pdf-Datei - Sudetendeutsches Archiv
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Eröffnung der von der SL-Kreisgruppe Regensburg präsentierten Ausstellung des<br />
Sudetendeutschen <strong>Archiv</strong>s „Odsun – Die Vertreibung der Sudetendeutschen“<br />
am 16. Oktober 2001 im Foyer des Donau-Einkaufszentrums<br />
Anrede<br />
So unmittelbar im Leben, mitten im Strom der ihren Tagesgeschäften nacheilenden<br />
Menschen, ist unsere Ausstellung „Odsun – Die Vertreibung der Sudetendeutschen“ noch<br />
nie präsentiert worden.<br />
Gezeigt wurde sie bisher in öffentlichen wissenschaftlichen, kommunalen und staatlichen<br />
Einrichtungen, in <strong>Archiv</strong>en, Museen, Schulen, Behörden und Ministerien, vor wenigen<br />
Monaten erst an einer Universität, der Ludwig-Maximilians-Universität in München; und vor<br />
längerer Zeit schon – ein Höhepunkt gewiß – im Foyer des Europa-Parlaments in Straßburg.<br />
Daß die Ausstellung – zum 18. Mal – 50 Jahre nach der Übernahme der Patenschaft der<br />
Stadt Regensburg über die sudetendeutsche Volksgruppe nunmehr unter der<br />
Schirmherrschaft von Herrn Oberbürgermeister Schaidinger in der für die Beziehungen von<br />
Deutschen und Tschechen so geschichtsträchtigen alten Reichsstadt hier im prallen Leben<br />
des Donau-Einkaufszentrums einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird,<br />
erscheint uns überaus sinnvoll und freut uns daher besonders.<br />
Dafür sei der Stadt Regensburg sowie Herrn Temporale, dem Geschäftsführer des DEZ,<br />
sehr herzlich gedankt.<br />
Unser besonderer Dank gilt vor allem auch Herrn Kaunzner und Herrn Hausmann von der<br />
Sudetendeutschen Landsmannschaft und dem Bund der Vertriebenen, die die Präsentation<br />
der Ausstellung aus Anlaß des 50-jährigen Jubiläums hier in dieser Stadt und an diesem Ort<br />
initiiert und realisiert haben.<br />
In Anbetracht der vorgerückten Stunde will ich mich auf einige sehr wenige grundsätzliche<br />
methodische und theoretische Anmerkungen beschränken.<br />
Ich kann dies schon deshalb tun, weil sowohl über die Ausstellung als auch über den ersten<br />
Band unserer gleichnamigen deutsch-tschechischen Dokumentation, der die lange und<br />
komplexe Vorgeschichte der Thematik von der europäischen Revolution von 1848/1849 bis<br />
zur Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ im März 1939 behandelt, an anderer<br />
Stelle – auch in gedruckter Form – schon vieles gesagt worden ist.<br />
Um das Verfahren und das Ziel unserer Ausstellung und Dokumentation auf einen kurzen<br />
Nenner zu bringen:<br />
Worum es uns in erster Linie geht, ist der Versuch, die geschichtlichen Zusammenhänge der<br />
Vertreibung der Sudetendeutschen aufzuzeigen, ist der Versuch, historische<br />
Ursachenforschung zu betreiben.<br />
Was unsere Ausstellung und insbesondere unsere Dokumentation von zahlreichen anderen<br />
Unternehmungen vergleichbarer Art unterscheidet, ist nicht in erster Linie der Umstand, daß<br />
wir der langen und vielfach verschlungenen Vorgeschichte der Thematik so große<br />
Bedeutung zumessen.<br />
Der wesentliche Unterschied besteht vielmehr darin, daß wir das Thema der Vertreibung der<br />
Sudetendeutschen im Rahmen eines generellen, d. h. genauer gesagt, in einem doppelten<br />
theoretischen Erklärungszusammenhang zu analysieren und zu interpretieren suchen.<br />
Und zwar zum einen im Erklärungszusammnhang der modernen Nations- und<br />
Nationalstaatsbildungund – daraus mittel- oder auch unmittelbar resultierend – zum anderen<br />
im Kontext jener in Extremsituationen mit der modernen Nations- und Nationalstaatsbildung<br />
einhergehenden dramatischenVorgänge nationaler bzw. ethnischer „Säuberungen“.
