, bedeutete das einen Rückgang ...<br />

... auf den Stand von ...<br />

(Quartal/Jahr)<br />

1/1999<br />

4/2011<br />

1/2007<br />

1/2012<br />

4/2010<br />

3/2011<br />

2/2007<br />

3/2006<br />

3/2011<br />

3/2012<br />

2/2013<br />

2/2013<br />

3/2013<br />

3/2008<br />

3/2002<br />

2/2009<br />

1 gemessen an einem Indexstand von 1960 Punkten; Quelle: Marc Faber Ltd.<br />

... um ... Prozent 1<br />

–88<br />

–44<br />

–23<br />

–32<br />

–44<br />

–38<br />

–28<br />

–33<br />

–38<br />

–28<br />

–19<br />

–28<br />

–20<br />

–54<br />

–46<br />

–38<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 85<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

AKTIE Eldorado Gold<br />

Ein Eldorado im Reich<br />

der Mitte<br />

Festhalten!<br />

Hohe Dividende<br />

verhindert den tiefen<br />

Fall von Ölaktien<br />

Loch in China Goldproduzent<br />

erwägt Notierung in Hongkong<br />

Das Nachfassen bei den Aktien<br />

des kanadischen Goldförderers<br />

im Januar hat sich<br />

gelohnt (WirtschaftsWoche<br />

3/2014). Der Aktienkurs von<br />

Eldorado Gold legte seither<br />

um fast 50 Prozent zu. Ein<br />

schöner Zuwachs in einem,<br />

gemessen an den breiten Aktienindizes,<br />

bisher eher mauen<br />

Börsenjahr. Auf lange Sicht<br />

sollte mit der Goldaktie noch<br />

mehr zu holen sein. Mit Blick<br />

auf den zuletzt überdurchschnittlich<br />

guten Lauf der<br />

Aktie könnten Gewinnmitnahmen<br />

den Kurs allerdings<br />

vorübergehend drücken.<br />

Nervenstarke Anleger aber<br />

können mit einer vertretbaren<br />

Position investiert bleiben.<br />

Das Management des an<br />

der Börse aktuell mit sechs<br />

Milliarden Dollar bewerteten<br />

Goldförderers hob das Produktionsziel<br />

für 2014 soeben<br />

auf 790 000 Unzen an. Noch<br />

erfreulicher fiel die Kostenprognose<br />

aus. Die durchschnittlichen<br />

Kosten für<br />

Produktion, Erhaltung, Exploration<br />

und Verwaltung sollen<br />

nun, statt ursprünglich veranschlagt<br />

915 bis 985 Dollar,<br />

nur noch 850 Dollar pro Unze<br />

betragen. Eldorado bestätigt<br />

damit den Status eines der<br />

kostengünstigsten Produzenten<br />

im Goldbergbau. Für den<br />

Bau neuer und die Erweiterung<br />

bestehender Minen will<br />

Eldorado 260 Millionen Dollar<br />

einsetzen. Unter Einrechnung<br />

dieser Summe ergeben<br />

sich Gesamtkosten je geförderter<br />

Unze von etwa 1180 Dollar.<br />

Solange der Goldpreis über dieser<br />

Marke bleibt, fährt Eldorado<br />

also Gewinne ein. Abgebaut<br />

wird Gold aktuell in sechs Minen,<br />

in China (3), der Türkei (2)<br />

und Brasilien (1). In Griechenland<br />

bauen die Kanadier in<br />

einer Mine Silber, Blei und Zink<br />

ab. Außerdem stecken dort zwei<br />

Goldbergwerke in der Bau- und<br />

eines in der Entwicklungsphase.<br />

Außerhalb Griechenlands<br />

entwickelt Eldorado je ein Projekt<br />

in Brasilien, Rumänien und<br />

China. Die wirtschaftlich abbaubaren<br />

Reserven umfassen<br />

insgesamt knapp 28 Millionen<br />

Unzen Gold und 97 Millionen<br />

Unzen Silber.<br />

Das Management erwägt derzeit,<br />

die Aktie auch an der Börse<br />

in Hongkong listen zu lassen.<br />

Dieser Schritt könnte neue<br />

Käuferschichten mobilisieren.<br />

Eldorado ist schließlich mit<br />

seinen drei Minen in China und<br />

einer Jahresproduktion von<br />

etwa 300 000 Unzen der größte<br />

ausländische Goldproduzent<br />

im Reich der Mitte.<br />

Eldorado Gold<br />

ISIN: CA2849021035<br />

18<br />

14<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2012 2013 2014<br />

Kurs/Stoppkurs (in Dollar): 8,48/6,90<br />

KGV 2014/2015: 36,9/32,2<br />

Dividendenrendite (in Prozent): 0,3<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

Hoch<br />

AKTIE Total<br />

Russischer Sturm<br />

im Wasserglas<br />

Die Börsenhausse lief lange<br />

Zeit unter Ausschluss der integrierten<br />

Ölkonzerne. Erst<br />

Ende 2013 änderte sich das<br />

Bild. Big Oil gewann an relativer<br />

Stärke und gehörte im<br />

ersten Halbjahr zu den besten<br />

Sektoren überhaupt. Die Aktie<br />

des französischen Ölkonzerns<br />

Total etwa legte zwischen<br />

Februar und Ende Juni rund<br />

30 Prozent zu. Runter geht es<br />

an der Börse immer schneller<br />

als rauf. Die Total-Aktie verlor<br />

seit Juni 13 Prozent. Sucht<br />

man nach Gründen, dann<br />

findet man einen gewichtigen<br />

in Russland. Dort sind die<br />

Franzosen mit 18 Prozent am<br />

Gasproduzenten Novatek<br />

beteiligt, der seit Juni auf der<br />

Sanktionsliste der EU steht.<br />

Auf die Stimmung drückte zusätzlich<br />

der Ende Juli präsentierte<br />

Quartalsbericht. Wegen<br />

der Unruhen in Libyen, des<br />

Auslaufens einer Förderlizenz<br />

in den Emiraten sowie Wartungsarbeiten<br />

in der Nordsee,<br />

Nigeria und Thailand<br />

schrumpfte die Fördermenge<br />

um zehn Prozent auf 2,05<br />

Millionen Barrel Öläquivalent<br />

pro Tag. Unter anhaltendem<br />

Druck standen die Margen im<br />

Raffineriegeschäft. Unter dem<br />

Strich ging der um Veränderungen<br />

der Lagerbestände bereinigte<br />

Gewinn um zwölf Prozent<br />

zurück, auf 3,15 Milliarden<br />

Dollar. Der Vorstand reagiert<br />

und will neben dem Verkauf<br />

von Unternehmensteilen nun<br />

ein Sparprogramm über drei<br />

Jahre auflegen. Details werden<br />

am 22. September präsentiert.<br />

Die Produktion aber soll schon<br />

in den nächsten Monaten dank<br />

neuer Projekte wieder steigen.<br />

Entlastung bringt auch ein<br />

schwacher Euro. Der Dollar ist<br />

Ölwährung, aber der Ölkonzern<br />

bilanziert in Euro. Zudem lockt<br />

die Dividendenrendite von gut<br />

fünf Prozent.<br />

Total<br />

ISIN: FR0000120271<br />

65<br />

60<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

2005 07 09 11 13 14<br />

Kurs/Stoppkurs (in Euro): 48,00/42,60<br />

KGV 2014/2015: 10,2/9,2<br />

Dividendenrendite (in Prozent): 5,2<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

