Wirtschaftswoche Ausgabe vom 18.08.2014 (Vorschau)
Verwandeln Sie Ihre PDFs in ePaper und steigern Sie Ihre Umsätze!
Nutzen Sie SEO-optimierte ePaper, starke Backlinks und multimediale Inhalte, um Ihre Produkte professionell zu präsentieren und Ihre Reichweite signifikant zu maximieren.
34<br />
18.8.2014|Deutschland €5,00<br />
3 4<br />
4 1 98065 805008<br />
Gründer-Casting<br />
So finden Start-ups Investoren<br />
Musik, Filme, TV im Web<br />
Streaming-Dienste als Geldanlage<br />
Auf der Kippe<br />
Wie heftig wird der Konjunkturabschwung?<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Einblick<br />
Die Regierung hat die Finanzreserven in Rekordtempo<br />
verpulvert. Leider kommt auch der Konjunkturknick<br />
viel schneller als gedacht. Von Henning Krumrey<br />
Winterschlaf wäre schön<br />
FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Kennen Sie den Unterschied zwischen<br />
der Vorgängerregierung<br />
und der großen Koalition? Bei<br />
Schwarz-Gelb wäre man froh gewesen,<br />
wenn sie ihren Koalitionsvertrag<br />
umgesetzt hätten.<br />
Während das frühere Kabinett in sturer<br />
Arbeitsverweigerung versprochene Reformen<br />
liegen ließ oder aus taktischem Ungeschick<br />
im Bundesrat scheiterte, haben die<br />
neuen Partner bereits in ihrem ersten Regierungsjahr<br />
vieles erledigt, was sie gemeinsam<br />
aufgeschrieben hatten. Eine gute<br />
Nachricht ist das freilich nur für jene, die<br />
politische Verlässlichkeit höher schätzen<br />
als ökonomische Vernunft.<br />
Das AVG und das BuStEG sind bereits<br />
verabschiedet. Kennen Sie nicht? Doch,<br />
heißt offiziell nur anders. Das Arbeitsplatzvernichtungsgesetz<br />
firmiert gemeinhin unter<br />
„Mindestlohn“, das Beitrags- und Steuererhöhungsgesetz<br />
bringt die Rente mit 63<br />
und die Mütterrente. Natürlich ist es legitim<br />
(und von der Mehrheit der Wähler gewünscht),<br />
derlei teure Vorhaben durchzusetzen.<br />
Redlich wäre es freilich, auch die<br />
wahren Kosten in Form von Jobverlusten<br />
und weniger verfügbarem Einkommen<br />
durch höhere Rentenbeiträge jetzt und höhere<br />
Steuern ab 2017 offen zu benennen.<br />
Entlastung für Betriebe und Beschäftigung<br />
ist dagegen kaum in Sicht. Weder bei<br />
den Kosten für Formulare und Bürokratie<br />
(im vergangenen Jahr wieder 1,5 Milliarden<br />
Euro mehr) noch beim Mehrwertsteuer-Wirrwarr.<br />
Bald dürfte das Bundesverfassungsgericht<br />
die Bevorzugung von<br />
Betrieben bei der Erbschaftsteuer kippen –<br />
und damit eine neue Gefahr für Familienunternehmen<br />
heraufbeschwören. Um den<br />
Abbau der kalten Progression wird derweil<br />
ein jämmerlicher Schaukampf aufgeführt,<br />
bei dem am Ende nichts herauskommt –<br />
außer Enttäuschung beim Durchschnittsbürger,<br />
der unter dem Abkassieren stärker<br />
leidet als ein Besserverdiener.<br />
Die bisherige Schönwetterpolitik steht<br />
im scharfen Kontrast zu den Gewitterwolken<br />
am Horizont: Kippt die Konjunktur,<br />
geht der großen Koalition das Geld aus.<br />
Dann sprudeln die Steuern langsamer, steigen<br />
die <strong>Ausgabe</strong>n für Arbeitslosigkeit, beklagen<br />
die Krankenkassen Löcher. Die finanziellen<br />
Rücklagen hat die Regierung in<br />
ebenso atemberaubendem Tempo verpulvert,<br />
wie sie neue Gesetze verabschiedete.<br />
Dieses Jahr wird das Wachstum noch<br />
ganz leidlich sein. Dass es 2015 und 2016<br />
magerer wird, sieht man nicht in der Statistik,<br />
wohl aber in den Auftragsbüchern. Die<br />
Orders brechen weg, durch Krisen und<br />
Kriege vor der Haustür, durch Wackelbörsen<br />
und wiederkehrende Euro-Skepsis.<br />
OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE<br />
Ein Ende der geopolitischen Schrecken ist<br />
nicht in Sicht. Man ahnt, wie es weitergeht,<br />
selbst wenn die Brutalo-Terrororganisation<br />
IS vernichtet würde: Dann werden die <strong>vom</strong><br />
Westen aufgerüsteten Kurden nicht ruhen,<br />
bis sie – quasi als Belohnung für den Einsatz<br />
gegen die Islamisten – einen eigenen<br />
Kurdenstaat im Nordirak ausgerufen haben.<br />
Das werden weder die irakische Zentralregierung<br />
noch die Nachbarn Türkei,<br />
Syrien und Iran mit ihren kurdischen Minderheiten<br />
hinnehmen. Dass es keine<br />
schnelle Perspektive für die Ukraine oder<br />
für die Konflikte im arabischen Raum oder<br />
in Afrika gibt, weiß jeder.<br />
Schon wackelt Schäubles schwarz-rote<br />
Null im Bundeshaushalt 2015. Trotzdem<br />
bereitet die Koalition unverdrossen die<br />
nächsten Wunderwerke deutscher Regierungskunst<br />
vor: Einschränkung der Zeitarbeit,<br />
Beschneiden der Werkverträge. Die<br />
Versorgung und Bezahlung von Behinderten<br />
soll besser werden – menschlich löblich,<br />
aber auch hier geht es am Ende eher<br />
um zehn als um fünf Milliarden Euro. Dann<br />
kommt die Lebensleistungsrente. Die ist<br />
nicht nur unbezahlbar, sondern auch ungerecht<br />
gegenüber all jenen, die nur wenig<br />
mehr als die garantierten 850 Euro Rente<br />
bekommen, aber stets gearbeitet haben.<br />
Eines ist gewiss: Sozialministerin Andrea<br />
Nahles, die schon die Rentenverteuerung<br />
und den Mindestlohn auf den Weg gebracht<br />
hat, wird sich nach diesen Herkula-<br />
Taten nicht bis zur nächsten Bundestagswahl<br />
in den sozialpolitischen Winterschlaf<br />
begeben. Dabei täte das uns allen gut. n<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 3<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
6 Seitenblick Aufrüstung der US-Bürger<br />
8 Karstadt: Letzte Hoffnung Österreich<br />
9 Sparkassen: Allein gegen PayPal |<br />
Aldi: Umsatz verloren<br />
10 Nissan: Aufstieg in die Champions League |<br />
Interview: Bahn-Manager André Zeug lockt<br />
Rewe und Edeka in die Bahnhöfe<br />
11 Internet:Routerzwang vor dem Aus |<br />
SGL:Abstieg droht | Windenergie: Laues<br />
Lüftchen im grünen Ländle<br />
12 Chefsessel | Start-up Flightright<br />
14 Chefbüro Peter Gross, Chef des Herrenmodeherstellers<br />
Création Gross<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
16 Konjunktur Russland-Krise und schwacher<br />
Euro-Raum bringen die deutsche Wirtschaft<br />
in Schieflage | Wie der Mittelstand unter der<br />
Embargo-Politik leidet<br />
26 Euro-Krise Politiker und Gewerkschaften<br />
wehren sich gegen den Griff der EU in die<br />
deutsche Arbeitslosenkasse<br />
30 Großbritannien Nach einer Abspaltung<br />
hoffen schottische Nationalisten auf großen<br />
Reichtum aus dem Nordsee-Öl<br />
33 Global Briefing | Berlin intern<br />
Titel Konjunktur auf der Kippe<br />
Die schwache Weltwirtschaft, die Russland-Krise<br />
und Probleme in der Euro-<br />
Zone machen der deutschen Wirtschaft<br />
schwer zu schaffen. Die Konjunktur<br />
droht zu kippen, der Druck auf die Europäische<br />
Zentralbank, die Geldpolitik<br />
weiter zu lockern, steigt. Seite 16<br />
Motor USA<br />
Das Comeback der Industrie in den Vereinigten<br />
Staaten lässt bei den deutschen Fabrikausstattern<br />
die Kassen klingeln. Seite 38<br />
Der Volkswirt<br />
34 Nobelpreisträger Die Lindauer Tagung hat<br />
sich <strong>vom</strong> Altherrentreff zum internationalen<br />
Wissenschaftsevent entwickelt<br />
36 Denkfabrik US-Ökonom Martin Feldstein<br />
über den Versuch, die US-Notenbank an die<br />
Kette zu legen<br />
Unternehmen&Märkte<br />
38 USA Deutschland profitiert wie keine andere<br />
Nation von der Reindustrialisierung der<br />
Vereinigten Staaten | Verquere Argumente<br />
gegen das Freihandelsabkommen TTIP<br />
46 Carsharing Car2Go und DriveNow werden<br />
für Daimler und BMW zum Geschäft<br />
49 Interview: Rainer Baumgart Der IT-<br />
Lieferant der Bundesregierung verlangt<br />
schärfere Sicherheitsvorschriften<br />
52 Deutsche Bank Nach der Anklage auch<br />
gegen Co-Chef Jürgen Fitschen wächst die<br />
Nervosität<br />
53 Schornsteinfeger In der schwarzen Zunft<br />
tobt ein Kleinkrieg um die Pfründen<br />
55 Fußball Wie deutsche Nationalspieler ihren<br />
Markenwert steigerten<br />
56 Serie: Fit for Future (I) Übernahmen und<br />
Fusionen im Mittelstand<br />
Technik&Wissen<br />
58 Werkstoffe Moderne Schäume werden<br />
zum Allheilmittel. Ein Mega-Markt entsteht<br />
62 Grüner Pionier Ein deutscher Philosoph<br />
führt in Kenia die Mülltrennung ein<br />
Ganz schön<br />
aufgeblasen<br />
Metall, Keramik oder Plastik – fast<br />
jedes Material lässt sich heute zu<br />
Schaum schlagen. Eine Luftnummer?<br />
Von wegen: Die flüchtigen Gebilde<br />
schützen vor Explosionen, heizen<br />
Häuser und helfen Menschen,<br />
schlanker zu werden. Dank<br />
High-Tech-Schaum bleiben sogar<br />
Biere länger kühl. Seite 58<br />
TITELILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
4 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Nr. 34, 18.8.2014<br />
Vorsprechen bei Investoren<br />
In einer neuen TV-Show buhlen Gründer um fünf Geldgeber,<br />
darunter Touristikunternehmer Vural Öger (links). Der letzte Teil<br />
der Serie Gründer zeigt aber auch, wie Start-ups beim Pokern oder<br />
im Stundenhotel an Geld und gute Ratschläge kommen. Seite 66<br />
64 Auto Die Ingenieure erfinden den Reifen<br />
neu. Der funktioniert künftig ohne Luft<br />
65 Valley Talk<br />
Management&Erfolg<br />
66 Serie Gründer (VI) Bei welchen skurrilen<br />
Veranstaltungen Jungunternehmer an Geld<br />
und gute Ratschläge kommen<br />
70 Interview: Christian Muche und Frank<br />
Schneider Die Initiatoren der Digitalmesse<br />
Dmexco über die Zukunft des Marketing<br />
FOTOS: BAYER, PR, VOX/BORIS BREUER, GETTY IMAGES/THE IMAGE BANK<br />
Dressierte Freiheit<br />
Die Geschichte des Büros ist eine Geschichte der Kontrolle und<br />
Effizienzsteigerung der Angestellten: von der durchnormierten<br />
Tippfabrik zur Spielwiese für Kreative. Seite 92<br />
Flatrate für<br />
alle Medien<br />
Im jungen Markt der<br />
digitalen Vermarktung<br />
geistiger Inhalte – dem<br />
Web-Streaming – sind nur<br />
einige erfolgreich. Anleger<br />
sollten sich früh und klug<br />
positionieren. Seite 72<br />
Geld&Börse<br />
72 Internet-Aktien Musik- und Buchverlage,<br />
TV- und Filmindustrie werden durch neue<br />
interaktive Formate <strong>vom</strong> Kopf auf die Füße<br />
gestellt. Wie Anleger sich klug positionieren<br />
79 Börsen-Guru Warum Staatsanwälte weiter<br />
gegen Ex-Moderator Markus Frick ermitteln<br />
80 Finanzberater Wer auf Anleger losgelassen<br />
wird, muss sachkundig sein. Die Bank für<br />
Vermögen legt neue Regeln eigenwillig aus<br />
82 Steuern und Recht Immobilien in Österreich<br />
| Autokameras | Kinderbetreuung |<br />
Erbschaftsteuer | Hausratversicherung<br />
84 Geldwoche Kommentar: China-Syndrom |<br />
Trend der Woche: Dax | Dax-Aktien: Adidas |<br />
Hitliste: Bärenmärkte | Aktien: Eldorado<br />
Gold, Total | Chartsignal: Euro-Yen-Kurs |<br />
Anleihe: KfW in Brasilianischen Real |<br />
Investmentfonds: Danske Invest Russia<br />
Perspektiven&Debatte<br />
92 Büroarchitektur Die Geschichte des<br />
Büros erzählt <strong>vom</strong> Bemühen, Freiheit und<br />
Hörigkeit in ein Gehäuse zu fassen<br />
95 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
3 Einblick, 96 Leserforum,<br />
97 Firmenindex | Impressum, 98 Ausblick<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Diese Woche mit einem Zeitraffervideo,<br />
das zeigt, wie man in<br />
15 Tagen ein 30-stöckiges<br />
Hotel baut, sowie einem<br />
360-Grad-Blick in das<br />
Chefbüro von Modeunternehmer<br />
Peter Gross<br />
wiwo.de/apps<br />
n Sachsen-Wahl In zwei Wochen<br />
bestimmt Sachsen ein neues<br />
Landesparlament. Welche Partei<br />
ist für Sie die beste Wahl? Machen<br />
Sie den Test. wiwo.de/wahlomat<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 5<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Seitenblick<br />
SCHUSSWAFFEN<br />
Aufgerüstet<br />
Amerikas Waffenliebhaber müssen vorerst keine<br />
strengeren Gesetze fürchten. Zwei Jahre nach den<br />
Amokläufen von Newtown und Aurora ist der Ruf nach<br />
Restriktionen fast tatenlos verhallt. Für die Waffenbranche<br />
eine gute Nachricht – und eine schlechte.<br />
89Schusswaffen kommen in den USA auf<br />
100 Einwohner, mehr als in jedem anderen Industrieland.<br />
Zum Vergleich: In Deutschland entfallen auf<br />
100 Bürger statistisch 30 Waffen. Allerdings ist in den<br />
USA das Geschäft mit Waffen und Munition in den<br />
letzten Monaten eingebrochen. Allein der US-Waffenriese<br />
Sturm, Ruger & Co. setzte im zweiten Quartal<br />
14 Prozent weniger um als ein Jahr zuvor.<br />
57000Anträge für den Kauf<br />
von Waffen und Munition mussten die Behörden im<br />
US-Bundesstaat Colorado im Dezember 2012 bearbeiten,<br />
eine Steigerung um 89 Prozent – nach einem<br />
Amoklauf in einem Kino. Viele Bürger rüsteten auf,<br />
weil sie strenge Kontrollen oder sogar Verbote<br />
befürchteten. Tatsächlich boxten Senatoren in Colorado<br />
Beschränkungen durch. Weitere Restriktionen<br />
drohen nicht mehr, der Absatz von Waffen sank auf<br />
sein früheres Niveau – bis zum nächsten Amoklauf.<br />
32000Menschen sterben<br />
in den USA jedes Jahr durch Schusswaffen, etwa 60<br />
Prozent durch Selbstmord, rund 35 Prozent bei einem<br />
Verbrechen, die anderen durch Unfälle. Doch durch<br />
den US-Kongress schaffte es in den letzten Jahren kein<br />
einziges landesweites Gesetz, das den Besitz von<br />
Waffen einschränkt. Derzeit ist auch keines geplant.<br />
thomas.stoelzel@wiwo.de<br />
FOTO: REPORTAGE BY GETTY IMAGES/CHARLES OMMANNEY<br />
Eine schrecklich nette Familie<br />
Ben Baker und seine Familie aus Ashburn im US-Bundesstaat<br />
Georgia stehen für Amerikas Waffenfreunde. Die Bakers<br />
besitzen ein großes Arsenal <strong>vom</strong> Sturmgewehr bis zur Schrotflinte.<br />
Der Vater stellt die Munition sogar selbst her<br />
6 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 7<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft<br />
Direktiven aus Tirol<br />
Investor Benko<br />
KARSTADT<br />
Letzte Hoffnung: Österreich<br />
Nicolas Berggruen ist mit der Sanierung<br />
von Karstadt gescheitert – und hat<br />
trotzdem Millionen verdient. Nun soll der<br />
neue Investor retten, was zu retten ist.<br />
Seine Botschaft war klar: „Niemand muss sich<br />
Sorgen machen“, beteuerte Nicolas Berggruen in<br />
einem Brief an die „lieben Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter“ von Karstadt im September 2013.<br />
Kurz zuvor hatte der Karstadt-Eigner die Mehrheit<br />
des Sport- und Premiumgeschäfts an den österreichischen<br />
Immobilienunternehmer René Benko<br />
und dessen Gesellschaft Signa verkauft. Doch „die<br />
klassischen Warenhäuser“, so versicherte Berggruen<br />
damals „bleiben vollständig im Besitz von<br />
Berggruen Holdings“. Schließlich „sehe ich mich<br />
hier in einer besonderen Verantwortung“, er sei<br />
sich „absolut sicher: Gemeinsam schaffen wir es“.<br />
Nicht einmal ein Jahr alt sind die Treueschwüre<br />
des deutsch-amerikanischen Investors. Spätestens<br />
seit vergangenem Donnerstag ist klar, wie viel sie<br />
wert sind: Berggruen zieht sich aus dem Unternehmen<br />
komplett zurück. Stattdessen übernimmt<br />
Signa-Chef Benko das Kommando. Da Signa auch<br />
der wichtigste Eigentümer der Karstadt-Immobilien<br />
ist, hat er viel mehr Optionen als sein Vorgänger.<br />
Am Donnerstagabend hätten sich die Parteien<br />
darauf verständigt, dass Berggruen alle Karstadt-<br />
Geschäftsanteile abgebe, hieß es in Verhandlungs-<br />
kreisen. Auch seine Minderheitsanteile am<br />
Premium- und Sportgeschäft werde er auf die<br />
Österreicher übertragen. Für die Transaktionen<br />
werde allenfalls ein symbolischer Preis gezahlt,<br />
hieß es im Umfeld der Beteiligten.<br />
Operativ ist Berggruen gescheitert, finanziell<br />
dürfte sich sein Warenhaus-Experiment aber<br />
gelohnt haben. „Berggruen hat mit Karstadt bisher<br />
40 bis 50 Millionen Euro verdient“, sagt Karstadt-<br />
Aufsichtsrat und Verdi-Vertreter Arno Peukes.<br />
Allein für die Nutzung der Karstadt-Namensrechte<br />
habe Berggruens Holding jährlich Millionenbeträge<br />
<strong>vom</strong> Unternehmen kassiert, rechnet Peukes<br />
vor. Die von „Mr. Karstadt“ in Aussicht gestellten<br />
Investitionen seien dagegen nie erfolgt.<br />
Offen ist, was Benko langfristig mit der Warenhausgruppe<br />
plant und wie sich der Eignerwechsel<br />
auf die Sparaktionen auswirkt, die die Geschäftsführung<br />
plant. Schon am kommenden Donnerstag<br />
soll der Aufsichtsrat tagen. Ursprünglich wollten<br />
Finanzchef Miguel Müllenbach und Arbeitsdirektor<br />
Kai-Uwe Weitz dann ihr Sanierungskonzept präsentieren.<br />
In den vergangenen Wochen wurde bereits über<br />
die Schließung von Standorten und über weitere<br />
Einschnitte etwa in der Logistik spekuliert. Die Arbeitnehmervertreter<br />
favorisieren indes Einsparungen,<br />
die die Verwaltungskosten senken und damit<br />
vor allem die Hauptverwaltung in Essen träfen.<br />
henryk.hielscher@wiwo.de<br />
Abgestürzt<br />
Umsatz der Karstadt<br />
Warenhaus GmbH<br />
in Milliarden Euro<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
2000 2013<br />
Quelle: Statista, Unternehmensangaben<br />
8 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
SPARKASSEN<br />
Allein gegen PayPal<br />
Eigentlich wollten die großen<br />
deutschen Privatbanken, darunter<br />
die Commerzbank und<br />
die Deutsche Bank, mit den<br />
Volks- und Raiffeisenbanken<br />
sowie den Sparkassen einen gemeinsamen<br />
Bezahldienst für<br />
das Internet schaffen. Er sollte<br />
sich in den nächsten Jahren der<br />
Ebay-Tochter PayPal entgegenstemmen,<br />
über die auch in<br />
Deutschland immer mehr Internet-Zahlungen<br />
laufen. Nun<br />
aber scheren die Sparkassen<br />
aus. Offizieller Grund: Bei der<br />
ursprünglich geplanten Kooperation<br />
sei dem Sparkassenverband<br />
unter Führung des Präsidenten<br />
Georg Fahrenschon<br />
bange um die Sicherheit der<br />
Kundendaten.<br />
Offenbar sind sich die Sparkassen<br />
aber sicher, dass sie<br />
stark genug sind, um alleine<br />
solch einen Online-Bezahldienst<br />
flächendeckend etablieren<br />
zu können. Immerhin<br />
sind sie Marktführer unter den<br />
Finanzdienstleistern in Deutschland.<br />
Derzeit prüfen sie die Übernahme<br />
eines schon aktiven Bezahldienstes<br />
und schauen sich<br />
dessen Geschäftsbücher an.<br />
Details wollen die Sparkassen<br />
Bankenallianz verlassen<br />
Sparkassenchef Fahrenschon<br />
noch nicht nennen, im Herbst<br />
wollen sie entscheiden.<br />
Die Koalition aus Volksbanken<br />
und Privatbanken berät<br />
weiter, wie sie ihren Kunden<br />
Bankdienste im Internet erleichtern<br />
kann. Denn der Druck<br />
durch PayPal steigt. So hat das<br />
US-Unternehmen vor wenigen<br />
Tagen angekündigt, dass es bald<br />
auch in Deutschland Kreditfinanzierung<br />
und Ratenzahlung<br />
bei Einkäufen anbietet. In den<br />
USA offeriert es dies bereits.<br />
Gleichzeitig ermöglicht es seinen<br />
zwölf Millionen deutschen<br />
Kunden seit Kurzem auch<br />
kostenlose Überweisungen via<br />
Smartphone-App.<br />
mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />
Aufgeschnappt<br />
Kaffee mit Hausboot Der Hamburger<br />
Kaffeeröster Tchibo geht<br />
aufs Wasser. Neben Schuhen,<br />
Regalen und – so ganz nebenbei<br />
– Kaffee bietet er jetzt auch<br />
Hausboote an. Drei Modelle ste-<br />
hen zur Auswahl, das günstigste<br />
zu 88 000 Euro. Gebaut werden<br />
die Boote <strong>vom</strong> Berliner Unternehmen<br />
Nautilus Hausboote,<br />
das der Architekt Andreas Hoffmann<br />
2012 gemeinsam mit der<br />
Bankkauffrau Dörte Schiemang<br />
gegründet hat. Gegen einen<br />
Aufpreis von 9500 Euro gibt es<br />
sogar einen Motor zum Boot.<br />
Dresdner mit Bitcoins Das<br />
Dresdner Start-up Coinbau will<br />
den effizientesten Chip zur<br />
Herstellung von Bitcoins entwickeln.<br />
Gefertigt werden soll er<br />
in der Dresdner Fabrik des US-<br />
Konzerns Globalfoundries. Noch<br />
in diesem Jahr will Coinbau in<br />
Island eine Rechnerfarm eröffnen<br />
und dort energiearm und kostengünstig<br />
Bitcoins erzeugen.<br />
HANDEL<br />
Rewe legt zu,<br />
Aldi verliert<br />
Die jüngsten Zahlen des Marktforschers<br />
GfK dürften bei Rewe-<br />
Chef Alain Caparros für<br />
Sektlaune sorgen. Laut den<br />
vertraulichen Daten, die der<br />
WirtschaftsWoche vorliegen,<br />
stiegen die Lebensmittelumsätze<br />
der Kölner Supermarktkette<br />
im ersten Halbjahr 2014 um<br />
stattliche sechs Prozent. Ein<br />
deutlicher Abstand zum Wettbewerber<br />
Edeka, der laut GfK<br />
nur um 1,9 Prozent zulegte.<br />
Weniger gut lief es für die großen<br />
Discounter. Aldi Süd büßte<br />
demnach 1,4 Prozent ein, Aldi<br />
Nord verlor sogar 2,5 Prozent.<br />
Bei Lidl und Penny gab es kaum<br />
Veränderungen. Vor allem beim<br />
Verkauf von Körperpflegeprodukten<br />
und Getränken würden<br />
die Billigheimer derzeit schwächeln,<br />
so GfK.<br />
Als Erklärung für die unterschiedlichen<br />
Entwicklungen<br />
von Supermärkten und Discountern<br />
verweisen die Marktforscher<br />
auf das Niedrigzinsniveau,<br />
das bei vielen Verbrauchern<br />
die Bereitschaft erhöhe,<br />
mehr Geld für Güter des täglichen<br />
Bedarfs auszugeben, statt<br />
zu sparen. Zudem hätten die<br />
Discounter die Zahl ihrer Sonderangebote<br />
reduziert.<br />
henryk.hielscher@wiwo.de<br />
FOTOS: DPA PICTURE-ALLIANCE/PHILIPP HORAK, WERNER SCHUERING, PR<br />
113 €<br />
Durchschnittspreis<br />
für Geschenke<br />
an Frauen<br />
31 %<br />
* geschätzt; Quelle: Boost Internet<br />
Paare<br />
17 %<br />
52 %<br />
110 €<br />
Nervenkitzel statt Romantik<br />
Der deutsche Markt für Erlebnisgeschenke<br />
Wer Geschenke bekommt und was sie kosten Entwicklung des Marktvolumens* Die beliebtesten Erlebnisgeschenke<br />
100 Mio. €<br />
Durchschnittspreis<br />
für Geschenke<br />
an Männer 2014<br />
500 Mio. €<br />
2020<br />
1. Krimidinner<br />
10,7 %<br />
2. Flugsimulator<br />
3. Segway fahren<br />
4. Ferrari fahren<br />
5. Candle-Light-Dinner<br />
4,2 %<br />
3,9 %<br />
3,8 %<br />
2,9 %<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 9<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft<br />
NISSAN<br />
Toyota<br />
entthronen<br />
Fußballfans wird es schon aufgefallen<br />
sein: Bei den Fußballspielen<br />
der Champions League<br />
wirbt nicht mehr der amerikanische<br />
Autokonzern Ford, sondern<br />
seit dieser Saison der japanische<br />
Konkurrent Nissan. Da<br />
Ford in Europa mit Verlusten<br />
Konkurrenten Ford abgelöst<br />
Nissan-Manager Schupp<br />
kämpfte, kam das sportliche<br />
Engagement intern nicht mehr<br />
gut an.<br />
Dafür sagt nun Nissans Europa-Marketingchef<br />
Bastien<br />
Schupp, was die Werbung in<br />
der europäischen Königsklasse<br />
bringen soll. Bereits in gut zwei<br />
Jahren will Nissan zum größten<br />
asiatischen Autobauer in Europa<br />
aufsteigen – und Toyota<br />
überholen. „Bis Ende 2016 wollen<br />
wir unseren Marktanteil<br />
in Europa von derzeit 3,8 auf<br />
5,0 Prozent steigern“, kündigt<br />
Schupp an. Nissan werde derzeit<br />
zu wenig wahrgenommen.<br />
Die Champions League soll das<br />
ändern. „Da sitzen pro Saison<br />
kumuliert vier Milliarden Zuschauer<br />
vor den TV-Geräten“,<br />
freut sich der Manager.<br />
Die Spiele werden längst<br />
auch außerhalb Europas verfolgt.<br />
50 Prozent des Werbewertes<br />
fallen laut Nissan außerhalb<br />
des Kontinents an. Wie viel der<br />
Autobauer dafür zahlt, ist geheim.<br />
Nur so viel: Die Summe<br />
liegt laut Schupp oberhalb der<br />
40 Millionen Euro, die Ford<br />
wohl gezahlt hat.<br />
juergen.salz@wiwo.de<br />
INTERVIEW André Zeug<br />
»Edeka und Rewe wollen<br />
in die Bahnhöfe rein«<br />
Der Bahnhofschef der Deutschen Bahn baut<br />
Stationen um und fordert Geld von den Bundesländern.<br />
Unrentable Gebäude will er verkaufen.<br />
Herr Zeug, im Nürnberger<br />
Bahnhof ist Alkohol verboten,<br />
um Krawalle zu verhindern.<br />
Wann gilt das Verbot für alle<br />
Bahnhöfe?<br />
Auch in Hannover hatten wir<br />
ein temporäres Alkoholverbot.<br />
Ich bin aber skeptisch. Leider<br />
kommen nicht wenige Menschen<br />
schon angetrunken in die<br />
Bahnhöfe. Ich halte ein Verbot<br />
daher für ein wenig taugliches<br />
Mittel. Nürnberg ist ein Test, die<br />
Evaluation läuft noch.<br />
Der Bahnhof ist das Tor zur<br />
Stadt, nicht jeder wirkt einladend.<br />
Wo sanieren Sie?<br />
Zurzeit sanieren wir die<br />
Bahnhöfe in Duisburg<br />
und Dortmund sowie das<br />
Empfangsgebäude in<br />
Münster. Solche Programme<br />
brauchen drei<br />
bis vier Jahre Planungsvorlauf.<br />
Früher wurde<br />
dort gebaut, wo der politische<br />
Druck am stärksten<br />
war. Heute entscheiden<br />
Sanierungsbedarf<br />
und Reisendenzahl.<br />
Zudem brauchen wir<br />
die Co-Finanzierung<br />
der Länder.<br />
Wer profitiert demnächst?<br />
Jedes Jahr finden rund<br />
3000 Bauprojekte an den<br />
Bahnhöfen statt. 2015<br />
steht zum Beispiel die<br />
Sanierung der Bahnhöfe<br />
Berlin Zoologischer<br />
Garten und Würzburg an.<br />
Die Ladenflächen in den<br />
Bahnhöfen vermieten Sie<br />
selbst. Bleibt es dabei?<br />
Ja. Mit Ausnahme von<br />
Leipzig und der Nordpassage<br />
im Hamburger<br />
Hauptbahnhof steuern<br />
wir alle größeren Stationen in<br />
Eigenregie. Dresden haben<br />
wir gerade modernisiert. Das<br />
Geschäft läuft sehr gut.<br />
Was treibt den Umsatz?<br />
Zum einen steigen die Reisendenzahlen.<br />
Zum anderen konnten<br />
wir interessante Unternehmen<br />
als Mieter gewinnen. Die<br />
Restaurant-Kette Vapiano<br />
zum Beispiel oder Albert Heijn<br />
aus Holland. Auch Edeka und<br />
Rewe wollen in den großen<br />
Bahnhöfen Geschäfte eröffnen.<br />
Welche Stationen stehen zum<br />
Verkauf?<br />
DER IMMOBILIENENTWICKLER<br />
Zeug, 58, leitet seit 2007 das Bahnhofsgeschäft<br />
der Bahn und will die Flächen in den Stationen<br />
wieder selbst vermieten. Der promovierte Jurist<br />
hat schon für die Lufthansa, die Treuhandanstalt<br />
und Stinnes gearbeitet.<br />
Wir verkaufen unsere Bahnhofsgebäude<br />
nur, wenn sie für<br />
den Bahnbetrieb nicht mehr<br />
notwendig und damit unrentabel<br />
sind. Wir haben insgesamt<br />
rund 1100 Empfangsgebäude in<br />
unserem Portfolio. Unser Ziel<br />
ist, 600 bis 700 Empfangsgebäude<br />
in größeren Stationen zu behalten.<br />
Von Paketverkäufen an<br />
Finanzinvestoren haben wir<br />
uns aber verabschiedet. Das hat<br />
sich nicht bewährt. Wir geben<br />
die Empfangsgebäude am liebsten<br />
an die Kommunen ab.<br />
Politiker fordern den barrierefreien<br />
Bahnhof bis 2020.<br />
Das wird schwer. 73 Prozent<br />
unserer Bahnhöfe sind bereits<br />
stufenfrei. Aber stufenfrei reicht<br />
nicht. Die Bahnsteighöhe muss<br />
auch stimmen, damit die<br />
Reisenden bequem in den Zug<br />
einsteigen können. Der Bund<br />
verlangt eine Bahnsteighöhe<br />
von 76 Zentimetern für<br />
den Fernverkehr, den Ländern<br />
reichen teilweise 55<br />
Zentimeter. 56 Prozent<br />
aller Bahnsteige erfüllen<br />
die Mindestnorm<br />
von 55 Zentimetern.<br />
Klappt es bis 2020?<br />
Der barrierefreie Umbau<br />
der Bahnhöfe ist<br />
bis 2020 nicht zu machen.<br />
Pro Jahr rüsten<br />
wir etwa ein bis anderthalb<br />
Prozent der Bahnhöfe<br />
um. Damit wären<br />
wir 20 bis 30 Jahre beschäftigt.<br />
Zehn Millionen<br />
Euro pro Jahr zusätzlich<br />
würden einen<br />
deutlichen Schub auslösen.<br />
Da der Bund nur<br />
Bahnhöfe mit mehr als<br />
1000 Reisenden pro Tag<br />
fördert, müssen auch<br />
die Länder in die Co-Finanzierung<br />
einsteigen.<br />
Wie viele Bahnhöfe<br />
erhalten WLAN?<br />
An mehr als 120 Bahnhöfen<br />
gibt es bereits<br />
WLAN. Die erste halbe<br />
Stunde pro Tag ist kostenlos.<br />
Unser Ziel: 150<br />
Bahnhöfe.<br />
christian.schlesiger@wiwo.de<br />
10 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: PR, DB STATION&SERVICE AG/PHILIPP VON RECKLINGHAUSEN, KEYSTONE/VOLKMAR SCHULZ, ACTION PRESS/BERND KAMMERER, ACTION PRESS/WALTER G. ALLGÖWER<br />
INTERNET<br />
Routerzwang<br />
vor dem Aus<br />
Es war der dreiste Versuch einiger<br />
Festnetzanbieter, die freie<br />
Wahl des Endgeräts einzuschränken<br />
– die erste Errungenschaft<br />
der Liberalisierung in der<br />
Kommunikationsbranche. Internet-Anbieter<br />
wie Telefónica,<br />
Vodafone und Unitymedia<br />
schrieben ihren Kunden vor anderthalb<br />
Jahren erstmals vor,<br />
mit welchem Router sie online<br />
gehen dürfen. Jetzt will Bundeswirtschaftsminister<br />
Sigmar<br />
Gabriel die Praxis unterbinden.<br />
Den Router-Herstellern sicherte<br />
er zu, die freie Gerätewahl gesetzlich<br />
festzuschreiben. „Wir<br />
werden eine entsprechende Regelung<br />
in das Telekommunikationsgesetz<br />
aufnehmen“, heißt<br />
es in einem Schreiben.<br />
Kunden und Hersteller müssen<br />
sich allerdings bis zum<br />
nächsten Jahr gedulden. Der<br />
Minister will warten, bis die EU-<br />
Kommission die Verordnungen<br />
zum vernetzten Kontinent verabschiedet.<br />
Für Ralf Koenzen,<br />
Chef des Router-Herstellers<br />
Lancom, der einzige Wermutstropfen:<br />
„Sobald die Neuregelung<br />
in Kraft ist, wird niemand<br />
mehr gezwungen sein, Router<br />
einzusetzen, die potenziell unsicher<br />
sind.“<br />
WINDENERGIE<br />
Flaute im<br />
Ländle<br />
juergen.berke@wiwo.de<br />
Ausgerechnet in Baden-Württemberg,<br />
dem einzigen Bundesland<br />
mit einem grünen Ministerpräsidenten,<br />
kommt der<br />
Ausbau der Windenergie nicht<br />
voran. 1000 neue Anlagen<br />
will Landeschef Winfried<br />
Kretschmann bis 2020 aufstellen.<br />
Bisher stehen knapp 400,<br />
und im ersten Halbjahr wurde<br />
18.08. Arzthonorar Die Kassenärztliche Bundesvereinigung<br />
informiert am Montag über die beginnenden<br />
Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen.<br />
Sie fordert eine „überfällige Anpassung“ an die<br />
„gestiegenen Praxiskosten“.<br />
19.08. US-Inflation Das amerikanische Arbeitsministerium<br />
veröffentlicht am Dienstag die Inflationsrate<br />
für Juli. Im Juni waren die Preise in den USA im<br />
Jahresvergleich um 2,1 Prozent gestiegen. Gegenüber<br />
dem Vormonat hatten sie sich um 0,3 Prozent<br />
erhöht.<br />
20.08. Deutsche Bahn Am Mittwoch gehen die Tarifverhandlungen<br />
zwischen der Bahn und der Gewerkschaft<br />
der Lokführer (GDL) in die dritte Runde. Die<br />
GDL fordert fünf Prozent mehr Lohn und eine Verkürzung<br />
der Wochenarbeitszeit um zwei auf 37<br />
Stunden. Diese kleine Gewerkschaft vertritt nach<br />
eigenen Angaben rund 80 Prozent der 20 000 Lokführer<br />
und 30 Prozent der 11 000 Zugbegleiter.<br />
Für die übrigen 140 000 Beschäftigten der Bahn<br />
verhandelt die Eisenbahner-Gewerkschaft EVG.<br />
21.08. Karstadt Der Aufsichtsrat des Warenhauskonzerns<br />
berät am Donnerstag über die Sanierung.<br />
nur eine einzige Windturbine<br />
errichtet. Die Anlage des<br />
ostfriesischen Herstellers Enercon<br />
steht auf dem Tännlebühl<br />
nahe Freiburg.<br />
Damit hinkt Baden-Württemberg<br />
nicht nur seinen<br />
Zielen hinterher, sondern<br />
auch anderen Ländern. Nur<br />
im Saarland stehen – abgesehen<br />
von den Stadtstaaten –<br />
noch weniger Anlagen:<br />
Die Ämter mahlen<br />
langsam Anlage im<br />
Südwesten<br />
TOP-TERMINE VOM 18.08. BIS 24.08.<br />
108, davon kamen im ersten<br />
Halbjahr immerhin acht dazu.<br />
Sogar im nicht windverwöhnten<br />
Bayern gingen im ersten<br />
Halbjahr 51 Turbinen ans Netz.<br />
„Die Genehmigungsverfahren<br />
sind bei uns langwieriger“, klagt<br />
ein Manager des baden-württembergischen<br />
Stromkonzerns<br />
EnBW. Der SPD-Fraktionschef<br />
im Landtag, Claus Schmiedel,<br />
fordert zur Genehmigung von<br />
Windparks mehr Beamte in<br />
den Landkreisen.<br />
mario.brueck@wiwo.de,<br />
andreas wildhagen<br />
SGL<br />
Drohender<br />
Abstieg<br />
Wer aufsteigt und wer absteigt,<br />
entscheidet die Deutsche Börse<br />
am 3. September – wenn sie<br />
turnusgemäß die Zusammensetzung<br />
ihrer Börsenindizes<br />
überprüft. Der Wiesbadener<br />
Grafitspezialist SGL, in den<br />
auch Susanne Klatten aus der<br />
Quandt-Dynastie groß investiert<br />
ist, scheint schon als Absteiger<br />
aus dem MDax, dem Index für<br />
mittelgroße Unternehmen,<br />
festzustehen. Dies geht jetzt<br />
aus Analysen der Landesbank<br />
Baden-Württemberg sowie<br />
des Frankfurter Bankhauses<br />
Close Brothers Seydler hervor.<br />
Wichtige Kriterien für die<br />
Entscheidung der Deutschen<br />
Börse sind der Börsenumsatz<br />
sowie der Börsenwert des<br />
Streubesitzes. Nach dem Katastrophenjahr<br />
2013, als Umsatz<br />
und Gewinn einbrachen, war<br />
Hiobsbotschaft in Sicht<br />
Großaktionärin Klatten<br />
die SGL-Aktie deutlich gefallen<br />
– trotz der schönen Aussichten<br />
für den Werkstoff Carbon, der<br />
neben Klatten auch BMW und<br />
VW als Großaktionäre von SGL<br />
angelockt hat.<br />
Neben SGL dürfte sich der<br />
Küchenausrüster Rational künftig<br />
im weniger imageträchtigen<br />
SDax, dem Auswahlindex für<br />
kleinere Unternehmen, wiederfinden.<br />
Dafür könnten das<br />
Immobilien-Unternehmen<br />
Deutsche Annington und der<br />
Gabelstapler-Spezialist Kion in<br />
den MDax aufrücken.<br />
juergen.salz@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 11<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
GFK<br />
Pamela Knapp, 55, Finanzvorstand,<br />
verlässt Mitte<br />
Oktober den Nürnberger<br />
Marktforscher, um sich<br />
mehr ihren Aufsichtsratsmandaten<br />
und ihrem Privatleben<br />
zu widmen, wie<br />
sie sagt. Am Montag hatte<br />
GfK die Prognosen für Umsatz<br />
und Ergebnis gesenkt.<br />
Neuer Finanzvorstand wird<br />
Christian Diedrich, 56, der<br />
seit 1984 bei IBM arbeitet.<br />
Von dort kam Ende 2011<br />
auch GfK-Chef Matthias<br />
Hartmann. Anfang 2013<br />
hat er seinen Vertrag bis<br />
Ende 2019 verlängert.<br />
SCOUT 24<br />
Christian Gisy, 47, wechselt<br />
Unternehmen und<br />
Branche. Von September<br />
an arbeitet der Diplom-<br />
Volkswirt als Finanzvorstand<br />
für den Betreiber von<br />
Online-Marktplätzen. Bei<br />
Scout 24 kann er auch seine<br />
Börsenerfahrung einbringen.<br />
Dem Vernehmen nach<br />
strebt das Unternehmen aufs<br />
Parkett. Noch leitet Gisy die<br />
Kinokette Cinemaxx. Ihr neuer<br />
Eigner, der britische Kinobetreiber<br />
Vue International,<br />
nahm sie Anfang des Jahres<br />
von der Börse.<br />
KIA<br />
Martin van Vugt, 59, seit<br />
Februar 2011 Deutschland-<br />
Chef des koreanischen Autokonzerns,<br />
hat sich überraschend<br />
verabschiedet. Der<br />
Niederländer steigerte zwar<br />
den Absatz von 36 000 auf<br />
55 000 Autos, Kia wollte 2013<br />
aber 63 000 Fahrzeuge in<br />
Deutschland verkaufen.<br />
IFW<br />
Dennis Snower, 63, hat seinen<br />
Vertrag verlängert und<br />
bleibt bis 2019 Präsident des<br />
Instituts für Weltwirtschaft in<br />
Kiel, das er seit Oktober 2004<br />
leitet. Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut<br />
(HWWI)<br />
bekommt im September eine<br />
Doppelspitze: Christian Growitsch,<br />
38, und Henning Vöpel,<br />
41, lösen Thomas Straubhaar,<br />
57, ab. Hans-Werner<br />
Sinn, 66, Chef des Münchner<br />
ifo Instituts, geht 2016 in den<br />
Ruhestand. Auch das Institut<br />
für Wirtschaftsforschung in<br />
Halle braucht eine neue Spitze.<br />
Claudia Buch, 48, die letzte<br />
Leiterin, war zwar erst im Juni<br />
2013 gekommen, wechselte<br />
aber schon im Mai 2014 zur<br />
Bundesbank.<br />
PRIVAT-PKW<br />
56 Prozent<br />
der Haushalte in Hamburg und Schleswig-Holstein besitzen<br />
ein Auto, vor zehn Jahren waren es noch 60 Prozent. Bundesweit<br />
gehört 77,1 Prozent aller Haushalte ein Pkw, 2003 waren es<br />
76,9 Prozent. Gesunken ist die Zahl der Neuwagen: 2003 hatten<br />
35 Prozent aller Haushalte einen, heute sind es nur 33 Prozent.<br />
FLIGHTRIGHT<br />
Inkasso für genervte Fluggäste<br />
Zur Vorbereitung seiner Hochzeit kam Philipp Kadelbach zu<br />
spät, und den Gerichtstermin hätte er fast verpasst. Denn wieder<br />
einmal war sein Flug verspätet. Da reichte es dem Juristen. Er<br />
gründete Flightright. Das Potsdamer Unternehmen soll bei Fluggesellschaften<br />
Schadensersatz für Passagiere eintreiben, deren<br />
Flüge nicht pünktlich waren oder sogar annulliert wurden. „Wir<br />
sind quasi ein Robin-Hood-Inkasso“, sagt Kadelbach. Mehr als<br />
400 000 Menschen habe er seit Gründung des Unternehmens<br />
2010 schon geholfen.<br />
Seine wichtigste Waffe ist die EU-Fluggastrechteverordnung.<br />
Danach müssen Airlines ihre Passagiere entschädigen, wenn das<br />
Flugzeug stark verspätet ist oder gar nicht erst startet. Bis zu 600<br />
Euro können Reisende dann einfordern; vorausgesetzt, Start oder<br />
Landung erfolgten in einem EU-Land oder waren dort geplant.<br />
„Aktuell nutzen nur fünf bis zehn Prozent der Betroffenen ihr<br />
Recht“, sagt Kadelbach. Auf seiner Internet-Seite können Reisende<br />
ausrechnen, was ihnen zusteht. Stellt sich eine Airline stur, zieht<br />
Flightright sogar vor Gericht – und übernimmt das Kostenrisiko.<br />
„In 98 Prozent dieser Fälle<br />
Fakten zum Unternehmen<br />
Finanzierung <strong>vom</strong> Frühphasenfonds<br />
des Landes Brandenburg<br />
knapp 1 Million Euro<br />
Schadensersatz 2013 trieb<br />
Flightright einen zweistelligen<br />
Millionenbetrag ein<br />
sind wir erfolgreich“, sagt<br />
er. Als Provision kassiert<br />
Flightright 25 Prozent der<br />
erstrittenen Summe. Derzeit<br />
betreut er nur EU-<br />
Bürger, 2016 will er sich<br />
auch um Amerikaner auf<br />
EU-Flügen kümmern.<br />
matthias streit | mdw@wiwo.de<br />
FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE/DANIEL KARMANN, PR (2)<br />
12 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Peter Gross<br />
Chef des Herrenmodeherstellers Création Gross<br />
Die Tasse Tee gehört für Peter<br />
Gross, 58, genauso auf den<br />
Schreibtisch wie Computertastatur,<br />
Monitor und Telefon. „Als<br />
passionierter Teetrinker darf eine<br />
Tasse grüner Tee nie fehlen“,<br />
sagt der geschäftsführende<br />
Gesellschafter der fränkischen<br />
Herrenmodemarke Création<br />
Gross. Sein Großvater August<br />
Gross hat das Unternehmen<br />
1925 gegründet, heute gehört<br />
es zu je 50 Prozent Peter Gross<br />
und seinem Cousin Wolfgang<br />
Gross, der stiller Teilhaber ist.<br />
Rund 61 Millionen Euro wollen<br />
die Franken in diesem Jahr mit<br />
Sakkos, Hosen und Anzügen<br />
umsetzen, vier Millionen mehr<br />
als im Vorjahr. Der Modehersteller<br />
erwirtschaftet Gewinn<br />
und ist bankenunabhängig.<br />
180 Beschäftigte<br />
arbeiten derzeit<br />
fest am Stammsitz in<br />
Hersbruck in der<br />
Nähe von Nürnberg.<br />
125 Shop-in-Shops<br />
betreibt das Familienunternehmen,<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
davon 40 im Ausland, zudem<br />
zwei Online-Shops. „Manchmal<br />
bin ich mein eigener Proband“,<br />
beschreibt Gross sein<br />
Business-Outfit. Sein gut 30<br />
Quadratmeter großes Büro hat<br />
der Diplom-Kaufmann mit<br />
zeitlosem, unauffälligem Mobiliar<br />
eingerichtet. „Exklusive<br />
Interieurmarken brauche ich<br />
nicht“, betont Gross. Hinter<br />
seinem Schreibtisch<br />
hängt statt eines<br />
teuren Kunstwerks<br />
ein eingerahmtes<br />
Imagebild seiner<br />
Hauptmarke Carl<br />
Gross. Auch in den<br />
Schränken und Sideboards<br />
dreht sich<br />
alles um Mode. Neben Büchern<br />
zu Stilrichtungen archiviert<br />
Gross hier Unterlagen über die<br />
zweite Modelinie seines Hauses:<br />
CG-Club of Gents. „Mit<br />
CG-Club of Gents erzielen wir<br />
bereits mehr als ein Drittel<br />
unseres Umsatzes“, freut sich<br />
der Modemacher. Und wenn es<br />
stimmt, dass grüner Tee auch<br />
ein wenig zur guten Laune<br />
beiträgt, dann passt er zum<br />
aktuellen Stimmungsbild der<br />
Franken. Beide Labels sind<br />
erfolgreich in den USA und<br />
Kanada gestartet. Zudem hat<br />
Gross erste Gespräche mit<br />
potenziellen chinesischen Partnern<br />
geführt.<br />
ulrich.groothuis@wiwo.de<br />
FOTO: DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
14 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Aus der Traum<br />
<strong>vom</strong> ewigen Boom<br />
KONJUNKTUR | Die schwächere Weltwirtschaft, die Russland-Krise und die Probleme<br />
in vielen Kernländern der Euro-Zone machen der deutschen Wirtschaft schwer zu<br />
schaffen. Die Konjunktur droht zu kippen. Damit steigt der Druck auf die Europäische<br />
Zentralbank, die Geldpolitik weiter zu lockern.<br />
Eigentlich ist es für die<br />
Bankanalysten kein besonderes<br />
Ereignis, wenn<br />
die Beamten des Statistischen<br />
Bundesamtes einmal<br />
im Quartal die Zahlen<br />
zum Wachstum der<br />
deutschen Wirtschaft bekannt<br />
geben. Denn die<br />
Daten betreffen die Vergangenheit<br />
und werden meist im Vorfeld<br />
gut abgeschätzt. Doch Donnerstag vergangener<br />
Woche war es anders. Nicht nur, dass<br />
die zur Veröffentlichung anstehenden Zahlen<br />
für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im<br />
zweiten Quartal diesmal durch eine groß<br />
angelegte Revision der Statistik mit außergewöhnlicher<br />
Unsicherheit behaftet waren<br />
(siehe Seite 22). Mit Spannung blickten die<br />
Auguren auch darauf, ob die aktuelle Krise<br />
in Russland bereits erste Bremsspuren hinterlassen<br />
hat.<br />
Als dann um kurz nach acht Uhr morgens<br />
die neue BIP-Zahl über die Bildschirme<br />
flimmerte, trauten viele Analysten<br />
ihren Augen nicht: Deutschlands Wirtschaft<br />
war im zweiten Quartal um 0,2 Prozent<br />
geschrumpft. „Die Zahlen haben enttäuscht“,<br />
sagt Klaus Bauknecht, Volkswirt<br />
bei der IKB Deutsche Industriebank in<br />
Düsseldorf. Aufgrund von Witterungseffekten<br />
hatten Beobachter zwar mit einem<br />
schwachen zweiten Quartal gerechnet.<br />
„Doch die Zahlen deuten auf einiges mehr<br />
hin als nur den Einfluss des Wetters“, urteilt<br />
Bauknecht.<br />
Vor allem die Unsicherheit wegen des<br />
Konflikts um Russland und die Ukraine hat<br />
sich wie Mehltau auf die Stimmung und Investitionsbereitschaft<br />
der Unternehmen<br />
Erneuter Einbruch<br />
Reales Bruttoinlandsprodukt (saisonbereinigte<br />
Veränderung zum Vorquartal)<br />
0,8 %<br />
0,6 %<br />
0,4 %<br />
0,2 %<br />
0 %<br />
–0,2 %<br />
–0,4 %<br />
2012 2013 2014<br />
Quelle: Deutsche Bundesbank, Destatis<br />
gelegt. Dazu kommt, dass auch aus den<br />
Ländern der Euro-Zone, den wichtigsten<br />
Handelspartnern Deutschlands, schlechte<br />
Nachrichten kommen. Die Wirtschaft der<br />
Währungsgemeinschaft hat im zweiten<br />
Quartal stagniert.<br />
Für die WirtschaftsWoche hat das ifo Institut<br />
in München exklusiv 460 Unternehmen<br />
aus den wichtigsten Branchen der<br />
deutschen Wirtschaft befragt. Rund ein<br />
Drittel gab an, die geopolitischen Unruhen<br />
sowie die schwächelnde Konjunktur in<br />
wichtigen Handelspartnerländern stellten<br />
die größten Risiken für ihre Geschäfte dar.<br />
Der ifo-Geschäftsklimaindex, wichtigster<br />
Frühindikator für die deutsche Konjunktur,<br />
ist im Juli das dritte Mal in Folge<br />
gesunken – ein untrügliches Zeichen für eine<br />
Konjunkturwende nach unten. In der<br />
vergangenen Woche schmierte zudem der<br />
<strong>vom</strong> Mannheimer Zentrum für Europäische<br />
Wirtschaftsforschung (ZEW) ermittelte<br />
Index der Konjunkturerwartungen der<br />
Akteure an den Finanzmärkten ab. Der<br />
Einbruch war so heftig wie im Juni 2012, als<br />
die Angst vor dem Auseinanderbrechen<br />
der Währungsunion die Märkte in Atem<br />
hielt. Geht Deutschland, dem Powerhouse<br />
Europas, die Luft aus, hat dies weitreichende<br />
Konsequenzen – vor allem für die Europäische<br />
Zentralbank (EZB). Sie gerät immer<br />
stärker unter Druck, die geldpolitischen<br />
Schleusen noch weiter zu öffnen.<br />
MILDER WINTER<br />
Dabei hatte das Jahr eigentlich gut begonnen.<br />
Mit einem satten Wachstum von 0,7<br />
Prozent schürte die Wirtschaft Optimismus<br />
bei Analysten, Unternehmern und Verbrauchern.<br />
Sicher, der milde Winter hatte<br />
die Wirtschaftsleistung um rund 0,3 Prozentpunkte<br />
künstlich nach oben gehievt.<br />
Daher hatten Experten mit einer Gegenbewegung<br />
gerechnet. Die aber fiel nun heftiger<br />
aus als erwartet.<br />
Die Börse hatte die schlechten Konjunkturdaten<br />
bereits vorweggenommen. In den<br />
vergangenen sechs Wochen verlor der Dax<br />
in der Spitze 1000 Punkte, der Euro verbilligte<br />
sich seit Anfang Mai um rund vier Prozent<br />
auf nunmehr 1,33 Dollar. Die Angst<br />
vor einem Konjunkturcrash hat die Investoren<br />
in vermeintlich sichere Staatsanleihen<br />
getrieben. Die Rendite zehnjähriger<br />
Bundesanleihen purzelte am Donnerstag<br />
vergangener Woche unter die Marke von<br />
1,0 Prozent – ein neues Allzeittief.<br />
Nun rudern die Experten der Banken zurück.<br />
Von zwei Prozent Wachstum ist plötzlich<br />
nichts mehr zu hören. Die Ökonomen<br />
der Commerzbank rechnen für dieses Jahr<br />
nur noch mit einem BIP-Plus von 1,7<br />
»<br />
FOTO: DDP IMAGES; ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
16 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Welche Investitionspläne die Unternehmen für<br />
2015 hegen. Wir werden im Vergleich zu 2014…<br />
Ende des Höhenflugs<br />
...mehr investieren<br />
17%<br />
110<br />
108<br />
Zum jetzigen<br />
Zeitpunkt ist keine<br />
Aussage möglich<br />
19%<br />
41%<br />
...genau so viel<br />
investieren wie 2014<br />
106<br />
104<br />
Auftragseingänge<br />
in der deutschen<br />
Industrie*<br />
23%<br />
102<br />
2013 2014<br />
...weniger investieren<br />
* saisonbereinigt, 2010 = 100; Quelle: Deutsche Bundesbank<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Prozent. Eine Rezession, bei der das BIP<br />
in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen<br />
schrumpft, erwarten sie allerdings nicht.<br />
„Dazu müssten die Geld- und Fiskalpolitik<br />
stark auf die Bremse treten, was derzeit<br />
nicht abzusehen ist“, sagt Commerzbank-<br />
Ökonom Ralph Solveen.<br />
WEITERE LOCKERUNG<br />
Das Gegenteil ist der Fall. Die EZB hat die<br />
Zinsen im Juni erneut gesenkt und weitere<br />
geldpolitische Lockerungsmaßnahmen in<br />
Aussicht gestellt. Und in den meisten Euro-<br />
Ländern heißt es nach den Sparpaketen<br />
der vergangenen Jahre erst einmal durchatmen.<br />
Nachdem die Regierungen die<br />
staatlichen Haushaltsdefizite im vergangenen<br />
Jahr im Schnitt um 0,7 Prozentpunkte<br />
gesenkt haben, rechnen Beobachter für<br />
dieses Jahr mit einem Rückgang von nur<br />
noch 0,5 Prozentpunkten.<br />
Die Mehrheit der <strong>vom</strong> ifo Institut befragten<br />
Unternehmen (73 Prozent) hält daher<br />
vorerst an ihren Geschäftsplänen fest. Die<br />
Firmen hoffen, der Einbruch im zweiten<br />
Quartal werde sich als Delle erweisen und<br />
der Aufschwung danach weitergehen.<br />
Doch die Risiken, dass die deutsche Wirtschaft<br />
stärker an Fahrt verliert, steigen.<br />
n Das weltwirtschaftliche Umfeld trübt<br />
sich ein. China, in den vergangenen Jahren<br />
der wichtigste Treiber der Weltwirtschaft, ist<br />
mit dem Umbau seines Wirtschaftsmodells<br />
von der export- zur binnenorientierten Expansion<br />
beschäftigt. Offenbar ist die Regierung<br />
bereit, ein geringeres Wachstumstempo<br />
hinzunehmen und verzichtet auf groß<br />
angelegte Konjunkturprogramme. Experten<br />
rechnen damit, dass sich die Wachstumsrate<br />
der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt<br />
von 7,7 Prozent im vergangenen Jahr auf<br />
rund sieben Prozent in diesem zurückbildet.<br />
Shoppen in Leipzig Der private Konsum<br />
wird zur Stütze der deutschen Konjunktur<br />
Japans Wirtschaft, die drittgrößte der<br />
Welt, ist im zweiten Quartal als Folge<br />
der kräftigen Mehrwertsteuererhöhung<br />
um 1,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal<br />
geschrumpft. Ein nachhaltiger Aufschwung<br />
ist nicht in Sicht, es mangelt an<br />
den dafür erforderlichen Strukturreformen.<br />
Unter der Schwäche Japans und<br />
Chinas leiden auch die südostasiatischen<br />
Länder, deren Handel stark mit beiden<br />
Ländern verflochten ist.<br />
In Lateinamerika bremsen die ökonomischen<br />
Schwergewichte Brasilien und Argentinien<br />
die Entwicklung. In Brasilien leidet<br />
die Wirtschaft unter der Hochzinspolitik<br />
zur Bekämpfung der Inflation, in Argentinien<br />
belastet die Aussicht auf einen sich<br />
abzeichnenden Staatsbankrott. Die Ökonomen<br />
der britisch-asiatischen Bank<br />
HSBC rechnen daher für Lateinamerika in<br />
diesem Jahr nur noch mit einem mickrigen<br />
Wachstum von 1,6 Prozent.<br />
Allein in den USA und Großbritannien<br />
wächst die Wirtschaft ordentlich. In den<br />
USA treibt nicht zuletzt die Reindustrialisierung<br />
durch die niedrigen Energiekosten<br />
die Wirtschaft an. Davon profitieren auch<br />
deutsche Unternehmen, die Amerika mit<br />
den Maschinen und Anlagen für die<br />
Wiederbelebung des industriellen Sektors<br />
beliefern (siehe Seite 38). Doch die robuste<br />
Konjunktur in den angelsächsischen Ländern<br />
allein reicht nicht, die Weltwirtschaft<br />
und damit die deutschen Exporte auf<br />
Touren zu bringen. So blieb das Plus der<br />
Ausfuhren aus Deutschland mit 2,4 Prozent<br />
im ersten Halbjahr 2014 deutlich<br />
Wie die Unternehmen auf den Wirtschaftseinbruch<br />
im zweiten Quartal reagieren<br />
Wie die Unternehmen die Aussichten für das<br />
zweite Halbjahr einschätzen<br />
Wir bauen Personal ab<br />
Wir fahren geplante<br />
Investitionen zurück<br />
Wir verzichten<br />
auf geplante<br />
Neueinstellungen<br />
13 %<br />
12 %<br />
9 %<br />
73 %<br />
Vorerst gar nicht,<br />
denn der Aufschwung<br />
bleibt intakt<br />
Die Aussichten…<br />
...werden sich<br />
verschlechtern<br />
Umfrage des ifo Instituts unter 464 Unternehmen aus Industrie, Bau,<br />
Handel und Dienstleistungen im Juli 2014, Mehrfachnennungen möglich<br />
16 % 16 %<br />
68 %<br />
...werden sich<br />
verbessern<br />
...bleiben gleich<br />
18 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTO: LAIF/JENS SCHWARZ; ILLUSTRATIONEN: KRISTINA DÜLLMANN, TORSTEN WOLBER<br />
hinter den Erwartungen von rund vier Prozent<br />
zurück.<br />
n In der Euro-Zone tritt die Konjunktur auf<br />
der Stelle. Diesmal sind es nicht die Krisenländer<br />
Spanien, Portugal, Irland und<br />
Griechenland, die den Aufschwung blockieren.<br />
Im Gegenteil. Spaniens Wirtschaft<br />
stürmte im zweiten Quartal mit einem<br />
Wachstum von 0,6 Prozent gegenüber dem<br />
Vorquartal voran. Die Reformen auf dem<br />
Arbeitsmarkt und die verbesserte preisliche<br />
Wettbewerbsfähigkeit infolge der zurückhaltenden<br />
Lohnpolitik der vergangenen<br />
Jahre machen sich bezahlt. Auch in<br />
Portugal legte das Bruttoinlandsprodukt<br />
um 0,6 Prozent kräftig zu. Sogar aus Griechenland<br />
kommen erste Erfolgsmeldungen.<br />
Im zweiten Quartal schrumpfte die<br />
Wirtschaft zwar noch geringfügig um 0,2<br />
Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal.<br />
Im Vergleich zum Vorquartal legte sie jedoch<br />
nach Berechnungen der Ökonomen<br />
der Berenberg-Bank saisonbereinigt um<br />
0,5 Prozent zu.<br />
IM BREMSERHÄUSCHEN<br />
Dagegen sitzen Italien sowie die Kernländer<br />
Frankreich, Belgien, Finnland und mit<br />
Einschränkungen auch die Niederlande im<br />
Bremserhäuschen der Euro-Konjunktur.<br />
Während Italien sich mehr und mehr als<br />
chronisch reformunfähig erweist und in eine<br />
Art Perma-Rezession abgerutscht ist, leiden<br />
die Kernländer unter den gleichen Problemen<br />
wie weiland Spanien und Co. „In<br />
den ersten Jahren der Währungsunion hat<br />
die EZB sich an der Entwicklung im damals<br />
kränkelnden Deutschland orientiert, für<br />
die anderen Euro-Länder war der Einheitszins<br />
zu niedrig“, erklärt Ökonom Solveen. In<br />
der Folge kam es in den meisten Südländern<br />
zu Übertreibungen, die nun korrigiert<br />
Wo die Unternehmen derzeit<br />
die größten Risiken sehen<br />
1%<br />
Keine Angabe<br />
7%<br />
Reform der<br />
Erbschaftsteuer<br />
Euro-<br />
Wechselkurs<br />
12%<br />
cherheiten für die ausgereichten Hypothekenkredite.<br />
Die Schulden der privaten Haushalte in<br />
den Euro-Kernländern erreichten zu Beginn<br />
der Währungsunion 70 bis 80 Prozent<br />
des BIPs. Die Immobilien- und Kreditbonanza<br />
der vergangenen Jahre hat die<br />
Quoten auf Werte zwischen 100 und 130<br />
Prozent getrieben. Um die Schulden wieder<br />
auf ein tragfähiges Niveau zu senken, müssen<br />
Unternehmer und Bürger mehr Geld in<br />
die Tilgung stecken. Das geht zulasten von<br />
Investitionen und Konsum – und dämpft so<br />
die Nachfrage nach deutschen Produkten.<br />
Dazu kommt, dass die Lohnstückkosten<br />
in Italien, Frankreich, den Niederlanden,<br />
Belgien und Finnland in den vergangenen<br />
Jahren im Trend gestiegen sind, während<br />
sie in Portugal, Spanien und Irland zurückgegangen<br />
sind. Um wieder wettbewerbsfäwerden<br />
müssen. „Diese Korrektur bremst<br />
nun die Konjunktur“, sagt Solveen.<br />
So haben die Niedrigzinsen der EZB die<br />
Häuserpreise in Belgien, den Niederlanden,<br />
Finnland und Frankreich in die Höhe<br />
getrieben. Inzwischen fallen die Preise<br />
wieder. Das dämpft die Bauinvestitionen<br />
und schmälert das Vermögen der Bürger<br />
und damit deren Kauflaune. Zudem leiden<br />
die Banken unter dem Wertverlust der Si-<br />
30%<br />
Schwächelnde<br />
Konjunktur wichtiger<br />
Handelspartner<br />
Die reale<br />
Kaufkraft<br />
der Bürger<br />
steigt<br />
33%<br />
Geopolitische<br />
Unruhen<br />
37% 37%<br />
Hohe<br />
Abgabenlast<br />
hig zu werden, müssen die Bürger in den<br />
Kernländern in den nächsten Jahren Lohnzurückhaltung<br />
üben.<br />
„Die Korrektur der Übertreibungen steht<br />
in den betroffenen Ländern erst am Anfang“,<br />
sagt Solveen. Weil diese für die Hälfte<br />
der Euro-Wirtschaft stünden, werde die<br />
konjunkturelle Erholung weiterhin quälend<br />
langsam verlaufen, prognostiziert der<br />
Commerzbanker. Das wird die Absatzchancen<br />
der deutschen Unternehmen beeinträchtigen.<br />
n Die Russland-Krise trübt die Aussichten<br />
zusätzlich (siehe Seite 24). Zwar gehen nur<br />
rund drei Prozent der deutschen Exporte<br />
nach Russland, weniger als halb so viel wie<br />
nach China. Doch in den ersten fünf<br />
Monaten dieses Jahres brachen sie um<br />
rund 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr<br />
ein. Die jüngst ergriffenen Sanktionen<br />
dürften die Talfahrt beschleunigen.<br />
Schrumpfen die Ausfuhren nach Russland<br />
im gesamten Jahr um 20 bis 25 Prozent,<br />
kostet das die deutschen Unternehmen<br />
nach Berechnungen der Ökonomen der<br />
