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[DVRW 2013] - Georg-August-Universität Göttingen

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abstracts<br />

[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Empirie und Theorie – Religionswissenschaft zwischen<br />

Gegenstandsorientierung und systematischer Reflexion<br />

– 11.9.<strong>2013</strong> – 14.9.<strong>2013</strong> in <strong>Göttingen</strong> –<br />

0


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Impressum<br />

Projektleitung, Konzept, allgemeine Organisation<br />

Prof. Dr. Andreas Grünschloß<br />

Abt. Religionswissenschaft<br />

Platz der Göttinger Sieben 2<br />

37073 <strong>Göttingen</strong><br />

Prof. Dr. Ilinca Tanaseanu-Döbler<br />

CRC EDRIS<br />

Nikolausberger Weg 23<br />

37073 <strong>Göttingen</strong><br />

Prof. Dr. Katja Triplett<br />

Religionswissenschaft, Schwerpunkt Religionen Ostasiens<br />

Ostasiatisches Seminar<br />

Heinrich-Düker-Weg 14<br />

37073 <strong>Göttingen</strong><br />

Tagungsorganisation, Schriftleitung, Programm, Webseite<br />

Arvid Deppe<br />

Abt. Religionswissenschaft<br />

Platz der Göttinger Sieben 2<br />

37073 <strong>Göttingen</strong><br />

0551/39-21252<br />

dvrw<strong>2013</strong>@uni-goettingen.de<br />

www.uni-goettingen.de/dvrw<strong>2013</strong>


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Empirie und Theorie – Religionswissenschaft zwischen<br />

Gegenstandsorientierung und systematischer Reflexion<br />

– 11.9.<strong>2013</strong> – 14.9.<strong>2013</strong> in <strong>Göttingen</strong> –<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Zeitplan ........................................................................................................................................... 12<br />

Panelübersicht ................................................................................................................................ 14<br />

Abstracts ......................................................................................................................................... 18<br />

Die Vielfalt der Nichtreligion: Säkulare Lebensentwürfe und Weltanschauungen (I) .................... 19<br />

Stefan Schröder: Säkulare Organisationen in Deutschland ............................................................ 20<br />

Katharina Neef: Säkularisten unter sich. Internationale Verflechtungen nichtreligiöser<br />

Akteure und Organisationen um 1900 ........................................................................................... 20<br />

Netzwerkansätze in der Religionswissenschaft (I) ....................................................................... 21<br />

Frederik Elwert: Netzwerkanalyse religionshistorischer Quellentexte. Das SeNeReKo-<br />

Projekt ............................................................................................................................................ 21<br />

Alexander-Kenneth Nagel: Gesamtnetzwerke erheben und analysieren:<br />

Religionswissenschaftliche Forschungsstrategien .......................................................................... 22<br />

Sven Wortmann: Das Potential maschineller semantisch-sozialer Netzwerkanalysen für die<br />

Erschließung buddhistsischer Pali-Texten ...................................................................................... 22<br />

Christliche und heidnische Schulen in der späteren Antike: Innovationen im religiösen Feld ....... 23<br />

Stefanie Holder: ‚Hochschulen‘ in der Antike? – Das Museion in Alexandria ................................ 23<br />

Tobias <strong>Georg</strong>es: „… herrlichste Früchte echtester Philosophie …“ – Schulen bei Justin und<br />

Origenes, im frühen Christentum sowie bei den zeitgenössischen Philosophen .......................... 23<br />

Silviu Anghel: Public and Private – The Neoplatonic School of Athens and the Athenian<br />

Sacred Landscape ........................................................................................................................... 23<br />

Religionen und politische Herrschaft (I): Religionen in den USA .................................................. 24<br />

Sebastian Emling: Religionsfreiheit im „land of the free“ ? – Die Bekenntnisse des<br />

Katholiken John F. Kennedy und des Mormonen Mitt Romney zu den USA ................................. 25<br />

Anja-Maria Bassimir: Freiheit, die ich meine: Evangelikale, Religionsfreiheit und<br />

Demokratie in den USA der 1970er ................................................................................................ 25<br />

Massenmediale Informationsproduktionen zu Religion in der Presse: Diskussionen zu den<br />

Konsequenzen für religionswissenschaftliche Theoriebildung und empirisches Forschen ............ 26<br />

1


Katja Kleinsorge: Massenmedien und das religiöse Feld: Bhagwan Shree Rajneesh und die<br />

Lokalpresse in Indien ...................................................................................................................... 26<br />

Nadja Miczek: Massenmedien als Katalysator zur Förderung gesellschaftlicher Akzeptanz<br />

im Feld der Esoterik ........................................................................................................................ 27<br />

Anna Neumaier: Unabhängig oder Undurchschaubar? Religionsbezogene<br />

Nachrichtenplattformen im WWW ................................................................................................ 27<br />

Kerstin Radde-Antweiler: Der Papst in Wort, Bild und Ton ........................................................... 27<br />

Xenia Zeiler: Journalistische Informationsproduktionen zum Hinduismus in der U.S.-<br />

Diaspora ......................................................................................................................................... 28<br />

Religionsästhetik: Konzepte, Methoden, Gegenstände (I) ............................................................ 28<br />

Anne Koch: „Jetzt spür’ ich’s“. Zur religionsästhetischen Herausforderung,<br />

psychophysische Kongruenz von Akteuren zu beschreiben .......................................................... 29<br />

Birgit Meyer: Habitats and Habitus: Politics and Aesthetics of Religious World Making .............. 29<br />

Christoph Uehlinger: „Too big a bite to chew?“ Zur Bedeutung von Ikonographie und<br />

Ikonologie für die Religionsästhetik ............................................................................................... 29<br />

Die Vielfalt der Nichtreligion: Säkulare Lebensentwürfe und Weltanschauungen (II) ................... 30<br />

Susanne Schenk: Die Beziehung von Nichtreligion und Religion – Eine Annäherung anhand<br />

einer Analyse der Angebote und Aktivitäten humanistischer Organisationen in Schweden ........ 30<br />

Liliane Türk und Christiane Altman: Anarchistische und säkulare Strömungen im Judentum:<br />

Zur Vielfalt nichtreligiöser Jiddischisten in den USA ...................................................................... 31<br />

Netzwerkansätze in der Religionswissenschaft (II) ....................................................................... 31<br />

Anne Koch: Stretching for donations: Netzwerkanalyse des neoliberalen globalen Yoga ............ 32<br />

Martin Ackermann: Der Guru-Knoten als Sonderfall ..................................................................... 32<br />

Vanessa Meier: The Sai-Family. Wie erforscht man die Netzwerke von Guru-Devotees? ............ 32<br />

Adrian Hermann: Die Publizistik asiatischer indigen-christlicher Eliten und die Anfänge<br />

transkontinentaler Netzwerkbildung zwischen unabhängigen katholischen Kirchen um<br />

1900: Das Beispiel der „Iglesia Filipina Independiente“ ................................................................. 32<br />

Ex-zentrische Positionalität, Empirie und literarische Strategien in Reisebeschreibungen des<br />

17. Und 18. Jh. – Diskussionen um die Methoden ihrer Analyse ................................................... 33<br />

Catherina Wenzel: Pietro della Valles (1585-1652) Reiseberichte über Persien und Indien ......... 34<br />

Karsten Schmidt: Theoretische Herausforderungen einer religionswissenschaftlichen<br />

Thematisierung christlich-missionarischer Reiseberichte .............................................................. 34<br />

Robert Langer: Der Dabestān-e Maẕāheb (‚School of Religious Doctrines‘, 17. Jh.):<br />

Möglichkeiten religionswissenschaftlicher und ethnohistorischer Analyse .................................. 35<br />

Religionen und politische Herrschaft (II): Religionen und Recht ................................................... 36<br />

Astrid Reuter: Religion im Prozess der Ver(grund)rechtlichung der Gesellschaft ......................... 36<br />

Hannah Müller-Sommerfeld: Wie entsteht Religionsrecht? Ein religionsgeschichtlicher Blick<br />

auf das deutsche Beschneidungsgesetz vom 20. Dezember 2012 ................................................. 36<br />

2<br />

Sarah Jahn: Religion im Spannungsfeld von Recht, Politik und Verwaltung:<br />

Religionsgemeinschaften im Strafvollzug....................................................................................... 37<br />

Christiane Königstedt: Die Ursachen und Hintergründe der Ablehnung „Neuer Religiöser<br />

Bewegungen“ in Frankreich ........................................................................................................... 37


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Religiöses Emplacement und translokale Strukturen: Relationale Ansätze in der<br />

Religionsgeschichte ..................................................................................................................... 38<br />

Karénina Kollmar-Paulenz: Weißer Zar und schwarzer Glaube: Globale Religionsgeschichte<br />

als relationale Geschichte .............................................................................................................. 38<br />

Michael Bergunder: Globale Religionsgeschichte als Retterin religionswissenschaftlicher<br />

Komparatistik? Kulturwissenschaftliche Überlegungen zur Rechtfertigung von<br />

Vergleichsgegenständen ................................................................................................................ 39<br />

Tulasi Srinivas: Globalization, Philosophies of (un) Containment and Entangled Ethical<br />

Subjectivities .................................................................................................................................. 39<br />

Sven Bretfeld: Der Niedergang des Buddhismus in Indien und seine translokalen Folgen ........... 39<br />

Religionsästhetik: Konzepte, Methoden, Gegenstände (II) .......................................................... 40<br />

Peter J. Bräunlein: Geister-Ästhetiken und Jenseits-Topographien. Zur gegenwärtigen<br />

Konjunktur des Post-Mortem Kino in Südostasien ........................................................................ 40<br />

Xenia Zeiler: Religionsästhetik und materiale Religion in Südasien: Yantras als ‚objects of<br />

worship’ in tantrischen und hinduistischen Traditionen ................................................................ 41<br />

Jens Kreinath: Transformative Dynamiken mimetischer Akte: Ästhetische Dimensionen<br />

interreligiöser Heiligenverehrung in Hatay, Türkei ........................................................................ 41<br />

Annette Wilke: Imagination als religionsästhetische und -systematische Kategorie – Am<br />

Beispiel tantrischer Imaginationstechniken ................................................................................... 42<br />

Die Vielfalt der Nichtreligion: Säkulare Lebensentwürfe und Weltanschauungen (III).................. 43<br />

Cora Schuh: Das Nicht-Religiöse verstehen – Eine Auseinandersetzung mit<br />

religionswissenschaftlichen und säkularisierungstheoretischen Klassifizierungen anhand<br />

empirischer Beispiele ..................................................................................................................... 43<br />

Wanda Alberts: Nichtreligion als Gegenstand der Religionswissenschaft (am Beispiel des<br />

norwegischen Humanismus) .......................................................................................................... 43<br />

Intersektionalität – ein produktiver Ansatz zur theoretischen Reflexion von komplexem,<br />

empirischem Material ................................................................................................................. 44<br />

Márcia Moser: Intersektionalität zwischen theoretischer Reflexion und politischer<br />

Omnipotenz – Chancen und Risiken eines jungen Programms ...................................................... 44<br />

Verena Maske: Jung, weiblich, muslimisch – Intersektionalität als Analyseinstrument zur<br />

Erfassung von Identitätspolitiken junger Musliminnen der Muslimischen Jugend in<br />

Deutschland e.V. ............................................................................................................................ 45<br />

Doris Decker: "Von der ,Priesterin' zur ,Hausherrin' – von der ,Sklavin' zur ,Märtyrerin'"<br />

Zum Verhältnis von Religion, Klasse und Geschlecht in frühislamischer Literatur ........................ 45<br />

Danijel Benjamin Cubelic: Polyzentrisches Begehren – queere Selbstpositionierungen nach<br />

dem Arabischen Frühling ................................................................................................................ 46<br />

Evangelikale/Charismatische Bewegungen (I) ............................................................................. 46<br />

Katja Rakow: Evangelikale und Pfingstlerische Großkirchen in transkultureller Perspektive ........ 47<br />

Insa Pruisken: Kulturelle Werte und Wachstum: Predigten als Medium der<br />

Identitätsbildung in Megakirchen .................................................................................................. 48<br />

Frederik Elwert: Evangelikalismus in Aussiedler-Gemeinden: Lokale und globale<br />

Perspektiven ................................................................................................................................... 48<br />

