September 2014.pdf
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Musikgeschichte | Verden<br />
"It only just started..."<br />
Serie über die regionale Musikgeschichte:<br />
Hauke König berichtet über die Übungsräume im Verdener SandbergViertel<br />
In dieser Folge unserer Serie<br />
über die Verdener Musikgeschichte<br />
berichtet<br />
Hauke König über die<br />
Übungsräume im Sandberg<br />
Viertel. Hauke war Schlagzeuger<br />
u.a. bei den Verdener<br />
Bands „Aktion S“ und „Colour<br />
my Soul“. Seit zwölf<br />
Jahren lebt er in Hamburg.<br />
In den ehemaligen Übungsräumen<br />
befindet sich seit<br />
2010 das Atelier der Malerin<br />
di Keck.<br />
April 1986. Eine Gruppe junger<br />
Musiker zwischen 14 und 18<br />
ist auf der Suche nach einem<br />
oder mehreren Proberäumen im<br />
Verdener Stadtgebiet. Keine<br />
leichte Aufgabe. Sie wollen Musik<br />
machen: Punk, Heavy Metal,<br />
Strange Pop, Independent. Sie<br />
wollen laut sein, selbstbestimmt<br />
und unabhängig von Erwachsenen.<br />
Aber wo sich Menschen<br />
künstlerisch ausdrücken wollen,<br />
passieren manchmal eben auch<br />
Wunder…<br />
Niklas Eckhoff war Bassist bei "Satans<br />
Bladders" (Satans Harnblasen)<br />
Foto: Archiv Thomas Schaefer<br />
Es ist Flohmarkt in Verden,<br />
und ich treffe Maxi Woehl, einen<br />
Bassisten, Keyboarder, Mitschüler<br />
und Kumpel. „Wir haben jetzt<br />
mit unserer Band einen Übungsraum.<br />
Der ist für uns aber zu<br />
teuer und zu groß. Weißt du<br />
noch Bands, die mitmachen?“<br />
„Haha!“ denk ich. „Nichts leichter<br />
als das!“. Aber erst einmal musste<br />
der Raum inspiziert werden.<br />
Maxi hat schon den Schlüssel,<br />
wir gehen zu zweit in den Sandberg<br />
und betreten dort ein uraltes<br />
Fabrikgebäude. Anscheinend<br />
ist das einmal eine Schnapsbrennerei<br />
oder so etwas gewesen.<br />
Vorne, zur Unteren Straße<br />
hin, ist eine Wäscherei. Es ist die<br />
Rückseite des Gebäudes, in<br />
dem sich heute die Musikschule<br />
Hartig befindet. Im Keller liegen<br />
riesige, ungenutzte und sehr<br />
feuchte Räume.<br />
Fünf Meter hoher Raum<br />
voll mit Sperrmüll<br />
Der Vermieter ist ein gewisser<br />
C.C. Hesse. Wir stiefeln über<br />
Stahlbetontreppen nach oben,<br />
und als Maxi die schwere, metallbeschlagene<br />
Holztür im ersten<br />
Stock öffnet, kann ich es<br />
nicht fassen. Ein riesiger Raum,<br />
vielleicht 100 Quadratmeter<br />
groß, um den in halber Höhe ein<br />
großer Holzbalkon läuft. In einer<br />
Ecke noch ein etwa 6 Quadratmeter<br />
großes Zimmer mit Glasfenster<br />
und Wasseranschluss.<br />
Licht kommt durch uralte hellgrüne<br />
Glasbausteinfenster. Der<br />
Raum ist etwa fünf Meter hoch,<br />
mit Ziegeln gepflastert und randvoll<br />
mit Sperrmüll der letzten 40<br />
Jahre. Und er wird in den nächsten<br />
17 Monaten unser Zuhause<br />
sein. Und nicht nur unser. Es war<br />
Liebe auf den ersten Blick.<br />
Innerhalb von etwa einer Woche<br />
waren wir 23 (!) Mieter. Allerdings<br />
konnten nur zwei von uns<br />
den Mietvertrag unterschreiben,<br />
nämlich die beiden Ältesten. Die<br />
waren schon 18 Jahre alt. Ab<br />
jetzt wurde pausenlos gearbeitet:<br />
Sperrmüll raus, streichen, Elektrik<br />
