Essay zur Konsumgesellschaft - Universität Potsdam
Essay zur Konsumgesellschaft - Universität Potsdam
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Seminar: Konsum und soziologische Theorie<br />
Universität <strong>Potsdam</strong>, WS 04/05<br />
Dozent: Prof. Stölting<br />
<strong>Potsdam</strong>, den 10.12.04<br />
<strong>Essay</strong> <strong>zur</strong> <strong>Konsumgesellschaft</strong><br />
Sven Sygnecka<br />
Fragestellung des Dozenten<br />
Ernähren und kleiden mussten sich die Menschen schon immer und seit vielen Jahrhunderten<br />
befriedigen sie diese Bedürfnisse über den Markt. Was meint dann der Begriff „<strong>Konsumgesellschaft</strong>“<br />
als Kennzeichnung spezifisch moderner Gesellschaften?<br />
Einführung in die Systematik<br />
Ich kenne deine Vorstellung von Glück.<br />
Ganz egal wie wir uns trennen -<br />
sicher ist: du kommst <strong>zur</strong>ück,<br />
denn die Versuchung ist groß<br />
und ich bin es auch. Ich,<br />
Konsum, gebraucht von dir verbrauch dich.<br />
Der Weg zu mir ist kurz und bequem,<br />
nur du und ich und das System. 1<br />
Wer hungrig ist möchte etwas essen und friert jemand, wünscht er sich etwas Warmes zum<br />
anziehen. Die Erfüllung dieser Wünsche ist für einen Großteil der Menschen keine Selbstverständlichkeit,<br />
so dass diese gelernt haben, weniger hungrig zu sein oder resistenter gegen Kälte.<br />
Trotzdem sterben sie früher und abgesehen von den indischen Samanas 2 zum Beispiel, die<br />
unglaubliche Zeiträume ohne Nahrung und Kleidung auskommen, sind Nahrung, Gesundheit<br />
und Schutz gegen Umwelteinflüsse dem Menschen inhärente, quasi instinktiv verankerte weil<br />
lebenswichtige Bedürfnisse.<br />
Aber nicht alle Bedürfnisse sind physiologischer Natur. Ein gesunder, sattgegessener Mensch<br />
in schützender Kleidung existiert nicht im luftleeren Raum sondern in einer Gesellschaft, die<br />
aus vielfältigen Gründen und in vielfältiger Hinsicht fragmentiert ist – sei es die Arbeitsteilung,<br />
die die Menschen in einen funktionalen Zusammenhang setzt, sei es die Kultur, die<br />
Menschen in ihrer Lebensweise beeinflusst oder Familie, die als kleinste soziale Einheit nicht<br />
nur der Ort der Reproduktion der Menschen ist. In dieser Gesellschaft einen Platz zu finden<br />
ist ein soziales Bedürfnis, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob dieser Platz ein möglichst<br />
„aussichtsreicher“ sein muss. In diesem Zusammenhang ist auch Sicherheit und Geborgen-<br />
1 Die Fantastischen 4, Textausschnitte aus dem Stück „Konsum“ Quelle: http://www.songtexte24.de/songtexte-<br />
Die-Fantastischen-Vier-1059.html.<br />
2 die Asketen aus Hesses Siddhartha. Vgl. Hesse, Hermann (1953): Siddhartha. Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />
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Universität <strong>Potsdam</strong>, WS 04/05<br />
Dozent: Prof. Stölting<br />
heit, die sich zum großen Teil aus der Art und Weise ergibt wie man in die Gesellschaft eingebunden<br />
ist (und wie sie funktioniert), als ein Bedürfnis zu verstehen.<br />
Wie daraus schon zu sehen ist, sind Bedürfnisse kategorisch zu unterscheiden und die Befriedigung<br />
dieser Bedürfnisse muss nicht über den Markt geschehen sondern dies kann auch über<br />
die Familie oder andere gesellschaftliche Einheiten passieren. Bevor auf ich einen Ansatz <strong>zur</strong><br />
Kategorisierung der Bedürfnisse eingehe und über verschiedene Strategien der Bedürfnisbefriedigung<br />
schreibe, gehe ich näher auf den Ursprung von Bedürfnissen ein.<br />