3


Maltese Giovanni: Der Ort des „Islam“ im pfingstlich-charismatischen Diskurs über Politik<br />

und Nationalismus in den Philippinen – ein methodischer Essay .................................................. 49<br />

Religionen und politische Herrschaft (III): Religionen in gesellschaftlichen<br />

Umbruchsituationen .................................................................................................................... 50<br />

Jödicke Ansgar: Die Religionspolitik Aserbaidschans und ihre Folgen für die<br />

Religionsgemeinschaften ............................................................................................................... 50<br />

Karsten Lehmann: Zur Etablierung interreligiöser und interkultureller Dialoginstitutionen in<br />

den internationalen Beziehungen .................................................................................................. 50<br />

Ulf Plessentin: Politische Umbrüche und Religionen ..................................................................... 51<br />

Interreligiöse Kontaktzonen in modernen Einwanderungsgesellschaften (I): Interreligiöse<br />

Räume ......................................................................................................................................... 51<br />

Alexander-Kenneth Nagel: Sprechende Stille: Interreligiöse Räume als<br />

religionswissenschaftliche Problemstellung .................................................................................. 52<br />

Mehmet Kalender: Gepflanzte Vielfalt: Zur Schaffung von Gärten als interreligiöse<br />

Kontaktzonen ................................................................................................................................. 52<br />

Anna Neumaier: „Feindkontakt!“? Religionsbezogene Online-Diskussionsforen als intraund<br />

interreligiöse Kontaktzonen .................................................................................................... 52<br />

Religionsästhetik: Konzepte, Methoden, Gegenstände (III) .......................................................... 53<br />

Alexandra Grieser: Imaginationen zwischen Religion und Wissenschaft: Das Gehirn als<br />

religiöses Objekt ............................................................................................................................. 53<br />

Brigitte Luchesi: Fotos in religionswissenschaftlichen Publikationen. Zur Ästhetik visueller<br />

Präsentation von Religion .............................................................................................................. 54<br />

Hans Gerald Hödl: Neither Syncretism nor Inculturation? Aesthetic Transfer between<br />

West-African Cultures and Christianity in Santería and Celestial Church of Christ ....................... 54<br />

Gregory Alles: Bodies in Motion – Theorizing Dance in Rathva Religion and Culture ................... 55<br />

Religiöse Bewertung von Sex & Gender-Devianzen ...................................................................... 55<br />

Céline Grünhagen: Gender Trouble im Theravāda-Buddhismus: Zur religiösen Prägung und<br />

interkulturellen Übertragbarkeit wissenschaftlicher Konzepte und Kategorien ........................... 56<br />

Leyla Jagiella: „Wie die Engel vor Gottes Thron“ – zu Tradition und Wandel muslimischer<br />

Konzeptionen eines „dritten Geschlechts” auf dem Indischen Subkontinent ............................... 56<br />

Doris Decker: "I want to fuck you religiously" LGBT-Gruppen im Spannungsfeld von<br />

Sexualität und Religion im Libanon ................................................................................................ 57<br />

Sabine Exner: Homophobie in Uganda – ein Import aus dem Westen? ........................................ 58<br />

Kognition, Mission, Konversion – Themen aus dem religionswissenschaftlichen<br />

„Giftschrank“ als Chance zur Innovation religionswissenschaftlicher Ansätze .............................. 59<br />

Anna Schröder: Konversionserleben – mit einer neuen psychosozialen Konversionstheorie<br />

erklärt ............................................................................................................................................. 59<br />

4<br />

Lauren Drover: Sanfte Missionsmethoden in der „Religious Economy“. Missionarische<br />

Strategien der Sōka Gakkai International und der Ahmadiyya bezogen auf die Theorie des<br />

religiösen Marktes von Rodney Stark ............................................................................................. 59<br />

Tony Pacyna: Religion als basal-epistemologisches Bezugssystem sozialer Kognition .................. 60<br />

Evangelikale/Charismatische Bewegungen (II) ............................................................................. 61


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Sebastian Schüler: Ganzheitliches Beten: Emerging Church und Postevangelikalismus als<br />

Ausdruck gegenwärtiger Religiositätskonstruktion ........................................................................ 61<br />

Martin Radermacher: Evangelikalismus und zeitgenössische Spiritualität .................................... 62<br />

Eva Tolksdorf: Normierungsstrategien und Authentizitätskonstruktionen in der<br />

(neo-)charismatisch-evangelikalen Bewegung in Deutschland ...................................................... 62<br />

Verena Hoberg: Was ist ‚erfüllende Sexualität‘? Analyse evangelikaler<br />

Ehe(vorbereitungs)kurse ................................................................................................................ 63<br />

Das Heilige als Problem in der Religionswissenschaft: Fragen und Perspektiven (I) ..................... 64<br />

Edmund Weber: Die dialektische Dynamik von Sakralität und Kulturalität der Existenz als<br />

genuines Thema authentischer Religion ........................................................................................ 64<br />

Vladislav Serikov: Varianten ohne Invariante? Zur semantischen Notwendigkeit der<br />

Kategorie des Heiligen .................................................................................................................... 65<br />

Martin Mittwede: Empirische Forschung und das Heilige – Religionswissenschaft im<br />

interdisziplinären Kontext .............................................................................................................. 65<br />

Interreligiöse Kontaktzonen in modernen Einwanderungsgesellschaften (II): lokale<br />

Infrastrukturen ............................................................................................................................ 66<br />

Gritt Klinkhammer: Identitätspolitiken in interreligiösen Milieus ................................................. 66<br />

Nelly Schubert: Integrationsagenturen als interreligiöse Begegnungsräume ................................ 66<br />

Piotr Suder: Moscheebauprojekte als soziale Katalysatoren interreligiöser Kooperation ............ 67<br />

Repräsentation und Performanz .................................................................................................. 68<br />

Ina Mahlstedt: Thors Hammer und der ‚steinerne Himmel‘ .......................................................... 68<br />

Assia Harwazinski: Religion in Dance: Sidi Larbi Cherkaoui and his trilogy "Babel", "Foi",<br />

"Myth" ............................................................................................................................................ 68<br />

Anja Hänsch: Eine Göttin für das Neolithikum: Marija Gimbutas' vorgeschichtliches<br />

Paradies aus religions- und literaturwissenschaftlicher Sicht ........................................................ 69<br />

Empirische Religionsforschung und die Bestimmung von Religion (I) ........................................... 69<br />

Jens Schlieter: Natürlich übernatürlich? Die Unterscheidung Immanenz/Transzendenz in<br />

empirischer Religionsforschung und Religionstheorie ................................................................... 70<br />

Jens Kreinath: Das ‚Sichtbare‘ und das ‚Unsichtbare‘: Theoretische Rahmen und empirische<br />

Daten in der Formation ‚moderner‘ Religions- und Religiositätsbegriffe ...................................... 70<br />

Die Kehrseite der Medaille: Aufklärung und Religion ................................................................... 71<br />

Christoph Auffarth: Lebensführung und Lebensbild: Selbstdisziplin und Autobiographie in<br />

der Religion der Aufklärung ............................................................................................................ 71<br />

Klaus Brand: Aufgeklärte Geisterseher: Wissenschaft als Religion im frühen 19.<br />

Jahrhundert (am Beispiel des Mesmerismus) ................................................................................ 72<br />

Tilman Hannemann: „Von der anderen Seite des Horizonts steigt die Nacht mit allen ihren<br />

Gespenstern wieder empor“: Diskursive Erwartungen und Abgrenzungen gegenüber den<br />

Scharlatanen der Aufklärung .......................................................................................................... 73<br />

Julian Strube: Ein neues Christentum – Die Suche nach einer wissenschaftlichen<br />

Vernunftreligion im postrevolutionären Frankreich ...................................................................... 73<br />

5<br />

Martial Arts und Religion (I) ........................................................................................................ 74


Esther Berg: Medien, Martial Arts und materiale Religion: Shaolin Kung Fu als (religiöse)<br />

Praxis der Selbstverwirklichung und –optimierung ....................................................................... 75<br />

Markus Wagner: Taijiquan – eine Kampfkunst, viele Traditionen? ............................................... 75<br />

Sixt Wetzler: Kampfkunst als „Weg der Selbstfindung“ – west-östliches Wunschdenken? .......... 75<br />

Das Heilige als Problem in der Religionswissenschaft: Fragen und Perspektiven (II) ..................... 76<br />

Wolfgang Gantke: Das Problem des Heiligen vor dem Hintergrund der Krise des<br />

Naturalismus .................................................................................................................................. 76<br />

Manfred Hutter: Gibt es das "Heilige" in der Religionsgeschichte des Alten Orients?<br />

Begriffsforschung als Basis systematischer Fragestellungen ......................................................... 76<br />

Perry Schmidt-Leukel: Die Bedeutung des Heiligen für die Erklärung von Religion ...................... 77<br />

Die Erforschung von Generationsdynamiken im Kontext von Religion und Migration .................. 77<br />

Sandhya Marla: Generationszugehörigkeit als sozio-religiöses Milieu: zum<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl der zweiten Migrantengeneration tamilischer Hindus in<br />

Deutschland ................................................................................................................................... 78<br />

Sabrina Weiß: „Generation building“ im Kontext von Migration und Religion – koreanische<br />

Christen der zweiten Generation in Zeiten des Umbruchs? .......................................................... 79<br />

Karin Hitz: Sphären des religiösen Wandels in und rund um islamische(n) Organisationen in<br />

Deutschland ................................................................................................................................... 79<br />

Whence and Whither? Religionswissenschaft, Europäischer Kolonialismus und die<br />

Interventionen Postkolonialer Studien (I) .................................................................................... 80<br />

Alicia M. Turner: Constructing and Contesting ‘Religion’ in Colonial Contexts ............................. 81<br />

Humeira Iqtidar: Islamism, Secularism and Secularisation: Categories and Historical<br />

Trajectories ..................................................................................................................................... 82<br />

Empirische Religionsforschung und die Bestimmung von Religion (II) .......................................... 82<br />

Andrea Rota: Bestimmungskriterien von Formen religiöser und säkularer<br />

Vergemeinschaftung ...................................................................................................................... 82<br />

Johannes Quack: Religion und das religionsbezogene Feld: Zur Gegenstandsbestimmung<br />

der Religionswissenschaft .............................................................................................................. 82<br />

Christoph Bochinger und Katharina Frank: Auf dem Weg zu einer empirisch gegründeten<br />

Religionstheorie ............................................................................................................................. 83<br />

Ideologien der Religionswissenschaft .......................................................................................... 84<br />

Marvin Döbler: ‚Wahrheit und Methode‘ revisited – ein Religionswissenschaftler im<br />

Gespräch mit Hans-<strong>Georg</strong> Gadamer .............................................................................................. 84<br />

Ilinca Tanaseanu-Döbler: Religiöse Religionswissenschaftler: Formen moderner<br />

Intellektuellenreligiosität ............................................................................................................... 85<br />

Moritz Deecke: Das Verhältnis von Religion und Wissenschaft im Hinblick auf die<br />

Religionswissenschaft .................................................................................................................... 85<br />

6<br />

Martial Arts und Religion (II) ........................................................................................................ 85<br />

Horst Junginger: The way of doing things: Martial Arts „Formen“ am Beispiel der<br />

Karatekata ...................................................................................................................................... 86<br />

Wolfgang Fanderl: Jigorō Kanō (1860-1938), Bildungspolitiker und Begründer des<br />

modernen Judo .............................................................................................................................. 86


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Interreligiosität/Transreligiosität in religionswissenschaftlicher Perspektive .............................. 87<br />

Sandra Schaub: Dialog der Weltreligionen – Der Gottesbegriff und seine<br />

zeichendidaktischen Möglichkeiten im interreligiösen Diskurs von Judentum, Christentum<br />

und Islam ........................................................................................................................................ 87<br />

Stamatios Gerogiorgakis: Belief revision und interreligiöser Dialog .............................................. 87<br />

Assia Harwazinski: Religious Views From the Bottom: Lessons from a Teaching Experience<br />

in Multicultural Classes .................................................................................................................. 89<br />

Reaktionen von Religion(en) auf Religionspolitiken in Deutschland seit 1919 ............................. 90<br />

Vanessza Heiland: Religiöse Minderheiten in der Weimarer Republik .......................................... 90<br />

Dirk Schuster: (Re-)Aktionen auf nationalsozialistische Religionspolitiken ................................... 90<br />

