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Material für Pädagogen und Erzieher - Theater Dortmund

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<strong>Material</strong> zur Vor - <strong>und</strong> Nachbereitung<br />

Schumanns Kinderszenen<br />

Herausgegeben von:<br />

<strong>Theater</strong> Dortm<strong>und</strong> / Kinder- <strong>und</strong> Jugendtheater<br />

Christine Köck & Isabel Stahl & Marie Helbing<br />

<strong>Theater</strong>pädagogik & Dramaturgie<br />

Spielzeit 2012 / 2013<br />

<strong>Theater</strong> Dortm<strong>und</strong> / Kinder- <strong>und</strong> Jugendtheater, Sckellstr. 5 - 7, 44141 Dortm<strong>und</strong>,<br />

Leitung: Andreas Gruhn, Geschäftsführende Direktorin: Bettina Pesch<br />

www.theaterdo.de<br />

Schumanns Kinderszenen - 1


Schumanns Kinderszenen<br />

Stück von Gotthart Kuppel mit Musik von Robert Schumann<br />

ab 5 Jahren<br />

Das KJT in der Jungen Oper<br />

Désirée von Delft, Steffen Happel, Nicolas Krüger<br />

Regie: Antje Siebers<br />

Ausstattung: Oliver Kostecka<br />

Dramaturgie: Isabel Stahl<br />

Dramaturgieassistenz: Marie Helbing<br />

<strong>Theater</strong>pädagogik: Christine Köck<br />

Ein Kind sitzt lustlos am Klavier <strong>und</strong> hat keinen Spaß am Üben. Bis aus dem Flügel zwei<br />

Augenpaare, die eines Mädchens <strong>und</strong> eines Jungen, auftauchen. Aus dem Üben wird ein<br />

Spiel. Inspiriert von den kleinen Klavierstücken werden in Wort- <strong>und</strong> Gedankenspielen mit<br />

zum Teil anarchischem Witz Geschichten am <strong>und</strong> mit dem Flügel erzählt. Die Romantik der<br />

Musik Robert Schumanns <strong>und</strong> die Erfindungen der Kinder nähern sich einander an <strong>und</strong><br />

nehmen die Zuschauer mit auf eine Reise in die Welt der Fantasie. Ein Eisberg kommt auf<br />

die Kinder zu, fremde Städte <strong>und</strong> Länder werden erk<strong>und</strong>et, Elefant <strong>und</strong> Storch kommen zu<br />

Besuch <strong>und</strong> entführen das ehemals lustlos übende Kind in eine (Musik-) Welt voller<br />

Überraschungen.<br />

Die Kinderszenen (Op. 15) sind ein Zyklus kleiner Klavierkompositionen von Robert<br />

Schumann aus dem Jahr 1838, in denen typische Elemente romantischer Poesie – wie etwa<br />

Sehnsucht oder Melancholie – auftauchen. Die insgesamt 13 kurzen Stücke bieten dem<br />

Hörer eine Projektionsfläche, auf der kleine Geschichten entstehen können <strong>und</strong> somit eine<br />

neue Welt eröffnen.<br />

Schumanns Kinderszenen - 2


Ein Stück über die Zärtlichkeit, von der Sehnsucht danach <strong>und</strong> der Angst davor<br />

Für Kinder <strong>und</strong> Erwachsene nach einer Idee von Jürg Schlachter<br />

Wenn Schumann sagt:<br />

„… die Überschriften entstanden natürlich später <strong>und</strong> sind eigentlich nichts als feinere<br />

Fingerzeige <strong>für</strong> Vortrag <strong>und</strong> Auffassung…“ dann sollen diese Fingerzeige mit aller Vorsicht <strong>und</strong><br />