Deutschen Bank 0,5 bis 0,7 Prozentpunkte<br />
beim Exportwachstum. Die Gesamtwirtschaft<br />
werde in diesem Fall um rund 0,3<br />
Prozent weniger wachsen.<br />
Das ließe sich noch verschmerzen. Doch<br />
viele deutsche Unternehmen sind über das<br />
reine Exportgeschäft hinaus durch Direktinvestitionen<br />
in Russland engagiert. So hat<br />
das ifo Institut in Sonderumfragen ermittelt,<br />
dass 47 Prozent der heimischen Industrieunternehmen<br />
Wirtschaftsbeziehungen<br />
zu Russland unterhalten. „Die deutsche<br />
Wirtschaft hat eben doch stärkere Hoffnungen<br />
in das Russland-Geschäft gesetzt,<br />
als es ein Blick auf die Statistiken hätte erwarten<br />
lassen“, sagt Hans-Werner Sinn, der<br />
Chef des ifo Instituts.<br />
Fachkräftemangel<br />
Wirtschaftspolitik<br />
der<br />
Bundesregierung<br />
40%<br />
40%<br />
»<br />
Steigende<br />
Energiekosten<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 19<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Unter Beschuss<br />
Der Ukraine-Konflikt<br />
bedroht auch die<br />
deutsche Wirtschaft<br />
Da diese nun enttäuscht werden, steigt<br />
die Unsicherheit. „Das könnte das Investitionsverhalten<br />
in Deutschland empfindlich<br />
treffen – über den Einfluss der Handelsströme<br />
hinaus“, sagt Bauknecht von<br />
der IKB. „Nun müssen wir uns schon wieder<br />
Sorgen um den Investitionszyklus machen.“<br />
So erklären 23 Prozent der <strong>vom</strong> ifo<br />
Institut befragten Unternehmen, sie wollten<br />
im nächsten Jahr weniger investieren<br />
als in diesem Jahr. Nur 17 Prozent der Befragten<br />
wollen mehr Geld in neue Maschinen<br />
und Anlagen stecken.<br />
Bauknecht fürchtet daher, die Russland-Krise<br />
werde vor allem im nächsten<br />
Jahr hässliche Bremsspuren in der Konjunktur<br />
hinterlassen. „Schon ein moderater<br />
Rückgang des BIPs im vierten Quartal<br />
dieses Jahres verringert die Ausgangsbasis<br />
für das nächste Jahr und könnte das<br />
Niveau von Forschung<br />
und Entwicklung<br />
Die Russland-Krise<br />
trübt die<br />
Aussicht<br />
Wie die Unternehmen den Standort Deutschland bewerten<br />
Schulnoten von 1 = sehr gut bis 6 = ungenügend<br />
2,2 2,4 2,5 2,8 3,0<br />
Weltoffenheit<br />
Bildungssystem<br />
Verkehrswege<br />
3,3<br />
Wirtschaftswachstum 2015 von den bisher<br />
erwarteten zwei Prozent auf ein Prozent<br />
halbieren.“<br />
Richtig dicke für die deutsche Wirtschaft<br />
dürfte es kommen, wenn sich der Konflikt<br />
zu einem offenen Krieg zwischen der<br />
Ukraine und Russland ausweitet und sich<br />
die Sanktionsspirale noch schneller dreht.<br />
„Ein offener Krieg beschädigte das Vertrauen<br />
und die Kaufkraft von Haushalten und<br />
Unternehmen“, sagt Ben May, Ökonom<br />
beim Analyseunternehmen Oxford Economics.<br />
In diesem Fall werde die Euro-Wirtschaft<br />
2015 in die Rezession stürzen.<br />
Noch hören sich solche Warnungen für<br />
die meisten Bundesbürger wie apokalyptische<br />
Horrorszenarien an. Ihre gute Laune<br />
scheint trotz des allabendlichen Trommelfeuers<br />
von Kriegs- und Elendsmeldungen<br />
in den Nachrichtensendungen ungebrochen.<br />
Der Konsumklimaindex der Nürnberger<br />
Gesellschaft für Konsumforschung<br />
deutet für August auf einen Höchststand<br />
von 9,0 Punkten. Ausschlaggebend dafür<br />
ist die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt. Der<br />
ungebremste Anstieg der Beschäftigung,<br />
die kräftigen Lohnzuwächse sowie die<br />
niedrige Teuerungsrate von zuletzt 0,8 Prozent<br />
lassen die real verfügbaren Einkommen<br />
steigen. Die Ökonomen der GfK rechnen<br />
daher damit, dass der reale private<br />
Konsum in diesem Jahr um 1,5 Prozent<br />
zulegt und die Konjunktur stützt.<br />
Selbst wenn sich die Russland-Krise zuspitzen<br />
sollte, sind viele Unternehmen mit<br />
ihren Beschäftigungsplänen darauf gut vorbereitet.<br />
Beispiel Trumpf: Bei dem schwäbischen<br />
Werkzeugmaschinenbauer haben<br />
sich Geschäftsführung und Gesamtbetriebsrat<br />
mit dem „Bündnis 2016“ schon<br />
2011 auf mögliche konjunkturelle Krisen<br />
eingestellt. Das Arbeitszeitmodell für die<br />
deutschen Standorte Ditzingen, Gerlingen<br />
und Hettingen soll zwar den Beschäftigten<br />
auch „ermöglichen, ihr Leben flexibel zu<br />
planen – privat wie beruflich“, betont Unternehmenschefin<br />
Nicola Leibinger-Kammüller.<br />
Dafür können diese alle zwei Jahre ihre<br />
Arbeitszeit zwischen 15 und 40 Wochenstunden<br />
wählen oder bis zu 1000 Stunden<br />
für längere Freizeitblöcke ansparen.<br />
Effizienz der<br />
Verwaltung<br />
3,6<br />
Gesundheitsversorgung<br />
Arbeitsmarktgesetze<br />
4,0<br />
Steuersystem<br />
»<br />
FOTO: DDP IMAGES/CAMERAPRESS RIA NOVOSTI; ILLUSTRATIONEN: KRISTINA DÜLLMANN, TORSTEN WOLBER<br />
20 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Heute schon die<br />
Zinsen gesenkt?<br />
Noch spielt EZB-<br />
Chef Draghi die<br />
Risiken herunter<br />
jüngsten Zinssenkungen und die für September<br />
anstehenden langfristigen Geldleihgeschäfte<br />
auf die Realwirtschaft auswirken.<br />
Klar ist jedoch: Kommt die Konjunktur nicht<br />
bis spätestens Anfang nächsten Jahres in die<br />
Hufe, wird die EZB handeln.<br />
»<br />
Auch wenn der deutschen Wirtschaft<br />
dank stabiler Beschäftigung und ungeschmälerter<br />
Kauffreude der Bürger ein<br />
konjunktureller Absturz erspart bleibt – die<br />
Rolle der Lokomotive für Europa wird<br />
Deutschland mit Wachstumsraten von<br />
deutlich unter zwei Prozent nicht mehr<br />
übernehmen können. Schon werden Forderungen<br />
laut, die Bundesregierung solle<br />
mehr zur Ankurbelung der heimischen<br />
Konjunktur tun, um Europa Impulse zu geben.<br />
Frankreichs Staatspräsident François<br />
Hollande erklärte jüngst, Deutschland habe<br />
genügend Spielraum für finanzpolitische<br />
Stimuli. Bei deutschen Ökonomen rufen<br />
derartige Appelle Widerspruch hervor.<br />
„Die Bundesregierung sollte nichts tun. Eine<br />
Abkühlung ist noch keine Rezession.<br />
Ruhe bewahren ist die erste Bürgerpflicht“,<br />
sagt ifo-Chef Sinn.<br />
Die<br />
Korrektur<br />
steht erst<br />
am Anfang<br />
Je länger aber die Flaute in Europa anhält,<br />
desto größer wird der Druck auf die EZB, der<br />
europäischen Konjunktur mit weiteren Liquiditätsspritzen<br />
neues Leben einzuhauchen.<br />
Noch hält EZB-Chef Mario Draghi dagegen.<br />
So spielte er jüngst die Konjunkturrisiken<br />
mit Verweis auf technische Faktoren<br />
herunter. Beobachter gehen davon aus, dass<br />
die EZB zunächst abwarten will, wie sich die<br />
EIN TREPPENWITZ<br />
Dann werden die Notenbanker wohl das tun,<br />
was ihre Kollegen in London, Tokio und Washington<br />
schon lange machen: in großem<br />
Umfang Staatsanleihen kaufen und im Gegenzug<br />
frisches Zentralbankgeld in den Bankensektor<br />
pumpen. Die Wahrscheinlichkeit<br />
dafür setzen die Ökonomen der Commerzbank<br />
mit 40 Prozent an. Dass das Rotieren<br />
der Notenpresse der Konjunktur hilft, ist jedoch<br />
unwahrscheinlich. „Erst wenn die<br />
Übertreibungen der Vergangenheit korrigiert<br />
sind und die Euro-Länder die notwendigen<br />
Strukturreformen ergriffen haben, besteht<br />
die Chance auf ein höheres Wirtschaftswachstum“,<br />
sagt Commerzbanker Solveen.<br />
Das wissen auch die Währungshüter der<br />
EZB. Daher liegt der Verdacht nahe, dass<br />
sie die maue Konjunktur als Vorwand nutzen<br />
könnten, um durch den Kauf von<br />
Staatsanleihen und verbrieften Krediten<br />
den Banken notleidende Forderungen abzunehmen<br />
sowie den Finanzministern<br />
durch künstlich nach unten gedrückte Zinsen<br />
das Schuldenmachen zu erleichtern.<br />
Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte,<br />
wenn ausgerechnet der russische Autokrat<br />
Wladimir Putin durch eine Eskalation des<br />
Konflikts mit der Ukraine der EZB den Weg<br />
dazu ebnete, die Staatsschulden in der<br />
Währungsunion mit der Notenpresse zu<br />
finanzieren.<br />
n<br />
malte.fischer@wiwo.de, thomas glöckner<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 24 »<br />
STATISTIK<br />
Droge fürs BIP<br />
Neue Regel lässt das Wachstum steigen<br />
und die Schuldenquote sinken.<br />
Ab September wird das Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) in der EU nach einer<br />
neuen Regel kalkuliert. Das Statistische<br />
Bundesamt hat das deutsche Wirtschaftswachstum<br />
bereits im zweiten<br />
Quartal 2014 nach der neuen Vorschrift<br />
berechnet – und gleichzeitig auch die<br />
Daten zurück bis 1991 angepasst.<br />
Ergebnis: Im Durchschnitt fällt das nominale<br />
BIP nun rund drei Prozent höher aus<br />
als bisher.<br />
FORSCHUNG IST INVESTITION<br />
Die quantitativ wichtigste Änderung betrifft<br />
die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung.<br />
Bisher wurden die <strong>Ausgabe</strong>n<br />
hierfür als Vorleistungen behandelt, künftig<br />
gehen sie als Investitionen in die BIP-<br />
Berechnung ein. Letzteres gilt auch für die<br />
Anschaffung militärischer Waffensysteme.<br />
Selbst illegale Aktivitäten wie der Verkauf<br />
von Drogen steigern ab jetzt als Schätzwert<br />
das Bruttoinlandsprodukt.<br />
Obwohl dem Anstieg des BIPs ein rein<br />
statistischer Effekt zugrunde liegt, hat die<br />
Umstellung auch politische Auswirkung. So<br />
dient das Bruttoinlandsprodukt als Referenzgröße<br />
für die Verschuldungskriterien<br />
der Euro-Länder (höchstens drei Prozent<br />
Defizit, 60 Prozent Schuldenstand). Das<br />
höhere BIP lässt also mehr Spielraum für<br />
Neu- und Gesamtverschuldung, frühere<br />
Kredite wirken harmloser. Die neue Schuldenstandsberechnung<br />
steht noch aus.<br />
Nach einer Prognose der Deutschen Bank<br />
sinkt der Wert für Deutschland für 2013<br />
von 78,4 Prozent auf rund 76 Prozent.<br />
nils heisterhagen | politik@wiwo.de<br />
FOTO: GETTY IMAGES/THOMAS LOHNES; ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
22 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
MASCHINENBAU<br />
Nutznießer China<br />
Der deutsche Maschinenbau schlägt Alarm: Jetzt sind es die Russen<br />
selber, die Aufträge stornieren, weil sie weitere Sanktionen fürchten.<br />
Sächsischer Mahner Naumann<br />
Angst vor dem Verlust<br />
von Einfluss in Russland<br />
schrieb jüngst der Präsident des deutschen<br />
Maschinenbauverbandes VDMA, Reinhold<br />
Festge, die Haltung in Moskau. Im Klartext:<br />
Die Embargopolitik richtet sich inzwischen<br />
auch gegen deutsche Unternehmen – und<br />
zwar selbst dann, wenn sie von Sanktionen<br />
noch nicht direkt betroffen sind. „Die<br />
Russen stornieren“, klagt der Chef eines<br />
Maschinenbauers aus Ostwestfalen.<br />
Russland ist mit einem Handelsvolumen<br />
in Höhe von 7,8 Milliarden Euro der viertwichtigste<br />
Exportmarkt des deutschen<br />
Maschinenbaus. Nach Angaben des Branchenverbandes<br />
VDMA ist der Export nach<br />
Russland bis Ende Mai um 20 Prozent gesunken.<br />
Und das ist erst der Anfang. Hans<br />
Naumann, Chef der deutsch-amerikanischen<br />
Werkzeugmaschinengruppe Niles-<br />
Simmons, Hersteller von Bahntechnik aus<br />
Chemnitz, sagt: „Der Wegfall des russischen<br />
Marktes ist für die deutsche Industrie<br />
außerordentlich kritisch.“<br />
Niles-Simmons betreibt in Moskau, Nishny<br />
Novgorod und Jekatarinenburg eigene<br />
Verkaufsbüros. Zu konkreten Zahlen will<br />
sich Naumann nicht äußern, aber er sieht<br />
sein Geschäft mit Eisenbahnreparaturwerkstätten<br />
auf der Kippe. Pro Werkstatt ist ein<br />
Auftragsvolumen in Höhe von gut 30 Millionen<br />
Euro in Gefahr.<br />
„Aufträge aus Russland liegen bei uns<br />
derzeit auf Eis“, sagt Anton Müller, Chef<br />
des mittelständischen Maschinenbauunternehmens<br />
SHW aus Aalen-Wasseralfingen<br />
am nordöstlichen Ausläufer der<br />
Schwäbischen Alb. Der Hersteller von<br />
Werkzeugmaschinen, Pumpen und Motorenkomponenten<br />
für Radlader, Kräne<br />
und Traktoren mit einem Umsatz von 365<br />
Millionen Euro blickt auf eine mehr als<br />
600 Jahre währende Geschichte zurück.<br />
1365 als Schmiede- und Handelsbetrieb<br />
für Rohstoffe gegründet, ist SHW nun<br />
schon seit Jahrhunderten im Russlandgeschäft<br />
tätig, einst mit dem Import von<br />
Rohstoffen, heutzutage mit dem Export<br />
von Einbauteilen, die sowohl für zivile<br />
wie für militärische Zwecke geeignet sind.<br />
Und genau das ist das Problem.<br />
Weil die russischen Auftraggeber fürchten,<br />
Lieferungen aus Deutschland könnten<br />
wegen der europäischen Wirtschaftssanktionen<br />
gegen Russland dort nicht<br />
mehr ankommen, erteilen sie Aufträge<br />
nur noch äußerst zögerlich. So hängen<br />
bei SHW Aufträge in Höhe von zehn Millionen<br />
Euro zurzeit im luftleeren Raum, sagt<br />
Müller. Projekte mit einem Wert von weiteren<br />
15 Millionen Euro werden zurzeit von<br />
russischer Seite „nicht vorangetrieben“,<br />
weil Sanktionen befürchtet werden.<br />
„Gebt den Deutschen nicht mehr so viel<br />
Aufträge, gebt sie woanders hin.“ So be-<br />
Einbruch erwartet<br />
Deutsche Exporte nach Russland<br />
(in Milliarden Euro)<br />
Quelle: Destatis<br />
4,0<br />
3,5<br />
3,0<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
2009 2010 2011 2012 2013 14<br />
SITUATION VERSCHLIMMERT<br />
„Die Russen würden uns die Maschinen ja<br />
gerne abnehmen, aber es ist nicht sicher,<br />
ob sie zum Zeitpunkt der Fertigstellung<br />
überhaupt noch ausgeführt werden können“,<br />
beschreibt VDMA-Präsident Festge<br />
das Russlandproblem des Mittelstandes.<br />
Volker Treier, Außenwirtschaftschef des<br />
Deutschen Industrie- und Handelskammertages<br />
(DIHK), sagt, dass „russische Betriebe<br />
zum Teil die Kundenbeziehungen zu ihren<br />
deutschen Partnern selbst beenden.<br />
Diese Tendenz hat sich in den vergangenen<br />
zwei Wochen noch verschlimmert.“<br />
Stark gebeutelt von der Krise wird auch<br />
die deutsche Elektrotechnik-Industrie. Im<br />
Mai brachen die Ausfuhren nach Russland<br />
um nahezu ein Fünftel ein.<br />
Die Russen bestellen mittlerweile woanders,<br />
beispielsweise in China, sagt ein deutscher<br />
Mittelständler. Was Branchenvertreter<br />
besonders wurmt: Zum Teil weichen die Russen<br />
auch auf italienische und spanische Konkurrenten<br />
aus. In diesen Ländern seien die<br />
Ausfuhrkontrollen „viel laxer als in Deutschland“,<br />
wo mal wieder nach dem Buchstaben<br />
des Gesetzes vorgegangen werde. „Wenn<br />
FOTO: MAX LAUTENSCHLÄGER; ILLUSTRATIONEN: KRISTINA DÜLLMANN, TORSTEN WOLBER<br />
24 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
schon EU-Sanktionen, dann bitte für alle“,<br />
fordert der Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens.<br />
„Wir leiden sehr unter<br />
der Russland-Krise“, klagt der Geschäftsführer<br />
eines sächsischen Apparatebauers<br />
für Chemie- und Petrochemieanlagen. Schon<br />
zwei Großaufträge hat das Unternehmen verloren,<br />
obwohl „wir das günstigste Angebot<br />
unterbreitet haben“. Grund: „Der russische<br />
Kunde hatte Angst vor einem Embargo und<br />
will nun in Asien bestellen.“<br />
Hans Naumann aus Chemnitz sagt es<br />
aus der Sicht eines Deutsch-Amerikaners<br />
mit leicht sächselndem Tonfall. „Andere<br />
Nationen, die die Methoden des Kalten<br />
Krieges nicht beachten, werden sofort in<br />
die Startlöcher springen und der russischen<br />
Industrie mit Erfolg ihre Produkte<br />
anbieten. Damit wird ein von Deutschland<br />
langfristig erarbeitetes Maschinen-Verkaufspotenzial<br />
auf andere Länder überge-<br />
Der Kunde<br />
will in<br />
Asien<br />
bestellen<br />
hen und die dominierende Marktstellung<br />
Deutschlands und die Zuneigung der russischen<br />
Kunden für deutsche Qualitätsprodukte<br />
eingebüßt.“<br />
Angst vor der Verschärfung von weiteren<br />
Sanktionen beherrscht den deutschen Mittelstand.<br />
Peter Fenkl, Chef von Ziel-Abegg,<br />
Hersteller von Ventilatoren aus dem schwäbischen<br />
Künzelsau, sieht für die Zukunft<br />
seines Russlandgeschäfts schwarz. „Sollte<br />
die Politik den Handel mit Russland quasi<br />
ganz verbieten, dann werden sich unsere<br />
Kunden gezwungenermaßen neue Lieferanten<br />
außerhalb der EU suchen. Und die Hersteller<br />
aus Asien werden dankbar einspringen.“<br />
Entwarnung dagegen kommt von Stihl<br />
aus Waiblingen: „Russland ist ein bedeutender<br />
Absatzmarkt für uns. Für unsere<br />
Motorsägen bestehen keine Lieferverbote.“<br />
Dagegen müssen die mittelständischen<br />
Zulieferer für den russischen Automobilsektor<br />
um ihr Geschäft bangen. Die meisten<br />
dieser Unternehmen haben sich rund<br />
um das Volkswagen-Werk in Kaluga, rund<br />
200 Kilometer südwestlich von Moskau,<br />
angesiedelt. Die Unterbrechung des<br />
Nachschubs „kann langfristig zu einem<br />
Flaschenhals in den lokalen Zulieferstrukturen<br />
führen“, warnt Felix Kuhnert,<br />
Leiter Automotive des Beratungshauses<br />
PricewaterhouseCoopers (PwC).<br />
Der schwäbische Lackieranlagenbauer<br />
Dürr hat das VW-Werk in Kaluga mit Lackieranlagen<br />
ausgerüstet. Bei Dürr sieht<br />
man die Situation zwar noch gelassen,<br />
rechnet aber mit einem Schwund von<br />
Aufträgen in Höhe von gut zehn Millionen<br />
Euro. „Ein Rückgang der Automobilindustrie<br />
in Russland bedeutet für uns einen<br />
kleineren Markt“, heißt es bei Dürr. Viele<br />
Projekte werden zurzeit nicht vergeben.<br />
Das hinterlässt nicht nur im deutschen<br />
Mittelstand, sondern in der gesamten russischen<br />
Automobilwirtschaft Spuren. „Eine<br />
Struktur mit mittelständischen Zulieferbetrieben<br />
wie hier in Deutschland, entsteht<br />
in Russland gerade erst“, sagt Branchenexperte<br />
Stefan Bratzel <strong>vom</strong> Center of<br />
Automotive Management (CAM) in Bergisch<br />
Gladbach bei Köln. Einzig Theo<br />
Freye, Chef des Landmaschinenherstellers<br />
Claas, zeigt sich unbesorgt von der Russlandkrise:<br />
„Wir setzen die umfangreiche<br />
Produktionserweiterung in Krasnodar fort.“<br />
ANTRÄGE AUF HALDE<br />
Aber nicht nur in Russland machen die<br />
mittelständischen Maschinenbauer neue<br />
Erfahrungen – auch in Deutschland tauchen<br />
neue Probleme auf. Beim Bundesamt<br />
für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle<br />
(Bafa) liegen Exportanträge auf Halde,<br />
die Bearbeitung stockt. Denn die Bafa hat<br />
nach Schilderungen von Mittelständlern<br />
die Ausfuhrgenehmigungen für Russland<br />
de facto an das Bundeswirtschaftsministerium<br />
abgeben müssen.<br />
Nach den Angaben von Rüdiger Kapitza,<br />
Vorstandschef des Werkzeugmaschinenbauers<br />
DMG Mori Seiki, muss mit einer<br />
Bearbeitungszeit von drei bis vier<br />
Monaten gerechnet werden. Früher gab<br />
es innerhalb von drei Wochen grünes<br />
Licht. Unisono sollen die inoffiziellen Auskünfte<br />
des Ministeriums nach den gestressten<br />
Schilderungen der Maschinenbauer<br />
folgendermaßen lauten: Wenn Sie<br />
eine Antwort über die Zwischenstände<br />
der Ausfuhrprüfung haben wollen, dann<br />
bekommen Sie eine negative Antwort.<br />
Warten Sie lieber sechs Monate ab.<br />
andreas.wildhagen@wiwo.de,<br />
rebecca.eisert, lothar.schnitzler<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 25<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Kasse macht sinnlich<br />
EUROPA | Getarnt als gemeinsame Arbeitslosenversicherung will EU-Sozialkommissar Lászlo Andor<br />
ein neues Transfersystem etablieren. Deutschlands Beitragszahler würden zum Zahlmeister.<br />
Er ist ein Mann mit einer Mission. 15<br />
Länder in sechs Monaten will Pierre<br />
Moscovici bereisen, immer auf der<br />
Suche nach dem Wachstum. Bis November<br />
soll er seinen Bericht für den französischen<br />
Ministerpräsidenten Manuel Valls abschließen,<br />
wie die europäische Politik die<br />
Wirtschaft ankurbeln könnte.<br />
Dem früheren Finanzminister Frankreichs<br />
geht es bei seiner Tour d’Europe<br />
auch um Eigenwerbung. Als EU-Kommissar<br />
möchte er in Brüssel künftig am liebsten<br />
das Ressort Wirtschaft übernehmen.<br />
Europas dringendes Wachstumsproblem<br />
hat er verstanden, suggeriert er mit seiner<br />
weitläufigen Reisetätigkeit.<br />
Unter seinen Lösungsvorschlägen werden<br />
sich unkonventionelle finden und vor<br />
allem solche, die in Berlin auf wenig Gegenliebe<br />
stoßen. Der Sozialist ist in der Vergangenheit<br />
damit aufgefallen, Frankreichs<br />
Haushalt nicht ausreichend saniert zu haben,<br />
aber mehr Solidarität zwischen den<br />
PORTUGAL<br />
Vier Personen, 900 Euro<br />
Von Eismann in die Kälte führt der<br />
Weg von Nuno Berardo Reis. Vor zwei<br />
Jahren endete sein Job bei einer Tiefkühlfirma,<br />
nun sinkt sein Arbeitslosengeld<br />
von 950 auf 450 Euro. Genauso<br />
viel bekommt seine arbeitslose Frau<br />
Mitgliedstaaten der Euro-Zone einzufordern,<br />
etwa in Form einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung.<br />
Sein Vorschlag, erstmals vor knapp zwei<br />
Jahren unterbreitet, erhält gerade unerwarteten<br />
Auftrieb. Die italienische Regierung,<br />
die noch bis zum Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft<br />
innehat, treibt das Projekt<br />
ebenso voran wie der scheidende Sozialkommissar<br />
Lászlo Andor. Letzterer erklärte<br />
die Einheitskasse für Jobsucher in der Euro-Zone<br />
gar zu „einer der wichtigsten Prioritäten<br />
der nächsten EU-Kommission“<br />
(siehe WirtschaftsWoche 33/2014). Seinem<br />
Nachfolger hinterlässt er umfangreiche<br />
Vorarbeiten. Es ist unwahrscheinlich, dass<br />
ihm ein Liberaler folgt, der die Konzepte in<br />
der Schublade lässt. Traditionell geht der<br />
Posten an Politiker der Linken.<br />
Das weckt in Deutschland Sorgen – und<br />
eine breite Abwehrphalanx. Denn Europas<br />
bisherige Wirtschaftslokomotive müsste<br />
Milliarden von Euro mobilisieren, um die Arbeitslosen<br />
der Nachbarländer mitzuschleppen.<br />
Es droht die Transferunion über ein Nebengleis,<br />
während Berlin noch versucht, eine<br />
automatische Solidarität über die Hauptstrecke<br />
der Fiskalunion zu verhindern.<br />
Vor zwei Jahren war es Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel noch gelungen, eine Debatte<br />
über die gemeinsame Arbeitslosenversicherung<br />
zu ersticken. Nun ist die Gefahr<br />
wesentlich größer, dass es mittelfristig zu<br />
einer Transferunion kommt. Seit bei der<br />
FOTO: THOMAS MEYER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
26 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Europawahl Ende März Populisten deutliche<br />
Zuwächse erzielten, wird der Ruf nach<br />
einem sozialen Europa lauter. „Die soziale<br />
Fairness kam zu kurz“, sagt etwa der künftige<br />
Präsident der EU-Kommission Jean-<br />
Claude Juncker. Er verspricht, in seiner<br />
Amtszeit „die soziale Dimension Europas<br />
nie aus den Augen zu verlieren“.<br />
Solche Aussagen verleihen jenen Rückenwind,<br />
die mehr Zusammenhalt in Europa<br />
fordern. Solidarität zwischen den Völkern<br />
sei im EU-Vertrag ausdrücklich festgelegt.<br />
„Die Vergemeinschaftung der nationalen<br />
<strong>Ausgabe</strong>n für die Arbeitslosenversicherung<br />
in der Euro-Zone wäre ein starkes<br />
Signal der Integration und der Solidarität“,<br />
heißt es etwa in einem Arbeitspapier des<br />
Pariser Finanzministeriums, in dem die<br />
möglichen Transfers für die Jahre 2000 bis<br />
2012 durchgerechnet werden.<br />
Milliardenschwere Zahlungen zwischen<br />
den Euro-Ländern wären die Folge.<br />
Deutschland hätte in der fraglichen Zeit<br />
20,4 Milliarden Euro in den gemeinsamen<br />
Fonds einzahlen müssen, Frankreich 17,7<br />
Milliarden Euro. Als größter Nutznießer<br />
hätte Spanien 34,5 Milliarden Euro bekommen,<br />
für Griechenland wären es 4,2 Milliarden<br />
Euro gewesen (siehe Tabelle Seite<br />
29). Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung<br />
der Bundesagentur für Arbeit<br />
kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Mit<br />
den in Deutschland aufgebrachten Beiträgen<br />
würden „30 Prozent der gesamten<br />
Leistungen der europäischen Arbeitslosenversicherung<br />
finanziert“.<br />
Großes Gefälle<br />
Höhe des Arbeitslosengeldes in Europa<br />
(in Prozent des Nettoeinkommens der<br />
vergangenen sechs Monate)<br />
Portugal<br />
Luxemburg<br />
Schweden<br />
Griechenland<br />
Frankreich<br />
Belgien<br />
Niederlande<br />
Slowakei<br />
Spanien<br />
Deutschland<br />
Finnland<br />
Schweiz<br />
Italien<br />
Estland<br />
Österreich<br />
Irland<br />
Malta<br />
Quelle: SPIN<br />
0<br />
20 40 60 80 100<br />
Bisher unterscheiden sich die nationalen<br />
Systeme der sozialen Absicherung bei Jobverlust<br />
erheblich. Sie sind historisch gewachsen,<br />
reflektieren nationale Befindlichkeiten.<br />
Manche Länder verzichten nach<br />
wie vor auf einen kräftigen Anreiz, Arbeit<br />
zu suchen. Belgien mit seinen starken Gewerkschaften<br />
beispielsweise gewährt Arbeitslosengeld<br />
ohne jede Befristung. Im<br />
südlichen Landesteil Wallonie sind die<br />
Hälfte der Jobsucher Langzeitarbeitslose,<br />
darunter solche, die seit 20 Jahren Arbeitslosengeld<br />
beziehen. Ganz anders dagegen<br />
Malta und die Slowakei, wo die Stütze nur<br />
sechs Monate fließt. Auch die Sätze variieren<br />
gehörig. Frankreich und Luxemburg etwa<br />
gewähren Arbeitslosen mehr als 70 Prozent<br />
des letzten Lohns oder Gehalts, während<br />
es in Irland nicht einmal 40 Prozent<br />
sind (siehe Grafik).<br />
SOCKEL-SICHERUNG<br />
Sozialkommissar Andor selbst hält es für illusorisch,<br />
die nationalen Systeme stärker<br />
anzugleichen. Stattdessen hat er ein Modell<br />
vorgeschlagen, in dem die europäische<br />
Arbeitslosenversicherung die ersten<br />
sechs Monate lang 40 Prozent des letzten<br />
Gehalts übernimmt, also eine Art Sockel-<br />
Sicherung. Wenn Mitgliedstaaten Betrag<br />
oder Laufzeit aufstocken wollten, stünde<br />
ihnen dies frei – aus eigenen Mitteln. Somit<br />
wäre eine Harmonisierung dieser Variablen<br />
nicht notwendig, argumentiert er.<br />
Doch in der Praxis stellten sich viele Fragen.<br />
Ein Franzose hat schon nach vier Monaten<br />
Einzahlung Anrecht auf Arbeitslosengeld,<br />
Deutsche und Griechen dagegen<br />
erst nach zwölf Monaten. Ohne ähnliche<br />
Mindestanforderungen wäre das System<br />
ungerecht. Einen persönlichen Vorteil hätten<br />
lediglich Arbeitslose in Irland und Malta,<br />
die mehr Unterstützung bekämen als im<br />
bisherigen nationalen System.<br />
Die französische Regierung, die das Projekt<br />
wesentlich vorantreibt, blendet dabei<br />
geflissentlich aus, dass der Vertrag von<br />
Maastricht eine Transferunion ausdrücklich<br />
verbietet. „Den Befürwortern einer europäischen<br />
Arbeitslosenversicherung geht<br />
es nicht darum, dem einzelnen Arbeitslosen<br />
mehr Geld zukommen zu lassen, sondern<br />
es geht ihnen nur darum, woher das<br />
Geld kommt“, warnt Christoph M. Schmidt,<br />
Vorsitzender des Sachverständigenrats zur<br />
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />
Entwicklung (SVR). „Hier soll lediglich ein<br />
neues Transfersystem geschaffen werden.“<br />
Im Rat der fünf Weisen ist man sich in der<br />
Ablehnung der europäischen Einheits-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 27<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
kasse so einig wie selten. „Wenn die Befürworter<br />
nur konjunkturelle Schocks abfedern<br />
wollen, gäbe es bessere Lösungen“,<br />
sagt Peter Bofinger von der Universität<br />
Würzburg, der sonst mit seinen Ratskollegen<br />
gern mal über Kreuz liegt. „Eine europäische<br />
Arbeitslosenversicherung brächte<br />
nur Ärger, weil sie den Vorwurf auslöst: Da<br />
haben wir ja die Transferunion.“ Zudem<br />
lasse sich kaum auseinanderrechnen, welcher<br />
Teil der Arbeitslosigkeit konjunkturell,<br />
welcher strukturell bedingt ist. „Besser ist<br />
es, den Ländern größere Spielräume bei<br />
den Defizitvorgaben einzuräumen, wie es<br />
der Maastricht-Vertrag ja tut.“<br />
VORSTOSS OHNE KOMPETENZ<br />
Die Politik hält sich bei der Bewertung der<br />
Brüsseler Pläne noch weitgehend zurück.<br />
„Gegen die Idee der Einführung einer europäischen<br />
Arbeitslosenversicherung bestehen<br />
in der Bundesregierung Bedenken“,<br />
heißt es in einer Stellungnahme des Bundesarbeitsministeriums.<br />
Zur Einführung<br />
wären eine Harmonisierung der nationalen<br />
Arbeitslosenversicherungen, deren Verzahnung<br />
mit anderen sozialen Sicherungssystemen<br />
und der aktiven Arbeitsmarkpolitik<br />
sowie Harmonisierungen im Arbeitsrecht,<br />
zum Beispiel beim Kündigungsschutz,<br />
zwingend notwendig. Da bereits die Definition<br />
des Versicherungsfalles Arbeitslosigkeit<br />
innerhalb der EU auseinandergehe und<br />
auch die Finanzierung (über Steuern oder<br />
über Beiträge) unterschiedlich gestaltet sei,<br />
„sind die notwendigen Voraussetzungen für<br />
ein solches System nicht gegeben“.<br />
Rechtlich schwerer wiegt: Die EU-Länder<br />
müssten die Verträge ändern. „Für die<br />
Arbeitslosenversicherung sind die Mitgliedstaaten<br />
zuständig“, betont Bayerns Sozialministerin<br />
Emilia Müller (CSU). „Die<br />
EU hat hierbei keinerlei Kompetenz.“<br />
Wichtiger als „neue Umverteilungsinstrumente“<br />
sei, „dass gerade die Länder mit<br />
hoher Arbeitslosigkeit entschlossen Reformen<br />
angehen, damit Wachstum und Beschäftigung<br />
entstehen“.<br />
GRIECHENLAND<br />
Von 10 000 auf 450 Euro<br />
Der letzte Arbeitstag fällt Achilleas<br />
Giraud, 50, schwer – auch wenn’s nur<br />
ein Hilfsjob im Stadtpark von Kifissia bei<br />
Athen ist. Als Manager einer Lebensmittelfirma<br />
verdiente er einst 10 000 Euro.<br />
Künftiges Arbeitslosengeld: 450 Euro<br />
Zudem stellt sich die Frage, wer in den<br />
Euro-Ländern das gemeinsame Arbeitslosengeld<br />
verwaltet. Eine neue Behörde,<br />
die mit großem Aufwand aus dem Boden<br />
gestampft werden müsste? Oder doch die<br />
nationalen Ämter, bei denen die Gefahr besteht,<br />
dass sie Regeln doch wieder unterschiedlich<br />
auslegen und im Zweifel das<br />
Beste für ihre eigene Klientel herausholen.<br />
Zudem warnt der Wirtschaftsweise Lars<br />
Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts<br />
in Freiburg: Wie die Zusammenarbeit nationaler<br />
Behörden „vor dem Hintergrund<br />
des Datenschutzes ohne neue Ausweichund<br />
Betrugstatbestände gehen soll, ist<br />
mir ein Rätsel. Organisatorisch ist dies ein<br />
Albtraum.“<br />
Völlig offen ist auch, wie neben je 18 Finanz-<br />
und Arbeitsministern, die alle ein<br />
Wörtchen mitreden wollten, die Tarifpartner<br />
in das Projekt eingebunden würden.<br />
Die deutschen jedenfalls sind in ungewohnter<br />
einträchtiger Ablehnung vereint.<br />
„Wir haben große Zweifel, ob die Vorschläge<br />
von EU-Kommissar Andor der richtige<br />
Weg sind“, bremst DGB-Vorstandsmitglied<br />
Annelie Buntenbach, auch stellvertretende<br />
Vorsitzende des Verwaltungsrates der Bundesagentur<br />
für Arbeit. „Sozial- und verteilungspolitisch<br />
jedenfalls wäre es falsch, die<br />
FOTO: NIKOS PILOS<br />
28 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Lasten der bisherigen Krisenpolitik einseitig<br />
auf die Beitragszahler der nationalen<br />
Arbeitslosenversicherung abzuwälzen und<br />
damit kleine und mittlere Arbeitseinkommen<br />
in besonderer Weise zu belasten.“ Die<br />
deutsche Arbeitslosenversicherung sei<br />
schon derzeit nicht in der Lage, ausreichende<br />
Rücklagen aufzubauen, „um bei<br />
uns eventuell drohende Wirtschaftseinbrüche<br />
ausreichend abfedern und die<br />
Konjunktur stabilisieren zu können“.<br />
MEHR GELD INS GEBEUTELTE LAND<br />
Jedes Land brauche seine eigene Arbeitslosenversicherung,<br />
die auf seine Probleme<br />
zugeschnitten sei, bringt Arbeitgeberpräsident<br />
Ingo Kramer zur Unterstützung der<br />
DGB-Frau Buntenbach prompt vor. „Eine<br />
Einheitslösung hilft niemandem. Man<br />
kann nicht von einem Land verlangen,<br />
dass es die Leistungen für andere Länder<br />
finanziert.“ Dies gehe schon gar nicht,<br />
wenn der Geldgeber keinerlei Einfluss auf<br />
die Gestaltung des Arbeitsmarktes habe.<br />
„Es besteht die Gefahr, dass Deutschland<br />
zum Zahlmeister degradiert wird.“ Kramer<br />
kann sich nicht vorstellen, „wie die europäischen<br />
Sozialversicherungssysteme auf<br />
einen Nenner gebracht werden könnten“.<br />
Und er hofft, die künftige EU-Kommission<br />
werde diese Vorschläge vielleicht gar nicht<br />
aufgreifen.<br />
Die Befürworter der gemeinsamen Arbeitslosenversicherung<br />
halten den Aufwand<br />
für berechtigt, sehen sie doch in dem<br />
Konzept einen der „automatischen Stabilisatoren“.<br />
Die Ökonomen Sebastian Dullien<br />
und Ferdinand Fichtner <strong>vom</strong> Deutschen<br />
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in<br />
Berlin sprechen von einem „stabilisierenden<br />
Element“ für die Euro-Zone, das die<br />
Konjunkturzyklen in Gleichklang bringen<br />
würde. Ihr Argument:Schwächelt die Konjunktur<br />
in einem Land, würden dessen<br />
Einzahlungen in den gemeinsamen europäischen<br />
Topf automatisch fallen, weil weniger<br />
Menschen beschäftigt sind. Gleichzeitig<br />
steigen die Auszahlungen, weil mehr<br />
Menschen Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />
haben. Das System brächte also mehr Geld<br />
in das gebeutelte Land – faktisch also eine<br />
klare, von den Erfindern gewünschte Umverteilung.<br />
Doch inwieweit der erhoffte Stabilisierungseffekt<br />
eintritt, hängt von vielen Faktoren<br />
ab. Etwa von der Größe des Systems.<br />
Andors Modell hätte geschätzt ein Volumen<br />
von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts,<br />
derzeit also 96 Milliarden Euro.<br />
Doch in den Krisenländern käme daraus<br />
voraussichtlich zu wenig an, um die Konjunktur<br />
zu stützen. Der Teufel liegt ohnehin<br />
im Detail, denn jede Variable – wie etwa<br />
die Bezugsdauer – beeinflusst den Effekt.<br />
„Die Stabilisierungswirkung der Arbeitslosenversicherung<br />
könnte sehr gering<br />
ausfallen, wenn sie schlecht entworfen ist“,<br />
argumentiert Guntram Wolff, Direktor des<br />
Brüsseler Thinktanks Bruegel. Er weist darauf<br />
hin, dass es interessantere Alternativen<br />
gibt, um starke Ausschläge der Konjunktur<br />
zu vermeiden: „Andere Stabilisierungsmechanismen<br />
wie Arbeitskräftemobilität<br />
und die Integration der Finanzmärkte<br />
sind derzeit unterentwickelt, gemessen<br />
an einer optimalen Währungsunion.“ Und<br />
in einer katastrophalen Rezession sei ein<br />
Investitionsprogramm der einfachere Weg<br />
zu einer Stabilisierung.<br />
Größte Schwachstelle des Konzepts sind<br />
jedoch die völlig falschen Anreize, die es<br />
setzt. Wenn Länder die Kosten der Arbeitslosigkeit<br />
nicht mehr alleine tragen müssen,<br />
sinkt der Anreiz, den heimischen Arbeitsmarkt<br />
zu reformieren. Dass Sozialkommissar<br />
Andor betont, sein Modell sei ohne<br />
Harmonisierung möglich, deutet darauf<br />
hin, wie wenig ein Umbau der nationalen<br />
Arbeitsmärkte geplant ist. Damit bliebe<br />
auch die Behauptung Illusion, langfristig<br />
Belgien zahlt immer weiter<br />
Leistungen der Arbeitslosenversicherung<br />
in Europa 1<br />
Land<br />
Belgien<br />
Portugal<br />
Frankreich<br />
Spanien<br />
Finnland<br />
Niederlande<br />
Deutschland<br />
Griechenland<br />
Irland<br />
Luxemburg<br />
Italien<br />
Österreich<br />
Maximale<br />
Bezugsdauer<br />
2<br />
unbegrenzt<br />
27,6<br />
24<br />
23,7<br />
23<br />
22<br />
12<br />
12<br />
12<br />
12<br />
8<br />
9<br />
Anspruch<br />
auf Leistung<br />
nach<br />
Monaten/<br />
im Lauf der<br />
letzen<br />
Monate<br />
12/18<br />
12/24<br />
4/28<br />
12/72<br />
8/ 28<br />
6/8<br />
12/24<br />
12/36<br />
6/24<br />
6/12<br />
12/24<br />
12/24<br />
Transfersaldo<br />
einer EU-<br />
Arbeitslosen<br />
versicherung<br />
2000–2012 3<br />
0,2<br />
3,9<br />
–17,7<br />
34,5<br />
–6,0<br />
2,6<br />
–20,4<br />
4,2<br />
2,0<br />
0,1<br />
–5,1<br />
–2,4<br />
1 ausgewählte Länder; 2 in Monaten; 3 in Milliarden Euro;<br />
Quelle: MISSOC, Social Policy Indicator Database<br />
(SPIN), Französisches Finanzministerium<br />
würde kein Land zum Dauerzahler, weil<br />
immer mal der eine, mal der andere Staat<br />
Probleme hätte.<br />
„Nur im Sandkastenmodell gleichen sich<br />
die Belastungen langfristig aus“, warnt der<br />
Chef-Wirtschaftsweise Schmidt. Doch dafür<br />
müssten sich alle nach Kräften um die<br />
eigene Leistungsfähigkeit bemühen.<br />
„Wenn sich die Kosten der Arbeitslosigkeit<br />
aber auf die Nachbarländer abwälzen lassen,<br />
sinkt der Anreiz zu entsprechenden<br />
Reformen beträchtlich. Wer wie Frankreich<br />
einen hohen Mindestlohn hat und den<br />
auch noch subventioniert, der soll nicht<br />
andere dafür zahlen lassen.“<br />
BESSERE MÖGLICHKEITEN<br />
Wenig überraschend, dass die Kritiker den<br />
Mitgliedstaaten andere Rezepte offerieren.<br />
„Um Schocks abzufedern, die die einzelnen<br />
Länder ungleich treffen, gibt es bessere<br />
Möglichkeiten als eine solche Einheitsversicherung“,<br />
sagt Regierungsberater<br />
Schmidt. „Ein flexibler Arbeitsmarkt, ein<br />
offener Binnenmarkt für Menschen und<br />
Kapital sowie die Bankenunion wirken<br />
besser und schaffen keine falschen Anreize.“<br />
Auch sein SVR-Kollege Feld setzt auf<br />
die bisherigen Vertragsgrundlagen: „Halten<br />
die Mitgliedstaaten ihr Pulver trocken,<br />
halten den Maastricht-Vertrag ein und liegen<br />
also unter 60 Prozent Schuldenquote,<br />
dann können sie in Eigenverantwortung<br />
ihre automatischen Stabilisatoren vernünftig<br />
zur Bekämpfung asymmetrischer<br />
Schocks ausstatten.“ Zudem sorge die Bankenunion<br />
dafür, dass schwere Finanzkrisen<br />
mit europäischer Unterstützung bewältigt<br />
werden. „Die Befürworter der europäischen<br />
Arbeitslosenversicherung haben<br />
nirgends schlüssig klargemacht, warum<br />
man dieses Instrument über den ESM und<br />
die Bankenunion hinaus braucht.“<br />
EU-Sozialkommissar Andor hält gleichwohl<br />
die europäische Arbeitslosenversicherung<br />
für besser als Euro-Bonds und<br />
auch für „die bessere Alternative, verglichen<br />
mit der Option, einzelnen Mitgliedstaaten<br />
mehr Spielraum in der Fiskalpolitik<br />
zu geben“.<br />
Der Wirtschaftsweise Schmidt hält strikt<br />
dagegen: „Wir haben in der Finanz- und<br />
Währungskrise gesehen: Wenn Entscheidung<br />
und Haftung nicht auf derselben<br />
Ebene liegen, kommt es immer wieder zu<br />
Fehlentwicklungen. In einer europäischen<br />
Arbeitslosenversicherung wäre wohl kaum<br />
zu vermeiden, dass es zu dauerhaften<br />
Transfers kommt.“<br />
n<br />
silke.wettach@wiwo.de| Brüssel, henning krumrey | Berlin<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 29<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Dem Ziel so nah<br />
SCHOTTLAND | Der Countdown läuft: In einem Monat stimmen die Schotten über die<br />
Unabhängigkeit von Großbritannien ab. Die Ja-Kampagne hofft, die Wirtschaft bangt.<br />
Keep calm and carry on – die Durchhalteparole<br />
aus dem Zweiten Weltkrieg<br />
erfreut sich in Großbritannien<br />
auch heute noch großer Popularität. Sie<br />
prangt auf Kaffeebechern, T-Shirts, Postkarten.<br />
Auch politisch ist der Slogan derzeit<br />
wieder brandaktuell. Zwar droht dem<br />
Vereinigten Königreich kein Angriff von<br />
außen, dafür aber Gefahr von innen.<br />
Zum Beispiel von ihm: Colin Pyle, 33<br />
Jahre, geboren in Kirkcaldy. Seit 17 Jahren<br />
schon kämpft er für die Unabhängigkeit<br />
Mit fliegender Fahne Colin Pyle kämpft für<br />
die Unabhängigkeit seiner Heimat<br />
Schottlands. Ihn treibt – wie viele schottische<br />
Patrioten – eine tiefsitzende Abneigung<br />
gegen das politische Establishment in<br />
London. Endlich ist es so weit. Am 18. September<br />
stimmen die Schotten über ihre<br />
Unabhängigkeit ab. Eine Mehrheit für die<br />
Nationalisten würde das unwiderrufliche<br />
Ende der 307-jährigen Union mit Großbritannien<br />
bedeuten.<br />
Pyles Sieg wäre für Königin Elizabeth II.<br />
ein schmerzlicher Verlust. Die 88-jährige<br />
Monarchin regiert seit 62 Jahren, befindet<br />
sich auf dem Höhepunkt ihrer Popularität,<br />
hat in ihrer Amtszeit zwölf Premierminister<br />
ernannt. Doch während ihre berühmte<br />
Vorgängerin Victoria noch ein Weltreich<br />
regierte, in dem die Sonne niemals unterging<br />
und das am Ende des 19. Jahrhunderts<br />
ein Drittel der Weltbevölkerung und ein<br />
Fünftel der Erde umfasste, musste das<br />
Großbritannien unter Elizabeth II. den Ver-<br />
FOTO: BRENDAN MCNEILL FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
30 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
lust seiner Kolonien verkraften, den Übergang<br />
<strong>vom</strong> Empire zum Commonwealth<br />
erdulden, den Wandel seiner anglikanisch<br />
geprägten Gesellschaft zu einer multikulturellen<br />
Nation mit einer Vielzahl von<br />
Religionen ertragen. Nach einem Ja der<br />
Schotten würde von ihrem einst stolzen<br />
Königreich nicht mehr übrig bleiben als<br />
ein zersplittertes, politisch und wirtschaftlich<br />
geschwächtes Land.<br />
GLASGOW, 136 HOPE STREET<br />
In der Straße der Hoffnung, nur fünf Minuten<br />
<strong>vom</strong> Hauptbahnhof Glasgow entfernt,<br />
residiert die überparteiliche „Yes Scotland“-Kampagne.<br />
Den Eingang zieren aufmunternde<br />
Sprüche: „Sogar die Nein-Sager<br />
geben zu: Natürlich kann Schottland<br />
unabhängig werden!“<br />
»Wer Großbritannien<br />
verlässt,<br />
verlässt auch<br />
das Pfund«<br />
George Osborne, britischer Finanzminister<br />
die sich an den Interessen der englischen<br />
Mittelklasse orientiert“.<br />
„Australien, Kanada, eine ganze Reihe<br />
anderer Staaten und sogar die amerikanischen<br />
Kolonien haben sich von Großbritannien<br />
losgesagt, da ist Schottland nur<br />
das letzte Glied in einer langen Reihe. Für<br />
ren Investitionen, mehr Jobs und zu einem<br />
besseren Lebensstandard führen.<br />
Konkret werde eine künftige schottische<br />
Regierung die Körperschaftsteuer um drei<br />
Prozentpunkte unter das Niveau von Großbritannien<br />
senken und die Steuer für Flugreisende<br />
um 50 Prozent kürzen, um so den<br />
Tourismus anzukurbeln, sagt Pyle. Seinen<br />
rhetorischen Schliff und sein selbstsicheres<br />
Auftreten hat er in der PR-Abteilung der<br />
Royal Bank of Scotland (RBS) und als Berater<br />
von Alex Salmond, dem „First Minister“<br />
(Ministerpräsident) von Schottland und<br />
SNP-Chef, gelernt. Jetzt sucht der schottische<br />
Nationalist vor allem den Dialog mit<br />
den Unternehmen, um sie von den Vorteilen<br />
der Unabhängigkeit zu überzeugen.<br />
Doch hier herrscht große Skepsis. Sollte es<br />
künftig Grenzen und Zölle zwischen Schott-<br />
In einem kargen Konferenzraum treffen<br />
wir Pyle. Schon mit 16 war er der Scottish<br />
National Party (SNP) beigetreten. „Damals<br />
tobte die Debatte über die Einrichtung eines<br />
schottischen Regionalparlaments“, erinnert<br />
sich der 33-Jährige. „Wir glaubten,<br />
nur die SNP könne sicherstellen, dass dieses<br />
Gremium mehr als ein Pfarrgemeinderat<br />
wird.“ Sein Schlüsselerlebnis aber war<br />
die Einführung von Studiengebühren<br />
durch den damaligen Labour-Premier Tony<br />
Blair: „Für die Mehrheit der Schotten<br />
und jemanden wie mich, der fest an das<br />
Prinzip einer kostenlosen Bildung für alle<br />
glaubt, war das Verrat.“ Egal, welche Partei<br />
in London regiert, so Pyle, „wird uns hier in<br />
Schottland immer eine Politik aufgezwungen,<br />
für die wir nicht gestimmt haben und<br />
mich ist es großartig, Teil einer historischen<br />
Entscheidung zu sein“, sagt Pyle.<br />
Er hat für jedes Argument der „Better<br />
Together“-Kampagne, die mit düsteren<br />
Szenarien vor der Sezession warnt, eine<br />
passende Antwort.<br />
Ein unabhängiges Schottland sei ökonomisch<br />
stark genug, um alleine zu überleben.<br />
Das Pfund Sterling, kontrolliert von<br />
der Bank of England (BoE), wolle Schottland<br />
behalten und auch weiterhin Mitglied<br />
der EU und der Nato bleiben. Wer das Gegenteil<br />
behaupte, betreibe lediglich eine<br />
Einschüchterungskampagne. Pyle ist überzeugt:<br />
Wenn das mit Öl und erneuerbaren<br />
Energien gesegnete Schottland endlich seine<br />
eigenen Steuern festlegen, eintreiben<br />
und ausgeben könne, werde dies zu höheland<br />
und England geben, wäre dies für den<br />
bilateralen Handel verheerend, sagt Robert<br />
Wood, UK-Chefvolkswirt bei der Berenberg<br />
Bank. „Wir verkaufen mehr schottische Produkte<br />
nach England als in die restliche Welt,<br />
und bisher wissen wir nicht einmal, ob wir<br />
künftig eine gemeinsame Währung haben<br />
werden“, sagt der Labour-Politiker und Ex-<br />
Finanzminister Alistair Darling, Leiter der<br />
„Better Together“-Kampagne. Dass ein abtrünniges<br />
Schottland das Pfund behalten<br />
könne, stößt im Süden des Landes auf geballten<br />
Widerstand: „Wer Großbritannien<br />
verlässt, verlässt auch das Pfund“, polterte<br />
Finanzminister George Osborne und wird<br />
hierbei von der Labour-Partei und Notenbankchef<br />
Mark Carney unterstützt. Reiner<br />
Bluff sei dies, kontert Pyle.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 31<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Jeder blickt in<br />
seine Richtung<br />
Briten-Premier Cameron,<br />
Schottlands Erster<br />
Minister Salmond<br />
von der Universität von Aberdeen, einer<br />
der angesehensten Ölexperten, schätzt die<br />
Ölreserven in der Nordsee auf 11,7 bis 35,2<br />
Milliarden Barrel – aus der Erde gepumpt<br />
wurden dort seit den Siebzigerjahren mehr<br />
als 40 Milliarden Barrel.<br />
In den Umfragen liegen die Befürworter<br />
der Union mit England zwar bisher konstant<br />
vorne, doch ihr Anteil schwankt. Zuletzt<br />
waren es rund 45 Prozent. Rund 13<br />
Prozent der Wähler waren Anfang August<br />
noch unentschieden, sie sind hart umkämpft.<br />
Viele von ihnen leben in den ärmeren<br />
Stadtvierteln im Osten Glasgows.<br />
»<br />
Edinburgh ist nach London das zweitgrößte<br />
Finanzzentrum Großbritanniens<br />
und traditionell eine Hochburg für das<br />
Asset-Management, Pensionsfonds und<br />
Lebensversicherungen. Welche Währung,<br />
welches Steuersystem und welche Finanzaufsicht<br />
es dort geben wird, ist eine entscheidende<br />
Frage. Und: Wie steht es mit<br />
dem EU-Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen?<br />
Eine eigene schottische Aufsicht<br />
wäre den Finanzdienstleistern dort<br />
ein Graus – sie sorgen sich vor neuen<br />
Regeln und höheren Kosten.<br />
Schon plant der Versicherungskonzern<br />
Standard Life aus Edinburgh, dessen Kunden<br />
zu 90 Prozent außerhalb Schottlands<br />
leben, im Falle einer Abspaltung Teile des<br />
Geschäfts nach Süden zu verlegen. „Es<br />
wird immer klarer, dass unsere Kunden<br />
sich Sorgen machen, was im Falle der<br />
schottischen Unabhängigkeit mit ihren<br />
Ersparnissen passiert“, sagt Katherine Garrett-Cox,<br />
Chefin von Alliance Trust und<br />
Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank,<br />
deren Fondsgesellschaft in Dundee zehn<br />
Milliarden Pfund verwaltet.<br />
Die Ratingagentur Standard & Poor’s<br />
hält den schottischen Bankensektor ohnehin<br />
für viel zu groß, als dass eine kleine, auf<br />
sich gestellte Volkswirtschaft die Risiken<br />
alleine tragen könnte. Deshalb drängen<br />
Banken wie die RBS und die Lloyds Bank<br />
darauf, die BoE als Notfall-Kreditgeber zu<br />
behalten.<br />
Sollten die Schotten sich aber tatsächlich<br />
aus der Union verabschieden, hätte das<br />
auch für die Ölindustrie Konsequenzen.<br />
Die Produktion des Nordsee-Öls trägt rund<br />
zwei Prozent zum britischen Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) bei, umgelegt auf ein<br />
unabhängiges Schottland, wären es knapp<br />
20 Prozent des dortigen BIPs.<br />
Die meisten Experten gehen davon aus,<br />
dass Schottland rund 90 Prozent der britischen<br />
Ölreserven in der Nordsee zugeteilt<br />
werden, doch niemand weiß genau, wie<br />
viel noch übrig ist. Professor Alex Kemp<br />
Erhoffter Quell des Reichtums Ölplattform<br />
in der Nordsee vor Schottland<br />
UNHEILIGE ALLIANZ<br />
In dieser Gegend ist Mary McCabe, eine<br />
Veteranin der Unabhängigkeitsbewegung,<br />
aktiv. Abends klappert sie mit dem Wählerregister<br />
in der Hand Häuser und Wohnungen<br />
ab, verteilt Faltblätter der Yes-Kampagne<br />
und befragt die Bürger nach ihren<br />
Wahlabsichten. Oft steht sie vor verschlossener<br />
Tür. Aber ihre gute Laune verliert die<br />
enthusiastische Schottin nie. Ebenso unerschütterlich<br />
ist ihr Glaube, dass die Regierung<br />
im Süden in einer unheiligen Allianz<br />
mit den englischen Medien eine Autonomie<br />
Schottlands schon seit Jahrzehnten mit<br />
unsauberen Mitteln verhindert hat. „Was<br />
wir nicht schon alles gehört haben: dass ein<br />
unabhängiges Schottland so arm wäre wie<br />
Bangladesch!“, empört sie sich. Dabei ergab<br />
der McCrone Report von 1974, dass Schottland<br />
wegen seines Ölreichtums nicht nur<br />
autark, sondern sogar reich wie die Schweiz<br />
werden könnte.<br />
Ein Sieg des Ja-Lagers im September ist<br />
nicht unmöglich, vor allem wenn der charismatische<br />
Volkstribun Salmond in den<br />
letzten Wochen alle Register zieht. „Bei den<br />
Wahlen zum Regionalparlament 2011 lag<br />
er in den Umfragen hinten, holte dann<br />
aber beim Endspurt doch noch die Mehrheit“,<br />
warnt Alistair Carmichael, Schottland-Minister<br />
in London, der auf einer Hebriden-Insel<br />
geboren ist.<br />
Was Königin Elizabeth II. über all das<br />
denkt, ist nicht bekannt. Wie jedes Jahr<br />
weilt sie den Sommer über auf Schloss Balmoral<br />
im Osten Schottlands. Ihre Ratschläge<br />
an den jeweiligen Premierminister, den<br />
sie in den Sitzungswochen des Parlaments<br />
traditionell einmal in der Woche zu einem<br />
vertraulichen Gespräch empfängt, unterliegen<br />
strikter Geheimhaltung. „Keep calm<br />
and carry on“ ist jedoch ein Motto, mit dem<br />
sie seit mehr als sechs Jahrzehnten schon<br />
einige Krisen gemeistert hat. Diese auch? n<br />
yvonne.esterhazy@wiwo.de | London<br />
FOTOS: LAIF/POLARIS/MURDO MACLEOD, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
32 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: JOHANN SEBASTIAN KOPP, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE (2)<br />
SHANGHAI |<br />
Gesundes Essen will<br />
gekocht sein – nur<br />
was ist, wenn die<br />
Köche streiken? Von<br />
Philipp Mattheis<br />
Wenn die<br />
Suppe kribbelt<br />
Das Restaurant Yi Zhang<br />
Hong in Shanghai ist<br />
nicht nur wegen seiner<br />
scharfen Nudelsuppen<br />
bei Ausländern und jungen<br />
Chinesen gleichermaßen<br />
beliebt. Rustikales Ambiente, traditionelle<br />
chinesische Musik – das trifft<br />
den Zeitgeist: Chinesen, die den Sprung<br />
in die neue Mittelschicht geschafft haben,<br />
finden hier auch ein Stück der <strong>vom</strong><br />
Boom verschütteten Vergangenheit,<br />
von Wolkenkratzern und Shoppingmalls<br />
genervte Ausländer erfreuen sich an<br />
chinesischer Ursprünglichkeit.<br />
Dazu passt der Anspruch der<br />
Besitzerin, im Yi Zhang Hong auf den Geschmacksverstärker<br />
Glutamat zu verzichten.<br />
Die Zutat steht im Verdacht, das<br />
China-Restaurant-Syndrom auszulösen,<br />
eine Allergie, die sich in Form von Kribbeln,<br />
Jucken oder sogar kurzzeitiger Gesichtstaubheit<br />
äußert. Nach Weltkrieg,<br />
Hungersnot und Kulturrevolution hatten<br />
sich die Chinesen noch herzlich wenig um<br />
die Chemie ihrer Suppen gekümmert.<br />
Oberste Priorität war es, 1,3 Milliarden<br />
Menschen irgendwie satt zu bekommen.<br />
Aber die Zeiten haben sich geändert:<br />
Viele Chinesen werden zwar immer dicker,<br />
andere aber legen inzwischen viel<br />
Wert auf gesunde Kost – und der Luxus<br />
eines glutamatfreien Essens ist erschwinglich<br />
geworden.<br />
Nur bei den Köchen ist der neue Trend<br />
noch nicht angekommen. Im vergangenen<br />
Jahr musste sie zehn Küchenkräfte<br />
entlassen, erzählt die Besitzerin. Weil sie<br />
nicht wussten, wie sie die Gerichte ohne<br />
das Allround-Gewürzmittel zubereiten<br />
sollten, hatten sie heimlich Glutamat in<br />
die Küche geschmuggelt.<br />
Philipp Mattheis ist Korrespondent<br />
der WirtschaftsWoche in Shanghai.<br />
BERLIN INTERN | Eine Gruppe Bundestagsabgeordneter<br />
sucht flexiblere Wege in die Rente. Das muss<br />
nichts Schlechtes bedeuten. Von Max Haerder<br />
60, 67, 70<br />
Wer länger jobbt, ist später alt CDU-Linnemann<br />
will freie Wahl des Renteneintritts<br />
In der SPD nennen manche sie die<br />
„Linnemann-Kommission“. Das ist ein<br />
kleines bisschen spöttisch gemeint,<br />
aber der Namensgeber darf diese<br />
Titulierung trotzdem als Anerkennung verbuchen.<br />
Eigentlich heißt die Arbeitsgruppe<br />
nämlich deutlich bürokratischer „Flexible<br />
Übergänge in den Ruhestand“. Aber die<br />
Existenz dieses Gremiums ist eben nicht<br />
zuletzt Carsten Linnemann zu verdanken.<br />
Der Bundestagsabgeordnete und Chef<br />
der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT kritisierte<br />
und nörgelte so lange am schwarz-roten<br />
Rentenpaket herum, bis Sozialministerin<br />
Andrea Nahles (SPD) sich zu einem<br />
Geschäft hinreißen ließ: Der Wirtschaftsflügel<br />
der Union übte Milde bei der Abstimmung<br />
im Bundestag, dafür denkt nun ein eigens<br />
berufener Parlamentarier-Zirkel über<br />
Mittel und Wege nach, die Deutschen mit<br />
einem späteren Ruhestand zu versöhnen.<br />
Geplant war das nicht, zumindest nicht<br />
so plötzlich (der Koalitionsvertrag enthält<br />
nur versteckt ein paar Merk-Sätze für längeres<br />
Arbeiten). Was man schon daran erkennt,<br />
dass sich die abschlagfreie Rente ab<br />
63 als ein Teil des Rentenpakets und der<br />
Geist der neuen Kommission widersprechen<br />
– um es vorsichtig zu sagen. Aber wer<br />
Widerspruchsfreiheit sucht, sollte nicht in<br />
die Politik gehen.<br />
14 Parlamentarier von Union und SPD<br />
sind aufgerufen, bis Jahresende möglichst<br />
konkrete Vorschläge zu präsentieren.<br />
Nahles’ Staatssekretär Jörg Asmussen sitzt<br />
außerdem mit am Tisch, ebenso Vertreter<br />
von Bundeskanzleramt und Bundesfinanzministerium.<br />
Die Fraktionsexperten haben<br />
ausführliche Fragenkataloge an das Sozialministerium<br />
geschickt, der CDU-Arbeitnehmerflügel<br />
ein Positionspapier vorgelegt.<br />
Nach der Sommerpause startet die Arbeit<br />
im Detail.<br />
„Wir müssen das Potenzial der Älteren<br />
auf dem Arbeitsmarkt heben, und das merklich“,<br />
gibt Linnemann die Richtung vor.<br />
„Denkverbote darf es da nicht geben.“ Auch<br />
der SPD-Rentenexperte Martin Rosemann<br />
sagt: „Das Rentenpaket war wichtig. Aber<br />