Frank Schenker: Zeitgeschichtliche Herausforderungen in einer sich verändernden<br />

religiösen Landschaft ...................................................................................................................... 91<br />

Whence and Whither? Religionswissenschaft, Europäischer Kolonialismus und die<br />

Interventionen Postkolonialer Studien (II) ................................................................................... 91<br />

Gabriele Richter: Können die Subalternen ‚hexen’? Eine Gegenüberstellung von Religion im<br />

Pazifik und Subaltern-Theorien ...................................................................................................... 92<br />

Marita Günther-Saeed: Neue Normierungen und Ausschlüsse? Das Zusammenspiel<br />

religiöser, gegenderter und ethnisierender Codierungen von Wissen am Beispiel des<br />

„International Council of Thirteen Indegenous Grandmothers“ und „Rat der Großmütter“ ........ 92<br />

Zubair Ahmad: Islampolitik im postkolonialen Deutschland .......................................................... 93<br />

Die Verwissenschaftlichung des Religionsbegriffs (I) ................................................................... 93<br />

Dirk Johannsen: Reduktion ............................................................................................................. 94<br />

David Atwood: Genese ................................................................................................................... 94<br />

Stephanie Gripentrog: Diagnose .................................................................................................... 95<br />

Zwischen Normativität und Wertneutralität: Religionswissenschaft und ihre Gegenstände ........ 95<br />

Thomas Eich: Konzepte von Wandel als Erneuerung in Islamwissenschaftlicher Forschung ........ 96<br />

Michael Schmiedel: Interkulturelle Bildungsarbeit zwischen Wissens- und<br />

Wertevermittlung ........................................................................................................................... 97<br />

Christoph Bochinger und Moritz Klenk: Die Normativität der Religionswissenschaft<br />

zwischen Religion, Theologie und säkularer Gesellschaft .............................................................. 97<br />

Dagmar Fügmann: Holzwege im Wald der Gegenstände .............................................................. 98<br />

Biologische und soziale Evolutionstheorien in der religiösen Selbstbehauptung in Asien ............ 98<br />

Christian Meyer: Evolutionistische Interpretationen von Religionsgeschichte im Widerstreit<br />

von Religionskritik und Religionsapologetik in China, ca. 1900-1930 ............................................ 98<br />

Seung Chul Kim: Darwin und der Buddhismus im modernen Korea und Japan ............................. 99<br />

Mira Sonntag: ‚Evolution‘ in der religiösen Selbstbehauptung japanischer Christen von<br />

1877 bis 1945 ................................................................................................................................. 99<br />

Franz Winter: Die Evolution der Religion: Modelle der Geschichtsinterpretation bei<br />

japanischen Neureligionen ............................................................................................................. 100<br />

7<br />

Atheismus in interkultureller und transdisziplinärer Perspektive ................................................ 101


Carsten Ramsel: Atheistinnen und Atheisten in der Schweiz. Typen – Dynamiken –<br />

Konfliktfelder .................................................................................................................................. 101<br />

Stefan Huber: Atheistische Spiritualität? Ergebnisse einer Spurensuche ...................................... 101<br />

Anja Kirsch: ,Religion’, ,Weltanschauung’ und ,Atheismus’ in der narrativen<br />

Weltanschauungsdidaktik des Realsozialismus ............................................................................. 102<br />

Raum und Religion ....................................................................................................................... 102<br />

Jens Kugele: Zurück zum Raum – Raumtheorie und Religionswissenschaft .................................. 103<br />

Christa Frateantonio: Neue religiöse Räume in der Moderne: Yoga-Studios als urbanes<br />

Phänomen ...................................................................................................................................... 103<br />

Martin Baumann: Neue Sakralbauten in der Politik des Raums .................................................... 104<br />

Thorsten Wettich: Theorizing religious practice in spatial terms – die yezidische Gemeinde<br />

in Deutschland ................................................................................................................................ 104<br />

Postmoderne und Postkoloniale Zugänge zur Religion im Osten Europas .................................... 105<br />

Sebastian Rimestad: Die russisch-orthodoxe Sicht auf den Postsäkularismus .............................. 106<br />

Vasilios Makrides: Orthodoxes Christentum in Ost- und Südosteuropa in postkolonialer<br />

Perspektive ..................................................................................................................................... 106<br />

Stamatios Gerogiorgakis: Kann es eine postmoderne oder postkoloniale christliche<br />

Orthodoxie geben? ......................................................................................................................... 107<br />

Die Verwissenschaftlichung des Religionsbegriffs (II) ................................................................... 107<br />

Jürgen Mohn: Lexikalische und institutionelle Formen der Verwissenschaftlichung von<br />

‚Religion‘ ......................................................................................................................................... 108<br />

Jens Kreinath: Religionsphänomenologie als Theorie, Methode, Gegenstand:<br />

Diskursgeschichtliche Analysen zur Formation eines Wissenschaftsparadigmas der<br />

Religionswissenschaft im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ................................................ 108<br />

Michael Stausberg: Vorarbeiten zu einer Geschichte der Religionswissenschaft ......................... 109<br />

Religionen Asiens ......................................................................................................................... 109<br />

Ann-Kathrin Wolf: Performanz buddhistischer Texte und Theorien zu Mündlichkeit und<br />

Schriftlichkeit .................................................................................................................................. 109<br />

Henry Zimmermann: P’ansu. Über Nutzen und Hinderlichkeit des<br />

Schamanismusparadigmas in der ‚Archäologie‘ eines religiösen Spezialistentums in Korea ........ 110<br />

Julia Linder: Der Buddhismus im heutigen Indonesien – ein aktueller Forschungsbericht ........... 110<br />

Wissenschaftsdiskurs und der Beitrag der Religionswissenschaft ................................................ 111<br />

Christiane Altmann: Religionswissenschaftliche Beiträge zum Jüdischen Messianismus:<br />

Chabad Lubavitch im Kontext von Religiösem Nonkonformismus ................................................ 111<br />

Oliver Freiberger: Indische Religionen oder Religionen in Indien? Perspektivenunterschiede<br />

in Regionalstudien und Religionswissenschaft .............................................................................. 112<br />

8<br />

Matthias Egeler: Lokale Religionsgeschichte, Religionswissenschaft und Religionskontakt:<br />

Möglichkeiten eines religionswissenschaftlichen Beitrags zum Wissenschaftsdiskurs am<br />

Beispiel der Inseln der Seligen ....................................................................................................... 112<br />

Religiöse Zuschreibungs- und Gestaltungsprozesse von Natur-Räumen. Empirische<br />

Beispiele und theoretische Reflexionen ....................................................................................... 113


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Edith Franke: Religiöse Interpretationen der vulkanischen Aktivitäten des Merapi im<br />

Spannungsfeld lokaler und islamischer Traditionen auf Java ........................................................ 113<br />

Celica Fitz: Von konstruierter Natürlichkeit zur Sinnstiftung in Wellnessanlagen ......................... 114<br />

Julia Dippel: Ein Heiligtum unter der Haube – Die (Re-)Konstruktion eines paganen<br />

Heiligtums in der Eifel .................................................................................................................... 114<br />

Bärbel Beinhauer-Köhler: „Natur“ als gestalterisches Zeichen in multireligiösen<br />

architektonischen Räumen der Gegenwart ................................................................................... 115<br />

Was ist Fundamentalismus? Und was ist das Gegenteil? Religions- und<br />

sozialwissenschaftliche Konzepte von religiösem Fundamentalismus und interreligiöser<br />

Xenosophie ................................................................................................................................. 115<br />

Friederike Sadowski und Andreas Zick: Rekonzeptualisierung von religiösem<br />

Fundamentalismus: Eine ägyptische Fallstudie .............................................................................. 117<br />

Silvia Martens: Xenophobie und Xenosophie in der Begegnung mit religiös Anderen .................. 118<br />

Constantin Klein und Heinz Streib: Xenosophie – religiösen Pluralismus leben ............................ 119<br />

Religionsgeschichte zwischen Anthropologie, Soziologie und Phänomenologie: theoretische<br />

und methodologische Überlegungen zum Empiriebezug der Religionswissenschaft (I) ................ 120<br />

Moritz Deecke: Phänomenologen vs. Soziologen? Ein Modell für die Integration<br />

konkurrierender Theorieansätze in der Religionswissenschaft ..................................................... 120<br />

Darja Sterbenc Erker: Soziologische und anthropologische Methoden in der antiken<br />

Religionsgeschichte ........................................................................................................................ 121<br />

Thomas Hase: Religiöser Nonkonformismus und Geschlechterdebatten in der Frühen<br />

Neuzeit ........................................................................................................................................... 122<br />

Forschen am Vertrauten im Fremden und am Fremden im Vertrauten:<br />

Religionswissenschaft – Treiben in brasilianisch deutscher Kooperation (I) ................................. 122<br />

Adriane L. Rodolpho: Der Glaube an Geister und die religiöse Matrix: theoretisch<br />

methodologische Überlegungen zu einem Dialog zwischen der religiösen Feldern in<br />

Brasilien und Deutschland (Crença nos espíritos e matriz religiosa: considerações teóricometodológicas<br />

para um diálogo entre os campos religiosos no Brasil e na Alemanha) ................ 123<br />

Fritz Heinrich: Einmal Brasilien und zurück: empirische und theoretische Überlegungen zur<br />

Translozierung des europäischen Spiritismus ................................................................................ 123<br />

Oneide Bobsin: Die Reifikation der Religion: die Religion der Soziologie (A<br />

Reificação Da Religião: A Religião Da Sociologia) ........................................................................... 124<br />

Was heißt hier religiös, und was spirituell? Empirische Untersuchungen zur Semantik von<br />

„Religion“ und „Spiritualität“ und ihr Ertrag für die theoretische Diskussion<br />

religionswissenschaftlicher Leitbegriffe ....................................................................................... 124<br />

Constantin Klein: Die empirische Erschließung theoretischer Dimensionen des<br />

Religionsbegriffs ............................................................................................................................. 124<br />

Anne Swhajor-Biesemann, Barbara Keller und Constantin Klein: Religion vs. Spiritualität.<br />

Empirische Untersuchungen zur Semantik zweier religionswissenschaftlicher<br />

Grundbegriffe in Deutschland und den USA I: Semantische Differentiale ..................................... 125<br />

Heinz Streib, Barbara Keller und Constantin Klein: Religion vs. Spiritualität. Empirische<br />

Untersuchungen zur Semantik zweier religionswissenschaftlicher Grundbegriffe in<br />

Deutschland und den USA II: Freie Definitionen ............................................................................ 127<br />

9<br />

Religionswissenschaftliche Terminologie in empirischer / historischer Perspektive .................... 128


Bernd-Christian Otto: Patterns of magicity – Muster der Magizität? ............................................ 128<br />

Julian Strube: Die Entstehung des Okkultismus – Historische Religionswissenschaft<br />

zwischen Traditionskonstruktion, Apologie und Polemik .............................................................. 129<br />

„Schlaf gut, mein geliebter Stern“ – Die multidisziplinäre Untersuchung von<br />

Kontingenzbewältigungsstrategien bei neonatalem und pränatalem Tod im Kontext<br />

institutionalisierter und individueller Religionen ......................................................................... 130<br />

Simone Heidbrink: Dead Babies on YouTube. Researching Religious and Ritual Elements in<br />

Online Mourning Practices for Perinatal Death ............................................................................. 131<br />

Harish Naraindas: Child bereavement in Germany and the USA: religious responses,<br />

practices and rituals to pregnancy loss and neonatal death ......................................................... 132<br />

Karin Polit: Medical technology and religion in India: What prenatal diagnostics have to do<br />

with social responsibility ................................................................................................................ 132<br />

Afrikanische Religionsgeschichte: Postkoloniale Perspektiven (I) ................................................. 132<br />

Ricarda Stegmann: Moderne Imame in Algerien? Der Wandel religiöser Autoritäten und<br />

ihrer Ausbildungsstätten im Kontext der französischen Kolonialherrschaft ................................. 133<br />

Jörg Haustein: Religion und „Eingeborenenrecht“ in Tanganjika: Islamische Jurisdiktion und<br />

koloniale Rechtsetzung in Deutsch-Ostafrika ................................................................................ 134<br />

Samuel Krug: ‚Äthiopische Juden‘: Die Beta-Israel und die Konstruktion einer jüdischen<br />