FOTOS: PR, GLOWIMAGES/IMAGEBROKER<br />

86 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />

Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

CHARTSIGNAL<br />

Fremdbestimmt<br />

Die Anleihemärkte der Euro-Peripherie hängen<br />

maßgeblich ab von der Entwicklung des Euro in Yen.<br />

ANLEIHE KfW<br />

Reale<br />

Chance<br />

Im ersten Halbjahr 2014 wurden<br />

in Europa erstmals mehr<br />

hochverzinsliche Anleihen an<br />

den Markt gebracht als in den<br />

USA. Rund 80 Prozent der<br />

Emissionen kamen aus Griechenland,<br />

Irland, Italien, Portugal<br />

und Spanien. Das wäre<br />

ohne sogenannte Yen-Carry-<br />

Trades nicht möglich gewesen:<br />

Angetrieben durch rekordtiefe<br />

Zinsen in Japan und<br />

die gezielte Abwertung des<br />

Yen haben spekulative Investoren<br />

zinsgünstige Kredite in<br />

Yen aufgenommen und die<br />

Mittel in hochverzinsliche<br />

Staatsanleihen der Euro-Peripherie<br />

angelegt. Dort trugen<br />

sie maßgeblich zu dem aberwitzigen<br />

Renditerückgang<br />

bei. Neben Zins- und Kursgewinnen<br />

lockten zusätzlich<br />

Währungsgewinne. Gegenüber<br />

dem Yen wertete der<br />

Euro seit Sommer 2012 von 96<br />

Yen in der Spitze bis auf 145<br />

Yen Ende 2013 auf. Das Währungsrisiko<br />

für die Spekulanten<br />

war in dieser Phase überschaubar.<br />

Im Kursverlauf des<br />

Euro in Yen bildeten sich 2013<br />

nacheinander eine Flagge, ein<br />

Dreieck und ein ansteigendes<br />

Dreieck aus – allesamt charttechnische<br />

Konsolidierungsformationen,<br />

die nicht eine drohende<br />

Trendumkehr anzeigten,<br />

sondern die baldige Fortsetzung<br />

des bestehenden Trends.<br />

Die Wahrscheinlichkeit einer<br />

Trendumkehr und damit einer<br />

Rückabwicklung der Carry-Trades<br />

ist erst im Mai 2014 gestiegen,<br />

mit dem Fall unter die Aufwärtstrendlinie<br />

T1. Nach der<br />

Ausbildung einer umgekehrten<br />

Untertasse, die eine Verschiebung<br />

der Marktkräfte von der<br />

Nachfrage- hin zur Angebotsseite<br />

anzeigt, droht der Euro<br />

nun unter die Unterstützung<br />

bei 136,26 Yen zu rutschen. An<br />

dieser Marke endete im Februar<br />

die letzte größere Yen-Aufwertung<br />

(1). Wird die Unterstützung<br />

gerissen, dann dürfte der<br />

Trend drehen. Staatsanleihen<br />

der Euro-Peripherie drohte<br />

dann eine Abgabewelle über<br />

die Rückabwicklung von Carry-<br />

Trades. Vorübergehend Entwarnung<br />

gäbe dagegen ein Anstieg<br />

des Euro auf über 140 Yen.<br />

Euro runter, Renditen hoch<br />

Wertet der Euro in Yen weiter ab, droht Staatsanleihen<br />

der Euro-Peripherie eine Abgabewelle<br />

150<br />

145<br />

140<br />

135<br />

130<br />

125<br />

120<br />

115<br />

110<br />

105<br />

100<br />

95<br />

2012<br />

Flagge<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

2013<br />

Dreieck<br />

ansteigendes<br />

Dreieck<br />

T1<br />

1<br />

Euro in Yen<br />

2014<br />

umgekehrte Untertasse<br />

Unterstützung<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

Wer das Risiko scheut, kann<br />

mit Anleihen heute kaum<br />

noch etwas verdienen. In diesem<br />

Umfeld lockt ausgerechnet<br />

die bundeseigene Förderbank<br />

KfW mit der Aussicht auf<br />

eine zweistellige Rendite. Die<br />

KfW genießt – wie die Bundesrepublik<br />

Deutschland – die<br />

Top-Note AAA. Gesichert ist<br />

dadurch aber nur, dass Zinsen<br />

pünktlich gezahlt werden und<br />

die Anleihe am Ende der Laufzeit<br />

im März 2016 auch zu<br />

100 Prozent getilgt wird. Der<br />

Haken: Zinszahlungen und<br />

Rückzahlung erfolgen zwar in<br />

Euro, sind aber gekoppelt an<br />

den zum jeweiligen Zahlungstermin<br />

gültigen Kurs der brasilianischen<br />

Landeswährung<br />

Real in Euro. „Gott ist Brasilianer“,<br />

heißt ein brasilianisches<br />

Sprichwort – ein Garant für einen<br />

stabilen Real ist das aber<br />

noch nicht. Im Moment kostet<br />

ein Euro 3,05 Reais. Wertet der<br />

Real gegenüber dem Euro ab,<br />

schrumpft entsprechend die<br />

Rendite für Besitzer der Anleihe.<br />

Die Rendite geht grob gerechnet<br />

gegen null, wenn ein<br />

Euro am Ende der Laufzeit<br />

etwa 3,60 Reais kostet. Fällt<br />

der Kurs des Real noch weiter,<br />

bedeutet das für Anleiheinvestoren<br />

Verluste. Es gibt<br />

also einen Sicherheitspuffer<br />

von rund 16 Prozent, bevor<br />

es real ins Minus geht. Das<br />

müssen Anleger wissen.<br />

Rund läuft es derzeit nicht<br />

in der größten Volkswirtschaft<br />

Lateinamerikas. Das Wachstum<br />

ist nahezu zum Erliegen<br />

gekommen, während die<br />

Preise mit einer Jahresrate<br />

von 6,5 Prozent steigen. In der<br />

Bevölkerung brodelt es wegen<br />

der Korruption im Staatsapparat<br />

und der immer noch extremen<br />

sozialen Ungleichheit<br />

im Land. In ein kollektives<br />

Kassiert in Euro, nicht in Real<br />

Brasilien-Fußballer David Luiz<br />

Trauma stürzte das Land zudem<br />

die epochale 1:7-Pleite der<br />

Seleção gegen die deutsche Elf<br />

im Halbfinale der Fußball-WM<br />

im eigenen Land. In der vergangenen<br />

Woche kam der Präsidentschaftskandidat<br />

Eduardo<br />

Campos bei einem Flugzeugabsturz<br />

ums Leben.<br />

Anfällig ist der Real vor allem<br />

wegen des hohen brasilianischen<br />

Leistungsbilanzdefizits.<br />

Seit sechs Jahren ist der Saldo<br />

negativ. 2013 lag das Minus bei<br />

etwa 81 Milliarden Dollar oder<br />

3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung.<br />

Brasilien ist angewiesen<br />

auf ausländische Kapitalimporte,<br />

um das Defizit zu finanzieren.<br />

Versiegt dieser Strom oder<br />

dreht sich dieser gar um, drückt<br />

das rasch den Außenwert der<br />

Währung nach unten.<br />

Einer unkontrollierten Abwertung<br />

des Real entgegensteuern<br />

kann die brasilianische Notenbank<br />

allerdings noch durch<br />

den Einsatz der brasilianischen<br />

Währungsreserven. Diese liegen<br />

mit 380 Milliarden Dollar<br />

im komfortablen Bereich. Zudem<br />

wird die Zentralbank mit<br />

weiteren Zinserhöhungen auf<br />

den Inflationsdruck reagieren.<br />

Kurs (%) 94,22<br />

Kupon (%) 6,00<br />

Rendite (%) 10,10<br />

Laufzeit bis 15. März 2016<br />

Währung Brasilianischer Real<br />

ISIN<br />

XS0875150871<br />

FOTO: REUTERS/EDDIE KEOGH<br />

88 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

FONDS Danske Invest Russia<br />

Discounter profitiert<br />

von Sanktionen<br />

Viel und billig Magnit hängt<br />

kleine Lebensmittelhändler ab<br />

Russlands Präsident Wladimir<br />

Putin ließ Importe von<br />

Lebensmitteln aus der EU verbieten.<br />

Das wird die Preise<br />

auf dem russischen Markt<br />

treiben. Hauptprofiteur wird<br />

Handelsriese Magnit sein,<br />

das russische Pendant zu Aldi.<br />

„Magnit ist der effizienteste<br />

Einzelhändler in Russland“,<br />

sagt Fondsmanager Måns<br />

Beckeman von Danske Invest.<br />

Das Gros des Lebensmittelhandels<br />

in Russland laufe<br />

noch über Wochenmärkte<br />

und Kioske. Kleinere Händler<br />

würden nach und nach verschwinden,<br />

Magnit werde<br />

Marktanteile gewinnen.<br />

Die russische Wirtschaft<br />