eine neue Frühverrentungsdebatte wäre ein<br />
falsches Signal.“ Das klingt nach Konsens,<br />
dennoch beziffert ein Mitglied der Arbeitsgruppe<br />
die Chance auf konkrete Ergebnisse<br />
auf gerade mal „fifty-fifty“. Das Streitpotenzial<br />
beim Thema Ruhestand ist einfach höher<br />
als üblich, außerdem dürfen mögliche<br />
Reformvorschläge entweder nichts kosten<br />
oder müssen an anderer Stelle bei der Rente<br />
gegenfinanziert werden.<br />
Einige Stellschrauben werden sich die<br />
Abgeordneten genau ansehen: „Als ich erfuhr,<br />
dass nur rund 20 Prozent der Neurentner<br />
vor ihrem regulären Ruhestand sozialversicherungspflichtig<br />
beschäftigt waren,<br />
war ich schockiert“, berichtet SPD-Vertreter<br />
Rosemann. Jenseits des offiziellen Renteneintrittsalters<br />
arbeitet in Deutschland nicht<br />
einmal mehr jeder elfte. Im internationalen<br />
Vergleich ein ziemlich schlechter Wert.<br />
Eine verbesserte Teilrente – bei der man<br />
etwa frühzeitig eine halbe Rente bekommt<br />
und eine halbe Stelle behält – könnte helfen,<br />
Ältere länger an ihrem Arbeitsplatz zu<br />
halten. Bislang ist dieses Modell zu kompliziert<br />
und unattraktiv. Überhaupt soll es<br />
leichter werden, neben der Rente Geld zu<br />
verdienen. Das Ziel: Mehr Ältere bis oder<br />
eben über die Regelaltersgrenze hinaus in<br />
regulären Jobs halten.<br />
Arbeitnehmer mit Torschlusspanik hätte<br />
die große Koalition jedenfalls auf ihrer Seite,<br />
glaubt man einer Umfrage im Auftrag<br />
des Bundesverbandes deutscher Banken.<br />
54 Prozent der über 60-Jährigen würden<br />
gerne länger als bis zum 65. Geburtstag im<br />
Job bleiben – oder hätten es gerne getan.<br />
Also, Berlin, an die Arbeit!<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 33<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Der Volkswirt<br />
ÖKONOMIE<br />
Der Inselgeist<br />
Die Lindauer Nobelpreisträgertagung ist <strong>vom</strong> Altherrentreff zum internationalen<br />
Wissenschaftsevent gewachsen. Dahinter steckt ein geschäftstüchtiger Spross der<br />
schwedischen Königsfamilie.<br />
Stolz mit Hut Gräfin Bettina Bernadotte im Kreis der Nobelpreisträger<br />
Ihren ersten Nobelpreisträger<br />
hat Gräfin Bettina Bernadotte<br />
im Alter von fünf Jahren zu<br />
Gesicht bekommen. Er hatte<br />
einen Plastikschlauch im Mund<br />
und ruinierte die Tischdekoration<br />
beim Galadinner. Der<br />
Physiker wollte Bettina und<br />
ihren Geschwistern das Prinzip<br />
der kommunizierenden Röhren<br />
demonstrieren, also hatte<br />
er sich ein paar Weingläser<br />
geschnappt und zog die mitgebrachten<br />
Schläuche aus den<br />
Sakkotaschen. Als die Kinder<br />
das Prinzip verstanden hatten,<br />
strahlte der Physiker, das durchnässte<br />
Tischtuch und die verdutzten<br />
Blicke der versammelten<br />
Honoratioren interessierten<br />
ihn nicht. „Solche Erlebnisse<br />
machen für mich den Geist von<br />
Lindau aus“, sagt die Gräfin<br />
heute, 35 Jahre später.<br />
Dieser Geist von Lindau ist<br />
es, dessentwegen jeden Sommer<br />
mehrere Dutzend Nobel-<br />
Ist Lindau<br />
bald das<br />
zweite Davos?<br />
Die Veranstaltung hat sie von<br />
ihren Eltern geerbt, es ist eine<br />
typische Nachkriegsgeschichte.<br />
Die Initiative für das Treffen<br />
ging von den Lindauer Ärzten<br />
Gustav Parade und Franz Karl<br />
Hein aus, die nach einem Ereignis<br />
suchten, um internationale<br />
Spitzenforscher nach Deutschland<br />
zu locken. Im Zuge der Naziherrschaft<br />
war Deutschland<br />
<strong>vom</strong> Zentrum der wissenschaftlichen<br />
Welt zur Diaspora geworden.<br />
Eine Tagung sollte her, das<br />
zu ändern.<br />
Auch Graf Lennart Bernadotte<br />
hatte zu dieser Zeit etwas<br />
nachzuholen. Der Spross der<br />
schwedischen Königsfamilie<br />
war nach der Heirat einer Bürgerlichen<br />
aus der Thronfolge<br />
verdrängt worden und hatte<br />
sich auf die Blumeninsel Mainau<br />
zurückgezogen, die einst<br />
<strong>vom</strong> Hause Baden an die schwedische<br />
Königsfamilie gefallen<br />
war. Das zurückgezogene Leben,<br />
zum hochgradig kommunikativen<br />
Graf Lennart passte es<br />
nicht. Er hatte bereits begonnen,<br />
die Insel samt Schloss für<br />
Besucher zu öffnen, doch die<br />
Idee der beiden Ärzte eröffnete<br />
seinem Drang nach gesellschaftlicher<br />
Teilnahme neue Dimensionen.<br />
Er nutzte seine<br />
Kontakte zum schwedischen<br />
Königshaus, das über die Nobelstiftung<br />
und die Königliche Wissenschaftliche<br />
Akademie eng<br />
mit dem Preis verbunden ist. So<br />
trafen im Sommer 1951 erstmals<br />
sieben Nobelpreisträger der<br />
Medizin in Lindau mit deutschen<br />
Studenten zusammen.<br />
Bald folgten auch die Gekrönten<br />
der Fächer Chemie und<br />
Physik, es stellte sich ein fester<br />
Turnus ein: Jedes Jahr eine Veranstaltung,<br />
jede Disziplin ist alle<br />
drei Jahre vertreten. Zum Abschluss<br />
jedes Treffens gibt es<br />
ein großes Dinner auf der Mainau,<br />
ein bisschen höfischer<br />
Glanz für den verstoßenen<br />
Prinzen.<br />
Gleich im ersten Jahr setzte<br />
die Tagung einen wichtigen Akpreisträger<br />
an den Bodensee<br />
pilgern, ganz ohne Honorar.<br />
Nach den Medizinern Ende Juni<br />
sind diese Woche die Ökonomen<br />
dran, 18 Nobelpreisträger<br />
haben sich angesagt.<br />
Bei der Eröffnungsfeier wird<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
eine Grundsatzrede halten. Vor<br />
der Tür werden Attac-Aktivisten<br />
in die Trillerpfeifen pusten. Der<br />
peruanische Literaturnobelpreisträger<br />
Mario Vargas Llosa<br />
wird über die Lage in Lateinamerika<br />
sinnieren. Aus dem<br />
trutschigen Altherrentreff ist<br />
unter der Ägide von Gräfin Bettina<br />
eine hochkarätige wissenschaftliche<br />
Veranstaltung geworden,<br />
die das ganze Land<br />
ziert. Und: Der Geist der Plastikschläuche,<br />
er ist immer noch da.<br />
PLÖTZLICH DIASPORA<br />
Außer, dass sie in einem Schloss<br />
wohnt, ist auf den ersten Blick<br />
wenig Royales an Gräfin Bettina<br />
Bernadotte zu erkennen. Die<br />
groß gewachsene 40-Jährige<br />
schlendert in T-Shirt, heller Leinenhose<br />
und Sportschuhen<br />
durch die langen Flure des<br />
Schlosses Mainau. Wären da<br />
nicht diese wachen, aufmerksamen<br />
Augen, die ihr eine eigentümlich<br />
unausweichliche Präsenz<br />
verleihen. Aus ihnen<br />
spricht das angeborene Selbstbewusstsein<br />
einer, für die der<br />
Kontakt mit den Großen dieser<br />
Welt von klein auf selbstverständlich<br />
ist. „Das Nobelpreisträgertreffen<br />
hat eine große Tradition,<br />
die es zu bewahren gilt,<br />
auf der wir uns aber nicht ausruhen<br />
können“, sagt sie.<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA, ACTION PRESS, LAIF, MATTHIAS JUNG FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, VISUM, BLOOMBERG NEWS, GETTY IMAGES, CORBIS<br />
34 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
zent. Zur Gründung des Kernforschungszentrums<br />
CERN kamen<br />
aus Lindau wichtige<br />
Impulse. Als Graf Lennart sich<br />
aus der aktiven Arbeit zurückzog,<br />
hinterließ er ein klar strukturiertes<br />
Erbe: Die Betriebsgesellschaft<br />
der Insel mitsamt<br />
Schloss ging an die Lennart-<br />
Bernadotte-Stiftung, die Erträge<br />
daraus sollten die weiteren Tagungen<br />
finanzieren.<br />
Doch die Insel gerät zunehmend<br />
in Probleme. Statt zwei<br />
Millionen Gäste, wie Mitte der<br />
Achtzigerjahre, kamen kurz vor<br />
der Jahrtausendwende gerade<br />
mal halb so viele; die Betriebsgesellschaft<br />
macht Verlust. Kurz<br />
darauf stirbt Graf Lennart. Seine<br />
Ehefrau und Mainau-Verwalterin,<br />
Gräfin Sonja, ist zwar „eine<br />
bewundernswerte Persönlichkeit,<br />
die sich von ganzem Herzen<br />
für die Stiftungsziele aufopferte“,<br />
sagt Dagmar Schipanski.<br />
Die Professorin, einstige CDU-<br />
Kandidatin für das Amt des<br />
Bundespräsidenten und zwischenzeitliche<br />
Wissenschaftsministerin<br />
in Thüringen, steht<br />
seit 2002 an der Spitze der Stiftung.<br />
Doch betriebswirtschaftlich<br />
haperte es.<br />
Auch das Treffen selbst geriet<br />
in eine Krise. Der ursprüngliche<br />
Auftrag, die deutsche Wissenschaft<br />
an die internationale Elite<br />
heranzuführen, war längst erfüllt.<br />
Viele Wissenschaftler<br />
kamen nach wie vor gern nach<br />
Konstanz, der wissbegierigen<br />
Eintrittskarte für Lindau<br />
Medaille der Nobelpreisträger<br />
jungen Leute und der schönen<br />
Landschaft wegen. Doch es waren<br />
zunehmend die gleichen<br />
Altmeister, die sich hier versammelten.<br />
Das änderte sich, als die junge<br />
Gräfin Bettina 2002 ihrer Mutter<br />
zur Seite sprang. Kurz vor deren<br />
Tod sechs Jahre später übernahm<br />
sie die alleinige Führung<br />
von Insel und Tagung. Anders<br />
als ihre Eltern brachte sie einschlägige<br />
Branchenerfahrungen<br />
mit, sie hatte einige Jahre lang<br />
im größten Freizeitpark der<br />
Region, dem Europapark,<br />
gearbeitet. Zunächst standen<br />
unangenehme Sanierungsentscheidungen<br />
an. Die Zahl der<br />
Stellen wurde um 40 auf 150 reduziert,<br />
auch sonst jeder Kostenpunkt<br />
infrage gestellt. Es folgten<br />
Investitionen, die sich über<br />
kräftige Preiserhöhungen heute<br />
in Umsatz und Gewinn widerspiegeln.<br />
Bei rund 25 Millionen<br />
Euro Umsatz erwirtschaftete die<br />
Insel in den vergangenen Jahren<br />
Überschüsse von rund 1,5 Millionen<br />
Euro. „Die Sanierung ist<br />
»Es ist wichtig,<br />
dass die Tagung<br />
ihren Charakter<br />
bewahrt«<br />
Dagmar Schipanski (CDU)<br />
nationale Besetzung: „Es ist uns<br />
gelungen, Lindau zu einem zentralen<br />
Treffpunkt für internationale<br />
Nachwuchswissenschaftler<br />
und Nobelpreisträger zu machen“,<br />
so Bernadotte. Auch die<br />
Finanzierung ist inzwischen auf<br />
mehreren Schultern verteilt, da<br />
sich die Tagung größtenteils<br />
über Sponsorengelder finanziert.<br />
„Die Stiftung muss heute<br />
nicht mehr so viel Geld zuschie-<br />
geglückt“, zeigt sich Chefaufseherin<br />
Schipanski begeistert, „die<br />
Mainau GmbH ist heute ein solide<br />
aufgestelltes, mittelständisches<br />
Unternehmen.“<br />
Davon profitiert auch die Tagung.<br />
2002 wurden erstmals die<br />
Nobelpreisträger der Ökonomie<br />
nach Lindau eingeladen, alle<br />
fünf Jahre wird zudem ein interdisziplinäres<br />
Treffen ausgerichtet.<br />
Vor allem aber hat sich der<br />
Fokus des Treffens völlig verändert:Die<br />
deutschen Studenten<br />
machen heute nur noch 20 Prozent<br />
der Teilnehmer aus, mehr<br />
als 100 akademische Partner in<br />
aller Welt sorgen für eine interßen<br />
wie in den ersten Jahren“,<br />
bestätigt Schipanski. Alles in allem<br />
ist die Tagung deutlich angewachsen.<br />
Lag das Budget des<br />
Chemikertreffens 2006 noch bei<br />
670 000 Euro, waren es 2013<br />
schon 3,5 Millionen Euro.<br />
STRENGE REGELN<br />
Manch einer sorgt sich da vor<br />
der wachsenden Kommerzialisierung.<br />
Ist Lindau bald das<br />
zweite Davos? „Es ist wichtig,<br />
dass die Tagung ihren speziellen<br />
Charakter bewahrt“, sagt<br />
Schipanski. Im Mittelpunkt<br />
müsse auch weiterhin „der unbefangene<br />
Gedankenaustausch<br />
zwischen Preisträgern und jungen<br />
Wissenschaftlern“ sein.<br />
„Entscheidend ist, dass keiner<br />
das Gefühl hat, hier werde jedes<br />
Wort von Kameras oder Journalisten<br />
aufgezeichnet.“ So gelten<br />
in Lindau weiterhin strenge Regeln.<br />
Auf den Podien sprechen<br />
mit Ausnahme der Abschlussveranstaltung<br />
nur Nobelpreisträger,<br />
die Öffentlichkeit ist nur<br />
am Auftaktabend zugelassen.<br />
Gräfin Bernadotte spricht von<br />
einer Art natürlicher Wachstumsgrenze,<br />
definiert durch die<br />
Lindauer Inselhalle. Die wird<br />
zwar bald saniert, bei rund 1000<br />
Gästen ist sie voll. „Mehr Teilnehmer<br />
kann die Tagung aus<br />
diesem Grund nicht haben.“<br />
Der Geist von Lindau, er soll<br />
auch weiterhin in der Flasche<br />
der Inselhalle bleiben.<br />
konrad.fischer@wiwo.de<br />
Welche Ökonomienobelpreisträger in diesem Jahr am Bodensee erwartet werden<br />
William Sharpe<br />
Preisträger 1990<br />
für Arbeiten zur<br />
Preisbildung am<br />
Kapitalmarkt<br />
Reinhard Selten<br />
Preisträger 1994<br />
für die Einführung<br />
der Spieltheorie<br />
in die Ökonomie<br />
James Mirrlees<br />
Preisträger 1996<br />
für seine Arbeit über<br />
die Rolle von Informationen<br />
im Markt<br />
Joseph E. Stiglitz<br />
Preisträger 2001<br />
für seine Kritik an<br />
der Globalisierung<br />
der Wirtschaft<br />
Edward C. Prescott<br />
Preisträger 2004<br />
für die Arbeit in der<br />
empirischen Konjunkturforschung<br />
Edmund S. Phelps<br />
Preisträger 2006<br />
für seinen Beitrag<br />
zur Entwicklung der<br />
Wachstumstheorie<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 35<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Der Volkswirt<br />
DENKFABRIK | Ein Gesetzentwurf der Republikaner im US-Kongress will der<br />
amerikanischen Zentralbank formale Regeln für ihre Geldpolitik vorschreiben.<br />
Die Fed fürchtet um ihre Unabhängigkeit. Von Martin Feldstein<br />
Der Kampf gegen die Fed<br />
Die US-Zentralbank<br />
Federal Reserve<br />
(Fed) streitet derzeit<br />
mit dem Kongress<br />
über den Federal Reserve Accountability<br />
and Transparency<br />
Act. Der Gesetzentwurf soll die<br />
Notenbank dazu zwingen, bei<br />
ihren geldpolitischen Entscheidungen<br />
formale Regeln zu befolgen.<br />
Die Fed fürchtet deswegen<br />
um ihre Unabhängigkeit.<br />
Die Befürworter des Gesetzes<br />
hingegen argumentieren, damit<br />
seien die geldpolitischen Entscheidungen<br />
der Notenbanker<br />
besser vorhersehbar. Mit einer<br />
festen Regel sei das künftige<br />
Wachstum bei niedriger Inflation<br />
besser berechenbar. Wer<br />
hat recht?<br />
Um den Konflikt zu verstehen,<br />
ist es wichtig, zu wissen,<br />
welche rechtliche Stellung die<br />
Fed innerhalb des politischen<br />
Systems in den USA hat. Die<br />
Zentralbank ist unabhängig und<br />
trifft in diesem Sinne ihre geldpolitischen<br />
Entscheidungen<br />
ohne Einfluss der Regierung.<br />
Der US-Präsident kann ihr also<br />
nicht vorschreiben, wie sie die<br />
Zinssätze, Reserveanforderungen<br />
oder andere geldpolitische<br />
Aspekte reguliert.<br />
DUALES MANDAT<br />
Das Parlament allerdings, also<br />
der US-Kongress, hat der Fed<br />
per Gesetz ein duales Mandat<br />
erteilt. Danach soll die Fed für<br />
Preisstabilität und Vollbeschäftigung<br />
sorgen. Wie sie diese<br />
Ziele erreicht, obliegt allein der<br />
Fed. Sie ist nur verpflichtet,<br />
dem Kongress regelmäßig über<br />
ihre Geldpolitik zu berichten.<br />
Das geplante Gesetz würde die<br />
Entscheidungsfindung der Fed<br />
stark beeinflussen.<br />
Nach der Definition der Fed<br />
herrscht Preisstabilität bei einer<br />
Inflationsrate von rund zwei Prozent.<br />
In den vergangenen zwölf<br />
Monaten lag dieser Wert bei etwa<br />
1,5 Prozent. Vollbeschäftigung ist<br />
nicht fest definiert, aber für viele<br />
Ökonomen herrscht Vollbeschäftigung<br />
bei einer Arbeitslosenquote<br />
von etwa 5,5 Prozent. Der jüngste<br />
Wert lag bei 6,1 Prozent. Nun hält<br />
die Fed seit Jahren an einer Niedrigzinspolitik<br />
fest, obwohl sie ihr<br />
Inflationsziel nicht erreicht. Politiker<br />
fürchten, der lange Zeitraum<br />
»Eine formale<br />
Regel könnte<br />
eine restriktivere<br />
Geldpolitik<br />
erzwingen«<br />
niedriger Zinsen könnte zu einer<br />
erhöhten Inflation von mehr als<br />
zwei Prozent führen.<br />
Um das zu verhindern, soll das<br />
geplante Gesetz die Fed verpflichten,<br />
bei der Festsetzung ihres<br />
kurzfristigen Zinssatzes, der Federal<br />
Funds Rate, einer formalen<br />
Vorgabe zu folgen. Das Gesetz<br />
schlägt eine bestimmte Regel zur<br />
Festlegung des Zinses vor.<br />
Diese Regel entspricht weitgehend<br />
der 1993 von John Taylor,<br />
Ökonom an der Stanford-Universität,<br />
vorgeschlagenen Formel. Sie<br />
beruht auf einer statistischen<br />
Schätzung dessen, was die Fed-<br />
Chefs Paul Volcker und Alan<br />
Greenspan während einer Periode<br />
geringer Inflation und niedriger<br />
Arbeitslosigkeit getan haben. Die<br />
Taylor-Regel legt den kurzfristigen<br />
Zinssatz auf zwei Prozent plus die<br />
aktuelle Inflationsrate plus die<br />
Hälfte der Differenz zwischen der<br />
aktuellen Inflation und der Zielinflation<br />
fest, plus die Hälfte der<br />
Differenz zwischen dem aktuellen<br />
Wachstum des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) und dem BIP-<br />
Wachstum bei Normalauslastung<br />
der Kapazitäten.<br />
Das bedeutet: Bei Normalauslastung<br />
und Zielinflation muss der<br />
kurzfristige Zinssatz zwei Prozent<br />
plus Inflationsrate betragen. Er<br />
muss höher sein, wenn die Inflationsrate<br />
über dem Zielwert liegt,<br />
und niedriger, wenn sich das aktuelle<br />
BIP unter dem BIP bei Normalauslastung<br />
befindet. Angesichts<br />
der Unsicherheit über die<br />
genaue Höhe des BIPs bei Normalauslastung<br />
bliebe der Fed mit<br />
der Formel immer noch Spielraum.<br />
Sie könnte argumentieren,<br />
dass die Lücke zwischen aktuellem<br />
BIP und dem bei Normalauslastung<br />
größer ist als vermutet,<br />
weil derzeit viele Menschen nur<br />
Teilzeitjobs haben, die eigentlich<br />
eine Vollbeschäftigung suchen.<br />
Angenommen, die BIP-Lücke<br />
liegt entsprechend einer Schätzung<br />
des US-Haushaltsbüros bei<br />
vier Prozent, dann würde die Taylor-Regel<br />
einen optimalen Zinssatz<br />
von etwa 1,25 Prozent vorgeben,<br />
verglichen mit dem aktuellen Wert<br />
von nur 0,1 Prozent. Wenn, wie angenommen,<br />
die Fed den Leitzins in<br />
den kommenden 12 bis 18 Monaten<br />
auf ein Prozent festlegt,<br />
würde die sich bis dahin verringernde<br />
BIP-Lücke einen noch<br />
höheren Taylor-Zins nahelegen.<br />
Das Komplizierte daran ist, dass<br />
die enormen Überschussreserven<br />
der US-Banken im Zuge der<br />
Anleihekäufe der Fed dazu geführt<br />
haben, dass der Zinssatz<br />
nicht mehr der Schlüsselwert ist,<br />
der er einmal war.<br />
STABILE PREISE<br />
Insgesamt ist der Gesetzentwurf<br />
voller überzogener Anforderungen<br />
an die Fed. Selbst in verbesserter<br />
Form kann das von den<br />
Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus<br />
es möglicherweise<br />
gar nicht durchsetzen.<br />
Gelingt das doch, wird es<br />
nicht durch den demokratisch<br />
kontrollierten Senat kommen.<br />
Die Fed wehrt sich gegen das<br />
geplante Gesetz. Es sei falsch,<br />
Geldpolitik nach einer mathematischen<br />
Formel auszurichten,<br />
sagt Fed-Chefin Janet Yellen.<br />
Klar ist jedoch: Die Diskussion<br />
setzt die Fed unter Druck, ihrem<br />
Inflationsziel mehr Aufmerksamkeit<br />
als bisher zu<br />
schenken und einen dauerhaften<br />
Wert über ihrem Zielwert<br />
von zwei Prozent zu verhindern.<br />
Schafft sie das nicht, könnte<br />
tatsächlich ihre Unabhängigkeit<br />
eingeschränkt und sie gezwungen<br />
werden, ihre Geldpolitik<br />
stärker an ihrem Mandat, für<br />
stabile Preise zu sorgen, zu orientieren.<br />
Martin Feldstein ist Professor<br />
an der Harvard-Universität. Der<br />
renommierte US-Ökonom<br />
schreibt jeden Monat exklusiv<br />
für die WirtschaftsWoche und<br />
wiwo.de<br />
FOTOS: LAIF/POLARIS, GETTY IMAGES/AFP<br />
36 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Made with<br />
Germany<br />
USA | Preiswerte Energie und mäßige Löhne locken<br />
Unternehmen in die Vereinigten Staaten. Doch Angst vor<br />
einem Exodus hier ist unbegründet. Vom Comeback<br />
der Industrie in den USA profitiert Deutschland am meisten.<br />
FOTO: PR<br />
Neben der hoch aufragenden<br />
Michelle Obama in ihrem<br />
royalblauen Designerkleid<br />
fällt die kleinere Frau in<br />
Schwarz kaum auf. Unsicher<br />
taxiert sie durch ihre Brillengläser die First<br />
Lady der USA zu ihrer Linken. Plötzlich<br />
fällt der Name der jungen Frau und ein Lächeln<br />
huscht über ihr Gesicht. „Jackie Bray<br />
ist eine alleinerziehende Mutter aus North<br />
Carolina“, sagt US-Präsident Barack Obama.<br />
„Sie verlor ihre Stelle als Mechanikerin.<br />
Dann aber hat Siemens eine Gasturbinenfabrik<br />
in Charlotte eröffnet und sie eingestellt.<br />
Ich will, dass jeder Amerikaner, der<br />
einen Job sucht, die gleichen Chancen wie<br />
Jackie bekommt.“<br />
Der Tag, an dem Jackie Bray berühmt<br />
wurde, war der 25. Januar 2012. Auf Einladung<br />
des Weißen Hauses war sie nach Washington<br />
gereist, wo der Präsident seine<br />
Rede zur Lage der Nation hielt – und die<br />
frischgebackene Siemens-Mitarbeiterin<br />
vor 38 Millionen Fernsehzuschauern zum<br />
Inbegriff seiner Wirtschaftspolitik erklärte.<br />
Nun, zweieinhalb Jahre später, ist Obama<br />
seinem Ziel ein gutes Stück näher gekommen.<br />
Die Vereinigten Staaten erleben<br />
ein Comeback der heimischen Industrie,<br />
immer mehr Amerikaner finden einen Job<br />
in Auto- und Maschinenfabriken, in Chemieanlagen<br />
oder der Erdgasförderung.<br />
Und wie im Fall von Jackie Bray helfen immer<br />
häufiger deutsche Firmen dabei.<br />
Schon machte deswegen in Deutschland<br />
das Wort von der Deindustrialisierung und<br />
der Abwanderung wichtiger Unternehmen<br />
über den Atlantik die Runde. Mit Blick auf<br />
die niedrigen Energiepreise durch Schieferöl<br />
und -gas und die mäßigen Löhne in<br />
den USA warnte BASF-Chef Kurt Bock vor<br />
einem „Auszehrungsprozess“ in Deutschland<br />
mit entsprechenden Folgen für die Arbeitsplätze.<br />
Deutschland müsse „aufpassen,<br />
dass sich damit kein Prozess einer<br />
schleichenden Desinvestition festsetzt“,<br />
mahnt auch BDI-Präsident Ulrich Grillo.<br />
Ob ehrliche Sorge oder bloße Stimmungsmache<br />
− in der Realität entbehren<br />
solche Sichtweisen jeder sachlichen Begründung.<br />
Das ist das Ergebnis einer Studie<br />
der Unternehmensberatung Bain & Company<br />
exklusiv für die WirtschaftsWoche.<br />
Überraschendes Ergebnis: Die USA werden<br />
Deutschland im Rennen um ausländische<br />
Direktinvestitionen zwar abhängen. Trotzdem<br />
ist Deutschland im Vergleich zu anderen<br />
Wettbewerbern in Europa unterm<br />
Strich der große Gewinner der Reindustrialisierung<br />
in den Vereinigten Staaten.<br />
IMPORT VON ARBEITSPLÄTZEN<br />
„Amerika“, sagt Armin Schmiedeberg, Leiter<br />
der europäischen Industrie-Praxisgruppe<br />
von Bain & Company, „wird zu einer Lokomotive<br />
der deutschen Wirtschaft, im<br />
Umkehrschluss führt die Reindustrialisierung<br />
Amerikas nicht zu einer Deindustrialisierung<br />
Deutschlands.“ In der gegenwärtigen<br />
Konjunkturschwäche ist das ein<br />
Trost, denn ohne die Aufträge aus den USA<br />
sähe es für deutsche Wirtschaft schlechter<br />
aus (siehe Seite 16).<br />
Zwar kann Deutschland im Wettbewerb<br />
um ausländische Investitionen in neue Fabriken<br />
nach Bain-Schätzungen mit den<br />
USA nicht mithalten. Während die Vereinigten<br />
Staaten von 2013 bis 2017 gut 50<br />
Prozent mehr Kapital von außerhalb für<br />
neue Fabriken und Anlagen ansaugen<br />
»<br />
Keine Deindustrialisierung<br />
in Deutschland<br />
BASF-Anilin-Fabrik in Geismar im<br />
US-Bundesstaat Louisiana<br />
38 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Bevorzugt aus Deutschland<br />
Entwicklung der Einfuhren von Ausrüstungstechnik<br />
in die USA (Veränderungen in Prozent)<br />
Import gesamt<br />
Import aus Deutschland<br />
+43,0<br />
+2,1<br />
+6,6<br />
+3,0<br />
+8,0<br />
+8,0<br />
+13,0<br />
+5,6<br />
Maschinenbau gesamt<br />
Zementanlagen<br />
Baumaschinen<br />
Automatisierungstechnik<br />
1. Quartal 2014<br />
(Veränderung gegenüber<br />
Vorjahreszeitraum)<br />
2009 bis 2013<br />
(Jahresdurchschnitt)<br />
2009 bis 2013<br />
(Jahresdurchschnitt)<br />
2013 gegenüber 2012<br />
Quelle: Bain & Company<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 39<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Profiteur Deutschland<br />
Die USA können bis 2017 mit sehr viel mehr ausländischen Direktinvestitionen in die<br />
Industrie rechnen, wohingegen Deutschland kaum noch zulegt<br />
Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen<br />
in Industrie 1 (0 = gering, 5 = groß)<br />
USA<br />
Großbritannien<br />
Deutschland<br />
Schweiz<br />
Frankreich<br />
Italien<br />
2008–2012<br />
63,2<br />
1<br />
auf Basis von Gaspreis, Strompreis, Lohnkosten, Bevölkerungswachstum, Infrastruktur, IT-Angebot für Produktion, Kompetenz für<br />
Produktion; Vergleich unter 34 OECD-Staaten; 2013–2017: Prognose<br />
11,5<br />
4,2<br />
1,2<br />
1,0<br />
2,1<br />
2013–2017<br />
95,6<br />
Doch gleichzeitig wird die Nachfrage der USA nach Ausrüstungsgütern aus dem Ausland so<br />
stark steigen...<br />
Einfuhr ausländischer Investitionsgüter in die USA (kumuliert in Milliarden Dollar)<br />
2003 bis 2007<br />
2008 bis 2012<br />
2013 bis 2017<br />
Ausländische Direktinvestitionen<br />
(kumuliert in Milliarden Dollar)<br />
...dass Deutschland dank seiner wettbewerbsfähigen Produkte und Unternehmen wie keine<br />
andere große EU-Industrienation von der Reindustrialisierung in den USA profitieren wird<br />
Deutschland<br />
Schweiz<br />
Großbritannien<br />
Frankreich<br />
Italien<br />
0 1 2 3 4 5<br />
725<br />
832<br />
955<br />
Wettbewerbstärke bei der Lieferung von Industrieausrüstungen<br />
in die USA 2 (0 = gering, 5 = groß)<br />
0 1 2 3 4 5<br />
2008–2012<br />
105<br />
2<br />
auf Basis von Global Manufacturing Index, Global Innovation Index, World Competitiveness Index;<br />
Vergleich unter 34 OECD-Staaten; 2013–2017; Quelle: Bain & Company<br />
11<br />
38<br />
38<br />
38<br />
12,7<br />
4,5<br />
1,2<br />
0,9<br />
1,8<br />
Lieferung von Industrieausrüstungen in die USA<br />
(kumuliert in Milliarden Dollar)<br />
2013–2017<br />
134<br />
14<br />
46<br />
44<br />
43<br />
+107<br />
+123<br />
»<br />
dürften als 2008 bis 2012, kann Deutschland<br />
auf nur einen winzigen Zuwachs von<br />
4,2 auf 4,5 Milliarden Dollar hoffen.<br />
Doch dies ist nur eine Seite der Medaille.<br />
Zur anderen gehört, dass Deutschland mit<br />
diesem schwachen Zuwachs – zusammen<br />
mit Großbritannien – immerhin zu den bedeutenden<br />
Industrienationen Europas gehört,<br />
die weiterhin zusätzliches ausländisches<br />
Industriekapital anziehen werden.<br />
Noch wichtiger aber ist, dass es deutschen<br />
Unternehmen laut Bain gelingen wird, mit<br />
ihren Exporten aus der Heimat von der Reindustrialisierung<br />
in den USA so stark wie<br />
kein anderer zu profitieren.<br />
So werden laut Bain die deutschen Maschinenbauer,<br />
Fabrikausstatter und Fertigungstechniker<br />
zwischen 2013 und 2017<br />
Industrieausrüstungen im Wert von 29 Milliarden<br />
Dollar mehr in die USA verschiffen<br />
als 2008 bis 2012, ein Plus von knapp 28<br />
Prozent. Gemessen an Unternehmen wie<br />
dem schwäbischen Lasermaschinenbauer<br />
Trumpf, entspricht dies einem Zuwachs<br />
von knapp 25 000 Jobs – nicht in den USA,<br />
sondern in Deutschland, das mit seinen<br />
Produkten die dortige Reindustrialisierung<br />
erst ermöglicht. Aus made in Germany<br />
wird made with Germany.<br />
Kein anderes der übrigen 33 OECD-Länder<br />
kann da mithalten. Großbritanniens<br />
Unternehmen müssen sich mit einem Export-Plus<br />
gen USA von acht Milliarden Dollar<br />
zufriedengeben, gut einem Viertel des<br />
deutschen Zuwachses. Frankreich dürfte<br />
nur zusätzliche Industriegüter im Wert von<br />
sechs, Italien im Wert von fünf und die<br />
Schweiz im Wert drei Milliarden Dollar in<br />
die Vereinigten Staaten verfrachten.<br />
The Winner is...<br />
Wie Deutschland die Reindustrialisierung in den USA forciert<br />
Plastikzauber<br />
Jede vierte Import-Kunststoffmaschine<br />
in den USA kommt<br />
von Herstellern in Deutschland<br />
wie Sumitomo Demag in<br />
Schwaig bei Nürnberg<br />
Alles andere als<br />
flüchtig<br />
Der deutsche Gasehersteller<br />
Linde will bis zu sechs Erdgas-<br />
Verarbeitungsanlagen in den<br />
USA errichten<br />
40 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: SUMITOMO (SHI) DEMAG, VARIO IMAGES/MARTIN GEENE, LAIF/REA/HAMILTON, PR<br />
Um am Bau der neuen Produktionsstätten<br />
jenseits des Atlantiks mitzuverdienen,<br />
bringen sich deutsche Konzerne und<br />
Mittelständler derzeit in Stellung – sei es<br />
als Lieferant von Baumaterialien und<br />
Baumaschinen, einzelnen Produktionsmaschinen,<br />
ganzer Großanlagen oder<br />
von Ausgangsmaterialien für Produkte<br />
made in USA.<br />
Die Liste amerikanischer Einkäufer mit<br />
deutschen Adressen ist lang. Werkzeugmaschinenhersteller<br />
wie der Lasertechnik-<br />
Weltmarktführer Trumpf oder der Bielefelder<br />
Konzern DMG Mori Seiki (früher: Gildemeister)<br />
mit seinen Fräsmaschinen und<br />
Elektronikbauteilen gehören seit jeher zu<br />
den emsigsten Lieferanten der US-Industrie.<br />
2013 haben die deutschen Werkzeugmaschinenhersteller<br />
zwar neun Prozent<br />
weniger über den Großen Teich geliefert,<br />
aber wohl nur deshalb, weil die Exportvolumina<br />
in den Jahren davor bereits ungewöhnlich<br />
hoch waren.<br />
KLARER AUFWÄRTSTREND<br />
Nach Einschätzung von Bain brechen für<br />
die Branche dank des Produktionsbooms<br />
in den USA rosige Zeiten an. Die Nachfrage<br />
nach deutscher Werkzeugtechnik, so die<br />
Prognose, werde – verglichen mit Importen<br />
aus anderen Ländern – überproportional<br />
steigen, insbesondere in der Autoindustrie<br />
und der Metallverarbeitung.<br />
Noch klarer ist der Aufwärtstrend bei der<br />
Nachfrage nach Automatisierungstechnik.<br />
Wie kaum ein anderes deutsches Unternehmen<br />
setzt Siemens, der Weltmarktführer<br />
in der Automatisierung, auf den US-<br />
Markt (siehe Interview Seite 44). Aber auch<br />
für Wettbewerber wie den Antriebstechnikhersteller<br />
Bosch-Rexroth oder den Roboterhersteller<br />
Kuka sind die USA wichtige<br />
Absatzmärkte. Hinter der Branche liegt ein<br />
grandioses US-Jahr. 2013 stiegen die Einfuhren<br />
der Vereinigten Staaten auf diesem<br />
Gebiet um 43 Prozent. Mehr als die Hälfte<br />
entfiel auf die amerikanische Autoindustrie.<br />
Beste Chancen bescheinigt Bain den<br />
Herstellern auch für die Zukunft, weil US-<br />
Fabriken zunehmend ihre Effizienz steigern<br />
wollten und neue Anwendungsfelder<br />
für Roboter, etwa in der Logistik, Medizin<br />
oder Agrarindustrie, entstünden.<br />
Kunststoffmaschinenhersteller aus<br />
Deutschland wie KraussMaffei Technologies<br />
aus München oder Sumitomo Demag<br />
aus dem fränkischen Schwaig zählen auch<br />
zu den Kandidaten, die <strong>vom</strong> Industrieboom<br />
in den USA in den kommenden Jahren<br />
profitieren. Denn während der US-<br />
Wirtschaft von 2012 bis 2017 ein jährliches<br />
Wachstum von durchschnittlich rund zwei<br />
Prozent prognostiziert wird, können die<br />
Kunststoffmaschinenhersteller mit 6,6 Prozent<br />
rechnen. Plastikteile für die Autoindustrie<br />
und die Bauwirtschaft, Verpackungen<br />
in der Konsumgüterindustrie – Reindustrialisierung<br />
ist ohne einen Mehrverbrauch<br />
an Kunststoffen undenkbar. Die<br />
Deutschen werden dabei an vorderster<br />
Front mitmischen, denn sie sind schon<br />
heute die wichtigsten Lieferanten der amerikanischen<br />
Kunststoff verarbeitenden Industrie:<br />
Jede vierte in die USA importierte<br />
Kunststoffverarbeitungsmaschine kommt<br />
aus Deutschland.<br />
Auch bei allem, was für den Bau von Fabrikgebäuden<br />
und der zugehörigen Infrastruktur<br />
benötigt wird, sind deutsche Maschinenbauer<br />
gefragt: etwa Baufahrzeuge<br />
und Kräne von Liebherr oder Asphaltmaschinen<br />
und Walzen aus den Werken<br />
der Wirtgen-Gruppe im rheinischen Neuwied.<br />
In den vergangenen fünf Jahren kletterten<br />
die US-Importe von Baumaschinen<br />
insgesamt um acht Prozent pro Jahr, deutsche<br />
Anbieter dagegen konnten jährlich<br />
um 13 Prozent zulegen.<br />
HISTORISCHES AUSMASS<br />
Ähnlich stark sind die deutschen Anbieter<br />
von Zementanlagen. Hersteller wie das<br />
Düsseldorfer Unternehmen Loesche leben<br />
überwiegend <strong>vom</strong> Auslandsgeschäft.<br />
Durchschnittlich neun von zehn Anlagen<br />
verkaufen die deutschen Hersteller ins<br />
Ausland. Die USA sind nicht nur einer der<br />
wichtigsten Absatzmärkte, sondern mit einer<br />
prognostizierten jährlichen Wachstumsrate<br />
von neun Prozent in den kommenden<br />
fünf Jahren einer, der am meisten<br />
zusätzliches Geschäft verspricht.<br />
Auf einen Nachfrage-Boom gar historischen<br />
Ausmaßes treffen die deutschen Hersteller<br />
von Chemieanlagen in den USA. Die<br />
Erschließung der Schiefergasvorräte soll zu<br />
Investitionen in chemische Anlagen von<br />
rund zwei Billionen Dollar in den kommenden<br />
zwei Jahrzehnten führen. 2013 schnellte<br />
der Umsatz deutscher Chemieanlagenbauer<br />
mit den USA bereits um 400 Prozent<br />
auf über eine Milliarde Dollar hoch. Der<br />
Chemieanlagenhersteller Linde will zwischen<br />
2013 und 2017 in den USA zwischen<br />
drei und sechs neue Verarbeitungsanlagen<br />
für Erdgas errichten. ThyssenKrupp Industrial<br />
Solutions kann sich aufgrund des<br />
»<br />
Helfer am Bau<br />
Kräne, Bagger und sonstige<br />
Baumaschinen werden von<br />
amerikanischen Unternehmen<br />
überdurchschnittlich<br />
von deutschen Herstellern<br />
wie Liebherr importiert<br />
Tool Time<br />
Werkzeugmaschinen wie<br />
die von DMG Mori Seiki<br />
(früher: Gildemeister) in<br />
Bielefeld bilden ein Rückgrat<br />
der Industrie-Renaissance<br />
in den USA<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 41<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Sklaven für die Produktion<br />
Kuka-Roboter sind vor allem in der US-Autoindustrie gefragt, aber bald vielleicht auch in<br />
der Logistik, der Medizin und der Landwirtschaft<br />
»<br />
Erdgasbooms über die Bestellung von<br />
drei Düngemittelanlagen freuen.<br />
Fragt sich nur, wie nachhaltig der Industrie-Hype<br />
in den USA ist. Nach Einschätzung<br />
von Bain-Berater Schmiedeberg geht<br />
es um weit mehr als einen flüchtigen<br />
Trend. Das Comeback der US-Industrie<br />
läute „ein neues Kapitel der Weltwirtschaft“<br />
ein: „Weil die Kostenvorteile der<br />
Schwellenländer schrumpfen, werden alte<br />
Industrienationen wie die USA wieder<br />
wettbewerbsfähig. Die jahrzehntelange,<br />
einseitige Verlagerung von Industrieproduktion<br />
in Billiglohnländer hat ihren Höhepunkt<br />
überschritten.“<br />
GLEICHSTAND MIT CHINA<br />
Ins gleiche Horn stößt die Unternehmensberatung<br />
Boston Consulting Group (BCG).<br />
Sie prognostiziert, dass von 2015 an die Gesamtkosten<br />
der Produktion in den USA<br />
nicht mehr höher sein werden als in China.<br />
Die Vereinigten Staaten werden dann, sagt<br />
BCG-Berater Harold Sirkin, „einer der<br />
günstigsten Produktionsstandorte der entwickelten<br />
Welt sein“.<br />
Begonnen hatte die Zeitwende 2010.<br />
Seither kletterte die Zahl der Jobs in der industriellen<br />
Fertigung der USA langsam,<br />
aber stetig – um rund 600 000 auf derzeit<br />
12,1 Millionen. Zu den bekanntesten Ursachen<br />
gehören die gesunkenen Energiepreisen<br />
durch die massive Erschließung neuer<br />
Schiefergasvorräte. Dadurch ist Erdgas<br />
heute in den Vereinigten Staaten rund zwei<br />
Drittel günstiger zu haben als in Europa<br />
oder China. Strom kostet in den USA nicht<br />
wesentlich mehr als in China.<br />
Weniger ins öffentliche Bewusstsein gedrungen<br />
ist die Annäherung der USA an China<br />
bei den Gesamtproduktionskosten aufgrund<br />
der Lohnentwicklung. Während die<br />
Lohnstückkosten in den USA seit 2000 nahezu<br />
unverändert blieben, verdreifachten sie<br />
sich in China. Zwar verdient ein chinesischer<br />
Fabrikarbeiter mit durchschnittlich vier Euro<br />
pro Stunde nur ein Sechstel eines US-Arbeiters.<br />
Doch weil chinesische Fabriken für<br />
vergleichbare Arbeiten auch bis zu zehn Mal<br />
mehr Arbeiter benötigen, schmilzt der<br />
Standortvorteil im Reich der Mitte rasant.<br />
Zudem ist das durchschnittliche Lohnniveau<br />
in den USA wenig aussagekräftig. In<br />
den südlichen US-Bundesstaaten, wo die<br />
Gewerkschaften wenig Einfluss haben und<br />
wo sich die Industrie derzeit bevorzugt ansiedelt,<br />
wird der US-Durchschnittslohn von<br />
35 Dollar praktisch nie gezahlt. Bandarbeiter,<br />
die im Passat-Werk von Volkswagen im<br />
Bundesstaat Tennessee anheuern, müssen<br />
»Es beginnt ein<br />
neues Kapitel der<br />
Weltwirtschaft«<br />
Bain-Berater Armin Schmiedeberg<br />
sich mit Stundenlöhnen zwischen 14,50<br />
Dollar und 19,50 Dollar zufriedengeben.<br />
Nach Meinung von Bain kommen weitere<br />
Faktoren hinzu, die den Industrieboom<br />
in den USA sehr zur Freude deutscher Exporteure<br />
begünstigen. So ist die Infrastruktur<br />
in den Vereinigten Staaten den Verkehrswegen<br />
und der Stromversorgung vieler<br />
Schwellenländer deutlich überlegen.<br />
Das Wachstum der Bevölkerung von derzeit<br />
318 auf rund 400 Millionen Amerikaner<br />
im Jahr 2050 sorgt für einen Nachschub<br />
an Arbeitskräften. Und die hohe IT-Kompetenz<br />
in Internet-Innovationshochburgen<br />
wie dem Silicon Valley oder New York<br />
sind weltweit unübertroffen.<br />
Vor diesem Hintergrund macht in den<br />
USA ein neues Zauberwort die Runde: „ Reshoring“,<br />
das Gegenteil von „Offshoring“, also<br />
die Rückverlagerung einst ausgelagerter<br />
Fertigungsstätten. Es gibt sogar schon eine<br />
entsprechende Lobby-Gruppe, die „Reshoring<br />
Initiative“ im Bundesstaat Illinois. Von<br />
hier verbreitet Harry Moser, Präsident der<br />
Organisation, Optimismus. Seit 2010 haben<br />
nach seiner Rechnung rund 200 Unternehmen<br />
Produktion in die USA zurückgeholt.<br />
NICHT NUR AUS DER FERNE<br />
Mosers Liste ist eindrucksvoll: Apple baut<br />
mit 1700 Mitarbeitern ein Notebook-Modell<br />
neuerdings in Texas, General Electric<br />
hat die Produktion verschiedener Haushaltsgeräte<br />
von China nach Kentucky verlagert,<br />
der Chemieriese Dow Chemical<br />
schafft durch die Rückverlagerung nach<br />
Louisiana und Texas bis zu 35 000 Jobs.<br />
Auch Motorola, Boeing und Caterpillar haben<br />
ihre Liebe zum Standort USA wiederentdeckt.<br />
Möglicherweise sind diese Unternehmen<br />
aber nur die Vorhut. Derzeit<br />
überlegen laut einer Befragung von BCG<br />
über 54 Prozent der US-Unternehmen mit<br />
mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz, ob<br />
sie sich dem Trend anschließen.<br />
Natürlich betrachten deutsche Unternehmen<br />
den Standort USA nicht nur aus der<br />
Ferne. Wo nötig und möglich, versuchen sie,<br />
die Vorteile direkt abzugreifen. „Unsere Fertigungsindustrie<br />
hat die USA nicht nur als<br />
Exportmarkt, sondern auch als Standort im<br />
Visier“, sagt Bain-Berater Schmiedeberg. Für<br />
den Maschinenbauer-Verband VDMA steht<br />
zweifelsfrei fest: „Die USA ist der wichtigste<br />
ausländische Investitionsstandort.“ Und der<br />
Verband der chemischen Industrie setzt seine<br />
Hoffnungen vor allem auf die Vereinigten<br />
Staaten. „Die USA sind der wichtigste Markt<br />
und Produktionsstandort im Ausland.“ Dabei<br />
haben sich die Motive der Unterneh-<br />
»<br />
FOTO: BLOOMBERG NEWS/KRISZTIAN BOCSI<br />
42 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
TTIP<br />
Weit hergeholt bis frei erfunden<br />
Gegner des Transatlantischen Freihandelsvertrags sind sich für kein noch so falsches Argument zu schade.<br />
FOTOS: PR (2)<br />
Exportstarke deutsche Unternehmen<br />
würden von einem Transatlantischen Freihandelsabkommen<br />
(TTIP), über das die<br />
EU und die USA seit Juli 2013 verhandeln,<br />
sehr profitieren. Vor allem die chemische<br />
Industrie, der Maschinenbau und die Automobilbranche<br />
erhoffen sich erhebliche<br />
Umsatz- und Gewinnsteigerungen. Und<br />
das über die wachsenden Exporte hinaus,<br />
die die Unternehmensberatung Bain den<br />
hiesigen Fabrik- und Anlagenausrüstern<br />
durch die Reindustrialisierung in den Vereinigten<br />
Staaten prognostiziert. So geht<br />
das Münchner ifo Institut davon aus, dass<br />
die Ausfuhr von Industriegütern dank TTIP<br />
um 3,2 Prozent zulegen würde, gegenüber<br />
nur 2,5 Prozent bei Dienstleistungen.<br />
Vor allem eine einheitlichere Regulierung<br />
würde den Unternehmen das Geschäft<br />
erleichtern. Paradebeispiel sind die<br />
Autokonzerne, die einen Pkw für Europa<br />
mit orangefarbenen und einen für die USA<br />
mit roten Blinklichtern ausstatten müssen.<br />
Die Vielzahl solcher unterschiedlicher<br />
Vorschriften lassen die Mehrkosten für die<br />
Hersteller auf beiden Seiten des Atlantiks<br />
jedes Jahr auf 11,5 Milliarden Euro hochschnellen,<br />
ermittelte die niederländische<br />
VW Golf mit orangefarbenen Blinkern<br />
Fahrzeug für Kunden in Europa<br />
Beratungsgesellschaft Ecorys. „Am VW<br />
Golf könnte man 500 Euro einsparen,<br />
wenn man die technischen Standards auf<br />
beiden Seiten des Atlantiks vereinheitlichen<br />
würde“, rechnet der deutsche<br />
EU-Kommissar Günther Oettinger vor.<br />
Könnte man, würde man... Denn während<br />
die Industrieverbände auf beiden Sei-<br />
ten des Atlantiks Tausende von Produktlinien<br />
nach Vereinfachungen durchforsten, wächst<br />
gegen TTIP der Widerstand. So traut sich<br />
niemand, den deutschen Autofahrern einen<br />
roten Blinker zuzumuten, denn schon jetzt<br />
sind die Vorbehalte hierzulande erheblich.<br />
Nur vier Prozent der Deutschen trauen den<br />
US-Sicherheitsstandards bei Autos, ergab<br />
eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-<br />
Stiftung. Bei Umwelt- und Nahrungsmittelstandards<br />
lag der Anteil der Gutgläubigen<br />
jeweils sogar nur bei zwei Prozent.<br />
MÄR VON DER GENMAISFLUT<br />
Nichtregierungsorganisationen (NGO) machen<br />
seit Monaten Stimmung gegen TTIP.<br />
Kein Argument scheint den Kritikern zu<br />
weit hergeholt, manches ist schlicht frei erfunden.<br />
So behauptet der Verein Campact<br />
– Kampagnen für eine lebendige Demokratie<br />
mit Sitz im niedersächsischen Verden<br />
in einer Petition, die bereits 620 000 Menschen<br />
unterschrieben haben: „TTIP gefährdet<br />
unsere Gesundheit: Was in den USA<br />
erlaubt ist, würde auch in der EU legal – so<br />
wäre der Weg frei für Fracking, Gen-Essen<br />
und Hormonfleisch.“<br />
Einen solchen Automatismus beabsichtigt<br />
niemand. Das Verhandlungsmandat,<br />
das die 28 EU-Mitgliedstaaten erteilt<br />
haben, sieht ausdrücklich vor, dass das<br />
Niveau der Rechtsvorschriften beim Umweltschutz,<br />
Arbeitsrecht und Gesundheitsschutz<br />
„gewahrt“ werden muss. So darf Kanada<br />
explizit kein mit Wachstumshormonen<br />
behandeltes Rindfleisch in die EU exportieren.<br />
Auch eine Flut gentechnisch veränderter<br />
Organismen ist eine Mär. Das Thema<br />
steht bei den Verhandlungen gar nicht auf<br />
der Tagesordnung, und EU-Handelskommissar<br />
Karel De Gucht hat klargemacht,<br />
dass mit Chlor behandelte Hähnchen in der<br />
EU weiterhin verboten bleiben sollen.<br />
Zwischenzeitlich hatte er nur für eine Zulassung<br />
plus Kennzeichnung plädiert, rückte<br />
nach großer öffentlicher Entrüstung davon<br />
aber wieder ab.<br />
Besonders abstrus ist die Behauptung,<br />
TTIP löse die Privatisierung in der Wasserversorgung,<br />
dem Gesundheitsbereich und<br />
in der Bildung aus. Über die Privatisierung<br />
entscheiden ausschließlich Regierungen.<br />
Verhandelt werden soll nur ein<br />
besserer Zugang von Firmen zu öffentlichen<br />
Ausschreibungen. Zahlreiche US-<br />
Staaten lassen ausländische Unternehmen<br />
bisher nicht zu.<br />
Am heftigsten kritisieren die TTIP-Gegner<br />
den Investitionsschutz, den die NGO<br />
in arbeit<br />
VW Golf mit rotem Blinker Fahrzeug für<br />
Kunden in den USA<br />
Corporate Europe Observatory, kurz CEO,<br />
in Brüssel als „Parallelrecht“ brandmarkt.<br />
Dass Investitionsschutzverträge Völkerrecht<br />
sind, wird ausgeblendet, ebenso,<br />
dass Deutschland mit 131 Ländern Investitionsschutzverträge<br />
abgeschlossen hat,<br />
die seine Firmen vor politischer Willkür im<br />
Ausland schützen. Weil der schwedische<br />
Energiekonzern Vattenfall wegen des<br />
Atomausstiegs gegen Deutschland auf<br />
Schadensersatz klagt, stellen TTIP-Gegner<br />
den Investitionsschutz als Angriff auf die<br />
Demokratie dar. Dabei zielt der maximal<br />
darauf ab, Unternehmen Planungssicherheit<br />
zu geben.<br />
Zwar haben die geheimen Schiedsgerichte,<br />
denen sich wie bei Vattenfall auch<br />
Staaten unterwerfen, den Nachteil, dass<br />
hier über Gesetzgeber und Steuerzahler<br />
geurteilt wird, ohne dass diese die Begründung<br />
des Richterspruchs erfahren<br />
und dagegen rechtlich vorgehen können.<br />
Doch statt Abhilfe zu fordern, möchten<br />
die Gegner lieber das ganze Verfahren<br />
und damit TTIP insgesamt kippen. n<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 43<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
men verändert. „Häufig geht es nicht<br />
mehr nur noch darum, mit der US-Produktion<br />
den amerikanischen Markt besser bedienen<br />
zu können. Das war in der Vergangenheit<br />
oft das Motiv für Produktionsverlagerungen<br />
in den USA“, sagt Bain-Experte<br />
Schmiedeberg. „Die USA sind für deutsche<br />
Unternehmen heute immer öfter ein günstiger<br />
Produktionsstandort und ein Kompetenzzentrum,<br />
von wo aus zukünftig der<br />
Weltmarkt beliefert wird.“<br />
So investiert etwa BASF wegen der niedrigeren<br />
Energiepreise Milliarden in den<br />
Ausbau seiner Produktion in den USA. Der<br />
Spezialchemiehersteller Evonik produziert<br />
Leichtbauteile für Autos künftig in Alabama,<br />
Wettbewerber Lanxess hat neuerdings<br />
eine Fabrik für synthetische Materialien in<br />
North Carolina. Der Duisburger Stahlhändler<br />
Klöckner & Co. hat bereits über<br />
50 Standorte in den USA und sie zum<br />
„Kernwachstumsmarkt“ erklärt. Für Chef<br />
Gisbert Rühl sind die Staaten im Vergleich<br />
zu Deutschland „der bessere Industriestandort“,<br />
wo er vor allem organisch wachsen<br />
oder Wettbewerber übernehmen will.<br />
ZUFRIEDENHEIT IN SINDELFINGEN<br />
Die bekanntesten deutschen Direktinvestoren<br />
in den USA sind allerdings die Autobauer.<br />
VW hat eine Verdopplung der Kapazität<br />
im US-Werk im Bundesstaat Tennessee<br />
beschlossen. BMW erweitert das US-<br />
Werk in Spartanburg im Bundesstaat South<br />
Carolina bis 2016 mit einer Gesamtinvestition<br />
von rund einer Milliarde Dollar. Drei<br />
von vier Autos aus Spartanburg gehen in<br />
den Export. Daimler ist dabei, die Produktion<br />
der Mercedes C-Klasse von Stuttgart<br />
nach Tuscaloosa zu verlagern. Eine weitere<br />
Fabrik zur Belieferung des US-Markts soll<br />
zusammen mit Partner Nissan in Mexiko<br />
hochgezogen werden.<br />
Proteste in Deutschland gegen mehr Produktion<br />
in den USA sind selten. Die dort gebauten<br />
Autos sicherten durch Zulieferteile<br />
auch Jobs in Europa ab, heißt es etwa beim<br />
BMW-Betriebsrat. Auch die Belegschaftsvertreter<br />
bei Daimler sind zufrieden: Im Juli<br />
verkündete der Konzern, dass die Produktion<br />
nicht nur weltweit ausgebaut wird, sondern<br />
bis 2020 auch 1,5 Milliarden Euro in<br />
den Standort Sindelfingen fließen sollen.<br />
So werde dort künftig die neue E-Klasse<br />
und ein weiteres, noch unbekanntes Modell<br />
gebaut. „Damit haben wir“, freut sich<br />
der Sindelfinger Betriebsratsvorsitzende<br />
Ergun Lümali, „die Zukunft des Standorts<br />
über 2020 hinaus gesichert.“<br />
n<br />
martin.seiwert@wiwo.de | New York<br />
INTERVIEW Helmuth Ludwig<br />
»Unschlagbare Mischung«<br />
Der Chef der Siemens-US-Industriesparte setzt auf die Kombination<br />
deutscher und amerikanischer Stärken.<br />
Herr Ludwig, sind die<br />
600 000 neuen Fabrikjobs<br />
in den USA der<br />
Beginn einer großen<br />
Rückkehr der Industrie?<br />
Es spricht vieles für ein<br />
echtes Comeback der industriellen<br />
Produktion.<br />
Neben den niedrigen<br />
Energie- und Lohnkosten<br />
stehen derzeit 1900<br />
Milliarden Dollar für Investitionen<br />
in die US-Industrie<br />
zur Verfügung.<br />
Das ist im Verhältnis<br />
zum Bruttosozialprodukt<br />
so viel wie seit fünf<br />
Jahrzehnten nicht mehr.<br />
Außerdem hat sich die<br />
Einstellung geändert:<br />
Früher wurde man als Manager in den<br />
USA belächelt, wenn man nicht an die<br />
Wall Street ging, sondern zu einem Industrieunternehmen<br />
wie Siemens. Die<br />
Leute wussten noch nicht mal, wer Siemens<br />
ist. Heute ist es wieder sehr angesehen,<br />
wirklich etwas zu produzieren.<br />
Und an den Unis wissen die Studenten<br />
auch genau, wer Siemens ist.<br />
Wie profitiert Siemens von der steigenden<br />
Industrieproduktion in den USA?<br />
Wir sehen etwa eine hohe Nachfrage<br />
nach unserer Software für die Produktion.<br />
Wir haben Software für die Produktentwicklung<br />
und für die intelligente<br />
Steuerung und Automatisierung der<br />
Produktionsabläufe. Gerade unsere<br />
Kombinationen dieser Software kommen<br />
gut an. Ich spreche derzeit mit einem<br />
Unternehmen, das wirklich eine<br />
Ikone der US-Wirtschaft ist, über den<br />
Einsatz unserer Softwarelösungen. In<br />
der Autoindustrie, die in den USA schon<br />
wieder auf Vorkrisenniveau produziert,<br />
profitieren wir von hohen Investitionen<br />
in neue Produktionsverfahren und in<br />
neue Fabriken.<br />
Ihr Chef Joe Kaeser hat faktisch gesagt,<br />
dass sich das Schicksal von Siemens in<br />
den USA entscheidet, und den Sitz der<br />
Der Automatisierer<br />
Ludwig, 51, ist Chef des<br />
Siemens-Sektors Industrie in<br />
den USA und forscht nebenbei<br />
zum Industriestandort.<br />
Energiesparte dorthin<br />
verlegt. Ist das für<br />
deutsche Kollegen nicht<br />
ein bisschen viel USA?<br />
Die Menschen bei Siemens<br />
wissen, dass wir<br />
ein globaler Konzern<br />
sind, und sie sind stolz<br />
darauf. Es ist nicht eine<br />
einzelne Region, die uns<br />
stark macht, sondern<br />
das Zusammenspiel.<br />
Deutsche Ingenieurkunst<br />
und die Kompetenz<br />
im Maschinenbau,<br />
kombiniert mit US-Unternehmergeist<br />
und der<br />
Stärke in der IT, das ergibt<br />
eine unschlagbare<br />
Mischung. Auch bei der<br />
Technik sehen Sie dieses Zusammenspiel:<br />
Wir vereinigen Software aus<br />
Deutschland mit Software aus den USA<br />
zu einem Angebot. Wir machen also<br />
Freihandel im Kleinen. Unsere Vision<br />
2020 legt den Schwerpunkt auf Elektrifizierung,<br />
Automatisierung und Digitalisierung.<br />
Diese globale Ausrichtung von<br />
Siemens passt 100-prozentig zu dem,<br />
was gerade in den USA geschieht.<br />
Wenn die USA so wichtig sind, könnte<br />
Siemens doch auch den Hauptsitz der<br />
Industriesparte dorthin verlegen.<br />
Das ist derzeit kein Thema. Aber Teilbereiche<br />
des Industriesektors haben ihren<br />
Hauptsitz bereits in den USA, etwa die<br />
Produktentwicklungssoftware. Auch der<br />
Hauptsitz des Segments Industrielle Sicherheit<br />
ist in den USA.<br />
Siemens hat rund 100 US-Fabriken.<br />
Wird dort künftig mehr als bisher für<br />
den Weltmarkt produziert?<br />
Natürlich wird in einigen unserer Fabriken<br />
künftig mehr für den Weltmarkt produziert.<br />
Andererseits wird das Wachstum<br />
in den USA aber auch für mehr<br />
Importe aus Deutschland sorgen, wovon<br />
die deutschen Kollegen profitieren. Da<br />
ziehen wir alle an einem Strang.<br />
martin.seiwert@wiwo.de | New York<br />
FOTO: PR<br />
44 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Billiger ans Ziel Car2Go schnappt<br />
Taxi-Unternehmen Kunden weg<br />
An allen vorbei<br />
CARSHARING | Bisher unbekannte Zahlen zeigen, wie Car2Go für<br />
Daimler und DriveNow für BMW langsam zum Geschäft werden.<br />
Thomas Beermann hat den Kleinsten –<br />
und sieht darin riesige Chancen. Der<br />
47-Jährige ist Europa-Chef von<br />
Car2Go, der Carsharing-Tochter des Stuttgarter<br />
Autokonzerns Daimler und des<br />
Mietwagenriesen Europcar. Das Gemeinschaftsunternehmen<br />
aus der Nähe von<br />
Stuttgart hat 11 000 Smarts auf der Straße.<br />
Noch haben die Zweisitzer einen Wendekreis<br />
von neun Metern, das neue Modell,<br />
das ab 2015 zum Einsatz kommt, braucht<br />
zwei Meter weniger. „Dieser Wendekreis ist<br />
grandios“, sagt Beermann. „Das macht die<br />
Nutzung in der Stadt noch besser.“<br />
Vor rund einem halben Jahrzehnt von<br />
den Autobauern entdeckt, steht der Wettbewerb<br />
im Carsharing vor einer neuen<br />
Runde. Ob Car2Go, Multicity – die Elektroautoflotte<br />
der französischen Automarke<br />
Citroën – oder DriveNow, der Carsharing-<br />
Ableger von BMW und dem Autovermieter<br />
Sixt: Die Idee, sich ein Auto zu teilen, ist<br />
endgültig aus der Ökoecke heraus. Dort<br />
war das Konzept jahrelang wie festgenagelt,<br />
weil das geliehene Auto an der Ursprungsstation<br />
zurückgegeben werden<br />
musste.<br />
BREAK-EVEN ÜBERSCHRITTEN<br />
Doch ist das neue Carsharing, bei dem das<br />
Auto überall abgestellt werden kann, überhaupt<br />
ein Geschäft oder eher ein Marketinginstrument,<br />
um wenig autoaffine Städter<br />
für sich zu gewinnen? Lässt sich damit<br />
Geld verdienen? Und wie geht es weiter?<br />
Die Antwort gibt eine bisher unveröffentlichte<br />
Studie der auf Mobilität spezialisierten<br />
Hamburger Strategieberatung Civity.<br />
Danach hat Carsharing seine Nische im<br />
städtischen Nahverkehr gefunden. Beim<br />
Kampf um die Marktführerschaft stehen<br />
sich Daimler und BMW gegenüber. Für die<br />
Konzerne ist Carsharing nicht nur Marketing,<br />
sondern auch Geschäft.<br />
„Nach 24 bis 36 Monaten erreichen wir<br />
den Break-even“, sagt Car2Go-Manager<br />
Beermann. Je länger ein Carsharing-System<br />
das Stadtbild präge, desto besser seien<br />
die Zahlen. Konkurrent BMW, der zwei<br />
Jahre nach Daimler einstieg, behauptet<br />
Ähnliches. „Wir haben mit DriveNow die<br />
operative Gewinnschwelle auf Monatsbasis<br />
überschritten“, sagt Geschäftsführer Nico<br />
Gabriel. „Unseren Mutterkonzernen haben<br />
wir gezeigt, dass wir mit dem Thema<br />
Geld verdienen können.“<br />
Der Markt steht erst am Anfang. „Den<br />
Unternehmen ist es gelungen, ein neues<br />
Mobilitätsprodukt zu schaffen und zusätzliche<br />
Erlösströme zu generieren“, sagt Civity-Partner<br />
und Studienautor Stefan Weigele,<br />
die Alternative zum Taxi oder zum eigenen<br />
Auto wird zum globalen Massenmarkt.<br />
Für 2020 errechnen die Berater weltweit<br />
ein Umsatzpotenzial von bis zu 1,4 Milliarden<br />
Euro. Die Anzahl der Systeme müss-<br />
FOTO: PR<br />
46 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