Identität .......................................................................................................................................... 134<br />

Religionsgeschichte zwischen Anthropologie, Soziologie und Phänomenologie: theoretische<br />

und methodologische Überlegungen zum Empiriebezug der Religionswissenschaft (II) ............... 135<br />

Heinrich Wilhelm Schäfer: Religion und soziale Ungleichheit: zu Methode und Theorie<br />

einer Praxeologie (Bourdieu) der Religion ..................................................................................... 135<br />

Christoph Kleine: Kann Religionsgeschichte eine empirische Wissenschaft sein?<br />

Wissenschaftstheoretische und fachpolitische Überlegungen ...................................................... 135<br />

Forschen am Vertrauten im Fremden und am Fremden im Vertrauten:<br />

Religionswissenschaft – Treiben in brasilianisch deutscher Kooperation (II) ................................ 136<br />

Miriam Zimmer: Ethnizität und ethnische Identität in interkulturellen Kontexten<br />

untersuchen: Eine empirische Herausforderung ........................................................................... 137<br />

Wilhelm Wachholz: Zur Locus-Bezogenheit von Identität: das Beispiel der brasilianischen<br />

Bevölkerung deutscher Herkunft ................................................................................................... 137<br />

Response: Andreas Grünschloß: Religionswissenschaftliche Überlegungen zu Homi K.<br />

Bhabas ‚Die Verortung der Kultur‘ im Blick auf die Interaktion deutsch-brasilianischer<br />

Religionsforschung und ihrer Gegenstände ................................................................................... 137<br />

Buddhismus nach dem Tsunami. Film und Diskussion über religiöse Reaktionen auf die<br />

Dreifachkatastrophe in Japan 2011 .............................................................................................. 138<br />

Vom Text zu den Daten oder von den Daten zum Text? Das Verständnis von ‚Empirie‘ in der<br />

Religionswissenschaft .................................................................................................................. 138<br />

Michael Höckelmann: Die Rückkehr der Philologie oder das Heraustreten aus der Sprache ....... 139<br />

10<br />

Hannah Müller-Sommerfeld: „Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht mehr los.“ Oder:<br />

Warum Theorien in der religionshistorischen Forschung keinen Nutzen haben können .............. 140<br />

Sarah Jahn: Die Erforschung religiöser Gegenwartskultur durch „Vertextung“ empirischer<br />

Daten .............................................................................................................................................. 140


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Anna Schröder: Empirisch belegte Theorien – der psychologische Zugang zur Erforschung<br />

von Religionen als biopsychosoziokultureller Tatsache ................................................................. 141<br />

Religiöse Toleranz vs. Zwang zur Orthopraxie als religionswissenschaftliche Empirie .................. 142<br />

Nicole Hartmann: Opfertest und religiöse Konformität in der römischen Kaiserzeit .................... 142<br />

Daniel Eißner: Frühneuzeitliche Toleranzedikte und Sanktionsmaßnahmen gegen religiöse<br />

Abweichler ...................................................................................................................................... 142<br />

Afrikanische Religionsgeschichte: Postkoloniale Perspektiven (II) ............................................... 143<br />

Magnus Echtler: Wie postkolonial ist der schwarze Messias? ....................................................... 143<br />

Ulrike Schröder: „From Cane Fields to Freedom“: Die indische Gemeinschaft als Teil der<br />

südafrikanischen Religionsgeschichte ............................................................................................ 144<br />

Laura Pöhler: Died of AIDS, Killed by Witchcraft! HIV und AIDS im Kontext indigener<br />

religiöser Diskurse südafrikanischer Gesellschaften ...................................................................... 145<br />

Eva Spies: Endlich Individuen? Afrikanisch-Christliche Mission auf Madagaskar und die<br />

Dichotomie von Tradition und Moderne ........................................................................................ 145<br />

11


12<br />

Zeitplan


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Mittwoch, 11.09.<strong>2013</strong> Donnerstag, 12.09.<strong>2013</strong> Freitag, 13.09.<strong>2013</strong> Samstag, 14.09.<strong>2013</strong><br />

9:15 – 10:45 Uhr Panel Panel Panel<br />

10:45 – 11:15 Uhr Kaffeepause Kaffeepause Kaffeepause<br />

11:15 – 12:45 Uhr Panel Panel Panel<br />

12:45 – 14:15 Uhr Öffnung des Tagungsbüros Mittagspause Mittagspause Mittagspause<br />

Vortrag DFG (14:15 – 15:30)<br />

Panel Panel<br />

14:15 – 15:45 Uhr<br />

Kaffeepause (15:30 – 16:00)<br />

Arbeitskreis-<br />

Treffen<br />

15:45 – 16:15 Uhr Kaffeepause Kaffeepause<br />

Podium & Abschluss<br />

(16:00 – 17:30 Uhr)<br />

Panel Panel<br />

AK-Treffen<br />

Mittelbau<br />

und<br />

Nachwuchs<br />

REMID<br />

Mitgliederversammlung<br />

<strong>DVRW</strong><br />

Vorstandssitzung<br />

16:15 – 17:45 Uhr<br />

Empfang (De Gruyter)<br />

18:00 – 19:00 Uhr<br />

Preisverleihung<br />

Keynote II (A. Koch)<br />

Eröffnungsvortrag /<br />

Keynote I (M. Pye)<br />

19:00 – 20:00 Uhr<br />

20:00 – 22:00 Uhr Eröffnungsempfang Abendessen (privat) Mitgliederversammlung<br />

22:00 – 24:00 Uhr<br />

13


14<br />

Panelübersicht


A B C D E F<br />

ZHG 101 ZHG 102 ZHG 103 ZHG 104 ZHG 105 ZHG 006<br />

Grieser:<br />

Religionsästhetik:<br />

Konzepte, Methoden,<br />

Gegenstände (I)<br />

Miczek:<br />

Massenmediale<br />

Informationsproduktionen<br />

zu Religion in der Presse:<br />

Diskussionen zu den<br />

Konsequenzen für<br />

religionswissenschaftliche<br />

Theoriebildung und<br />

empirisches Forschen<br />

Bassimir:<br />

Religionen und<br />

politische Herrschaft<br />

(I: Religionen in den<br />

USA)<br />

Tanaseanu-Döbler:<br />

Christliche und<br />

heidnische Schulen in<br />

der späteren Antike:<br />

Innovationen im<br />

religiösen Feld<br />

Elwert:<br />

Netzwerkansätze in der<br />

Religionswissenschaft (I)<br />

9:15 – 10:45 Quack:<br />

Die Vielfalt der<br />

Nichtreligion: Säkulare<br />

Lebensentwürfe und<br />

Weltanschauungen (I)<br />

Grieser:<br />

Religionsästhetik:<br />

Konzepte, Methoden,<br />

Gegenstände (II)<br />

Bretfeld, Kollmar-Paulenz.:<br />

Religiöses Emplacement<br />

und translokale Strukturen:<br />

Relationale Ansätze in der<br />

Religionsgeschichte<br />

Müller-Sommerfeld:<br />

Religionen und<br />

politische Herrschaft<br />

(II: Religionen und<br />

Recht)<br />

Wenzel:<br />

Ex-zentrische<br />

Positionalität, Empirie<br />

und literarische<br />

Strategien in Reisebeschreibungen<br />

des<br />

17. und 18. Jh. –<br />

Diskussionen um die<br />

Methoden ihrer<br />

Analyse<br />

Elwert:<br />

Netzwerkansätze in der<br />

Religionswissenschaft (II)<br />

11:15 – 12:45 Quack:<br />

Die Vielfalt der<br />

Nichtreligion: Säkulare<br />

Lebensentwürfe und<br />

Weltanschauungen (II)<br />

Grieser:<br />

Religionsästhetik:<br />

Konzepte, Methoden,<br />

Gegenstände (III)<br />

Nagel:<br />

Interreligiöse Kontaktzonen<br />

in modernen<br />

Einwanderungsgesellschaften<br />

(I: Interreligiöse Räume)<br />

Jödicke:<br />

Religionen und<br />

politische Herrschaft<br />

(III: Religionen in<br />

gesellschaftlichen<br />

Umbruchsituationen)<br />

Radermacher, Tolksdorf:<br />

Evangelikale/<br />

Charismatische<br />

Bewegungen (I)<br />

Moser, Günther-Saeed,<br />

Maske:<br />

Intersektionalität – ein<br />

produktiver Ansatz zur<br />

theoretischen Reflexion<br />

von komplexem,<br />

empirischem Material<br />

14:15 – 15:45 Quack:<br />

Die Vielfalt der<br />

Nichtreligion: Säkulare<br />

Lebensentwürfe und<br />

Weltanschauungen (III)<br />

Hänsch:<br />

Religion und<br />

Performanz<br />

Nagel:<br />

Interreligiöse Kontaktzonen<br />

in modernen<br />

Einwanderungsgesellschaften<br />

(II: lokale<br />

Infrastrukturen )<br />

Donnerstag. 12.09.<strong>2013</strong><br />

Gantke, Weber:<br />

Das Heilige als<br />

Problem in der<br />

Religionswissenschaft:<br />

Fragen und<br />

Perspektiven (I)<br />

Radermacher, Rakow,<br />

Pruisken:<br />

Evangelikale/<br />

Charismatische<br />

Bewegungen (II)<br />

Drover, Pacyna, Schröder:<br />

Kognition, Mission,<br />

Konversion – Themen aus<br />

dem religionswissenschaftlichen<br />

"Giftschrank" als Chance<br />

zur Innovation<br />

religionswissenschaftlich<br />

er Ansätze<br />

[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

16:15 – 17:45 Grünhagen:<br />

Religiöse Bewertung von<br />

Sex & Gender-Devianzen<br />

15


16<br />

A B C D E F<br />

ZHG 101 ZHG 102 ZHG 103 ZHG 104 ZHG 105 ZHG 006<br />

Ahmad:<br />

Whence and Whither?<br />

Religionswissenschaft,<br />

Europäischer Kolonialismus<br />

und die<br />

Interventionen<br />

Postkolonialer Studien<br />

(I)<br />

Marla, Weiß:<br />

Die Erforschung von<br />

Generationsdynamiken im<br />

Kontext von Religion und<br />

Migration<br />

Gantke, Weber:<br />

Das Heilige als<br />

Problem in der<br />

Religionswissenschaft:<br />

Fragen und<br />

Perspektiven (II)<br />

Junginger:<br />

Martial Arts und<br />

Religion (I)<br />

Auffarth:<br />

Die Kehrseite der<br />

Medaille: Aufklärung<br />

und Religion<br />

9:15 – 10:45 Schlieter, Bochinger:<br />

Empirische Religionsforschung<br />

& die Bestimmung<br />

von Religion (I)<br />

Wagner:<br />

Whence and Whither?<br />

Religionswissenschaft,<br />

Europäischer Kolonialismus<br />

und die<br />

Interventionen<br />

Postkolonialer Studien<br />

(II)<br />

Heiland:<br />

Reaktionen von<br />

Religion(en) auf<br />

Religionspolitiken in<br />

Deutschland seit 1919<br />

Mross<br />

Interreligiosität/<br />

Transreligiosität in<br />

religionswissenschaftlicher<br />

Perspektive<br />

Junginger:<br />

Martial Arts und<br />

Religion (II)<br />

Döbler:<br />

Ideologien der<br />

Religionswissenschaft<br />

11:15 – 12:45 Schlieter, Bochinger:<br />

Empirische Religionsforschung<br />

& die Bestimmung<br />

von Religion (II)<br />

Makrides:<br />

Postmoderne und<br />

Postkoloniale Zugänge<br />

zur Religion im Osten<br />

Europas<br />

Frateantonio, Kugele:<br />

Raum und Religion<br />

Ramsel, Huber:<br />

Atheismus in<br />

interkultureller und<br />

transdisziplinärer<br />

Perspektive<br />

Sonntag:<br />

Biologische und<br />

soziale Evolutionstheorien<br />

in der<br />

religiösen Selbstbehauptung<br />

in Asien<br />

Führding, Fügmann:<br />

Zwischen Normativität<br />

und Wertneutralität:<br />

Religionswissenschaft<br />

und ihre Gegenstände (I)<br />

14:15 – 15:45 Mohn:<br />

Die Verwissenschaftlichung<br />

des Religionsbegriffs (I)<br />

Klein, Martens:<br />

Was ist<br />

Fundamentalismus?<br />

Und was ist das<br />

Gegenteil? Religionsund<br />

sozialwissenschaftliche<br />

Konzepte<br />

von religiösem<br />

Fundamentalismus<br />

und interreligiöser<br />

Xenosophie<br />

Freitag, 13.09.<strong>2013</strong><br />

Franke, Beinhauer-Köhler:<br />

Religiöse Zuschreibungsund<br />

Gestaltungsprozesse<br />

von Natur-Räumen.<br />

Empirische Beispiele und<br />

theor. Reflexionen<br />

Altmann:<br />

Wissenschaftsdiskurs<br />

und der Beitrag der<br />

Religionswissenschaft<br />

Triplett:<br />

Religionen Asiens<br />

Führding, Fügmann:<br />

Zwischen Normativität<br />

und Wertneutralität:<br />

Religionswissenschaft<br />

und ihre Gegenstände (II)<br />

16:15 – 17:45 Mohn:<br />

Die Verwissenschaftlichung<br />

des Religionsbegriffs (II)