Genauigkeit zu einem Versuch theatralischer Umsetzung genutzt werden.<br />

Den Mut, dabei wiederum die Grenzen des Spiels nicht zu eng zu setzen, macht uns Schumann<br />

selbst:<br />

„Klavierspielen… Das Wort „spielen“ ist sehr schön, da das Spielen eines Instrumentes eins mit<br />

ihm sein muß. Wer nicht mit dem Instrument spielt, spielt es nicht.“<br />

Und:<br />

„Um zu komponieren, braucht man sich nur an eine Melodie zu erinnern, die noch niemanden<br />

eingefallen ist.“<br />

Motto:<br />

Wenn ich ein Flügel wär`<br />

Und einen Vogel hätt`…<br />

Schumanns Kinderszenen - 3


Vita Gotthart Kuppel<br />

1946 geboren. 1966 begann er das Studium der Medizin an der Universität München, 1973 legte<br />

er dort das Staatsexamen ab. 1986 wurde Kuppel an der Universität Bochum zum „Dr. med.“<br />

promoviert mit der Dissertation „Zum Ges<strong>und</strong>heitsverhalten von Schauspielern.“<br />

1960 bis 1972 Judosport bis in den Olympiakader. Über den Judosport kam er zu seiner ersten<br />

<strong>Theater</strong>arbeit: er arrangierte 1970 eine Bühnenschlägerei.<br />

1972 bis 1975 bei Peter Zadek in Bochum als Schauspieler, Körper-trainer, Dramaturg, Akrobat,<br />

Regieassistent <strong>und</strong> Musiker. Ab 1975 Soloauftritte als „Doktor Kuppels Kombinationskunst“:<br />

Schlappseiltänzer <strong>und</strong> Performer mit zahlreichen Soloprogrammen im In- <strong>und</strong> Ausland; daneben<br />

tätig als Schauspieler <strong>und</strong> Artist an verschiedenen <strong>Theater</strong>n. Ab 1982 Regie u.a. in München,<br />

Gelsenkirchen, Münster, Bremen, Wiesbaden, Heidelberg, Quito (Ecuador), Konstanz, Freiburg.<br />

Autor von <strong>Theater</strong>stücken, zahlreiche Bearbeitungen, Kurzprosa in Literaturzeitschriften <strong>und</strong><br />

Anthologien. 1991: Bremisches Literaturförderstipendium. 2003 „Die Natur ist witzig“, Teneriffa<br />

(Kurzprosa, spanisch <strong>und</strong> deutsch); Libretto „Der Herbst des Patriarchen“ nach dem Roman von<br />

Gabriel García Márquez <strong>für</strong> die Oper von Giorgio Battistelli am Bremer <strong>Theater</strong>. Seit 1996<br />

Objektkunst. Lebt in Bremen <strong>und</strong> auf Teneriffa.<br />

Literatur von G. K. (Auswahl)<br />

<strong>Theater</strong>stücke:<br />

• 1987 Schumanns Kinderszenen (Verlag Autorenagentur, Berlin)<br />

• 1991 Schüsse ins <strong>Theater</strong> (Verlag Autorenagentur, Berlin)<br />

• 2000 Atlantisspinner, in: <strong>Theater</strong> der Generationen, hrsg. von Henning Fangauf,<br />

Wilhelmshaven<br />

• 2004 Der Herbst des Patriarchen, Libretto <strong>für</strong> Giorgio Battistellis Oper nach dem<br />

gleichnamigen Roman von Gabriel García Márquez (UA Bremen)<br />

• 1992 13 höchst persönliche, unvollständige <strong>und</strong> wahrscheinlich widersprüchliche Notizen<br />

zum <strong>Theater</strong> <strong>für</strong> Kinder, in: Beiträge zum Kindertheater, Gr<strong>und</strong>schule/Praxis<br />

Gr<strong>und</strong>schule<br />

• 2003 Die Natur ist witzig/La naturaleza es chistosa (Kurzprosa deutsch <strong>und</strong> spanisch),<br />