te sich dazu von heute 30 auf rund 140 nahezu<br />
verfünffachen. Aktuell hat Daimler<br />
mit Car2Go die Nase klar vorn. Die Schwaben<br />
sind in 26 Städten rund um den Globus<br />
unterwegs. BMW beschränkt sich mit<br />
DriveNow auf sechs Städte. Die vorsichtige<br />
Gangart zahlt sich aus: Laut Civity liegt<br />
BMW bei den Erlösen vorn.<br />
Die Experten haben ein Jahr lang die öffentlich<br />
zugänglichen Daten über die<br />
Standorte der Autos auf den Carsharing-<br />
Internet-Seiten gescannt und daraus Ausleihzeiten<br />
und Fahrtwege errechnet. Das<br />
Ergebnis: „DriveNow ist das erfolgreichere<br />
Angebot“, sagt Civity-Berater Weigele.<br />
Wie viel Freude die Konzerne am Carsharing<br />
haben, zeigt sich in Berlin, wo laut<br />
Civity weltweit jeder vierte Umsatz-Euro<br />
erwirtschaftet wird. Mehr als 2000 Fahrzeuge<br />
werden hier zur Kurzzeitmiete angeboten.<br />
Die Hauptstädter nutzen sie vor<br />
allem für Kiez-Touren und Fahrten zwischen<br />
den Trendvierteln Mitte, Kreuzberg,<br />
Friedrichshain und Prenzlauer Berg.<br />
GEHEIME RABATTE<br />
Dabei gelingt es BMW offenbar besser als<br />
Daimler, die 650 Fahrzeuge auszulasten.<br />
DriveNow-Fahrzeuge rollen im Schnitt 78<br />
Minuten pro Tag durch die Stadt, die Stuttgarter<br />
kommen auf 62 Minuten. Weit abgeschlagen<br />
ist Multicity mit nur 26 Minuten.<br />
Mögliche Gründe für den Rückstand: Die<br />
Franzosen, die mit der Deutschen Bahn<br />
kooperieren, haben mit 370 Elektroautos<br />
eine kleinere Flotte als DriveNow und<br />
Car2Go, viele Kunden verzichten auf die<br />
dritte Option.<br />
Das Erstaunliche an der Civity-Analyse:<br />
Obwohl die Autos rund 23 Stunden am Tag<br />
ungenutzt herumstehen, reicht das offenbar<br />
annähernd zur Kostendeckung – behaupten<br />
zumindest Daimler und BMW.<br />
Beide sehen sich in Berlin auf gutem Weg<br />
ins operative Plus, obwohl DriveNow bei<br />
einem Minutenpreis von 31 Cent im<br />
Schnitt nur 24 Euro pro Tag und Fahrzeug<br />
erlöst, Car2Go sogar nur 18 Euro. Auch in<br />
anderen Städten erlösen die Bayern mehr<br />
als Car2Go, wenngleich alle Unternehmen<br />
dort von den Berliner Spitzenwerten weit<br />
entfernt sind (siehe Grafiken rechts).<br />
Im Zweikampf mit Car2Go sehen die Experten<br />
von Civity das DriveNow-System<br />
aus drei Gründen vorn:<br />
n Kleineres Einzugsgebiet Nicht nur in<br />
Berlin, auch in den anderen Städten ziehen<br />
die Bayern einen engen Kreis um die Innenstadt,<br />
in dem die Fahrzeuge abgeholt<br />
und abgestellt werden können. Im Schnitt<br />
88 Quadratkilometer groß ist das Einzugsgebiet<br />
von DriveNow, rund ein Drittel weniger<br />
als bei Car2Go. „DriveNow konzentriert<br />
sich auf dicht besiedelte Milieu-Stadtteile<br />
und erschließt so relevante Zielgruppen<br />
besser“, sagt Weigele. „Das spiegelt<br />
sich automatisch in der höheren Auslastung<br />
wider.“<br />
n Geräumigere Autos In die Autos von<br />
DriveNow passen vier, in die von Car2Go<br />
nur zwei Leute. „Die Bayern profitieren<br />
aber offensichtlich auch davon, dass sie<br />
hochwertigere und attraktivere Modelle<br />
anbieten“, vermutet Weigele. BMW und<br />
Sixt schicken zu 60 Prozent Mini auf die<br />
Straße, der Rest entfällt auf 1er-BMW. Zwischen<br />
April und Oktober wird auch das Mini<br />
Cabrio angeboten, für 34 statt 31 Cent<br />
pro Minute. Das motiviert die Kundschaft<br />
offenbar zusätzlich.<br />
n Jüngere Modelle Die Smart von Car2Go<br />
haben oft schon einige Betriebsjahre auf<br />
dem Kühler, das Navigationssystem ist veraltet.<br />
„Wir optimieren das zwar ständig“,<br />
sagt Car2Go-Manager Beermann, aber<br />
„wir werden auch über kürzere Haltedauern<br />
nachdenken“. Ursprünglich wollte die<br />
Daimler-Tochter die Smart vier Jahre in der<br />
Flotte halten, inzwischen gelten drei Jahre<br />
als Maximum. DriveNow gibt die Autos<br />
nach zehn bis zwölf Monaten zurück.<br />
Unklar bleibt, zu welchen Konditionen<br />
die Unternehmen die Autos finanzieren –<br />
eine wichtige Stellschraube im Kampf um<br />
Profitabilität. Während die Stuttgarter ihren<br />
Vorteil darin sehen, den Wertverlust<br />
der Autos im ersten Jahr durch eine möglichst<br />
lange Haltedauer zu kompensieren,<br />
minimieren die Münchner finanzielle Risiken:<br />
„Wir haben eine Leasingrate, mit der<br />
wir klar kalkulieren können“, sagt Gabriel.<br />
Für die Autohersteller sind die Carsharing-Töchter<br />
ein wichtiges Marketinginstrument:<br />
Wer mal einen Smart, Mini oder<br />
1er-BMW geliehen hat, kauft sich womöglich<br />
irgendwann auch so ein Modell. Und<br />
sie bringen Umsatz: Zum Listenpreis von<br />
10 000 Euro pro Fahrzeug würden die<br />
11 000 Car2Go-Smart 110 Millionen Euro<br />
bringen. Abzüglich der beträchtlichen Rabatte,<br />
deren genaue Höhe aber geheim ist.<br />
Dafür ist Wachstum garantiert:„Bis 2020<br />
werden wir weltweit in 40 bis 50 weiteren<br />
Städten an den Start gehen“, sagt Car2Go-<br />
Europa-Chef Beermann, drei Mal so viele<br />
wie heute. Sein Umsatzziel: eine Milliarde<br />
Euro. Auch BMW setzt auf Expansion, aber<br />
langsamer. „Unser Ziel in den kommenden<br />
Jahren: bis zu 15 europäische und 10 amerikanische<br />
Metropolen“, kündigt Gabriel<br />
»<br />
Auf Gewinnkurs<br />
Weltweiter Umsatz mit Carsharing<br />
(in Millionen Euro)*<br />
(30 Angebote)**<br />
53–64<br />
2013<br />
2020<br />
Car2Go<br />
(Daimler/Europcar)<br />
DriveNow<br />
(BMW/Sixt)<br />
Multicity<br />
(Citroën)<br />
Effektive tägliche Fahrzeit eines Carsharing-<br />
Fahrzeugs (in Minuten)<br />
Deutschland<br />
54<br />
41–50<br />
62<br />
(140 Angebote)**<br />
Berlin<br />
78<br />
11–13<br />
0,7–0,9<br />
58<br />
26<br />
Car2Go DriveNow Multicity<br />
Durchschnittlicher Tageserlös pro Carsharing-<br />
Fahrzeug (in Euro)<br />
Europa<br />
16<br />
18<br />
Berlin<br />
1400<br />
18<br />
24<br />
Car2Go DriveNow Multicity<br />
* ohne feste Abhol- und Abgabepunkte; Fahrerlöse;<br />
April 2013 bis März 2014; ** Angebote = Zahl der<br />
Städte, in denen ein Carsharing-Betreiber präsent ist;<br />
Quelle: Civity<br />
7<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 47<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
an. Dicke Gewinne wird Carsharing auf<br />
Dauer aber nur abwerfen, wenn die Betreiber<br />
nicht nur expandieren, sondern gleichzeitig<br />
Nutzerzahl und Auslastung erhöhen<br />
sowie zusätzliche Erlöse durch Extra-Angebote<br />
erzielen. Car2Go und DriveNow<br />
steigerten den Umsatz, indem sie ihren<br />
Kunden in einigen Städten erlaubten, die<br />
Autos auch außerhalb des City-Bereichs,<br />
etwa am Flughafen, abzustellen.<br />
Car2Go bietet in Berlin und Hamburg<br />
neben Smart auch die Mercedes B-Klasse<br />
an. Die 100 schwarzen Limousinen kosten<br />
zehn Euro pro Stunde und 49 Euro pro Tag<br />
– inklusive Benzin. Bei der Offerte „Car2Go<br />
Black“ werden dann ab Kilometer 51 zusätzlich<br />
29 Cent pro Kilometer fällig. Der<br />
Vorteil: Die Autos können auf festen Parkspots<br />
abgestellt werden, die Parkplatzsuche<br />
entfällt. Auch einfache Fahrten zwischen<br />
Hamburg und Berlin sind möglich.<br />
Car2Go attackiert damit die Autovermieter.<br />
FREIER EINTRITT IN DIE THERME<br />
Das nächste Schmankerl der Carsharing-<br />
Anbieter könnten Fahrten ins Umland werden.<br />
Die Möglichkeit, für acht Euro extra<br />
zwischen Köln und Düsseldorf zu pendeln,<br />
hat laut DriveNow auch Kunden über 45<br />
Jahre überzeugt. Jetzt wollen die Bayern die<br />
Auslastung weiter erhöhen, indem sie ihre<br />
Kunden zu Tagesausflügen animieren: in<br />
Köln oder Düsseldorf zum Wasserski, in<br />
Hamburg zum Outlet-Center oder in München<br />
in die Therme – jeweils mit Gutschein<br />
für Eintritt oder Einkauf.<br />
Die Ausflugsidee ist nur eine von vielen,<br />
an denen die Konzerne arbeiten. Wer mit<br />
Junge Flotte DriveNow-Chef<br />
Gabriel behält die Fahrzeuge<br />
nur ein Jahr<br />
Die erfolgreichsten Städte<br />
Fahrten pro Jahr und Fahrzeug*<br />
Mailand<br />
Portland<br />
Hamburg<br />
Seattle<br />
Berlin<br />
Wien<br />
München<br />
Hamburg<br />
Calgary<br />
Vancouver<br />
Denver<br />
Car2Go<br />
DriveNow<br />
* harmonisiert auf 24 Monate Betriebsdauer;<br />
Quelle: Civity<br />
2700<br />
2600<br />
2500<br />
2400<br />
2400<br />
2300<br />
2200<br />
2100<br />
2100<br />
2000<br />
1900<br />
DriveNow zum Beispiel zum Shopping zu<br />
Rewe fährt, erhält bis zu zehn freie Parkminuten<br />
sowie fünf Prozent Rabatt auf den<br />
Einkauf. „Solche Pakete sind noch kein riesiger<br />
Hebel“, sagt BMW-Manager Gabriel,<br />
„aber da ist noch viel Zukunftsmusik drin.“<br />
Bleibt die Frage, wie die Städte auf die<br />
neuen Autoflotten reagieren. Denn von deren<br />
Verwaltungen hängt der langfristige Erfolg<br />
des Carsharings ab, bei dem der Kunde<br />
sein Auto nach Belieben in der City abstellen<br />
kann. Nicht überall treffen die Unternehmen<br />
damit auf Gegenliebe. In London<br />
erlebte Car2Go ein Debakel, nach nur 18<br />
Monaten zog sich die Daimler-Tochter in<br />
diesem Jahr aus der britischen Hauptstadt<br />
zurück – wegen „administrativer Hürden“,<br />
wie Beermann formuliert. Alle 32 Stadtbezirke<br />
haben einen eigenen Bürgermeister,<br />
was beim Aufbau eines einheitlichen Parkraums<br />
zu Problemen geführt habe. „Wir<br />
mussten mit jedem einzelnen Stadtteil verhandeln<br />
– und wir hatten Ende 2013 nicht<br />
genügend Innenstadt-Bezirke beisammen.“<br />
Auch in Deutschland gibt es Bremser<br />
in den Städten. München etwa deckelt<br />
die Zahl der Fahrzeuge pro Anbieter auf<br />
500 und limitiert das Freiparken in Anwohnergebieten.<br />
Ohne das Wohlwollen der Behörden<br />
geht aber nichts. „Wir haben bewiesen,<br />
dass wir nachhaltig arbeiten und erste Entlastungseffekte<br />
bringen können“, sagt<br />
DriveNow-Chef Gabriel, „nun sollten die<br />
Städte entscheiden, ob und inwieweit sie<br />
das Carsharing weiter fördern und ausbauen<br />
wollen.“ Sinnvoll wäre es etwa, die Parkgebühren<br />
zu senken oder Park-Einschränkungen<br />
aufzuheben, sagt Gabriel.<br />
ZWEIFEL AN NACHHALTIGKEIT<br />
Streit ist auch aus einem anderen Grund<br />
programmiert. Denn die Civity-Studie<br />
weckt Zweifel am ökologischen Nutzen.<br />
Carsharing mit der Möglichkeit, Fahrzeuge<br />
nach Belieben abzustellen, sei „größtenteils<br />
motorisierte Bequemlichkeitsmobilität<br />
im Nahbereich“, sagt Autor Weigele. „50<br />
Prozent der Fahrten sind kürzer als fünf Kilometer.“<br />
Die Autos entzögen damit dem<br />
Taxigewerbe und den Bus- und Bahnbetrieben<br />
teilweise Kundschaft. Radfahrer<br />
steigen plötzlich wieder ins Auto.<br />
Doch der Markt ist noch jung, niemand<br />
weiß, ob Großstädter womöglich bereit<br />
wären, den Zweit- oder sogar den Erstwagen<br />
abzuschaffen oder wenigstens stehen<br />
zu lassen. „Was machen wir, wenn bei 1000<br />
zur Verfügung gestellten Carsharing-Fahrzeugen<br />
3000 oder 6000 Stellplätze frei werden,<br />
weil Haushalte das tun, was sie bei unseren<br />
Untersuchungen bislang angeben,<br />
nämlich zu einem nicht geringen Teil ihr<br />
Privatfahrzeug verkaufen?“, fragt Münchens<br />
Verkehrsstrategie-Chef Schreiner.<br />
Zusätzliche Radwege könnten Kritiker des<br />
flexiblen Carsharings überzeugen.<br />
Was staatliche Regulierung beim Carsharing<br />
vermag, zeigt das Beispiel Mailand,<br />
wo die Stadtverwaltung eine Innenstadt-<br />
Maut erhebt. Nirgendwo konnte die Daimler-Tochter<br />
innerhalb eines Jahres mehr<br />
Kunden gewinnen als in der norditalienischen<br />
Finanzmetropole. Ein „gigantisches<br />
Wachstum“, freut sich Manager Beermann.<br />
„Die Kunden haben Car2Go zu einem Modeartikel<br />
erklärt.“<br />
n<br />
christian.schlesiger@wiwo.de<br />
FOTO: PR<br />
48 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
»Wie im<br />
Wilden<br />
Westen«<br />
INTERVIEW | Rainer Baumgart Der<br />
Chef des Essener IT-Dienstleisters<br />
Secunet, Lieferant der Bundesregierung,<br />
fordert strengere<br />
Vorschriften gegen Cyberangriffe.<br />
FOTO: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Damit hatten die Funktionäre im<br />
Bundesverband Informationswirtschaft,<br />
Telekommunikation und<br />
neue Medien (Bitkom) nicht gerechnet. Als<br />
sich der neue Arbeitskreis Sicherheitspolitik<br />
zu seiner konstituierenden Sitzung am<br />
4. Juni in Berlin traf, war der Konferenzsaal<br />
so prall gefüllt wie noch nie. Über 100 Vertreter<br />
von Mitgliedsunternehmen reisten<br />
persönlich an. In den Bitkom-Arbeitskreisen<br />
treffen sich sonst nur ausgesuchte Spezialisten<br />
in kleiner Runde. Doch dieses Mal<br />
wollten alle live vor Ort sein, wenn der IT-<br />
Dachverband die Suche nach einer Lösung<br />
in einem Richtungsstreit aufnimmt, der<br />
seit den Enthüllungen des ehemaligen<br />
NSA-Agenten Edward Snowden zwischen<br />
den IT-Anbietern tobt.<br />
Die Zeit drängt. Bis heute habe keine<br />
„echte inhaltliche Diskussion über die<br />
Streitpunkte stattgefunden“, kritisieren<br />
Teilnehmer. Es geht um die IT-Souveränität<br />
Deutschlands. Viele Vorschläge liegen auf<br />
dem Tisch:Weniger Datenverkehr über die<br />
viel genutzte Transatlantik-Strecke oder lokale<br />
Datenspeicher beim Cloud Computing<br />
– so etwas könnte helfen, die Abhängigkeit<br />
von den durch die NSA-Affäre in<br />
Verruf geratenen Internet-Giganten aus<br />
den USA zu reduzieren.<br />
Einer, der bei solchen Debatten vorn<br />
mitmischt, ist Rainer Baumgart. Der Chef<br />
der Essener Secunet Security Networks AG<br />
ist einer der Bauherren des hochsicheren<br />
Regierungsnetzes und berät seit Jahren Minister<br />
und Behördenchefs in puncto IT-Sicherheit.<br />
Sein Wort hat auch in Berlin Gewicht<br />
– besonders in diesen Tagen, da die<br />
Bundesregierung ihre Marschroute bei der<br />
Abwehr von Cyberangriffen festlegt.<br />
DER SICHERHEITSPAPST<br />
Baumgart, 60, ist seit 2001 Vorstandsvorsitzender der Secunet Security Networks AG in<br />
Essen. Er kam 1997 <strong>vom</strong> TÜV zu Secunet. Das Unternehmen schützt die Bundesregierung<br />
mit hochsicheren Verschlüsselungstechniken vor Cyberattacken.<br />
Am kommenden Mittwoch will das Bundeskabinett<br />
die Digitale Agenda verabschieden,<br />
damit Deutschland „digitales<br />
Wachstumsland Nummer eins in Europa“<br />
werde. Ein Schwerpunkt wird die IT-Sicherheit<br />
sein. Die Vorschläge für eine verstärkte<br />
Cyberabwehr sollen in einem künftigen<br />
IT-Sicherheitsgesetz münden.<br />
Die Details sind höchst umstritten. So<br />
Herr Baumgart, das Bundeskabinett will<br />
am kommenden Mittwoch mit der Digitalen<br />
Agenda so etwas wie einen Masterplan<br />
beschließen, um den Rückstand von<br />
Deutschland im Internet aufzuholen.<br />
Reichen die geplanten Maßnahmen auch,<br />
um Unternehmen vor Cyberattacken zu<br />
schützen?<br />
Die Maßnahmen können nur ein Anfang<br />
propagiert die Bundesregierung den sein. Noch gibt es in Deutschland eine starke<br />
„Selbstschutz“ der Unternehmen und Privathaushalte.<br />
Gleichwohl soll es eine Meldepflicht<br />
bei Cyberangriffen geben, was bei<br />
der Industrie und bei Bitkom auf Widerstand<br />
IT-Sicherheitsindustrie. Die Digitale Agenda<br />
der Bundesregierung muss aber dazu führen,<br />
dass diese Technologien auch eingesetzt<br />
werden. Und zwar nicht nur bei Behör-<br />
stößt. Dazu vertritt Secunet-Chef den, sondern besonders auch in den Unter-<br />
Baumgart provokante Thesen. nehmen bis hin zu Privathaushalten. »<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 49<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Fast täglich werden inzwischen Attacken<br />
von Geheimdiensten und Cyberkriminellen<br />
bekannt, die Unternehmen<br />
ausspionieren. Woran fehlt es konkret?<br />
Viele Angriffe ließen sich abwehren, wenn<br />
die Betroffenen die vorhandenen Sicherheitstechniken<br />
konsequent installieren<br />
würden. Es gibt Unternehmen, die einen<br />
hohen Sicherheitsstandard erreicht haben.<br />
Aber die Mehrheit setzt IT-Sicherheitsprodukte,<br />
wenn überhaupt, nur als Feigenblatt<br />
ein. Die Verantwortlichen kaufen Firewalls<br />
und Virenschutzprogramme und meinen<br />
dann, ihre Aufgabe erfüllt zu haben.<br />
Haben die Enthüllungen des ehemaligen<br />
NSA-Agenten Edward Snowden die<br />
Verantwortlichen in den Firmen nicht<br />
wachgerüttelt?<br />
cherheit der Aufzüge an und gilt erst recht<br />
für die IT-Systeme. Die Unternehmen müssen<br />
Regeln aufstellen und durchsetzen und<br />
gelegentlich auch hinterfragen, ob sie überhaupt<br />
noch vernünftig sind. Bei der IT-Sicherheit<br />
spielt nach wie vor die Funktionalität<br />
und der Komfort eine ganz wichtige Rolle.<br />
Das heißt?<br />
Jeder will mobil überall unter allen Umständen<br />
erreichbar sein. Natürlich soll es<br />
auch sicher sein. Aber schon bei den geringsten<br />
Einschränkungen – dass ich mich<br />
zum Beispiel ausweisen oder eine Chipkarte<br />
einlegen muss – heißt es sofort: Das<br />
geht ja gar nicht. Dann bin ich ja nicht<br />
mehr so schnell und flexibel wie vorher.<br />
Manager und Mitarbeiter gehen dann zu<br />
ihren IT-Verantwortlichen und weigern<br />
Maxime für die Unternehmen fest. Auch<br />
künftig soll es nur ganz wenige Vorschriften<br />
geben. Und selbst die stoßen –<br />
wie die Meldepflicht bei Cyberangriffen –<br />
auf laute Proteste aus der Industrie.<br />
Kämpfen Sie gegen Windmühlen?<br />
Ich bin davon überzeugt: Ohne Regulierung<br />
mit strengen Vorschriften und ihrer<br />
konsequenten Überwachung, dass sie<br />
auch eingehalten werden, wird es keinen<br />
Schutz vor Cyberangriffen geben. Schauen<br />
Sie sich andere gesellschaftliche Bereiche<br />
wie zum Beispiel das Gesundheitswesen<br />
an. Hält sich niemand an die Hygienevorschriften,<br />
würden sich sofort gefährliche<br />
Erreger ausbreiten. Bricht doch eine Epidemie<br />
aus wie jetzt bei Ebola, gibt es exakte<br />
Notfallpläne. Für das Internet und die IT-<br />
Das sehe ich bisher nur in Einzelfällen. Ein<br />
Sicherheitsverantwortlicher gibt ja kaum<br />
zu, dass er in der Vergangenheit schlechte<br />
Arbeit abgeliefert hat. Deshalb wird keiner<br />
ankündigen: Jetzt muss ich etwas tun. Die<br />
meisten sagen, sie hätten schon alles getan,<br />
und werden in Zukunft so weitermachen<br />
wie bisher. Aber das ist definitiv zu wenig.<br />
Auch in den Unternehmen gibt es nachweislich<br />
noch viele Sicherheitslücken, die<br />
schnell geschlossen werden müssen.<br />
Das klingt doch sehr nach Eigenwerbung.<br />
Warum kaufen so wenig Unternehmen<br />
Ihre IT-Sicherheitslösungen, obwohl Sie<br />
mit der Bundesregierung eine hervorragende<br />
Referenz vorweisen können?<br />
Ganz einfach, weil hohe Sicherheit immer<br />
etwas Mehraufwand bedeutet. Das fängt<br />
beim profanen Feuermelder und bei der Sisich,<br />
das sichere Gerät zu nutzen. Die IT-<br />
Verantwortlichen sitzen dann zwischen<br />
Baum und Borke.<br />
Wollen Sie damit sagen, die deutschen<br />
Manager sind nicht auf der Höhe der Zeit?<br />
Sagen wir’s mal so: Wir sind in Deutschland<br />
noch immer in der Phase des Missionierens.<br />
Und die wird so lange andauern,<br />
wie Unternehmen IT-Sicherheit auf freiwilliger<br />
Basis einrichten. Bei der IT-Sicherheit<br />
gelten heute so wenig Regeln wie früher im<br />
Wilden Westen. Sobald man etwas in die<br />
Sicherheit investiert, glauben manche Verantwortliche,<br />
es sei schon ausreichend,<br />
auch wenn sie ahnen, dass sie Sicherheit<br />
oft nur vorgaukeln und an der falschen<br />
Stelle sparen.<br />
Die Bundesregierung hält in ihrer Digitalen<br />
Agenda am Selbstschutz als oberste<br />
Techniken gibt es das alles nicht. Jeder<br />
kann machen, was er will. Der Anwender<br />
wird lediglich aufgerufen, Vorsicht walten<br />
zu lassen. Das ist so, als würden Sie ein Auto<br />
ohne Bremsen verkaufen und den Fahrer<br />
ermahnen, gut aufzupassen.<br />
Die Bundesregierung will die deutschen<br />
IT-Sicherheitsfirmen fördern, um<br />
Abhängigkeit von den Internet-Giganten<br />
in den USA und Asien zu reduzieren.<br />
Trotzdem wurde Ihr Konkurrent Secusmart<br />
in Düsseldorf gerade an den kanadischen<br />
Smartphone-Hersteller Blackberry<br />
verkauft. Droht ein Ausverkauf der deutschen<br />
IT-Sicherheitsindustrie?<br />
Dieser Ausverkauf findet ja schon seit<br />
einigen Jahren statt. Wenn sich hiesige<br />
Unternehmen mit einem zertifizierten<br />
Produkt am Markt etabliert haben, werden<br />
50 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
sie plötzlich auch interessant für ausländische<br />
Investoren. Um einen Know-how-Abfluss<br />
ins Ausland zu verhindern, hat die<br />
Bundesregierung schon vor über zehn Jahren<br />
das Außenwirtschaftsgesetz geändert<br />
und auch für Verschlüsselungstechnologien<br />
einen Genehmigungsvorbehalt eingeführt.<br />
Das heißt aber nicht, dass jedes Unternehmen,<br />
das eine Verschlüsselungslösung<br />
entwickelt hat, systemrelevant ist und<br />
sich ausländische Investoren dort nicht engagieren<br />
dürfen. Es gibt aber einen harten<br />
Kern von Unternehmen, deren Verkauf<br />
große Lücken in die IT-sicherheitstechnischen<br />
Fähigkeiten reißen würden. Die angestrebte<br />
digitale Souveränität Deutschlands<br />
oder Europas wäre dann in der Tat<br />
gefährdet.<br />
Großangriff auf Datenschätze<br />
Wie deutsche Unternehmen ausspioniert<br />
werden (in Prozent)<br />
49,6<br />
41,1<br />
38,4<br />
33,0<br />
21,9<br />
17,4<br />
Quelle: Corporate Trust<br />
Hackerangriffe auf IT-<br />
Systeme und -Geräte<br />
Abhören und Abfangen elektronischer<br />
Kommunikation<br />
Geschicktes Ausfragen von<br />
Mitarbeitern am Telefon und in<br />
sozialen Netzwerken<br />
Datendiebstahl durch eigene<br />
Mitarbeiter<br />
Abfluss von Daten durch externe Dritte<br />
wie Zulieferer, Dienstleister und Berater<br />
Diebstahl von Geräten wie<br />
Laptop und Smartphone<br />
auf diesem Markt spielen wollen. Auch die<br />
Großen unter ihnen sind kaum in der Lage,<br />
den Markt zu konsolidieren und die kleinen<br />
Anbieter zusammenzuführen. Secunet<br />
zum Beispiel ist mit einem Jahresumsatz<br />
zwischen 60 und 70 Millionen Euro einer<br />
der größten Anbieter in seinem Segment.<br />
Es ist aber zu erwarten, dass sich einige<br />
Kristallisationspunkte herausbilden,<br />
an denen sich viele ausrichten werden. Dabei<br />
könnte sich eine verstärkte Exportförderung<br />
deutscher IT-Sicherheitstechnik<br />
positiv auf die Stabilität und Entwicklung<br />
der Branche auswirken.<br />
Warum füllen Sie das Vakuum nicht,<br />
indem Sie Konkurrenten aufkaufen?<br />
Wir sind durchaus interessiert, aber es<br />
muss passen. Viele Technologien haben<br />
Ist diese gefährdet, wenn Secusmart bei<br />
Blackberry bleiben darf?<br />
Nein. Den Verkauf sehe ich nicht als so kritisch<br />
an, weil hier sicherheitsrelevante<br />
Komponenten nicht ausschließlich von<br />
Secusmart kommen. Verschlüsselungen<br />
für Smartphone-Telefonate bieten auch<br />
andere Unternehmen an.<br />
Bei vielen der hiesigen IT-Sicherheitsfirmen<br />
flattern gerade verstärkt<br />
Übernahmeangebote auf die Schreibtische<br />
der Eigentümer. Warum schauen<br />
sich ausländische Investoren gerade<br />
in Deutschland so intensiv um?<br />
Das Thema Cybersecurity ist gerade in aller<br />
Munde. Wenn sich Investoren umschauen,<br />
stellen sie schnell fest, dass<br />
Deutschland einer der größten IT-Sicherheitsmärkte<br />
in Europa ist. Die nehmen die<br />
Suche nach einem Unternehmen mit hohem<br />
Marktanteil auf, stellen dann aber fest,<br />
dass nur wenige eine wirklich dominante<br />
Position haben. Der Markt ist von vielen<br />
Spezialisten geprägt und in viele Nischen<br />
zersplittert. Den Investoren bleibt nur übrig,<br />
die Rosinen herauszupicken. Für<br />
manch einen Mittelständler ist es dann<br />
durchaus attraktiv, in der aktuellen Hype-<br />
Phase zu verkaufen.<br />
Sollte die Bundesregierung einen Schutzwall<br />
um diese Unternehmen bauen?<br />
Jemand hat mal die Idee aufgebracht, eine<br />
Art Airbus für die europäische IT-Sicherheitsindustrie<br />
zu bauen. Doch das halte ich<br />
für einen Irrweg. Im deutschen IT-Sicherheitsverband<br />
TeleTrust sind über 200 vorwiegend<br />
mittelständische Unternehmen<br />
organisiert, die alle eine besondere Rolle<br />
wir schon im eigenen Haus. Und viele Nischen<br />
sind so klein, dass sie für uns nicht<br />
attraktiv sind.<br />
Die Deutsche Telekom hält ebenfalls nach<br />
Übernahmekandidaten Ausschau.<br />
Könnte sie eine Art Schutzpatron für die<br />
kleinen deutschen Anbieter werden?<br />
Bislang nicht. Da lohnt ein Rückblick in unsere<br />
Firmenhistorie. Die Deutsche Telekom<br />
war schon mal an Secunet beteiligt,<br />
stieg dann aber aus und entwickelte wieder<br />
eigene Sicherheitstechnologien. Den Beweis,<br />
dass sie ein langfristig verlässlicher<br />
Partner für die deutsche IT-Sicherheitsbranche<br />
sein kann, hat sie daher bislang<br />
noch nicht erbracht. Die Entwicklungen im<br />
deutschen IT-Sicherheitsmarkt bleiben<br />
spannend.<br />
n<br />
juergen.berke@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 51<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Im Schatten von Kirch Deutsche-Bank-<br />
Co-Vorstandschef Fitschen<br />
Notausgang Rente<br />
DEUTSCHE BANK | Trotz der Anklage im Kirch-Verfahren<br />
sitzt Co-Chef Jürgen Fitschen fest im Sattel. Doch unter der<br />
selbstbewussten Oberfläche des Instituts gärt es.<br />
In der schnelllebigen Welt der Investmentbanken<br />
ist Christian Thun-Hohenstein<br />
eine Institution. Seit 30 Jahren hat<br />
er unter anderem in Diensten von Merrill<br />
Lynch, der Deutschen Bank und der japanischen<br />
Nomura Konzepte für Übernahmen<br />
und Restrukturierungen von Unternehmen<br />
entworfen. Manchmal, so beim<br />
Kauf von Mannesmann durch Vodafone<br />
Ende 1999, wurden die Pläne wahr. Oft jedoch<br />
wanderten sie, wie das in der Branche<br />
üblich ist, als bloße Fallstudien in den<br />
„Erledigt“-Ordner der Festplatte.<br />
Ein Szenario des aus österreichischem<br />
Adel stammenden Medienexperten hat jedoch<br />
ein langes, folgenschweres und dabei<br />
völlig ungeplantes Nachleben. In ihm skizzierte<br />
der Banker im Jahr 2002, wie sein damaliger<br />
Arbeitgeber Deutsche Bank den<br />
angeschlagenen Kirch-Medienkonzern<br />
möglichst profitabel zerlegen könnte.<br />
Die Bank erklärt die Überlegungen heute<br />
zu Planspielen mit geringem Realitätsbezug.<br />
Für die Münchner Staatsanwaltschaft<br />
sind sie ein wichtiges Beweisstück in ihrem<br />
beispiellosen Feldzug gegen das Frankfurter<br />
Institut. Der gipfelt nun in einer spektakulären<br />
Anklage. Mit Rolf Breuer, Josef<br />
Ackermann und Jürgen Fitschen wollen<br />
die Ermittler alle drei in diesem Jahrtausend<br />
amtierenden Vorstandsvorsitzenden<br />
vor Gericht. Hinzu kommen die früheren<br />
Vorstände Tessen von Heydebreck und<br />
Clemens Börsig. Die Anklageschrift soll<br />
nebst umfangreicher Anhänge 600 Seiten<br />
umfassen. Bei den Betroffenen war sie vergangene<br />
Woche noch nicht eingegangen.<br />
Vorerst rechnet sich die Bank gute Chancen<br />
aus, dass das Verfahren für Fitschen<br />
glimpflich endet. Intern wird seine Position<br />
kaum hinterfragt, ein Rücktritt ist derzeit<br />
kein Thema. Dennoch wäre ein weiterer<br />
Großprozess ein schwerer Schlag für das<br />
angekratzte Image des Instituts.<br />
GESCHLOSSEN HINTER DEM CHEF<br />
Dabei fallen die Vorwürfe gegen Fitschen<br />
tatsächlich eine Nummer kleiner aus als<br />
die gegen seine Ex-Kollegen. Während die<br />
beim Schadensersatzprozess in München<br />
gelogen haben sollen, wirft die Staatsanwaltschaft<br />
dem amtierenden Co-Chef der<br />
Bank vor, dass er falsche Aussagen nicht<br />
korrigiert hat. Die Strafverfolger hatten ihm<br />
bereits angeboten, die Sache gegen eine<br />
Zahlung von 500 000 Euro zu vergessen.<br />
Doch Fitschen sieht sich im Recht, „er will<br />
kämpfen“, heißt es in der Bank. Der Aufsichtsrat<br />
stehe dabei „geschlossen hinter<br />
ihm“, sagt ein Mitglied des Gremiums.<br />
Auch sein Amt als Präsident des Bankenverbandes<br />
steht nicht zur Debatte. Die<br />
Lobby-Organisation ist Kummer mit dem<br />
Führungspersonal gewohnt. Als Ex-Vorstand<br />
der BayernLB stand Geschäftsführer<br />
Michael Kemmer wegen der missglückten<br />
Übernahme der österreichischen Hypo<br />
Alpe Adria zuletzt in München vor Gericht.<br />
Unter der selbstbewussten Oberfläche<br />
herrscht in der Deutschen Bank jedoch<br />
Nervosität. Eine Nachfolgedebatte soll unbedingt<br />
vermieden werden. Die Kirch-Affäre<br />
ist ohnehin schon denkbar dumm und<br />
teuer gelaufen, nun haben sich die Bankmanager<br />
einmal mehr verrechnet. Anfang<br />
des Jahres hatten sie nach fast zwölf Jahren<br />
Streit einen Vergleich mit den Kirch-Erben<br />
geschlossen und fast eine Milliarde an sie<br />
überwiesen. Die Banker hofften, damit<br />
auch die Strafverfolger um die Staatsanwältin<br />
Christiane Serini milde zu stimmen.<br />
Als die Rechnung nicht aufging, spekulierten<br />
die Banker darauf, dass wenigstens<br />
Fitschen ohne Anklage davonkommen<br />
werde. Er selbst erklärte Anfang des Jahres,<br />
dass er weder gelogen noch betrogen habe<br />
und fest davon ausgehe, dass das die<br />
Staatsanwälte genauso sähen.<br />
Offiziell gibt sich die Bank zurzeit ausgesprochen<br />
schmallippig. Hinter vorgehaltener<br />
Hand wird aber mächtig über die<br />
FOTO: VISUM/STEFAN BONESS<br />
52 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTO: PLAINPICTURE/BILDHUSET<br />
Münchner Rechtsverfolger geschimpft.<br />
Deren Attacke gilt als „völlig absurd“ und<br />
„rein politisch motiviert“. Ähnlich selbstbewusst<br />
hatte die Bank auch schon im Zivilverfahren<br />
argumentiert. Obwohl sie durchaus<br />
Gründe dafür hatte, ist sie denkbar dramatisch<br />
gescheitert.<br />
Nun setzen die Banker darauf, dass der<br />
zuständige Richter Peter Noll ein Einsehen<br />
hat und die Klage gegen Fitschen gar nicht<br />
erst zulässt. Dass ihr Chef tatsächlich auf<br />
der Anklagebank Platz nimmt, will sich in<br />
Frankfurt keiner so recht vorstellen. Schon<br />
rechnen Insider vor, wie sich das Thema<br />
mehr oder weniger durch Zeitablauf erledigen<br />
lasse. Bis zum Beginn eines Prozesses<br />
könnten womöglich noch zwei Jahre<br />
vergehen. Dann stünde der bald 66-Jährige<br />
Fitschen kurz vor dem Ruhestand, sein<br />
Vertrag läuft im Frühjahr 2017 aus.<br />
KAUM ERSETZBAR<br />
Bisher hat Fitschen nicht definitiv erklärt,<br />
dass er als Angeklagter im Amt bleiben<br />
würde. Insider gehen aber fest davon aus.<br />
Denn ein Rücktritt käme zur Unzeit. Fitschen<br />
wäre aktuell kaum ersetzbar. Gegen<br />
seinen Co-Chef Anshu Jain laufen zwar<br />
keine Ermittlungen, als früherer Leiter des<br />
Investmentbankings gilt er aber als für etliche<br />
Verfahren in den USA verantwortlich.<br />
Zudem hat er in Deutschland bisher wenig<br />
Profil gewonnen. Als interner Kandidat für<br />
den Fitschen-Job galt Personal- und<br />
Rechtsvorstand Stephan Leithner. Dummerweise<br />
ist er aber auch von Kirch-Ermittlungen<br />
betroffen, auch wenn eine Anklage<br />
bei ihm noch in den Sternen steht.<br />
So fest die Bank zu ihrem Chef steht, so<br />
empört sind die Deutschbanker über das<br />
beispiellose Desaster. Die Frage, wie es so<br />
weit kommen konnte, treibt sie heftig um.<br />
Auch der Vergleich gilt keinesfalls als Heldentat.<br />
Ihn hätte die Bank so auch schon<br />
deutlich früher schließen können.<br />
Zumindest finanziell bemüht sich der<br />
Aufsichtsrat um Schadensbegrenzung. So<br />
soll wenn möglich Breuers Managerhaftpflicht<br />
einen Teil der Vergleichssumme<br />
übernehmen. Schon um sich nicht selbst<br />
der Untreue schuldig zu machen, prüfen<br />
die Mitglieder des Aufsichtsrats zudem<br />
Regressforderungen gegen die der<br />
Bank eng verbundene Kanzlei Hengeler<br />
Müller. Bei Ex-Chef Breuer sind sie<br />
schon einen Schritt weiter. Er soll einen<br />
Beitrag leisten, dessen Höhe das<br />
Institut derzeit prüft. Im Gespräch ist<br />
ein einstelliger Millionenbetrag. n<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />
Knatsch am Kamin<br />
SCHORNSTEINFEGER | Eineinhalb Jahre nach der Liberalisierung<br />
verteidigen die Alteingesessenen der Zunft verbissen ihre Pfründen.<br />
Nun soll ein Internet-Portal den Wettbewerb schüren.<br />
Etwa einmal im Monat fährt<br />
Schornsteinfegermeister Wolfgang<br />
Frei von seinem Sieben-<br />
Mitarbeiter-Betrieb in der Kleinstadt<br />
Bingen am Rhein nach Landau. Dort<br />
kontrolliert er die Heizung der öffentlichen<br />
Gebäude und kehrt deren Kamine.<br />
Der 47-Jährige genießt die Arbeit in<br />
der pfälzischen Kleinstadt eine Autostunde<br />
entfernt. „Ich mag die Experimentierungsfreude<br />
hier“, sagt Frei.<br />
Der Endvierziger gehört zu einer<br />
seltenen Spezies in Deutschland. Frei<br />
zählt sich zu den wenigen Hundert<br />
freien Schornsteinfegern hierzulande.<br />
So nennen sich die Angehörigen der<br />
schwarzen Zunft, die ihre Arbeiten<br />
deutschlandweit anbieten und keinen<br />
festen Bezirk haben. Und Landau ist<br />
die erste Stadt, die hierzulande Schornsteinfegerleistungen<br />
öffentlich ausschrieb<br />
und einen freien Anbieter beauftrage,<br />
seit vor eineinhalb Jahren das<br />
Kehrmonopol fiel. Vorher kehrte jeder<br />
Schornsteinfeger nur in seinem eigenen<br />
Bezirk. Die Kunden mussten sich<br />
mit diesem einen Anbieter zufriedengeben,<br />
Konkurrenz unter den Schornsteinfegern<br />
gab es nicht.<br />
Heute darf sich jeder Hausbesitzer<br />
oder Vermieter aussuchen, wer seinen<br />
Kamin kehren darf. Schornsteinfeger<br />
Frei etwa arbeitet mit seinem Unternehmen<br />
Frei’e Schornsteinfeger mittlerweile<br />
für Kunden in fünf Bundesländern.<br />
Doch die Liberalisierung stockt.<br />
Viele Schornsteinfeger pflegen ihre<br />
Kunden aus Monopolzeiten und kümmern<br />
sich nicht um neue Auftraggeber.<br />
Kunden nutzen die neue<br />
Wahlfreiheit am Kamin<br />
nicht. Höchstens<br />
fünf Prozent<br />
hätten ihren<br />
Schornsteinfeger<br />
gewechselt,<br />
schätzt der Zentralinnungsverband<br />
des Schornsteinfegerhandwerks<br />
(ZIV), der private Zusammenschluss von<br />
Zunftangehörigen.<br />
Das Problem sind die hoheitlichen Aufgaben,<br />
die <strong>vom</strong> Wettbewerb ausgeschlossen<br />
sind. Dazu zählen die Abnahme neuer<br />
Kamine und die zweimal in sieben Jahren<br />
fällige Feuerstättenschau, bei der alle Heizungen<br />
und Öfen im Haus kontrolliert werden<br />
müssen. Die sind den sogenannten<br />
bevollmächtigten Bezirksschornsteinfegern<br />
vorbehalten, die bisher das Monopol innehatten.<br />
Dadurch behalten die einstigen<br />
Platzhirsche ihre starke Stellung. Zwar machen<br />
die hoheitlichen Aufgaben nur etwa<br />
20 Prozent aller Schornsteinfegertätigkeiten<br />
aus, schätzt der ZIV. Doch die bevollmächtigten<br />
Bezirksfeger haben so bei den<br />
Kunden einen Fuß in der Tür – und können<br />
Eindringlinge leicht vertreiben.<br />
UNTER KARTELLVERDACHT<br />
„Das Monopol ist zum Kartell geworden“,<br />
klagt Roman Heit, einer der wenigen freien<br />
Schornsteinfeger in Berlin. Der 48-Jährige<br />
versucht schon seit 2011, in Berlin Kunden<br />
zu gewinnen, zunächst als Angestellter eines<br />
österreichischen Schornsteinfegerbetriebs.<br />
Anbieter aus der EU durften schon<br />
vor dem Fall des Monopols in Deutschland<br />
aktiv werden. Schon damals bekam Heit<br />
die Abwehr seiner Kollegen zu spüren. „Ick<br />
wurde richtig anjefeindet“, sagt er in breitem<br />
Hauptstadt-Dialekt.<br />
Heits Bilanz der vergangenen drei Jahre<br />
ist erschreckend. Insgesamt viermal musste<br />
er vor Gericht. Zweimal hatte ihn die Senatsverwaltung<br />
verklagt. Beide Male zog<br />
die Behörde ihre Klage während des Prozesses<br />
zurück. In den anderen zwei Fällen<br />
steckte hinter den Attacken die Organisation<br />
Rußtizia, ein Abmahn-Verein der Berliner<br />
Schornsteinfegerinnung. Rußtizia warf<br />
Heit vor, seine Tätigkeit für den österreichischen<br />
Betrieb verstoße gegen deutsches<br />
Recht. In zweiter Instanz gab das Kammergericht<br />
Heit recht. „Mich <strong>vom</strong> Markt zu<br />
drängen, det is deren einziges Ziel“,<br />
schimpft er.<br />
Offenbar ist Berlin überall. Auch in anderen<br />
Bundesländern haben es die freien<br />
Feger gegen die alteingesessenen Anbie-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 53<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
ter schwer. Mehr als die Hälfte<br />
der 16 Landeskartellämter bestätigten<br />
auf Anfrage der WirtschaftsWoche<br />
die Beschwerden<br />
von Kunden oder Kaminkehrern<br />
wegen Wettbewerbsbehinderungen.<br />
Ein Wettbewerb sei nicht<br />
spürbar, klagen das hessische<br />
und das bayrische Landeskartellamt.<br />
Aus Sicht der niedersächsischen<br />
Schwesterbehörde wird<br />
„die Liberalisierung zumindest<br />
nicht flächendeckend gelebt“.<br />
Besonders hartnäckig scheinen<br />
die Altmonopolisten in Nordrhein-Westfalen<br />
um ihren angestammten<br />
Bereich zu kämpfen.<br />
Gleich nach dem Fall des Monopols<br />
durchsuchte das Landeskartellamt<br />
in Köln Akten und<br />
Schränke von Schornsteinfegerbetrieben.<br />
Die Kaminkehrer, so<br />
der Verdacht, hätten in einem Ehrenkodex<br />
verabredet, geschäftliche<br />
Aktivitäten weiterhin auf ihre<br />
alten Bezirke zu beschränken<br />
und außerhalb nicht auf Kundenfang<br />
zu gehen. Mittlerweile laufen<br />
die Ermittlungen in insgesamt<br />
drei Landkreisen. Ein Ergebnis<br />
liegt nach Angaben des zuständigen<br />
Landeswirtschaftsministeriums<br />
noch nicht vor.<br />
Wenigstens ein mit den Kartellermittlungen<br />
verbundener Fall landete inzwischen<br />
vor Gericht. Als ein Kölner Schornsteinfeger<br />
in der Nachbarstadt Pulheim Prospekte<br />
verteilte, um Kunden zu werben, drohte der<br />
dortige Bezirkskehrer seinen abgewanderten<br />
Kunden schriftlich: Der Konkurrent aus<br />
der Domstadt sei nicht berechtigt, die Arbeiten<br />
auszuführen. Dem Kölner blieb nur,<br />
den Lügner mit einer einstweiligen richterlichen<br />
Verfügung zu stoppen.<br />
KUNDEN ZUCKEN ZURÜCK<br />
Auch zwischen freien Schornsteinfegern<br />
und ihren bevollmächtigten Kollegen gibt<br />
es Streit. Denn die Bezirksschornsteinfeger<br />
müssen die Arbeiten ihrer freien Kollegen<br />
kontrollieren. „Einige der Bevollmächtigten<br />
nutzen ihre Position aus“, behauptet<br />
der Bingener Feger Frei. Dazu bedienen sie<br />
sich zum Beispiel des Bescheids, der alle<br />
wichtigen Daten über eine Feuerstätte enthält<br />
und in dem die bevollmächtigten Bezirkskehrer<br />
auch die Fristen festlegen, in<br />
denen bestimmte Arbeiten an Kaminen<br />
und Öfen wie Abgasuntersuchung oder<br />
Kehrungen zu erledigen sind. „Das wird<br />
Feger in fünf Bundesländern<br />
Kaminkehrer Frei aus Bingen am Rhein<br />
ganz klar genutzt, um den Markt zu lenken“,<br />
ärgert sich Frei. So könne der Bezirksfeger<br />
die Terminplanung der freien Kollegen<br />
durcheinanderbringen, indem er zum<br />
Beispiel alle Termine auf den Januar lege,<br />
statt sie auf das Jahr zu verteilen.<br />
Die Kunden verunsichert der Streit in der<br />
Zunft. „Sobald ein bevollmächtigter<br />
Schornsteinfeger Ärger andeutet, kriegen<br />
die Kunden Panik und zucken sofort zurück“,<br />
sagt Freis Kollege Heit.<br />
Die Innungen spielen die Probleme herunter.<br />
Einzelfälle, sagt ZIV-Präsident Hans-<br />
13 Prozent<br />
sparte die Stadt Landau<br />
durch einen Wechsel<br />
ihres Schornsteinfegers<br />
Günther Beyerstedt, „Betroffene<br />
können jederzeit bei den Innungen<br />
Beschwerde einlegen.“ Die<br />
Kunden seien offenbar zufrieden,<br />
deshalb seien die Wechselquoten<br />
so niedrig.<br />
Das dürfte allerdings auch daran<br />
liegen, dass es noch keinen<br />
Billiganbieter in der Branche<br />
gibt, der Deutschland etwa mit<br />
einer Discount-Schornsteinfeger-Kette<br />
überziehen könnte.<br />
„Der Verbraucher kann bisher<br />
nicht wirklich viel sparen“, sagt<br />
Horst-Ulrich Frank von der Verbraucherschutzzentrale<br />
Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Mehr als<br />
fünf Euro seien bei einem Privathaus<br />
mit Kosten zwischen 60 und<br />
100 Euro im Jahr kaum drin.<br />
Für große Immobilieneigentümer<br />
lohnt sich der Wechsel<br />
trotz der geringen Preisunterschiede.<br />
Die Stadt Landau etwa<br />
spart 2014 durch die Ausschreibung<br />
und Vergabe des Auftrags<br />
an Frei brutto 2800 Euro, das sind<br />
rund 13 Prozent der Vorjahreskosten.<br />
Doch ein Großteil der<br />
Kommunen hat ihre Schornsteinfegerarbeiten<br />
bisher nicht<br />
einmal ausgeschrieben. Auch<br />
die großen Wohnungsgesellschaften<br />
halten sich zurück. Zwar beauftragte<br />
die Deutsche Annington nach dem<br />
Fall des Monopols den Bingener Frei damit,<br />
die Schlote von insgesamt 7000 Wohnungen<br />
in Baden-Württemberg, Essen und<br />
Dortmund zu betreuen. Doch die Konkurrenz<br />
sieht in solchen Projekten bisher keinen<br />
Sinn. Auch sind nur wenige Schornsteinbetriebe<br />
in der Lage, größere Aufträge<br />
anzunehmen.<br />
Frei hofft nun, über ein Internet-Portal<br />
mehr Bewegung vor die Kamine zu bringen.<br />
Auf der Internet-Seite kaminia.de, die<br />
in den kommenden Tagen online gehen<br />
soll, können Kunden anonym Aufträge<br />
ausschreiben und Schornsteinfeger anonym<br />
Angebote abgeben. Der Schornsteinfeger<br />
muss lediglich seinen Meisterbrief<br />
und seine Handwerkskarte dem Portal gegenüber<br />
vorweisen. Alteingesessene Wettbewerber<br />
haben so keine Chance herauszufinden,<br />
wer hinter einem Angebot steckt.<br />
Frei hat das Projekt initiiert. „Vielleicht<br />
trauen sich dann ein paar mehr Kollegen,<br />
auch außerhalb ihres Bezirks Aufträge anzunehmen“,<br />
hofft Frei.<br />
n<br />
jacqueline.goebel@wiwo.de, maximilian nowroth<br />
FOTO: RUDOLF WICHERT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
54 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Triumph der Job-Hopper<br />
FUSSBALL | Mario Gomez, Model des Bekleidungskonzerns Boss, steigt ab, der unscheinbare<br />
Mario Götze auf. Wie sich der Markenwert der deutschen Nationalspieler entwickelt hat.<br />
FOTOS: GETTY IMAGES (21)<br />
Unaufgeregt und sicher – für einen<br />
Einsatz in der Versicherungsbranche<br />
scheint Torwart Manuel Neuer<br />
wie geschaffen. Der eher hippe Stürmer<br />
Mario Götze würde als Werbeträger eines<br />
Modelabels eine gute Figur machen. Unternehmen,<br />
die im Internet um Kunden<br />
buhlen, sollten sich an Web-affine Stars<br />
wie Lukas Podolski und Mesut Özil halten.<br />
Die Düsseldorfer Managementberatung<br />
Batten & Company hat auch in diesem Jahr<br />
exklusiv für die WirtschaftsWoche den<br />
Markenwert deutscher Nationalspieler untersucht.<br />
Kurz vor dem Bundesligastart am<br />
22. August analysierten die Berater, welchen<br />
Wert die Spieler für den Verein und für<br />
Unternehmen haben, die mit den Kickern<br />
werben wollen. In die Berechnung flossen<br />
Daten wie das Spielergehalt, Werbeeinnahmen<br />
sowie das in einer repräsentativen<br />
Umfrage ermittelte Image ein.<br />
ZUWACHS TROTZ VERLETZUNG<br />
Der neue Spitzenreiter Mario Götze erreicht<br />
danach fast 37 Millionen Euro Markenwert;der<br />
Bayern-Stürmer profitiert von<br />
seinem Tor im WM-Finale. Ob er sich oben<br />
halten kann, hängt nach Meinung von Batten-Partner<br />
Björn Sander von Götze selber<br />
ab: „Er muss seinen Markenkern finden,<br />
damit der Erfolg nicht einmalig bleibt.“<br />
Nach der WM sei die Verlockung für viele<br />
Spieler groß, „sich jedem Werbepartner an<br />
den Hals zu werfen“, meint Sander. „Das<br />
bringt vielleicht kurzfristige Erträge, hat<br />
aber mit Markenaufbau nichts zu tun.“<br />
Neben Götze machten die Job-Hopper<br />
Toni Kroos (Real Madrid) und André<br />
Schürrle (seit 2013 bei Chelsea) die größten<br />
Sprünge. Verlierer im Ranking ist Mario<br />
Gomez, der es nicht einmal in den WM-Kader<br />
schaffte. Mit seinem Wechsel zum international<br />
eher unbedeutenden AC Florenz<br />
ist die Werbefigur des Bekleidungsherstellers<br />
Boss im schwäbischen Metzingen<br />
zudem aus dem Blickfeld der deutschen<br />
Öffentlichkeit verschwunden.<br />
Dem Dortmunder Marco Reus hat der<br />
Ausfall bei der WM wegen Verletzung<br />
kaum geschadet – dank seiner erfolgreichen<br />
Saison bei Borussia Dortmund. n<br />
juergen.salz@wiwo.de<br />
Markenwert deutscher Nationalspieler (in Millionen Euro)*<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
Mario Götze<br />
FC Bayern München<br />
Thomas Müller<br />
FC Bayern München<br />
Toni Kroos<br />
Real Madrid<br />
Manuel Neuer<br />
FC Bayern München<br />
Bastian Schweinsteiger<br />
FC Bayern München<br />
Mesut Özil<br />
Arsenal London<br />
Philipp Lahm<br />
FC Bayern München<br />
Sami Khedira<br />
Real Madrid<br />
Jérôme Boateng<br />
FC Bayern München<br />
Mats Hummels<br />
Borussia Dortmund<br />
11<br />
36,7 (+128%) 12,5 (+23%)<br />
32,7 (+31%)<br />
27,5 (+213%)<br />
26,6 (+15%)<br />
25,3 (+25%)<br />
25,0 (+10%)<br />
21,1 (+4%)<br />
18,6 (+22%)<br />
14,4 (+25%)<br />
13,9 (+40%)<br />
* Veränderung im Vergleich zum Vorjahr, Stand: 11.8.2014; ** im Vorjahr nicht auf der Liste;<br />
Quelle: Batten&Company<br />
12<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
Marco Reus<br />
Borussia Dortmund<br />
Lukas Podolski<br />
Arsenal London<br />
12,0 (+45%)<br />
Mario Gomez<br />
AC Florenz<br />
11,9 (–28%)<br />
André Schürrle<br />
FC Chelsea<br />
10,4 (+126%)<br />
Benedikt Höwedes<br />
FC Schalke 04<br />
3,4<br />
6,2 (+107%)<br />
Per Mertesacker<br />
Arsenal London<br />
5,9 (+28%)<br />
Kevin Großkreutz**<br />
Borussia Dortmund<br />
4,3<br />
Christoph Kramer**<br />
Borussia Mönchengladbach<br />
0,8<br />
3,5<br />
Miroslav Klose<br />
Lazio Rom<br />
(–26%)<br />
Shkodran Mustafi**<br />
FC Valencia<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 55<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Große Pläne<br />
Runners Point soll als Marke<br />
erhalten bleiben und international<br />
ausgebaut werden<br />
Aufreibender Poker<br />
Firmenverkäufe und -übernahmen nehmen zu, auch im Mittelstand. Wie Unternehmen<br />
einen Partner finden, beschreibt die erste Folge einer sechsteiligen Serie der WirtschaftsWoche in<br />
Kooperation mit der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte.<br />
Die Geschäfte liefen gut bei Thomas Mücke.<br />
1989 hatte der 53-Jährige ein Schuhgeschäft<br />
von seinen Eltern geerbt und das Familienunternehmen<br />
in den Jahren danach zu einer Ladenkette<br />
mit 13 über ganz Bayern verstreuten Filialen ausgebaut.<br />
Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Schuh Mücke einen<br />
Jahresumsatz von rund 100 Millionen Euro.<br />
Trotz des Erfolgs entschied Mücke sich vor gut einem<br />
Jahr dazu, sein Unternehmen zu verkaufen: Der Stress<br />
als Unternehmer machte ihm zu schaffen, ein neues<br />
Zentrallager musste gebaut werden, und privat musste<br />
Mücke nach ausführlichen Diskussionen im Familienkreis<br />
einsehen, dass keines seiner drei Kinder in das elterliche<br />
Geschäft einsteigen wollte.<br />
Um die Nachfolge zu regeln und seine Lebensqualität<br />
zu verbessern, rang Mücke sich dazu durch, seine<br />
Firma in andere Hände zu geben – schnell und zu 100<br />
Prozent. „Ansonsten hätte sich zu wenig an meiner persönlichen<br />
Lebenssituation geändert, weil man ja doch<br />
irgendwie in der Haftung bleibt“, sagt er heute.<br />
Wie Mücke stehen Jahr für Jahr viele mittelständische<br />
Unternehmer vor einer der wichtigsten Entscheidung<br />
ihres Lebens: Weil kein Nachfolger da ist, müssen sie<br />
verkaufen – ein emotional wie betriebswirtschaftlich<br />
schwieriger Vorgang. Denn der Verkauf soll den Eigentümern<br />
nicht nur genug Geld bringen, damit sie sich<br />
ohne Probleme zur Ruhe setzen können. Der Verkauf<br />
SERIE<br />
Mittelstand<br />
Fit for Future<br />
Fusionen & Übernahmen<br />
Der richtige Partner (I)<br />
Finanzinvestoren (II)<br />
Finanzierung (III)<br />
Osteuropa/Asien (IV)<br />
Integration (V)<br />
Interview (VI)<br />
soll auch die Zukunft des Unternehmens und seiner<br />
Mitarbeiter sichern.<br />
Im Alleingang und ohne fachlich versierten Beistand<br />
können Mittelständler solche Transaktionen kaum fehlerfrei<br />
über die Bühne bringen. Die WirtschaftsWoche<br />
startet darum in Kooperation mit der Wirtschaftsprüfungs-<br />
und Beratungsgesellschaft Deloitte in dieser<br />
<strong>Ausgabe</strong> eine sechsteilige Serie über Unternehmensverkäufe,<br />
Unternehmensübernahmen und Fusionen<br />
im Mittelstand. „Nur wenige Mittelständler haben<br />
dafür eine formale Akquisitionsstrategie“, sagt Sven<br />
Oleownik, Partner, Corporate Finance Advisory, bei<br />
Deloitte, „die meisten haben nur wenig Erfahrung in<br />
diesem Prozess und oft nur relativ vage Ziele. Daher<br />
fällt es ihnen auch schwer, Akquisitionen zu tätigen und<br />
die entsprechenden Risiken zu managen.“<br />
Doch Mittelständler verkaufen nicht nur, weil Nachfolger<br />
fehlen. Viele gehen selbst auf Einkaufstour: Um<br />
Zugang zu neuen Technologien oder Märkten im Inoder<br />
Ausland zu erlangen, aber auch, weil sie die Produktpalette<br />
erweitern oder den Umsatz steigern wollen,<br />
um Größenvorteile zu realisieren. „Ein Schwerpunkt<br />
der Akquisitionsabsichten ist es, die Marktdominanz<br />
zu erhöhen“, hat Oleownik beobachtet.<br />
Die Zeiten sind gerade gut für solche Pläne, der<br />
Markt für Transaktionen zieht merklich an. Die Kassen<br />
der meisten Unternehmen sind gut gefüllt, die Finan-<br />
FOTO: PR (2)<br />
56 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Mit Unterstützung von Deloitte*<br />
zierungen wegen der niedrigen Zinsen billig wie nie,<br />
die Aussichten trotz der Krisen in der Ukraine und Nahost<br />
immer noch gut. 650 Unternehmenstransaktionen<br />
mit einem Gesamtvolumen von mehr als 48 Milliarden<br />
US-Dollar allein in Deutschland registrierte der Finanzdienstleister<br />
Dealogic im ersten Halbjahr 2014 – der<br />
höchste Stand seit Ausbruch der Finanzkrise 2008.<br />
In der breiten Öffentlichkeit bekannt werden vor allem<br />
große Transaktionen wie die Übernahme der<br />
Rhön-Kliniken durch den Gesundheitskonzern Fresenius<br />
oder die gescheiterte Übernahme des französischen<br />
Bahntechnik-Ausrüsters Alstom durch Siemens.<br />
Doch auch wenn konkrete Zahlen fehlen: Tatsächlich<br />
entfällt der größte Teil aller Transaktionen nach Experteneinschätzung<br />
auf mittelständische Unternehmen:<br />
„Wir sehen viel Bewegung da draußen“, sagt Deloitte-<br />
Berater Oleownik.<br />
In der Serie zeigen WirtschaftsWoche und Deloitte,<br />
worauf Mittelständler bei solchen Transaktionen achten<br />
müssen. Die Finanzierung kann ebenso schiefgehen<br />
wie die Ermittlung des Kaufpreises, die Integration<br />
des übernommenen Unternehmens oder die Abwicklung<br />
der Transaktion.<br />
Partnerwahl und das Aushandeln eines für beide Seiten<br />
akzeptablen Preises zählen zu den langwierigsten<br />
Prozeduren – beim Kauf wie auch beim Verkauf. Zumal<br />
derzeit auch viele Finanzinvestoren nach lukrativen<br />
Beteiligungen suchen und die Preise in die Höhe treiben.<br />
Im Umkehrschluss heißt das: Bevor ein Interessent<br />
sich zum Kauf entschließt, muss er die Rentabilität<br />
des Kaufobjekts kritisch prüfen. „Da darf nichts schiefgehen“,<br />
sagt Deloitte-Experte Oleownik, „schließlich<br />
will man das Unternehmen ja nicht nach ein paar Jahren<br />
wieder verkaufen – oder noch schlimmer, das eigene<br />
Unternehmen riskieren.“<br />
Manchmal<br />
muss die<br />
Braut noch<br />
ein wenig<br />
aufgehübscht<br />
werden<br />
Hilft bei der Suche<br />
nach Interessenten<br />
Deloitte-Berater<br />
Oleownik begleitet Mittelständler<br />
bei Fusionen<br />
und Übernahmen<br />
Wie vor der Krise<br />
Finanzvolumen und<br />
Anzahl der M&A-Transaktionen<br />
in Deutschland<br />
150<br />
120<br />
90<br />
60<br />
Transaktionen<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
30<br />
Finanzvolumen<br />
200<br />
(in Mrd. $)<br />
2007 09 11 13 14<br />
Quelle: Dealogic<br />
SCHLIFF DES ROHDIAMANTEN<br />
Manchmal muss die Braut auch aufgehübscht werden,<br />
damit die richtigen Partner aufmerksam werden. Das<br />
war etwa bei Runners Point der Fall. Der Sportartikelhändler<br />
gehörte bis 2005 zu Karstadt, wurde dann von<br />
den beiden Geschäftsführern und der Beteiligungsgesellschaft<br />
Hannover Finanz herausgekauft, um ihn später<br />
mit Gewinn wieder zu verkaufen. „Das Management-Team<br />
hat uns überzeugt, dass es sich um einen<br />
Rohdiamanten handelt“, sagt Ulrich Mogwitz, der das<br />
Investment für die Hannover Finanz betreute.<br />
Um den zu schleifen, holte Mogwitz Berater von Deloitte<br />
an Bord. Die kümmerten sich um die Neuausrichtung<br />
der Logistik. Anschließend optimierten sie Schritt<br />
für Schritt das Produktportfolio, schlossen unrentable<br />
Filialen und eröffneten neue Märkte. „Durch diese<br />
Kombination konnten wir ein erhebliches Wachstum<br />
generieren“, sagt Mogwitz.<br />
Die Suche nach einem Käufer für Runners Point begann<br />
2010, das Deloitte-Team übernahm die Aufgabe,<br />
ernsthafte Interessenten für die Kette zu finden. Dabei<br />
macht es wenig Sinn, mit der Schrotflinte in den Wald<br />
zu schießen, das überfordert Management und Unternehmen.<br />
Je kleiner der Kreis der möglichen Käufer,<br />
desto intensiver können die Gespräche geführt werden,<br />
und desto mehr kommt dann am Ende auch heraus.<br />
Wenn die Zahlen stimmen, vereinfacht das den Prozess.<br />
Bei Runners Point hatte sich die Verschönerung<br />
ausgezahlt: 2013 erwirtschaftete die Kette einen Umsatz<br />
von knapp 200 Millionen Euro – mehr als doppelt<br />
so viel wie im letzten Jahr der Karstadt-Zugehörigkeit<br />
acht Jahre zuvor. Die Zentrale und die gut 220 Filialen<br />
gingen vor etwa einem Jahr an den US-Konkurrenten<br />
Foot Locker. Die neuen Eigentümer haben große Pläne<br />
für ihre Neuerwerbung: Die hierzulande gut eingeführte<br />
Marke Runners Point soll erhalten bleiben und international<br />
ausgebaut werden. „Am Ende ist es der natürliche<br />
Partner geworden“, sagt Investor Mogwitz.<br />
NOTBREMSE ALS LETZTER AUSWEG<br />
Wie lange es dauern kann, bevor der richtige Partner<br />
gefunden ist, musste auch der bayrische Schuhhändler<br />
Mücke erleben. 20 mögliche Kaufinteressenten hatten<br />
seine Berater von der Raiffeisen- und Volksbank-Tochter<br />
VR Corporate Finance im ersten Durchgang identifiziert.<br />
Sieben von ihnen präsentierte Mücke sein Unternehmen<br />
dann im Detail. Wichtigste Verhandlungsgrundlage<br />