insgesamt ächzt dagegen unter<br />

den Sanktionen der EU<br />

und der USA. „Die russische<br />

Zentralbank musste den Leitzins<br />

von 5,5 auf 8,0 Prozent erhöhen,<br />

um den Verfall des<br />

Rubel zu stoppen“, sagt Beckeman.<br />

Ein gutes Klima für<br />

Investitionen und Wachstum<br />

sehe anders aus. Sollte sich<br />

die Ukraine-Krise dagegen<br />

friedlich lösen lassen, dürften<br />

vor allem Banken, darunter<br />

Sberbank und VTB sowie die<br />

Energieriesen Rosneft und<br />

Novatek profitieren, die bisher<br />

am stärksten unter den<br />

Sanktionen zu leiden hätten,<br />

so Beckeman.<br />

Branchenübergreifend sollten<br />

vor allem Unternehmen<br />

zulegen, die ihre Produkte<br />

vornehmlich in Russland verkaufen.<br />

Anders sieht es bei<br />

Exporteuren aus: Noch ist der<br />

Rubel schwach und die Kosten,<br />

etwa für Personal, sind niedrig.<br />

Die Preise für exportierte Rohstoffe<br />

in Dollar dagegen sind<br />

stabil. Wenn sich der Rubel<br />

jedoch wieder erholt, sinkt die<br />

Marge der Exporteure.<br />

Russlands Wirtschaft ist nach<br />

wie vor <strong>vom</strong> Rohstoff- und<br />

Energiesektor abhängig. Dabei<br />

geraten andere Branchen häufig<br />

aus dem Fokus von Anlegern.<br />

Zu Unrecht wie Fondsmanager<br />

Beckeman findet.<br />

Besonders attraktiv seien ITund<br />

Softwareunternehmen,<br />

weil der Nachholbedarf auf<br />

dem russischen Markt nach wie<br />

vor im Vergleich zu den westlichen<br />

Industrieländern hoch sei.<br />

Derzeit hält Beckeman unter<br />

anderem Qiwi, ein Unternehmen<br />

für elektronische Bezahlsysteme.<br />

Noch würden in Russland<br />

80 Prozent der Geschäfte<br />

in bar abgewickelt, während es<br />

im Westen nur noch 20 Prozent<br />

sind. Zuletzt jedoch geriet auch<br />

Qiwi unter Druck, so wie die<br />

meisten russischen Aktien, seit<br />

Anfang Juni minus 18 Prozent.<br />

Danske Invest Russia<br />

ISIN: LU0495011024<br />

125<br />

120<br />

115<br />

110<br />

105<br />

100<br />

95<br />

MSCI Russland<br />

90<br />

85<br />

80<br />

2012 13 14<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

auf 100 umbasiert<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

Hoch<br />

Die besten Fonds mit Osteuropa-Aktien<br />

Wie die erfolgreichsten Portfolio-Manager abgeschnitten haben<br />

Fondsname<br />

Russland<br />

Parvest Equity Russia<br />

UBAM Russian Equity<br />

DWS Russia<br />

Renaissance Russian Equity<br />

Danske Invest Russia<br />

CS Equity Russia<br />

Valartis Russian Market<br />

HSBC GIF Russia Equity<br />

UBS ES Russia (USD)<br />

Metzler Russia Fund<br />

Espa Stock Russia<br />

Neptune Russia & Greater Russia<br />

JPM Russia USD<br />

Pictet Russia Index EUR<br />

Pioneer Russia Stock<br />

Jyske Invest Russian Equities<br />

Raiffeisen-Russland-Aktien<br />

SEB Russia C<br />

Pictet Russian Equities<br />

Baring Russia USD<br />

Osteuropa inklusive Russland<br />

E.I. Sturdza Emerging Europe USD<br />

Erste Resp. Stock Europe Emerging<br />

UBS Central Europe<br />

Metzler Eastern Europe B<br />

JB EF Eastern Europe Focus<br />

SEB Eastern Europe Small Cap<br />

Metzler Eastern Europe<br />

GO EAST-INVEST<br />

VB GoEast-Invest<br />

BNY Mellon Eastern Europe<br />

Danske Invest Eastern Europe<br />

PineBridge Emerging Europe<br />

Deka-ConvergenceAktien<br />

Warburg - D - Fonds CEEE Plus<br />

BGF Emerging Europe<br />

Nevsky Eastern European<br />

Templeton Eastern Europe<br />

DWS Osteuropa<br />

Renasset Ottoman<br />

Schroder Emerging Europe<br />

Osteuropa ohne Russland<br />

Avaron Emerging Europe<br />

Danske Invest Trans-Balkan<br />

Metropole Frontière Europe<br />

Qimco Balkan Equity<br />

SEB Eastern Europe ex Russia<br />

Danske Inv. Eastern Europe Conv.<br />

Hypo South Eastern Europe Opp.<br />

RT Osteuropa Aktienfonds<br />

Generali IS Centr. & East. Europe<br />

Aviva Emerging Europe<br />

ISIN<br />

LU0823431720<br />

LU0541091996<br />

LU0146864797<br />

LU0646376573<br />

LU0495011024<br />

LU0348404079<br />

LU0066480616<br />

LU0329931090<br />

LU0399027704<br />

IE00B54VN939<br />

AT0000A05SA6<br />

GB00B60T5S14<br />

LU0215049809<br />

LU0625742753<br />

AT0000668264<br />

DK0016261324<br />

AT0000A07FS1<br />

LU0273119544<br />

LU0338483075<br />

LU0280479329<br />

IE00B62KFX71<br />

AT0000A09YM1<br />

LU0067027168<br />

IE00B42GXQ04<br />

LU0122455131<br />

LU0086828794<br />

IE0000111876<br />

DE0009770172<br />

AT0000A07RX6<br />

LU0093983509<br />

LU0727216755<br />

IE00B12V2T05<br />

LU0133666676<br />

DE000A1JUVR5<br />

LU0252967533<br />

IE0009751193<br />

LU0078277505<br />

LU0062756647<br />

IE00B8G12179<br />

LU0106820292<br />

EE3600108874<br />

LU0249704346<br />

FR0007085808<br />

AT0000A07HY5<br />

LU0070133888<br />

LU0156840208<br />

AT0000495890<br />

AT0000A0PAC4<br />

LU0145471693<br />

LU0274937183<br />

Wertentwicklung<br />

in Prozent<br />

seit 3<br />

Jahren 1<br />

–6,1<br />

–8,4<br />

–8,8<br />

–<br />

–7,2<br />

–11,9<br />

–9,8<br />

–12,0<br />

–11,1<br />

–12,1<br />

–13,4<br />

–10,1<br />

–9,7<br />

–9,4<br />

–9,7<br />

–9,2<br />

–8,8<br />

–11,9<br />

–10,0<br />

–11,0<br />

1,0<br />

–2,4<br />

-5,0<br />

–7,0<br />

–4,3<br />

–8,7<br />

–7,9<br />

–4,9<br />

–9,7<br />

–0,4<br />

–<br />

–4,3<br />

–5,8<br />

–3,7<br />

–3,5<br />

–9,5<br />

–5,9<br />

–<br />

0,8<br />

6,8<br />

3,0<br />

1,3<br />

–7,6<br />

0,0<br />

–0,6<br />

–5,9<br />

–5,0<br />

–1,5<br />

–0,8<br />

seit 1<br />

Jahr<br />

1,2<br />

–0,8<br />

–1,0<br />

–3,5<br />

–3,5<br />

–3,6<br />

–4,2<br />

–4,9<br />

–5,3<br />

–5,4<br />

–5,5<br />

–5,8<br />

–5,8<br />

–6,4<br />

–6,6<br />

–6,8<br />

–6,8<br />

–7,1<br />

–7,3<br />

–7,4<br />

5,5<br />

5,2<br />

4,5<br />

4,2<br />

3,9<br />

3,7<br />

3,2<br />

2,7<br />

1,5<br />

1,1<br />

1,0<br />

0,6<br />

0,0<br />

–0,3<br />

–0,4<br />

–0,4<br />

–0,6<br />

–0,7<br />

–0,7<br />

–1,4<br />

16,5<br />

15,7<br />

12,1<br />

9,9<br />

9,8<br />

7,1<br />

6,6<br />

4,4<br />

3,7<br />

3,1<br />

1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />

(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />

Quelle: Morningstar; Stand: 11. August 2014<br />

Volatilität<br />

2<br />

in<br />

Prozent<br />

25,0<br />

25,0<br />

26,2<br />

–<br />

25,4<br />

33,3<br />

26,3<br />

25,2<br />

27,3<br />

27,5<br />

27,9<br />

24,7<br />

27,0<br />

25,2<br />

27,2<br />

23,4<br />

25,2<br />

25,3<br />

26,7<br />

25,4<br />

13,8<br />

18,6<br />

20,3<br />

23,1<br />

21,6<br />

18,7<br />

23,1<br />

20,4<br />

21,1<br />

21,6<br />

–<br />

23,1<br />

20,9<br />

22,8<br />

20,7<br />

21,0<br />

22,2<br />

–<br />

20,7<br />

13,7<br />

15,8<br />

16,5<br />

13,8<br />

20,0<br />

20,0<br />

11,9<br />

19,6<br />

18,7<br />

19,6<br />

FOTO: BLOOMBERG NEWS/ANDREY RUDAKOV<br />

90 Redaktion Fonds: Heike Schwerdtfeger<br />

Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

Freiheit ist auch nur ein<br />

anderes Wort für Dressur<br />

DIE GESCHICHTE DES BÜROS | Der Soziologe Max Weber sprach vor 100 Jahren <strong>vom</strong><br />