Producciones Gráficas, Los Majuelos, Tenerife<br />

Inszenierungen (Auswahl)<br />

• 1987 Schumanns Kinderszenen, G. K. (München)<br />

• 1989 Das Skurrilspiel Sowas, Albert Drach (Esslingen)<br />

• 1990 O wie schön ist Panama, G. K. nach Janosch (Braunschweig)<br />

• 1991 Schumanns Kinderszenen, G. K. (Gelsenkirchen)<br />

• 1996 Sonate in Urlauten, Kurt Schwitters (Freiburg)<br />

• 2000 XYZ, Friedrich Karl Waechter (Konstanz)<br />

Ausstellungen von Objekten (Auswahl)<br />

• 2004 Sala Conca (mit EMZ)<br />

• 2004 Begegnung im Europäischen Haus, Städtische Galerie Trebon, Tschechische<br />

Republik (mit Tilman Rothermel <strong>und</strong> Wolfgang Schmitz)<br />

• 2004 Galerie Schraffur, Bremen (mit EMZ)<br />

• 2004, 2005, 2006 Buchladen Ostertor<br />

• 2007 Hören <strong>und</strong> Sehen, Hofgalerie, Bremen (mit Ingo Ahmels)<br />

• 2008 KunstStöcke, Museo Casa de El Capitán, San Miguel de Abona, Tenerife<br />

Schumanns Kinderszenen - 4


Diese KunstStöcke, auf den Kanarischen Inseln zum Stockfechten benutzt <strong>und</strong> unbrauchbar<br />

geworden, standen in der Ecke. Nebenher bewahrte ich Objekte auf, die <strong>für</strong> Ausstellungen zu<br />

klein waren. Ich brachte die Objekte in Augenhöhe, indem ich die Stöcke als senkrechte<br />

"Podeste" <strong>für</strong> sie benutzte. So sind nun die kleinen Objekte gut sichtbar präsentiert, <strong>und</strong> die<br />

Stöcke haben eine neue Funktion gef<strong>und</strong>en, in der sie ihre unsichtbare Geschichte als<br />

Gegenstände beisteuern. Und schließlich wurde der Stock selber zum Thema.<br />

Schumanns Kinderszenen - 5


Volkslied Joachim Ringelnatz<br />

Wenn ich zwei Vöglein wär,<br />

Und auch vier Flügel hätt,<br />

Flög die eine Hälfte zu dir.<br />

Und die andere, die ging auch zu Bett,<br />

Aber hier zu Haus bei mir.<br />

Wenn ich einen Flügel hätt<br />

Und gar kein Vöglein wär,<br />

Verkaufte ich ihn dir<br />

Und kaufte mir da<strong>für</strong> ein Klavier.<br />

Wenn ich kein Flügel wär<br />

(Linker Flügel beim Militär)<br />

Und auch keinen Vogel hätt,<br />

Flög ich zu dir.<br />

Da's aber nicht kann sein,<br />

Bleib ich im eignen Bett<br />

Allein zu zwein.<br />

Schumanns Kinderszenen - 6


1 Von fremden Menschen <strong>und</strong> Ländern<br />

2 Kuriose Geschichte<br />

3 Hasche-mann<br />

4 Bittendes Kind<br />

5 Glückes genug<br />

6 Wichtige Begebenheit<br />

7 Träumerei<br />

8 Am Kamin<br />

9 Ritter vom Steckenpferd<br />

10 Fast zu ernst<br />

11 Fürchtenmachen<br />

12 Kind im Einschlummern<br />

13 Der Dichter spricht<br />

In den Kinderszenen werden romantische Elemente verarbeitet:<br />

- das Sehnen nach Ferne <strong>und</strong> unbekannten Welten<br />

- das Interesse an Ungewöhnlichen <strong>und</strong> Skurrilen<br />

- der Rückzug in die Innerlichkeit<br />

- Fantasiewelten<br />

- Weltschmerz<br />

Schumanns Kinderszenen - 7


„Glückes genug"<br />

passt gut zu jenem flatternd-blauen Band in Mörikes „Er ist's", das sich als Bote des<br />

annähernden Frühlings erweist. In beiden Szenen - der musikalischen als auch der<br />

literarischen herrscht Freude über <strong>und</strong> auf etwas vor.<br />

Er ist's Eduard Mörike (1804 – 1875)<br />

Frühling lässt sein blaues Band<br />

Wieder flattern durch die Lüfte;<br />

Süße, wohl bekannte Düfte<br />

Streifen ahnungsvoll das Land.<br />

Veilchen träumen schon,<br />

Wollen balde kommen.<br />

Horch, von fern ein leiser Harfenton!<br />

Frühling, ja du bist's!<br />

Dich hab' ich vernommen!<br />

Bilder des Spiels: „Haschemann & Ritter vom Steckenpferd“<br />

Jedes Stück der Kinderszenen trägt eine Überschrift, die den Bezug zur Kindheit<br />

deutlich macht. Zwei der Stücke, das dritte <strong>und</strong> das neunte, heißen: Haschemann <strong>und</strong><br />