waren dabei ausführliche Zahlen über Umsätze<br />
und Kosten. „Es geht darum, einen Plan für die<br />
Zukunft vorliegen zu haben, der möglichst detailliert<br />
mit Maßnahmen hinterlegt ist“, sagt Christian Näther,<br />
Partner der Beteiligungsgesellschaft Emeram Capital<br />
Partners.<br />
Zum Check jedes Übernahmekandidaten gehören<br />
außerdem Gespräche mit den angestellten Managern,<br />
wichtigen Kunden und den Lieferanten. „Es ist wichtig,<br />
dass man von Anfang an weiß, dass alle so eine Transaktion<br />
mittragen“, sagt Markus Loy, Sprecher der Geschäftsführung<br />
von VR Corporate Finance.<br />
Ist das nicht der Fall, muss die Notbremse gezogen<br />
werden. Nicht selten gehen beide Seiten mit völlig unterschiedlichen<br />
Vorstellungen in die Verhandlungen:<br />
Während der verkaufswillige Familienunternehmer<br />
seine bisherigen Investitionen und den historischen<br />
Wert der Firma vor Augen hat, interessiert sich der Käufer<br />
vor allem für die zukünftige Ertragslage und leitet<br />
daraus den Firmenwert ab.<br />
Zeitweise sei die Hälfte seiner Arbeitszeit für den<br />
Transaktionsprozess draufgegangen, erinnert sich Ex-<br />
Schuhhändler Mücke: „Ich habe das Arbeitsvolumen<br />
bei diesem Prozess total unterschätzt.“ Bei den letzten<br />
zwei Kandidaten musste er sogar vor den Banken der<br />
möglichen Käufer auftreten: „Da konnte sich einfach<br />
keiner vorstellen, dass man mit einem rein stationären<br />
Schuhhandel heute noch Geld verdient.“ Den Zuschlag<br />
erhielt schließlich die Schuhhandelsgruppe ANWR mit<br />
Sitz im hessischen Mainhausen. Ende Mai waren die<br />
Verträge unterschrieben.<br />
n<br />
manuel heckel | unternehmen@wiwo.de<br />
* Die Inhalte auf diesen Seiten wurden redaktionell von der WirtschaftsWoche<br />
erstellt. Deloitte hat die Realisierung der Serie finanziell unterstützt.<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 57<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
Latte macchiato<br />
im Weltall<br />
WERKSTOFFE | Von wegen aufgeblasene Luftnummer: Moderne Schäume<br />
schützen bei Unfällen, heizen Häuser und helfen Menschen, schöner und<br />
schlanker zu werden. Ein Streifzug durch die Welt der fragilen Gebilde.<br />
Wiebke Drenckhan ist eine<br />
professionelle Schaumschlägerin.<br />
Nein, sie ist keine<br />
Politikerin, Werberin<br />
oder Beraterin, denen Lästerer<br />
gerne nachsagen, allzu oft Luftnummern<br />
zu produzieren. Die preisgekrönte<br />
Physikerin hat ihre wissenschaftliche Karriere<br />
einem blasigen Phänomen gewidmet:<br />
dem Schaum.<br />
In ihrem Labor an der Universität Paris-<br />
Süd tupft die 37-Jährige einen Finger vorsichtig<br />
in Seifenschaum, den ein Mitarbeiter<br />
mit Druckluft produziert hat. Wie lange<br />
bleibt die Masse steif, wie fließt sie, wie<br />
groß sind die Bläschen? Die gebürtige<br />
Greifswalderin hat in Rostock<br />
und im neuseeländischen<br />
Christchurch<br />
studiert, in Dublin<br />
promoviert und arbeitet<br />
nun in Paris.<br />
Für ihre Forschung<br />
interessieren sich Unternehmen<br />
wie der Düsseldorfer<br />
Henkel-Konzern und der<br />
französische Kosmetikriese L’Oréal.<br />
„Das goldene Zeitalter der Schäume ist angebrochen“,<br />
ist Drenckhan überzeugt. Ihre<br />
Begeisterung ist so groß, dass kein Geburtstag<br />
ihrer zwei Kinder ohne Schaumschlacht<br />
verläuft und sie regelmäßig Schulklassen<br />
für die Wunderwelt der winzigen<br />
Bläschen zu interessieren versucht.<br />
Umso mehr, als diese Welt längst nicht<br />
mehr bloß aus Wasser und Seife besteht:<br />
Ob Plastik, Keramik, Glas oder Metalle und<br />
sogar Käse oder Schokolade – alles wird<br />
aufgeschäumt. Bisher allerdings waren das<br />
meist Nischenanwendungen – ob bei<br />
Heute lässt sich<br />
jede Schaumpore<br />
berechnen<br />
Mousse au Chocolat oder der<br />
schaumigen Waschlauge aus<br />
dem Seifenspender.<br />
Nun aber ist Schluss mit eher<br />
zufälligen Schöpfungen, bei denen<br />
Köche oder Entwickler ihre<br />
luftigen Produkte im Wechselspiel<br />
aus Versuch und Irrtum<br />
kreierten. Der Funktionsschaum<br />
der Zukunft ist das Ergebnis komplexer<br />
Computersimulation – Materialwissenschaft<br />
auf Bläschenniveau sozusagen.<br />
Denn dank des immensen Leistungsschubs<br />
der IT sind Wissenschaftler wie<br />
Wiebke Drenckhan und ihre<br />
Kollegen in den Laboren<br />
weltweit jetzt in der Lage,<br />
Eigenschaften von<br />
Schäumen am Computer<br />
vorauszuberechnen.<br />
Sie können jede einzelne<br />
Pore simulieren und so<br />
maßgeschneiderte Werkstoffe<br />
schaffen – egal, ob<br />
für den Einsatz in Architektur, im<br />
Fahrzeugbau, in der Kosmetik oder<br />
in der Lebensmittelbranche.<br />
Und seit die chaotisch geformten Schäume<br />
berechenbar sind, steigt die Nachfrage<br />
rasant. Weil Schäume zu 90 Prozent aus<br />
Löchern bestehen, sind sie leichter, benötigen<br />
weniger Rohstoff bei der Produktion<br />
und enthalten als Nahrungsmittel weniger<br />
Kalorien als herkömmliche Lebensmittel.<br />
Schaum kann elastisch sein wie eine<br />
Matratze oder hart wie Beton. Er kann Hitze<br />
horten oder Schall komplett verschlucken<br />
(siehe Kasten Seite 61). Er kann Autofahrer<br />
bei Unfällen schützen und in geselliger<br />
Runde das Bier kühl halten.<br />
Video<br />
In unseren<br />
App-<strong>Ausgabe</strong><br />
finden Sie an<br />
dieser Stelle<br />
Filme zum Thema<br />
Wie groß das Potenzial des luftigen<br />
Etwas ist, zeigen die Branchen<br />
Verkehr, Energie, Reinigung<br />
und Nahrung. Ein Blick in die Ideenschmieden<br />
der Unternehmen.<br />
Es klingt ein wenig wie ein Kuchenrezept<br />
mit viel Mehl und<br />
Backpulver: Man nehme eine Legierung<br />
aus Aluminium und Titanhydrid<br />
und erhitze sie kräftig. Dabei entsteht<br />
Wasserstoffgas, und das Material geht auf<br />
wie ein Rührkuchen. Lange hat Thomas<br />
Hipke <strong>vom</strong> Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen<br />
und Umformtechnik in<br />
Chemnitz nach den richtigen Zutaten und<br />
dem optimalen Fertigungsprozess gesucht.<br />
Jetzt beherrscht der 44-Jährige das Verfahren<br />
perfekt. Er packt den Aluschaum zwischen<br />
Bleche, fertig ist das Sandwich, das nur ein<br />
Fünftel eines massiven Bauteils wiegt.<br />
SCHAUMSCHIFF IM EIS<br />
Aus dem geschäumten Metall soll etwa die<br />
nächste ICE-Generation bestehen. Mitte<br />
Mai zeigte Hipke gemeinsam mit Industriepartnern<br />
erstmals einen Prototyp einer<br />
Fahrzeugfront aus dem Material. 2,5 Millionen<br />
Euro hat die Entwicklung bisher gekostet.<br />
Künftig soll ein brandenburgischer<br />
Betrieb die Zughauben fertigen. In zwei<br />
Jahren könnten sie durch Deutschland rollen,<br />
hofft der Ingenieur.<br />
Ein Zug aus diesem Stoff ist leichter als<br />
konventionelle Züge, braucht weniger<br />
Strom und kann mehr Personen befördern.<br />
Triebköpfe aus Kunststoff wären noch<br />
leichter. Doch das Material splittert, etwa<br />
bei der Kollision mit Vögeln. „Metallschaum<br />
bekommt dagegen nur Beulen“, so<br />
Hans-Wolfgang Seeliger, Chef des Alu-<br />
58 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
90 Prozent<br />
machen Löcher<br />
ungefähr<br />
im Schaum aus<br />
1000 Grad<br />
heiß wird<br />
Keramikschaum in<br />
Solarkraftwerken<br />
30 Minuten<br />
hält eiskalter<br />
Bierschaum das<br />
Getränk kühl<br />
Schaum Physiker enträtseln seine Geheimnisse | Bier Mehr Genuss<br />
durch eine gefrorene Krone | Auto Ferrari hat Aluschaum im Chassis<br />
verbaut | Solarturm Poröse Keramik fängt Sonnenenergie ein<br />
FOTOS: FOTOLIA, PR (2), VISUM/VEIT HENGST<br />
schaumerzeugers Pohltec Metalfoam in<br />
Köln. Die Blasen wirkten wie winzige Airbags<br />
und dämpften den Aufprall, erläutert<br />
Seeliger. Inzwischen schafften es die Hersteller,<br />
Hunderte Tonnen Metallschaum im<br />
Jahr zu fertigen. Ein wichtiger Abnehmer<br />
ist die Autoindustrie. Audi etwa hat im Geländewagen<br />
Q7 und Ferrari im Spider F430<br />
Aluschäume eingesetzt, die sich bei Crashs<br />
verformen und die Insassen schützen.<br />
Und langsam entdeckt die übrige Verkehrsbranche<br />
das Geheimnis der stabilen<br />
Blasen. Flughäfen wie etwa der Yeager Airport<br />
im US-Bundesstaat West Virginia bauen<br />
beispielsweise am Ende von Landebahnen<br />
Schaumbeton ein, der Flugzeuge abbremsen<br />
soll, die nicht mehr stoppen können.<br />
Ein ähnliches Konzept wird auch am<br />
Flughafen Zürich diskutiert.<br />
Es geht noch ungewöhnlicher: Veikko<br />
Hintsanen ist als Kapitän auf den Weltmeeren<br />
zu Hause. Soeben hat er, zugleich Chef<br />
des Unternehmens Laffcomp, der größten<br />
russischen Werft Sevmash zwei noch im<br />
Bau befindliche Öltanker abgekauft. Hintsanen<br />
will die Schiffe mit Aluschaum vollenden.<br />
Ein Investor habe an die zehn Millionen<br />
Euro zugesagt, die Verträge aber<br />
noch nicht unterzeichnet. Fraunhofer-Forscher<br />
Hipke bescheinigt den Schaum-<br />
Frachtern viele Vorteile: Sie sollen sogar einer<br />
Kollision mit einem Eisberg standhalten.<br />
Die Schiffe könnten daher ganzjährig<br />
auch im Norden unterwegs sein.<br />
Seemann Hintsanen träumt davon, Vorbild<br />
für eine erneuerte europäische Binnenflotte<br />
zu werden. Aus Schaum gebaut,<br />
könnte ein Frachter statt rund 1000 Tonnen<br />
nur die Hälfte wiegen und so mehr<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 59<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
»<br />
Ladung transportieren. Sie liegen flacher<br />
im Wasser und können<br />
so auch bei Niedrigwasser<br />
fahren. Für unter Kostendruck<br />
stehende<br />
Reeder eine Verlockung:<br />
Obwohl ein<br />
Schaumschiff mit circa<br />
90 Millionen Euro<br />
ein Viertel mehr koste,<br />
amortisiere sich der Kauf nach<br />
einem Jahr, hat Hintsanen errechnet.<br />
Bremsender Porenbeton<br />
Geschäumtes Baumaterial stoppt<br />
zu schnelle Flugzeuge<br />
Nanoschaum<br />
sperrt Hitze<br />
komplett aus<br />
MINIHEIZUNG IM KELLER<br />
Schäume können nicht nur große Kräfte<br />
bei einem Autounfall verkraften und enorme<br />
Lasten in Schiffen transportieren. Sie<br />
halten auch brutale Hitze aus und speichern<br />
problemlos wertvolle Wärmeenergie.<br />
Jede Blase arbeitet wahlweise wie eine<br />
eingebaute Thermoskanne oder wie ein<br />
Heizkissen. Das sei zurzeit eine der gefragtesten<br />
Eigenarten des Materials, sagt Olga<br />
Mühldorfer, Vertriebsmanagerin beim russischen<br />
Schaumhersteller Exxentis.<br />
Wie gut das in der Praxis funktioniert,<br />
will Reiner Buck <strong>vom</strong> Deutschen Zentrum<br />
für Luft- und Raumfahrt herausfinden. In<br />
einigen Wochen soll in Spanien ein Solarturmkraftwerk<br />
von Abengoa Solar bei Sevilla<br />
in Betrieb gehen. Um den Turm herum<br />
ist ein Feld mit einigen Dutzend Spiegeln<br />
von Zimmertürgröße<br />
aufgebaut. Sie lenken die<br />
Sonnenstrahlen auf die<br />
Turmspitze.<br />
Dort, in 65 Meter<br />
Höhe, steckt das Herzstück<br />
der Anlage: ein<br />
Block aus Keramikschaum.<br />
Er heizt sich und<br />
die durchströmende Luft auf<br />
1000 Grad Celsius auf. Mit dieser<br />
Hitze wird Wasserdampf erzeugt, der<br />
wiederum Turbinen zur Stromerzeugung<br />
antreibt. Bisher nutzen die meisten Solarturmkraftwerke<br />
Metallschäume, erklärt<br />
Buck. Doch während Metalle bei den hohen<br />
Temperaturen schmelzen oder sich<br />
verformen, bleibt Keramik stabil. „Wir können<br />
so den Wirkungsgrad der Kraftwerke<br />
um etliche Prozentpunkte steigern“, sagt<br />
der Energieingenieur. „Immer mehr Solarturmanlagen<br />
werden langfristig mit Keramikschaum<br />
arbeiten.“<br />
Was im Großen funktioniert, soll auch<br />
im Kleinen klappen – etwa im Keller eines<br />
Erlanger Einfamilienhauses. Dort hat Antonio<br />
Delgado, Professor für Strömungsmechanik<br />
an der Universität Erlangen-<br />
Nürnberg, vergangenes Jahr die nach eigenen<br />
Angaben kleinste Haushaltsheizung<br />
der Welt installiert, die er mit Industriepartnern<br />
und der Universität Aachen entwickelt<br />
hat. In ihr steckt ein Stück Siliziumcarbid-Schaum<br />
von etwa der Größe einer<br />
Zigarettenschachtel.<br />
Durch das diamantähnliche Material<br />
strömt ein Gemisch aus Öl oder Gas und<br />
Luft, das in den Poren des Schaums verbrennt.<br />
Da die Bläschen eine riesige innere<br />
Oberfläche besitzen, läuft die Verbrennung<br />
besonders effektiv und sauber ab. Deshalb<br />
stößt die Heizung weniger Schadstoffe aus<br />
als übliche Brenner. Weil das löchrige Material<br />
die Hitze rasch ableitet, lässt sich die<br />
Verbrennung in Sekundenbruchteilen<br />
drosseln oder hochfahren – praktisch bei<br />
einem plötzlichen Wetterumschwung.<br />
Nun sucht Delgado ein Unternehmen,<br />
das die Miniheizung herstellt und vermarktet.<br />
Produktion und Betrieb sollen nicht<br />
mehr als bei bisherigen Anlagen kosten,<br />
hat ein Doktorand von Delgado berechnet.<br />
Schon arbeiten Werkstoffwissenschaftler<br />
großer Konzerne wie BASF an noch besseren<br />
Schäumen. Machen sie die Poren im<br />
Kunststoff Polyurethan nanometerklein,<br />
können sich die eingeschlossenen Gase<br />
nicht mehr bewegen. „So ein Nanoschaum<br />
sperrt Hitze komplett aus“, erklärt die Physikerin<br />
Drenckhan. „Da kann auf der einen<br />
Seite ein Feuer brennen und auf der anderen<br />
können Kinder spielen.“ Das Material,<br />
dessen Pilotfertigung gerade beginnt, ist<br />
damit ideal für die Dämmung von Gebäuden<br />
(siehe WirtschaftsWoche 38/2013).<br />
MOUSSE AUS DER FLASCHE<br />
Obwohl sich Schaumexpertin Drenckhan<br />
nun schon lange mit ihrem Lieblingsstoff<br />
beschäftigt, erstaunt er sie doch immer<br />
wieder. Etwa, als sie vergangenes Jahr im<br />
Auftrag des Kosmetikunternehmens<br />
L’Oréal herausfand, dass geschäumte Kosmetika<br />
besser reinigen als in flüssiger<br />
Form. „So recht versteht das noch keiner“,<br />
gibt sie zu. Aber der Effekt spricht sich in<br />
der Kosmetik- und Reinigungsmittelbranche<br />
zurzeit herum: Immer mehr Hersteller,<br />
erzählt Drenckhan, folgten dem Vorbild<br />
der Flüssigseifen, die als Schaum aus dem<br />
Spender quellen und verkauften Reiniger,<br />
die als weißes Mousse aus der Flasche<br />
kommen. Der Produktverbrauch sinkt – bei<br />
besserer Reinigungsleistung.<br />
Auch den Herstellern von Waschmaschinen<br />
ist das nicht entgangen. So brachte<br />
der südkoreanische Konzern Samsung Ende<br />
2010 eine erste Maschine auf den Markt,<br />
die das Waschmittel zunächst mit Luft und<br />
Wasser zu Schaum aufwirbelt. Diese Reinigungsblasen<br />
sollen vier Mal so schnell in<br />
den Stoff eindringen und gründlicher als<br />
FOTOS: PR<br />
60 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Schützendes Sandwich<br />
Aluschaum soll Züge sicherer machen<br />
konventionelle Geräte reinigen, verspricht<br />
das Unternehmen. Testberichte bescheinigen<br />
der Schaumtechnik zumindest, dass<br />
sie bei 20 Grad Celsius so sauber wäscht<br />
wie sonst bei 40 Grad. Einige Konsumenten<br />
beunruhigt allerdings die weiße Masse<br />
– der Waschmittelschaum – in der Trommel,<br />
wie sie in Foren schreiben. Das hindert<br />
Samsung nicht daran, die Technik<br />
künftig in all seine Maschinen einzubauen.<br />
KÜHLE KRONE FÜR HIPSTER<br />
Nicht minder irritierend wäre umgekehrt<br />
vermutlich ein Bier ganz ohne Schaum, das<br />
wohl älteste Lebensmittel mit weißer Haube.<br />
Selbst Brot, Waffeln, Kuchen und Pizza<br />
sind für Lebensmitteltechniker<br />
nichts weiter als erstarrter<br />
Schaum. Eiscreme<br />
etwa wäre ohne<br />
Luft steinhart. „Der<br />
Mensch hat im Laufe<br />
der Evolution eine Vorliebe<br />
für Schaum entwickelt.<br />
Er steht für Genuss“,<br />
sagt der Erlanger Schaumforscher<br />
Antonio Delgado. Schäume sind außerdem<br />
leicht und haben oft weniger<br />
Kalorien.<br />
Diese Eigenschaften machen Schäume<br />
attraktiv für die Lebensmittelindustrie.<br />
Und erst in jüngster Zeit werden sie auch<br />
hier berechenbar. Kürzlich rief eine große<br />
deutsche Brauerei Delgado zur Hilfe. Auf<br />
dem Braukessel mit der Bierwürze türmte<br />
sich anderthalb Meter hoch der Schaum.<br />
Er stört, weil übelschmeckende Stoffe bei<br />
diesem Produktionsschritt nicht verdampfen<br />
können. „Im Extremfall muss die ganze<br />
Charge entsorgt werden, was Hunderttausende<br />
Euro kostet“, erklärt Delgado.<br />
Er näherte sich dem Problem rechnerisch.<br />
Sein Ratschlag: Durch eine vier Grad<br />
höhere Temperatur im Kessel würden die<br />
Schäume<br />
schmecken<br />
besonders intensiv<br />
Lamellen der Schaumblasen so dünn, dass<br />
fast alle zerplatzten. Es funktionierte, seitdem<br />
lief die Brauerei wieder reibungslos.<br />
Heute stehen rund 20 Lebensmittelunternehmen,<br />
darunter Mars und Nestlé, bei<br />
Delgado auf der Kundenliste. Sie wollen<br />
ihre neuen Schaumkreationen – Desserts,<br />
Waffeln oder Kaffeegetränke – rechnerisch<br />
in den Griff bekommen, um dann schnell<br />
große Mengen erzeugen zu können. Denn<br />
Schaumiges boomt.<br />
So lancierte der Schweizer Nahrungsmittelkonzern<br />
Nestlé 2006 vier Kaffeeprodukte,<br />
die per Kapselmaschine Milch- oder<br />
Espressoschaum liefern. Heute sind es<br />
mehr als 50. Und Susanne Kulhanek, Forschungsmanagerin<br />
von Nescafé Dolce<br />
Gusto, sagt: „Die Pipeline mit neuen Produkten<br />
ist voll.“ Nestlé treibt seine Schaumschlägerei<br />
mittlerweile in ungeahnte Höhen.<br />
Selbst auf der Internationalen Raumstation<br />
lässt der Konzern testen, wie die luftige<br />
Masse unter Schwerelosigkeit entsteht.<br />
Künftig gibt’s dann womöglich Latte<br />
macchiato im Orbit.<br />
Die Branche forscht auch deshalb so intensiv<br />
am Schaum, weil er intensiver als<br />
das pure Lebensmittel schmeckt. Aus jeder<br />
Pore können beim Kauen Aromen austreten.<br />
Deshalb dürfte das luftige Etwas Basis<br />
vieler Lightprodukte werden,<br />
erwartet Jörg Hinrichs,<br />
Lebensmitteltechnologe<br />
von der Universität<br />
Hohenheim: „Fettreduzierte<br />
Produkte enthalten<br />
oft viel Zucker,<br />
damit sie nach etwas<br />
schmecken. Bei Schaum<br />
erübrigt sich das.“ Luftige<br />
Streichkäse, Desserts und geschäumte<br />
Butter gibt es schon.<br />
Um Diätprodukte ging es der japanischen<br />
Brauerei Kirin nicht, als sie im März<br />
2012 ein Bier mit kühlem Eisschaum auf<br />
den Markt brachte. Minus fünf Grad hat die<br />
Krone des Getränks, das auch nach<br />
Deutschland exportiert wird. Die Produktentwickler<br />
hätten ein hippes Bier für junge<br />
Leute erfinden wollen und sich <strong>vom</strong><br />
Eiskaffee der Kaffeekette Starbucks inspirieren<br />
lassen, erzählt Naoyuki Yasutake,<br />
Verkaufsmanager für Europa.<br />
Zugleich aber erfüllt der Schaum noch<br />
einen ganz praktischen Zweck:„Viele junge<br />
Leute wollen nicht betrunken sein und<br />
trinken daher langsamer. Also muss das<br />
Bier länger kühl bleiben.“ Die luftige Eishaube<br />
reicht für eine halbe Stunde. n<br />
susanne donner | technik@wiwo.de<br />
LÄRM<br />
Gestoppte<br />
Explosion<br />
Flüssiger Schaum kann Schall<br />
komplett verschlucken – und sogar<br />
Bomben unschädlich machen.<br />
Welch wundersame Eigenschaften<br />
Schäume haben können, hat vor einigen<br />
Monaten der Pariser Physiker Valentin<br />
Leroy von der Universität Paris-<br />
Diderot erlebt. Er hat flüssige Schäume<br />
wie Rasier- oder Seifenschaum dazu<br />
gebracht, Lärm komplett zu schlucken.<br />
Warum das funktioniert, ist bisher<br />
unklar. Möglicherweise schwingen die<br />
Flüssigkeitslamellen der Blasen unter<br />
bestimmten Umständen genau im<br />
Gegentakt zum Schall und löschen ihn<br />
so aus, mutmaßt Leroy. Er will nun<br />
den perfekten Krachkiller entwickeln.<br />
Die Schaumexpertin Wiebke Drenckhan,<br />
Physikerin an der Universität Paris-Süd,<br />
rechnet bereits mit vielen Innovationen<br />
in diesem Bereich. So könnte<br />
etwa Schaum aus der Sprühdose, an<br />
Fenster- und Türritzen gespritzt, Hausbewohner<br />
bei Bauarbeiten vor dem<br />
Lärm von Presslufthämmern verschonen.<br />
Und Offshore-Windanlagenbauer<br />
könnten womöglich mit einem Schild<br />
aus Schaum Delfine und andere<br />
Meeressäuger vor dem Baulärm unter<br />
Wasser schützen, der die Tiere orientierungslos<br />
macht.<br />
DER GROSSE KNALL BLEIBT AUS<br />
Dass flüssiger Schaum Druckwellen regelrecht<br />
verschlingt, beweist ein reichlich<br />
kurioses Explosionsabwehrsystem<br />
aus den USA: Ein Sack mit Löschschaum<br />
wird auf den Fahrersitz eines<br />
Autos gestellt. Dann wird eine Autobombe<br />
gezündet. Jede Menge Schaum<br />
schießt aus dem Wagen, aber die Detonation,<br />
der große Knall, bleibt aus.<br />
Fenster und Türen, die ganze Karosse<br />
haben nicht eine Schramme.<br />
Die vielen Blasen schlucken die<br />
Druckwelle. Die Bombe kann deshalb<br />
kaum Schaden anrichten. Das amerikanische<br />
Verteidigungsministerium und<br />
die Geheimdienste haben sich schon<br />
von der Verlässlichkeit des Systems<br />
überzeugt.<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 61<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
Kehraus für<br />
Kenias Müllberge<br />
RECYCLING | Ein deutscher Philosoph führt die Abfalltrennung in<br />
den Slums von Nairobi ein – die Wertstoffe will er zu Geld machen<br />
und die Stadt ein bisschen sauberer.<br />
Braune Brühe steht und stinkt in dem<br />
kleinen Bach, den sie Nairobi River<br />
nennen. Plastiktüten und Putzlumpen,<br />
Hühnerknochen und Hundehaufen,<br />
Turnschuhe, Tetrapaks – Dreck in Reinform<br />
verrottet in dem Gewässer, das den<br />
Slum in Nairobis Bezirk Kangemi in zwei<br />
Hälften teilt. Ältere Bewohner der Wellblechhütten<br />
behaupten allen Ernstes, sie<br />
hätten früher aus dem Bächlein trinken<br />
können. Dem Besucher wird bei dem Gedanken<br />
schlecht. Das Viertel am Fluss ist<br />
typisch für Afrikas Städte, die rasant wachsen<br />
und dabei nicht mit dem Konsumboom<br />
Schritt halten können. Die Folge: Sie<br />
versinken immer tiefer im Müll.<br />
In Nairobi ist Abfall schlicht Teil des<br />
Stadtbilds. Wer ihn wie entsorgt, kümmert<br />
in Kenias Hauptstadt niemanden. Außer<br />
Daniel Paffenholz. Der 27-Jährige hatte vier<br />
Jahre seiner Kindheit in der Stadt verbracht<br />
und als Spross eines Entwicklungshelfer-<br />
Paars früh verstanden, dass Armutsbekämpfung<br />
dann nachhaltig funktioniert,<br />
wenn sie auf unternehmerischen<br />
Gedanken fußt. Die Idee kam<br />
dem jungen Mann mit der trendigen<br />
Hornbrille, als er vor vier Jahren<br />
seinen Eltern in Kenia besuchte – und<br />
das Müllchaos leibhaftig erlebte. „Niemand<br />
holte unseren Müll ab,<br />
Grüne Pioniere<br />
Alle Teile der<br />
Serie finden Sie im<br />
Internet unter<br />
wiwo.de/pioniere<br />
und die Nachbarn verbrannten<br />
ihn einfach“, erinnert sich Paffenholz,<br />
der in der Stadt blieb.<br />
Fortan hatte er eine Mission: Er<br />
will Nairobi sauberer machen,<br />
indem er Mülltrennung nach<br />
deutschem Vorbild organisiert.<br />
Nicht aus purem Altruismus, sondern um<br />
damit Geld zu verdienen.<br />
Einfach war das freilich nicht. Paffenholz<br />
hatte zuvor Philosophie in Schottland studiert.<br />
„Da lernt man zwar kritisch und umfassend<br />
zu denken“, sagt er, „aber die unternehmerische<br />
Erfahrung hat mir komplett<br />
gefehlt.“ Oft zogen ihn Behörden über den<br />
Tisch, etliche Ideen musste er begraben –<br />
bis er irgendwann den Social Innovation<br />
Challenge-Preis der US-Computerfirma<br />
Dell gewann. Plötzlich waren Geld und<br />
Aufmerksamkeit da, Fachleute in Netzwerken<br />
boten Hilfe an.<br />
Heute besitzt sein Start-up Taka Taka Solutions<br />
für vier Viertel in Nairobi die Lizenz<br />
zum Sammeln von Taka, wie Abfall auf<br />
Suaheli heißt. Den lässt Paffenholz zu Gläsern,<br />
Textilien, Sofa-Füllstoff und zu Kompost<br />
verarbeiten: Kenias Landwirtschaft,<br />
sagt er, kann organischen Dünger als<br />
Ergänzung zur üblichen Chemiekeule<br />
brauchen. So sieht das auch die deutsche<br />
Entwicklungsbank DEG, eine<br />
Tochter der staatlichen KfW, die ihm<br />
einen Kredit für den Bau größerer<br />
Kompostieranlagen bewilligt hat.<br />
Zu tun gibt es in Nairobi mehr<br />
als genug: 3,5 Millionen Einwohner<br />
produzieren täglich fast<br />
2000 Tonnen Müll. Den müsste<br />
eigentlich die Stadtverwaltung<br />
abholen. Doch deren acht Lkws<br />
können das nie und nimmer<br />
schaffen. Und was die Kipper<br />
abladen, pflücken die Ärmsten der Armen<br />
auseinander: Barfuß tapsen die Slum-Kinder<br />
auf der Suche nach Wertstoffen über<br />
Deponien, um später am Bunsenbrenner<br />
ein paar Tropfen Buntmetall aus dem<br />
Schrott zu kochen. Alt werden sie selten.<br />
FOTOS: TAKA TAKA SOLUTIONS<br />
So werden in Nairobi aus Abfällen Produkte<br />
1 2<br />
3<br />
1 Strikt getrennt nach Bio- und Restmüll<br />
sammelt Taka Taka Solutions Abfall ein<br />
2 Spaß bei der Arbeit haben Verwerter,<br />
die besser verdienen als ihre Landsleute<br />
3 Hunderte einzelner Schuhe landen in<br />
den Tonnen. Daraus entstehen neue Treter<br />
4 Stilvolle Glaspokale kreiert ein Glaser<br />
aus weggeworfenen Weinflaschen<br />
5 Auf den Bananenhügeln wird die<br />
Qualität des Taka-Komposts getestet<br />
4<br />
62 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Der Kangemi-Slum ist eines der besseren<br />
Wellblechviertel von Nairobi. In einigen<br />
Hütten gibt es fließend Wasser, von<br />
den Dächern grüßen Satellitenschüsseln.<br />
Unweit des Bachs funken Mobilfunkmasten,<br />
viele Männer handeln mit Ersatzteilen<br />
oder Elektronik oben an der Waiyaki-Straße.<br />
Warum sie aber im Monat 100 Schilling,<br />
also 85 Cent für die Abholung des Taka<br />
zahlen sollen, erschloss sich ihnen nicht<br />
sofort. „Am Anfang haben sie mich für verrückt<br />
erklärt“, erinnert sich Paffenholz an<br />
die ersten Tage vor drei Jahren, als er mit<br />
dem Entsorgungsdienst in Kangemi startete<br />
und seine ersten Mitarbeiter zu Infoveranstaltungen<br />
in Haushalte und Schulen<br />
schickte. Nur langsam fiel den Kenianern<br />
auf, wie sauber jene Hütten sind, an denen<br />
grüne Schilder hängen: Waste Management<br />
by Taka Taka Solutions. Heute legen<br />
die Bewohner im Viertel großen Wert darauf,<br />
dass solch ein Blechschild an der Tür<br />
hängt, sagt Paffenholz: „Unser Service ist<br />
zum Statussymbol geworden.“<br />
VORSORTIERUNG BEIM KUNDEN<br />
Es ist früher Nachmittag, wie jeden Tag<br />
knallt die Sonne mit Wucht auf die rote Erde<br />
vor dem Taka-Hof. Zwei Jungs, kaum<br />
zwölf Jahre alt, schieben Karren mit Müll<br />
herbei und begrüßen Paffenholz mit dem<br />
Standardspruch für weiße Männer: „Hello<br />
Mister, how are you?“ Der antwortet vorwurfsvoll:<br />
„Ihr solltet jetzt eigentlich in der<br />
Schule sein.“ Die Kinder liefern den Müll<br />
5<br />
»Unser Abfallservice<br />
ist<br />
zum Statussymbol<br />
geworden«<br />
Gründer Daniel Paffenholz<br />
im Auftrag ihrer Eltern ab. Für James Sunday<br />
bedeutet das zusätzliche Arbeit. „Die<br />
wenigsten Haushalte trennen so, wie wir<br />
das gerne hätten“, sagt der Entsorger, „darum<br />
sortieren unsere Leute beim Kunden<br />
vor.“ Die grobe Sortierung muss er nun auf<br />
dem Hof übernehmen, ehe seine Kollegen<br />
weiter hinten den Müll von 4000 Haushalten<br />
in 31 Fraktionen trennen – Papier, Glas,<br />
Metall, Elektroschrott und so weiter.<br />
Aus den Wertstoffen stellt ein Glaser<br />
bunte Gläser her; Partnerfirmen holen die<br />
Textilien ab. Aus guten Stoffen werden Klamotten,<br />
das schlechte Material schreddern<br />
sie zu Sofa-Füllung. Afrikaner können Könige<br />
des Recyclings sein, wenn sich mal jemand<br />
die Mühe des Sammelns macht.<br />
An Sundays Arbeitsplatz stinkt es gewaltig,<br />
der Besucher hält die Hand vor die Nase.<br />
Der Mittdreißiger im orangenen Overall<br />
lächelt trotzdem. Wie die meisten seiner<br />
Kollegen verdient er im Monat 10 000<br />
Schilling aufwärts, also 85 Euro und damit<br />
doppelt so viel wie im Land üblich.<br />
Hinter der mit Holzbrettern vernagelten<br />
Sortierabteilung beginnt ein 15 Meter langer<br />
Komposthaufen. Fliegen summen über<br />
dem schwarzen Berg organischen Abfalls.<br />
Es dampft, aber es stinkt kaum. Sechs Monate<br />
rottet er dahin, bis der Dünger auf einer<br />
Farm landet, die Taka Taka Solutions<br />
im Norden von Nairobi betreibt, auf den<br />
Banana Hills: „Wir weisen in Studien nach,<br />
dass unser Kompost die Bodenqualität verbessert“,<br />
so Paffenholz. Die Ergebnisse sind<br />
ein gutes Verkaufsargument für den Biodünger,<br />
den er Landwirten ab Jahresende<br />
für 200 Dollar pro Tonne verkaufen will.<br />
Irgendwann muss Paffenholz einen Gewinn<br />
vorweisen. Mit der DEG hat er einen<br />
Financier an Bord, der einen hieb- und<br />
stichfesten Geschäftsplan verlangt. „Wir<br />
denken, dass das Projekt Aussicht auf Erfolg<br />
hat, obwohl es mit höherem Risiko verbunden<br />
ist“, urteilt Tobias Bidlingmaier, der<br />
das Projekt betreut. Das Risiko sieht er darin,<br />
dass Paffenholz die Kompostmengen<br />
deutlich erhöhen muss: Nur wer Naturdünger<br />
tonnenweise liefern kann, kommt<br />
mit Kenias großen Agrarbetrieben ins Geschäft.<br />
Dazu braucht er Platz – und Müll.<br />
Ersteres ist das kleinere Problem; das DEG-<br />
Geld will der grüne Unternehmer in Kompost-Planen<br />
stecken. Das Volumen kann er<br />
nur erhöhen, indem er immer neue Lizenzen<br />
beschafft, immer neue Verträge abschließt.<br />
Ein Sisyphusjob, sagt Paffenholz:<br />
„Es ist nicht leicht, die Behörden von unserem<br />
Konzept zu überzeugen, die meisten<br />
Beamten haben von Mülltrennung nie etwas<br />
gehört.“ Einige wittern Betrug und halten<br />
die Erlaubnis zurück. Andere wollen<br />
Schmiergeld, das der Deutsche nicht zahlt.<br />
CHANCEN FÜR KLEINBAUERN<br />
Der Markt ist allerdings da. Denn Kenias<br />
Felder lechzen nach organischem Dünger.<br />
Jahrzehntelang bauten lokale Bauern Mais<br />
an, der günstig und ertragreich ist – aber<br />
stickstoffreichen Mineraldünger erfordert.<br />
Der laugt aber die Böden aus, was die Produktivität<br />
sinken lässt. Inzwischen hat unter<br />
Kenias Farmern ein Umdenken begonnen,<br />
bemerkt Raimund Hoffmann von der<br />
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit<br />
(GIZ) in Nairobi: „Es gibt eine<br />
steigende Nachfrage nach organischem<br />
Dünger, der die Bodenqualität verbessert<br />
und den Pflanzen die Aufnahme von Nährstoffen<br />
erleichtert.“ Vor allem für Kleinbauern<br />
sei dies eine Chance: Die meisten Betriebe<br />
könnten dreimal so effizient wirtschaften,<br />
wenn sie bessere Dünger und<br />
hochwertiges Saatgut verwenden würden.<br />
Inzwischen lässt Paffenholz vermehrt in<br />
besseren Vierteln Nairobis sammeln. Dort<br />
produzieren die Bewohner mehr Müll und<br />
sind bereit, für dessen Entsorgung gutes<br />
Geld zu bezahlen. Sein Firmensitz ist weiter<br />
am Rande des Kangemi-Slums, wo die<br />
Schilder von Taka Taka Solutions fast an jeder<br />
zweiten Hütte hängen. Der Gründer<br />
will hier sehen, wie die Stadt seiner Kindheit<br />
jeden Tag ein bisschen sauberer wird.<br />
Vielleicht werden die Bewohner eines Tages<br />
wieder aus dem Nairobi River trinken,<br />
na ja, zumindest darin baden können. n<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 63<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
Reifen ohne Puste<br />
AUTO | Ab November müssen Neuwagen den Reifendruck überwachen,<br />
um vor Pannen zu warnen. Damit es erst gar nicht so weit<br />
kommt, erfinden die Ingenieure gerade buchstäblich das Rad neu.<br />
Der schottische Tierarzt John Boyd<br />
Dunlop liebt seinen Sohn Johnny<br />
wirklich. Doch das Dreirad mit<br />
den Metallreifen, mit dem sein Filius<br />
lautstark durchs Wohnzimmer<br />
kurvt, nervt ihn Anfang des Jahres<br />
1888 kolossal. Johnny das<br />
geliebte Dreirad einfach wegzunehmen,<br />
das bringt Dunlop<br />
dann doch nicht übers<br />
Herz. Stattdessen bastelt der<br />
Vater dem Sohn in den kommenden<br />
Wochen ein neues,<br />
dessen Holzreifen er mit<br />
selbst zusammengeklebten<br />
Gummischläuchen ummantelt.<br />
Im Wohnzimmer war fortan<br />
Ruhe, und Dunlop meldete im<br />
Dezember 1888 das Patent für den<br />
ersten luftgefüllten Fahrradreifen<br />
an. Ohne seine Erfindung hätten Zweiräder<br />
und wenig später das Auto kaum ihren<br />
Siegeszug antreten können.<br />
Die neuartigen Motorwagen brachten<br />
aber erst die französischen Brüder André<br />
und Edouard Michelin im Jahr darauf mit<br />
den komfortablen und leisen Luftreifen so<br />
richtig in Schwung. Sie hatten ihn noch um<br />
einen Schlauch im Inneren ergänzt, um die<br />
Dichtigkeit zu verbessern.<br />
Heute sind luftgefüllte Reifen aus dem<br />
automobilen Alltag nicht mehr wegzudenken.<br />
Und die Forschung an den schwarzen<br />
Gummiwalzen geht immer weiter, um die<br />
Reifen sparsamer, sicherer und leichter zu<br />
machen. Die Hersteller arbeiten sogar daran,<br />
die Luft wieder aus den Pneus herauszulassen.<br />
1<br />
Speichen aus Kunststoff So sind luftlose<br />
Reifen aufgebaut 3<br />
Nie mehr Plattfuß Wie luftlose Reifen aufgebaut<br />
sind: 1 Lauffläche aus Gummi oder<br />
speziellem Kunststoff 2 Elastische, energieschluckende<br />
Speichen aus farbigem<br />
Kunststoff 3 Nabe für Verbindung mit Achse<br />
SCHWERE UNFÄLLE<br />
Denn die hat einen entscheidenden Nachteil:<br />
Sie entweicht langsam und meist unbemerkt.<br />
Laut einer Studie des japanischen<br />
Reifenherstellers Bridgestone aus dem vergangenen<br />
Jahr fuhren europaweit von den<br />
fast 40 000 überprüften Fahrzeugen mehr<br />
als ein Drittel mit zu niedrigem Luftdruck<br />
herum. Das wiederum kann zu Pannen<br />
und schweren Unfällen führen. Und es erhöht<br />
den Spritverbrauch um bis zu einen<br />
halben Liter pro 100 Kilometer. Der Gesetzgeber<br />
reagiert darauf: Ab November<br />
2014 sind elektronische Reifendruckkontrollsysteme<br />
für Neuwagen Pflicht.<br />
Diese Vorgabe erfüllt der amerikanische<br />
Reifenriese Goodyear recht elegant. Mit<br />
seiner Air Maintenance Technology (AMT)<br />
kann ein Reifen ganz ohne externe Pumpen,<br />
elektronische Systeme oder Eingriffe<br />
des Fahrers den optimalen Druck halten.<br />
Die Goodyear-Entwickler nutzen aus, dass<br />
Mehr oder<br />
weniger Profil<br />
Beim Konzeptreifen<br />
des südkoreanischen<br />
Herstellers<br />
Hankook<br />
lässt sich die Auflagefläche<br />
verändern<br />
– was Rollwiderstand<br />
und Verbrauch senkt<br />
2<br />
durch das Rollen der Reifen ein Luftdruck<br />
entsteht, und pumpen ihn bei jeder Umdrehung<br />
ein wenig auf.<br />
Das passiert mittels einer von außen<br />
nach innen verlaufenden Schlauchpumpe<br />
in der Seitenwand und einem Ventil, das<br />
sich unter Druck öffnet und dem Reifen die<br />
notwendige Luft zuführt. Der Druck befindet<br />
sich dadurch immer im optimalen Bereich.<br />
Joe Zekoski, Goodyears Entwicklungschef,<br />
ist sich sicher: „AMT wird den<br />
Verbrauch senken und die Lebensdauer<br />
der Reifen verlängern.“ Noch testen<br />
Zekoski und sein Team die neue<br />
Technik. Den genauen Marktstart<br />
verrät er noch nicht.<br />
Um Spritsparen geht es auch<br />
dem südkoreanischen Hersteller<br />
Hankook. Bei seinem Konzeptreifen<br />
namens eMembrane<br />
ändert sich die Lauffläche je<br />
nach Umdrehungszahl des Reifens<br />
und dem einwirkenden<br />
Druck. Die Techniker verändern<br />
dazu die Struktur in seinem Inneren.<br />
Im Ökomodus heben sie das<br />
Profil in der Mitte an, der Rollwiderstand<br />
und damit der Verbrauch sinken.<br />
Eher ein Marketinggag ist dagegen wohl<br />
der Wellness-Reifen. Beim Road-Beat-<br />
Konzept des südkoreanischen Herstellers<br />
Kumho sollen kleinste Löcher in der Lauffläche<br />
Alphaschallwellen im Frequenzbereich<br />
von 8 bis 13 Hertz erzeugen. Die<br />
wirken angeblich entspannend – und<br />
bremsen so vielleicht allzu heißblütige Autofahrer.<br />
Zugleich verbessern in der Lauffläche<br />
eingebaute LED-Leuchten die Sichtbarkeit<br />
des Autos. Den nötigen Strom erzeugt<br />
praktischerweise der Reifen durch<br />
seine kinetische Energie gleich selbst.<br />
NIE MEHR SCHMUTZIGE FINGER<br />
Mehr praktischen Nutzen verspricht die<br />
buchstäbliche Neuerfindung des Rads, an<br />
der Hankook, Bridgestone und Michelin<br />
arbeiten: Sie testen Reifen ganz ohne Luft.<br />
Sie bieten eine Menge Vorteile: Niemand<br />
fährt mehr mit einem halb platten Reifen<br />
los und riskiert schwere Unfälle, der Wartungsbedarf<br />
sinkt. Auch Plattfüße durch<br />
Bordsteine oder Nägel sollen genauso der<br />
Vergangenheit angehören wie schmutzige<br />
Finger beim Überprüfen des Luftdrucks.<br />
Beim Air Free Concept Tyre von Bridgestone<br />
trägt eine Speichenstruktur aus<br />
Kunststoff auf der Innenseite das Gewicht<br />
des Fahrzeugs. Sie besteht aus Thermoplast,<br />
einem sehr festen, aber gleichzeitig<br />
FOTOS: PR<br />
64 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
flexiblen und leistungsfähigen Kunstharz.<br />
Die Speichenstruktur soll wie luftbefüllte<br />
Reifen Stöße dämpfen. Mittlerweile haben<br />
die Entwickler den Rollwiderstand auf den<br />
Wert eines konventionellen energieeffizienten<br />
Reifens gesenkt. Während die ersten<br />
Prototypen nur sechs Kilometer pro<br />
Stunde schnell fahren konnten – bei einem<br />
Fahrzeuggewicht von gerade mal 100 Kilogramm<br />
–, schaffen die neuesten bereits 60<br />
Kilometer pro Stunde mit einem 410 Kilogramm<br />
schweren Fahrzeug.<br />
Noch radikaler sind die Hankook-Ingenieure:<br />
Sie haben bei ihrem Projekt iFlex<br />
Der erste luftlose<br />
Reifen war nur<br />
sechs Kilometer<br />
pro Stunde schnell<br />
sogar die Felge abgeschafft. Das ganze luftlose<br />
Rad ist aus hochelastischem Polyurethan-Kunststoff<br />
gefertigt, das Ganze ist zudem<br />
zu 95 Prozent recycelbar. Die Speichen<br />
sind miteinander verbunden und sollen<br />
den Druck so verteilen, dass der Reifen<br />
unter Belastung – etwa am Bordstein – zusammengepresst<br />
wird und sich zugleich<br />
nach oben ausdehnt. Und wer sagt, Reifen<br />
müssten immer schwarz sein? Die Kunststoffe<br />
sind leicht einfärbbar.<br />
Michelin dürfte mit seinem Konzept am<br />
weitesten sein: Statt der Luft dämpfen bei<br />
seinem Prototyp namens Tweel hochflexible,<br />
zwischen Lauffläche und Felge angeordnete<br />
Speichen Stöße. Der Rollwiderstand<br />
und damit der Verbrauch sollen sich<br />
verbessern, weil das Rad im Vergleich zu<br />
Gummireifen beim Fahren weniger Walkbewegungen<br />
aufweist. Zudem lässt sich<br />
seine Steifigkeit je nach Fahrzeugtyp über<br />
die Festigkeit der Speichen variieren. Noch<br />
wagt niemand eine Prognose, wann Autofahrer<br />
die luftlosen Reifen kaufen können,<br />
denn höhere Geschwindigkeiten verkraften<br />
sie noch nicht.<br />
Aber Didier Miraton, einer der Michelin-<br />
Entwickler, ist sich sicher: „Der Airless-<br />
Reifen wird kommen.“ Michelin testet den<br />
Tweel in den USA bereits bei Baumaschinen<br />
des US-Herstellers Caterpillar, bei<br />
Rollstühlen und sogar bei einer Mondlandefähre.<br />
n<br />
juergen.rees@wiwo.de<br />
VALLEY TALK | Vom Vertriebschef einer Softwarefirma<br />
zum Drogenkurier – eine ganz legale Karriere.<br />
Von Matthias Hohensee<br />
Die Macht des Erfolgs<br />
Einfach machen, sich durchsetzen<br />
und potenzielle Probleme später<br />
lösen. Mit diesem für Amerika so<br />
typischen Pragmatismus sind im<br />
und ums Silicon Valley herum viele erfolgreiche<br />
Unternehmen entstanden.<br />
Larry Page und Sergey Brin, die Gründer<br />
von Google, fragten nicht die Betreiber<br />
von Web-Seiten, ob sie deren Inhalte in ihre<br />
Suchmaschine aufnehmen durften.<br />
YouTube, heute die marktführende<br />
Video-Plattform, wäre nicht <strong>vom</strong> Fleck gekommen,<br />
hätten sich ihre Chefs zunächst<br />
Sorgen um den Urheberschutz gemacht.<br />
Auch die Macher hinter der Bettenbörse<br />
Airbnb klopften vor deren Start nicht aufwendig<br />
ab, ob das Vermitteln von Zimmern<br />
gegen städtische Vorschriften verstoßen<br />
könnte. Genau wie der Fahrdienst-Vermittler<br />
Uber. Wer hätte gedacht, dass<br />
jemand ohne den Erwerb einer Taxi-Lizenz<br />
Fahrgäste chauffieren kann?<br />
Die Probleme, so lehren diese Geschichten,<br />
verschwinden in der Regel mit dem Erfolg.<br />
Googles Suchmaschine wurde so populär,<br />
dass sich kein Web-Seitenbetreiber<br />
leisten konnte, auf sie zu verzichten. Um<br />
YouTubes rechtliche Auseinandersetzungen<br />
kümmerte sich Google, als es die Video-<br />
Plattform für 1,6 Milliarden Dollar erwarb.<br />
Airbnb und Uber sind – zumindest in<br />
Amerika – mittlerweile so populär, dass sie<br />
sich nicht mehr verbieten lassen.<br />
Derzeit testet Keith McCarthy die rechtlichen<br />
Grenzen bei einem politisch besonders<br />
heiklen Thema aus: Marihuana. Der<br />
Unternehmer hat in San Francisco das<br />
Start-up Eaze aus der Taufe gehoben. Es<br />
soll eine Art Uber für Marihuana werden.<br />
Eaze vermittelt Fahrer, welche die Droge<br />
frei Haus liefern. Derzeit täglich von acht<br />
Uhr morgens bis Mitternacht. Natürlich nur<br />
an Konsumenten, die Marihuana zur Linderung<br />
von Leiden von ihrem Arzt verschrieben<br />
bekommen haben.<br />
Schließlich ist McCarthy zwar kühn, aber<br />
nicht verrückt. In Kalifornien ist Marihuana<br />
zwar sehr populär, der Genuss ist aber nur<br />
auf Rezept legal. Im Gegensatz etwa zu den<br />
US-Bundesstaaten Washington und Colorado,<br />
wo der Konsum nach dem Willen der<br />
Wähler jüngst freigegeben wurde.<br />
Geordert werden soll wie bei Uber via<br />
Smartphone-App, die den Besteller auf<br />
dem Laufenden hält, wo sich die Sendung<br />
gerade befindet. Innerhalb von zehn Minuten<br />
will Eaze liefern.<br />
DIE MEHRHEIT WILL MARIHUANA<br />
Wie bei Uber koordiniert das Start-up die<br />
Fahrer, die pro Lieferung zehn Dollar erhalten.<br />
Die Kosten für die Kuriere übernehmen<br />
die miteinander konkurrierenden Marihuana-Apotheken.<br />
Im Gegensatz etwa zu Uber<br />
kann der Empfänger die ausgelieferte Ware<br />
nicht per Kreditkarte bezahlen, sondern nur<br />
in bar. Denn Kreditkartenanbietern ist es<br />
verboten, Drogengeschäfte abzuwickeln.<br />
Zwar sind Lieferdienste für medizinisch<br />
verordnetes Marihuana nicht neu. Aber<br />
McCarthy plant, einen besonders einfach<br />
zu nutzenden Service aufzubauen und ihn<br />
als nationale Marke zu etablieren.<br />
Erfahrung damit hat der Eaze-Gründer<br />
bereits. McCarthy war einst Vertriebschef<br />
bei Yammer, das Software für soziale Netzwerke<br />
in Firmen anbot und für 1,2 Milliarden<br />
Dollar an Microsoft ging. Er sieht sich<br />
als Vermittler zwischen den staatlich<br />
regulierten Apotheken für medizinisches<br />
Marihuana und deren Kunden. In 20 US-<br />
Staaten gibt es sie bereits. Allerdings toleriert<br />
die Bundesregierung sie nur.<br />
McCarthy setzt auf einen weiter wachsenden<br />
Markt. Laut einer Umfrage der<br />
Marktforscher <strong>vom</strong> Pew Research Center<br />
heißen 54 Prozent der Amerikaner die<br />
Legalisierung von Marihuana gut. Zwar<br />
scheiterte die Freigabe in Kalifornien 2010<br />
knapp am Votum der Wähler. Befürworter<br />
wollen es nach den Erfolgen in Washington<br />
und Colorado 2016 noch einmal versuchen.<br />
Eaze will bis dahin etabliert sein.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 65<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Management&Erfolg<br />
Deutschland sucht den<br />
Supergründer<br />
SERIE GRÜNDER (VI) | Treffpunkte In einer neuen TV-Show buhlen Gründer um die<br />
Gunst der Investoren. Geld oder gute Ratschläge gibt es aber auch bei anderen Start-up-<br />
Veranstaltungen – etwa am Pokertisch, beim Volksfest oder gar im Stundenhotel.<br />
Schon während Susan Schmelzer<br />
ihre bunten Schuhe sorgsam in<br />
dem Kölner TV-Studio drapiert,<br />
beginnt das Getuschel. Wie Flip-<br />
Flops sehen sie aus, haben aber<br />
lange Noppen an der Sohle. „Sollen das etwa<br />
Golfschuhe sein?“, fragt einer der fünf<br />
Juroren. „Nein, darin hat man doch gar keinen<br />
Halt“, antwortet ein anderer.<br />
Doch es sind tatsächlich Golfschuhe, die<br />
die Unternehmerin unter dem Namen<br />
„G-Flop“ vertreibt. Profispieler wie Florian<br />
Fritsch haben sie schon getestet. Auf der<br />
Sportmesse ISPO war Schmelzer als Finalistin<br />
für den Newcomer-Preis nominiert.<br />
Nun sitzt sie vor fünf prominenten Investoren,<br />
von denen sie gern 50 000 Euro für<br />
den Ausbau ihres Geschäfts hätte. Doch<br />
zumindest beim deutsch-türkischen Touristikunternehmer<br />
Vural Öger blitzt<br />
Schmelzer ab. Fast persönlich beleidigt ist<br />
der Öger-Tours-Gründer angesichts der<br />
Vorstellung, jemand könnte in solchen Latschen<br />
einen Ball schlagen. „Kein Golfer<br />
würde so etwas kaufen“, schimpft er, „mein<br />
Fuß würde ja darin hin- und herwackeln.“<br />
Willkommen in der „Höhle der Löwen“,<br />
einer neuen TV-Sendung auf Vox, in der ab<br />
19. August Gründer um das Geld von Investoren<br />
buhlen. Fast 100 Jungunternehmer<br />
präsentieren ihre Geschäftsideen vor<br />
der Jury, zu der neben Öger auch Erlebnisgutschein-Guru<br />
Jochen Schweizer, die Vorsitzende<br />
des Jungunternehmerverbandes<br />
Lencke Wischhusen, Investor Frank Thelen<br />
sowie Judith Williams, Moderatorin<br />
beim Shoppingkanal HSE24 und Kosmetikunternehmerin,<br />
gehören. Etwa zwei Millionen<br />
Euro werden die fünf im Laufe der<br />
Sendung aus ihren Vermögen investieren.<br />
In Großbritannien und den USA läuft die<br />
Sendung seit mehr als zehn Jahren unter<br />
den Namen „Dragons Den“ (Drachenhöhle)<br />
beziehungsweise „Shark Tank“ (Haifischbecken).<br />
Die Gründershow wurde schon in<br />
mehr als 20 Ländern adaptiert – darunter<br />
Nigeria und Afghanistan. Doch obwohl Vox<br />
bereits seit Jahren die Rechte hält, war der<br />
Sender offenbar skeptisch, ob im Erfinderland<br />
Deutschland eine solche Unternehmershow<br />
funktionieren kann.<br />
Diese Zurückhaltung ist typisch für die<br />
Bundesrepublik. Die Zahl der Gründungen<br />
ist seit Jahren rückläufig. 2003 waren es laut<br />
KfW noch fast 1,5 Millionen, zehn Jahre<br />
WIWO START-UP-TOUR<br />
Auf nach Berlin<br />
Von Gründern kann man viel lernen:<br />
wie sie neue Geschäftsideen entwickeln<br />
und erfolgreich umsetzen, wie sie<br />
Partner finden und eine moderne Unternehmenskultur<br />
aufbauen. Diese<br />
Themen standen bei der ersten Startup-Tour<br />
der WirtschaftsWoche im<br />
Mittelpunkt. Bei Besuchen von Unternehmen<br />
wie 6wunderkinder, Zalando<br />
oder dem Inkubator Rocket Internet und<br />
einem Netzwerkabend kamen Leser mit<br />
Gründern und der WirtschaftsWoche-<br />
Chefredaktion ins Gespräch. Nach<br />
dem gelungenen Auftakt findet die<br />
Start-up-Tour am 9./10. Oktober erneut<br />
statt. Alle Informationen zum Programm<br />
und zur Anmeldung finden Sie unter<br />
wiwo.de/startup<br />
später nur noch 870 000. Auch im europäischen<br />
Vergleich besteht Nachholbedarf,<br />
wie der Global Entrepreneurship Monitor<br />
zeigt: Während hierzulande im Vorjahr 3,1<br />
Prozent der Erwachsenen ein Unternehmen<br />
gründeten, waren es beispielsweise in<br />
Irland 5,5 Prozent, in Schweden 5,9 Prozent<br />
und in Estland sogar 8,8 Prozent.<br />
MEHR LUST AM GRÜNDEN<br />
Ein zentraler Grund ist die nicht immer<br />
wirtschaftsfreundliche Stimmung im Land.<br />
„Wenn Unternehmer in Deutschland<br />
scheitern, ernten sie Spott und Häme.<br />
Wer Erfolg hat und Millionen verdient,<br />
steht unter Ausbeuterverdacht“, sagt TV-<br />
Juror Schweizer. „Wir müssen lernen,<br />
dass Scheitern Teil des Erfolgs ist, und<br />
sollten denen, die es schaffen, nicht mit<br />
Neid begegnen.“<br />
Die Show soll dazu einen kleinen Beitrag<br />
leisten: „Wir glauben, dass jetzt der richtige<br />
Zeitpunkt gekommen ist, das international<br />
erfolgreiche Format auch in Deutschland<br />
auf den Bildschirm zu bringen“, sagt Vox-<br />
Chefredakteur Kai Sturm. Immer mehr<br />
Menschen hätten Lust, mit ihrem eigenen<br />
Geschäft durchzustarten, und es gebe<br />
mehr Respekt vor Unternehmertum.<br />
Wie groß die Erwartungen sind, zeigt die<br />
Platzierung zur Hauptsendezeit um 20.15<br />
Uhr. „Vielleicht werden einige Zuschauer<br />
durch ,Die Höhle der Löwen‘ überrascht<br />
sein, wie aufregend die trocken wirkende<br />
Wirtschaftswelt sein kann“, hofft Sturm.<br />
Tatsächlich ist der mögliche Lerneffekt<br />
groß – für die Zuschauer und die Start-ups.<br />
Denn es geht bei der „Höhle der Löwen“<br />
nicht darum, statt Möchtegern-Sängern<br />
nun überambitionierte Nachwuchsunter-<br />
FOTOS: VOX/BORIS BREUER<br />
66 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
nehmer zur Schnecke zu machen. Wenn<br />
Schweizer beispielsweise den nerdigen<br />
Hamburger Limonade-Machern, die eine<br />
Alternative zum Szenegetränk Club-Mate<br />
brauen, in drei Minuten vorrechnet, wie sie<br />
ihren Wareneinsatz kalkulieren und eine<br />
realistische Unternehmensbewertung ermitteln<br />
müssten, vermittelt die Show ganz<br />
nebenbei mehr über den Kern von Unternehmertum,<br />
als heutzutage die meisten<br />
Abiturienten in der Schule darüber lernen.<br />
Während einige Gründer schlecht wegkommen,<br />
überzeugen andere die Jury. In<br />
Strenge Juroren In der TV-Sendung „Höhle<br />
der Löwen“ kämpfen Gründer um ihre Gunst<br />
einem Fall beschließen Öger, Schweizer<br />
und Wischhusen nach kaum einer halben<br />
Stunde, 180 000 Euro für eine 30-Prozent-<br />
Beteiligung zu investieren.<br />
Die Finanzierung ist für viele Start-ups<br />
eine der größten Hürden, obwohl in<br />
Deutschland eigentlich genug Kapital vorhanden<br />
ist. „Das Problem ist, wie man das<br />
alte Geld an die neuen Leute bringt“, sagt<br />
Sanja Stankovic, Mitbegründerin der Initiative<br />
Hamburg Start-ups. Sie hat daher eine<br />
Veranstaltung organisiert, um Gründer<br />
und Investoren zusammenzubringen – auf<br />
der Hamburger Reeperbahn. Doch nicht<br />
nur auf der hanseatischen Partymeile wird<br />
versucht, Hochschulabsolventen zur Firmengründung<br />
zu ermutigen und frisch gestartete<br />
Jungunternehmer mit Mentoren<br />
oder Investoren zusammenzubringen.<br />
Welche außergewöhnlichen Veranstaltungen<br />
außerdem für Gründer und Geldgeber<br />
von Interesse sind, lesen Sie auf den folgenden<br />
Seiten.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 67<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Management&Erfolg<br />
Prost, auf die Zusammenarbeit Ungezwungen netzwerken auf der Venture Wiesn im<br />
Wirtshaus am Bavariapark in München<br />
VENTURE WIESN<br />
Janker statt Jackett<br />
Der berühmte Pitch vor Investoren, also<br />
die Kurzpräsentation der eigenen Geschäftsidee,<br />
bescherte schon so manchem<br />
Gründer schlaflose Nächte. Einmal im Jahr<br />
drehen Harald Siebenweiber und seine<br />
Mitstreiter den Spieß um: Auf der Venture<br />
Wiesn müssen Investoren in 90 Sekunden<br />
um die versammelten Gründer werben.<br />
Als zusätzliche Hürde halten die Macher<br />
noch Schilder mit bayrischen Begriffen wie<br />
gschert (unanständig) oder hamma ned<br />
(haben wir nicht) hoch, die die Geldgeber<br />
in ihren Vortrag einbauen müssen.<br />
Ganz so ernst wie andere Pitches darf<br />
man das natürlich nicht nehmen, doch<br />
auch hier geht es darum, Geldgeber und<br />
Gründer zusammenzubringen. „Wir wollen<br />
dafür aber eine möglichst spielerische<br />
Atmosphäre schaffen“, sagt Siebenweiber,<br />
Geschäftsführer <strong>vom</strong> Start-up Contigua,<br />
das die App 10stamps entwickelt hat, die<br />
Stempelkarten zum Sammeln von Treuepunkten<br />
aufs Smartphone bringt.<br />
Eigentlich wollte Siebenweiber 2011 gemeinsam<br />
mit anderen Gründern aus dem<br />
Entrepreneurship Center der Münchner<br />
Ludwig-Maximilians-Universität ein Sommerfest<br />
organisieren, daraus wurde jedoch<br />
eine Gründerveranstaltung beim Oktoberfest.<br />
Etwa 300 Teilnehmer kommen jedes<br />
Jahr, darunter Manager bekannter Geldgeber<br />
wie Seven Ventures oder Carsten<br />
Maschmeyers Investmentgesellschaft Alstin.<br />
Zum lockeren Ambiente trägt auch<br />
bei, dass die meisten Teilnehmer in<br />
Lederhose und Trachtenjanker statt Anzug<br />
oder Kapuzenpulli erscheinen. Anfangs<br />
standen noch leichte Abwandlungen<br />
populärer Wiesn-Sportarten auf dem<br />
Programm: Statt Maßkrugstemmen und<br />
Hau den Lukas gab es Finanzierung-<br />
Stemmen oder Schaff den Exit. Inzwischen<br />
wurde der Unterhaltungsteil zurückgefahren.<br />
„Wir wollten nicht so viel Programm,<br />
damit mehr Zeit für Gespräche<br />
bleibt“, sagt Siebenweiber.<br />
E-ENTREPRENEURSHIP<br />
FLYING CIRCUS<br />
Werbetour fürs<br />
Unternehmertum<br />
Vermutlich wird Tobias Kollmann Anfang<br />
Oktober wenig schlafen. Der Professor für<br />
BWL und Wirtschaftsinformatik von der<br />
Universität Duisburg-Essen tourt dann<br />
zwei Wochen durch die Republik – in einem<br />
Reisebus über Köln, Hamburg, Berlin,<br />
Dresden und Erlangen nach Stuttgart. Mit<br />
seinem „E-Entrepreneurship Flying Circus“<br />
will er an sechs Hochschulen haltmachen<br />
und Studenten fürs Gründen begeistern.<br />
Mit dabei: etwa 60 Unternehmer, Investoren,<br />
Politiker und Wissenschaftler. In<br />
Diskussionsrunden soll es darum gehen,<br />
warum es in Deutschland keine digitalen<br />
Konzerne wie Facebook oder Google gibt<br />
und vor allem: weshalb es sich gerade hier<br />
und heute lohnt, ein Internet-Start-up aufzubauen.<br />
Start-up-Touren durch einzelne Städte<br />
oder Regionen sind beliebt – auch die WirtschaftsWoche<br />
bietet eine Reise durch die<br />
Berliner Szene an (siehe Kasten Seite 66).<br />
Kollmanns Werbetour fürs Gründertum<br />
startet im Oktober und könnte zeitlich besser<br />
kaum passen: Das Bundesbildungsministerium<br />
hat das Wissenschaftsjahr 2014<br />
unter die Überschrift „Die digitale Gesellschaft“<br />
gestellt und fördert die Bustour.<br />
Doch Kollmann will nicht nur Studenten<br />
zu Gründern konvertieren, bevor sie eine<br />
klassische Konzernkarriere einschlagen. Er<br />
will auch, dass in Deutschland weitere<br />
Lehrstühle für E-Entrepreneurship entstehen,<br />
um das Fach an den Unis besser zu<br />
verankern. Würde das geschehen, wären<br />
lange Bustouren nicht mehr nötig.<br />
GRÜNDERPOKERN<br />
Gute Karten für<br />
Gründer<br />
Dass Philipp Maximilian Scharpenack diesen<br />
Sommer so viel zu tun hat, verdankt<br />
der Unternehmer seinen eigens organisierten<br />
Pokerrunden. Der Gründer baut derzeit<br />
das Start-up Suckit auf, das Longdrinks<br />