„Gehäuse der Hörigkeit“. Heute ist das Büro ein Spielplatz für Kreative, die sich selbst<br />

kommandieren. Ein Essay über Arbeitsplatzgestaltung im Wandel der Zeiten.<br />

fühl: „Der Mensch ist frei geboren, und<br />

liegt doch five-to-nine in Ketten.“<br />

Natürlich hat es an Versuchen nicht gefehlt,<br />

das Klima der subordinierten Verzwergung<br />

im Büro zu verbessern. Im Gegenteil,<br />

die Geschichte des modernen Arbeitsplatzes<br />

ist geradezu definiert als Geschichte<br />

des andauernden Versuchs, ihn<br />

zu optimieren. Doch je kühner Architektur-Avantgardisten<br />

und Management-Gurus<br />

die Perfektionierung des arbeitsteiligen<br />

Miteinanders auch vorantrieben – heraus<br />

kam am Ende immer nur eine weitere Mode<br />

der humanen Käfig- und Kleingruppenhaltung.<br />

Mehr noch: Folgt man dem US-<br />

Journalisten Nikil Saval, der unlängst eine<br />

neue Biografie des Büros vorgelegt hat, ist<br />

Für Aktenkundige<br />

Kleiner Kanon der Büroliteratur.<br />

Nikil Saval: Cubed<br />

Das neue Standardwerk mit starkem<br />

Fokus auf die Bürolandschaften<br />

nordamerikanischer Prägung (2014)<br />

Christoph Bartmann: Leben im Büro<br />

Kluge Studien über die Pathologien<br />

der modernen Büroarbeit (2012)<br />

Rudolf Braune:<br />

Das Mädchen an der Orga Privat<br />

Roman über Schicksal und<br />

Emanzipation der Frau im Büro (1930)<br />

Robert Walser: Im Bureau<br />

Unübertroffene Miniaturen aus der<br />

Frühzeit des Angestelltenlebens<br />

(um 1910)<br />

Die Welt dreht sich schnell und<br />

immer schneller, verraten uns<br />

die Soziologen, nur im Büro<br />

steht alles still. Kein Fortschritt<br />

nirgends, weit und breit. Der<br />

Mensch hat im vergangenen Jahrhundert<br />

den Fernseher erfunden, den Mond besucht<br />

und das Genom entschlüsselt, allein<br />

sein Angestelltenleben innoviert, das hat er<br />

nicht. „Wenn ich im Büro stehe, werden<br />

meine Glieder langsam zu Holz, das man<br />

sich wünscht, anzünden zu können, damit<br />

es verbrenne“, hat der Schweizer Bankkaufmann<br />

und Riesenschriftsteller Robert Walser<br />

vor 100 Jahren bemerkt – und seine Miniaturen<br />

über den milden Horror aus Kollegialität,<br />

Einpassung und Langeweile im<br />

regelmäßig bezahlten Dienstalltag sind bis<br />

heute unübertroffen. „Wem das saure tägliche<br />

Brot nur so auf den Monatssalärtisch<br />

fällt, der muss sich verpflichtet fühlen,<br />

nach und nach zur kontraktlich regelmäßigen<br />

Maschine zu werden“, schreibt Walser,<br />

„im Ernst: dies ist erste und letzte Aufgabe...<br />

Wer einen Posten besetzt, muss alles<br />

Unpostengemäße wegwischen.“<br />

Dabei ist es bis heute geblieben. Noch<br />

immer riecht die Büroluft nach Anonymität<br />

und Organisation, nach Funktionalität<br />

und Vergemeinschaftung, nach Kreativitätswüste<br />

und liniertem Denken. Ganz<br />

gleich, ob eingepfercht in blickgeschützten<br />

Boxen oder lichtdurchfluteten Aquarien, in<br />

milchverglasten Vorzimmern oder verschließbaren<br />

Zellen, ob Seit an Seit im<br />

Metropolenloft oder eingelassen in die<br />

Weite einer aufgelockerten Bürolandschaft<br />

mit Kaffee-Vollautomat und Schallschutz-<br />

Stellwänden – im Büro beschleicht einen,<br />

frei nach Jean-Jacques Rousseau, das Geder<br />

moderne Arbeitsplatz als doppelte Metapher<br />

für das Versprechen von Freiheit,<br />

Kreativität und Aufstieg in der modernen<br />

Gesellschaft zu deuten – und für den routinierten<br />

Verrat an diesen Idealen. Kein anderer<br />

Arbeitsplatz habe so viele Hoffnungen<br />

in Bezug auf eine (bessere) Zukunft<br />

geweckt – und kein anderer so gründlich<br />

enttäuscht.<br />

VOM KONTOR ZUR BÜROFABRIK<br />

Die Geschichte des modernen Arbeitsplatzes<br />

lässt sich in drei Phasen einteilen. Am<br />

Anfang steht der Kontorist, der dem traditionellen<br />

Einzelkaufmann mit der Erledigung<br />

einfacher Büro- und Verwaltungsarbeiten<br />

zur Hand geht oder als Commis in<br />

einem Bankhaus Korrespondenzen erledigt.<br />

Ihre Schreibtische haben die ersten<br />

Büroarbeiter in Ruf- und Blickweite des<br />

Geschäftsinhabers stehen; das Verhältnis<br />

zum Chef ist persönlich und von Loyalität<br />

getragen. Im Zuge der Spezialisierung entstehen<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts, etwa<br />

in Hamburg, sogenannte Kontorhäuser. Sie<br />

sind die Vorläufer zunehmend arbeitsteilig<br />

organisierter Büros voller Menschen, die<br />

sich dann im Zuge der industriellen Revolution<br />

sowohl räumlich als auch ideell von<br />

den Produktionsstätten lösen: Die Belegschaften<br />

zerfallen in Arbeiter und Angestellte.<br />

Es ist die Geburtsstunde des modernen<br />

Büros, mit Fahrstühlen, Schreibmaschinen,<br />

Telefonen, Leitz-Ordnern – und<br />

dem Statusversprechen „Mittelschicht“.<br />

Gleichwohl: Das Fließbandprinzip des<br />

Taylorismus stellt auch im Büro auf das<br />

Funktionieren eines abstrakten „Systems“<br />

ab: Eine „von oben durchgesetzte Standardisierung<br />

von Methoden“ zielt auf kollekti-<br />

FOTO: ACTION PRESS/COLLECTION CHRISTOPHEL<br />

92 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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ve Effizienzsteigerungen – und nicht auf<br />

die Hebung individueller Potenziale. Die<br />

(leichtere) Büroarbeit geht damals sehr<br />

geometrisch vonstatten, in abgezirkelten<br />

Boxen oder militärisch streng in Reih und<br />

Glied, während man sich in den oberen<br />

Etagen eine reich vertäfelte Isolation leistet<br />

mit Vorzimmerdame, Minibar und Mahagonischreibtisch.<br />

Erst mit der sukzessiven<br />

Umstellung auf eine wissensbasierte Ökonomie,<br />

in der es um die Gewinnung von<br />

Gedanken und Ideen geht, findet seit den<br />

Sechzigerjahren eine Abkehr <strong>vom</strong> Bürosozialismus<br />

alter Schule statt:Von Quickborn<br />

„Playtime“ Filmregisseur Jacques Tati<br />

blickt 1967 in die Zukunft des Büros<br />

how-Transfer gesucht – und niemals gefunden<br />

– wird. Die größten Innovationssprünge<br />

hat der moderne Arbeitsplatz dabei fraglos<br />

im Bereich der Rhetorik erzielt. Im<br />

„Competence Center Workspace Innovation“<br />

des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft<br />

und Organisation (IAO) will man<br />

heute „die Performanz des Unternehmens“<br />

durch „kollaborative Arbeit in Teambüros“<br />

und „räumliche Flexibilität bei der Arbeitsplatzauswahl”<br />

optimieren, durch „Bereiche,<br />

die Inspiration ermöglichen“ und „Zonen“,<br />

in denen „Recreation bereitgestellt“<br />

wird. Anders gesagt: Großraumbüros oh-<br />

aus treten die offenen „Bürolandschaften“<br />

der Gebrüder Eberhard und Wolfgang<br />

Schnelle ihren Siegeszug rund um die Welt<br />

an – und in den USA entsteht das „Action<br />

Office“ von Robert Propst, das der Belegschaft<br />

mit variablen Stellwänden Interaktionsräume<br />

erschließen soll.<br />

Seither ist das Büro eine Art Dauerbaustelle,<br />

auf der die perfekte Balance zwischen<br />

Konzentration und Ruhe sowie Kommunikation<br />

und interkollegialem Know- »<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 93<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