Ritter vom Steckenpferd. In diesen Stücken wird musikalisch etwas ausgedrückt, was<br />

Ausdrucksform der Kinder schlechthin ist: das Spiel. Spielende Kinder sind häufig<br />

Gegenstand von Geschichten, in denen es unbeschwert, heiter <strong>und</strong> sorglos, aber auch<br />

gefährlich <strong>und</strong> waghalsig zugeht.<br />

Was <strong>für</strong> eine Geschichte Schumann über spielende Kinder erzählt, ist unschwer zu<br />

hören. Es ist eine unbeschwert heitere. Der Haschemann ist einer, der seinem Namen<br />

Ehre macht: in Sechzehnteln hurtet er herauf <strong>und</strong> hinunter.<br />

Im Spiel sind Spieler <strong>und</strong> Gegenstand noch etwas anderes, als was sie gewöhnlich sind<br />

das macht ja den Reiz des Spiels aus. Man kann sich den Reiter gut vorstellen, der da<br />

musikalisch geschildert wird; ein synkopisches Gr<strong>und</strong>muster hält das Pferd am Laufen.<br />

Dem unbefangenen kindlichen Hörer dürfte sich dieser verwegene Steckenpferdritt<br />

leicht erschließen; vor allem auch dann, wenn musikalische Vergleichsmöglichkeiten<br />

geboten werden.<br />

Schumanns Kinderszenen - 8


Bilder des Innern: „Bittendes Kind“<br />

Musikalische Wiedergabe äußerer Bilder: so ließen sich<br />

die beiden spielerischen Stücke über die Kinderspiele<br />

bezeichnen. Ihnen ordnet sich eine Szene zu, die ein<br />

inneres Bild wiedergibt <strong>und</strong> etwas über die Psychologie<br />

des Kindes aussagt. Es ist das vierte Stück mit dem Titel<br />

„Bittendes Kind". Der Titel assoziiert eine Szene, die gut<br />

vorstellbar ist: in der Absicht, einen Wunsch erfüllt zu<br />

bekommen, fragt das Kind nach etwas Bestimmten, bittet<br />

um etwas Besonderes. Fragen <strong>und</strong> Bitten sind klassische<br />

Sprechakte — keineswegs auf kindliche Sprecher<br />

beschränkt. Das Ziel dieser Sprechakte steht jeweils fest;<br />

die Ausführung ist aber höchst verschieden. Schließlich<br />

lässt sich in vielfältigster Weise eine Frage oder Bitte<br />

stellen:<br />

höflich, bescheiden,<br />

wehleidig,<br />

herablassend, herausfordernd,<br />

frech, höhnisch,<br />

ironisch, zynisch,<br />

hinterhältig, drohend.<br />

Übung: eine Bitte wird festgelegt.<br />

Bspw: „Bitte lies mir etwas vor.“<br />

Diese Bitte soll unterschiedlich<br />

vorgetragen werden. Was gibt es <strong>für</strong><br />

Arten, jemanden um etwas zu<br />

bitten?<br />

Die Silben des Satzes werden<br />

ersetzt durch „ta“<br />

Also:<br />

„Tata ta ta tata ta.“<br />

Hört man jetzt immer noch, wie diese<br />

Bitte gemeint ist? Hört man jetzt<br />

sogar besser, wie die Bitte gemeint<br />

ist?<br />

Es gibt Fragen, die, wenn sie in bestimmter Weise geäußert werden, keine mehr sind, sondern<br />