Konkret bedeutet das, daß – unter dem Gesichtspunkt aller Arten und Größenordnungen<br />
von unfreiwilliger bzw. explizit zwangsweiser Migration, von Flucht, Emigration, Vertreibung,<br />
der damit verbundenen Massaker sowie schließlich angesichts der mehr oder weniger<br />
völligen Auslöschung der kollektiven geschichtlichen Existenz ganzer ethnischer oder<br />
religiöser Gruppen bis hin zum gezielten kollektiven physischen Genozid – das Schicksal<br />
aller Bewohner Böhmens, Mährens und Sudetenschlesiens bzw. der Ersten<br />
Tschechoslowakischen Republik in den Blick genommen wird: d. h. das der<br />
sudetendeutschen, aber auch das der tschechischen und jüdischen Bewohner des Landes.<br />
Die Geschichte und das Schicksal der einzelnen Glieder dieser das Land gemeinsam<br />
bewohnenden „Konfliktgemeinschaft“, um den immer wieder gebrauchten, von dem<br />
tschechischen Historiker Jan Kren geprägten Begriff zu zitieren, werden somit nicht<br />
ausschließlich oder vorrangig aus der Perspektive einer einzigen der konkurrierenden<br />
Ethnien wahrgenommen und beleuchtet.<br />
Die Sichtweise der Ausstellung und Dokumentation ist vielmehr bewußt multiperspektivisch<br />
angelegt. Auf diese Weise, so unsere Überzeugung und Hoffnung, kann jene isolierte bzw.<br />
isolierende Betrachtungsweise überwunden werden, die das Geschichtsbewußtsein und die<br />
Geschichtsschreibung sowohl auf deutscher und sudetendeutscher als auch auf<br />
tschechischer Seite in der einen oder anderen Weise , sei es ausschließlich oder vorrangig,<br />
bis auf den heutigen Tag in einem hohen Maße bestimmt.<br />
Gewiß – das von uns gewählte methodische Verfahren ist anspruchsvoll und aufwendig und<br />
macht es dem Leser und Betrachter angesichts der verwirrenden und widersprüchlichen<br />
Vielfalt der Stimmen, Tendenzen und Positionen nicht leicht. Doch gerade die Vielfalt und<br />
gerade diese Stimmen, Tendenzen und Positionen in all ihrer Gegensätzlichkeit und<br />
Widersprüchlichkeit, sind geeignet, so meinen wir, dem Leser die Chance zu vermitteln, sich<br />
ein eigenes und vergleichsweise objektives Urteil zu verschaffen. Eine solchermaßen<br />
mehrdimensionale, die vielfältigen wechselseitigen Beziehungen sowohl positiver,<br />
produktiver und verbindender als auch negativer, deformierender und destruktiver Art<br />
berücksichtigende Geschichtsbetrachtung vermag, so unsere Überzeugung und Hoffnung,<br />
jene einseitige, eindimensionale und damit monoman verzerrende und schablonenhafte<br />
Sicht der Geschichte zu überwinden, die sich gerade im Falle einer komplexen und<br />
komplizierten „Konfliktgemeinschaft“ wie die der Sudetendeutschen und Tschechen als<br />
besonders fragwürdig und kontraproduktiv erweist:<br />
nämlich jene verzerrende Geschichtsauffassung, die geprägt ist von dem stets von neuem<br />
zu beobachtenden Unterfangen, das eigene Handeln im Sinne eines schwarz-weiß<br />
vereinfachenden Opfer-Täter-Schemas immer nur als verständliche und gerechtfertigte Re-<br />
Aktion auf die a priori unverständliche und ungerechtfertigte Aktion des Gegners und<br />
Feindes zu erklären und dabei die wechselseitige Beziehungs-Geschichte in ihrer ebenso<br />
vielfältigen wie widersprüchlichen Komplexität mehr oder weniger auszublenden.<br />
Wohin ein solches, wechselseitig starr auf die Schuld und Anklage des jeweils anderen<br />
fixiertes Geschichts- und Politikverständnis zu führen vermag, veranschaulicht in<br />
exemplarischer Weise gerade die säkulare Katastrophe der jahrhundertelangen Lebens-,<br />
Konflikt- und gescheiterten Ausgleichsgemeinschaft von Sudetendeutschen und Tschechen<br />
in den Jahren von 1938/39 bis 1945/46. Diese Katastrophe im Hinblick auf die sie<br />
bedingenden Ursachen und den äußeren Ablauf darzustellen, ist das eigentliche Thema<br />
unserer Ausstellung und Dokumentation.<br />
An dieser Stelle gilt es indes, innezuhalten und eine klare Feststellung zu treffen:<br />
Die von uns gewählte, strukturgeschichtlich und multiperspektivisch angelegte, auf<br />
historische Ursachenforschung hin ausgerichtete Betrachtungsweise kann und soll in keiner<br />
Weise dem Zweck eines „tout comprendre est tout pardonner“ dienen, d. h. der Absicht:<br />
alles zu verstehen hieße, alles zu entschuldigen.