»<br />

Form follows money<br />

Das Effizienzprinzip<br />

verlangt auch auf dem<br />

Parkett „System“<br />

Plug and work Mit dem<br />

Laptop jederzeit bereit,<br />

nur das Beste aus sich<br />

herauszuholen<br />

ne festen Arbeitsplatz, mit geteilter Chaiselongue<br />

für den gezielten Geistesblitz und<br />

Ruheoasen für den effektiven Fünf-Minuten-Schlaf<br />

sind exakt das, was sich deutsche<br />

Spitzenforscher unter dem „Büro der Zukunft“<br />

vorstellen.<br />

Die Nachricht hinter der Nachricht lautet:<br />

Nicht die Büroarbeit selbst soll auf ein höheres<br />

Niveau gehoben werden, sondern die<br />

Proletarisierung der Büroarbeit. Es geht um<br />

die Produktivitätssteigerung von Denkprozessen.<br />

Gewiss, das Fraunhofer-Institut hält<br />

dazu – „je nach Arbeitsanforderung“ – auch<br />

die Implementierung des ein oder anderen<br />

Einzelbüros für geboten, in dem „konzentriertes<br />

selbstständiges Arbeiten“ möglich<br />

ist. Aber natürlich sind diese Einzelbüros für<br />

Mitarbeiter reserviert, die sich durch einen<br />

besonders hohen Grad an Funktionalität<br />

auszeichnen – Spitzenkräfte, die Subordinierten<br />

den Aufbau gutnachbarschaftlicher<br />

Verhältnisse empfehlen, bevor sie sie beim<br />

Herausgehen bitten,<br />

freundlichst die Türe zu<br />

schließen.<br />

Im Kern laufen alle<br />

Argumente für und wider<br />

die Bürolandschaften daher auf die Banalität<br />

hinaus, dass sie vonseiten der Arbeitgeber<br />

befürwortet und vonseiten der<br />

Belegschaft abgelehnt werden. Die Chefs<br />

argumentieren, dass sich mit „Bruttogeschossflächenreduzierungen“<br />

bis zu 20<br />

Prozent der Raumkosten einsparen ließen.<br />

Die Mitarbeiter kontern, dass mit Lärm<br />

und Enge auch Stress und Unzufriedenheit<br />

steigen. Am Ende gibt es meist keinen<br />

Kompromiss, wohl aber einen klaren Gewinner,<br />

meint Nikil Saval. Die Architektur<br />

des Büros folge nicht den Bedürfnissen der<br />

Menschen und auch nicht der Logik der<br />

Funktionalität, sondern allein den Gesetzen<br />

des Geldes: „Form follows money.“<br />

Ein Ort der individuellen Freiheit und<br />

entbundenen Kreativität wird das Büro<br />

deshalb auch in Zukunft nicht sein. Denn<br />

so weitläufig, bunt und leger es auch daherkommt<br />

– bei räumlich konzentrierten<br />

Schreibtisch-Arbeitsplätzen handelt es<br />

sich immer um geistige Legebatterien, deren<br />

Sinn und Zweck darin besteht, dass<br />

Hühner in ihnen nicht ein Ei am Tag, sondern<br />

zwei legen. Architekt Hadi Teherani<br />

hat bereits vor gut zehn Jahren in Hamburg<br />

ein Bürohaus geschaffen, das nicht nur<br />

einladend aussieht, sondern in dem man<br />

sich auch wie zu Hause fühlen soll: Raffiniert<br />

nach außen gesetzte Innenhöfe geben<br />

den Blick frei auf Speicherstadt und<br />

Deichtorhallen und bilden zugleich Inseln<br />

von Privatheit und Intimität. Kein Plädoyer<br />

für das Nichtstun. Sondern Architekturdoping<br />

zur Steigerung der Arbeitslust. Die<br />

schöne, neue Bürowelt steht im Dienst der<br />

Kreativitätssteigerung. Sie spricht das autonome,<br />

sich selbst regierende Bürosubjekt<br />

an, das mit Notebook und Smartphone jederzeit<br />

plug and work-bereit nur das Beste<br />

aus sich herausholt, ob im Büro, auf dem<br />

Flughafen, im Hotel oder zu Hause.<br />

ARBEIT, FREIZEIT – EGAL<br />

Die Ambivalenz der neuen Co-working-<br />

Büros besteht darin, dass Angestellte in ihnen<br />

zu unternehmerisch handelnden Mitarbeitern<br />

befördert und zugleich degradiert<br />

werden. Es geht nicht mehr wie im<br />

Taylorismus um die „Prozesssteuerung von<br />

Arbeitsabläufen“, schreibt Christoph Bartmann<br />

über das neue „Leben im Büro“, sondern<br />

um die Herausforderung von freien<br />

Mitarbeitern, die ihren „größten Wertbetrag<br />

dann erbringen, wenn man sie nicht<br />

lenkt und kaum steuert“. Führung, so Bartmanns<br />

Pointe, habe sich heute „weitestgehend<br />

verinnerlicht:Nie zuvor waren wir so<br />

frei im Büro, und nie zuvor so dressiert“.<br />

Entsprechend löst sich auch die einstmals<br />

klar definierte Büroarchitektur, so Bartmann,<br />

„zusehends in ‚Bürowelten‘ und<br />

Bürosituationen“ auf, die mehrdeutig und<br />

offen sind, die Galerien, Läden oder Cafés<br />

ähneln – und in denen der „Unterschied<br />

zwischen Arbeit und Freizeit tendenziell<br />

aufgehoben ist“.<br />

Kurzum, die neuen Büros können so tun,<br />

als wären sie Nichtbüros, um ihren Zweck<br />

zu erfüllen. Vorbei die „herrlichen Zeiten“,<br />

als normierte Architektur, linierte Flure und<br />

rationalisierte Abläufe noch als etwas Äußerliches<br />

an uns herantraten – und als die<br />

Sichtbarkeit von Konformismus und architektonischer<br />

Sterilität uns noch ein waches,<br />

gegen uns selbst gewendetes Lächeln abrang.<br />

Heute sind wir einen Schritt weiter.<br />

Wir haben das Normierte internalisiert.<br />

Und uns der Logik der Bürowelt geistig angepasst.<br />

Aus freien Stücken, versteht sich. n<br />

dieter.schnaas@wiwo.de | Berlin, christopher schwarz<br />

FOTOS: ACTION PRESS/MICHAEL WALLRATH, MAURITIUS IMAGES/VIEW PICTURES LTD<br />

94 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Kost-Bar<br />

ALLES ODER NICHTS<br />

KLAUS JOST<br />

Vorstand der Sporthandels-<br />

Gruppe Intersport<br />

SUBODH GUPTA: SCHOOL, 2008; FOTOS: STEFAN ALTENBURGER PHOTOGRAPHY ZÜRICH, KURT TAUBE;<br />

CARTOON: DAVID SIPRESS/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />

KUNST IN ST. MORITZ<br />

Riten des Alltags<br />

Das Programm der 7. St. Moritz Art Masters lenkt <strong>vom</strong> 22. bis 31. August den Blick<br />

auf die zeitgenössische Kunst Indiens. Der „Walk of Art“ verbindet 30 Ausstellungsorte<br />

im Engadin: Kirchen, Galerien und Privathäuser, die das Spektrum der<br />

indischen Kunstszene dokumentieren. Dazu gehören Tafelbilder, Skulpturen und<br />

Installationen, die sich mit der Stellung der Frau in der indischen Gesellschaft<br />

und mit den Mythen und Riten des indischen Alltags beschäftigen. Unser Bild zeigt<br />

„School“, eine Installation mit Edelstahlgeschirr und Fußschemeln aus Messing,<br />

von Subodh Gupta. stmoritzartmasters.com<br />

LITERATUR IN ERLANGEN<br />

Poetenfest<br />

Mehr als 80 Schriftsteller und<br />

Literaturkritiker treffen sich <strong>vom</strong><br />

28. bis 31. August beim 34. Erlanger<br />

Poetenfest zu Lesungen und<br />

Diskussionen. Die Porträtabende<br />

sind Ulla Hahn, Navid Kermani<br />

und Joachim Sartorius gewidmet.<br />

An den Lesenachmittagen<br />

im Erlanger Schlossgarten<br />

präsentieren Autorinnen und<br />

Autoren wie Karin Kiwus, Silke<br />

Scheuermann, Reto Hänny und<br />

Sherko Fatah ihre neuen Bücher.<br />

Besondere Gäste des Festivals<br />

sind der diesjährige Büchner-<br />

Preisträger Jürgen Becker und<br />

Kameramann Michael Ballhaus.<br />

poetenfest-erlangen.de<br />

THE NEW YORKER<br />

„Remember stores?“<br />

Aktien oder Gold?<br />

Aktien, da bewegt sich jeden<br />

Tag was.<br />

iPhone oder Blackberry?<br />

Cool oder sicher? Gern beides.<br />

Cabrio oder SUV?<br />

Weniger Wind um die Nase,<br />

dafür mehr Überblick.<br />

Apartment oder Villa?<br />

Unser Haus im Kraichgau, da<br />

ist die Welt noch in Ordnung.<br />

Fitnessstudio oder Waldlauf?<br />

Immer draußen in der Natur,<br />

meistens laufend.<br />

Paris oder London?<br />

Paris zum Essen in der Rue<br />

Paul Bert, London zum Laufen<br />

im Hyde Park.<br />

Dusche oder Wanne?<br />

Kein Warmduscher, dafür klar<br />

in der Ansprache.<br />

Maßschuhe oder Sneakers?<br />

Sportschuhe. Davon habe ich<br />

über 100 Paar, nicht alle beim<br />

Marathon getragen.<br />

Rotwein oder Weißwein?<br />

Lemberger (rot) – am liebsten<br />

im Gasthaus „Zum Lamm“ in<br />

Schwaigern.<br />

Berge oder Meer?<br />

Kreta. Berge und Meer, dazu<br />

historische Entspannung.<br />

Fenster- oder Gangplatz?<br />

Kurz gestreckt am Gang, lang<br />

gestreckt am Fenster.<br />

Tee oder Kaffee?<br />

Kaffee zum Start, Tee am Ziel.<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />

95<br />

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Leserforum<br />

Bald 150 Jahre überdauert und als Wertspeicher bewährt<br />

Aktie des Ludwigshafener Chemiekonzerns BASF<br />

Geld&Börse<br />

Wie viel Rendite über Jahrzehnte<br />

Anleger nach Abzug der Inflation<br />

wirklich herausholen. Heft 32/2014<br />

Unnötig<br />

Ihren Artikel möchte ich schlichtweg<br />

als unnötig bezeichnen. Er<br />

wird auch dadurch nicht besser,<br />

dass Sie sich auf eine Exklusivstudie<br />

der Uni Regensburg berufen.<br />

Sie beleuchten darin<br />

Anlagezeiträume, die mit der<br />

Wirklichkeit nichts zu tun haben.<br />

Der größte Fehler der stets gemacht<br />

wird: Es herrscht ein eklatanter<br />

Unterschied zwischen<br />

Theorie und Praxis. Fakt ist, Anleger<br />

entscheiden nie rational.<br />

Und schon gar nicht in wirtschaftlich<br />

unruhigen Zeiten.<br />

Joachim Hauck, via E-Mail<br />

Neustadt (Rheinland-Pfalz)<br />

Wasser auf die Mühlen<br />

Ihr Artikel war Wasser auf meine<br />

Mühlen. Ich versuche schon<br />

geraume Zeit, die Uni Bayreuth<br />

oder die TH Nürnberg für eine<br />

Studie zu begeistern, in deren<br />

Verlauf die Investition in Siemens-Aktien<br />

das Risiko einer<br />

Investition in Aktien deutlich relativieren<br />

sollte. Jetzt bin ich mir<br />

fast sicher, dass die von Ihnen<br />

zitierte Studie genau dieses Sujet<br />

behandelt.<br />

Mathias Bohn, via E-Mail<br />

P&S Vermögensberatungs AG<br />

Bayreuth<br />

Einblick<br />

Nicht nur Städteplaner sind gefordert.<br />

Auch die Finanzierung des Verkehrs<br />

muss geregelt werden. Heft 33/2014<br />

Lange versäumt<br />

Auch wenn es viel zu spät<br />

kommt, so ist „die Zeit zum<br />

Umlenken“ schon lange überfällig.<br />

Leider ist „der neue<br />

Straßenkampf“ nur ein Teil<br />

der Verkehrsprobleme. Denn<br />

im Wesentlichen leiden wir<br />

heute unter den Versäumnissen<br />

einiger Jahrzehnte falscher<br />

Verkehrspolitik. Was meistens<br />

völlig vergessen wird, ist, dass<br />

nach der Wiedervereinigung<br />

zwar die Verkehrswege im<br />

Osten unabhängig <strong>vom</strong> Bedarf<br />

saniert wurden. Bei der dazu<br />

benötigten Globalplanung hat<br />

man aber völlig übersehen,<br />

dass in der Bundesrepublik eine<br />

Umorientierung <strong>vom</strong> Nord-<br />

Süd-Verkehr auf den Ost-West-<br />

Verkehr erfolgte. Es hat gleichfalls<br />

fast 25 Jahre gebraucht,<br />

bis die dadurch veränderten<br />

Brückenbelastungen zu neuen<br />

Lebensdauerberechnungen<br />

führten. Die damit entstehenden<br />

Bedarfszahlen für neue<br />

Bauwerke und für umfangreiche<br />

Reparaturen sind selbst<br />

mit optimistischen Mautberechnungen<br />

keinesfalls abzudecken.<br />

Dr.-Ing. Kurt Honrath, via E-Mail<br />

Rösrath (Nordrhein-Westfalen)<br />

Seitenblick<br />

Der Südwesten der USA erlebt die<br />

schlimmste Dürre seit 100 Jahren.<br />

Heft 32/2014<br />

Irreführend<br />

Nicht die Spur eines Hinweises<br />

findet sich im Seitenblick auf<br />

die Frage, die sich der Leser<br />

stellt, wohin die anderthalbfache<br />

Menge des kompletten<br />

Bodensees aus dem Colorado-<br />

Becken „verschwunden“ ist.<br />

Dies, obwohl die Erklärung auf<br />

der Hand liegt – nämlich im<br />

exzessiven Ressourcenverbrauch<br />

der USA, der sie zu traurigen<br />

Weltmeistern beim<br />

Pro-Kopf-Strom- oder -Wasserverbrauch<br />

macht.<br />

Reiner Block, via E-Mail<br />

Geschäftsführer des TÜV Hessen<br />

Darmstadt<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Wie wirken die Sanktionen des<br />

Westens auf die russische Wirtschaft?<br />

Heft 32/2014<br />

Differenziertes Bild<br />

Seit Wochen wird in den Medien<br />

verbreitet, Putin sei ein<br />

Übeltäter und für das Geschehen<br />

in der und um die Ukraine<br />

verantwortlich. Es wäre doch<br />

sehr angebracht, ein differenzierteres<br />

Bild von den Ereignissen<br />

in der Ukraine zu zeichnen.<br />

Über die Zielsetzung der USA,<br />

der Nato und der EU kein Wort.<br />

Zbigniew Bredzinski, Stratege<br />

und Berater von US-Administrationen,<br />

hat die Marschrichtung<br />

des Westens vorgegeben:<br />

Wer Eurasien beherrscht, beherrscht<br />

die Welt. Russland ist<br />

zu schwächen und zu einem<br />

Randstaat zu degradieren. Diese<br />

Strategie ist in den letzten<br />

Jahren durch die USA und ihre<br />

Verbündeten verfolgt worden.<br />

Jeder sollte sich die Frage stellen:<br />

Wie würden die USA anstelle<br />

Russlands reagieren?<br />

Hartwig Jäger, via E-Mail<br />

Rostock<br />

In die Ecke gedrängt<br />

Während die EU trotz der<br />

menschenrechtsverachtenden<br />

NSA-Skandale weiterhin eine<br />

Grundlage für Verhandlungen<br />

über ein Freihandelsabkommen<br />

mit den USA sieht, drängt<br />

sie den russischen Präsidenten<br />

Wladimir Putin völlig in die<br />

Ecke, ohne scheinbar einzusehen,<br />

dass auch sie in der Ukraine-Politik<br />

Fehler gemacht<br />

hat. Das Verhältnis zu Russland<br />

erinnert aktuell an düsterste<br />

Sowjetzeiten. Spätestens die<br />

neue EU-Kommission unter<br />

Leitung von Jean-Claude Juncker<br />

muss gegenüber Russland<br />

für Entspannung sorgen.<br />

Holger Voss, via E-Mail<br />

Berlin<br />

Geld&Börse<br />

Delisting: Ein spektakuläres Urteil erleichtert<br />

es Unternehmen, sich von der<br />

Börse zu verabschieden. Heft 27/2014<br />

Todesstoß<br />

Die oberste Rechtsprechung<br />

hat mit dem Urteil des Bundesgerichtshofes<br />

einen Freibrief ausgestellt,<br />

den immer mehr Firmen<br />

zulasten der freien Aktionäre<br />

nutzen. Für den Finanzplatz<br />

Deutschland, mit einer ohnehin<br />

nie sonderlich ausgeprägten Aktienkultur,<br />

ist das der Todesstoß.<br />

Dass der Gesetzgeber hier zeitnah<br />

handeln wird, erscheint fraglich.<br />

Auch ich bin Opfer einer Delisting-Enteignung<br />

geworden.<br />

Die Delisting-Ankündigung der<br />

nur an der Börse Hamburg notierten<br />

und de facto nicht mehr<br />

handelbaren OMS AG hat mich<br />

kalt erwischt, zumal der Vorstand<br />

zugesichert hatte, an der Notierung<br />

festhalten zu wollen. Verluste<br />

im Aktienhandel muss man<br />

eben auch in Kauf nehmen, aber<br />

bitte schön nicht auf die nunmehr<br />

erfahrene Art.<br />

Norbert Starke, via E-Mail<br />

Niesky (Sachsen)<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Schreibers wieder, die nicht mit der<br />

Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />

muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />

WirtschaftsWoche<br />

Postfach 10 54 65<br />

40045 Düsseldorf<br />

E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />

Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />

um Angabe Ihrer Postadresse.<br />

FOTO: BASF<br />

96 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Firmenindex<br />

Hervorgegangen aus<br />

DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />

Gegründet 1926<br />

Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />

Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />

40045 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />

(für Briefe)<br />

40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />

(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />

Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />

REDAKTION<br />

Chefredakteur Roland Tichy<br />

Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />

Franz W. Rother<br />

Geschäftsführende Redakteurin/Chefin <strong>vom</strong> Dienst<br />

Angela Kürzdörfer<br />

Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />

Chefreporter Dieter Schnaas<br />

Chefreporter international Florian Willershausen<br />

Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />

Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />

Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />

Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />

Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />

Jürgen Berke, Mario Brück, Rebecca Eisert, Henryk Hielscher,<br />

Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Peter Steinkirchner,<br />

Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz,<br />

Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen,<br />

Management: Julia Leendertse*<br />

Technik & Wissen Lothar Kuhn; Thomas Kuhn, Dieter Dürand<br />

(Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor)*, Susanne Kutter,<br />