A B C D E F<br />

ZHG 101 ZHG 102 ZHG 103 ZHG 104 ZHG 105 ZHG 006<br />

Wilkens, Haustein:<br />

Afrikanische<br />

Religionsgeschichte:<br />

Postkoloniale<br />

Perspektiven (I)<br />

Heidbrink, Naraindas, Polit:<br />

„Schlaf gut, mein<br />

geliebter Stern“ – Die<br />

multidisziplinäre<br />

Untersuchung von<br />

Kontingenzbewältigungsstrategien<br />

Otto:<br />

Religionswissenschaftliche<br />

Terminologie in empirischer<br />

/historischer Perspektive<br />

Klein:<br />

Was heißt hier religiös,<br />

und was spirituell?<br />

Empirische<br />

Untersuchungen zur<br />

Semantik von "Religion"<br />

und "Spiritualität" und ihr<br />

Ertrag für die theoretische<br />

Diskussion religionswissenschaftlicher<br />

Leitbegriffe<br />

Wachholz, Heinrich:<br />

Forschen am Vertrauten<br />

im Fremden und am<br />

Fremden im Vertrauten:<br />

Religionswissenschaft-<br />

Treiben in brasilianisch<br />

deutscher Kooperation<br />

(I)<br />

9:15 – 10:45 Schäfer<br />

Religionsgeschichte<br />

zwischen<br />

Anthropologie,<br />

Soziologie und<br />

Phänomenologie:<br />

theoretische und<br />

methodologische<br />

Überlegungen zum<br />

Empiriebezug der<br />

Religionswissenschaft<br />

(I)<br />

Wilkens, Haustein:<br />

Afrikanische<br />

Religionsgeschichte:<br />

Postkoloniale<br />

Perspektiven (II)<br />

Neef:<br />

Religiöse Toleranz vs.<br />

Zwang zur Orthopraxie als<br />

religionswissenschaftliche<br />

Empirie<br />

Jahn, Höckelmann:<br />

Vom Text zu den Daten oder<br />

von den Daten zum Text? Das<br />

Verständnis von ‚Empirie‘ in<br />

der Religionswissenschaft<br />

Samstag, 14.09.<strong>2013</strong><br />

Graf:<br />

Buddhismus nach dem<br />

Tsunami. Film und<br />

Diskussion über religiöse<br />

Reaktionen auf die<br />

Dreifachkatastrophe in<br />

Japan 2011<br />

Wachholz, Heinrich:<br />

Forschen am Vertrauten<br />

im Fremden und am<br />

Fremden im Vertrauten:<br />

Religionswissenschaft-<br />

Treiben in brasilianisch<br />

deutscher Kooperation<br />

(II)<br />

11:15 – 12:45 Sterbenc Erker<br />

Religionsgeschichte<br />

zwischen<br />

Anthropologie,<br />

Soziologie und<br />

Phänomenologie:<br />

theoretische und<br />

methodologische<br />

Überlegungen zum<br />

Empiriebezug der<br />

Religionswissenschaft<br />

(II)<br />

[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

16:00 – 17:30 Podium (Teilnehmer: Stausberg, Kollmar-Paulenz, Krech, Freiberger – Moderation: Kleine):<br />

Draußen vor der Tür? Podiumsdiskussion zur internationalen Präsenz deutscher Religionswissenschaft<br />

17


18<br />

Abstracts


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Donnerstag, 12.9.<strong>2013</strong><br />

9:15 – 10:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Johannes Quack (Heidelberg)<br />

Die Vielfalt der Nichtreligion: Säkulare Lebensentwürfe und<br />

Weltanschauungen (I)<br />

<br />

<br />

Stefan Schröder: Säkulare Organisationen in Deutschland<br />

Katharina Neef: Säkularisten unter sich. Internationale Verflechtungen<br />

nichtreligiöser Akteure und Organisationen um 1900<br />

Fasst man unter den Begriff „Nichtreligion“ alle Phänomene, die gemeinhin als<br />

nicht religiös gelten, gleichzeitig jedoch nicht ohne Bezugnahme auf „Religion“<br />

adäquat beschrieben und verstanden werden können, stößt man auf ein vielfältiges<br />

und eigenständiges Forschungsgebiet. Beispielsweise veranschaulichen Gleichgültigkeit<br />

gegenüber Religion auf der einen und Religionskritik auf der anderen Seite<br />

grundsätzlich verschiedene Arten der Nichtreligiosität; Mitglieder atheistischer<br />

Organisationen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von individuellen Skeptikern.<br />

Allgemein gesprochen produzieren die religiösen, kulturellen und sozio-politischen<br />

Hintergründe verschiedener Gesellschaften – welche z.B. vom Staatsatheismus bis<br />

hin zur Todesstrafe für Blasphemie reichen – nicht nur unterschiedliche religiöse<br />

Traditionen und Arten der Religiosität, sondern auch spezifische Arten der Nichtreligiosität.<br />

Vor diesem Hintergrund lädt dieses Panel zu Beiträgen ein, die sich auf<br />

der Grundlage empirischer Forschung zu diesem Themengebiet mit der Ausarbeitung<br />

einer allgemeinen systematischen Religionsforschung, die eine Erforschung<br />

nichtreligiöser Lebensentwürfe und Weltanschauungen einschließt, auseinandersetzen.<br />

Hierbei könnten beispielsweise folgende Fragestellungen diskutiert werden:<br />

Wie können verschiedene Arten, Grade, Gründe und Kontexte für erklärte<br />

oder zugeschriebene Nichtreligiosität theoretisiert werden?<br />

Welche Konsequenzen hat die Auseinandersetzung mit „Nichtreligion“ für<br />

eine systematische Bestimmung von Aufgabe und Gegenstand der Religionsforschung?<br />

Kann von einem eigenständigen Forschungsgebiet gesprochen werden,<br />

obwohl seine Bestimmung per Definition immer über spezifische Beziehungen<br />

zu „Religion“ erfolgt?<br />

Wie können auf der Grundlage von empirischen Studien der Nichtreligion<br />

herkömmliche Terminologien und Klassifikationsmustern der Religionsforschung<br />

hinterfragt werden?<br />

19


In welchem Verhältnis steht die Erforschung der Nichtreligion zu säkularisierungstheoretischen<br />

Forschungsansätzen und wie verhalten sich Konfessionslosigkeit,<br />

religiöse Indifferenz und Religionskritik zueinander?<br />

Stefan Schröder: Säkulare Organisationen in Deutschland<br />

Nicht-religiöse Lebensentwürfe und Weltanschauungen sind von der Religionswissenschaft<br />

und anderen religionsbezogenen Wissenschaften lange Zeit<br />

vernachlässigt worden. Dies hat dazu beigetragen, dass die Rolle von Religion/en<br />

bzw. Religiosität in modernen Gesellschaften mitunter überschätzt wird und<br />

öffentliche Diskurse „religionisiert“ werden. In diesem Vortrag sollen säkulare<br />

Organisationen in Deutschland als ein Ort (neben anderen!) untersucht werden,<br />

an dem eine korrelativ in Abgrenzung und als weltanschauliche Alternative zu<br />

Religion/en bzw. Religiosität verstandene „Nicht-Religiosität“ hergestellt und<br />

praktiziert wird. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass säkulare Organisationen<br />

in Deutschland sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges über die engen Verbindungen<br />

zu Kirchenaustritts- und Feuerbestattungsbewegung hinaus neu ausgerichtet<br />

haben, und nun „selber ein Sinnangebot zu machen“ beanspruchen, wie<br />

es Horst Groschopp, ehemaliger Präsident des Humanistischen Verbandes<br />

Deutschlands, ausdrückt. Ihr identitäres Selbstverständnis formiert sich dabei<br />

zunehmend um den Begriff „Humanismus“. Am Beispiel des Humanistischen<br />

Verbandes Deutschlands und der Giordano Bruno Stiftung sollen verschiedene<br />

Humanismuskonzeptionen säkularer Organisationen in Deutschland miteinander<br />

verglichen und auf diese Weise sowohl nationale Spezifika als auch Differenzen<br />

des organisierten „(säkularen) Humanismus' " rekonstruiert werden. Dabei tun<br />

sich sowohl interne (z.B. zwischen den Funktionären und der Mitgliederbasis<br />

säkularer Organisationen) als auch externe Spannungsfelder (z.B. bei der religionspolitischen<br />

Inkorporation säkularer Organisationen) auf, die, so die These des<br />

Vortrags, auf Rückkopplungen zwischen den (neuen) Strategien der Organisationen<br />

und den weltanschaulich-religiösen Diskursen, Institutionen und Ressourcen,<br />

die sie in Deutschland vorfinden bzw. mit denen sie sich konfrontiert sehen,<br />

zurück zu führen sind.<br />

20<br />

Katharina Neef: Säkularisten unter sich. Internationale Verflechtungen<br />

nichtreligiöser Akteure und Organisationen um 1900<br />

Unter den Vorzeichen der sichtbaren Entkirchlichung und des Erblühens von<br />

Sozietäten, die eine monistische (d.h. dezidiert nichtreligiöse) Weltanschauung<br />

forderten, bildete sich um 1900 ein vitales internationales Netzwerk von Akteuren<br />

heraus, das Fragen des Selbstverständnisses und der Programmatik in einem<br />

ebenso internationalen Raum diskutierte. Dabei bestanden bemerkenswerterweise<br />

wenig Probleme der Kommunikation, obgleich die Label, die in den<br />

verschiedenen nationalen Rahmen als ‚modern‘ oder ‚progressiv‘ oder ‚antiklerikal‘<br />

kursierten, stark differierten. Über die so kommunizierten Eigen- und gegenseitigen<br />

Fremdwahrnehmungen lassen sich ein als modern apostrophiertes und


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

letztlich säkulares Phänomenfeld ebenso wie dessen Motive und Kontexte<br />

(national wie innerhalb des Netzwerkes) rekonstruieren.<br />

Panelstrang B: ZHG 102<br />

Frederik Elwert (Bochum)<br />

Netzwerkansätze in der Religionswissenschaft (I)<br />

<br />

<br />

<br />

Frederik Elwert: Netzwerkanalyse religionshistorischer Quellentexte. Das<br />

SeNeReKo-Projekt<br />

Alexander-Kenneth Nagel: Gesamtnetzwerke erheben und analysieren:<br />

Religionswissenschaftliche Forschungsstrategien<br />

Sven Wortmann: Das Potential maschineller semantisch-sozialer<br />

Netzwerkanalysen für die Erschließung buddhistsischer Pali-Texten<br />

Die Netzwerkforschung gehört zu den zentralen Trends in vielen Disziplinen, von<br />

der Soziologie über die Politikwissenschaft bis zu Neurologie und Informatik. Auch<br />

für die Religionswissenschaft erscheinen Netzwerkansätze lohnend: Sie versprechen<br />

neue Impulse für die Theoriebildung (etwa im Sinne einer „relationalen“ Religionsforschung)<br />

und die Methodendiskussion (in Gestalt unterschiedlicher, quantitativer<br />

wie qualitativer Methoden der Netzwerkanalyse). Aber wie kommen Netzwerkansätze<br />

in konkreten Forschungsprojekten zur Anwendung? Welche theoretischen<br />

und methodischen Fragen und Entscheidungen bringen sie mit sich? Und:<br />

lassen sich bei der Vielzahl der unterschiedlichen Zugänge noch Gemeinsamkeiten<br />

einer religionswissenschaftliche Netzwerkforschung ausmachen? In diesem Panel<br />

sollen laufende Projekte, die eine Netzwerkperspektive zugrunde legen, vorgestellt<br />

und auf ihre theoretischen und methodischen Grundlagen befragt werden. Diese<br />

konkreten Anwendungen dienen als Ausgangspunkt für eine allgemeinere Diskussion<br />