verlegen, Teppiche, Sofas,<br />
Lampen und ähnlich Nützliches<br />
wurde herangeschafft. Alle arbeiteten<br />
auf den magischen Moment<br />
hin. Den Moment, an dem<br />
die Instrumente und Verstärker<br />
da waren und es endlich losgehen<br />
konnte.<br />
Der Tag kam, und ab da gab<br />
es kein Halten mehr. Bands<br />
probten, und jede Probe glich einem<br />
Auftritt, weil ständig viele<br />
Jugendliche anwesend waren,<br />
die sich offenbar gerne dem ohrenbetäubenden<br />
Lärm aussetzten.<br />
Es wurde viel geraucht,<br />
Einkaufswagenladungen „Aldibier“<br />
herangekarrt, gescherzt,<br />
gelacht und Musik gemacht. Die<br />
Stimmung war die ganze Zeit<br />
fantastisch. Es gab in diesen<br />
Monaten keinerlei Streitereien,<br />
keine Missgunst, oder Neid. Alle<br />
wollten das Gleiche, nämlich genau<br />
das hier. Und alle wussten,<br />
dass das hier etwas Großes ist,<br />
für jeden einzelnen und für alle<br />
zusammen.<br />
"SandbergTalentschmiede"<br />
Diverse Bands wurden gegründet.<br />
Die wohl beste war,<br />
meiner Meinung nach, „Satans<br />
Bladders“ (Satans Harnblasen,<br />
MetalCrossover). Sie sind ein<br />
sehr gutes Beispiel für den dort<br />
herrschenden Geist. Sie nahmen<br />
weder sich noch andere ernst.<br />
Eigentlich wurde aus allem und<br />
jedem ein Witz gemacht, und<br />
das drückte sich geradezu überdeutlich<br />
in der Musik und den<br />
Texten der „Harnblasen“ aus.<br />
Obwohl sich einige der dort spielenden<br />
Musiker in rasantem<br />
Tempo zu unglaublichen Talenten<br />
entwickelt hatten, war niemand<br />
von uns ambitioniert,<br />
etwas Größeres daraus zu machen.<br />
Die technisch beste Band<br />
war wohl „Apocalyptic Lumbargo“<br />
(Apokalyptischer Hexenschuss,<br />
MetallCrossover). Die<br />
Bandnamen sind an der damaligen<br />
ThrashmetalSzene orientiert<br />
und veralbern sie gleichzeitig,<br />
denn: So waren wir. Die<br />
technisch besten Musiker, mit<br />
denen ich im Laufe der Jahre zusammen<br />
musiziert habe, stammen<br />
aus unserer SandbergTalentschmiede.<br />
Es fehlte jegliches Interesse<br />
daran, vielleicht irgendwann mal<br />
eine Schallplatte aufzunehmen,<br />
Die Proberäume befanden sich im Dachgeschoss der heutigen Musikschule<br />
Hartig. Foto: Archiv Thomas Schaefer<br />
Gigs zu spielen usw... Wir wollten<br />
einfach nur Spaß haben und<br />
miteinander Musik machen, Musik<br />
hören und uns über Musik<br />
unterhalten. Basta.<br />
Auch die Partys, die natürlich<br />
nicht fehlen durften, waren ausschweifende,<br />
legendäre Feiern<br />
mit teils mehreren hundert Besuchern.<br />
Ein Freund und ichhaben<br />
einmal dort gemeinsam unseren<br />
Geburtstag feierlich begangen.<br />
Jeder Gast sollte etwas zu trinken<br />
mitbringen, aber vorsichtshalber<br />
haben wir für etwa 630<br />
DMark Karlsquelldosen gekauft.<br />
Am Ende waren alle leer… Von<br />
den beiden Malen Domweih<br />
möchte ich jetzt gar nicht erst<br />
anfangen.<br />
Tütenweise leere Bierdose<br />
Dann gab es natürlich auch<br />
noch dieses Müllproblem. Es<br />
wurde ja kein Müll abgeholt, also<br />
horteten wir wochenlang alles in<br />
Mülltüten, bis es wirklich nervte.<br />
Dann, eines Sommerabends<br />
8 Överblick ∙ Das Kulturmagazin www.oeverblick.de