Drohungen; so wie es Bitten gibt, die keine sind, sondern Befehle. Entscheidendes Indiz hier<strong>für</strong><br />

ist nicht die grammatikalische Konstruktion der Frage oder Bitte, sondern ihre Sprachmelodie,<br />

ihr Klang. Bei einer echten Bitte wird der Klang warm, die Melodie am Ende der Phrase leicht<br />

erhöht sein; bei einer drohend ausgesprochenen Bitte hingegen der Klang kalt <strong>und</strong> die Melodie<br />

keinerlei Schwingung aufweisen. Unbewusst beherrscht jeder Sprecher in Alltagssituationen<br />

dieses Sprechaktspiel - auch Kinder. Als Problem taucht das *Wie* der Gestaltung von direkter<br />

Rede aber dann auf, wenn es etwa im Unterricht darum geht, Dialoge oder Gedichte laut zu<br />

lesen. Wie hat es denn zu klingen, wenn in Fontanes Gedicht vom Ribbeck auf Ribbeck die<br />

Kinder nach dem Tod des famosen alten Herrn fragen: „He is dod nu. — Wer giwt uns nu 'ne<br />

Beer?"<br />

Das Lesen in diesem Sinne fördert das Gestalten von Sprachmelodien; das Hören von<br />

Schumanns vierter Kinderszene das Erkennen einer Melodie als Sprache. Es ist leicht zu hören,<br />

in welcher Weise die fiktive Kinderfigur ihre Bitte vorträgt: leise, zurückhaltend, fast ein wenig<br />

zaghaft.<br />

Schumanns Kinderszenen - 9


Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland Theodor Fontane (1819-1898)<br />

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,<br />

Ein Birnbaum in seinem Garten stand,<br />

Und kam die goldene Herbsteszeit<br />

Und die Birnen leuchteten weit <strong>und</strong> breit,<br />

Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,<br />

Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,<br />

Und kam in Pantinen ein Junge daher,<br />

So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«<br />

Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,<br />

Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«<br />

So ging es viel Jahre, bis lobesam<br />

Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.<br />

Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,<br />

Wieder lachten die Birnen weit <strong>und</strong> breit;<br />

Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.<br />

Legt mir eine Birne mit ins Grab.«<br />

Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,<br />

Trugen von Ribbeck sie hinaus,<br />

Alle Bauern <strong>und</strong> Büdner mit Feiergesicht<br />

Sangen »Jesus meine Zuversicht«,<br />

Und die Kinder klagten, das Herze schwer:<br />

»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«<br />

So klagten die Kinder. Das war nicht recht -<br />

Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;<br />

Der neue freilich, der knausert <strong>und</strong> spart,<br />

Hält Park <strong>und</strong> Birnbaum strenge verwahrt.<br />

Aber der alte, vorahnend schon<br />

Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,<br />

Der wußte genau, was damals er tat,<br />

Als um eine Birn' ins Grab er bat,<br />

Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus<br />

Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.<br />

Und die Jahre gingen wohl auf <strong>und</strong> ab,<br />

Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,<br />

Und in der goldenen Herbsteszeit<br />

Leuchtet's wieder weit <strong>und</strong> breit.<br />

Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,<br />

So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«<br />

Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,<br />

Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«<br />

So spendet Segen noch immer die Hand<br />

Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.<br />

Schumanns Kinderszenen - 10


Traumbilder: „Von fremden Ländern <strong>und</strong> Menschen vs. Fürchtenmachen“<br />

Die Kinderszenen eröffnen mit einem Stück, das in seiner lyrischen Zartheit, Schlichtheit<br />

<strong>und</strong> Verträumtheit an die Wiegen- <strong>und</strong> Schlummerlieder aus Schumanns Waldszenen<br />

oder den Albumblättern erinnert. Eine ungekünstelte, einfache Melodie — die<br />

Ähnlichkeit mit der aus dem Stück „Bittendes Kind" aufweist — ist das musikalische<br />