über die Gestalt und Relevanz von Netzwerkansätzen in der Religionswissenschaft.<br />

Frederik Elwert: Netzwerkanalyse religionshistorischer Quellentexte. Das<br />

SeNeReKo-Projekt<br />

Neben der akteurszentrierten Analyse sozialer Netzwerke etablieren sich in den<br />

Textwissenschaften zunehmend Ansätze, die unter dem Begriff der „semantischen<br />

Netzwerkanalyse“ zusammengefasst werden können. Hierbei werden<br />

Begriffe aus Texten anhand verschiedener Kriterien als miteinander verbunden<br />

aufgefasst und auf dieser Grundlage Netzwerke gebildet. Diese Text-Netzwerke<br />

können dann mit den gängigen Verfahren der quantitativen Netzwerkanalyse<br />

analysiert und interpretiert werden. Das Bochumer Projekt „Semantisch-soziale<br />

Netzwerkanalyse als Instrument zur Erforschung von Religionskontakten“<br />

(SeNeReKo) hat sich zum Ziel gesetzt, Ansätze aus der sozialen und der semantischen<br />

Netzwerkanalyse miteinander zu verbinden, um aus religiösen Quellentexten<br />

neue Erkenntnisse über die Darstellung von Religionskontakten zu gewin-<br />

21


nen. In der Zusammenarbeit von Religionswissenschaft, Philologien und Informatik<br />

werden dabei unterschiedliche Methoden erprobt, um dieses Ziel zu erreichen.<br />

Die Anwendung netzwerkanalytischer Methoden in der Religionswissenschaft<br />

hat auch Konsequenzen für die Theoriediskussion: Während die Auflösung<br />

starrer Religionskonzepte zugunsten eines dynamischeren Verständnisses religiöser<br />

Traditionen mittlerweile als Konsens gelten kann und in Konzepten wie dem<br />

einer „relationalen Religionsforschung“ Niederschlag gefunden hat, ist die<br />

methodische Operationalisierung solcher Ansätze noch am Anfang. Netzwerkanalytische<br />

Methoden können hier ein Instrument sein, um die Relationalität von<br />

Prozessen im religiösen Feld analytisch zu erfassen.<br />

Alexander-Kenneth Nagel: Gesamtnetzwerke erheben und analysieren:<br />

Religionswissenschaftliche Forschungsstrategien<br />

Die Analyse von Gesamtnetzwerken wurde ursprünglich für überschaubare und<br />

klar abgrenzbare Gruppen wie Schulklassen oder Abteilungen in Unternehmen<br />

entwickelt. Sie ist attraktiv, weil sie (im Unterschied zu egozentrierten Netzwerkanalysen)<br />

das gesamte Spektrum netzwerkanalytischer Verfahren von einfachen<br />

Dichte- und Zentralisierungsmaßen bis hin zu komplexen Cliquen- und Blockmodellanalysen<br />

ausschöpfen kann. Zugleich wirft sie weitreichende Fragen zur<br />

Abgrenzung und sozialen Verfassung ihres Gegenstandes auf. Der Vortrag schlägt<br />

auf der theoretischen Eben einen Bogen von diesen Abgrenzungsfragen zu<br />

allgemeineren Fragen religionswissenschaftlicher Operationalisierung und<br />

Gegenstandsbestimmung. Er skizziert zudem anhand von Anwendungsbeispielen<br />

zwei Strategien, wie sich Gesamtnetzwerke inhalts- bzw. dokumentenanalytisch<br />

erheben lassen.<br />

22<br />

Sven Wortmann: Das Potential maschineller semantisch-sozialer<br />

Netzwerkanalysen für die Erschließung buddhistsischer Pali-Texten<br />

Der frühe Buddhismus – als Gruppe und Symbolsystem – entstand in einem<br />

pluralen religiösen Feld und musste sich in Anlehnung zu und Abgrenzung von<br />

seinem religiösen (und nichtreligiösen) Kontext behaupten, was sich in der<br />

Darstellung von zahlreichen interreligiösen Kontaktsituationen im Pali-Kanon<br />

widerspiegelt. Diese Texte bestehen vor allem in Begegnungen und Gesprächen<br />

zwischen dem Buddha oder anderen Buddhisten mit Nichtbuddhisten wie z.B.<br />

brahmanischen Priestern oder anderen Asketen. Welche Akteure ringen dort<br />

miteinander um welche Begriffe? Welche Muster gibt es in der Darstellung dieser<br />

Kontaktsituationen? Aufgrund des Umfangs des Pali-Kanons besteht bei manuellen<br />

Einzelstudien immer die Gefahr der selektiven Text- und Themenauswahl. Im<br />

Bochumer Projekt „Semantisch-soziale Netzwerkanalyse als Instrument zur Erforschung<br />

von Religionskontakten“ (SeNeReKo) wird erstmals der Versuch unternommen,<br />

semantisch-soziale Netzwerkanalysen mithilfe computergestützter<br />

Verfahren durchzuführen. Mein Vortrag wird den gegenwärtigen Arbeitsstand<br />

des Projekts vorstellen und das Verhältnis zwischen der computergestützten<br />

Erhebung von relationalen Metadaten und der herkömmlichen manuellen philologischen<br />

Methode thematisieren.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Ilinca Tanaseanu-Döbler (<strong>Göttingen</strong>)<br />

Christliche und heidnische Schulen in der späteren Antike:<br />

Innovationen im religiösen Feld<br />

<br />

<br />

<br />

Stefanie Holder: ‚Hochschulen‘ in der Antike? – Das Museion in Alexandria<br />

Tobias <strong>Georg</strong>es: „… herrlichste Früchte echtester Philosophie …“ – Schulen<br />

bei Justin und Origenes, im frühen Christentum sowie bei den<br />

zeitgenössischen Philosophen<br />

Silviu Anghel: Public and Private – The Neoplatonic School of Athens and<br />

the Athenian Sacred Landscape<br />

Das Courant Forschungszentrum EDRIS stellt seine interdisziplinäre Forschung zu<br />

Bildung und Religion im Spannungsfeld zwischen systematischem Theorizing und<br />

der historischen Forschung vor.<br />

Stefanie Holder: ‚Hochschulen‘ in der Antike? – Das Museion in Alexandria<br />

In der Sekundärliteratur wird das alexandrinische Museion immer wieder als<br />

‚Hochschule‘ oder ‚institute of advanced studies‘ aufgefasst und bezeichnet. Der<br />

Vortrag wird zu klären versuchen, auf welcher Quellengrundlage diese Vorstellung<br />

vom Museion beruht, und fragen, ob sie zu halten ist.<br />

Tobias <strong>Georg</strong>es: „… herrlichste Früchte echtester Philosophie …“ – Schulen bei<br />

Justin und Origenes, im frühen Christentum sowie bei den zeitgenössischen<br />

Philosophen<br />

Die Frage, wie man sich frühchristliche „Schulen“ im 2./3. Jahrhundert vorstellen<br />

kann, erfährt eine wichtige Klärung, wenn man diese „Schulen“ in den Kontext<br />

zeitgenössischer paganer Philosophenschulen stellt. Vor diesem Horizont lassen<br />

sich grundlegende Übereinstimmungen der Schulen Justins und Origenes‘ herausarbeiten,<br />

und ein Blick auf das breitere Spektrum frühchristlicher Unterweisungsstätten<br />

lässt Justins und Origenes‘ Schulen als repräsentativ erscheinen. Um<br />

diese These darzulegen, werde ich zuerst Justins Schule beleuchten und fragen,<br />

was wir über sie erfahren und in welchem Sinne man sie als „Schule“ verstehen<br />

kann (I), dann werde ich diese Schule in den Kontext zeitgenössischer Philosophenschulen<br />

einzeichnen (II), um dann die Bezüge zu den Schulen des Origenes<br />

zu profilieren (III). Abschließend werde ich die Schulen Justins und Origenes‘ in<br />

den weiteren Horizont frühchristlicher Bildung und Lehrer stellen (IV).<br />

Silviu Anghel: Public and Private – The Neoplatonic School of Athens and the<br />

Athenian Sacred Landscape<br />

The fourth century saw a drastic reduction in the state involvement in religious<br />

affairs throughout the Roman Empire. This void led to profound changes in the<br />

sacred landscape. The present paper analyzes the particular effects the lack of<br />

public (or state) involvement had on the city of Athens, in particular how a small<br />

23


ut wealthy community of pagan intellectuals stepped in to take over where the<br />

state had left. They were proud followers of ancient Athenian traditions, but also<br />

innovators, renewing pagan religion and adapting it according to their own<br />

particular interests.<br />

24<br />

Panelstrang D: ZHG 104<br />

Anja-Maria Bassimir (Münster)<br />

Religionen und politische Herrschaft (I): Religionen in den USA<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Einleitung des Panels: Anja-Maria Bassimir<br />

Moderation des Panels: Ulf Plessentin<br />

Sebastian Emling: Religionsfreiheit im „land of the free“ ? – Die<br />

Bekenntnisse des Katholiken John F. Kennedy und des Mormonen Mitt<br />

Romney zu den USA<br />

Anja-Maria Bassimir: Freiheit, die ich meine: Evangelikale,<br />

Religionsfreiheit und Demokratie in den USA der 1970er<br />

Sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart existieren Religionen unter<br />

politischen Rahmenbedingungen, die durch ganz unterschiedliche Herrschaftsformen<br />

bereitgestellt und gesichert werden: Ob Absolutismus oder Autokratie, ob<br />

Demokratie oder Diktatur, ob Theokratie oder Totalitarismus – die Liste der Herrschaftsformen<br />

ist lang und nicht selten sind die jeweiligen Begriffe und Konzepte<br />

dermaßen politisch oder normativ aufgeladen, dass sich an ihrer Relevanz immer<br />

wieder kontroverse Debatten in den Disziplinen Politikwissenschaft, Soziologie oder<br />

Geschichtswissenschaft entzünden. Die religionswissenschaftliche Untersuchung<br />

der Interdependenzen von Religionen und Politik steht damit vor dem Dilemma<br />

zentrale Begriffe anderer Disziplinen wie z.B. „Demokratie“, „Totalitarismus“ oder<br />

„Herrschaft“ etc. verwenden zu müssen und damit fachfremde Kontroversen<br />

ungewollt zu importieren.<br />

In diesem Panel soll diesem Dilemma begegnet werden, indem die Implikationen<br />

politischer Herrschaftsformen für Religionsgemeinschaften vor dem Hintergrund<br />

der Differenz zwischen dem rechtlichen Soll-Zustand (de jure) und dem tatsächlichen<br />

Ist-Zustand (de facto) der Machtverhältnisse und der Herrschaftsweise erörtert<br />

werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zwar streben totalitäre Regime per<br />

definitionem und in historischen Beispielen auch de jure die Kontrolle aller Lebensbereiche<br />

inklusive der religiösen Positionierung der Beherrschten an. Doch de facto<br />

war und ist auch unter totalitären Herrschaftsbedingungen vielfältiges religiöses<br />

Leben möglich, wenngleich stark eingeschränkt und sanktioniert. Demgegenüber<br />

kann es auch in rechtstaatlichen Demokratien, in denen die pluralistische Verfasstheit<br />

des Volkes als Souverän positiv unterstrichen wird, zu rechtlichen Einschränkungen<br />

von Minderheitenreligionen kommen. Der bloße Verweis auf die begriffliche<br />

Klassifikation einer Herrschaftsform als „Demokratie“ versus „Totalitarismus“<br />

genügt deshalb bei weitem nicht, um ihre jeweiligen Implikationen für eine Religionsgruppe<br />

zu beschreiben.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Vor diesem Hintergrund soll in diesem Panel besonders auf die Einflüsse der<br />

verschiedenen realen politischen Machtverhältnisse und damit verbunden die Rolle<br />

des Rechts beispielsweise auf die individuelle Religiosität, auf religiöse Vergemeinschaftungsformen,<br />

auf religiöse Konstruktionen von Gerechtigkeit, oder auf die<br />

religiösen Legitimationen von Herrschaft gelegt werden. Im Sinne der Zielsetzung<br />

des Arbeitskreises Religionen und Politik möchten die Organisatorinnen und Organisatoren<br />

dabei synchrone wie diachrone Perspektiven zusammenführen, um so<br />

religions- wie kulturvergleichend zu systematischen religionswissenschaftlichen<br />