in kleinen Tütchen herstellt und vertreibt –<br />
Cocktails zum Selbsteinfrieren und Lutschen.<br />
Im Juni 2013 startete er mit der Idee<br />
– inzwischen sind die „Frozen Cocktails“ in<br />
200 Läden und im Netz erhältlich. Unterstützt<br />
wird er von Inga Koster und Marco<br />
Knauf, die in Bonn den Smoothiehersteller<br />
true fruits hochgezogen haben. Die drei<br />
lernten sich am Pokertisch kennen, genauer<br />
gesagt: beim Gründerpokern.<br />
Diese Veranstaltung findet mehrmals im<br />
Jahr in deutschen Großstädten statt. Das<br />
Konzept ist so simpel wie erfolgreich:<br />
Gründer lernen sich bei einem Pokerturnier<br />
kennen – zwischendurch gibt es ein<br />
Buffet und kalte Getränke, am Ende erhalten<br />
die besten Spieler Sachpreise.<br />
„Wir haben gemerkt, dass man bei den<br />
klassischen Networking-Veranstaltungen<br />
immer mit denselben Leuten herumsteht“,<br />
sagt Scharpenack, der das Gründerpokern<br />
zusammen mit dem Kölner Unternehmer<br />
Jackpot Beim Pokern Investoren treffen<br />
FOTOS: PR<br />
68 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Philipp Mühlbauer 2010 gestartet hat. „Dabei<br />
sind diejenigen, die du noch nicht<br />
kennst, vielleicht viel interessanter für<br />
dich.“ Beim Gründerpokern wird die Sitzordnung<br />
an den Tischen ausgelost. Wer<br />
während des Turniers ausscheidet, trifft<br />
auf andere Gründer oder Investoren, mit<br />
denen er ins Gespräch kommen kann.<br />
Das Konzept hat sich auch finanziell behauptet:<br />
Inzwischen haben Scharpenack<br />
und Mühlbauer mehr als zehn Mal Gründer<br />
zum Pokerabend geladen. Die Tickets<br />
zu etwa 60 Euro decken die Kosten von<br />
rund 7000 Euro pro Abend. Unterm Strich<br />
konnten die Gründer sogar ein kleines Plus<br />
verzeichnen – genug, um sich eigene Pokertische<br />
zu kaufen. Das hat sie auf eine<br />
weitere Idee gebracht: Zusammen mit<br />
Ronja Heinz, der Schwester des ehemaligen<br />
Poker-Weltmeisters Pius Heinz, vermieten<br />
sie Tische an Firmen und organisieren<br />
Pokerturniere für Unternehmen.<br />
Auch das Konzept Gründerpokern soll<br />
weiter ausgebaut werden. In Zukunft wollen<br />
sie neben dem Netzwerken mehr Inhalt<br />
bieten – etwa Diskussionsrunden, Pokerschulungen<br />
oder Gespräche mit Investoren.<br />
Allerdings erst nach dem Sommer,<br />
denn im Moment hat Scharpenack mit seinen<br />
gefrorenen Longdrinks genug zu tun.<br />
STARTUPS@REEPERBAHN<br />
Investorentreff im<br />
Liebesmobil<br />
Die Suche vieler Start-ups nach potenten<br />
Investoren hat Sanja Stankovic schon häufig<br />
an Prostitution erinnert. Als die Mitbegründerin<br />
der Initiative Hamburg Startups<br />
dann 2013 ein Gründerevent im Rahmen<br />
des Hamburger Reeperbahnfestivals plante,<br />
kam ihr die Idee, Gründer und Geldgeber<br />
gleich im passenden Ambiente zusammenzubringen.<br />
Und so fand sich Philipp<br />
Baumgaertel <strong>vom</strong> Start-up Protonet mit<br />
potenziellen Investoren in einem Stundenhotel<br />
wieder. „Da stand ein Piccolo bereit“,<br />
erinnert sich Baumgaertel, „durch die Atmosphäre<br />
war das Eis gleich gebrochen.“<br />
Das außergewöhnliche Event kam bei<br />
Gründern und Geldgebern so gut an, dass<br />
in diesem September erneut Treffen in intimem<br />
Ambiente stattfinden. Denn wie das<br />
große Vorbild, das South-by-Southwest-<br />
Festival in Austin, Texas, soll das vor neun<br />
Jahren als Musikveranstaltung gestartete<br />
Reeperbahnfestival zu einem wichtigen<br />
Treffpunkt der Digitalwirtschaft werden.<br />
Dabei gibt es nur ein Problem: Das Hotel<br />
<strong>vom</strong> vergangenen Jahr wurde kürzlich abgerissen.<br />
Weil alternative Etablissements<br />
zu weit von den anderen Veranstaltungsorten<br />
entfernt sind, wird Stankovic fünf sogenannte<br />
Lovemobile aufstellen. Ganz so authentisch<br />
sind die Wohnwagen zwar nicht,<br />
„die es auf dem Kiez gibt, waren uns zu abgeranzt“,<br />
sagt Stankovic. Doch sie will die<br />
gemieteten Wagen zu stilechten Liebesmobilen<br />
umrüsten, mit blinkenden Herzen<br />
und Aufschriften wie „Start-ups are hot“.<br />
EUROPEAN PIRATE SUMMIT<br />
Piraten lassen<br />
Hüllen fallen<br />
Die Wände sind bunt besprüht, neben Metallzäunen<br />
stehen rostige Autogerippe.<br />
Doch die Besucher haben sich keinesfalls<br />
auf einen Schrottplatz verlaufen. Wer genauer<br />
hinsieht, entdeckt Funken sprühende<br />
Roboter und Wasser speiende Saurier<br />
aus Eisen. Das Kölner Veranstaltungsgelände<br />
Odonien, selbst erklärter „Freistaat<br />
für Kunst und Kultur“, ist wie gemacht für<br />
eins der angesagtesten Gründerevents der<br />
Republik: den European Pirate Summit.<br />
Seit 2011 lockt der Gipfel Jahr für Jahr<br />
Hunderte Jungunternehmer an, für die<br />
Gründen so abenteuerlich ist wie für Piraten<br />
eine Kaperfahrt. Die Analogie stammt<br />
von Michael Arrington, dem Gründer des<br />
Internet-Portals TechCrunch, der Entrepreneure<br />
mit Seeräubern des 17. Jahrhunderts<br />
vergleicht:Beide setzen fast alles aufs<br />
Spiel, aber haben nur geringe Chancen, einen<br />
Schatz zu heben.<br />
Arringtons Vergleich inspirierte Organisator<br />
Till Ohrmann, den Piratengipfel ins<br />
Leben zu rufen. Er war damals noch Student<br />
an der Business and Information<br />
Technology School in Iserlohn und wollte<br />
eine Veranstaltung aufbauen, um selbst<br />
mit Investoren ins Gespräch zu kommen.<br />
Zusammen mit dem Unternehmer Manuel<br />
Koelman entwickelte der damalige<br />
Student die Idee zum Pirate Summit.<br />
Auf einer Holzplanke, die den Charme<br />
eines Schiffdecks versprüht und als Bühne<br />
dient, pitchen nicht nur Start-ups um Investoren,<br />
sondern auch umgekehrt. An<br />
Bord geht es um Erfolg genauso wie ums<br />
Scheitern. „Wir wollen, dass die Leute die<br />
Hüllen fallen lassen und darüber reden,<br />
was beim Gründen weh tut“, sagt Ohrmann,<br />
„damit andere daraus lernen.“<br />
Der Zuspruch für die Veranstaltung ist<br />
gewaltig. Die Organisatoren verlängern<br />
den diesjährigen Gipfel von zwei auf fünf<br />
Tage. Ohrmann erwartet mehr als 2000<br />
Teilnehmer und peilt zum ersten Mal einen<br />
kleinen Profit an. Gewinne liefert inzwischen<br />
auch eine zweite Veranstaltungsreihe,<br />
die Ohrmann mit Koelman gestartet<br />
hat: die sogenannten Exec I/O-Konferenzen,<br />
die mehrmals im Jahr überall in<br />
Deutschland stattfinden. Dabei treffen<br />
Jungunternehmer mit etablierten Konzernlenkern<br />
zusammen. Beide Seiten tauschen<br />
sich zu Themen wie Finanzen, Handel<br />
oder Mobilität aus. „Nach jedem Pirate<br />
Summit sind Konzerne auf uns zugekommen,<br />
weil sie mit Technologie-Start-ups in<br />
Dialog treten wollen“, erzählt Ohrmann,<br />
„das wurde irgendwann so laut, dass uns<br />
klar war: Wir müssen etwas tun.“<br />
n<br />
oliver.voss@wiwo.de, jens.tönnesmann@wiwo.de<br />
Alle Mann an Bord Der Piratengipfel lockt Gründer im September nach Köln<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 69<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Management&Erfolg<br />
»Ich gebe meine Daten gerne her«<br />
INTERVIEW | Christian Muche und Frank Schneider Die Gründer und Organisatoren der Digitalmesse<br />
Dmexco erklären, wie Traditionskonzerne die Digitalisierung überleben und warum Kühlschränke<br />
die Werbeindustrie revolutionieren.<br />
Herr Muche, Herr Schneider, Google entwickelt<br />
ein Auto, Apple bringt im Oktober<br />
eine Uhr auf den Markt: Werden die Technologiekonzerne<br />
in ein paar Jahrzehnten<br />
die gesamte Wirtschaft dominieren?<br />
Muche: Ja, das ist durchaus vorstellbar. In<br />
der Telekommunikationsbranche haben<br />
sie einstige Schwergewichte wie Nokia und<br />
Blackberry ja schon ausgeschaltet.<br />
Woher kommt diese Schlagkraft?<br />
Muche: Die Amazons und Googles dieser<br />
Welt haben nicht nur eine riesige Nutzerzahl<br />
und Datenmaterial hinter sich, sondern<br />
auch die finanzielle Kraft, um etablierte<br />
Konzerne herauszufordern und ihre<br />
Ideen durchzusetzen. Ich glaube aber, dass<br />
wir in zehn Jahren noch ganz andere Spieler<br />
in dieser Größenordnung am Markt haben<br />
werden, von denen wir heute noch<br />
nichts wissen.<br />
Das heißt, die Weltkonzerne aus der analogen<br />
Welt werden langsam, aber sicher<br />
aussterben?<br />
Schneider: Nein, nicht zwangsläufig. Aber<br />
sie müssen sich der Digitalisierung stellen.<br />
Muche: Nestlé zum Beispiel hat im vergangenen<br />
Jahr eine Dependance im Silicon<br />
Valley eingerichtet. Das halte ich für absolut<br />
sinnvoll.<br />
DIGITALE PIONIERE<br />
Christian Muche, 48, und Frank Schneider,<br />
51, haben im Jahr 2009 die mittlerweile<br />
international etablierte Messe Dmexco für<br />
digitales Marketing ins Leben gerufen.<br />
Muche arbeitete zuvor als Manager für die<br />
Internet-Konzerne Yahoo und AOL. Schneider<br />
war von 2006 bis 2008 Mitglied in der<br />
Geschäftsleitung beim Düsseldorfer Messeveranstalter<br />
Igedo.<br />
Warum?<br />
Muche: In jüngster Zeit war es unter Managern<br />
und Unternehmern chic, für ein paar<br />
Wochen dorthin zu fliegen und Kontakte<br />
zu knüpfen. Heute verlaufen die Entwicklungszyklen<br />
so schnell, dass die Unternehmen<br />
ständig am Ball bleiben müssen,<br />
wenn sie vorausschauend auf technologische<br />
Neuerungen reagieren und sich als<br />
innovative Marke präsentieren wollen. Sie<br />
müssen Mitarbeiter vor Ort haben, die das<br />
Wissen der Technologieunternehmen permanent<br />
abgreifen und sich täglich mit ihnen<br />
austauschen. Dies gilt vor allem für<br />
Konzerne außerhalb der IT- und Technologiewelt,<br />
damit sie die alltäglichen digitalen<br />
Evolutionen ihrer Kunden besser verstehen.<br />
Auf welche neuen Trends müssen sich<br />
Verbraucher einstellen?<br />
Muche: Bislang waren das Zuhause und<br />
auch das Auto noch Schutzzonen, in die<br />
die Digitalisierung nur sehr begrenzt vorgedrungen<br />
war. Das ändert sich gerade.<br />
Wir werden bald überall zusätzliche Bildschirme<br />
haben – an der Wohnungswand,<br />
in der Windschutzscheibe oder am Kühlschrank.<br />
Schneider: Die dort generierten Daten vervollständigen<br />
das bisherige Profil des Konsumenten,<br />
das sich bislang vor allem aus<br />
Informationen <strong>vom</strong> Smartphone oder dem<br />
Desktop-PC speist. Die Marketingmaßnahmen<br />
können so passgenau auf die Situation<br />
und das jeweilige Endgerät eines<br />
Verbrauchers zugeschnitten werden.<br />
Wie denn?<br />
Muche: Auf einem Bildschirm am Kühlschrank<br />
könnten etwa gesponserte Rezeptvorschläge<br />
von Online-Diensten wie chefkoch.de<br />
eingeblendet werden, die sich<br />
exakt aus den Lebensmitteln zaubern lassen,<br />
die im Kühlschrank noch vorrätig<br />
sind.<br />
Also anders ausgedrückt: Zusätzliche<br />
Werbeflächen in den eigenen vier<br />
Wänden...<br />
Schneider: Schon, aber sehr effizient und<br />
<strong>vom</strong> Verbraucher durchaus gewollt. Er behält<br />
Anbieter wie chefkoch.de positiv in Er-<br />
FOTO: RAIMAR VON WIENSKOWSK<br />
70 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTO: PR<br />
Volle Hallen Die Veranstalter der Dmexco rechnen 2014 mit mehr als 30 000 Besuchern<br />
innerung, weil die Marke ihm Mehrwert<br />
bietet. Im Büro oder unterwegs hätte der<br />
Rezeptvorschlag keinen Sinn ergeben. Wer<br />
gerade im Auto unterwegs ist, bekommt<br />
statt des Rezeptvorschlags Hinweise auf<br />
aktuelle Angebote des nächsten Supermarkts.<br />
Und woher wissen die Unternehmen, ob<br />
ich in diesem Moment gerade unterwegs<br />
bin oder nicht?<br />
Muche: Ihr vernetztes Auto erhebt diese<br />
Daten. Der Hersteller kennt die Strecken,<br />
die Sie regelmäßig zurücklegen. Demnächst<br />
könnte er mithilfe von Sensoren sogar<br />
feststellen, wie viele Leute bei Ihnen<br />
mitfahren. Er weiß, an welcher Tankstelle<br />
Sie meistens Ihr Benzin zapfen.<br />
Schneider: Und diese Tankstelle könnte<br />
Ihnen dann einen Gutschein auf Ihr Handy<br />
schicken, wenn Sie gerade in der Nähe<br />
sind.<br />
Schön und gut, aber gerade in Deutschland<br />
ist die Skepsis über exzessives<br />
Datensammeln unter Verbrauchern doch<br />
sehr groß...<br />
Muche: Die Industrie ist nicht blauäugig.<br />
Auch wir wissen, dass nicht alle Hurra<br />
schreien, wenn es um Datenerfassung<br />
geht. Aber das Wissen über den Konsumenten<br />
bietet schließlich ein riesiges Potenzial,<br />
ihn perfekt anzusprechen.<br />
Schneider: Solange es mir nützt, gebe ich<br />
meine Daten gerne her – und da bin ich sicherlich<br />
nicht der Einzige. Heute Morgen<br />
zum Beispiel habe ich auf dem Weg zum<br />
Flughafen im Stau gestanden – und Google<br />
Maps hat mir sofort eine alternative Route<br />
ausgespuckt. Das konnte es nur, weil die<br />
Software meinen Standort erkannt hat und<br />
die aller anderen Nutzer. Ich war jedenfalls<br />
pünktlich am Flughafen.<br />
Muche: Diese Fülle an Informationen muss<br />
ausgewertet und so aufbereitet werden,<br />
dass die Unternehmen sie zu Marketingzwecken<br />
nutzen können. Da besteht ein<br />
riesiger Nachholbedarf. Derzeit tummeln<br />
sich immer mehr Teilnehmer am Markt, die<br />
genau diese Dienstleistung anbieten. Denn<br />
die wenigsten Unternehmen haben dazu<br />
selbst ausreichend Ressourcen.<br />
Das gilt sicherlich besonders für kleine<br />
und mittlere Betriebe, die schon an ihre<br />
Grenzen stoßen, wenn sie ihr Facebook-<br />
Profil aktuell halten sollen.<br />
Schneider: Ja, allerdings muss ein kleines<br />
Unternehmen nicht die ganze Klaviatur<br />
des digitalen Marketings bedienen. Mein<br />
Lieblingsitaliener schickt zum Beispiel einmal<br />
pro Woche seine Speisekarte per Facebook.<br />
Dann kann ich mich in Ruhe entscheiden,<br />
an welchem Tag ich dort zu Mittag<br />
esse. Das reicht.<br />
Bei Konzernen reicht das aber schon<br />
lange nicht mehr. Alleine bei der Fußballweltmeisterschaft<br />
in Brasilien wurden<br />
zusätzlich 1,5 Milliarden US-Dollar in den<br />
Werbemarkt gepumpt.<br />
Muche: Ohne die digitalen Kanäle wäre es<br />
wohl nur ein Drittel gewesen.<br />
DMEXCO<br />
Messe und<br />
Konferenz<br />
Am 10. und 11. September 2014 findet<br />
in Köln zum sechsten Mal die Dmexco<br />
statt. Die Veranstaltung zu digitalem Marketing<br />
ist Messe und Konferenz zugleich.<br />
Während mehr als 800 Aussteller aus<br />
aller Welt im Kölner Congress-Centrum<br />
Nord die neuesten Trends beispielsweise<br />
zum Suchmaschinenmarketing, dem<br />
mobilen Bezahlen oder aus dem Bereich<br />
E-Commerce präsentieren, sprechen<br />
Hochkaräter wie Philips-CEO Pieter Nota<br />
oder Buzzfeed Gründer Jonah Peretti<br />
auf der dazugehörigen Konferenz vor<br />
Interessierten. Die Themen der Redner<br />
reichen von: Welche Fähigkeiten braucht<br />
ein Chief Marketing Officer heute und<br />
morgen ? Bis zu: Wie funktioniert eigentlich<br />
gutes mobile Marketing? Der Eintritt<br />
sowohl zur Messe als auch zur<br />
Konferenz ist an beiden Veranstaltungstagen<br />
kostenlos.<br />
Schneider: Es geht aber nicht nur um<br />
hohe Budgets, sondern um pfiffige Ideen.<br />
Erinnern Sie sich an den Biss des Uruguayers<br />
Suarez gegen den italienischen<br />
Spieler?<br />
Ja.<br />
Schneider: Schon kurz nach dem Vorfall<br />
schickte Snickers ein Foto von einem<br />
angebissenen Riegel über Twitter. Darüber<br />
stand: Wenn du das nächste Mal hungrig<br />
bist, schnapp dir ein Snickers. Die Folge:<br />
48 000 Retweets. So funktioniert Marketing<br />
heute – schnell auf Ereignisse reagieren<br />
und den Dialog mit den Kunden suchen.<br />
Muche: Und vielleicht hat ja in ein paar<br />
Jahren jeder Zuschauer eine Datenbrille<br />
an seinem Stadionsitz, auf der er auch<br />
dort die Zeitlupe aus allen möglichen<br />
Perspektiven anschauen kann. Die Einstellungen<br />
könnten zum Beispiel von Coca-<br />
Cola gesponsert werden, und wenn ich<br />
auf einen Knopf drücke, serviert mir eine<br />
Bedienung oder vielleicht sogar ein Roboter<br />
kurz darauf ein Glas von der braunen<br />
Brause.<br />
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
diese Innovationen nicht nur aus dem<br />
Silicon Valley, sondern aus Asien, Europa<br />
oder sogar aus Deutschland kommen?<br />
Schneider: Das Silicon Valley ist nach wie<br />
vor das Herzstück der Digitalisierung. Aber<br />
natürlich gibt es auch in Deutschland, Israel<br />
oder Indien digitale Ballungszentren<br />
und hochkarätige Veranstaltungen. Wir<br />
haben es mit der Dmexco ja auch geschafft,<br />
eine international anerkannte Messe auf<br />
dem Gebiet des digitalen Marketings in<br />
Deutschland zu etablieren.<br />
n<br />
kristin.schmidt@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 71<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
Der Kampf ums Ohr<br />
INTERNET-AKTIEN | Was haben Sony, Goldman Sachs, Fondsanbieter Fidelity, Coca-Cola<br />
und Multimilliardär Li Ka-Shing gemeinsam? Sie haben in einen Streaming-Dienst<br />
investiert, der Musik im Internet anbietet. Musik- und Buchverlage, TV- und Filmindustrie<br />
werden durch neue interaktive Formate <strong>vom</strong> Kopf auf die Füße gestellt. Es gibt Verlierer<br />
und Gewinner. Anleger sollten sich früh positionieren.<br />
Daniel Ek, Gründer des Internet-Musikdienstes<br />
Spotify,<br />
verschwendet keine Zeit auf<br />
lange Reden. Bei seinem ersten<br />
Auftritt auf dem Branchentreff der Plattenbosse<br />
wartet der 23-Jährige geduldig, bis<br />
das Gemurmel im Saal sich legt. Seine erste<br />
Folie enthält keinen Text, nur zwei Symbole:<br />
eine durchgestrichene Piraten-Totenkopfflagge,<br />
und ein Bündel Dollar-Noten. Die<br />
zumeist älteren Herren schütteln die Köpfe;<br />
viele schauen wieder auf ihre Blackberrys<br />
statt auf die Präsentation des kahlköpfigen<br />
Schweden. Der junge Mann dort oben auf<br />
dem Panel verspricht nicht weniger, als die<br />
Produktpiraterie zu besiegen und die<br />
Musikbranche wieder auf Wachstumskurs<br />
zu bringen. In den Ohren vieler klingt das<br />
wie blanker Hohn – ausgerechnet ein Internet-Start-up<br />
erdreistet sich dazu. Das Internet<br />
ist für sie der Feind. Früher und tiefer als<br />
andere Branchen pflügt es gerade die<br />
Musikbranche um.<br />
Das war 2006, und der Trend hat sich<br />
noch sechs Jahre fortgesetzt. Allein durch<br />
Netz-Piraterie ging der Musikbranche von<br />
1999 bis 2012 fast die Hälfte ihres globalen<br />
Jahresumsatzes flöten. Das Problem Internet<br />
ist aber zugleich die Lösung: Der von Ek<br />
gegründete Internet-Musikdienst Spotify<br />
hat heute 41 Millionen Kunden, zehn Millionen<br />
davon zahlen regelmäßig für Musik<br />
im Internet. Seine alte Vision <strong>vom</strong> Tod der<br />
Piraten und neuen Einnahmequellen wird<br />
wahr: 2013 stiegen die Umsätze der Musikindustrie<br />
wieder, nach 15 Jahren stetigen<br />
Rückgangs; die beiden ersten Quartale<br />
2014 geben Anlass zu noch mehr Optimismus,<br />
bis 2018 soll der Umsatz der Branche<br />
in Deutschland laut den Konsumforschern<br />
von GfK um gut zehn Prozent zulegen. Zwar<br />
fallen die CD-Verkäufe weltweit weiter<br />
rapide. Doch eine neue digitale Vermarktungsform<br />
wächst rasant, je nach Land mit<br />
Raten von bis zu 90 Prozent pro Jahr:<br />
Musik-Streaming. Dabei greifen die Kunden<br />
gegen eine monatliche Pauschale (Flatrate-Abo)<br />
von rund zehn Euro über das<br />
Netz auf den gesamten Katalog fast aller<br />
Musikverlage zu. Bis zu 32 Millionen Titel<br />
aus allen Genres stehen ihnen für relativ<br />
kleines Geld zur Verfügung – wann sie wollen,<br />
wo sie wollen, so oft sie wollen, <strong>vom</strong><br />
Handy aus, <strong>vom</strong> PC, über die Stereoanlage.<br />
„Eine radikal kundenfreundliche Lösung,<br />
die anfangs in der Branche umstritten war,“<br />
sei das, sagt Philip Ginthör, Chef von Sony<br />
Music Mitteleuropa.<br />
Doch wahrscheinlich ist Streaming die<br />
letzte Chance, die über Jahre eingeschliffene<br />
Gratiskultur im Netz zu besiegen. Mit<br />
wegweisender Wirkung für andere Medienbranchen.<br />
„Die Musikindustrie hat<br />
nach 15 Jahren des Niedergangs endlich<br />
Die Tonleiter hoch<br />
Umsatz mit Musikstreaming* und Anzahl<br />
der Premium-Abo-Kunden weltweit<br />
Umsatz<br />
(in Millionen Dollar)<br />
Premium-Abo-Kunden<br />
(in Millionen)<br />
322<br />
8<br />
2010<br />
450<br />
13<br />
734<br />
20<br />
1111<br />
2011 2012 2013<br />
* Internet-Musik-Abonnements, nur Kundenzahlungen,<br />
ohne Werbeeinnahmen; Quelle: IFPI<br />
28<br />
Geschäftsmodelle gefunden, die ihr das<br />
Überleben in der rein digitalen Zukunft ermöglichen“,<br />
sagt Adam Bird, Director bei<br />
McKinsey und weltweit zuständig für Medien<br />
und Entertainment. Immer mehr<br />
Menschen bezahlen wieder für Musik,<br />
weltweit sind es schon über 30 Millionen,<br />
Tendenz steigend (siehe Grafik) – obwohl<br />
es weiter illegale, kostenlose Angebote gibt.<br />
DAS SCHLIMMSTE KOMMT NOCH<br />
TV-Sendern, Filmstudios und vor allem<br />
Verlagen, meint Bird, stehe der härteste<br />
Teil des Umbruchs noch bevor. Meilenweit<br />
seien die großen Player noch von einer gemeinsamen<br />
Netz-Strategie entfernt, von einem<br />
Schulterschluss über Branchengrenzen<br />
hinweg ganz zu schweigen. Doch die<br />
zweite Internet-Revolution betreffe „alle,<br />
die mit geistigem Eigentum handeln“, sagt<br />
Dieter Gorny, Chef des Bundesverbands<br />
Musikindustrie und Gründer des TV-Senders<br />
Viva, „auch TV-Sender und Verlage<br />
werden in 15 Jahren nicht wiederzuerkennen<br />
sein.“ Immer mehr Konsumenten<br />
wandern ab <strong>vom</strong> traditionellen TV zu den<br />
neuen Angeboten wie Netflix oder Hulu,<br />
lesen auf dem iPad statt auf Papier, hören<br />
Napster, Simfy oder Spotify statt Radio.<br />
Die großen Werbebudgets werden den<br />
Nutzern folgen und so die Umsätze der<br />
Etablierten weiter gefährden. Seit Neuestem<br />
drängen nun auch die Internet-Giganten<br />
Apple, Google und Amazon in das Geschäft.<br />
Sie haben das Potenzial von Streaming<br />
erkannt – und tiefe Taschen. Für Anleger<br />
bietet das Thema enorme Chancen.<br />
Sie tun gut daran, nicht zu spät auf den<br />
Trend zu springen. Im ersten digitalen Umbruch<br />
von 1988 bis 2000 wurden die Ge-<br />
»<br />
FOTO: GETTY IMAGES/THE IMAGE BANK<br />
72 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
204Prozent<br />
mehr digitale Musik<br />
wurde seit 2009 in<br />
Lateinamerika verkauft<br />
40 Millionen<br />
Deutsche nutzen bereits<br />
Video-Streaming, die<br />
meisten aber noch gratis<br />
508Prozent<br />
Wachstum bei Musik-Abos<br />
verbuchte die Branche<br />
seit 2009 in den USA<br />
Digitales Hör-Gerät Rundum-sorglos-Abos (Streaming)<br />
retten die Musikbranche in die Internet-Zukunft; bei TV-Serien<br />
und Filmen scheint das Modell ebenfalls zu funktionieren<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 73<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
»<br />
winne zu Anfang gemacht, nicht erst<br />
kurz vor der Jahrtausendwende, als die Investmentbranche<br />
den Trend in Fonds und<br />
Zertifikate gegossen und ihre Promotion-<br />
Maschinen angeworfen hatte.<br />
DER GROSSE TESTFALL<br />
Gibt es ein Überleben in der Internet-Welt<br />
für ein Geschäft, das auf dem Verkauf geistigen<br />
Eigentums beruht? An dieser Frage<br />
scheiden sich im Moment die Geister. US-<br />
Starökonom Jeremy Rifkin sieht eine „neue<br />
Kultur des Teilens“ im Netz, die tradierte<br />
Geschäftsmodelle der Musik-, Film-, Buchund<br />
Zeitungsindustrie „ausradieren“ werde.<br />
Dagegen glaubt Bird von McKinsey:<br />
„Mehr Menschen als je zuvor konsumieren<br />
dank Internet Musik, Film und Texte; das<br />
sind goldene Zeiten für Inhalteanbieter –<br />
wenn sie die richtigen Formate finden.“<br />
Die Musikindustrie jedenfalls gilt als<br />
„der große Testfall, auf den die Manager<br />
der anderen Branchen mit einer Mischung<br />
aus Angst und Faszination schauen“, sagt<br />
Christoph Zeh, Analyst für Medien beim<br />
Marktforschungsinstitut GfK in Nürnberg.<br />
Sie wurde gut zehn Jahre früher als andere<br />
Medien von der Gratiskultur im Netz erfasst:<br />
„Musikdateien sind – verglichen etwa<br />
mit Film – relativ klein; man konnte sie<br />
schon Ende der Neunziger leicht illegal aus<br />
dem Netz ziehen, als Bandweite und<br />
Geschwindigkeit noch echte Hindernisse<br />
waren“, sagt James McQuivey, Analyst<br />
beim IT-Trendforscher Forrester und Autor<br />
des US-Bestsellers „Digital Disruption“.<br />
Die Folge: Weltweit fielen die Umsätze<br />
mit aufgezeichneter Musik (ohne Konzertgeschäft)<br />
von 26 Milliarden 1999 auf 15<br />
Milliarden Dollar 2013; die Zahl der weltweit<br />
agierenden, alle Genres abdeckenden<br />
Musikverlage (Major Labels) halbierte sich<br />
von sechs auf drei. Nun ruhen die Hoffnungen<br />
auf den digitalen Streaming-Abos, deren<br />
Umsatz und Nutzerzahlen gerade rapide<br />
wachsen. 2013 stieg der Streaming-Umsatz<br />
weltweit um 51 Prozent, auf zuletzt<br />
1,11 Milliarden Dollar, sagt Christina Boettner,<br />
leitende Marktforscherin des globalen<br />
Dachverbandes der Phonoindustrie IFPI.<br />
Die Zahl der zahlenden Kunden wuchs um<br />
40 Prozent auf 28 Millionen.<br />
Nutznießer sind nicht zuletzt die Labels<br />
selbst, denn die Streaming-Dienste geben<br />
55 bis 70 Prozent ihres Umsatzes an die<br />
Plattenfirmen weiter. Allein Marktführer<br />
Spotify hat seit 2008 mehr als eine Milliarde<br />
Dollar Lizenzgebühren ausgeschüttet. Bei<br />
Sony stieg der Streaming-Umsatz 2013 um<br />
130 Prozent. Warner Music meldete vergangene<br />
Woche 26 Prozent plus beim Digital-<br />
Umsatz auf 324 Millionen Dollar im letzten<br />
Quartal. 41 Prozent des Umsatzes sind bei<br />
Warner inzwischen rein digital (auch eine<br />
CD ist streng genommen digital, gemeint<br />
sind nicht-physische Formen wie Streaming<br />
und MP3-Downloads). „In einigen<br />
Ländern mit hoher Smartphone-Durchdringung,<br />
wie etwa in Schweden, macht<br />
Streaming schon 60 bis 70 Prozent der Umsätze<br />
aus“, sagt Marktforscherin Boettner.<br />
ZWEIFRONTENKRIEG<br />
Will die Medienindustrie im Kampf gegen<br />
die Gratiskultur im Netz obsiegen, muss<br />
sie zwei entscheidende Nutzergruppen<br />
für ihre Bezahlangebote gewinnen, sagt<br />
McQuivey von Forrester: „ Die junge Konsumentenschicht,<br />
die mit kostenlosen Inhalten<br />
im Netz aufgewachsen ist, und die<br />
Bevölkerung der Schwellenländer, die mit<br />
der westlichen Idee des Urheberrechts<br />
nicht viel anfangen kann.“<br />
»Zu den Leuten, die die Branche<br />
noch überzeugen muss, gehört<br />
Tim Borchers*, 17, aus Köln. Er surft im<br />
Netz, seit er acht ist, und zieht alles<br />
heraus, was er haben will: Songs, ganze<br />
Alben, Filme. Seine Sammlung umfasst<br />
mehrere Terabyte. Bezahlt davon hat<br />
er nichts, er kenne es nicht anders,<br />
sagt Tim. Ob das legal ist, sei für ihn<br />
kein Kriterium. „Ich hätte sowieso<br />
kein Geld, das zu kaufen, also entgeht<br />
denen auch kein Umsatz“, gibt er sich<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
So groß will er werden Spotify-Chef<br />
Daniel Ek expandiert weltweit<br />
geschäftsmännisch. Tim „shared“<br />
auch, was er aus dem Netz zieht: „Wenn<br />
ich was cool finde, sollen das auch meine<br />
Freunde sehen oder hören“, sagt er,<br />
„ich gebe denen ’nen Stick mit MP3s<br />
oder schicke den Link zum Download<br />
per Mail.“ Und er kennt schon einen<br />
Kniff, der Streaming unterminiert: Sein<br />
Vater habe ein Premium-Abo, sagt er.<br />
Die so zugänglichen Lieder schneidet<br />
Tim mittels einer Software mit, die ganz<br />
legal erhältlich ist: Die kopiert alles,<br />
was über die Soundkarte seines PCs<br />
läuft: Spotify, YouTube, Internet-Radio.<br />
Will Page ist von Haus aus Ökonom; er arbeitete<br />
für Banken, verfasste vor 20 Jahren<br />
Studien über die Integration der DDR in<br />
den Kapitalismus. Jetzt ist er Chefökonom<br />
und Leiter Research bei Spotify und beschäftigt<br />
sich mit Leuten wie Borchers, „allerdings<br />
nicht, wie in unserer Branche 20<br />
Jahre lang üblich, mit Kopierschutztechnik<br />
und Anwälten“, sagt der Schotte. Page erforscht,<br />
ob und wie sich an eine jahrelange<br />
Gratiskultur gewöhnte Konsumenten mit<br />
„positiven Anreizen“ für legale (und natürlich<br />
kostenpflichtige) Angebote zurückgewinnen<br />
lassen; seine Forschungen lassen<br />
aufhorchen, nicht nur in der Musikbranche.<br />
In den USA spricht er jetzt oft vor TVund<br />
Filmmanagern, etwa bei Time Warner,<br />
beim Kabelriesen Viacom oder bei Disney.<br />
Page macht seine Fallstudien dort, wo es<br />
besonders weh tut: in Holland, Russland<br />
oder Italien – Länder, in denen wegen eines<br />
laxen Urheberrechts das Musikgeschäft bis<br />
vor Kurzem so gut wie tot war. Ein neuer<br />
FOTOS: BLOOMBERG NEWS/LOUIS LANZANO, SZ PHOTO/SNAPSHOT-PHOTOGRAPHY<br />
74 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Goldkehle Rihanna<br />
Populärster weiblicher<br />
Star im Internet<br />
Nummer-eins-Hit etwa wurde in den Niederlanden<br />
pro legalen Download über 100<br />
Mal illegal aus dem Netz gezogen; in Umfragen<br />
gaben 2005 rund 90 Prozent der<br />
Holländer mit Internet-Anschluss an, gratis<br />
Musik aus dem Netz zu ziehen. Doch<br />
das ändert sich gerade:<br />
„Bereits der Start von Apples iTunes 2004<br />
hat die Raubkopier-Rate erheblich gesenkt“,<br />
meint Page, „und seit fast jeder Holländer<br />
ein Smartphone und eine Handyflatrate<br />
hat, ist die Piraterie dort so gut wie<br />
erledigt. Heute macht nur noch ein harter<br />
Kern von rund zehn Prozent der Internet-<br />
Nutzer Raubkopien, und das aus Prinzip.“<br />
Auffällig sei, „dass Streaming im Moment<br />
vor allem junge Musikfans unter 25<br />
Jahren gewinnt“, beobachtet auch Holger<br />
Christoph, Vice President Digital Sales bei<br />
Universal Music in Berlin, „etwa die Hälfte<br />
der Streamingnutzer war zuvor Nichtkäufer,<br />
die bislang gar kein Geld für Musik ausgegeben<br />
haben.“<br />
Sind die Teenager weltweit auf einmal zu<br />
braven Verfechtern des geistigen Eigentums<br />
mutiert? „Wohl kaum“, sagt Philip<br />
Ginthör, Chef von Sony Music im deutschsprachigen<br />
Raum. Der gelernte Anwalt<br />
sagt: „Mit Abmahnungen und dem Schließen<br />
von Piraterie-Web-Seiten würden wir<br />
die jungen Leute nie zurückgewinnen.“<br />
Ginthör setzt stattdessen auf „Convenience“:<br />
Der Kunde soll es so bequem wie<br />
nur möglich haben; mit Musik auf allen Kanälen,<br />
auf dem Handy, <strong>vom</strong> PC, aus der Hi-<br />
Fi-Anlage. Dann werde er schon zahlen.<br />
McQuivey sieht hier die einzige Lösung:<br />
„Sobald das professionelle Angebot für die<br />
Leute bequemer, schneller und einfacher<br />
ist als das illegale oder kostenlose, bezahlt<br />
ein hoher Anteil der Nutzer auch wieder<br />
dafür“, sagt er. Laut Umfragen sind in den<br />
meisten Ländern 45 bis 65 Prozent der Bevölkerung<br />
prinzipiell bereit, für Musik Geld<br />
auszugeben – solange sie die bequem und<br />
ohne lästige Einschränkungen der Auswahl<br />
bekommen.<br />
ZUM ERSTEN MAL LEGAL GEHÖRT<br />
Die Inhalte-Schaffenden selbst sind noch<br />
gespalten; viele Künstler üben harsche Kritik<br />
an den niedrigen Tantiemen, die das<br />
Streamen im Vergleich zu CD und Dateidownload<br />
abwirft – noch. Einige, wie die<br />
Alt-Rocker AC/DC, untersagen ihren Rechteverwertern<br />
gar das Einspeisen ihrer Werke<br />
in die Internet-Dienste. Andere, wie der<br />
Belgier Jonathan Vandenbroeck, besser bekannt<br />
als Milow, sehen die Chancen:<br />
„Streaming ermöglicht vielen Menschen<br />
überhaupt zum ersten Mal, Musik legal zu<br />
konsumieren“, sagt Milow. Viele Menschen<br />
in Schwellenländern hätten keine teuren<br />
CD-Player, aber Smartphone und Internet-<br />
Flat. Die aktuelle Debatte findet er kurzsichtig:<br />
„Ich denke, dass Streaming künftig<br />
mehr Leute erreicht, die noch nie oder seit<br />
langer Zeit nicht mehr für Musik bezahlt<br />
haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir sogar<br />
höhere und vor allem regelmäßigere<br />
Lizenzeinnahmen erhalten werden.“<br />
Das wäre wichtig; denn ohne Geld würde<br />
früher oder später auch der Nachschub<br />
an interessanten Inhalten austrocknen.<br />
Aus Sicht der Konsumenten ist die Sache<br />
klar: „Die Musikindustrie war noch nie so<br />
kundenfreundlich“, sagt Bird von McKinsey.<br />
Früher jubelte sie ihren Kunden alte<br />
Songs aus dem Archiv oder mies digital<br />
neu abgemischte Klassiker für teures Geld<br />
unter. Bird: „Heute kann jeder hören, was<br />
er will, so oft er will.“ Folge: Nicht nur Fans<br />
mit riesigen Plattensammlungen, die ohnehin<br />
viel Geld für ihre Leidenschaft ausgeben,<br />
sondern auch Menschen wie Albert<br />
Erdmann, 55, lassen sich ködern.<br />
»Günstiger,<br />
bequemer Service<br />
kann die Gratis-<br />
Kultur besiegen«<br />
Spotify-Gründer Ek<br />
»Mir war es immer zu anstrengend,<br />
neue Musik zu suchen, ich<br />
hörte halt, was im Radio lief“, sagt<br />
der Ingenieur. „Die Folge war, dass ich<br />
vor 20 Jahren ganz aufhörte, mir Musik<br />
zu kaufen, ich dachte: Heute wird<br />
eh nur noch Schrott gemacht, aber das<br />
ist falsch.“ Lässig sitzt Erdmann in der<br />
Hollywoodschaukel seines Obersendlinger<br />
Gartens und führt auf dem iPad<br />
vor: Ein Algorithmus empfiehlt ihm<br />
laufend neue Künstler; er funktioniert<br />
ähnlich wie der für Bücher bei Amazon:<br />
Du hast X und Y gehört, probier’<br />
mal Z. „Anfangs habe ich den ausgelacht“,<br />
sagt Erdmann, „ich programmiere<br />
selbst und weiß, wie das Zeug arbeitet;<br />
aber er wird immer besser und<br />
genauer, je mehr man ihn nutzt.“ Gefällt<br />
ihm ein Lied, speichert Erdmann<br />
es ab; er „besitzt“ es dann zwar nicht<br />
physisch, es liegt noch immer auf den<br />
Servern des Anbieters, irgendwo in<br />
der Datenwolke, der Cloud. Doch Erdmann<br />
kann es für zehn Euro im Monat<br />
nun so oft hören, wie er will, und alle<br />
24 Millionen restlichen Lieder im<br />
Bestand ebenso. „Auch offline“, sagt er,<br />
„unterwegs auf dem Handy oder so,<br />
dann verbrauche ich dabei nicht die<br />
teuren Datenkontingente meines<br />
Handyvertrags.“<br />
„Wir wollen potenziell jeden Menschen auf<br />
der Welt erreichen, der ein Smartphone<br />
besitzt“, sagt Page von Spotify, „genauer: 80<br />
Prozent davon, denn so hoch ist in fast jedem<br />
Kulturkreis der Anteil der Menschen,<br />
die regelmäßig Musik konsumieren.“ Nur<br />
zahlte bislang nur eine Minderheit dafür.<br />
„Der Musikkonsum selbst ging nie zurück“,<br />
sagt Zeh von der GfK, „aber die Monetarisierung<br />
durch Künstler und Rechteverwerter<br />
litt unter Pirate Bay oder Napster.“<br />
McQuivey von Forrester ist noch skeptisch,<br />
was das Potenzial der Kreativwirtschaft<br />
in den Schwellenländern betrifft: „In<br />
fast allen westlichen Ländern und in Japan<br />
geben die Menschen im Schnitt 65 Dollar<br />
pro Jahr für Musik aus; das Geld brauchen<br />
die meisten Bewohner Chinas, Indiens<br />
oder Brasiliens für wichtigere Dinge; außerdem<br />
wird in Teilen Asiens der Begriff<br />
,Copyright‘ als ,Recht zu kopieren‘ verstanden.“<br />
Doch es gibt andere Wege, Länder wie<br />
China zu erobern: „Als hilfreich haben sich<br />
Partnerschaften mit Telekomanbietern erwiesen“,<br />
sagt Verbandsmanagerin Boettner,<br />
„die Kunden bekommen Musik günstig<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 75<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
»<br />
als Teil ihres Datenpakets, Künstler und<br />
Labels bekommen Lizenzeinnahmen, der<br />
Telekomanbieter kann sich mit Inhalten<br />
von Konkurrenten abgrenzen.“<br />
In Ländern wie Mexiko, Brasilien oder<br />
Thailand hat die Musikindustrie bereits<br />
zahlreiche Deals mit Handynetzbetreibern<br />
geschlossen. Labels wie Universal (4,9 Milliarden<br />
Euro Jahresumsatz, gehört zum Vivendi-Konzern)<br />
haben mit chinesischen<br />
Künstlern erste Verträge unterzeichnet;<br />
Verwertungsverträge mit lokalen Internetund<br />
Handynetzbetreibern wie China Mobile<br />
oder Baidu sind gemacht.<br />
„Auch chinesische Politiker erkennen,<br />
dass mit medialen Inhalten Umsätze und<br />
damit Steuereinnahmen winken, ihre Einstellung<br />
zum Urheberrecht verändert sich<br />
gerade“, sagt Gorny.<br />
SCHNELL CLAIMS ABSTECKEN<br />
Auch Risikokapitalisten und Finanzinvestoren<br />
gehen offensichtlich davon aus, dass<br />
hier Geld zu holen ist: Etliche haben sich<br />
an Streaming-Diensten beteiligt. Zwar ist<br />
noch kaum einer der Musik-Streamer profitabel,<br />
aber „es geht den meisten Investoren<br />
zunächst nicht um das Erreichen der<br />
Gewinnschwelle“, sagt André Burchart <strong>vom</strong><br />
Risikokapitalgeber Capnamic in Köln. Im<br />
Moment herrsche „Landgrabbing“: Jeder<br />
Anbieter versucht, so viele Kunden wie<br />
möglich zu gewinnen. „Das macht auch<br />
Funke springt über Am Tag nach<br />
seinem Live-Auftritt wurde Ed Sheeran<br />
millionenfach gestreamt<br />
Sinn“, sagt Burchart, „denn das Internet<br />
lässt erfahrungsgemäß pro Geschäftsidee<br />
nur einen richtig groß werden.“<br />
Die Sieger des ersten Digitalbooms haben<br />
es vorgemacht. Ob bei Suchmaschinen<br />
(Google), E-Commerce (Amazon),<br />
Online-Auktionen (Ebay) oder sozialen<br />
Netzen (Facebook): Die einst hoffnungsvollen<br />
Zweiten wie Ricardo.de, StudiVZ,<br />
Alltheweb, MySpace blieben auf der Strecke.<br />
„Zwar wird im Musik- und TV-Streaming<br />
mehr als einer übrig bleiben; aber<br />
derjenige, der als Erster sein Geschäft global<br />
etabliert, hat einen entscheidenden<br />
Vorteil“, meint Peter Dreide, Gründer des<br />
auf IT spezialisierten Fondsanbieters TBF.<br />
Derzeit ist Spotify in der Poleposition.<br />
Die Schweden haben mit ihren zehn Millionen<br />
zahlenden Kunden etwa doppelt so<br />
viele wie die Nummer zwei, Deezer. Die<br />
kostenfreie Version, mit der man keine<br />
Musik offline auf dem Handy hören kann<br />
und Werbung über sich ergehen lassen<br />
muss, nutzen weitere 31 Millionen registrierte<br />
Kunden. Spotify, das bisher keine<br />
Umsatz- und Gewinnzahlen veröffentlicht,<br />
hat laut einem beteiligten Finanzinvestor<br />
2013 seinen Umsatz aus Abos und Werbung<br />
grob auf eine Milliarde Euro verdoppelt,<br />
aber noch Verluste „in erheblichem<br />
Umfang“ geschrieben. 2012 fielen bei 435<br />
Millionen Euro Umsatz 59 Millionen Euro<br />
Verlust an. „Der Fokus liegt auf globaler Expansion,<br />
noch nicht auf Profitabilität“, sagt<br />
der Insider. Spotify will seinen Service in<br />
diesem Jahr in 18 weiteren Ländern starten,<br />
darunter in Japan, nach den USA<br />
zweitgrößter Musikmarkt; derzeit sind es<br />
56. Die drei Majorlabels Warner, Sony und<br />
Universal haben sich an Spotify beteiligt,<br />
auch Goldman Sachs, Fidelity und Coca-<br />
Cola sowie Multimilliardär Li Ka-Shing.<br />
Es gibt überraschende Profiteure<br />
des Booms. Zu ihnen gehört<br />
Peter Grundig. Seine Firma Greatech<br />
betreibt der 58-Jährige in einem unscheinbaren<br />
Wohnhaus in Mülheim/<br />
Ruhr; dort baut er mit einer Handvoll<br />
Mitarbeitern Funksysteme zusammen.<br />
„Alles made in Germany“, sagt Grundig,<br />
der mit der fränkischen Elektronik-Dynastie<br />
weitläufig verwandt ist,<br />
„sogar die Gehäuse.“ Die kleinen<br />
schwarzen Kästchen – so groß wie eine<br />
Zigarettenschachtel – kommen an die<br />
Stereoanlage oder an aktive Lautsprecherboxen,<br />
ein kleiner Sender in den<br />
USB-Anschluss von Laptop, PC oder<br />
iPad – fertig ist die drahtlose Verbindung<br />
von der neuen Welt des Web-<br />
Streamings auf die alte der Hi-Fi-Anlage.<br />
Grundig rüstet Profis wie DJs aus.<br />
Auf Privatkunden, die mit den Audiofly<br />
genannten Kästchen ihr Spotifyoder<br />
Deezer-Abo in guter Qualität auf<br />
die Stereoanlage übertragen wollen,<br />
war er gar nicht eingestellt, derzeit<br />
kann er die Nachfrage kaum befriedigen.<br />
„Normalerweise verkaufe ich<br />
knapp 1000 Stück im Jahr; jetzt kommen<br />
fast jeden Tag Anfragen für ein<br />
paar Dutzend rein.“ Sein Sohn sei<br />
gerade in Saudi-Arabien, sagt er, „für<br />
die Saudis machen wir die Gehäuse<br />
vielleicht golden statt schwarz, aber<br />
der Klang überzeugt auch die“.<br />
ÜBERNAHMEKANDIDATEN<br />
Fast jede Woche wird irgendwo auf der<br />
Welt ein neuer Musik- oder Film-Streamer<br />
gegründet. „Klar ist, dass nicht alle überleben<br />
werden“, sagt Burchart von Capnamic,<br />
der für seine Kunden – Vermögensverwaltungen<br />
reicher Familien, Verlage und Stiftungen<br />
– auch in Streaming-Dienste investiert,<br />
darunter in den Spotify-Konkurrenten<br />
Simfy und Video-Streamer Moving<br />
Image 24. Burchart erwartet „Übernahmen<br />
und Börsengänge“ in dem noch jungen<br />
Geschäft. US-Musik-Marktführer Pandora<br />
ging im Januar 2011 an die Börse, ist dort<br />
knapp vier Milliarden Dollar wert. In den<br />
FOTOS: PICTURE PRESS/CAMERA PRESS/LISA FERGUSON/TSPL, DPA PICTURE-ALLIANCE/TIM BRAKEMEIER<br />
76 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
vergangenen Tagen gab es Übernahmegerüchte:<br />
Ein großes Internet-Unternehmen<br />
wie Yahoo oder Google interessiere<br />
sich für den Streamer, heißt es.<br />
Auch die Berliner Soundcloud sowie<br />
Deezer aus Paris gelten als heiße Kandidaten<br />
für einen Aufkauf oder einen Börsengang.<br />
Spotify wird von Investmentbankern<br />
auf bis zu elf Milliarden Dollar Börsenwert<br />
geschätzt. Google soll Ende 2013 versucht<br />
haben, die Schweden zu kaufen, scheiterte<br />
aber. Twitter soll einen Kauf von Soundcloud<br />
erwogen haben.<br />
Spotify hat seit 2005 in sieben Finanzierungsrunden<br />
insgesamt 538 Millionen<br />
Dollar Investorengelder eingesammelt.<br />
„Das schreit alles nach Börsengang“, sagt<br />
Viva-Gründer Gorny. Oder nach einem<br />
großen Verkauf: Womöglich kauft Facebook<br />
die Schweden. Schon jetzt arbeiten<br />
die beiden Unternehmen intensiv zusammen:<br />
Kunden können sich über Facebook<br />
bei Spotify einloggen und dann die Playlisten<br />
und Aktivitäten anderer Spotify-Nutzer<br />
mit Facebook-Account nachverfolgen. „Für<br />
Facebook wäre Musik-Streaming ein interessanter<br />
Inhalt“, sagt ein Investor.<br />
WER VERDIENT DAS GROSSE GELD?<br />
Noch sind reinrassige Musik-Streaming-<br />
Dienste an der Börse selten: Anleger haben<br />
die Wahl zwischen Pandora und Sirius XM.<br />
Oder sie können via RealNetworks in<br />
Rhapsody investieren, das in Europa und<br />
Asien Napster heißt, nicht zu verwechseln<br />
mit der ersten Napster, deren Piraterie-Seite<br />
die Gerichte 2001 schlossen. Real Networks<br />
gehören nach der Ausgliederung<br />
von Napster noch knapp 50 Prozent der<br />
Rhapsody-Anteile.<br />
Im Bild-Streaming ist Netflix aus den USA<br />
Marktführer, bietet Filme, TV-Shows und<br />
zahlreiche populäre Serien wie „House of<br />
Cards“ oder „Breaking Bad“. Laut Umfrage<br />
des Marktforschers Harris ist der TV- und<br />
Film-Streamer bei den 18- bis 36-Jährigen<br />
in den USA schon genauso weit verbreitet<br />
wie Kabelfernsehen, hat das Satelliten-TV<br />
überholt. In wenigen Wochen geht der<br />
Streaming-Dienst in Deutschland an den<br />
Start. Die größten Konkurrenten sind Hulu,<br />
ein Joint Venture von Kabelanbieter Comcast,<br />
21st Century Fox und Disney, sowie<br />
Amazons „Prime TV“. Netflix meldet eindrucksvolle<br />
Wachstumszahlen, wird an der<br />
Börse aber sportlich bewertet: Für 4,4 Milliarden<br />
Dollar Umsatz (2013) bezahlen Anleger<br />
knapp 27 Milliarden Dollar ; das Kurs-<br />
Gewinn-Verhältnis liegt bei 115, gemessen<br />
an den Schätzungen für das laufende Jahr.<br />
Viele Kanäle<br />
Verbandschef,<br />
Ex-TV-Boss und<br />
FH-Prof Gorny<br />
»Auch TV-Sender<br />
werden in 15 Jahren<br />
nicht wiederzuerkennen<br />
sein«<br />
Viva-Gründer Gorny<br />
Wahrscheinlich ist es langfristig gar nicht<br />
mal die beste Idee, auf die Pure-Plays zu<br />
setzen. „Das Geschäftsmodell der reinrassigen<br />
Streamer funktioniert zwar, sobald<br />
sich mehr Leute dafür gewinnen lassen,<br />
und da sieht es sehr gut aus“, sagt Investor<br />
Dreide, „aber die Frage ist, wer am Ende<br />
das große Geld verdienen wird.“ Auffällig<br />
drängen in den letzten Wochen die Web-<br />
Giganten Apple, Google und Amazon in<br />
das Streaming-Geschäft. Apple kaufte für<br />
drei Milliarden Dollar den kleinen Anbieter<br />
Beats, besser bekannt durch seine<br />
Kopfhörer. Google übernahm den Musik-<br />
Streamer Songza und hat mit YouTube 90<br />
Prozent Marktanteil bei Internet-Videos,<br />
die auf dem PC, Tablet oder Handy geschaut<br />
werden. Amazon bietet seit Kurzem<br />
Musik-Streaming für seine „Prime“-Kunden;<br />
Yahoo macht sich einen Namen beim<br />
Streamen exklusiver Live-Konzerte.<br />
„Apple will die Kunden für seine Hardware,<br />
wie iPad und iPhone, über Inhalte an<br />
sich binden“, sagt Analyst McQuivey. Dazu<br />
gehören Musik, TV, Film. Wer etwa sein<br />
iPhone durch ein Konkurrenzmodell ersetzt,<br />
kann weder seine Musiksammlung,<br />
noch seine Filme und Apps weiter nutzen.<br />
Zusätzlich wollen die Web-Giganten<br />
über Musik- und TV-Kunden an die großen<br />
Werbebudgets: 2014 werden global laut<br />
Marktforscher Wilkofsky Gruen rund 509<br />
Milliarden US-Dollar für Werbung ausgegeben,<br />
der größte Teil davon für TV-Clips<br />
(204 Milliarden Dollar); doch rein digitale<br />
Werbeformate haben Radio und Print<br />
schon überholt, „sie werden in den kommenden<br />
Jahren am schnellsten wachsen“,<br />
sagt McKinsey-Director Bird.<br />
„Schon in zehn Jahren wird der Großteil<br />
der Werbebudgets an Internet-Plattformen<br />
wie YouTube, Google oder Facebook gehen“,<br />
sagt Franz Blach, Direktor beim<br />
Trendforscher Ideo. „Der Vorteil aus Sicht<br />
der Werbetreibenden ist, dass Apple,<br />
Mit dem Stream schwimmen<br />
Mit welchen Aktien Anleger in den digitalen Medienboom investieren können<br />
Aktie/Branche/Land<br />
ISIN<br />
Amazon/Versandhandel, Medien/USA US0231351067 244,41 112,9 60,3 7/6<br />
Nutzt seine Macht gegenüber Verlagen, Labels und TV-Produzenten zunehmend aus, noch schwach beim Gewinn<br />
Google/Internet, Medien/USA<br />
US38259P5089 438,44 291,9 46,5 7/6<br />
Verdient bereits blendend an Internet-Werbung; digitale Musik und Filme werden noch mehr Werbegeld bringen<br />
Netflix/Film- und TV-Streaming/USA US64110L1061 336,87 20,3 3,6 8/8<br />
Aktie sehr teuer, langfristig Konkurrenz durch Apple, Google und Amazon; hat aber bisher Kritiker stets widerlegt<br />
Pandora/Musik-Streaming, Web-Radio/USA DK0060252690 56,62 4,3 0,5 8/7<br />
Probleme mit dem Gewinnwachstum, weil ein Gutteil des Umsatzes an Labels geht; dafür Übernahmefantasie<br />
Real Networks/Software, Musik-Streaming/USA US75605L7082 5,73 0,2 0,2 8/7<br />
Über Rhapsody am wachsenden Streaming-Dienst Napster 2.0 beteiligt; führend bei Video-Streaming-Software<br />
Sony/Hardware, Musik/Japan<br />
JP3435000009 13,28 13,8 57,4 7/6<br />
Hedgefonds fordern Abtrennung des Musikgeschäfts von der Elektronik, also Kursfantasie durch Zerschlagung<br />
Vivendi-Universal/Musik, TV, Telekommunik./FR FR0000127771 19,18 25,9 19,4 7/6<br />
Hat früh in neue digitale Formate investiert; profitabler Marktführer, aktiv auch in wachsenden Schwellenländern<br />
1 = in Euro, 14.8.2014; 2 in Milliarden Euro; 3 WirtschaftsWoche-Einschätzung für die kommenden Jahre,<br />
1 = sehr gering, 10 = sehr hoch; Quelle: Bloomberg, Unternehmensangaben, eigene Recherchen<br />
Kurs 1<br />
Börsenwert<br />
2<br />
Umsatz 2<br />
2014<br />
Chance/<br />
Risiko 3<br />
Apple/Hardware, Software, Medien/USA US0378331005 72,70 435,3 131,3 7/5<br />
Über iTunes schon jetzt wichtiger Distributor von Medien; neue Modelle (iPhone 6) werden Schub bringen<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 77<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
»<br />
Google, Amazon und Spotify, weil sie<br />
Kunden aktiv in den Auswahlprozess der<br />
Inhalte einbinden, viel mehr werberelevante<br />
Daten sammeln können als TV-Sender<br />
oder Printverlage “, sagt Blach.<br />
„Die traditionellen Anbieter haben es<br />
versäumt, konkurrenzfähige Gegenangebote<br />
aufzubauen“, sagt Bird von McKinsey.<br />
Wer will schon eine halbe Million für eine<br />
Kampagne ausgeben, bei der man nicht<br />
weiß, wen man erreicht, wenn Google oder<br />
Apple genau das haarklein darlegen?<br />
Google hat über YouTube 90 Prozent<br />
Marktanteil beim Video-Streaming, de<br />
facto ein Monopol, werbefinanziert und<br />
deshalb gratis. Noch finden sich dort vor<br />
allem kurze Schnipsel und Amateurvideos,<br />
die von Nutzern lizenzfrei hochgeladen<br />
werden. Google wird seinen populären<br />
Web-Streaming-Kanal aber zum interaktiven<br />
Musik- und TV-Sender ausbauen,<br />
schließt bereits Lizenzverträge mit professionellen<br />
Anbietern. Dabei nutzt Google<br />
seine Marktmacht.<br />
Nachdem es sich mit den drei großen<br />
Musiklabels geeinigt hatte, setzte es die<br />
restlichen (rund 800 kleineren) unter<br />
Druck: Wer die Bedingungen nicht annimmt,<br />
dem droht Google mit der Löschung<br />
seiner Inhalte auf YouTube. „Das<br />
zeigt die Richtung“, sagt McQuivey, „Google<br />
und Amazon brauchen die Inhalte gar<br />
nicht selbst zu besitzen; es genügt, die<br />
Schnittstelle zum Konsumenten zu beherrschen,<br />
um den Inhalte-Anbietern die Bedingungen<br />
zu diktieren.“<br />
Fondsmanager Dreide geht noch weiter:<br />
„Wer die Schnittstelle zum Nutzer hat, sei<br />
Zugpferde<br />
Serien wie<br />
„Breaking Bad“<br />
locken Millionen<br />
TV-Zuschauer<br />
ins Netz<br />
Geht der Plan der<br />
Musikbranche auf,<br />
werden andere<br />
Medien ihr folgen<br />
es iPhone, Google-TV oder Amazons Kindle<br />
für Bücher, der kann dort früher oder<br />
später eine Art Inhalte-Maut erheben, einen<br />
Teil der Einnahmen für das Bereitstellen<br />
der Infrastruktur verlangen.“<br />
Zusätzlich geht es um Daten, die sich gewinnbringend<br />
verkaufen lassen. Wer alle<br />
interaktiven Möglichkeiten etwa von Amazon,<br />
YouTube oder Spotify nutzt, hinterlässt<br />
dabei eine Fülle von interessanten<br />
Daten für die Werbeindustrie: Wer hört<br />
wann welche Musik? Wer folgt wessen<br />
Listen? Spotify erforscht zusammen mit<br />
Universitäten, welche Musik bestimmte<br />
Stimmungen verstärkt. Werbeagenturen<br />
sind begeistert.<br />
Sollte das globale Experiment der Musikbranche<br />
mit All-inclusive-Abos erfolgreich<br />
sein, „werden andere Medien folgen“,<br />
meint Bird von McKinsey. Schon heute<br />
nutzen 40 Millionen Deutsche Video-<br />
Streaming im Netz, meist gucken sie dabei<br />
YouTube-Videos oder TV über Anbieter<br />
wie Zattoo auf dem PC. Auch die Sender<br />
selbst, von ARD bis RTL, streamen einen<br />
Teil ihres TV-Programms im Netz. „Aber<br />
das ist nicht die Zukunft“, sagt Investor Burchart,<br />
„die gehört nicht dem Konsum des<br />
normalen TV-Programms am PC, sondern<br />
den voll individualisierbaren, interaktiven<br />
TV-Abos, die TV-Serien und Filme in unbegrenzter<br />
Vielfalt anbieten – analog zu<br />
Spotify oder Simfy bei der Musik.“<br />
McQuivey sieht das ähnlich: „Sie sind<br />
kundenfreundlicher“, sagt der Marktforscher,<br />
„man kann seine Lieblingsserie<br />
schauen, wenn man Zeit und Lust hat,<br />
nicht, wenn Fox oder CBS sie zufällig senden.<br />
Wer die Auswahl und Individualität<br />
von TV-Streaming kennt, geht nicht zurück<br />
zum normalen TV-Programm.“<br />
TV NUR NOCH ÜBER DAS NETZ<br />
Der Bezahlsender Sky feiert bereits Erfolge<br />
mit seinem On-Demand-Angebot Sky-Go:<br />
Die Serie „Game of Thrones“ wurde allein<br />
von April bis Juni in Deutschland 2,3 Millionen<br />
Mal von zahlenden Kunden abgerufen.<br />
Vor allem junge TV-Zuschauer ließen<br />
sich „kaum noch mit einem vorgefertigten,<br />
alternativlosen Programm abspeisen“, sagt<br />
Viva-Gründer Gorny, der heute Medienwissenschaft<br />
an der FH Düsseldorf lehrt.<br />
Frage er Studenten, wer Musik und TV im<br />
Netz nutze, „zeigen alle auf; frage ich nach<br />
herkömmlichem TV, ist es noch die Hälfte,<br />
bei Zeitungen geht die Quote gegen null“.<br />
TV-Angebote im Internet werden heute<br />
noch hauptsächlich in den USA genutzt,<br />
wo es dank der weiten Verbreitung des Kabel-TV<br />
ein bandweitenstarkes Netz gibt.<br />
Marktführer Netflix startet im September in<br />
Deutschland. Die Konkurrenten Hulu und<br />
WatchEver, eine Tochter von Vivendi-Universal,<br />
wachsen schnell. Auch Amazon<br />
mischt schon mit: Über Amazon Prime<br />
können Kunden Filme downloaden und<br />
elektronische Bücher leihen – für nur 100<br />
Dollar pro Jahr.<br />
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die<br />
neue Art des Fernsehens im Rest der Welt<br />
durchsetzt. „Die TV-Branche wird überrollt,<br />
sobald ein schnelles, mobiles Netz<br />
flächendeckend verfügbar ist“, meint<br />
Fondsmanager Dreide. Neue Geräte –<br />
UltraHD oder 4K genannt – werden leichter<br />
sein und ein noch besseres Bild haben<br />
als die heutigen HD-Flachbildfernseher.<br />
„Sie werden Spielkonsole, TV, Radio, Computer<br />
und Musikanlage in einem sein“, sagt<br />
Dreide. Für den Investor ist klar: „Es wird<br />
Platz geben für Netflix und Spotify, aber die<br />
besten Karten haben die Großen, die alles<br />
aus einer Hand anbieten: Filme, TV-Serien,<br />
Musik und Bücher.“<br />
Soll heißen: Amazon, Google und Apple. n<br />
stefan.hajek@wiwo.de<br />
78 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: ALLSTARPICTURE LIBRARY/SONY PICTURES TELEVISION, DPA PICTURE-ALLIANCE/ANDREAS ARNOLD<br />
»Mindestens 100%«<br />
BÖRSEN-GURU | Staatsanwälte ermitteln weiter gegen Markus Frick.<br />
Er könnte Kurse getrieben und dafür Werbegelder kassiert haben.<br />
Unter 500 000 Euro ging gar nichts:<br />
Wer einen Termin mit ihm wolle,<br />
müsse mindestens diese Summe<br />
für Auftritte auf seinen Anlegerseminaren<br />
hinblättern, das sei „Minimum“.<br />
So soll der Ex-TV-Moderator Markus Frick<br />
vor einem Kompagnon geprahlt haben, erinnert<br />
sich dieser.<br />
Frick, wegen Marktmanipulation verurteilt,<br />
denkt in großen Summen – nicht nur<br />
an der Börse, sondern auch auf von ihm<br />
initiierten Anlegerseminaren. Offiziell verdient<br />
die Berliner Frick-Firma ISP Finanz<br />
ihr Geld mit der Marke „MoneyMoney“. Zu<br />
der gehören neben einem Börsenbrief<br />
auch eine Internet-Seite und eine Börsen-<br />
TV-Sendung im Netz.<br />
In den vergangenen Jahren stellte ISP<br />
Kunden Millionen Euro für Werbebanner<br />
und Auftritte auf Anlegerseminaren in<br />
Rechnung. Allein von 2010 bis 2012 verbuchte<br />
ISP knapp 13 Millionen Euro für<br />