Geschmack<br />
Hi, wir kennen uns schon lange,<br />
doch ich bin nicht hier, um ganz vorne anzufangen.<br />
Du solltest mir vertrauen, denn ich bin dein Freund,<br />
und ich bin überall,<br />
wo man glaubt, dass man was versäumt.<br />
Vergiss nicht wir sind zusammen aufgewachsen,<br />
Wie gutes Gras: Zuhause.<br />
Doch sind wir schon erwachsen.<br />
Bisher habe ich von Bedürfnissen gesprochen, die dem Menschen dauerhaft inhärent sind.<br />
Möchte man Konsum als Befriedigung von Bedürfnissen verstehen, wie ich es hier tun werde,<br />
dann können diese inhärenten Bedürfnisse nur ein Teil der Motivation für den Warenkauf<br />
oder anderen Konsumptionen (passive Aufnahme von befriedigenden Eindrücken) sein. Vielleicht<br />
verlangt jeder Mensch nach der Befriedigung eines ästhetischen Gefühls. Die konkrete<br />
Ausgestaltung dieses Gefühls ist aber nicht jedem Menschen inhärent. Diese Unterscheidung<br />
zieht sich durch alle Kategorien von Bedürfnissen und kann als „Geschmack“ bezeichnet<br />
werden. Geschmack wird nach Bourdieu sozial gebildet und bildet somit Gesellschaft ab. So<br />
man die Ressourcen hat, ist die Auswahl von Nahrung und Kleidung von einem Geschmack<br />
beeinflusst, der im Laufe der Sozialisation geprägt wurde und damit in gewissem Rahmen<br />
determiniert ist.<br />
Wenn Geschmack Gesellschaft abbildet, ergibt sich aber auch die Möglichkeit den Geschmack<br />
anderer gesellschaftlichen Gruppen nachzuahmen oder sich durch Umkehrung von<br />
der eigenen Gruppe zu distanzieren. Beides, „Distinction“ 3 (Bourdieu) und „Emulation“ 4<br />
(Veblen), bedarf eines Bruchs mit dem sozialisiertem Ich und der Gruppe, der im besten Fall<br />
mit der Aufnahme in eine neue Gruppe und der Bildung eines anderen Ichs einhergeht. Die<br />
3 Aus dem Orginaltitel von Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />
4 Engl.: Wetteifern, Nacheifern. Vgl.: Veblen, Thorstein (1899): The Theory of the Leisure Class. New York.<br />
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Nachahmung kann aber nicht vollständig sein, da der Nacheifernde immer einen Rückstand,<br />
den feinen Unterschied, zu denen hat, die in der Gruppe aufgewachsen sind.<br />
Äußert sich die ästhetische Einstellung im Konsum von Kleidung, Nahrung oder anderer Dinge<br />
so ergibt sich hier ein erster Hinweis auf den Zusammenhang von Konsum und Gesellschaft:<br />
Wenn Konsum Geschmack und Geschmack Gesellschaft abbildet, bildet Konsum Gesellschaft<br />
ab und macht die innere Struktur einer Gesellschaft äußerlich.<br />
Kategorien von Bedürfnissen<br />
Du bist ein Teil von dir<br />
und ein Teil von dem was dich umgibt.<br />
Die Sucht nach Anerkennung<br />
und die Sucht nach Harmonie<br />
treiben in die Flucht und in Gedankenbürokratie<br />
und mitten im Konsum kommt dann die Isolierung. 5<br />
Nahrung und Kleidung habe ich oben als physiologische Bedürfnisse beschrieben, den Platz<br />
in der Gesellschaft als soziales Bedürfnis, Sicherheit und Geborgenheit als eine Kategorie<br />
dazwischen. Der humanistische Psychologe Maslow hat Mitte des 20.Jahrhunderts die Idee<br />
entwickelt, dass diese Kategorien von Bedürfnissen in einer hierarchischen Beziehung stehen.<br />
6 Hierarchisch heißt dabei, dass sich Menschen zuerst an den unteren Bedürfnissen orientieren<br />
und erst wenn diese befriedigt sind, die Befriedigung höherstufiger Bedürfnisse anstreben.<br />
Um die Kategorien Geltung und Selbstverwirklichung erweitert hat Maslow diese Stufung<br />
als Bedürfnispyramide beschrieben.<br />
Auf die Gesellschaft angewendet können für wohlhabende Gesellschaften, in denen in der<br />