<strong>Material</strong>, das kaum verändert wird.<br />

Dieses ruhige Gleichmaß findet sich in vielen der Kinderszenen — allerdings nicht in<br />

jenem elften, das den Titel „Fürchtenmachen" trägt. Zwar beginnt auch dieses Stück<br />

melodiös-sanft, leise, fast traumverloren, doch plötzlich, geschieht nach kurzer Zeit ein<br />

abrupter Tempowechsel. In nur vier Takten huscht im pianissimo etwas Fremdartiges<br />

vorüber: Sechzehntel-Akkorde bei einem gleichzeitig in die Tiefe fallenden, akkordisch<br />

aufgeklappten melodischen Bogen deuten Nächtlich-Dunkles, fast etwas Koboldhaftes<br />

an. Die verträumte Ausgangsatmosphäre stellt sich wieder- um ein, so, als ob nie etwas<br />

gewesen wäre. Aber Kobolde haben nun einmal die Eigenschaft, dann aufzutauchen,<br />

wenn man sie nicht erwartet. Variantenreich ist er, der Wicht aus der elften Kinderszene.<br />

Das zweite Mal lauter, nämlich in polternden Akkorden, bis sein wiederum sehr kurzer<br />

Auftritt in einen abfallenden, von beruhigenden Begleitakkorden begleiteten<br />

Melodiebogen übergeht, der zu den verträumten Anfangstakten zurückführt, die sich<br />

nun schon als eine Art Rondothema ausweisen. Gegensätzliche musikalische Teile<br />

fügen sich hier zu einer ästhetischen Einheit — selbstverständlich ist das dem kindlichen<br />

Hören zugänglich. Noch einmal, ein letztes Mal meldet sich der Kobold wieder in seiner<br />

ersten Gestalt zurück, wiederum abrupt verschwindend, abgelöst durch das<br />

Anfangsthema, so dass auf das Ganze gesehen, das kleine Stück die Form eines leicht<br />

verzwickten Rondos aufweist: A - B -A-C- A - B - A. Am Ende ist alles so, wie es am<br />

Anfang war. Der Puck aus Shakespeares „Sommernachtstraum" würde sich in dieser<br />

Geschichte genauso wohl fühlen, wie der Kobold aus Bergengruens gleichnamigen<br />

Gedicht oder das berühmte bucklichte Männlein.<br />

Daß der grummeligen Gnomengeschichte eine Szene mit dem Titel „Kind im<br />

Einschlummern" folgt, ist aufschlussreich: die Kinderszenen gelangen, auch darin ganz<br />

romantisch, im nächtlichen Dunkel an ihr Ende. Es ist eine w<strong>und</strong>ervolle Atmosphäre, die<br />

Schumann in diesem zwölften Stück hervorzaubert. Zart hingetupfte, ineinander<br />

fließende Intervallsprünge, die sich vor allem um die Sext gruppieren, ahmen auf<br />

musikalische Weise die ruhigen Atemzüge eines schlummernden Kindes nach. Und<br />

obwohl eine Schlummergeschichte eigentlich keine Geschichte ist, macht Schumann<br />

eine daraus. Der Mittelteil des Stückes weist leise Veränderungen auf: die Tonart<br />

wechselt von e-moll nach E-Dur; die ruhig fließenden, gleichsam atmenden<br />

Intervallsprünge gleiten in den Diskant; das ganze Geschehen rutscht in tiefere<br />

Tonregionen. Es sind wohl die musikalischen Zeichen da<strong>für</strong>, daß der Schlummer in<br />

tiefen Schlaf übergegangen ist. Nach der gleichen Gesetzmäßigkeit ist übrigens auch<br />

die berühmte Träumerei komponiert, nur, daß einem kindlichen Hören die Szene mit<br />

dem schlummernden Kind leichter faßlich ist.<br />

Schumanns Kinderszenen - 11


Gegensätzliche Bilder<br />

Obwohl die Kinderszenen als geschlossener Zyklus gedacht sind, erzwingen sie nicht<br />

ihre geschlossene Behandlung im Unterricht; bereitwillig fügen sie sich auch in<br />

unkonventionelle Auswählarrangements. Die Möglichkeiten hier<strong>für</strong> sind, wie gezeigt,<br />

vielfältig; eine wäre, Gegensätzliches zusammenzubringen — so etwa die fünfte <strong>und</strong> die<br />

zehnte Kinderszene. Der musikalische Duktus beider Kompositionen ist so verschieden<br />

wie deren Titel: „Glückes genug" <strong>und</strong> „Fast zu ernst". Das erstgenannte Stück perlt fast<br />