Bannerwerbung – das Werbegeschäft<br />
machte mit rund 68 Prozent das Gros der<br />
Erlöse aus, die Einnahmen aus dem<br />
Flaggschiff, dem Börsenbrief „Money-<br />
Money“, lagen bei drei Millionen Euro.<br />
AUFFÄLLIG HOHE WERBEERLÖSE<br />
Tatsächlich hat ISP auch Werbebanner verbreitet.<br />
Nur die Einnahmen daraus scheinen<br />
viel zu hoch. Zum Vergleich: Internet-<br />
Marktführer „Spiegel Online“ soll 2011 laut<br />
einem Bericht der Wochenzeitung „Die<br />
Zeit“ 30 Millionen Euro mit Werbung umgesetzt<br />
haben. Der Verdacht: Ein Teil des<br />
von ISP kassierten Werbegelds dürfte für<br />
andere Leistungen geflossen sein.<br />
Unterlagen legen den Verdacht nahe,<br />
dass ISP im Auftrag von Hintermännern für<br />
Aktien getrommelt und dafür Rechnungen<br />
für Anlegerseminare oder Werbebanner in<br />
ISP-Medien geschrieben hat. Ein Ex-Partner<br />
von Frick selbst sagt, ihm sei klar geworden,<br />
dass die Gelder dazu gedacht waren,<br />
um für das Pushen von Aktienkursen<br />
zu bezahlen. Weder Frick noch ISP haben<br />
Fragen der WirtschaftsWoche bis zum Redaktionsschluss<br />
beantwortet.<br />
Auffällig ist etwa der Fall der Aktie des<br />
heute insolventen Finanzmaklers Univerma.<br />
Die Aktie wurde massiv im Börsendienst<br />
„das-musterdepot“ empfohlen. Offiziell<br />
verantwortete ein gewisser Stefan Zapf<br />
„das-musterdepot“ redaktionell. Insidern<br />
zufolge war Zapf ein Pseudonym von Frick.<br />
Dokumente und die Aussagen von Insidern<br />
deuten darauf hin, dass Univerma-<br />
Großaktionäre dafür gezahlt haben könnten,<br />
dass Frick Leser zum Kauf der Aktie<br />
animierte. Die Univerma-Eigner hätten<br />
dann ihre eigenen Papiere an die Frick-Leser<br />
abstoßen können.<br />
Top-Aktienwerber Frick, verurteilt wegen<br />
Marktmanipulation, zieht vor den BGH<br />
Böse Überraschung<br />
Die Werbung für die Univerma-Aktie endete<br />
gegen Weihnachten 2010 (Kurs in Euro)<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
2010 2011<br />
70<br />
50<br />
30<br />
10<br />
2<br />
Der Fall Univerma könnte damit das<br />
nächste Kapitel im Frick-Skandal werden,<br />
nach dem Strafprozess, in dem das Landgericht<br />
Frankfurt ihn im Februar wegen<br />
Marktmanipulation zu 31 Monaten Haft<br />
verurteilt hat. Das Urteil ist nicht rechtskräftig,<br />
Frick hat Revision eingelegt. Der<br />
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof<br />
bestätigte den Eingang der Akten.<br />
Ungeachtet dessen ermitteln die Staatsanwälte<br />
in Frankfurt nun in Sachen Univerma<br />
wegen Marktmanipulation. Die Behörde<br />
bestätigt Ermittlungen. Sie würden<br />
„noch längere Zeit in Anspruch nehmen“.<br />
Univerma war 2010 in Wien an die Börse<br />
gegangen, zum Mondpreis von 60 Euro je<br />
Aktie. Die Gründer, Großaktionäre und<br />
Vorstände Fabian Voß und Kai Hoffmann<br />
hatten sich verpflichtet, den Großteil der<br />
eigenen Papiere erst ab 2012 zu verkaufen.<br />
So weit die offizielle Version.<br />
Die hinter der Fassade geht so: „dasmusterdepot“<br />
trommelte 2010 für die<br />
„Kursrakete Univerma“. Die Aktie sollte zur<br />
Weihnachtszeit in das „1. Million Depot“<br />
des Dienstes aufgenommen werden. Die<br />
Macher <strong>vom</strong> Musterdepot hielten Univerma<br />
für einen „Eilkauf“. Viele Medien hätten<br />
berichtet, das Handelsvolumen sei enorm<br />
gestiegen. Wer die Aktie kauft, schienen die<br />
Macher hellsehen zu können, sollte „mindestens<br />
100 % Gewinn“ machen.<br />
DAS-MUSTERDEPOT VON FRICK<br />
Hinter „das-musterdepot“ soll Frick gestanden<br />
haben, der damals Geschäftsführer<br />
der ISP Finanz war. Alleiniger Gesellschafter<br />
der ISP war mindestens bis Sommer<br />
2012 Fricks Vater Walter Frick. Der Senior<br />
hatte Sohn Markus bis Mitte 2012 zum<br />
Geschäftsführer bestellt. Frick senior äußerte<br />
sich auf Anfrage nicht zu dem Fall.<br />
Wenige Tage nach der Empfehlung, als<br />
der Univerma-Kurs abgestürzt war, schrieb<br />
Stefan Zapf im typischen Frick-Stil seinen<br />
Lesern, er sei „schockiert“, irgendwie liege<br />
der Absturz wohl an den Weihnachtsfeiertagen.<br />
Der wahre Grund aber dürften Verkäufe<br />
gewesen sein, die nach der Propaganda<br />
für die Aktie einsetzten.<br />
Das Schema ist erprobt: Börsenbrief-<br />
Macher legen Anlegern Aktien ans Herz.<br />
Greifen die zu, laden Hintermänner Aktien<br />
bei Lesern ab. Endet das redaktionelle<br />
Trommelfeuer, stürzen die Kurse ab.<br />
ISP stellte an mit den Univerma-Gründern<br />
verbundene Unternehmen Rechnungen<br />
über mindestens 1,5 Millionen Euro<br />
aus. Empfehlungen und Geldflüsse gingen<br />
Hand in Hand: So schickte ISP vor der<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 79<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
»<br />
Empfehlung in „das-musterdepot“ mehrere<br />
Rechnungen an die Fabian Voß Vermögensverwaltung<br />
und die Univerma Vertriebspartner<br />
AG. Die erste Firma gehört<br />
Univerma-Gründer Voß, die zweite Voß<br />
und Co-Gründer Hoffmann gemeinsam.<br />
Mehrfach gingen bei ISP Ende 2010 Gelder<br />
von Voß und Univerma Vertriebspartner<br />
ein, insgesamt über 1,8 Millionen Euro<br />
– mehr noch als die 1,5 Millionen aus den<br />
von ISP ausgestellten Rechnungen. So sollte<br />
Voß laut Rechnung <strong>vom</strong> 20. Dezember<br />
2010 stolze 595 000 Euro zahlen. Gegenleistung:<br />
ein Werbebanner bei „MoneyMoney<br />
TV“ sowie „Exklusiv-Zeit-Slots“ à 150 000<br />
Euro auf drei „MoneyMoney“-Börsenseminaren,<br />
die ISP Wochen später veranstalten<br />
wollte. Viel Geld, gemessen daran,<br />
dass auf den Seminaren maximal wenige<br />
Hundert Leute auftauchen. Weder Voß<br />
Noch schnell unters<br />
Dach gerettet<br />
FINANZVERMITTLER | Bevor Berater auf Kunden losgelassen werden,<br />
müssen sie beweisen, dass sie qualifiziert sind. Das ist Gesetz.<br />
Die Bank für Vermögen interpretiert dies, nun ja, sehr eigenwillig.<br />
Der Guru-Neuling<br />
nennt sich<br />
jetzt Jan Pahl<br />
noch Hoffmann waren erreichbar, Anrufe<br />
und E-Mails blieben unbeantwortet.<br />
Nach Informationen der Wirtschafts-<br />
Woche bezichtigt die Aufsicht BaFin<br />
mehrere Personen, durch Verkäufe von<br />
Univerma-Aktien innerhalb weniger Tage<br />
Millionengewinne erzielt zu haben. Verdächtige<br />
hätten Empfehlungen für die<br />
Aktie durch Zapf veröffentlichen lassen.<br />
Univerma-Gründer Hoffmann soll über<br />
mehrere Depots Käufe und Verkäufe veranlasst<br />
haben, die gegeneinander ausgeführt<br />
worden seien. So könnte suggeriert<br />
worden sein, dass die Aktie liquide gehandelt<br />
wurde. Die BaFin bestätigt, sie habe<br />
2011 im Fall Univerma bei der Staatsanwaltschaft<br />
Frankfurt Anzeige wegen möglicher<br />
Marktmanipulation erstattet.<br />
Selbst Frick sollen Zweifel gekommen<br />
sein. Einem Vertrauten soll er gebeichtet<br />
haben, dass er einmal Geld, das die Univerma-Leute<br />
an ISP gezahlt hatten, zurücküberwiesen<br />
habe. Er habe Angst gehabt,<br />
dass der Zusammenhang mit den Empfehlungen<br />
aufgedeckt werden könnte.<br />
ISP macht auch heute, nach dem Ausscheiden<br />
Fricks, mit Anlegerseminaren<br />
weiter. Der neue Guru heißt Jan Pahl. Doch<br />
auch dieser Name ist ein Pseudonym. n<br />
annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt<br />
Ralf Berndt, Vorstand der Stuttgarter<br />
Versicherung, liegt das Wohl der<br />
Verbraucher am Herzen. Anlageberater,<br />
die nicht ausreichend qualifiziert seien,<br />
sagte er bei einer Podiumsdiskussion in<br />
Leipzig, müssten „aus der Branche gedrückt<br />
werden“. Richtig. Berndt will die<br />
Forderung aber offenbar nur auf Wettbewerber<br />
angewandt wissen: Denn für den<br />
Finanzdienstleister BCA, an dem die Stuttgarter<br />
Versicherung beteiligt ist und bei<br />
dem Berndt im Aufsichtsrat sitzt,<br />
sind möglicherweise Berater tätig, die<br />
nicht über die gesetzlich vorgeschriebene<br />
Qualifikation verfügen.<br />
Ein Fall für die Finanzaufsicht BaFin.<br />
An BCA sind neben der Stuttgarter auch<br />
die Barmenia, die Signal Iduna, der Volkswohl<br />
Bund und die Ideal Lebensversicherung<br />
beteiligt. Zum Konzern gehören mehrere<br />
Gesellschaften, die Dienstleistungen<br />
für Makler und Anlageberater anbieten.<br />
Makler sind selbstständige Berater, die<br />
Kunden, anders als etwa Versicherungsvertreter,<br />
Produkte verschiedener Anbieter<br />
Kein Vertrauensvorschuss Kunden sollten<br />
fragen, welche Ausbildung ihr Berater hat<br />
verkaufen können. Der BCA-Konzern ist<br />
mit 10 000 Beratern und einem Vertriebserlös<br />
um die 50 Millionen Euro eine der größten<br />
Finanzmaklerorganisationen („Maklerpool“)<br />
hierzulande.<br />
MEHR BERATER, MEHR GELD<br />
Den Versicherern Kopfschmerzen bereiten<br />
könnte die Bank für Vermögen (BfV) – eine<br />
Wertpapierhandelsbank, der sich Anlageberater<br />
anschließen können. Sie treten<br />
ihren Kunden gegenüber wie Bankangestellte<br />
auf und vertreiben deren Produkte.<br />
Formal bleiben sie aber selbstständig. Im<br />
Gegenzug haftet die Bank für sie – die Berater<br />
gehen unter das „Haftungsdach“ der<br />
Bank, wie es im Fachjargon heißt.<br />
Seit November 2012 müssen Berater jedoch<br />
nachweisen, dass sie Fachwissen haben,<br />
bevor sie auf Kunden losgelassen werden.<br />
Das macht es schwieriger, neue Produktverkäufer<br />
zu finden. Die Anforderun-<br />
FOTO: UNITED ARCHIVES; DMITRI BROIDO [M]<br />
80 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
gen könnten „von etlichen Bewerbern<br />
nicht erfüllt werden“, sagt Sebastian Grabmaier,<br />
Vorstand des Finanzvertriebs Jung,<br />
DMS&Cie.<br />
Als qualifiziert gelten Anlageberater nur<br />
noch, wenn sie eine IHK-Prüfung bestanden<br />
oder eine Ausbildung, etwa als<br />
Bankkaufmann, absolviert haben. Ein<br />
gleichwertiger Uni-Abschluss tut es auch.<br />
Zudem kann die Sachkunde „in anderer<br />
geeigneter Weise“ nachgewiesen werden.<br />
Dieser Gummiparagraf sollte laut Nero<br />
Knapp, Geschäftsführer des Verbands unabhängiger<br />
Vermögensverwalter, allerdings<br />
nur ausnahmsweise angewendet<br />
werden – und diese Ausnahmen müssten<br />
gut begründet werden.<br />
KEIN PLATZ MEHR FÜR AMATEURE<br />
Ausgenommen sind auch „alte Hasen“ –<br />
Berater, die bis spätestens Mai 2013 nachgewiesen<br />
hatten, dass sie über sechs Jahre<br />
ununterbrochen in der Anlageberatung für<br />
ein von der BaFin reguliertes Unternehmen<br />
tätig waren. Berufserfahrung zählt also<br />
nur, wenn diese in einem überwachten<br />
Institut gesammelt wurde. Ahnungslose<br />
Vermittler sollten so aus dem Markt gespült<br />
werden – ganz so, wie Stuttgarter-Vorstand<br />
Berndt es sich wünscht.<br />
Nur interessiert das die Bank für Vermögen<br />
offenbar nicht. Ein BfV-Sprecher beteuert<br />
zwar, die Berater der Bank wären<br />
ausreichend qualifiziert. Doch was qualifiziert<br />
ist, definiert die BfV recht eigenwillig:<br />
Qualifikation werde etwa „in anderer geeigneter<br />
Art und Weise“ durch die bisherige<br />
Anbindung an einen Maklerpool nachgewiesen,<br />
so die Bank.<br />
Dumm nur, dass Maklerpools normalerweise<br />
nicht von der BaFin reguliert werden.<br />
„Die mehrjährige Tätigkeit für einen<br />
Maklerpool reicht nicht einmal, um die<br />
Ausnahmeregel für alte Hasen in Anspruch<br />
zu nehmen“, sagt Verbandsgeschäftsführer<br />
Knapp. „Dementsprechend absurd wäre<br />
es, wenn hierdurch nun die Sachkunde des<br />
Beraters nachgewiesen werden könnte.“<br />
Die BfV schafft sich offenbar ihre eigenen<br />
Regeln. So erklärt sie in einer Stellungnahme<br />
weiter, dass Vermittler entsprechend<br />
ihrer Qualifikation unterschiedlichen<br />
Haftungsdachstufen zugeordnet würden.<br />
In Stufe 1 dürfen sie etwa zu Riester-<br />
Verträgen beraten. In Stufe 2 kämen Investmentfonds<br />
hinzu. „Das dürfte den gesetzlichen<br />
Vorgaben kaum gerecht werden“,<br />
meint Knapp. „Es gebe im Wertpapierbereich<br />
grundsätzlich keine auf einzelne Produkte<br />
beschränkte Qualifikationsanforderung“,<br />
sagt er. Das Gesetz sieht vielmehr einen<br />
breit angelegten Ausbildungsstandard<br />
für Anlageberater vor. Punkt.<br />
Die BCA-Wettbewerber Jung, DMS und<br />
Netfonds erklärten denn auch, dass für alle<br />
ihre Berater dieselben Anforderungen an<br />
die Qualifikation gelten würden. Wie viele<br />
schlecht ausgebildete Berater im Namen<br />
der BfV ahnungslosen Kunden Finanzprodukte<br />
andrehen, lässt sich nicht überprüfen.<br />
Die BaFin führt zwar alle Vermittler<br />
von Finanzprodukten in einem Register.<br />
Welche Qualifikation diese haben, fragt die<br />
Behörde allerdings nicht ab. Dafür ist die<br />
Organisation verantwortlich, die für den<br />
Berater haftet – also etwa die BfV.<br />
„Lässt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen<br />
Berater für die Anlageberatung<br />
zu, die nicht über die gesetzlich vorgeschriebene<br />
Qualifikation verfügen, wäre<br />
»Nicht fähige<br />
Anlageberater<br />
müssen aus<br />
der Branche<br />
gedrückt werden«<br />
Ralf Berndt, Stuttgarter Versicherung<br />
das ein Verstoß gegen das Gesetz“, sagt eine<br />
Sprecherin der BaFin. Dieser könne von der<br />
Aufsicht geahndet werden – im schlimmsten<br />
Fall mit dem Entzug der Lizenz.<br />
Es besteht nicht nur der Verdacht, dass<br />
die BfV Anlageberater mit mangelhafter<br />
Qualifikation zulässt. Hinzu kommt, dass<br />
der BfV-Generalbevollmächtigte Jörg Strobel<br />
vor zwei Jahren in einem Artikel davor<br />
warnte, dass der 31. Oktober 2012 zum<br />
„Schicksalstag“ für Finanzvermittler werden<br />
könnte, die sich in Sachen Qualifizierung<br />
„nicht gerade auf dem Höchststand“<br />
befänden. Ihnen empfahl er bis Ende Oktober<br />
einen Anschluss an ein Haftungsdach<br />
„noch zu den derzeit gültigen Qualifikationsvoraussetzungen<br />
in Erwägung zu<br />
ziehen“. Wohlgemerkt: Im November 2012<br />
traten die neuen Berater-Regeln in Kraft.<br />
Bislang seien die Anforderungen der<br />
Haftungsdächer nicht allzu streng, lockte<br />
Strobel weiter. Künftig müssten aber auch<br />
sie sicherstellen, dass die bei ihnen untergekommenen<br />
Vermittler sachkundig seien.<br />
Die Botschaft an die Berater: Wer sich uns<br />
jetzt noch anschließt, entkommt den strengen<br />
Regeln des neuen Gesetzes. Wie Strobel<br />
zu dieser Einschätzung der Rechtslage<br />
kam, wollte die Bank nicht erklären.<br />
Sie ist auch falsch.<br />
Denn die Qualifikationsanforderungen<br />
galten ab November 2012 für alle Berater,<br />
unabhängig davon, wann sie einem Haftungsdach<br />
beigetreten sind. Grabmaier<br />
von Jung, DMS sagt, dass der Zeitpunkt des<br />
Beitritts eines Vermittlers keine Rolle spiele<br />
bei der Bewertung, ob er qualifiziert sei.<br />
Von Netfonds hieß es, sie forderten Nachweise<br />
zur Berufsqualifikation, wie sie heute<br />
das Gesetz fordert, bereits seit 2005.<br />
Doch der Trick der Bank funktionierte.<br />
Aktuell sind rund 400 Personen und<br />
Unternehmen, die auch mehrere Berater<br />
beschäftigen, der BfV angeschlossen. Davon<br />
sind rund 200 zum 31. Oktober 2012<br />
beigetreten.<br />
Zum Vergleich: Dem Haftungsdach von<br />
Jung, DMS trat im Oktober 2012 kein einziger<br />
Berater bei. Netfonds verzeichnete nur<br />
zwei Anmeldungen. Die Vermutung liegt<br />
nahe, dass ein Großteil der BfV-Neuzugänge<br />
sich gezielt der Bank angeschlossen hat,<br />
um weitermachen zu können – ohne Qualifikation<br />
und ohne alter Hase zu sein.<br />
Die Bank für Vermögen erklärt hierzu,<br />
ihr Zuwachs sei darauf zurückzuführen,<br />
dass Vermittler aus dem Maklerpool der<br />
BCA unter das BfV-Haftungsdacht gewechselt<br />
seien. „Dies geschah unter Einhaltung<br />
der gesetzlichen Vorgaben.“<br />
BEI VERLUST GELD ZURÜCK?<br />
Für Anleger, denen von schlecht ausgebildeten<br />
Vermittlern miese Finanzprodukte<br />
aufgedrückt wurden, tun sich ungeahnte<br />
Möglichkeiten auf:<br />
Verkaufe eine Bank Produkte, ohne dass<br />
sie die erforderliche Lizenz besitzt, sagt der<br />
Kapitalmarktrechtler Klaus Rotter, „ist der<br />
Kunde gemäß der geltenden Rechtsprechung<br />
so zu stellen, als habe er das Geschäft<br />
nie abgeschlossen“. Er bekommt also<br />
sein Geld zuzüglich entgangener Zinsen<br />
einer geeigneten Alternativanlage zurück.<br />
„Diese Rechtsprechung dürfte auch für<br />
Anleger gelten, die von einem Vermittler<br />
beraten wurden, der diese Tätigkeit nicht<br />
hätte ausüben dürfen“, sagt Rotter.<br />
Jedes schlecht laufende Produkt und jeder<br />
unzufriedene Kunde würde damit für<br />
die BfV zu einem finanziellen Risiko. Ralf<br />
Berndt muss nun handeln. Nicht nur zum<br />
Wohl der Verbraucher, sondern auch zum<br />
Wohl der Bank.<br />
n<br />
melanie.bergermann@wiwo.de | Frankfurt<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 81<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Steuern und Recht<br />
KINDERBETREUUNG<br />
Geld maximal<br />
für 25 Tage<br />
IMMOBILIEN<br />
Urlaub ja, Zweitwohnsitz nein<br />
Österreich erschwert den Immobilienkauf für Auswärtige und verstärkt Kontrollen.<br />
Touristen sind in Österreich willkommen, Immobilienkäufer<br />
nicht unbedingt. Damit für Einheimische<br />
noch genug bezahlbarer Wohnraum<br />
übrig bleibt, verbietet etwa das Land Salzburg<br />
(Zell am See, Kaprun, Saalbach-Hinterglemm,<br />
Leogang) Österreichern wie Ausländern, einen<br />
Zweitwohnsitz in dem Bundesland anzumelden.<br />
„Davon ausgenommen sind nur geerbte Immobilien<br />
und solche, die bereits vor dem Jahr<br />
1993 als Zweitwohnsitz genutzt wurden, sowie<br />
speziell für Zweitwohnsitze ausgewiesene Flächen,<br />
von denen es in der Stadt Salzburg aber nur<br />
eine gibt“, sagt Franz Stiller, Chef der Stiller &<br />
Hohla Immobilientreuhänder. Die Regeln sind<br />
nicht in allen neun Bundesländern so streng. In<br />
Wien sind Zweitwohnsitze erlaubt.<br />
Wer trickst und einen Hauptwohnsitz in der<br />
Heimat und einen weiteren in Österreich anmeldet,<br />
macht sich mitunter strafbar. Das Land<br />
Salzburg verlangt neuerdings eine Nutzungserklärung<br />
<strong>vom</strong> Käufer, in der er bestätigt, dass die<br />
Immobilie nicht als Zweitwohnsitz dient, der nur<br />
am Wochenende oder im Urlaub bewohnt wird.<br />
Da die Stadtverwaltungen zu Kontrollen verpflichtet<br />
sind, informieren sie sich bei Stromund<br />
Wasserversorgern über den Energieverbrauch,<br />
um Feriennutzer zu enttarnen.<br />
Auch Altfälle können teuer werden: Wer mit<br />
einer nach 1994 gekauften Immobilie gegen das<br />
Zweitwohnsitzverbot verstößt, muss je nach<br />
Bundesland mit einer Geldstrafe bis 25 000 Euro<br />
oder sogar einer Zwangsversteigerung rechnen.<br />
Arbeiten beide Elternteile und<br />
wird ein Kind krank, kann der<br />
Kinderarzt dem Vater oder der<br />
Mutter bescheinigen, dass sie<br />
zur Pflege gebraucht werden.<br />
Sind die Kinder jünger als zwölf<br />
Jahre, muss der Arbeitgeber sie<br />
jährlich zehn Arbeitstage pro<br />
Kind und Jahr freistellen, maximal<br />
25 Tage für alle Kinder<br />
zusammen. Alleinerziehende<br />
haben den gleichen Anspruch<br />
wie die Eltern gemeinsam.<br />
Da die meisten Tarifverträge<br />
die Lohnfortzahlung hier ausschließen,<br />
kürzt der Arbeitgeber<br />
das Gehalt anteilig.<br />
Gesetzlich Versicherten zahlen<br />
die Kassen Krankengeld in<br />
Höhe von derzeit maximal<br />
94,50 Euro täglich, auch das für<br />
zehn Tage pro Kind und maximal<br />
25 Tage für alle Kinder zusammen.<br />
Ist das erkrankte Kind<br />
bei einem Elternteil privat krankenversichert,<br />
bekommt ein gesetzlich<br />
versichertes Elternteil<br />
kein Krankengeld.<br />
Beamte und privat Versicherte<br />
im öffentlichen Dienst erhalten<br />
pro Kind nur vier Tage frei,<br />
bekommen allerdings in der<br />
Zeit auch den vollen Lohn weitergezahlt.<br />
Erkrankt ein weiteres<br />
Kind, dürfen sie insgesamt<br />
maximal fünf Tage im Jahr<br />
fehlen (Bundesarbeitsgericht,<br />
9 AZR 878/12).<br />
RECHT EINFACH | Wespen<br />
Wespen können zur Plage werden.<br />
Während der Sommermonate<br />
sind Insekten auch Gegenstand<br />
von Gerichtsverfahren.<br />
§<br />
Schwarm. In einer Mietwohnung<br />
in Unterfranken hatten<br />
sich Wespen einen Rollladenkasten<br />
für ihr Nest ausgesucht.<br />
An einem Sonntag<br />
schwärmten Hunderte Insekten<br />
über den Balkon der Mieter. Die<br />
Familie geriet in Panik: Sie fürchtete<br />
um die Gesundheit ihrer zweijährigen<br />
Tochter; zudem litt die<br />
Mutter an einer Allergie gegen<br />
Insektenstiche. Nachdem der Vermieter<br />
telefonisch nicht greifbar<br />
war, alarmierte die Familie die<br />
Feuerwehr. Zu Recht, befand später<br />
der Richter. Die Kosten für die<br />
Entfernung des Nests musste der<br />
Vermieter tragen (Amtsgericht<br />
Würzburg, 13 C 2751/13).<br />
Umlage. In einem Mehrfamilienhaus<br />
in München ließ ein Wespennest<br />
unter dem Dach die Bewohner<br />
nicht mehr zur Ruhe kommen. Der<br />
Eigentümer ließ einen Kammerjäger<br />
anrücken. Die Kosten wollte er als<br />
„Ungezieferbekämpfung“ in der<br />
Nebenkostenabrechnung auf die<br />
Mieter umlegen. Diese zogen vor<br />
den Kadi und hatten Erfolg. Der<br />
Richter klärte den Vermieter auf,<br />
dass zu „Betriebskosten“ nur regelmäßige<br />
Instandhaltungsmaßnahmen<br />
zählten. Die einmalige<br />
Entfernung eines Wespennestes<br />
gehöre nicht dazu (Amtsgericht<br />
München, 412 C 32370/10).<br />
Strand. Ein Kölner Ehepaar buchte<br />
eine Reise in die Dominikanische<br />
Republik. Kleine, hyperaktive<br />
Sandwespen machten die Zeit<br />
am Strand zur Tortur. Einen Preisnachlass<br />
bekamen die Rheinländer<br />
nicht. Der Richter blätterte<br />
in Biobüchern. Ergebnis: In warmen<br />
Gefilden seien Sandwespen<br />
„nicht zu verhindernde Naturerscheinungen“<br />
(Amtsgericht<br />
Köln, 134 C 419/07).<br />
FOTOS: GETTY IMAGES, A1 PIX/YOURPHOTOTODAY, PR<br />
82 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
AUTOKAMERAS<br />
Polizei kann zugreifen<br />
ERBSCHAFT<br />
Wohnrecht ist zu wenig<br />
Ein etwa von einer Witwe weiter<br />
bewohntes „Familienheim“<br />
bleibt von der Erbschaftsteuer<br />
befreit, wenn es noch mindestens<br />
zehn Jahre nach dem Erbfall<br />
ihr Wohnsitz bleibt. Das hat<br />
den Vorteil, dass ihr persönlicher<br />
Freibetrag bei der Erbschaftsteuer<br />
für weitere Vermögensteile<br />
erhalten bleibt. Wohnt<br />
sie weniger als weitere zehn<br />
Jahre im Familienheim, fiele der<br />
Steuervorteil nachträglich weg<br />
– es sei denn, die Zeit verkürzt<br />
sich aus wichtigen Gründen.<br />
SCHNELLGERICHT<br />
ABSCHREIBUNGSEXTRA BEI SANIERUNG<br />
§<br />
Weist eine Kommune in ihrer Satzung ein Sanierungsgebiet<br />
aus, können Immobilieneigentümer<br />
Instandsetzungs- und Modernisierungskosten im<br />
Verlauf von zwölf Jahren auch für selbst bewohnte<br />
Wohnungen voll absetzen. Dazu muss aber das Sanierungsgebiet<br />
zum Zeitpunkt der Baumaßnahmen<br />
noch bestehen (Bundesfinanzhof, X R 4/12).<br />
RENTNERIN MUSS NICHT ZAHLEN<br />
§<br />
Ein Rechenfehler fiel der Rentenkasse erst<br />
nach sechs Jahren auf. Die zurückgeforderten<br />
215 Euro muss eine Rentnerin nicht zahlen, weil<br />
sie die Rentenkasse über eine einmalige Zahlung<br />
ihres Ex-Arbeitgebers informiert hatte und nicht<br />
Ein solcher Grund wäre etwa<br />
der Umzug in ein Pflegeheim.<br />
Allerdings muss der länger<br />
lebende Partner zumindest Miteigentümer<br />
des Hauses werden,<br />
um die Steuerbefreiung zu erhalten,<br />
entschieden die Richter<br />
am Bundesfinanzhof (II R<br />
45/12). Die Steuerbefreiung<br />
entfällt, wenn die Ehefrau testamentarisch<br />
verpflichtet wird,<br />
das Familienheim durch ein<br />
Vorausvermächtnis auf die<br />
Kinder zu übertragen, und ihr<br />
nur ein Wohnrecht bleibt.<br />
Neue Autos speichern eine<br />
Menge Daten und geben sie etwa<br />
durch einen automatischen<br />
Notruf weiter. Zunehmend wird<br />
wegen der immer populärer<br />
werdenden Dashcams geklagt.<br />
Mit den Auto-Videokameras,<br />
die entweder am Armaturenbrett<br />
(„dash“), an der Windschutzscheibe<br />
oder am Rückspiegel<br />
befestigt werden,<br />
können Autofahrten gefilmt,<br />
auf einem Chip gespeichert und<br />
später etwa ins Internet gestellt<br />
werden. Das Bayerische Landesamt<br />
für Datenschutz hatte<br />
ihren Einsatz wegen Verstoßes<br />
gegen das Datenschutzgesetz<br />
verboten. Ein Anwalt hatte dagegen<br />
geklagt. Er wollte Beweise<br />
gegen Autofahrer sammeln,<br />
die ihn im Straßenverkehr<br />
bedrängten. Das Verbot der Behörde<br />
kippten die Richter am<br />
Verwaltungsgericht Ansbach,<br />
aber nur aus formalen Gründen<br />
(AN 4 K 13.01634). Sie ließen<br />
wegen der grundsätzlichen<br />
Bedeutung Revision zu.<br />
Passanten und Autofahrer<br />
hätten das Recht, nicht heimlich<br />
gefilmt zu werden. Auch<br />
wenn weder Köpfe noch Nummernschilder<br />
auf den Videos<br />
erkennbar wären, ließen sich<br />
Menschen identifizieren.<br />
Das Amtsgericht München<br />
dagegen hatte die Nutzung eines<br />
Radfahrer-Videos in einem<br />
Prozess für zulässig erklärt (343<br />
C 4445/13).<br />
„Interesse an den Daten<br />
haben etwa Autoversicherer,<br />
Autohersteller, aber auch der<br />
Staat“, sagt die Hamburger Anwältin<br />
Daniela Mielchen. Das<br />
Datenschutzrecht halte mit den<br />
technischen Möglichkeiten<br />
nicht Schritt. Wer die Kamera<br />
nutze, müsse damit rechnen,<br />
dass die Polizei auf sie zugreife.<br />
Dies dürfe sie auch ohne richterlichen<br />
Beschluss. Bei Daten<br />
bestünde die Gefahr, dass sie<br />
gelöscht würden. Die Polizei<br />
könne sich also darauf berufen,<br />
dass Gefahr im Verzug sei.<br />
JOB-DARLEHEN<br />
Den Verlust<br />
absetzen<br />
Ein Arbeitnehmer, der zugestimmt<br />
hat, dass geleistete Überstunden<br />
in Genussrechtskapital<br />
seiner Firma umgewandelt werden,<br />
darf nach deren Pleite den<br />
Kapitalverlust als Werbungskosten<br />
absetzen (Bundesfinanzhof,<br />
VI R 57/13). Da der Arbeitgeber<br />
finanziell angeschlagen war,<br />
sei der Mitarbeiter das Risiko<br />
aus beruflichen Gründen eingegangen.<br />
Es kam ihm nicht auf<br />
Rendite an.<br />
grob fahrlässig handelte (Sozialgericht Gießen,<br />
S 4 R 451/12).<br />
KEIN KLASSENWECHSEL NACH PRÜGELEI<br />
§<br />
Provoziert ein Schüler einen anderen und schlägt<br />
dieser ihm dann ins Gesicht, kann der Geschlagene<br />
nicht verlangen, dass sein Gegner die Klasse<br />
wechselt (Verwaltungsgericht Darmstadt 3 L 879/14).<br />
GLEICHBEHANDLUNG BEI HOCHZEITSVILLA<br />
§<br />
Der gewerbliche Vermieter einer Villa für Hochzeitsfeiern<br />
verstieß gegen das Gleichbehandlungsgesetz<br />
(AGG), weil er nicht an ein gleichgeschlechtliches<br />
Paar vermietete. Das Paar bekommt 750 Euro<br />
Entschädigung (Amtsgericht Köln, 147 C 68/14).<br />
EINBRUCHDIEBSTAHL<br />
STEFAN PIOTROWSKI<br />
ist Fachanwalt<br />
für Versicherungsrecht<br />
in<br />
der Kanzlei<br />
SH Rechtsanwälte.<br />
n Herr Piotrowski, Hausratversicherer<br />
zahlen bei Einbruch<br />
mit Diebstahl nicht<br />
immer. Worauf müssen Versicherungskunden<br />
achten?<br />
Der Kunde darf nicht grob<br />
fahrlässig handeln: Wer das<br />
Haus verlässt, muss die Fenster<br />
schließen, wer Schlüssel<br />
zusammen mit dem Pass verliert,<br />
die Schlösser austauschen.<br />
Um Streit zu vermeiden,<br />
kann man eine Police<br />
wählen, bei der der Versicherer<br />
ganz oder teilweise darauf<br />
verzichtet, grobe Fahrlässigkeit<br />
zu prüfen. Deren Beitrag<br />
ist etwas höher.<br />
n In welche Versicherer-<br />
Fallen tappen Kunden sonst?<br />
Unterversicherung ist ein<br />
Problem – ist der Hausrat<br />
wesentlich mehr wert als die<br />
versicherte Summe, kann der<br />
Versicherer die Auszahlung<br />
nach dem Einbruch proportional<br />
zum Grad der Unterversicherung<br />
kürzen. Außerdem<br />
ist die versicherte Summe für<br />
Schmuck und andere Wertgegenstände<br />
oft gedeckelt,<br />
etwa bei 20 Prozent der Versicherungssumme.<br />
Wer Ärger<br />
vermeiden will, sollte Wertsachen<br />
gesondert versichern,<br />
Wertsachen fotografieren und<br />
Quittungen aufheben.<br />
n Wie verhält man sich nach<br />
einem Einbruch korrekt?<br />
Sofort die Polizei einschalten<br />
und den Versicherer benachrichtigen.<br />
Binnen einer Woche<br />
sollte man bei beiden eine<br />
Liste der gestohlenen und beschädigten<br />
Sachen einreichen.<br />
Wer das versäumt oder<br />
deutlich zu spät reagiert, kann<br />
seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung<br />
verlieren.<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 Redaktion: heike.schwerdtfeger@wiwo.de | Frankfurt, annina reimann | Frankfurt<br />
83<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Nie wieder wollte<br />
ich über Frankfurts China-Aktien<br />
schreiben. Börsen-Zombies,<br />
sinnlos, erledigt. Von Hauke Reimer<br />
Aus dem Tollhaus<br />
Doch was hier abgeht,<br />
ist einfach zu unterhaltsam.<br />
Also noch<br />
eine Geschichte:<br />
Youbisheng Green Paper, Hersteller<br />
von Ökopappe, 2011<br />
an die Börse gegangen, Börsenwert<br />
zu Spitzenzeiten 66 Millionen<br />
Euro, meldet noch Ende Mai<br />
„stabile Geschäftsentwicklung“.<br />
BankM, die Youbisheng aufs<br />
Frankfurter Parkett gebracht<br />
hat, sieht im Mai einen fairen<br />
Wert von 12,97 Euro je Aktie –<br />
bei einem Börsenkurs von damals<br />
3,40 Euro – und sagt „kaufen“.<br />
Danach fällt der Kurs wie<br />
ein Stein, „ohne neue Informationen“,<br />
wie sich die Banker Mitte<br />
Juni wundern. Sie beschließen<br />
nach China zu reisen. Zehn<br />
Tage später kehren sie wieder<br />
zurück, frustriert und unverrichteter<br />
Dinge: Youbisheng-Chef<br />
Huang sei verschwunden, sein<br />
Vertreter stand „nicht für ein<br />
Gespräch zur Verfügung“.<br />
Es kommt noch besser: Am<br />
4. Juli meldet Youbisheng, die<br />
Chinesen hätten Finanzvorstand<br />
David Tsui nicht ins Werk gelassen,<br />
der die Bücher „begutachten“<br />
wollte. Stellt sich die Frage:<br />
Was hat dieser Finanzchef vorher<br />
die ganze Zeit gemacht?<br />
Weil Aufsichtsrat und Finanzvorstand<br />
„trotz intensiver Nachforschungen“<br />
keine Ahnung<br />
haben, wo Herr Huang steckt –<br />
und nebenbei auch keinen<br />
Schimmer von den Finanzen der<br />
Firma –, tritt Tsui zurück. Führungslos<br />
schlingert Youbisheng<br />
über das Börsenparkett. Aber<br />
der Aufsichtsrat verspricht seine<br />
Nachforschungen zu „intensivieren“.<br />
Einen Monat (!) später<br />
feuert er dann todesmutig den<br />
verschwundenen Chef, Herrn<br />
Haiming Huang, und präsentiert,<br />
welch genialer Schachzug,<br />
einen neuen: Herrn Haibo Huang,<br />
den Bruder des Entschwundenen.<br />
Der soll zackig „belastbare<br />
Informationen“ über die<br />
Kassenlage liefern. Anleger<br />
wittern Morgenluft, treiben den<br />
Kurs von 0,90 auf 1,60 Euro.<br />
Eine Woche später wird klar,<br />
dass Herr Huang II auch keinen<br />
Schimmer hat, er tritt zurück.<br />
Der Aufsichtsrat bekommt kalte<br />
Füße, zum „Schutz der Gläubiger<br />
und Aktionäre“ beantragt er<br />
Insolvenz. Die Aktie knallt von<br />
1,60 Euro auf 32 Cent. Am 14.<br />
August geht Youbisheng in die<br />
Insolvenz. Vorhang und Schluss.<br />
WO SIND DIE MILLIONEN?<br />
In Frankfurt notierte China-<br />
Unternehmen sind dreistufig<br />
aufgebaut: Anleger kaufen an<br />
der Börse die AG mit deutschem<br />
Aufsichtsrat, darunter hängt<br />
eine Holding in Singapur oder<br />
Hongkong, darunter die Firma,<br />
die Zugriff auf Fabrik und Kasse<br />
hat. Bei Youbisheng waren in der<br />
noch 38 Millionen Euro – bevor<br />
der Chef abhanden kam.<br />
Dass die deutschen Aufsichtsräte<br />
da nichts kontrollieren können,<br />
ist vollkommen klar. Deshalb<br />
findet sich kaum jemand,<br />
der den Job machen will. Bei<br />
zwei 2014er-Neulingen führte<br />
dann eben der Banker, der die<br />
Unternehmen an die Börse gedrückt<br />
hatte, den Aufsichtsrat.<br />
Anlegern bleibt nur eine<br />
Faustregel: Finger weg von Unternehmen,<br />
die nur im Ausland<br />
an der Börse sind, nicht aber in<br />
ihrem Heimatland. Denn wenn<br />
keine einheimischen Anleger<br />
geschädigt wurden, interessiert<br />
das Behörden in China oder anderswo<br />
null – mag der Betrug<br />
auch noch so dreist sein.<br />
Hätte man eigentlich drauf<br />
kommen können.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Druck über den Euro<br />
Die 9000-Punkte-Marke im Dax hat gehalten, große<br />
Sprünge sind vorerst aber nicht zu erwarten.<br />
Krise im Blick<br />
Henkel-Chef Rorsted sieht das<br />
Gewinnwachstum schrumpfen<br />
Jetzt ist es amtlich: Die deutsche<br />
Wirtschaft schrumpfte im<br />
zweiten Quartal – um 0,2 Prozent<br />
(siehe auch Seite 16). Damit<br />
bestätigt sich, was sich im<br />
Rückgang des Dax andeutete.<br />
Der Wirtschaftskrieg mit Russland<br />
hatte noch kaum Einfluss<br />
auf die jüngsten Wirtschaftsdaten.<br />
Dieser wird erst im zweiten<br />
Halbjahr durchschlagen.<br />
Das befürchtet auch Kasper<br />
Rorsted. Der Chef des Düsseldorfer<br />
Konsumgüterkonzerns<br />
warnte vor schwächerem Gewinnwachstum.<br />
Nachdem der erste Schock<br />
verdaut war, erinnerten sich<br />
Anleger aber an die Börsenweisheit,<br />
dass politische Börsen<br />
kurze Beine haben, also die<br />
Kursrichtung von geopolitischen<br />
Risiken nur kurzzeitig bestimmt<br />
wird. Der Dax stabilisierte<br />
sich oberhalb von 9000<br />
Punkten. Wichtigster Faktor für<br />
die Börse aber bleibt der Euro-<br />
Kurs. Ein schwacher Euro erzeugt<br />
Verkaufsdruck bei ausländischen<br />
Investoren. Weil diese<br />
in Deutschland und der Euro-<br />
Zone das Zepter an den Finanzmärkten<br />
übernommen haben,<br />
drückte ihr Abschied die Kurse<br />
von Aktien und Anleihen. EZB-<br />
Präsident Mario Draghi weiß<br />
das, will aber trotzdem einen<br />
schwachen Euro. Warum? Gewiss<br />
nicht nur, um die internationale<br />
Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Unternehmen zu stärken.<br />
Denkbar: Über einen schwachen<br />
Euro kann Draghi Druck<br />
machen auf die Regierungen in<br />
Paris und Rom, endlich Strukturreformen<br />
anzupacken.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 14.8.2014 / 18.00 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9225,10 +2,1 +9,3<br />
MDax 15746,68 +2,6 +6,0<br />
Euro Stoxx 50 3058,16 +1,5 +7,2<br />
S&P 500 1952,51 +2,2 +15,8<br />
Euro in Dollar 1,3373 ±0 +1,0<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,01 –0,05 2 –0,80 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,40 –0,03 2 –0,31 2<br />
Rohöl (Brent) 3 102,67 –2,7 –7,4<br />
Gold 4 1313,50 +0,6 –1,0<br />
Kupfer 5 6886,50 –1,3 –5,3<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 980,08 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, REUTERS/SIMON NEWMAN, MAURITIUS IMAGES/SCIENCE SOURCE<br />
84 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
DAX-AKTIEN<br />
Vertrauensbeweis<br />
Adidas-Chef Herbert Hainer kauft nach dem<br />
Kursrutsch ein dickes Paket eigener Aktien.<br />
HITLISTE<br />
Der Sommerschlussverkauf<br />
bei Adidas lockt Käufer an, allen<br />
voran Vorstandschef Herbert<br />
Hainer, der in der vergangenen<br />
Woche 400 000 Euro in<br />
Aktien des eigenen Unternehmens<br />
steckte. Hainers Vorstandskollege<br />
Robin Stalker<br />
zog gleich mit und kaufte für<br />
100 000 Euro. Zuletzt hatte der<br />
Adidas-Chef im Mai 2010 zugegriffen,<br />
davor beim Ausverkauf<br />
nach der Lehman-Pleite<br />
2008. Mit diesen Positionen<br />
liegt Hainer, trotz des jüngsten<br />
Kurseinbruchs, immer<br />
noch zwischen 50 und 135 Prozent<br />
vorne. Anleger können<br />
hoffen, dass Hainer erneut ein<br />
glückliches Investment-Händchen<br />
beweist. Etwas Pulver trocken<br />
halten sollten sie sich dennoch.<br />
Die unsichere Situation<br />
um den wichtigen Markt Russland<br />
und das kränkelnde Golf-<br />
Geschäft setzen den Herzogenaurachern<br />
zu. Sollte es im Zuge<br />
einer allgemeinen Börsenschwäche<br />
mit dem Adidas-Kurs<br />
noch eine Etage tiefer gehen,<br />
bieten sich Kurse unter 50 Euro<br />
an zum Nachfassen.<br />
Sachwert Auto<br />
Nach dem Crash fehlt meist Cash<br />
BÄRENMÄRKTE<br />
Fünf verlorene Jahre<br />
Im historischen Schnitt zehrt eine Baisse an der<br />
Wall Street die Kursgewinne von 21 Quartalen auf.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr 2014 2015 2015<br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 9225,10 +2,1 +9,3<br />
Aktie<br />
Stand: 14.8.2014 / 18.00 Uhr<br />
Adidas 59,70 +7,6 –29,3 3,10 3,83 16 12490 2,51<br />
Allianz 126,75 +4,5 +7,9 13,72 14,04 9 57792 4,18<br />
BASF NA 75,92 +1,9 +11,8 5,76 6,30 12 69731 3,56<br />
Bayer NA 97,69 +1,8 +12,3 6,05 6,92 14 80785 2,15<br />
Beiersdorf 66,57 +0,9 –3,2 2,49 2,76 24 16776 1,05<br />
BMW St 88,28 +2,4 +18,7 8,98 9,42 9 56972 2,95<br />
Commerzbank 10,73 +2,6 +34,2 0,56 0,98 11 12216 -<br />
Continental 156,25 +2,6 +30,8 12,80 14,27 11 31251 1,60<br />
Daimler 61,07 +3,6 +10,1 6,17 6,85 9 65310 3,68<br />
Deutsche Bank 24,67 +0,4 –23,8 2,26 3,30 7 25149 3,04<br />
Deutsche Börse 53,87 +4,1 –0,6 3,66 4,02 13 10397 3,90<br />
Deutsche Post 23,70 +1,3 +8,5 1,71 1,86 13 28654 3,38<br />
Deutsche Telekom 11,24 –1,1 +13,2 0,62 0,67 17 50031 4,45<br />
E.ON 13,77 +4,7 +11,5 0,94 0,99 14 27554 4,36<br />
Fresenius Med.C. St 51,82 –0,5 +4,0 3,54 3,95 13 15937 1,49<br />
Fresenius SE&Co 36,75 +1,0 +15,8 2,04 2,36 16 8293 3,40<br />
Heidelberg Cement St 55,41 +5,2 –6,2 3,96 5,00 11 10389 1,08<br />
Henkel Vz 79,37 –3,2 +1,9 4,30 4,70 17 32459 1,54<br />
Infineon 8,47 +3,0 +17,8 0,44 0,53 16 9150 1,42<br />
K+S NA 24,20 +7,1 +32,2 1,46 1,54 16 4632 1,03<br />
Lanxess 46,66 –0,5 –3,6 2,10 3,28 14 3882 1,07<br />
Linde 148,35 +1,1 +2,4 7,81 8,82 17 27541 2,02<br />
Lufthansa 12,67 +1,5 –14,0 1,23 2,37 5 5825 -<br />
Merck 64,90 +2,7 +8,4 4,85 5,29 12 4194 2,93<br />
Münchener Rückv. 150,15 +0,7 +4,5 17,45 17,49 9 26928 4,83<br />
RWE St 28,69 +1,2 +34,3 2,21 2,29 13 17381 3,49<br />
SAP 57,57 +0,2 +0,2 3,40 3,72 15 70725 1,91<br />
Siemens 91,63 +2,7 +8,6 6,54 7,42 12 80726 3,27<br />
ThyssenKrupp 21,05 +6,0 +26,6 0,58 1,20 18 10827 -<br />
Volkswagen Vz. 167,90 +0,7 –10,0 21,49 24,05 7 78099 2,42<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
In den vergangenen 85 Jahren<br />
durchlief die Wall Street 15<br />
Bärenmärkte. 1932 zehrte die<br />
Baisse die Gewinne von 62<br />
Quartalen auf – historischer<br />
Rekord. Dagegen standen<br />
1998 am Ende der Baisse nur<br />
die Käufer von vier Quartalen<br />
mit ihren Aktien unter Wasser.<br />
Im Schnitt gingen in den Bärenmärkten<br />
die Kursgewinne<br />
von 21 Quartalen verloren,<br />
bevor es wieder nach oben<br />
ging. Sollte die Wall Street in<br />
diesem Quartal den Höhepunkt<br />
der 2009 startenden Hausse sehen<br />
und ein neuer Bärenmarkt<br />
beginnen, dann drohte dem<br />
S&P 500 statistisch gesehen ein<br />
Fall auf den Stand <strong>vom</strong> zweiten<br />
Quartal 2009. Gemessen an seinem<br />
durchschnittlichen Indexstand<br />
seit Quartalsbeginn von<br />
1960 Punkten, bedeutete das<br />
für den wichtigsten US-Aktienindex<br />
fast 40 Prozent minus.<br />
Wie viele Quartale mit Preiszuwächsen in vergangenen Bärenmärkten an Wall<br />
Street ausgelöscht wurden<br />
Bärenmarkt bis ...<br />
1932<br />
1938<br />
1942<br />
1958<br />
1962<br />
1967<br />
1970<br />
1974<br />
1978<br />
1982<br />
1987<br />
1990<br />
1998<br />
2003<br />
2009<br />
Durchschnitt<br />
...löschte den Preiszuwachs<br />
von ... Quartalen aus<br />
62<br />
11<br />
30<br />
10<br />
15<br />
12<br />
29<br />
32<br />
12<br />
8<br />
5<br />
13<br />
4<br />
24<br />
48<br />
21<br />
Sollte der S&P 500 im 3. Quartal 2014 einen<br />
Gipfel erreichen, bedeutete das einen Rückgang ...<br />
... auf den Stand von ...<br />
(Quartal/Jahr)<br />
1/1999<br />
4/2011<br />
1/2007<br />
1/2012<br />
4/2010<br />
3/2011<br />
2/2007<br />
3/2006<br />
3/2011<br />
3/2012<br />
2/2013<br />
2/2013<br />
3/2013<br />
3/2008<br />
3/2002<br />
2/2009<br />
1 gemessen an einem Indexstand von 1960 Punkten; Quelle: Marc Faber Ltd.<br />
... um ... Prozent 1<br />
–88<br />
–44<br />
–23<br />
–32<br />
–44<br />
–38<br />
–28<br />
–33<br />
–38<br />
–28<br />
–19<br />
–28<br />
–20<br />
–54<br />
–46<br />
–38<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 85<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Geldwoche<br />
AKTIE Eldorado Gold<br />
Ein Eldorado im Reich<br />
der Mitte<br />
Festhalten!<br />
Hohe Dividende<br />
verhindert den tiefen<br />
Fall von Ölaktien<br />
Loch in China Goldproduzent<br />
erwägt Notierung in Hongkong<br />
Das Nachfassen bei den Aktien<br />
des kanadischen Goldförderers<br />
im Januar hat sich<br />
gelohnt (WirtschaftsWoche<br />
3/2014). Der Aktienkurs von<br />
Eldorado Gold legte seither<br />
um fast 50 Prozent zu. Ein<br />
schöner Zuwachs in einem,<br />
gemessen an den breiten Aktienindizes,<br />
bisher eher mauen<br />
Börsenjahr. Auf lange Sicht<br />
sollte mit der Goldaktie noch<br />
mehr zu holen sein. Mit Blick<br />
auf den zuletzt überdurchschnittlich<br />
guten Lauf der<br />
Aktie könnten Gewinnmitnahmen<br />
den Kurs allerdings<br />
vorübergehend drücken.<br />
Nervenstarke Anleger aber<br />
können mit einer vertretbaren<br />
Position investiert bleiben.<br />
Das Management des an<br />
der Börse aktuell mit sechs<br />
Milliarden Dollar bewerteten<br />
Goldförderers hob das Produktionsziel<br />
für 2014 soeben<br />
auf 790 000 Unzen an. Noch<br />
erfreulicher fiel die Kostenprognose<br />
aus. Die durchschnittlichen<br />
Kosten für<br />
Produktion, Erhaltung, Exploration<br />
und Verwaltung sollen<br />
nun, statt ursprünglich veranschlagt<br />
915 bis 985 Dollar,<br />
nur noch 850 Dollar pro Unze<br />
betragen. Eldorado bestätigt<br />
damit den Status eines der<br />
kostengünstigsten Produzenten<br />
im Goldbergbau. Für den<br />
Bau neuer und die Erweiterung<br />
bestehender Minen will<br />
Eldorado 260 Millionen Dollar<br />
einsetzen. Unter Einrechnung<br />
dieser Summe ergeben<br />
sich Gesamtkosten je geförderter<br />
Unze von etwa 1180 Dollar.<br />
Solange der Goldpreis über dieser<br />
Marke bleibt, fährt Eldorado<br />
also Gewinne ein. Abgebaut<br />
wird Gold aktuell in sechs Minen,<br />
in China (3), der Türkei (2)<br />
und Brasilien (1). In Griechenland<br />
bauen die Kanadier in<br />
einer Mine Silber, Blei und Zink<br />
ab. Außerdem stecken dort zwei<br />
Goldbergwerke in der Bau- und<br />
eines in der Entwicklungsphase.<br />
Außerhalb Griechenlands<br />
entwickelt Eldorado je ein Projekt<br />
in Brasilien, Rumänien und<br />
China. Die wirtschaftlich abbaubaren<br />
Reserven umfassen<br />
insgesamt knapp 28 Millionen<br />
Unzen Gold und 97 Millionen<br />
Unzen Silber.<br />
Das Management erwägt derzeit,<br />
die Aktie auch an der Börse<br />
in Hongkong listen zu lassen.<br />
Dieser Schritt könnte neue<br />
Käuferschichten mobilisieren.<br />
Eldorado ist schließlich mit<br />
seinen drei Minen in China und<br />
einer Jahresproduktion von<br />
etwa 300 000 Unzen der größte<br />
ausländische Goldproduzent<br />
im Reich der Mitte.<br />
Eldorado Gold<br />
ISIN: CA2849021035<br />
18<br />
14<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2012 2013 2014<br />
Kurs/Stoppkurs (in Dollar): 8,48/6,90<br />
KGV 2014/2015: 36,9/32,2<br />
Dividendenrendite (in Prozent): 0,3<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
Hoch<br />
AKTIE Total<br />
Russischer Sturm<br />
im Wasserglas<br />
Die Börsenhausse lief lange<br />
Zeit unter Ausschluss der integrierten<br />
Ölkonzerne. Erst<br />
Ende 2013 änderte sich das<br />
Bild. Big Oil gewann an relativer<br />
Stärke und gehörte im<br />
ersten Halbjahr zu den besten<br />
Sektoren überhaupt. Die Aktie<br />
des französischen Ölkonzerns<br />
Total etwa legte zwischen<br />
Februar und Ende Juni rund<br />
30 Prozent zu. Runter geht es<br />
an der Börse immer schneller<br />
als rauf. Die Total-Aktie verlor<br />
seit Juni 13 Prozent. Sucht<br />
man nach Gründen, dann<br />
findet man einen gewichtigen<br />
in Russland. Dort sind die<br />
Franzosen mit 18 Prozent am<br />
Gasproduzenten Novatek<br />
beteiligt, der seit Juni auf der<br />
Sanktionsliste der EU steht.<br />
Auf die Stimmung drückte zusätzlich<br />
der Ende Juli präsentierte<br />
Quartalsbericht. Wegen<br />
der Unruhen in Libyen, des<br />
Auslaufens einer Förderlizenz<br />
in den Emiraten sowie Wartungsarbeiten<br />
in der Nordsee,<br />
Nigeria und Thailand<br />
schrumpfte die Fördermenge<br />
um zehn Prozent auf 2,05<br />
Millionen Barrel Öläquivalent<br />
pro Tag. Unter anhaltendem<br />
Druck standen die Margen im<br />
Raffineriegeschäft. Unter dem<br />
Strich ging der um Veränderungen<br />
der Lagerbestände bereinigte<br />
Gewinn um zwölf Prozent<br />
zurück, auf 3,15 Milliarden<br />
Dollar. Der Vorstand reagiert<br />
und will neben dem Verkauf<br />
von Unternehmensteilen nun<br />
ein Sparprogramm über drei<br />
Jahre auflegen. Details werden<br />
am 22. September präsentiert.<br />
Die Produktion aber soll schon<br />
in den nächsten Monaten dank<br />
neuer Projekte wieder steigen.<br />
Entlastung bringt auch ein<br />
schwacher Euro. Der Dollar ist<br />
Ölwährung, aber der Ölkonzern<br />
bilanziert in Euro. Zudem lockt<br />
die Dividendenrendite von gut<br />
fünf Prozent.<br />
Total<br />
ISIN: FR0000120271<br />
65<br />
60<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
2005 07 09 11 13 14<br />
Kurs/Stoppkurs (in Euro): 48,00/42,60<br />
KGV 2014/2015: 10,2/9,2<br />
Dividendenrendite (in Prozent): 5,2<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
FOTOS: PR, GLOWIMAGES/IMAGEBROKER<br />
86 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />
Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Geldwoche<br />
CHARTSIGNAL<br />
Fremdbestimmt<br />
Die Anleihemärkte der Euro-Peripherie hängen<br />
maßgeblich ab von der Entwicklung des Euro in Yen.<br />
ANLEIHE KfW<br />
Reale<br />
Chance<br />
Im ersten Halbjahr 2014 wurden<br />
in Europa erstmals mehr<br />
hochverzinsliche Anleihen an<br />
den Markt gebracht als in den<br />
USA. Rund 80 Prozent der<br />
Emissionen kamen aus Griechenland,<br />
Irland, Italien, Portugal<br />
und Spanien. Das wäre<br />
ohne sogenannte Yen-Carry-<br />
Trades nicht möglich gewesen:<br />
Angetrieben durch rekordtiefe<br />
Zinsen in Japan und<br />
die gezielte Abwertung des<br />
Yen haben spekulative Investoren<br />
zinsgünstige Kredite in<br />
Yen aufgenommen und die<br />
Mittel in hochverzinsliche<br />
Staatsanleihen der Euro-Peripherie<br />
angelegt. Dort trugen<br />
sie maßgeblich zu dem aberwitzigen<br />
Renditerückgang<br />
bei. Neben Zins- und Kursgewinnen<br />
lockten zusätzlich<br />
Währungsgewinne. Gegenüber<br />
dem Yen wertete der<br />
Euro seit Sommer 2012 von 96<br />
Yen in der Spitze bis auf 145<br />
Yen Ende 2013 auf. Das Währungsrisiko<br />
für die Spekulanten<br />
war in dieser Phase überschaubar.<br />
Im Kursverlauf des<br />
Euro in Yen bildeten sich 2013<br />
nacheinander eine Flagge, ein<br />
Dreieck und ein ansteigendes<br />
Dreieck aus – allesamt charttechnische<br />
Konsolidierungsformationen,<br />
die nicht eine drohende<br />
Trendumkehr anzeigten,<br />
sondern die baldige Fortsetzung<br />
des bestehenden Trends.<br />
Die Wahrscheinlichkeit einer<br />
Trendumkehr und damit einer<br />
Rückabwicklung der Carry-Trades<br />
ist erst im Mai 2014 gestiegen,<br />
mit dem Fall unter die Aufwärtstrendlinie<br />
T1. Nach der<br />
Ausbildung einer umgekehrten<br />
Untertasse, die eine Verschiebung<br />
der Marktkräfte von der<br />
Nachfrage- hin zur Angebotsseite<br />
anzeigt, droht der Euro<br />
nun unter die Unterstützung<br />
bei 136,26 Yen zu rutschen. An<br />
dieser Marke endete im Februar<br />
die letzte größere Yen-Aufwertung<br />
(1). Wird die Unterstützung<br />
gerissen, dann dürfte der<br />
Trend drehen. Staatsanleihen<br />
der Euro-Peripherie drohte<br />
dann eine Abgabewelle über<br />
die Rückabwicklung von Carry-<br />
Trades. Vorübergehend Entwarnung<br />
gäbe dagegen ein Anstieg<br />
des Euro auf über 140 Yen.<br />
Euro runter, Renditen hoch<br />
Wertet der Euro in Yen weiter ab, droht Staatsanleihen<br />
der Euro-Peripherie eine Abgabewelle<br />
150<br />
145<br />
140<br />
135<br />
130<br />
125<br />
120<br />
115<br />
110<br />
105<br />
100<br />
95<br />
2012<br />
Flagge<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
2013<br />
Dreieck<br />
ansteigendes<br />
Dreieck<br />
T1<br />
1<br />
Euro in Yen<br />
2014<br />
umgekehrte Untertasse<br />
Unterstützung<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
Wer das Risiko scheut, kann<br />
mit Anleihen heute kaum<br />
noch etwas verdienen. In diesem<br />
Umfeld lockt ausgerechnet<br />
die bundeseigene Förderbank<br />
KfW mit der Aussicht auf<br />
eine zweistellige Rendite. Die<br />
KfW genießt – wie die Bundesrepublik<br />
Deutschland – die<br />
Top-Note AAA. Gesichert ist<br />
dadurch aber nur, dass Zinsen<br />
pünktlich gezahlt werden und<br />
die Anleihe am Ende der Laufzeit<br />
im März 2016 auch zu<br />
100 Prozent getilgt wird. Der<br />
Haken: Zinszahlungen und<br />
Rückzahlung erfolgen zwar in<br />
Euro, sind aber gekoppelt an<br />
den zum jeweiligen Zahlungstermin<br />
gültigen Kurs der brasilianischen<br />
Landeswährung<br />
Real in Euro. „Gott ist Brasilianer“,<br />
heißt ein brasilianisches<br />
Sprichwort – ein Garant für einen<br />
stabilen Real ist das aber<br />
noch nicht. Im Moment kostet<br />
ein Euro 3,05 Reais. Wertet der<br />
Real gegenüber dem Euro ab,<br />
schrumpft entsprechend die<br />
Rendite für Besitzer der Anleihe.<br />
Die Rendite geht grob gerechnet<br />
gegen null, wenn ein<br />
Euro am Ende der Laufzeit<br />
etwa 3,60 Reais kostet. Fällt<br />
der Kurs des Real noch weiter,<br />
bedeutet das für Anleiheinvestoren<br />
Verluste. Es gibt<br />
also einen Sicherheitspuffer<br />
von rund 16 Prozent, bevor<br />
es real ins Minus geht. Das<br />
müssen Anleger wissen.<br />
Rund läuft es derzeit nicht<br />
in der größten Volkswirtschaft<br />
Lateinamerikas. Das Wachstum<br />
ist nahezu zum Erliegen<br />
gekommen, während die<br />
Preise mit einer Jahresrate<br />
von 6,5 Prozent steigen. In der<br />
Bevölkerung brodelt es wegen<br />
der Korruption im Staatsapparat<br />
und der immer noch extremen<br />
sozialen Ungleichheit<br />
im Land. In ein kollektives<br />
Kassiert in Euro, nicht in Real<br />
Brasilien-Fußballer David Luiz<br />
Trauma stürzte das Land zudem<br />
die epochale 1:7-Pleite der<br />
Seleção gegen die deutsche Elf<br />
im Halbfinale der Fußball-WM<br />
im eigenen Land. In der vergangenen<br />
Woche kam der Präsidentschaftskandidat<br />
Eduardo<br />
Campos bei einem Flugzeugabsturz<br />
ums Leben.<br />
Anfällig ist der Real vor allem<br />
wegen des hohen brasilianischen<br />
Leistungsbilanzdefizits.<br />
Seit sechs Jahren ist der Saldo<br />
negativ. 2013 lag das Minus bei<br />
etwa 81 Milliarden Dollar oder<br />
3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung.<br />
Brasilien ist angewiesen<br />
auf ausländische Kapitalimporte,<br />
um das Defizit zu finanzieren.<br />
Versiegt dieser Strom oder<br />
dreht sich dieser gar um, drückt<br />
das rasch den Außenwert der<br />
Währung nach unten.<br />
Einer unkontrollierten Abwertung<br />
des Real entgegensteuern<br />
kann die brasilianische Notenbank<br />
allerdings noch durch<br />
den Einsatz der brasilianischen<br />
Währungsreserven. Diese liegen<br />
mit 380 Milliarden Dollar<br />
im komfortablen Bereich. Zudem<br />
wird die Zentralbank mit<br />
weiteren Zinserhöhungen auf<br />
den Inflationsdruck reagieren.<br />
Kurs (%) 94,22<br />
Kupon (%) 6,00<br />
Rendite (%) 10,10<br />
Laufzeit bis 15. März 2016<br />
Währung Brasilianischer Real<br />
ISIN<br />
XS0875150871<br />
FOTO: REUTERS/EDDIE KEOGH<br />
88 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Geldwoche<br />
FONDS Danske Invest Russia<br />
Discounter profitiert<br />
von Sanktionen<br />
Viel und billig Magnit hängt<br />
kleine Lebensmittelhändler ab<br />
Russlands Präsident Wladimir<br />
Putin ließ Importe von<br />
Lebensmitteln aus der EU verbieten.<br />
Das wird die Preise<br />
auf dem russischen Markt<br />
treiben. Hauptprofiteur wird<br />
Handelsriese Magnit sein,<br />
das russische Pendant zu Aldi.<br />
„Magnit ist der effizienteste<br />
Einzelhändler in Russland“,<br />
sagt Fondsmanager Måns<br />
Beckeman von Danske Invest.<br />
Das Gros des Lebensmittelhandels<br />
in Russland laufe<br />
noch über Wochenmärkte<br />
und Kioske. Kleinere Händler<br />
würden nach und nach verschwinden,<br />
Magnit werde<br />
Marktanteile gewinnen.<br />
Die russische Wirtschaft<br />
insgesamt ächzt dagegen unter<br />
den Sanktionen der EU<br />
und der USA. „Die russische<br />
Zentralbank musste den Leitzins<br />
von 5,5 auf 8,0 Prozent erhöhen,<br />
um den Verfall des<br />
Rubel zu stoppen“, sagt Beckeman.<br />
Ein gutes Klima für<br />
Investitionen und Wachstum<br />
sehe anders aus. Sollte sich<br />
die Ukraine-Krise dagegen<br />
friedlich lösen lassen, dürften<br />
vor allem Banken, darunter<br />
Sberbank und VTB sowie die<br />
Energieriesen Rosneft und<br />
Novatek profitieren, die bisher<br />
am stärksten unter den<br />
Sanktionen zu leiden hätten,<br />
so Beckeman.<br />
Branchenübergreifend sollten<br />
vor allem Unternehmen<br />
zulegen, die ihre Produkte<br />
vornehmlich in Russland verkaufen.<br />
Anders sieht es bei<br />
Exporteuren aus: Noch ist der<br />
Rubel schwach und die Kosten,<br />
etwa für Personal, sind niedrig.<br />
Die Preise für exportierte Rohstoffe<br />
in Dollar dagegen sind<br />
stabil. Wenn sich der Rubel<br />
jedoch wieder erholt, sinkt die<br />
Marge der Exporteure.<br />
Russlands Wirtschaft ist nach<br />
wie vor <strong>vom</strong> Rohstoff- und<br />
Energiesektor abhängig. Dabei<br />
geraten andere Branchen häufig<br />
aus dem Fokus von Anlegern.<br />
Zu Unrecht wie Fondsmanager<br />
Beckeman findet.<br />
Besonders attraktiv seien ITund<br />
Softwareunternehmen,<br />
weil der Nachholbedarf auf<br />
dem russischen Markt nach wie<br />
vor im Vergleich zu den westlichen<br />
Industrieländern hoch sei.<br />
Derzeit hält Beckeman unter<br />
anderem Qiwi, ein Unternehmen<br />
für elektronische Bezahlsysteme.<br />
Noch würden in Russland<br />
80 Prozent der Geschäfte<br />
in bar abgewickelt, während es<br />
im Westen nur noch 20 Prozent<br />
sind. Zuletzt jedoch geriet auch<br />
Qiwi unter Druck, so wie die<br />
meisten russischen Aktien, seit<br />
Anfang Juni minus 18 Prozent.<br />
Danske Invest Russia<br />
ISIN: LU0495011024<br />
125<br />
120<br />
115<br />
110<br />
105<br />
100<br />
95<br />
MSCI Russland<br />
90<br />