Regel die Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse unproblematisch und Sicherheit<br />
durch staatliche Sozialsysteme und privatwirtschaftliche Versicherungssysteme verfügbar ist,<br />
die Handlungen der Menschen vorwiegend als auf die Befriedigung höherstufiger Bedürfnisse<br />
abzielend beschrieben werden. Ob dies nun die sozialen Bedürfnisse sind, das Bedürfnis nach<br />
Geltung oder die Frage der Selbstverwirklichung hängt meiner Auffassung nach eher vom<br />
vorherrschenden Gesellschaftsbild ab. Stimmt Becks Individualisierungsthese ist Selbstverwirklichung<br />
die nächste Stufe, stimmt Bourdieus These der Kampffelder dürfte eher Geltung<br />
angestrebt werden und sollten stabile Schichtungs- oder gar Klassenmodelle die Gesellschaft<br />
zutreffend beschreiben, dann werden wohl soziale Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Ich<br />
5 Die Fantastischen 4, Textstück aus dem Stück „Mach dich frei“ Quelle: http://www.songtexte24.de/songtexte-<br />
Die-Fantastischen-Vier-1059.html.<br />
6 Vgl.: Maslow, Abraham H.(1999): Motivation und Persönlichkeit. Reibeck.<br />
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würde diese drei „aufbauenden Bedürfnisse“ als gesellschaftliche Bedürfnisse zusammenfassen,<br />
wie sie Maslow als „Wachstumsbedürfnisse“ beschrieben hat.<br />
Für Gesellschaften, die als <strong>Konsumgesellschaft</strong>en bezeichnet werden, wird damit ein zweiter<br />
Hinweis gegeben: Die zu befriedigenden Bedürfnisse zielen primär auf gesellschaftliche Stellung<br />
ab und sind Ausdruck von mehrheitlich überwundener Gefährdung durch Hunger und<br />
anderen physiologischen Mangelerscheinungen.<br />
Zugleich lässt sich eine Verbindung zum vorhergehenden Abschnitt über den Geschmack<br />
herstellen. Wenn gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt werden, spielt der Geschmack über<br />
die Mechanismen der Distinction und Emulation eine wichtige Rolle. Geschmack ist also<br />
nicht nur die Ausformung eines ästhetischen Bedürfnisses, sondern auch eine Variable, die<br />
die Befriedigung von gesellschaftlichen Bedürfnissen beeinflusst.<br />
Der Zusammenhang von Konsum und Gesellschaft über Geschmack und die Verbindungen<br />
von Bedürfnissen und Gesellschaft als Erlangen einer bestimmten Stellung in ihr können noch<br />
nicht die volle Beantwortung der Fragestellung sein. Zum einen muss die Verbindung zwischen<br />
Konsum und Bedürfnissen hergestellt werden und zum anderen muss die Kennzeichnung<br />
dieses Triade als modern erfolgen.<br />
Konsum als Strategie<br />
Du hast gesucht nach einem Freund,<br />
der dir die Hand reicht.<br />
Doch Einsamkeit ist kalt wenn sie sich anschleicht.<br />
In dieser Zeit warst du nichts als ein Außenseiter,<br />
Warst bereit für mich und wurdest mein Begleiter.<br />
Wie ich oben schon angedeutet hatte, kann die Befriedigung von Bedürfnissen auf verschiedenen<br />
Wegen erfolgen. Nahrung kann selbst angebaut werden, Kleidung kann selbst genäht<br />
werden (Subsistenzwirtschaft) oder getauscht werden (Tauschwirtschaft). Während mit der<br />
Arbeitsteilung und der Erkenntnis geringerer Transformationskosten der Markt, und damit der<br />
Konsum, seit langem als effizientere Strategie der Bedürfnisbefriedigung verstanden wurde,<br />
ist dies für gesellschaftliche Bedürfnisse nicht der Fall. Dies ist einerseits mit Problemen der<br />
Verortung von Effizienz in gesellschaftlichen Prozessen und andererseits mit der Stärke, mit<br />
der sich alternative Formen etabliert hatten, zu erklären.<br />