Andreas Menn, Jürgen Rees<br />

Management & Erfolg Manfred Engeser; Lin Freitag, Kristin Schmidt,<br />

Claudia Tödtmann<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />

Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Sebastian Kirsch,<br />

Dr. Anton Riedl<br />

Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />

Dr. Christopher Schwarz (Reporter)<br />

Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />

Claudia Immig, Horst Mügge<br />

Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />

Syndication wiwo-foto.de<br />

Bildbearbeitung Uwe Schmidt<br />

Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />

Carsten Stollmann, Gerd Weber<br />

Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />

Produktion Markus Berg, Ute Jansen, Petra Jeanette Schmitz<br />

BÜROS<br />

Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />

Christian Schlesiger, Dieter Schnaas, Cordula Tutt (Autorin)<br />

Askanischer Platz 3, 10963 Berlin,<br />

Fon (030) 61686–121, Fax (030) 61686–170<br />

Brüssel Silke Wettach*, 13b, Av. de Tervuren, B-1040 Bruxelles,<br />

Fon (00322) 2346452, Fax (00322)2346459<br />

E-Mail silke.wettach@wiwo.de<br />

Frankfurt<br />

Melanie Bergermann (Reporterin), Florian Zerfaß<br />

Unternehmen & Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp,<br />

Politik & Weltwirtschaft Angela Hennersdorf<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />

Eschersheimer Landstraße 50, 60322 Frankfurt<br />

Fon (069) 2424–4903, Fax (069) 2424594903<br />

London Yvonne Esterházy*, 1 Mansel Road,<br />

London SW19 4AA, Fon (0044) 2089446985,<br />

E-Mail yvonne.esterhazy@wiwo.de<br />

München Matthias Kamp, Nymphenburger Straße 14,<br />

80335 München, Fon (089) 545907–28, Fax (0211) 887–978718<br />

New York Martin Seiwert, 44 Wall Street, 7 th floor, Suite 702,<br />

New York, NY 10005, Fon (001) 6465900672<br />

E-Mail martin.seiwert@wiwo.de<br />

Paris Karin Finkenzeller*, 21 Boulevard de la Chapelle,<br />

75010 Paris, Fon (0033) 695929240<br />

E-Mail karin.finkenzeller@wiwo.de<br />

São Paulo Alexander Busch*, R. Otavio de Moraes<br />

Dantas, N.° 15, apto. 04 – Vila Marina, CEP 04012–110<br />

São Paulo, Brasilien, Fon/Fax (005511) 50281112,<br />

E-Mail alexander.busch@wiwo.de<br />

Shanghai Philipp Mattheis*, 100 Changshu Lu, No 2/App. 105,<br />

200040 Shanghai,<br />

Fon (0086137) 64118414,<br />

E-Mail philipp.mattheis@wiwo.de<br />

Silicon Valley Matthias Hohensee*, 809 B Cuesta Drive # 147,<br />

Mountain View, CA 94040,<br />

Fon (001650) 9629110,<br />

E-Mail matthias.hohensee@wiwo.de<br />

Tokio Martin Fritz*, c/o Foreign Correspondents’ Club of Japan<br />

Yurakucho Denki North Building 20F, Yurakucho 1–7–1, Chiyoda-ku,<br />

100–0006 Tokyo, Japan<br />

Fon/Fax (008150) 36435446,<br />

E-Mail martin.fritz@wiwo.de<br />

(*Freie/r Mitarbeiter/in)<br />

Verantwortlich für diese <strong>Ausgabe</strong> i.S.d.P.<br />

Konrad Handschuch (Politik&Weltwirtschaft, Der Volkswirt),<br />

Stephanie Heise (Unternehmen&Märkte), Hauke Reimer<br />

(Geld&Börse), Manfred Engeser (Management&Erfolg),<br />

Thorsten Firlus (Perspektiven&Debatte), Hermann J. Olbermann<br />

(Menschen der Wirtschaft), Lothar Kuhn (Technik&Wissen)<br />

ONLINE<br />

Leitung Franziska Bluhm<br />

Stellvertretende Leitung Dr. Silke Fredrich<br />

Chef <strong>vom</strong> Dienst Daniel Rettig<br />

Redaktion Stephan Happel, Kathrin Grannemann, Ferdinand Knauß,<br />

Saskia Littmann, Meike Lorenzen, Tim Roman Rahmann, Jana Reiblein,<br />

Sebastian Schaal, Andreas Toller<br />

E-Mail online@wiwo.de<br />

VERLAG<br />

Handelsblatt GmbH<br />

(Verleger im Sinne des Presserechts)<br />

Geschäftsführung Gabor Steingart (Vorsitzender), Frank Dopheide,<br />

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Abonnement/Vertriebsservice<br />

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(gegen Nachweis) 232,90 Euro, zuzüglich MwSt. in den EU-Ländern.<br />

Luftpostzuschläge auf Anfrage.<br />

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WirtschaftsWoche im Rahmen ihres Mitgliedsbeitrages geliefert:<br />

Bundesverband deutscher Volks- und Betriebswirte e.V. (bdvb);<br />

studentische Mitglieder des Bundesverbandes der Börsenvereine an<br />

Deutschen Hochschulen (BVH); EWH – Europäischer Wirtschaftsverband<br />

für Handelsvermittlung und Vertrieb e.V.; Young Professionals<br />

des BME – Bundesverband Materialwirtschaft; Einkauf und Logistik<br />

e.V., b.b.h. – Bundesverband selbstständiger Buchhalter und Bilanzbuchhalter;<br />

JCNetwork e.V.<br />

Die Mitglieder der folgenden Verbände/Vereine erhalten die<br />

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BDIVWA; Landesarchitektenkammern; VDE – Verband der Elektrotechnik,<br />

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Printed in Germany.<br />

ISSN 0042–8582.<br />

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Die Angaben bezeichnen den<br />

Anfang des jeweiligen Artikels<br />

A<br />

Adidas......................................................................85<br />

Airbnb......................................................................65<br />

Aldi............................................................................ 9<br />

Alstin....................................................................... 68<br />

Amazon..............................................................70, 72<br />

Apple........................................................... 38, 70, 72<br />

Audi......................................................................... 58<br />

B<br />

Baidu....................................................................... 72<br />

Bain & Company................................................. 38, 43<br />

Bank für Vermögen................................................... 80<br />

Barmenia................................................................. 80<br />

BASF..................................................................38, 58<br />

Batten & Company....................................................55<br />

BCA......................................................................... 80<br />

Beats....................................................................... 72<br />

Berggruen Holdings.................................................... 8<br />

Blackberry..........................................................49, 70<br />

BMW............................................................ 11, 38, 46<br />

Boeing......................................................................38<br />

Bosch-Rexroth..........................................................38<br />

Boss.........................................................................55<br />

Boston Consulting Group...........................................38<br />

Bridgestone..............................................................64<br />

C<br />

Capnamic.................................................................72<br />

Car2Go.....................................................................46<br />

Caterpillar................................................................ 38<br />

China Mobile............................................................ 72<br />

Cinemaxx................................................................. 12<br />

Citroën.....................................................................46<br />

Civity........................................................................46<br />

Claas........................................................................24<br />

Close Brothers Seydler..............................................11<br />

Coca-Cola........................................................... 70, 72<br />

Coinbau......................................................................9<br />

Commerzbank...................................................... 9, 16<br />

Création Gross......................................................4, 14<br />

D<br />

Daimler.............................................................. 38, 46<br />

Deezer..................................................................... 72<br />

DEG......................................................................... 62<br />

Dell.......................................................................... 62<br />

Deutsche Annington................................................. 11<br />

Deutsche Bahn................................................... 10, 11<br />

Deutsche Bank..................................................... 9, 52<br />

Deutsche Telekom.................................................... 49<br />

DMG Mori Seiki...................................................24, 38<br />

Dow Chemical...........................................................38<br />

DriveNow,................................................................ 46<br />

Dunlop..................................................................... 64<br />

Dürr......................................................................... 24<br />

E<br />

Eaze.........................................................................65<br />

Ebay...........................................................................9<br />

Ecorys......................................................................43<br />

Edeka...................................................................9, 10<br />

Eldorado Gold...........................................................86<br />

EnBW.......................................................................11<br />

Enercon....................................................................11<br />

Exxentis................................................................... 58<br />

F<br />

Facebook............................................................68, 72<br />

Ferrari......................................................................58<br />

Fidelity.....................................................................72<br />

Flightright.................................................................12<br />

Ford......................................................................... 10<br />

Forrester.................................................................. 72<br />

G<br />

General Electric........................................................ 38<br />

GfK...........................................................9, 12, 16, 72<br />

Globalfoundries.......................................................... 9<br />

Goldman Sachs.........................................................72<br />

Goodyear..................................................................64<br />

Google....................................................65, 68, 70, 72<br />

Greatech.................................................................. 72<br />

H<br />

Hankook...................................................................64<br />

Albert Heijn.............................................................. 10<br />

Henkel.....................................................................58<br />

HSBC....................................................................... 16<br />

HSE24......................................................................66<br />

Hulu.........................................................................72<br />

I<br />

IBM..........................................................................12<br />

Ideal Lebensversicherung..........................................80<br />

Ideo......................................................................... 72<br />

IKB...........................................................................16<br />

ISP Finanz................................................................ 79<br />

J<br />

Jung, DMS&Cie.........................................................80<br />

K<br />

Karstadt..................................................................... 8<br />

KfW..............................................................62, 66, 88<br />

Kia........................................................................... 12<br />

Kion......................................................................... 11<br />