überschäumend daher, wohingegen das andere verhalten-ruhig, zart-schwebend,<br />

filigran- kunstvoll ist, melancholisch, ohne aber ins Düster-Dunkle abzugleiten.<br />

Beide Stücke lassen sich natürlich als musikalische Bilder kindlicher Gefühle deuten; sie<br />

sind aber auch auch auf andere Kontexte beziehbar. Etwa auf den jahres- zeitlicher<br />

Stimmungsbilder. Der lyrisch- frohe Charakter von „Glückes genug", der sich immer<br />

mehr zu einem volltönenden Gesang emporschwingt, würde gut zu jenem flatterndblauen<br />

Band in Mörikes „Er ist's" passen, das sich als Bote des her- annähernden<br />

Frühlings erweist. In beiden Szenen - der musikalischen als auch der literarischen<br />

herrscht Freude über <strong>und</strong> auf etwas vor.<br />

Demgegenüber zeigt das Stück „Fast zu ernst" unverhohlen Affinitäten zu einem<br />

anderen Mörike-Gedicht: einem, in dem, zwischen Nebel <strong>und</strong> warmgoldenen Farben<br />

changierend, der „September" sein herbstliches Aussehen präsentiert. Die verhaltene<br />

Miniatur gerade dieser Mörike- Kostbarkeit findet ihre Entsprechung in Schumanns<br />

Komposition, weil die Ambivalenz der literarischen Herbststimmung sich in der<br />

musikalischen Gegenbewegung von zugleich aufsteigenden <strong>und</strong> abfallen- den<br />

melodischen Phrasen spiegelt.<br />

Bilder des Spiels, des Innern, des Traums, des Gegensatzes: es ist ein buntes<br />

Kaleidoskop von Kinderszenen, das sich da präsentiert — noch mehr an Schätzen<br />

enthaltend, als hier vorgestellt. Entgegen vorläufiger Vermutung zeigen sich die<br />

Kompositionen didaktisch fre<strong>und</strong>licher als gedacht; vor allem sich denen nicht<br />

verweigernd , deren Welten sie auf ihre Weise thematisieren: den Kindern. Ein<br />

besonderes pädagogisches Plädoyer haben die musikalisch-pädagogischen<br />

Kinderszenen ohnehin nicht nötig; eher denn schon ein tautologisches: sie sind im<br />

Unterricht zu behandeln, weil es sie gibt.<br />

Schumanns Kinderszenen - 12


Quellen<br />

www.wikipedia.de<br />

Baader, Meike Sophia: Die romantische Idee des Kindes <strong>und</strong> der Kindheit.<br />

Auf der Suche nach der verlorenen Unschuld. Berlin 1996.<br />

Bründel, Heidrun / Hurrelmann, Klaus: Einführung in die Kindheitsforschung.<br />

Weinheim 1996.<br />

Schank, Ulrike: 13 Zwangsläufige, ganz sicher unvollständige <strong>und</strong> wahrscheinlich<br />

widersprüchliche Notizen zum <strong>Theater</strong> des Gotthart Kuppel. In: <strong>Theater</strong> der Zeit. Kinder<br />

<strong>und</strong> Jugendtheaterzentrum in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland (Hrsg.): Stück-Werk 2.<br />

Deutschsprachige Autoren des Kinder- <strong>und</strong> Jugendtheaters. Berlin 1998, S. 98-103.<br />

Rösler, Winfried<br />

Schumanns Kinderszenen. Szenen <strong>für</strong> Kinder?<br />

Gr<strong>und</strong>schule 26 (1994) 5, S. 56-58<br />

urn:nbn:de:0111-opus-4614<br />

Schumanns Kinderszenen - 13

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