In Familien, Stände, Zünfte, Klassen und Kasten wird man hineingeboren. Die dort erworbenen<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten, die praktische Vernunft, hat auch genau dort die meiste Anerkennung<br />
gefunden, so dass es gar keinen Sinn machte, dieses Können oder diese Eigenschaften<br />
auf einen Markt für soziale Anerkennung zu werfen. Zudem hatten die einzelnen<br />
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Gruppen ein großes Sanktionspotential für Abweichler und gleichzeitig hohe Hürden für den<br />
Einstieg anderer. Gesellschaftliche Anerkennung erfolgte also als Mitglied einer Gruppe nach<br />
außen und nach festgelegten Regeln innerhalb dieser Gruppe.<br />
Erst die Auflösung dieser Bindungen erlaubte es, andere Strategien für die Akkumulation von<br />
sozialer Wertschätzung zu nutzen. Ein Markt der Meinungen und ein Markt der Waren erlaubten<br />
zunehmend das freie Zusammenstellen eines Portofolios an Mentalitäten und Äußerlichkeiten,<br />
auch wenn der Drang dazu erheblich durch die vorgängige Sozialisation beeinflusst<br />
war. Mit dem gehobenen Wohlstand verlor das Einkommen auch seine absolute restriktive<br />
Wirkung. Der Konsum bestimmter Waren wurde zunehmend das Zeichen für das Bedürfnis<br />
nach spezifischer Anerkennung, Selbstverwirklichung oder Zugehörigkeit.<br />
Bei der Industrialisierung wurde die Vermassung, die Standardisierung – also die Loslösung<br />
von der Produktion auf direkte Nachfrage hin – festgestellt. Informatisierung, Informationstechnologien<br />
und neue Instrumente der Betriebswirtschaft haben diese Loslösung wieder etwas<br />
<strong>zur</strong>ückgenommen, auch wenn der Trade-off zwischen hohen Kosten bei Modellvielfalt<br />
und höheren Einnahmen durch die Erschließung mehrerer Kundengruppen besteht. Völlig<br />
gelingt diese Rücknahme der Standardisierung also nicht, so dass für den aggregierten Marktteilnehmer,<br />
den ein oder anderen Idealtypus eines kaufkräftigen Kunden, produziert wird.<br />
Bedeutet Teilhabe am Konsum auch Teilhabe an der Gesellschaft sind hier neue Ausschlussmechanismen<br />
denkbar. Kleine Gruppen, Menschen mit außergewöhnlichem Geschmack oder<br />
neue Gruppen finden in der Idealtypischen Welt des Konsums keine Entsprechung. Wenn<br />
Konsum die dominante und sozialisierte Strategie der Bedürfnisbefriedigung ist, muss man<br />
sich in dessen Typologisierung einpassen – Konsum wird zum strukturierenden Prozess einer<br />
Gesellschaft.<br />
Natürlich wird es sowohl Nischenprodukte geben, die dann aber teurer sind und damit weniger<br />
Konsum erlauben, und diese Gruppen können auch alternative Strategien wählen um sich<br />
gegenseitig zu erkennen. Für das Streben nach Selbstverwirklichung ist dies ebenfalls möglich.<br />
Oft bleibt gar nichts anderes übrig um ein eigenen Lebensentwurf zu entwickeln – entweder<br />
man verzichtet auf Konsum oder man spürt ganz neue, wenig verbreitete Konsumtrends<br />
auf.<br />
Als drittes Merkmal einer <strong>Konsumgesellschaft</strong> setze ich deshalb den Konsum als dominante<br />
Strategie <strong>zur</strong> Bedürfnisbefriedigung. Wie in den dies herleitenden Ausführungen deutlich<br />
wurde, ist die Verschiebung der Strategien und der Bedürfnisse in einem historisch-<br />
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evolutionärem Kontext eingebunden. Im Folgenden möchte ich deshalb die <strong>Konsumgesellschaft</strong><br />
auf ihre Modernität hin überprüfen.<br />
Konsum und Moderne<br />
Komm mit mir, gib Gas –<br />