Im Gegenteil: Im Blick auf die katastrophale Zuspitzung der Beziehungen von Deutschen,<br />
Sudetendeutschen und Tschechen scheint es gerade eine solche analytische,<br />
differenzierende Betrachtung zu sein, die imstande ist, die komplexen Voraussetzungen und<br />
Zusammenhänge zu klären, die strukturellen Bedingungen sozialer, ideologischer und<br />
politischer Deformationen aufzuzeigen und die Antriebe, Techniken, Taktiken und Strategien<br />
der widerstreitenden Nationalismen und ihrer Protagonisten sichtbar zu machen. Und dies<br />
hinsichtlich aller offenkundigen Affinitäten, aber auch aller evidenten Differenzen.<br />
Wir erleben wieder einmal in unseren Tagen , in welch entsetzliche Abgründe ein<br />
fanatischer, radikaler Extremismus und das intransigente Bestehen auf maximalistischen<br />
Zielen führen können. Und wir wissen gegenwärtig noch nicht, wohin uns die Politik eines<br />
solchen menschenverachtenden Extremismus noch führen wird.<br />
Radikale, fanatische Extremisten und intransigente Maximalisten wird es immer geben. So<br />
wie es auch immer Konflikte geben wird.<br />
Die Tatsache, daß es Konflikte gibt und immer wieder geben muß, ist nicht das Skandalon,<br />
ist nicht das eigentliche Problem. Konflikte sind der Normalzustand allen individuellen wie<br />
kollektiven Lebens, sei es in der Familie, der Gemeinde, in allen Bereichen der Gesellschaft,<br />
im Staat oder in der Staatenwelt.<br />
Entscheidend ist die Art der Konfliktregelung der Konfliktbewältigung – auf der Grundlage<br />
von konstruktivem und konkretem Kompromiß, von Konsens oder auf der Basis von – direkt<br />
oder indirekt ausgeübter – Gewalt und Gegengewalt.<br />
Entscheidend ist damit aber auch, daß den radikal maximalistischen Extremisten der Boden<br />
entzogen wird, der Nährboden nämlich, auf dem sie in Krisen- und Kriegszeiten ihre<br />
unheilvolle Aktivität entfalten können.<br />
Eine historische Ursachenforschung – das sei hier in aller Deutlichkeit gesagt – ist freilich<br />
nicht gleichbedeutend mit dem Versuch einer politischen Problem- und Konfliktlösung. Sie ist<br />
allerdings eine wesentliche Voraussetzung dafür.<br />
Geschichte und Geschichtsschreibung in verschiedenstem Gewande haben bei der<br />
gewaltsam ausgetragenen Regelung von Konflikten zwar oft genug als Instrument oder,<br />
besser gesagt, als Speerspitze gedient. Eine in erster Linie auf historische<br />
Ursachenforschung ausgerichete Auffassung, wie sie auch unserer Ausstellung und<br />
Dokumentation zugrunde liegt und der es vor allem um wechselseitiges Erkennen,<br />
Verstehen und damit um Verständigung geht, dient hingegen einer friedlichen und<br />
einvernehmlichen Form der Konfliktregelung.<br />
Sie dient dem Dialog und damit dem Versuch, aus dem scheinbar ewigen Zirkel von<br />
gegenseitiger Anklage und Schuldzuweisung sowie einseitiger wechselseitiger<br />
Selbstrechtfertigung und wechselseitiger Aufrechnung auszubrechen.<br />
Unsere Ausstellung und unsere Dokumentation sind selbst ein Teil dieses Dialogs. Als<br />
grenzüberschreitende Maßnahme wurden und werden sie gefördert. Dafür sei dem Freistaat<br />
Bayern, der Bundesregierung und nicht zuletzt der Sudetendeutschen Stiftung an dieser<br />
Stelle im Namen des Sudetendeutschen <strong>Archiv</strong>s herzlicher Dank gesagt.<br />
Die Grenze zu Böhmen hat die Ausstellung entgegen anderslautenden Bekundungen bis<br />
heute noch nicht überschritten. Vom Institut für internationale Studien an der<br />
sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität sind wir allerdings schon seit längerer<br />
Zeit eingeladen, die Ausstellung auch in einer gemeinsamen Veranstaltung in Prag zu<br />
zeigen. Doch wird dies voraussichtlich erst der Fall sein, wenn unsere deutsch-tschechische<br />
Dokumentation abgeschlossen ist.
Diese Einladung an sich ist schon ein äußerst positives und erfreuliches Zeichen für den<br />
Fortgang des auf vielen Ebenen und insbesondere auch von vielen engagierten Landsleuten<br />
sowie von zahlreichen Institutionen geführten Dialogs bzw. Trialogs zwischen Deutschen,<br />
Sudetendeutschen und Tschechen.<br />
Daß wir alle trotz der Vorbehalte auf beiden Seiten, trotz aller Schwierigkeiten und<br />
Rückschläge auf einem guten Weg sind, belegt ganz gewiß auch die Einladung, die das<br />
Sudetendeutsche <strong>Archiv</strong> erst vor wenigen Tagen erhalten hat, die sehr erfreuliche Einladung<br />
nämlich, den ersten Band unserer deutsch-tschechischen Dokumentation im Rahmen eines<br />
Symposions in der Botschaft der Tschechischen Republik in Berlin der Öffentlichkeit<br />
vorzustellen.<br />
Die Ausstellung und die Dokumentation des Sudetendeutschen <strong>Archiv</strong>s werden somit, so<br />
hoffen wir, nicht nur zu einer kritischen und selbstkritischen Selbstverständigung, zu einem<br />
fruchtbaren Dialog unter uns Deutschen und Sudetendeutschen, sondern vor allem und in<br />
erster Linie auch zu einem offenen und Vertrauen schaffenden Dialog mit unseren<br />
tschechischen Landsleuten und Nachbarn im Geiste einer zukunftsorientierten europäischen<br />
Nachbarschaft und Partnerschaft beitragen.