Kirch........................................................................ 52<br />

Kirin.........................................................................58<br />

Klöckner & Co...........................................................38<br />

KraussMaffei Technologies....................................... 38<br />

Kuka........................................................................ 38<br />

Kumho..................................................................... 64<br />

L<br />

L’Oréal..................................................................... 58<br />

Laffcomp..................................................................58<br />

Lancom Systems.......................................................11<br />

Landesbank Baden-Württemberg.............................. 11<br />

Lidl.............................................................................9<br />

Linde........................................................................38<br />

Loesche................................................................... 38<br />

M<br />

Mars........................................................................ 58<br />

McKinsey................................................................. 72<br />

Merrill Lynch............................................................ 52<br />

Michelin................................................................... 64<br />

Microsoft..................................................................65<br />

Motorola.................................................................. 38<br />

Moving Image 24...................................................... 72<br />

Multicity...................................................................46<br />

N<br />

Napster....................................................................72<br />

Nautilus Hausboote.................................................... 9<br />

Nestlé................................................................ 58, 70<br />

Netflix...................................................................... 72<br />

Netfonds.................................................................. 80<br />

Niles-Simmons......................................................... 24<br />

Nissan......................................................................10<br />

Nokia....................................................................... 70<br />

Nomura....................................................................52<br />

O<br />

Öger-Tours................................................................66<br />

P<br />

PayPal........................................................................9<br />

Penny.........................................................................9<br />

Pew Research Center................................................65<br />

Pohltec Metalfoam....................................................58<br />

R<br />

Rational....................................................................11<br />

RealNetworks...........................................................72<br />

Rewe....................................................................9, 10<br />

Rhapsody................................................................. 72<br />

Rocket Internet.........................................................66<br />

S<br />

Samsung.................................................................. 58<br />

Scout 24.................................................................. 12<br />

6wunderkinder......................................................... 66<br />

Secunet....................................................................49<br />

Secusmart................................................................49<br />

Seven Ventures.........................................................68<br />

Sevmash.................................................................. 58<br />

SGL Carbon.............................................................. 11<br />

SHW.........................................................................24<br />

Siemens............................................................. 38, 44<br />

Signa..........................................................................8<br />

Signal Iduna............................................................. 80<br />

Simfy....................................................................... 72<br />

Sixt.......................................................................... 46<br />

Songza..................................................................... 72<br />

Sony Music...............................................................72<br />

Soundcloud.............................................................. 72<br />

Spotify..................................................................... 72<br />

Starbucks.................................................................58<br />

Stihl......................................................................... 24<br />

Stiller & Hohla Immobilientreuhänder........................ 82<br />

Sturm, Ruger & Co...................................................... 6<br />

Stuttgarter Versicherung...........................................80<br />

Sumitomo Demag..................................................... 38<br />

T<br />

Taka-Taka Solutions.................................................. 62<br />

TBF Asset Management............................................ 72<br />

Tchibo........................................................................9<br />

Techcrunch.............................................................. 69<br />

Telefónica................................................................ 11<br />

ThyssenKrupp...........................................................38<br />

Total.........................................................................86<br />

Toyota......................................................................10<br />

Trumpf............................................................... 16, 38<br />

Twitter......................................................................72<br />

U<br />

Uber.........................................................................65<br />

Unitymedia...............................................................11<br />

Univerma..................................................................79<br />

Universal..................................................................72<br />

V<br />

Vapiano....................................................................10<br />

Vattenfall..................................................................43<br />

Viva..........................................................................72<br />

Vivendi.....................................................................72<br />

Vodafone..................................................................11<br />

Volks- und Raiffeisenbank...........................................9<br />

Volkswagen.................................................. 11, 24, 38<br />

Volkswohl Bund........................................................ 80<br />

Vox...........................................................................66<br />

Vue International...................................................... 12<br />

W<br />

Warner Music........................................................... 72<br />

Wirtgen-Gruppe........................................................38<br />

Y<br />

Yahoo.......................................................................72<br />

Yammer....................................................................65<br />

Youtube....................................................................65<br />

Z<br />

Zalando....................................................................66<br />

Ziel-Abegg................................................................24<br />

WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 97<br />

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Ausblick<br />

„Wir brauchen das<br />

,Girokonto für jedermann‘.<br />

Jeder sollte das Recht<br />

auf ein Basiskonto haben.“<br />

Heiko Maas<br />

Bundesverbraucherminister (SPD)<br />

„Die Arbeitswelt kann nicht<br />

erwarten, dass die Familien<br />

immer flexibler werden.<br />

Es muss umgekehrt sein:<br />

Die Wirtschaft muss sich auch<br />

endlich den Bedürfnissen<br />

der Familien anpassen.“<br />

Manuela Schwesig<br />

Bundesfamilienministerin (SPD)<br />

„Solch realitätsferne Ideen<br />

können sich nur dekadente<br />

Gesellschaften leisten.“<br />

Michael Fuchs<br />

Vize der CDU/CSU-Fraktion, über den<br />

Vorschlag der SPD, wonach Arbeitgeber,<br />

ihre Mitarbeiter nach Feierabend<br />

nicht mehr kontaktieren sollen<br />

„Es könnte nicht schaden,<br />

wenn es insgesamt<br />

im Bundestag wieder mehr<br />

Menschen gibt, die in<br />

der Wirtschaft Verantwortung<br />

getragen haben.“<br />

Eric Schweitzer<br />

Präsident des Deutschen Industrieund<br />

Handelskammertages (DIHK),<br />

„Wir müssen Kurden, die einen<br />

Kampf gegen einen neu entstehenden<br />

Terrorstaat führen,<br />

Dinge liefern, die sie brauchen.“<br />

Karl-Georg Wellmann<br />

CDU-Außenpolitiker<br />

„Die Zukunft vieler<br />

Arbeitsplätze in Deutschland<br />

entscheidet sich an der<br />

internationalen Konkurrenzfähigkeit<br />

der Unternehmen.“<br />

Brun-Hagen Hennerkes<br />

Vorstand der Stiftung<br />

Familienunternehmen<br />

„Heute wird wirtschaftlicher<br />

Erfolg durch effiziente<br />

internationale Zusammenarbeit<br />

vorangetrieben.“<br />

Wladimir Putin<br />

russischer Präsident, über das<br />

russisch-amerikanische Milliardenprojekt<br />

der beiden Energiekonzerne<br />

Rosneft und ExxonMobil<br />

im Nordpolarmeer<br />

„Das Ganze war<br />

kein fragwürdiges Geschäftsmodell,<br />

sondern ein von<br />

Idealismus getragenes<br />

Engagement finanzieller Art.“<br />

Christine Haderthauer<br />

Chefin der bayrischen Staatskanzlei<br />

(CSU), zum Vorwurf der Steuerhinterziehung<br />

gegen sie und ihren Ehemann<br />

Hubert in der Modellbau-Affäre<br />

„Gelegentlich kann man sich<br />

des Eindrucks nicht<br />

erwehren, als wäre die Rede auf<br />

der Hauptversammlung<br />

ein lästiger oder unangenehmer<br />

Pflichttermin.“<br />

Frank Brettschneider<br />

Kommunikationswissenschaftler an<br />

der Universität Stuttgart-Hohenheim<br />

„Ich habe eine egozentrische<br />

Art, mein Geld zu verdienen,<br />

aber sie ist erfolgreich.“<br />

„Waffenlieferungen Deutschlands<br />

in einer akuten militärischen<br />

Konfliktsituation würden<br />

eindeutig gegen die Richtlinien<br />

für Waffenexporte verstoßen.“<br />

Norbert Röttgen<br />

Vorsitzender des Auswärtigen<br />

Ausschusses im Bundestag (CDU)<br />

„Das Ganze ist eben ein<br />

bisschen wie beim Golf. Erst übt<br />

man, die kurzen Bälle ins<br />

Loch zu kriegen. Und wenn das<br />

klappt, kommen die langen.“<br />

Sigmar Gabriel<br />

Bundeswirtschaftsminister (SPD),<br />

über seine Strategie, seine Ziele<br />

möglichst geräuschlos zu erreichen<br />

»Alle Menschen mit<br />

niedrigen Einkommen sollten Gutscheine<br />

erhalten, die sie für Urlaubsreisen<br />

einlösen können. Ich denke, eine Höhe<br />

von 500 Euro ist angemessen.«<br />

Katja Kipping<br />

Parteichefin der Linken<br />

Niki Lauda<br />

Chef des Mercedes-Teams und<br />

ehemaliger Formel-1-Weltmeister<br />

„Es ist ein Supercomputer<br />

von der Größe einer Briefmarke<br />

und dem Gewicht.“<br />

Dharmendra Modha<br />

Chefentwickler von IBM,<br />

über einen neuen Chip, der fühlen,<br />

schmecken und hören kann<br />

„Ich liebe Dosenbier! Wenn<br />

die Dose richtig schön kalt ist<br />

und dann macht die beim<br />

Öffnen so ,zisch‘... herrlich!“<br />

Catharina Cramer<br />

Chefin der Warsteiner-Brauerei<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

98 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />

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