sollen die andern doch vermodern.<br />
Komm, ich seh’ du traust mir nicht so ganz, oder?<br />
Innerlich gehst du ein bisschen auf Distanz, oder?<br />
Lass alles fallen mein Freund,<br />
die Neugier ist die Macht<br />
und die Vernunft in deinem Kopf wird ausgelacht.<br />
Die Moderne ist gekennzeichnet durch die Ablösung von Tradition als die Handlungen und<br />
Denkweisen bestimmendes Moment. In der Aufklärung wurde statt dessen die Vernunft als<br />
neue Maxime ausgerufen und alles Irrationale verworfen. Allerdings braucht alles Rationale<br />
ein Objekt, eine Grundlage. Rational heißt, ein Ziel mit möglichst wenig Mitteleinsatz zu erreichen<br />
bzw. die vorhandenen Mittel für das weitestgehende Erreichen des Ziels einzusetzen.<br />
Konsum als Bedürfnisbefriedigung verstanden ist damit immer rational, weil es auf ein Ziel<br />
ausgerichtet ist und im Rahmen der Möglichkeiten menschlicher Auffassungsgabe die Zielerreichung<br />
möglichst umfassend bzw. die Aufwendungen möglichst sparsam gestalten möchte.<br />
Da aber schon immer konsumiert wurde, kann nur die Ausweitung der Ziele, also die durch<br />
Konsum befriedigten Bedürfnisse, oder die Ausweitung der vorhandenen Mittel und somit<br />
eine Ausweitung des Konsums als Kennzeichen bestimmter moderner Gesellschaften dienen.<br />
Das Aufweichen von Tradition und traditionellen Bindungen erlaubt eine Ausweitung der<br />
Strategie Konsum. Somit ist die Moderne eine Vorraussetzung für die <strong>Konsumgesellschaft</strong>.<br />
Die Moderne ist nicht nur auf den Prozess des Konsums beschränkt, auch in der Produktion,<br />
die mit der Manufaktur und der Industrialisierung eine Rationalisierung erfährt, auch die<br />
Macht als Prozess löst sich von familiären Linien und selbst die Reproduktion erfährt mit medizinischen<br />
und ernährungstechnischen Fortschritten eine Rationalisierung. Moderne Gesellschaften<br />
sind somit nicht immer <strong>Konsumgesellschaft</strong>en, <strong>Konsumgesellschaft</strong>en sind aber immer<br />
auch moderne Gesellschaften, weil mit dem Konsum ein rationaler Prozess prägend ist.<br />
Wie ich aber oben beschrieben habe, werden die Bedürfnisse durch den Geschmack bestimmt,<br />
der wiederum durch die Erziehung und das Umfeld geprägt ist. Sollte sich der Geschmack,<br />
oder in Bourdieus Termini der „Habitus“ als Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata,<br />
aber relativ stabil reproduzieren, ist die Vernunft doch an das Wesen der Tradition geknüpft.<br />
Konsum als vernünftiger, moderner Prozess bleibt über das Unbewusste im Handeln<br />
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an Tradition gebunden, auch wenn diese weniger kontinuierlich innerhalb durch Geburt bestimmter<br />
Gruppen existiert.<br />
Konsum funktioniert aber auch bei „Autonomie, im Sinne reiner Selbstverwirklichung unter<br />
Hintanstellung sozialer und politischer Verantwortung und damit in postmodernen Gesellschaften“.<br />
7 Selbstverwirklichung ist nach Maslows Hierarchie das oberste Bedürfnis. Ich habe<br />
die hier als gesellschaftliches Bedürfnis in individualisierten Gesellschaften beschrieben.<br />
Auch wenn meine Auffassung von Selbstverwirklichung die der Verwirklichung des Menschen<br />
als soziales Wesen ist, so verpflichtet der Konsum nicht <strong>zur</strong> Wahrnehmung sozialer und<br />
politischer Verantwortung. Beim Schuhkauf wird die soziale und politische Verantwortung<br />
für die Verhältnisse der Produktion normalerweise nicht hinterfragt (auch weil es kaum Informationen<br />
gibt), beim Möbelkauf ist die Verwendung von Tropenholz selten ein negatives<br />