Aussagen zu kommen.<br />

Sebastian Emling: Religionsfreiheit im „land of the free“ ? – Die Bekenntnisse des<br />

Katholiken John F. Kennedy und des Mormonen Mitt Romney zu den USA<br />

Der erste Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung legt zwar einen rechtlichen<br />

Soll-Zustand fest, in welchem eine staatliche Bevorzugung bestimmter<br />

religiöser Traditionen und Einstellungen verhindert werden soll, schiebt jedoch<br />

allem Anschein nach bestimmten Entwicklungen innerhalb des politischen<br />

Ist-Zustandes in den USA keinen Riegel vor. So begegneten zum Beispiel die<br />

Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy im Jahre 1960 und Mitt Romney<br />

unter anderem im Dezember 2007 mit eigens konzipierten Reden dem Vorwurf,<br />

sie würden durch ihre individuelle religiöse Disposition von der angemessenen<br />

Ausübung des von ihnen angestrebten Amtes abgehalten werden. Der Vortrag<br />

untersucht die Reden der beiden Politiker, um die strikten „diffusen Sanktionen“<br />

(Thomas Hase, 2001) bezüglich der religiösen Verfasstheit von Akteuren innerhalb<br />

einer der größten Demokratien der Welt in Grundzügen herauszuarbeiten.<br />

Anja-Maria Bassimir: Freiheit, die ich meine: Evangelikale, Religionsfreiheit und<br />

Demokratie in den USA der 1970er<br />

1976 wählten die US-Amerikaner Jimmy Carter zu ihrem Präsidenten – der damit<br />

gleichzeitig die größte Demokratie repräsentierte und als Evangelikaler der Hoffnungsträger<br />

vieler konservativer Christen war. In Reinform scheinen die beiden<br />

Positionen – Pluralismus und Weltoffenheit einer Demokratie auf der einen und<br />

absoluter Wahrheitsanspruch und Wertekonservativismus einer Religion auf der<br />

anderen Seite – einander auszuschließen. Dennoch verstehen sich die USA<br />

gleichzeitig als Demokratie und als ein Land mit sehr religiöser Bevölkerung. In<br />

diesem Beitrag soll das Evangelikale Verständnis der USA nachvollzogen und ihre<br />

Positionierung zu Demokratie und Religionsfreiheit dargelegt werden. So soll die<br />

interne Evangelikale Logik und religiöse Legitimation der USA und ihrer Regierungsform<br />

aufgezeigt und letztendlich die scheinbar schizophrene Figur eines<br />

demokratisch gewählten, Evangelikalen Präsidenten erklärt werden.<br />

25<br />

Panelstrang E: ZHG 105<br />

Nadja Miczek (Luzern)


26<br />

Massenmediale Informationsproduktionen zu Religion in der Presse:<br />

Diskussionen zu den Konsequenzen für religionswissenschaftliche<br />

Theoriebildung und empirisches Forschen<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Katja Kleinsorge: Massenmedien und das religiöse Feld: Bhagwan Shree<br />

Rajneesh und die Lokalpresse in Indien<br />

Nadja Miczek: Massenmedien als Katalysator zur Förderung<br />

gesellschaftlicher Akzeptanz im Feld der Esoterik<br />

Anna Neumaier: Unabhängig oder Undurchschaubar? Religionsbezogene<br />

Nachrichtenplattformen im WWW<br />

Kerstin Radde-Antweiler: Der Papst in Wort, Bild und Ton<br />

Xenia Zeiler: Journalistische Informationsproduktionen zum Hinduismus in<br />

der U.S.-Diaspora<br />

Um Religionen sowohl im theoretischen Rahmen als auch auf empirischen Ebenen<br />

zu reflektieren ist eines unabdingbar: Informationen über Religionen. ReligionswissenschaftlerInnen<br />

sind hier nur eine von vielen Parteien, die im Prozess der<br />

Generierung von Informationen beteiligt sind. Einen wesentlichen Einfluss besitzt<br />

neben der Wissenschaft insbesondere die moderne Presselandschaft. Sie kennzeichnet,<br />

dass sie nicht nur ein wichtiger Raum ist, in dem wissenschaftliche Informationen<br />

verbreitet werden, sondern auch dass sie eine leitende Rolle in der<br />

öffentlichen Meinungsbildung einnimmt. Presseorgane wie Print, TV oder das<br />

Internet und die hier spezifizierten Berufsgruppen der Journalisten und Redakteure<br />

stellen Wissen und Meinungen zu Religionen zur Verfügung und beeinflussen damit<br />

die diskursiven Aushandlungen zu gegenwärtiger Religiosität enorm. Gleichzeitig<br />

werden z. B. über Pressemitteilungen oder durch Interviews gezielt Informationen<br />

von religiösen und wissenschaftlichen Akteuren für dieses Feld bereitgestellt. Die<br />

weitere Verarbeitung und Einbettung der gegebenen Informationen entziehen sich<br />

dann jedoch oft deren Einflussnahme. In Pressedarstellungen werden Informationen<br />

selektiert und beteiligte Akteure – religiöse Personen wie WissenschaftlerInnen<br />

– positioniert. Durch die Zuweisung von bestimmten Sprecherpositionen im Diskurs<br />

steuern Presseorgane vorherrschende Dominanzen wesentlich mit. So fördern sie<br />

z.B. Konformität, aber auch Ausschlüsse und gesellschaftliche Ablehnung. Im<br />

Rahmen des Panels wird zu fragen sein, wie eine religionswissenschaftliche Forschung<br />

mit diesen Prozessen der Informationsgenerierung umgeht und vor allem,<br />

wie sie diese in ihren theoretischen, aber auch methodischen Ansätzen verstärkt<br />

reflektieren kann. Das Diskussionspanel sieht vor, dass zunächst kurze, am empirischen<br />

Material orientierte Inputs aus unterschiedlichen religionsgeschichtlichen<br />

Segmenten gehört werden. Im Anschluss daran wird in einer geleiteten Roundtable-Diskussion<br />

weitergefragt, welche Konsequenzen sich daraus sowohl für die theoretische<br />

wie methodische Arbeit von ReligionswissenschaftlerInnen ergeben. Auch<br />

die eigene Position unseres Faches in diesen Aushandlungen soll dabei reflektiert<br />

werden.<br />

Katja Kleinsorge: Massenmedien und das religiöse Feld: Bhagwan Shree Rajneesh<br />

und die Lokalpresse in Indien


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Die neue religiöse Bewegung um die charismatische Person von Bhagwan Shree<br />

Rajneesh sorgte nicht nur in den USA für gesellschaftliche Konflikte, sondern<br />

auch in ihrem Herkunftsland Indien, wo Bhagwan 1974 in der westindischen<br />

Stadt Pune seinen berüchtigten Ashram gründete. Im Rahmen des Vortrags soll<br />

die Berichterstattung der Lokalpresse über Bhagwan und seine Anhänger dargestellt<br />

werden, um deren Rolle für die Entwicklung der Konflikte genauer zu analysieren<br />

und allgemeinere Fragen nach dem Einfluss von Massenmedien auf das<br />

religiöse Feld, seine Akteure und Konstellationen aufzuwerfen. Vor dem Hintergrund<br />

dieses konkreten empirischen Falls lässt sich exemplarisch zeigen, wie die<br />

dominanten Akteure eines religiösen Feldes ihre Normen und Regeln über das<br />

Massenmedium Zeitung nicht nur kommunizieren, sondern auch vor der Infragestellung<br />

durch nonkonforme religiöse Gruppen verteidigen. Anders als das Massenmedium<br />

Internet, welches auch kleineren Diskursteilnehmern die Möglichkeit<br />

gibt, ihre möglicherweise unorthodoxen Anliegen zu formulieren, lässt sich die<br />

Zeitung hier als wirkmächtiges Instrument des religiösen Mainstreams einer<br />

Gesellschaft identifizieren.<br />

Nadja Miczek: Massenmedien als Katalysator zur Förderung gesellschaftlicher<br />

Akzeptanz im Feld der Esoterik<br />

In dem Kurzbeitrag wird am Beispiel des Schweizer Bestseller-Autors Pascal<br />

Voggenhuber aufgezeigt, wie durch das gezielt Zusammenspiel von Beiträgen in<br />

der Printpresse und im Fernsehen und der eigenen medialen Darstellung des<br />

Autors auf seiner Homepage eine zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz für<br />

das Phänomen Channeling geschaffen wird.<br />

Anna Neumaier: Unabhängig oder Undurchschaubar? Religionsbezogene<br />

Nachrichtenplattformen im WWW<br />

Die Bandbreite religionsbezogener Informationsseiten im Internet ist groß. Eine<br />

besondere Rolle im deutschsprachigen Raum aber nehmen sicherlich die großen<br />

Nachrichtenplattformen mit religiösem Selbstverständnis ein. Autorenschaft<br />

ebenso wie Verhältnis zu offiziellen Religionsgemeinschaften ist dabei nicht<br />

immer durchsichtig. Konsequenzen daraus ebenso wie aus den interaktiven<br />

Optionen dieser Seiten können im Panel diskutiert werden.<br />

Kerstin Radde-Antweiler: Der Papst in Wort, Bild und Ton<br />

Religiöse Autoritätsfiguren haben als solche stets eine hohe mediale Präsenz und<br />

werden in diversen Medienformen präsentiert und diskutiert. In den letzten<br />

Jahrzehnten ergaben sich tiefgreifende Mediatisierungsprozesse, v.a. quantitativ<br />

durch die zunehmende Verbreitung von Kommunikationsmedien, aber auch qualitativ<br />

durch eine engere Verknüpfung von Medien und Alltag. In der Forschung<br />

wurde mit dem Aufkommen von Medien, die auch religiösen Akteuren die Generierung<br />

religiöser Informationen und Diskussionen erlauben, lange vermutet,<br />

dass soziale und religiöse Ordnungen nun nicht mehr länger einfach reproduziert,<br />

sondern verstärkt kritisch betrachtet und in Frage gestellt werden. Anhand einer<br />

27


vergleichenden Analyse von Papstberichten in den 70er und 2012er Jahren soll<br />

diese These überprüft werden.<br />

Xenia Zeiler: Journalistische Informationsproduktionen zum Hinduismus in der<br />

U.S.-Diaspora<br />

Diaspora-Gemeinschaften frequentieren (und instrumentalisieren) journalistische<br />

Medienkanäle oft sehr viel stärker als religiöse Gruppierungen im Heimatland.<br />

Presse wird dabei nicht selten auch als Plattform genutzt, z.B. für die<br />

Propagierung eigener Autoritätsansprüche, Textauslegungen etc. Der Beitrag legt<br />

dar, wie Gruppierungen mit orthodoxen bis hindu-nationalistischen Hintergründen<br />

in den USA durch gezielte Mediendebatten in der Presse die öffentliche<br />

Meinungsbildung zum Hinduismus zu beeinflussen und tendenziöse Meinungsbilder<br />

zu hinduistischen Inhalten zu verbreiten suchen.<br />

28<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Alexandra Grieser (Groningen)<br />

Religionsästhetik: Konzepte, Methoden, Gegenstände (I)<br />

<br />

<br />

<br />

Anne Koch: „Jetzt spür’ ich’s“. Zur religionsästhetischen Herausforderung,<br />

psychophysische Kongruenz von Akteuren zu beschreiben<br />

Birgit Meyer: Habitats and Habitus: Politics and Aesthetics of Religious<br />

World Making<br />

Christoph Uehlinger: „Too big a bite to chew?“ Zur Bedeutung von<br />

Ikonographie und Ikonologie für die Religionsästhetik<br />

Seit dem Entwurf einer Religionsästhetik in der deutschsprachigen Religionswissenschaft<br />

(H. Cancik / H. Mohr 1988, HrwG) hat sich innerhalb und außerhalb des<br />

Faches viel entwickelt. Der Körper und die Sinne sowie Objekte und Materialität als<br />