85<br />
80<br />
2012 13 14<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
auf 100 umbasiert<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Hoch<br />
Die besten Fonds mit Osteuropa-Aktien<br />
Wie die erfolgreichsten Portfolio-Manager abgeschnitten haben<br />
Fondsname<br />
Russland<br />
Parvest Equity Russia<br />
UBAM Russian Equity<br />
DWS Russia<br />
Renaissance Russian Equity<br />
Danske Invest Russia<br />
CS Equity Russia<br />
Valartis Russian Market<br />
HSBC GIF Russia Equity<br />
UBS ES Russia (USD)<br />
Metzler Russia Fund<br />
Espa Stock Russia<br />
Neptune Russia & Greater Russia<br />
JPM Russia USD<br />
Pictet Russia Index EUR<br />
Pioneer Russia Stock<br />
Jyske Invest Russian Equities<br />
Raiffeisen-Russland-Aktien<br />
SEB Russia C<br />
Pictet Russian Equities<br />
Baring Russia USD<br />
Osteuropa inklusive Russland<br />
E.I. Sturdza Emerging Europe USD<br />
Erste Resp. Stock Europe Emerging<br />
UBS Central Europe<br />
Metzler Eastern Europe B<br />
JB EF Eastern Europe Focus<br />
SEB Eastern Europe Small Cap<br />
Metzler Eastern Europe<br />
GO EAST-INVEST<br />
VB GoEast-Invest<br />
BNY Mellon Eastern Europe<br />
Danske Invest Eastern Europe<br />
PineBridge Emerging Europe<br />
Deka-ConvergenceAktien<br />
Warburg - D - Fonds CEEE Plus<br />
BGF Emerging Europe<br />
Nevsky Eastern European<br />
Templeton Eastern Europe<br />
DWS Osteuropa<br />
Renasset Ottoman<br />
Schroder Emerging Europe<br />
Osteuropa ohne Russland<br />
Avaron Emerging Europe<br />
Danske Invest Trans-Balkan<br />
Metropole Frontière Europe<br />
Qimco Balkan Equity<br />
SEB Eastern Europe ex Russia<br />
Danske Inv. Eastern Europe Conv.<br />
Hypo South Eastern Europe Opp.<br />
RT Osteuropa Aktienfonds<br />
Generali IS Centr. & East. Europe<br />
Aviva Emerging Europe<br />
ISIN<br />
LU0823431720<br />
LU0541091996<br />
LU0146864797<br />
LU0646376573<br />
LU0495011024<br />
LU0348404079<br />
LU0066480616<br />
LU0329931090<br />
LU0399027704<br />
IE00B54VN939<br />
AT0000A05SA6<br />
GB00B60T5S14<br />
LU0215049809<br />
LU0625742753<br />
AT0000668264<br />
DK0016261324<br />
AT0000A07FS1<br />
LU0273119544<br />
LU0338483075<br />
LU0280479329<br />
IE00B62KFX71<br />
AT0000A09YM1<br />
LU0067027168<br />
IE00B42GXQ04<br />
LU0122455131<br />
LU0086828794<br />
IE0000111876<br />
DE0009770172<br />
AT0000A07RX6<br />
LU0093983509<br />
LU0727216755<br />
IE00B12V2T05<br />
LU0133666676<br />
DE000A1JUVR5<br />
LU0252967533<br />
IE0009751193<br />
LU0078277505<br />
LU0062756647<br />
IE00B8G12179<br />
LU0106820292<br />
EE3600108874<br />
LU0249704346<br />
FR0007085808<br />
AT0000A07HY5<br />
LU0070133888<br />
LU0156840208<br />
AT0000495890<br />
AT0000A0PAC4<br />
LU0145471693<br />
LU0274937183<br />
Wertentwicklung<br />
in Prozent<br />
seit 3<br />
Jahren 1<br />
–6,1<br />
–8,4<br />
–8,8<br />
–<br />
–7,2<br />
–11,9<br />
–9,8<br />
–12,0<br />
–11,1<br />
–12,1<br />
–13,4<br />
–10,1<br />
–9,7<br />
–9,4<br />
–9,7<br />
–9,2<br />
–8,8<br />
–11,9<br />
–10,0<br />
–11,0<br />
1,0<br />
–2,4<br />
-5,0<br />
–7,0<br />
–4,3<br />
–8,7<br />
–7,9<br />
–4,9<br />
–9,7<br />
–0,4<br />
–<br />
–4,3<br />
–5,8<br />
–3,7<br />
–3,5<br />
–9,5<br />
–5,9<br />
–<br />
0,8<br />
6,8<br />
3,0<br />
1,3<br />
–7,6<br />
0,0<br />
–0,6<br />
–5,9<br />
–5,0<br />
–1,5<br />
–0,8<br />
seit 1<br />
Jahr<br />
1,2<br />
–0,8<br />
–1,0<br />
–3,5<br />
–3,5<br />
–3,6<br />
–4,2<br />
–4,9<br />
–5,3<br />
–5,4<br />
–5,5<br />
–5,8<br />
–5,8<br />
–6,4<br />
–6,6<br />
–6,8<br />
–6,8<br />
–7,1<br />
–7,3<br />
–7,4<br />
5,5<br />
5,2<br />
4,5<br />
4,2<br />
3,9<br />
3,7<br />
3,2<br />
2,7<br />
1,5<br />
1,1<br />
1,0<br />
0,6<br />
0,0<br />
–0,3<br />
–0,4<br />
–0,4<br />
–0,6<br />
–0,7<br />
–0,7<br />
–1,4<br />
16,5<br />
15,7<br />
12,1<br />
9,9<br />
9,8<br />
7,1<br />
6,6<br />
4,4<br />
3,7<br />
3,1<br />
1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />
(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />
Quelle: Morningstar; Stand: 11. August 2014<br />
Volatilität<br />
2<br />
in<br />
Prozent<br />
25,0<br />
25,0<br />
26,2<br />
–<br />
25,4<br />
33,3<br />
26,3<br />
25,2<br />
27,3<br />
27,5<br />
27,9<br />
24,7<br />
27,0<br />
25,2<br />
27,2<br />
23,4<br />
25,2<br />
25,3<br />
26,7<br />
25,4<br />
13,8<br />
18,6<br />
20,3<br />
23,1<br />
21,6<br />
18,7<br />
23,1<br />
20,4<br />
21,1<br />
21,6<br />
–<br />
23,1<br />
20,9<br />
22,8<br />
20,7<br />
21,0<br />
22,2<br />
–<br />
20,7<br />
13,7<br />
15,8<br />
16,5<br />
13,8<br />
20,0<br />
20,0<br />
11,9<br />
19,6<br />
18,7<br />
19,6<br />
FOTO: BLOOMBERG NEWS/ANDREY RUDAKOV<br />
90 Redaktion Fonds: Heike Schwerdtfeger<br />
Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Perspektiven&Debatte<br />
Freiheit ist auch nur ein<br />
anderes Wort für Dressur<br />
DIE GESCHICHTE DES BÜROS | Der Soziologe Max Weber sprach vor 100 Jahren <strong>vom</strong><br />
„Gehäuse der Hörigkeit“. Heute ist das Büro ein Spielplatz für Kreative, die sich selbst<br />
kommandieren. Ein Essay über Arbeitsplatzgestaltung im Wandel der Zeiten.<br />
fühl: „Der Mensch ist frei geboren, und<br />
liegt doch five-to-nine in Ketten.“<br />
Natürlich hat es an Versuchen nicht gefehlt,<br />
das Klima der subordinierten Verzwergung<br />
im Büro zu verbessern. Im Gegenteil,<br />
die Geschichte des modernen Arbeitsplatzes<br />
ist geradezu definiert als Geschichte<br />
des andauernden Versuchs, ihn<br />
zu optimieren. Doch je kühner Architektur-Avantgardisten<br />
und Management-Gurus<br />
die Perfektionierung des arbeitsteiligen<br />
Miteinanders auch vorantrieben – heraus<br />
kam am Ende immer nur eine weitere Mode<br />
der humanen Käfig- und Kleingruppenhaltung.<br />
Mehr noch: Folgt man dem US-<br />
Journalisten Nikil Saval, der unlängst eine<br />
neue Biografie des Büros vorgelegt hat, ist<br />
Für Aktenkundige<br />
Kleiner Kanon der Büroliteratur.<br />
Nikil Saval: Cubed<br />
Das neue Standardwerk mit starkem<br />
Fokus auf die Bürolandschaften<br />
nordamerikanischer Prägung (2014)<br />
Christoph Bartmann: Leben im Büro<br />
Kluge Studien über die Pathologien<br />
der modernen Büroarbeit (2012)<br />
Rudolf Braune:<br />
Das Mädchen an der Orga Privat<br />
Roman über Schicksal und<br />
Emanzipation der Frau im Büro (1930)<br />
Robert Walser: Im Bureau<br />
Unübertroffene Miniaturen aus der<br />
Frühzeit des Angestelltenlebens<br />
(um 1910)<br />
Die Welt dreht sich schnell und<br />
immer schneller, verraten uns<br />
die Soziologen, nur im Büro<br />
steht alles still. Kein Fortschritt<br />
nirgends, weit und breit. Der<br />
Mensch hat im vergangenen Jahrhundert<br />
den Fernseher erfunden, den Mond besucht<br />
und das Genom entschlüsselt, allein<br />
sein Angestelltenleben innoviert, das hat er<br />
nicht. „Wenn ich im Büro stehe, werden<br />
meine Glieder langsam zu Holz, das man<br />
sich wünscht, anzünden zu können, damit<br />
es verbrenne“, hat der Schweizer Bankkaufmann<br />
und Riesenschriftsteller Robert Walser<br />
vor 100 Jahren bemerkt – und seine Miniaturen<br />
über den milden Horror aus Kollegialität,<br />
Einpassung und Langeweile im<br />
regelmäßig bezahlten Dienstalltag sind bis<br />
heute unübertroffen. „Wem das saure tägliche<br />
Brot nur so auf den Monatssalärtisch<br />
fällt, der muss sich verpflichtet fühlen,<br />
nach und nach zur kontraktlich regelmäßigen<br />
Maschine zu werden“, schreibt Walser,<br />
„im Ernst: dies ist erste und letzte Aufgabe...<br />
Wer einen Posten besetzt, muss alles<br />
Unpostengemäße wegwischen.“<br />
Dabei ist es bis heute geblieben. Noch<br />
immer riecht die Büroluft nach Anonymität<br />
und Organisation, nach Funktionalität<br />
und Vergemeinschaftung, nach Kreativitätswüste<br />
und liniertem Denken. Ganz<br />
gleich, ob eingepfercht in blickgeschützten<br />
Boxen oder lichtdurchfluteten Aquarien, in<br />
milchverglasten Vorzimmern oder verschließbaren<br />
Zellen, ob Seit an Seit im<br />
Metropolenloft oder eingelassen in die<br />
Weite einer aufgelockerten Bürolandschaft<br />
mit Kaffee-Vollautomat und Schallschutz-<br />
Stellwänden – im Büro beschleicht einen,<br />
frei nach Jean-Jacques Rousseau, das Geder<br />
moderne Arbeitsplatz als doppelte Metapher<br />
für das Versprechen von Freiheit,<br />
Kreativität und Aufstieg in der modernen<br />
Gesellschaft zu deuten – und für den routinierten<br />
Verrat an diesen Idealen. Kein anderer<br />
Arbeitsplatz habe so viele Hoffnungen<br />
in Bezug auf eine (bessere) Zukunft<br />
geweckt – und kein anderer so gründlich<br />
enttäuscht.<br />
VOM KONTOR ZUR BÜROFABRIK<br />
Die Geschichte des modernen Arbeitsplatzes<br />
lässt sich in drei Phasen einteilen. Am<br />
Anfang steht der Kontorist, der dem traditionellen<br />
Einzelkaufmann mit der Erledigung<br />
einfacher Büro- und Verwaltungsarbeiten<br />
zur Hand geht oder als Commis in<br />
einem Bankhaus Korrespondenzen erledigt.<br />
Ihre Schreibtische haben die ersten<br />
Büroarbeiter in Ruf- und Blickweite des<br />
Geschäftsinhabers stehen; das Verhältnis<br />
zum Chef ist persönlich und von Loyalität<br />
getragen. Im Zuge der Spezialisierung entstehen<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts, etwa<br />
in Hamburg, sogenannte Kontorhäuser. Sie<br />
sind die Vorläufer zunehmend arbeitsteilig<br />
organisierter Büros voller Menschen, die<br />
sich dann im Zuge der industriellen Revolution<br />
sowohl räumlich als auch ideell von<br />
den Produktionsstätten lösen: Die Belegschaften<br />
zerfallen in Arbeiter und Angestellte.<br />
Es ist die Geburtsstunde des modernen<br />
Büros, mit Fahrstühlen, Schreibmaschinen,<br />
Telefonen, Leitz-Ordnern – und<br />
dem Statusversprechen „Mittelschicht“.<br />
Gleichwohl: Das Fließbandprinzip des<br />
Taylorismus stellt auch im Büro auf das<br />
Funktionieren eines abstrakten „Systems“<br />
ab: Eine „von oben durchgesetzte Standardisierung<br />
von Methoden“ zielt auf kollekti-<br />
FOTO: ACTION PRESS/COLLECTION CHRISTOPHEL<br />
92 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
ve Effizienzsteigerungen – und nicht auf<br />
die Hebung individueller Potenziale. Die<br />
(leichtere) Büroarbeit geht damals sehr<br />
geometrisch vonstatten, in abgezirkelten<br />
Boxen oder militärisch streng in Reih und<br />
Glied, während man sich in den oberen<br />
Etagen eine reich vertäfelte Isolation leistet<br />
mit Vorzimmerdame, Minibar und Mahagonischreibtisch.<br />
Erst mit der sukzessiven<br />
Umstellung auf eine wissensbasierte Ökonomie,<br />
in der es um die Gewinnung von<br />
Gedanken und Ideen geht, findet seit den<br />
Sechzigerjahren eine Abkehr <strong>vom</strong> Bürosozialismus<br />
alter Schule statt:Von Quickborn<br />
„Playtime“ Filmregisseur Jacques Tati<br />
blickt 1967 in die Zukunft des Büros<br />
how-Transfer gesucht – und niemals gefunden<br />
– wird. Die größten Innovationssprünge<br />
hat der moderne Arbeitsplatz dabei fraglos<br />
im Bereich der Rhetorik erzielt. Im<br />
„Competence Center Workspace Innovation“<br />
des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft<br />
und Organisation (IAO) will man<br />
heute „die Performanz des Unternehmens“<br />
durch „kollaborative Arbeit in Teambüros“<br />
und „räumliche Flexibilität bei der Arbeitsplatzauswahl”<br />
optimieren, durch „Bereiche,<br />
die Inspiration ermöglichen“ und „Zonen“,<br />
in denen „Recreation bereitgestellt“<br />
wird. Anders gesagt: Großraumbüros oh-<br />
aus treten die offenen „Bürolandschaften“<br />
der Gebrüder Eberhard und Wolfgang<br />
Schnelle ihren Siegeszug rund um die Welt<br />
an – und in den USA entsteht das „Action<br />
Office“ von Robert Propst, das der Belegschaft<br />
mit variablen Stellwänden Interaktionsräume<br />
erschließen soll.<br />
Seither ist das Büro eine Art Dauerbaustelle,<br />
auf der die perfekte Balance zwischen<br />
Konzentration und Ruhe sowie Kommunikation<br />
und interkollegialem Know- »<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 93<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Perspektiven&Debatte<br />
»<br />
Form follows money<br />
Das Effizienzprinzip<br />
verlangt auch auf dem<br />
Parkett „System“<br />
Plug and work Mit dem<br />
Laptop jederzeit bereit,<br />
nur das Beste aus sich<br />
herauszuholen<br />
ne festen Arbeitsplatz, mit geteilter Chaiselongue<br />
für den gezielten Geistesblitz und<br />
Ruheoasen für den effektiven Fünf-Minuten-Schlaf<br />
sind exakt das, was sich deutsche<br />
Spitzenforscher unter dem „Büro der Zukunft“<br />
vorstellen.<br />
Die Nachricht hinter der Nachricht lautet:<br />
Nicht die Büroarbeit selbst soll auf ein höheres<br />
Niveau gehoben werden, sondern die<br />
Proletarisierung der Büroarbeit. Es geht um<br />
die Produktivitätssteigerung von Denkprozessen.<br />
Gewiss, das Fraunhofer-Institut hält<br />
dazu – „je nach Arbeitsanforderung“ – auch<br />
die Implementierung des ein oder anderen<br />
Einzelbüros für geboten, in dem „konzentriertes<br />
selbstständiges Arbeiten“ möglich<br />
ist. Aber natürlich sind diese Einzelbüros für<br />
Mitarbeiter reserviert, die sich durch einen<br />
besonders hohen Grad an Funktionalität<br />
auszeichnen – Spitzenkräfte, die Subordinierten<br />
den Aufbau gutnachbarschaftlicher<br />
Verhältnisse empfehlen, bevor sie sie beim<br />
Herausgehen bitten,<br />
freundlichst die Türe zu<br />
schließen.<br />
Im Kern laufen alle<br />
Argumente für und wider<br />
die Bürolandschaften daher auf die Banalität<br />
hinaus, dass sie vonseiten der Arbeitgeber<br />
befürwortet und vonseiten der<br />
Belegschaft abgelehnt werden. Die Chefs<br />
argumentieren, dass sich mit „Bruttogeschossflächenreduzierungen“<br />
bis zu 20<br />
Prozent der Raumkosten einsparen ließen.<br />
Die Mitarbeiter kontern, dass mit Lärm<br />
und Enge auch Stress und Unzufriedenheit<br />
steigen. Am Ende gibt es meist keinen<br />
Kompromiss, wohl aber einen klaren Gewinner,<br />
meint Nikil Saval. Die Architektur<br />
des Büros folge nicht den Bedürfnissen der<br />
Menschen und auch nicht der Logik der<br />
Funktionalität, sondern allein den Gesetzen<br />
des Geldes: „Form follows money.“<br />
Ein Ort der individuellen Freiheit und<br />
entbundenen Kreativität wird das Büro<br />
deshalb auch in Zukunft nicht sein. Denn<br />
so weitläufig, bunt und leger es auch daherkommt<br />
– bei räumlich konzentrierten<br />
Schreibtisch-Arbeitsplätzen handelt es<br />
sich immer um geistige Legebatterien, deren<br />
Sinn und Zweck darin besteht, dass<br />
Hühner in ihnen nicht ein Ei am Tag, sondern<br />
zwei legen. Architekt Hadi Teherani<br />
hat bereits vor gut zehn Jahren in Hamburg<br />
ein Bürohaus geschaffen, das nicht nur<br />
einladend aussieht, sondern in dem man<br />
sich auch wie zu Hause fühlen soll: Raffiniert<br />
nach außen gesetzte Innenhöfe geben<br />
den Blick frei auf Speicherstadt und<br />
Deichtorhallen und bilden zugleich Inseln<br />
von Privatheit und Intimität. Kein Plädoyer<br />
für das Nichtstun. Sondern Architekturdoping<br />
zur Steigerung der Arbeitslust. Die<br />
schöne, neue Bürowelt steht im Dienst der<br />
Kreativitätssteigerung. Sie spricht das autonome,<br />
sich selbst regierende Bürosubjekt<br />
an, das mit Notebook und Smartphone jederzeit<br />
plug and work-bereit nur das Beste<br />
aus sich herausholt, ob im Büro, auf dem<br />
Flughafen, im Hotel oder zu Hause.<br />
ARBEIT, FREIZEIT – EGAL<br />
Die Ambivalenz der neuen Co-working-<br />
Büros besteht darin, dass Angestellte in ihnen<br />
zu unternehmerisch handelnden Mitarbeitern<br />
befördert und zugleich degradiert<br />
werden. Es geht nicht mehr wie im<br />
Taylorismus um die „Prozesssteuerung von<br />
Arbeitsabläufen“, schreibt Christoph Bartmann<br />
über das neue „Leben im Büro“, sondern<br />
um die Herausforderung von freien<br />
Mitarbeitern, die ihren „größten Wertbetrag<br />
dann erbringen, wenn man sie nicht<br />
lenkt und kaum steuert“. Führung, so Bartmanns<br />
Pointe, habe sich heute „weitestgehend<br />
verinnerlicht:Nie zuvor waren wir so<br />
frei im Büro, und nie zuvor so dressiert“.<br />
Entsprechend löst sich auch die einstmals<br />
klar definierte Büroarchitektur, so Bartmann,<br />
„zusehends in ‚Bürowelten‘ und<br />
Bürosituationen“ auf, die mehrdeutig und<br />
offen sind, die Galerien, Läden oder Cafés<br />
ähneln – und in denen der „Unterschied<br />
zwischen Arbeit und Freizeit tendenziell<br />
aufgehoben ist“.<br />
Kurzum, die neuen Büros können so tun,<br />
als wären sie Nichtbüros, um ihren Zweck<br />
zu erfüllen. Vorbei die „herrlichen Zeiten“,<br />
als normierte Architektur, linierte Flure und<br />
rationalisierte Abläufe noch als etwas Äußerliches<br />
an uns herantraten – und als die<br />
Sichtbarkeit von Konformismus und architektonischer<br />
Sterilität uns noch ein waches,<br />
gegen uns selbst gewendetes Lächeln abrang.<br />
Heute sind wir einen Schritt weiter.<br />
Wir haben das Normierte internalisiert.<br />
Und uns der Logik der Bürowelt geistig angepasst.<br />
Aus freien Stücken, versteht sich. n<br />
dieter.schnaas@wiwo.de | Berlin, christopher schwarz<br />
FOTOS: ACTION PRESS/MICHAEL WALLRATH, MAURITIUS IMAGES/VIEW PICTURES LTD<br />
94 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Kost-Bar<br />
ALLES ODER NICHTS<br />
KLAUS JOST<br />
Vorstand der Sporthandels-<br />
Gruppe Intersport<br />
SUBODH GUPTA: SCHOOL, 2008; FOTOS: STEFAN ALTENBURGER PHOTOGRAPHY ZÜRICH, KURT TAUBE;<br />
CARTOON: DAVID SIPRESS/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
KUNST IN ST. MORITZ<br />
Riten des Alltags<br />
Das Programm der 7. St. Moritz Art Masters lenkt <strong>vom</strong> 22. bis 31. August den Blick<br />
auf die zeitgenössische Kunst Indiens. Der „Walk of Art“ verbindet 30 Ausstellungsorte<br />
im Engadin: Kirchen, Galerien und Privathäuser, die das Spektrum der<br />
indischen Kunstszene dokumentieren. Dazu gehören Tafelbilder, Skulpturen und<br />
Installationen, die sich mit der Stellung der Frau in der indischen Gesellschaft<br />
und mit den Mythen und Riten des indischen Alltags beschäftigen. Unser Bild zeigt<br />
„School“, eine Installation mit Edelstahlgeschirr und Fußschemeln aus Messing,<br />
von Subodh Gupta. stmoritzartmasters.com<br />
LITERATUR IN ERLANGEN<br />
Poetenfest<br />
Mehr als 80 Schriftsteller und<br />
Literaturkritiker treffen sich <strong>vom</strong><br />
28. bis 31. August beim 34. Erlanger<br />
Poetenfest zu Lesungen und<br />
Diskussionen. Die Porträtabende<br />
sind Ulla Hahn, Navid Kermani<br />
und Joachim Sartorius gewidmet.<br />
An den Lesenachmittagen<br />
im Erlanger Schlossgarten<br />
präsentieren Autorinnen und<br />
Autoren wie Karin Kiwus, Silke<br />
Scheuermann, Reto Hänny und<br />
Sherko Fatah ihre neuen Bücher.<br />
Besondere Gäste des Festivals<br />
sind der diesjährige Büchner-<br />
Preisträger Jürgen Becker und<br />
Kameramann Michael Ballhaus.<br />
poetenfest-erlangen.de<br />
THE NEW YORKER<br />
„Remember stores?“<br />
Aktien oder Gold?<br />
Aktien, da bewegt sich jeden<br />
Tag was.<br />
iPhone oder Blackberry?<br />
Cool oder sicher? Gern beides.<br />
Cabrio oder SUV?<br />
Weniger Wind um die Nase,<br />
dafür mehr Überblick.<br />
Apartment oder Villa?<br />
Unser Haus im Kraichgau, da<br />
ist die Welt noch in Ordnung.<br />
Fitnessstudio oder Waldlauf?<br />
Immer draußen in der Natur,<br />
meistens laufend.<br />
Paris oder London?<br />
Paris zum Essen in der Rue<br />
Paul Bert, London zum Laufen<br />
im Hyde Park.<br />
Dusche oder Wanne?<br />
Kein Warmduscher, dafür klar<br />
in der Ansprache.<br />
Maßschuhe oder Sneakers?<br />
Sportschuhe. Davon habe ich<br />
über 100 Paar, nicht alle beim<br />
Marathon getragen.<br />
Rotwein oder Weißwein?<br />
Lemberger (rot) – am liebsten<br />
im Gasthaus „Zum Lamm“ in<br />
Schwaigern.<br />
Berge oder Meer?<br />
Kreta. Berge und Meer, dazu<br />
historische Entspannung.<br />
Fenster- oder Gangplatz?<br />
Kurz gestreckt am Gang, lang<br />
gestreckt am Fenster.<br />
Tee oder Kaffee?<br />
Kaffee zum Start, Tee am Ziel.<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />
95<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Leserforum<br />
Bald 150 Jahre überdauert und als Wertspeicher bewährt<br />
Aktie des Ludwigshafener Chemiekonzerns BASF<br />
Geld&Börse<br />
Wie viel Rendite über Jahrzehnte<br />
Anleger nach Abzug der Inflation<br />
wirklich herausholen. Heft 32/2014<br />
Unnötig<br />
Ihren Artikel möchte ich schlichtweg<br />
als unnötig bezeichnen. Er<br />
wird auch dadurch nicht besser,<br />
dass Sie sich auf eine Exklusivstudie<br />
der Uni Regensburg berufen.<br />
Sie beleuchten darin<br />
Anlagezeiträume, die mit der<br />
Wirklichkeit nichts zu tun haben.<br />
Der größte Fehler der stets gemacht<br />
wird: Es herrscht ein eklatanter<br />
Unterschied zwischen<br />
Theorie und Praxis. Fakt ist, Anleger<br />
entscheiden nie rational.<br />
Und schon gar nicht in wirtschaftlich<br />
unruhigen Zeiten.<br />
Joachim Hauck, via E-Mail<br />
Neustadt (Rheinland-Pfalz)<br />
Wasser auf die Mühlen<br />
Ihr Artikel war Wasser auf meine<br />
Mühlen. Ich versuche schon<br />
geraume Zeit, die Uni Bayreuth<br />
oder die TH Nürnberg für eine<br />
Studie zu begeistern, in deren<br />
Verlauf die Investition in Siemens-Aktien<br />
das Risiko einer<br />
Investition in Aktien deutlich relativieren<br />
sollte. Jetzt bin ich mir<br />
fast sicher, dass die von Ihnen<br />
zitierte Studie genau dieses Sujet<br />
behandelt.<br />
Mathias Bohn, via E-Mail<br />
P&S Vermögensberatungs AG<br />
Bayreuth<br />
Einblick<br />
Nicht nur Städteplaner sind gefordert.<br />
Auch die Finanzierung des Verkehrs<br />
muss geregelt werden. Heft 33/2014<br />
Lange versäumt<br />
Auch wenn es viel zu spät<br />
kommt, so ist „die Zeit zum<br />
Umlenken“ schon lange überfällig.<br />
Leider ist „der neue<br />
Straßenkampf“ nur ein Teil<br />
der Verkehrsprobleme. Denn<br />
im Wesentlichen leiden wir<br />
heute unter den Versäumnissen<br />
einiger Jahrzehnte falscher<br />
Verkehrspolitik. Was meistens<br />
völlig vergessen wird, ist, dass<br />
nach der Wiedervereinigung<br />
zwar die Verkehrswege im<br />
Osten unabhängig <strong>vom</strong> Bedarf<br />
saniert wurden. Bei der dazu<br />
benötigten Globalplanung hat<br />
man aber völlig übersehen,<br />
dass in der Bundesrepublik eine<br />
Umorientierung <strong>vom</strong> Nord-<br />
Süd-Verkehr auf den Ost-West-<br />
Verkehr erfolgte. Es hat gleichfalls<br />
fast 25 Jahre gebraucht,<br />
bis die dadurch veränderten<br />
Brückenbelastungen zu neuen<br />
Lebensdauerberechnungen<br />
führten. Die damit entstehenden<br />
Bedarfszahlen für neue<br />
Bauwerke und für umfangreiche<br />
Reparaturen sind selbst<br />
mit optimistischen Mautberechnungen<br />
keinesfalls abzudecken.<br />
Dr.-Ing. Kurt Honrath, via E-Mail<br />
Rösrath (Nordrhein-Westfalen)<br />
Seitenblick<br />
Der Südwesten der USA erlebt die<br />
schlimmste Dürre seit 100 Jahren.<br />
Heft 32/2014<br />
Irreführend<br />
Nicht die Spur eines Hinweises<br />
findet sich im Seitenblick auf<br />
die Frage, die sich der Leser<br />
stellt, wohin die anderthalbfache<br />
Menge des kompletten<br />
Bodensees aus dem Colorado-<br />
Becken „verschwunden“ ist.<br />
Dies, obwohl die Erklärung auf<br />
der Hand liegt – nämlich im<br />
exzessiven Ressourcenverbrauch<br />
der USA, der sie zu traurigen<br />
Weltmeistern beim<br />
Pro-Kopf-Strom- oder -Wasserverbrauch<br />
macht.<br />
Reiner Block, via E-Mail<br />
Geschäftsführer des TÜV Hessen<br />
Darmstadt<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Wie wirken die Sanktionen des<br />
Westens auf die russische Wirtschaft?<br />
Heft 32/2014<br />
Differenziertes Bild<br />
Seit Wochen wird in den Medien<br />
verbreitet, Putin sei ein<br />
Übeltäter und für das Geschehen<br />
in der und um die Ukraine<br />
verantwortlich. Es wäre doch<br />
sehr angebracht, ein differenzierteres<br />
Bild von den Ereignissen<br />
in der Ukraine zu zeichnen.<br />
Über die Zielsetzung der USA,<br />
der Nato und der EU kein Wort.<br />
Zbigniew Bredzinski, Stratege<br />
und Berater von US-Administrationen,<br />
hat die Marschrichtung<br />
des Westens vorgegeben:<br />
Wer Eurasien beherrscht, beherrscht<br />
die Welt. Russland ist<br />
zu schwächen und zu einem<br />
Randstaat zu degradieren. Diese<br />
Strategie ist in den letzten<br />
Jahren durch die USA und ihre<br />
Verbündeten verfolgt worden.<br />
Jeder sollte sich die Frage stellen:<br />
Wie würden die USA anstelle<br />
Russlands reagieren?<br />
Hartwig Jäger, via E-Mail<br />
Rostock<br />
In die Ecke gedrängt<br />
Während die EU trotz der<br />
menschenrechtsverachtenden<br />
NSA-Skandale weiterhin eine<br />
Grundlage für Verhandlungen<br />
über ein Freihandelsabkommen<br />
mit den USA sieht, drängt<br />
sie den russischen Präsidenten<br />
Wladimir Putin völlig in die<br />
Ecke, ohne scheinbar einzusehen,<br />
dass auch sie in der Ukraine-Politik<br />
Fehler gemacht<br />
hat. Das Verhältnis zu Russland<br />
erinnert aktuell an düsterste<br />
Sowjetzeiten. Spätestens die<br />
neue EU-Kommission unter<br />
Leitung von Jean-Claude Juncker<br />
muss gegenüber Russland<br />
für Entspannung sorgen.<br />
Holger Voss, via E-Mail<br />
Berlin<br />
Geld&Börse<br />
Delisting: Ein spektakuläres Urteil erleichtert<br />
es Unternehmen, sich von der<br />
Börse zu verabschieden. Heft 27/2014<br />
Todesstoß<br />
Die oberste Rechtsprechung<br />
hat mit dem Urteil des Bundesgerichtshofes<br />
einen Freibrief ausgestellt,<br />
den immer mehr Firmen<br />
zulasten der freien Aktionäre<br />
nutzen. Für den Finanzplatz<br />
Deutschland, mit einer ohnehin<br />
nie sonderlich ausgeprägten Aktienkultur,<br />
ist das der Todesstoß.<br />
Dass der Gesetzgeber hier zeitnah<br />
handeln wird, erscheint fraglich.<br />
Auch ich bin Opfer einer Delisting-Enteignung<br />
geworden.<br />
Die Delisting-Ankündigung der<br />
nur an der Börse Hamburg notierten<br />
und de facto nicht mehr<br />
handelbaren OMS AG hat mich<br />
kalt erwischt, zumal der Vorstand<br />
zugesichert hatte, an der Notierung<br />
festhalten zu wollen. Verluste<br />
im Aktienhandel muss man<br />
eben auch in Kauf nehmen, aber<br />
bitte schön nicht auf die nunmehr<br />
erfahrene Art.<br />
Norbert Starke, via E-Mail<br />
Niesky (Sachsen)<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
WirtschaftsWoche<br />
Postfach 10 54 65<br />
40045 Düsseldorf<br />
E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />
Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />
um Angabe Ihrer Postadresse.<br />
FOTO: BASF<br />
96 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Firmenindex<br />
Hervorgegangen aus<br />
DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />
Gegründet 1926<br />
Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />
Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />
40045 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />
(für Briefe)<br />
40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />
(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />
Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />
REDAKTION<br />
Chefredakteur Roland Tichy<br />
Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />
Franz W. Rother<br />
Geschäftsführende Redakteurin/Chefin <strong>vom</strong> Dienst<br />
Angela Kürzdörfer<br />
Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />
Chefreporter Dieter Schnaas<br />
Chefreporter international Florian Willershausen<br />
Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />
Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />
Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />
Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />
Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />
Jürgen Berke, Mario Brück, Rebecca Eisert, Henryk Hielscher,<br />
Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Peter Steinkirchner,<br />
Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz,<br />
Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen,<br />
Management: Julia Leendertse*<br />
Technik & Wissen Lothar Kuhn; Thomas Kuhn, Dieter Dürand<br />
(Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor)*, Susanne Kutter,<br />
Andreas Menn, Jürgen Rees<br />
Management & Erfolg Manfred Engeser; Lin Freitag, Kristin Schmidt,<br />
Claudia Tödtmann<br />
Geld & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />
Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Sebastian Kirsch,<br />
Dr. Anton Riedl<br />
Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />
Dr. Christopher Schwarz (Reporter)<br />
Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />
Claudia Immig, Horst Mügge<br />
Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />
Syndication wiwo-foto.de<br />
Bildbearbeitung Uwe Schmidt<br />
Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />
Carsten Stollmann, Gerd Weber<br />
Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />
Produktion Markus Berg, Ute Jansen, Petra Jeanette Schmitz<br />
BÜROS<br />
Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />
Christian Schlesiger, Dieter Schnaas, Cordula Tutt (Autorin)<br />
Askanischer Platz 3, 10963 Berlin,<br />
Fon (030) 61686–121, Fax (030) 61686–170<br />
Brüssel Silke Wettach*, 13b, Av. de Tervuren, B-1040 Bruxelles,<br />
Fon (00322) 2346452, Fax (00322)2346459<br />
E-Mail silke.wettach@wiwo.de<br />
Frankfurt<br />
Melanie Bergermann (Reporterin), Florian Zerfaß<br />
Unternehmen & Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp,<br />
Politik & Weltwirtschaft Angela Hennersdorf<br />
Geld & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />
Eschersheimer Landstraße 50, 60322 Frankfurt<br />
Fon (069) 2424–4903, Fax (069) 2424594903<br />
London Yvonne Esterházy*, 1 Mansel Road,<br />
London SW19 4AA, Fon (0044) 2089446985,<br />
E-Mail yvonne.esterhazy@wiwo.de<br />
München Matthias Kamp, Nymphenburger Straße 14,<br />
80335 München, Fon (089) 545907–28, Fax (0211) 887–978718<br />
New York Martin Seiwert, 44 Wall Street, 7 th floor, Suite 702,<br />
New York, NY 10005, Fon (001) 6465900672<br />
E-Mail martin.seiwert@wiwo.de<br />
Paris Karin Finkenzeller*, 21 Boulevard de la Chapelle,<br />
75010 Paris, Fon (0033) 695929240<br />
E-Mail karin.finkenzeller@wiwo.de<br />
São Paulo Alexander Busch*, R. Otavio de Moraes<br />
Dantas, N.° 15, apto. 04 – Vila Marina, CEP 04012–110<br />
São Paulo, Brasilien, Fon/Fax (005511) 50281112,<br />
E-Mail alexander.busch@wiwo.de<br />
Shanghai Philipp Mattheis*, 100 Changshu Lu, No 2/App. 105,<br />
200040 Shanghai,<br />
Fon (0086137) 64118414,<br />
E-Mail philipp.mattheis@wiwo.de<br />
Silicon Valley Matthias Hohensee*, 809 B Cuesta Drive # 147,<br />
Mountain View, CA 94040,<br />
Fon (001650) 9629110,<br />
E-Mail matthias.hohensee@wiwo.de<br />
Tokio Martin Fritz*, c/o Foreign Correspondents’ Club of Japan<br />
Yurakucho Denki North Building 20F, Yurakucho 1–7–1, Chiyoda-ku,<br />
100–0006 Tokyo, Japan<br />
Fon/Fax (008150) 36435446,<br />
E-Mail martin.fritz@wiwo.de<br />
(*Freie/r Mitarbeiter/in)<br />
Verantwortlich für diese <strong>Ausgabe</strong> i.S.d.P.<br />
Konrad Handschuch (Politik&Weltwirtschaft, Der Volkswirt),<br />
Stephanie Heise (Unternehmen&Märkte), Hauke Reimer<br />
(Geld&Börse), Manfred Engeser (Management&Erfolg),<br />
Thorsten Firlus (Perspektiven&Debatte), Hermann J. Olbermann<br />
(Menschen der Wirtschaft), Lothar Kuhn (Technik&Wissen)<br />
ONLINE<br />
Leitung Franziska Bluhm<br />
Stellvertretende Leitung Dr. Silke Fredrich<br />
Chef <strong>vom</strong> Dienst Daniel Rettig<br />
Redaktion Stephan Happel, Kathrin Grannemann, Ferdinand Knauß,<br />
Saskia Littmann, Meike Lorenzen, Tim Roman Rahmann, Jana Reiblein,<br />
Sebastian Schaal, Andreas Toller<br />
E-Mail online@wiwo.de<br />
VERLAG<br />
Handelsblatt GmbH<br />
(Verleger im Sinne des Presserechts)<br />
Geschäftsführung Gabor Steingart (Vorsitzender), Frank Dopheide,<br />
Claudia Michalski, Ingo Rieper<br />
Abonnement/Vertriebsservice<br />
Kundenservice WirtschaftsWoche<br />
Postfach 9245, 97092 Würzburg<br />
Fon 08000002054<br />
Fax (0211) 887–3642<br />
E-Mail vertriebsservice@wiwo.de<br />
Jahresabonnement Inland 258,00 Euro, bei vierteljährlicher Zahlung<br />
65,00 Euro. Vorzugspreis für Schüler und Studenten Inland (gegen<br />
Nachweis) 169,00 Euro, bei vierteljährlicher Zahlung 45,90 Euro.<br />
Abopreis Ausland 321,90 Euro, für Schüler und Studenten<br />
(gegen Nachweis) 232,90 Euro, zuzüglich MwSt. in den EU-Ländern.<br />
Luftpostzuschläge auf Anfrage.<br />
Zahlungen für Abonnements bitte ausschließlich auf folgendes Konto:<br />
Commerzbank AG, Düsseldorf, Nr. 211884100 (BLZ 30080000)<br />
Die Mitglieder der folgenden Verbände/Vereine erhalten die<br />
WirtschaftsWoche im Rahmen ihres Mitgliedsbeitrages geliefert:<br />
Bundesverband deutscher Volks- und Betriebswirte e.V. (bdvb);<br />
studentische Mitglieder des Bundesverbandes der Börsenvereine an<br />
Deutschen Hochschulen (BVH); EWH – Europäischer Wirtschaftsverband<br />
für Handelsvermittlung und Vertrieb e.V.; Young Professionals<br />
des BME – Bundesverband Materialwirtschaft; Einkauf und Logistik<br />
e.V., b.b.h. – Bundesverband selbstständiger Buchhalter und Bilanzbuchhalter;<br />
JCNetwork e.V.<br />
Die Mitglieder der folgenden Verbände/Vereine erhalten die<br />
WirtschaftsWoche zum Mitglieds-Sonderpreis:<br />
BDIVWA; Landesarchitektenkammern; VDE – Verband der Elektrotechnik,<br />
Elektronik, Informationstechnik e.V.<br />
Heft-Nachbestellung<br />
Fon (0211) 887–3640, Fax (0211) 887–3642<br />
E-Mail shop@vhb.de<br />
Anzeigenleitung Patrick Priesmann<br />
Verantwortlich für Anzeigen Peter Diesner<br />
Anzeigenverkauf<br />
iq media marketing gmbh<br />
Kasernenstraße 67, Postfach 102663,<br />
40017 Düsseldorf,<br />
Fon (0211) 887–2315, Fax (0211) 374955<br />
Anzeigenservice<br />
Fon (0211) 887–2339<br />
Anzeigentarife<br />
Fon (0211) 887–3355, Fax (0211) 887–3359<br />
E-Mail salessupport@iqm.de<br />
Mediainformationen www.iqm.de<br />
Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 56<br />
Zahlungen für Anzeigen<br />
bitte ausschließlich auf folgendes Konto:<br />
Dresdner Bank AG, Düsseldorf,<br />
Nr. 211920100 (BLZ 30080000)<br />
IBAN DE53300800000211920100, Swift Code DRESDEFF300<br />
Werbung in wiwo.de<br />
Fon (0211) 887–2653, Fax (0211) 887–2656<br />
E-Mail iqdigital@iqm.de<br />
Artikelanfragen<br />
Fon (0211) 887–1888 (Mo.–Fr. 9–12 Uhr)<br />
Fax (0211) 887–972820<br />
E-Mail artikelanfragen@vhb.de<br />
Nutzungsrechte<br />
Fon (069) 7591–2930 (Mo.–Fr. 9–16 Uhr)<br />
E-Mail nutzungsrechte@vhb.de<br />
Druck Prinovis Nürnberg GmbH, Breslauer Straße 300,<br />
90471 Nürnberg<br />
Vertrieb DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH,<br />
www.dpv.de<br />
Die WirtschaftsWoche wird ganz oder in Teilen im Print und digital<br />
vertrieben. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift<br />
darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt<br />
oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fällt insbesondere<br />
die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in<br />
elektronische Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-ROM.<br />
Für die Übernahme von Artikeln in interne elektronische<br />
Pressespiegel erhalten Sie die erforderlichen Rechte über<br />
PMG Presse-Monitor GmbH, Berlin,<br />
Fon (030) 284930 oder www.presse-monitor.de.<br />
Printed in Germany.<br />
ISSN 0042–8582.<br />
Für unverlangt eingeschickte Manuskripte, Fotos und Illustrationen<br />
keine Gewähr.<br />
Internationale Partner<br />
<strong>Wirtschaftswoche</strong> (USPS no 0009592) is published weekly by Handelsblatt GmbH. Subscription price for USA is $270 per annum.<br />
K.O.P.: German Language Pub., 153 S Dean St, Englewood NJ 07631. Periodicals Postage is paid at Englewood NJ 07631 and additional<br />
mailing offices. Postmaster: Send Address changes to: <strong>Wirtschaftswoche</strong>, GLP, PO Box 9868, Englewood NJ 07631.<br />
Die Angaben bezeichnen den<br />
Anfang des jeweiligen Artikels<br />
A<br />
Adidas......................................................................85<br />
Airbnb......................................................................65<br />
Aldi............................................................................ 9<br />
Alstin....................................................................... 68<br />
Amazon..............................................................70, 72<br />
Apple........................................................... 38, 70, 72<br />
Audi......................................................................... 58<br />
B<br />
Baidu....................................................................... 72<br />
Bain & Company................................................. 38, 43<br />
Bank für Vermögen................................................... 80<br />
Barmenia................................................................. 80<br />
BASF..................................................................38, 58<br />
Batten & Company....................................................55<br />
BCA......................................................................... 80<br />
Beats....................................................................... 72<br />
Berggruen Holdings.................................................... 8<br />
Blackberry..........................................................49, 70<br />
BMW............................................................ 11, 38, 46<br />
Boeing......................................................................38<br />
Bosch-Rexroth..........................................................38<br />
Boss.........................................................................55<br />
Boston Consulting Group...........................................38<br />
Bridgestone..............................................................64<br />
C<br />
Capnamic.................................................................72<br />
Car2Go.....................................................................46<br />
Caterpillar................................................................ 38<br />
China Mobile............................................................ 72<br />
Cinemaxx................................................................. 12<br />
Citroën.....................................................................46<br />
Civity........................................................................46<br />
Claas........................................................................24<br />
Close Brothers Seydler..............................................11<br />
Coca-Cola........................................................... 70, 72<br />
Coinbau......................................................................9<br />
Commerzbank...................................................... 9, 16<br />
Création Gross......................................................4, 14<br />
D<br />
Daimler.............................................................. 38, 46<br />
Deezer..................................................................... 72<br />
DEG......................................................................... 62<br />
Dell.......................................................................... 62<br />
Deutsche Annington................................................. 11<br />
Deutsche Bahn................................................... 10, 11<br />
Deutsche Bank..................................................... 9, 52<br />
Deutsche Telekom.................................................... 49<br />
DMG Mori Seiki...................................................24, 38<br />
Dow Chemical...........................................................38<br />
DriveNow,................................................................ 46<br />
Dunlop..................................................................... 64<br />
Dürr......................................................................... 24<br />
E<br />
Eaze.........................................................................65<br />
Ebay...........................................................................9<br />
Ecorys......................................................................43<br />
Edeka...................................................................9, 10<br />
Eldorado Gold...........................................................86<br />
EnBW.......................................................................11<br />
Enercon....................................................................11<br />
Exxentis................................................................... 58<br />
F<br />
Facebook............................................................68, 72<br />
Ferrari......................................................................58<br />
Fidelity.....................................................................72<br />
Flightright.................................................................12<br />
Ford......................................................................... 10<br />
Forrester.................................................................. 72<br />
G<br />
General Electric........................................................ 38<br />
GfK...........................................................9, 12, 16, 72<br />
Globalfoundries.......................................................... 9<br />
Goldman Sachs.........................................................72<br />
Goodyear..................................................................64<br />
Google....................................................65, 68, 70, 72<br />
Greatech.................................................................. 72<br />
H<br />
Hankook...................................................................64<br />
Albert Heijn.............................................................. 10<br />
Henkel.....................................................................58<br />
HSBC....................................................................... 16<br />
HSE24......................................................................66<br />
Hulu.........................................................................72<br />
I<br />
IBM..........................................................................12<br />
Ideal Lebensversicherung..........................................80<br />
Ideo......................................................................... 72<br />
IKB...........................................................................16<br />
ISP Finanz................................................................ 79<br />
J<br />
Jung, DMS&Cie.........................................................80<br />
K<br />
Karstadt..................................................................... 8<br />
KfW..............................................................62, 66, 88<br />
Kia........................................................................... 12<br />
Kion......................................................................... 11<br />
Kirch........................................................................ 52<br />
Kirin.........................................................................58<br />
Klöckner & Co...........................................................38<br />
KraussMaffei Technologies....................................... 38<br />
Kuka........................................................................ 38<br />
Kumho..................................................................... 64<br />
L<br />
L’Oréal..................................................................... 58<br />
Laffcomp..................................................................58<br />
Lancom Systems.......................................................11<br />
Landesbank Baden-Württemberg.............................. 11<br />
Lidl.............................................................................9<br />
Linde........................................................................38<br />
Loesche................................................................... 38<br />
M<br />
Mars........................................................................ 58<br />
McKinsey................................................................. 72<br />
Merrill Lynch............................................................ 52<br />
Michelin................................................................... 64<br />
Microsoft..................................................................65<br />
Motorola.................................................................. 38<br />
Moving Image 24...................................................... 72<br />
Multicity...................................................................46<br />
N<br />
Napster....................................................................72<br />
Nautilus Hausboote.................................................... 9<br />
Nestlé................................................................ 58, 70<br />
Netflix...................................................................... 72<br />
Netfonds.................................................................. 80<br />
Niles-Simmons......................................................... 24<br />
Nissan......................................................................10<br />
Nokia....................................................................... 70<br />
Nomura....................................................................52<br />
O<br />
Öger-Tours................................................................66<br />
P<br />
PayPal........................................................................9<br />
Penny.........................................................................9<br />
Pew Research Center................................................65<br />
Pohltec Metalfoam....................................................58<br />
R<br />
Rational....................................................................11<br />
RealNetworks...........................................................72<br />
Rewe....................................................................9, 10<br />
Rhapsody................................................................. 72<br />
Rocket Internet.........................................................66<br />
S<br />
Samsung.................................................................. 58<br />
Scout 24.................................................................. 12<br />
6wunderkinder......................................................... 66<br />
Secunet....................................................................49<br />
Secusmart................................................................49<br />
Seven Ventures.........................................................68<br />
Sevmash.................................................................. 58<br />
SGL Carbon.............................................................. 11<br />
SHW.........................................................................24<br />
Siemens............................................................. 38, 44<br />
Signa..........................................................................8<br />
Signal Iduna............................................................. 80<br />
Simfy....................................................................... 72<br />
Sixt.......................................................................... 46<br />
Songza..................................................................... 72<br />
Sony Music...............................................................72<br />
Soundcloud.............................................................. 72<br />
Spotify..................................................................... 72<br />
Starbucks.................................................................58<br />
Stihl......................................................................... 24<br />
Stiller & Hohla Immobilientreuhänder........................ 82<br />
Sturm, Ruger & Co...................................................... 6<br />
Stuttgarter Versicherung...........................................80<br />
Sumitomo Demag..................................................... 38<br />
T<br />
Taka-Taka Solutions.................................................. 62<br />
TBF Asset Management............................................ 72<br />
Tchibo........................................................................9<br />
Techcrunch.............................................................. 69<br />
Telefónica................................................................ 11<br />
ThyssenKrupp...........................................................38<br />
Total.........................................................................86<br />
Toyota......................................................................10<br />
Trumpf............................................................... 16, 38<br />
Twitter......................................................................72<br />
U<br />
Uber.........................................................................65<br />
Unitymedia...............................................................11<br />
Univerma..................................................................79<br />
Universal..................................................................72<br />
V<br />
Vapiano....................................................................10<br />
Vattenfall..................................................................43<br />
Viva..........................................................................72<br />
Vivendi.....................................................................72<br />
Vodafone..................................................................11<br />
Volks- und Raiffeisenbank...........................................9<br />
Volkswagen.................................................. 11, 24, 38<br />
Volkswohl Bund........................................................ 80<br />
Vox...........................................................................66<br />
Vue International...................................................... 12<br />
W<br />
Warner Music........................................................... 72<br />
Wirtgen-Gruppe........................................................38<br />
Y<br />
Yahoo.......................................................................72<br />
Yammer....................................................................65<br />
Youtube....................................................................65<br />
Z<br />
Zalando....................................................................66<br />
Ziel-Abegg................................................................24<br />
WirtschaftsWoche 18.8.2014 Nr. 34 97<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Ausblick<br />
„Wir brauchen das<br />
,Girokonto für jedermann‘.<br />
Jeder sollte das Recht<br />
auf ein Basiskonto haben.“<br />
Heiko Maas<br />
Bundesverbraucherminister (SPD)<br />
„Die Arbeitswelt kann nicht<br />
erwarten, dass die Familien<br />
immer flexibler werden.<br />
Es muss umgekehrt sein:<br />
Die Wirtschaft muss sich auch<br />
endlich den Bedürfnissen<br />
der Familien anpassen.“<br />
Manuela Schwesig<br />
Bundesfamilienministerin (SPD)<br />
„Solch realitätsferne Ideen<br />
können sich nur dekadente<br />
Gesellschaften leisten.“<br />
Michael Fuchs<br />
Vize der CDU/CSU-Fraktion, über den<br />
Vorschlag der SPD, wonach Arbeitgeber,<br />
ihre Mitarbeiter nach Feierabend<br />
nicht mehr kontaktieren sollen<br />
„Es könnte nicht schaden,<br />
wenn es insgesamt<br />
im Bundestag wieder mehr<br />
Menschen gibt, die in<br />
der Wirtschaft Verantwortung<br />
getragen haben.“<br />
Eric Schweitzer<br />
Präsident des Deutschen Industrieund<br />
Handelskammertages (DIHK),<br />
„Wir müssen Kurden, die einen<br />
Kampf gegen einen neu entstehenden<br />
Terrorstaat führen,<br />
Dinge liefern, die sie brauchen.“<br />
Karl-Georg Wellmann<br />
CDU-Außenpolitiker<br />
„Die Zukunft vieler<br />
Arbeitsplätze in Deutschland<br />
entscheidet sich an der<br />
internationalen Konkurrenzfähigkeit<br />
der Unternehmen.“<br />
Brun-Hagen Hennerkes<br />
Vorstand der Stiftung<br />
Familienunternehmen<br />
„Heute wird wirtschaftlicher<br />
Erfolg durch effiziente<br />
internationale Zusammenarbeit<br />
vorangetrieben.“<br />
Wladimir Putin<br />
russischer Präsident, über das<br />
russisch-amerikanische Milliardenprojekt<br />
der beiden Energiekonzerne<br />
Rosneft und ExxonMobil<br />
im Nordpolarmeer<br />
„Das Ganze war<br />
kein fragwürdiges Geschäftsmodell,<br />
sondern ein von<br />
Idealismus getragenes<br />
Engagement finanzieller Art.“<br />
Christine Haderthauer<br />
Chefin der bayrischen Staatskanzlei<br />
(CSU), zum Vorwurf der Steuerhinterziehung<br />
gegen sie und ihren Ehemann<br />
Hubert in der Modellbau-Affäre<br />
„Gelegentlich kann man sich<br />
des Eindrucks nicht<br />
erwehren, als wäre die Rede auf<br />
der Hauptversammlung<br />
ein lästiger oder unangenehmer<br />
Pflichttermin.“<br />
Frank Brettschneider<br />
Kommunikationswissenschaftler an<br />
der Universität Stuttgart-Hohenheim<br />
„Ich habe eine egozentrische<br />
Art, mein Geld zu verdienen,<br />
aber sie ist erfolgreich.“<br />
„Waffenlieferungen Deutschlands<br />
in einer akuten militärischen<br />
Konfliktsituation würden<br />
eindeutig gegen die Richtlinien<br />
für Waffenexporte verstoßen.“<br />
Norbert Röttgen<br />
Vorsitzender des Auswärtigen<br />
Ausschusses im Bundestag (CDU)<br />
„Das Ganze ist eben ein<br />
bisschen wie beim Golf. Erst übt<br />
man, die kurzen Bälle ins<br />
Loch zu kriegen. Und wenn das<br />
klappt, kommen die langen.“<br />
Sigmar Gabriel<br />
Bundeswirtschaftsminister (SPD),<br />
über seine Strategie, seine Ziele<br />
möglichst geräuschlos zu erreichen<br />
»Alle Menschen mit<br />
niedrigen Einkommen sollten Gutscheine<br />
erhalten, die sie für Urlaubsreisen<br />
einlösen können. Ich denke, eine Höhe<br />
von 500 Euro ist angemessen.«<br />
Katja Kipping<br />
Parteichefin der Linken<br />
Niki Lauda<br />
Chef des Mercedes-Teams und<br />
ehemaliger Formel-1-Weltmeister<br />
„Es ist ein Supercomputer<br />
von der Größe einer Briefmarke<br />
und dem Gewicht.“<br />
Dharmendra Modha<br />
Chefentwickler von IBM,<br />
über einen neuen Chip, der fühlen,<br />
schmecken und hören kann<br />
„Ich liebe Dosenbier! Wenn<br />
die Dose richtig schön kalt ist<br />
und dann macht die beim<br />
Öffnen so ,zisch‘... herrlich!“<br />
Catharina Cramer<br />
Chefin der Warsteiner-Brauerei<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
98 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.