Kriterium und unter welchen Umständen das Öl für Kunst- und Kraftstoffe gefördert wurde<br />
bleibt dem Verbraucher in der Regel auch verborgen. Konsum ist ein passiver Prozess insofern,<br />
dass er die Entstehung des Gutes nur sehr ausschnitthaft reflektiert. Die Wahrnehmung<br />
sozialer und politischer Verantwortung ist in <strong>Konsumgesellschaft</strong>en nicht implizit.<br />
Die Postmoderne ist zudem durch „eine zunehmend sich beschleunigende Auffächerung und<br />
Vielgestaltigkeit vieler Bereiche des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens“ charakterisiert.<br />
8 Wie ich oben beschrieben habe, ist diese Vielgestaltigkeit durch die Produktion für bestimmte<br />
Idealtypen eingeschränkt, gleichwohl kann niemand die unendliche Produktvielfalt<br />
leugnen, so das <strong>Konsumgesellschaft</strong>en auch vielfältige Gesellschaften sind.<br />
Für den historischen Komplex lässt sich zusammenfassend sagen, das <strong>Konsumgesellschaft</strong>en<br />
deutliche Kennzeichen der Postmoderne haben, sich aber auch als moderne Gesellschaften<br />
mit einer unterbewusst traditionalistischen Komponente beschreiben lassen.<br />
<strong>Konsumgesellschaft</strong><br />
Denn du kannst zwar machen was du willst<br />
aber nicht wollen was du willst.<br />
Die Unfreiheit des Willens ist ein Pilz<br />
der wuchert und wächst<br />
über dein Gehirn reagiert mit deinem Komplex<br />
und ich Konsum düng dieses Gewächs.<br />
Die <strong>Konsumgesellschaft</strong> wurde als Dreierbeziehung von Bedürfnissen, Konsum und Gesellschaft<br />
beschrieben. Die Befriedigung von Bedürfnissen erfolgt in <strong>Konsumgesellschaft</strong>en<br />
7 Baumgart, Erdmut (1999): www.sociologicus.de/lexikon/lex_geb/begriffe/postmode.htm, recherchiert am<br />
10.12.04.<br />
8 Ders.<br />
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Dozent: Prof. Stölting<br />
durch Konsum. Die maßgeblich zu befriedigenden Bedürfnisse werden als gesellschaftliche<br />
Bedürfnisse identifiziert, die kurz als Zugehörigkeit, Geltung und Selbstverwirklichung unterschieden<br />
werden können. Der Kreis wird dadurch geschlossen, dass Gesellschaft Geschmack<br />
bildet und sich dieser im Konsum äußert. Durch den parallel ablaufenden Prozess der Produktion<br />
wird eine entgegengesetzte Wirkung induziert: Nicht alle Geschmäcker finden in Waren<br />
eine Entsprechung und die gesellschaftliche Differenzierung wird durch den Konsum beeinflusst.<br />
Die Verortung der <strong>Konsumgesellschaft</strong> in der Moderne kann nicht trennscharf vollzogen werden.<br />
Da die Geschmacksbildung nach Bourdieu über die Sozialisation vollzogen wird und<br />
unterbewusst handlungsbestimmend bleibt, ist Tradition nicht vollständig durch Vernunft<br />
abgelöst. Da Konsum soziale und politische Verantwortung nicht per se einschließt und eine<br />
trotz beschriebener Einschränkung doch wahrnehmbare große Vielfalt ermöglicht, sind aber<br />
auch Kennzeichen der Postmoderne enthalten.<br />
Verwendete Literatur:<br />
Baumgart, Erdmut (1999): www.sociologicus.de/lexikon/lex_geb/begriffe/postmode.htm,<br />
Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />
Diepenbrock, Freya (2001): Die Bedürfnispyramide nach Abraham H. Maslow .<br />
http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/sop/21493.html<br />
Hesse, Hermann (1953): Siddhartha. Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />
Veblen, Thorstein (1899): The Theory of the Leisure Class. New York.<br />
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