Forschungsgegenstand sind auch in anderen Fächern und Ländern in den Mittelpunkt<br />

gerückt, und eine differenzierte Religionsforschung quer zum Dualismus von<br />

Ritus und Text zeichnet sich ab. Daher scheint es an der Zeit, genauer zu bestimmen,<br />

inwiefern die Religionsästhetik erkenntnistheoretischen Mehrwert für die<br />

allgemeine Religionswissenschaft beitragen kann und Anschluss herstellt zu internationaler<br />

Religionsforschung. Ausgehend vom Prozess der aisthesis, der sowohl<br />

die somatisch-sinnliche als auch die interpretierende Seite von Welterzeugung<br />

(Goodman) umfasst, interessiert sich die Religionsästhetik dafür, wie Religion sinnlich<br />

gestaltet, vermittelt und inszeniert wird, aber auch, wie religiöse Ästhetik die<br />

Sinne kultiviert, diszipliniert und mit anderen kulturellen Systemen – etwa Kunst<br />

oder Wissenschaft – interagiert. Weniger eine bestimmte Methode oder Theorie<br />

als eine verbindende Forschungsperspektive nimmt die Religionsästhetik insbesondere<br />

als Schnittstellen zwischen Text und Körper, Bild und Sprache, Imagination<br />

und Handlung, räumlicher, sozialer und körperlicher Bewegung, und zwischen<br />

Kognition und Materialität in den Blick. Chance und Herausforderung der Religionsästhetik<br />

liegen darin, nicht nur Text- und Zeichentheorien auf die Sinne zu übertragen,<br />

sondern – wie es für die visual culture bereits geleistet wird – die ‚Eigenlogik‘


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

von Medien und Sinnen zu berücksichtigen und zu theoretisieren. Das Panel möchte<br />

daher an konkreten Forschungsgegenständen die Möglichkeiten der Religionsästhetik<br />

vorstellen und dabei selbstkritisch nach dem Eigenen und dem Innovativen<br />

von Methoden, Konzepten und Gegenstandsfeldern fragen. Das Tagungsthema<br />

aufnehmend thematisieren die Beiträge, was durch religionsästhetische Perspektiven<br />

empirisch in den Blick kommt und wie Ergebnisse wiederum in heuristische<br />

Perspektiven übersetzt werden können.<br />

Anne Koch: „Jetzt spür’ ich’s“. Zur religionsästhetischen Herausforderung,<br />

psychophysische Kongruenz von Akteuren zu beschreiben<br />

In diversen Ritualen spirituellen Heilens wird in der medizinisch-psychologischen<br />

wie kulturwissenschaftlichen Literatur ein Moment der Passung zwischen HeilerIn<br />

und Heilungssuchendem (und zum Teil auch Teilnehmenden) beschrieben. In<br />

diesem Moment wird „die Heilkraft“ in welcher Imaginationsform auch immer<br />

präsent, spürbar, zur Akteurin und wirksam. Wie schaffen es religiöse Rituale dieses<br />

Moment herzustellen? Welche rituellen, materialen, verkörperten Gegebenheiten<br />

sind dafür relevant? Da jener Passung in der Placeboforschung entscheidender<br />

Einfluss auf die Befindlichkeitsbesserung zugeschrieben wird und zugleich<br />

ein Konzept von Handlungskausalität ins Spiel kommt, sind in diesem Zusammenhang<br />

gewichtige theoretische und methodische Fragen zu klären. Mit diesen<br />

steht die natur-kulturwissenschaftliche Interdisziplinarität der Religionsästhetik<br />

als eines ihrer großen Potentiale auf dem Prüfstand.<br />

Birgit Meyer: Habitats and Habitus: Politics and Aesthetics of Religious World<br />

Making<br />

This paper presents a research project advocating an aesthetic and material<br />

approach to the study of religion that takes seriously the human practices of<br />

forming the world in a concrete sense, whether in buildings and architecture or<br />

design, using audio-visual and material culture, or shaping (gendered) bodies,<br />

senses and sensibilities. This links up with a theoretical understanding of religion<br />

as a medium that operates via particular “sensational forms” that mould religious<br />

subjects, shape strong, desired identities and social relationships, and produce a<br />

shared environment. Grasping the politics and aesthetics of religious world making<br />

requires detailed explorations of the links between religious techniques of<br />

the self (building bodies, tuning/honing senses) – the habitus – and the shape of<br />

the material environment (home, city, religious spaces, architecture, circulation<br />

of images and soundscapes) – the habitats. While a great deal of research on<br />

religion in Africa (and beyond) still takes place in distinct research settings that<br />

focus either on Islam or Christianity, it is the aim of this project to bring both<br />

religious traditions into one conceptual framework.<br />

Christoph Uehlinger: „Too big a bite to chew?“ Zur Bedeutung von Ikonographie<br />

und Ikonologie für die Religionsästhetik<br />

29


Ist Religionsästhetik eine Teildisziplin oder ein neues Paradigma der Religionswissenschaft?<br />

Wer sich einer positiven Beantwortung der Frage nicht grundsätzlich<br />

verschließen will (was aus verschiedenen Gründen legitim wäre), sieht sich<br />

zwingend mit Problemen der Gegenstandsbestimmung und der Methodologie<br />

konfrontiert. Die Religionswissenschaft wird auch in diesem Feld das Rad nicht<br />

neu erfinden und gut daran tun, neben (notwendigen) metatheoretischen<br />

Diskursen die konkrete Arbeit an bestimmten Gegenständen nach intersubjektiv<br />

und interdisziplinär anschlussfähigen Methoden zu pflegen. In diesem Beitrag soll<br />

das in der Kunstgeschichte nachgerade ‚klassische‘ Verfahren von Ikonographie/<br />

Ikonologie (E. Panofsky u.a.) auf seine Nützlichkeit für Visible und Material Religion<br />

diskutiert werden, wobei auch einige in der Religionswissenschaft übliche<br />

Vorbehalte (z.B. des Eurozentrismus) kritisch geprüft werden sollen.<br />

11:15 – 12:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Johannes Quack (Heidelberg)<br />

Die Vielfalt der Nichtreligion: Säkulare Lebensentwürfe und<br />

Weltanschauungen (II)<br />

<br />

<br />

Susanne Schenk: Die Beziehung von Nichtreligion und Religion – Eine<br />

Annäherung anhand einer Analyse der Angebote und Aktivitäten<br />

humanistischer Organisationen in Schweden<br />

Liliane Türk und Christiane Altman: Anarchistische und säkulare<br />

Strömungen im Judentum: Zur Vielfalt nichtreligiöser Jiddischisten in den<br />

USA<br />

Panelabstract vgl. S. 19<br />

30<br />

Susanne Schenk: Die Beziehung von Nichtreligion und Religion – Eine Annäherung<br />

anhand einer Analyse der Angebote und Aktivitäten humanistischer<br />

Organisationen in Schweden<br />

In den Angeboten und Aktivitäten humanistischer Organisationen in Schweden<br />

spiegelt sich die Vielfalt humanistischer Weltsichten und Lebensentwürfe wider.<br />

Diese Mannigfaltigkeit reicht unter anderem von einem Alternativangebot von<br />

lebenszyklischen Zeremonien, wie säkularen Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten<br />

und Beerdigungen, „humanistic worldview camps“, Projekten der Entwicklungshilfe,<br />

Preisverleihungen für den persönlichen Einsatz von Menschen im Namen<br />

von Humanismus, Rationalismus und Wissenschaft bis hin zu politischen Netzwerken<br />

von Abgeordneten. Während religiöse Akteure sowie ihr Angebot und<br />

ihre Tätigkeiten mehrfach Mittelpunkt interdisziplinärer Forschungen waren,<br />

blieben nichtreligiöse Vereinigungen, wie humanistische Organisationen, nahezu<br />

unerforscht. In ihren Angeboten und Aktivitäten kommen sehr unterschiedliche<br />

Strategien zur Mobilisierung und Neugewinnung von Mitgliedern zum Ausdruck.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Bei der Analyse eines solch breitgefächerten Angebots, das sich zunehmend in<br />

den letzten zwei Jahrzehnten herausgebildet hat, stellen sich folgende Fragen im<br />

Hinblick auf die Beziehung von Nichtreligion und Religion: In welcher Beziehung<br />

stehen diese Angebote und Tätigkeiten zum religiösen Feld? Welche Sinnordnungen<br />

und Konstruktionen von Nichtreligion und Religion offenbaren sich in den<br />

Aktivitäten und Angeboten? Welches Religionsverständnis spiegelt sich in diesen<br />

wider? Dieser Beitrag unternimmt den Versuch mit Hilfe einer beispielhaften<br />

Analyse der Angebote und Tätigkeiten verschiedener humanistischer Organisationen<br />

in Schweden, Einblicke in die Beziehung nichtreligiöser Vereinigungen zum<br />

religiösen Feld zu geben.<br />

Liliane Türk und Christiane Altman: Anarchistische und säkulare Strömungen im<br />

Judentum: Zur Vielfalt nichtreligiöser Jiddischisten in den USA<br />

Vereint über die jiddische Sprache werden im Vortrag verschiedene jüdische<br />

Gruppen vorgestellt, die als nicht religiös gelten. Besonderes Augenmerk liegt<br />

v.a. auf dem religiösen und sozio-politischen Hintergrund in der Entwicklung der<br />

Gruppierungen. Welche Kriterien sind für die Geltung als nicht religiös ausschlaggebend?<br />

Anhand der Person Abba Gordins und des jiddisch-anarchistischen<br />

Wochenblatts Fraye Arbeter Shtime thematisiert der Vortrag die nichtreligiöse<br />

Bezugnahme auf das Thema ‚Religion’. Im Kontrast dazu werden säkulare jiddische<br />

Vereinigungen vorgestellt, u.a. Secular Humanistic Judaism, Freeland<br />

League/ League for Yiddish. Im Mittelpunkt steht der alltagssprachliche Umgang<br />

mit den ‚nichtreligiösen’ Termini (säkular, anarchistisch) im us-amerikanischen<br />

Kontext. Anhand der Beispiele soll ihre normative Aufladung reflektiert werden.<br />

Als Teil der ‚Jüdischen Religionsgeschichte’ liegt der Fokus nicht nur auf dem<br />

Verständnis der Gruppen als Juden, sondern auch auf dem Verhältnis des Religionswissenschaftlers<br />

zu seinem Gegenstand. Welche ‚Vorurteile’ trägt er selbst an<br />

seinen Gegenstand heran – oder anders ausgedrückt: Jiddischkeit ohne Religion –<br />

geht das denn?<br />

Panelstrang B: ZHG 102<br />

Frederik Elwert (Bochum)<br />

Netzwerkansätze in der Religionswissenschaft (II)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Anne Koch: Stretching for donations: Netzwerkanalyse des neoliberalen<br />

globalen Yoga<br />

Martin Ackermann: Der Guru-Knoten als Sonderfall<br />

Vanessa Meier: The Sai-Family. Wie erforscht man die Netzwerke von<br />

Guru-Devotees?<br />

Adrian Hermann: Die Publizistik asiatischer indigen-christlicher Eliten und<br />

die Anfänge transkontinentaler Netzwerkbildung zwischen unabhängigen<br />

katholischen Kirchen um 1900: Das Beispiel der „Iglesia Filipina<br />

Independiente“<br />

31


Panelabstract vgl. S. 21<br />

Anne Koch: Stretching for donations: Netzwerkanalyse des neoliberalen globalen<br />

Yoga<br />

Neben lokalen und transnationalen Netzwerken im Bereich des modernen Positionsyogas<br />

zeichnet sich ein globaler neoliberaler Yoga ab. Er wird in sozialen<br />

Medien und als eventisierte Form greifbar. Seiner Einbettung in (wirtschafts)kulturelle,<br />

mediale Formationen, den Struktureffekten der sozialen<br />

Beziehungen und den Akteursperspektiven widmet sich der Vortrag.<br />

Martin Ackermann: Der Guru-Knoten als Sonderfall<br />

Die netzwerkanalytische Erforschung von Guru-Bewegungen setzt den Guru-<br />

Knoten als Bezugspunkt voraus und definiert so die Grenzen des Netzwerks. Wer<br />

eine Beziehung, eine Kante, zum Guru aufweist, wird für eine Stichprobe zur<br />

Erfassung von Egonetzwerken relevant. Inwiefern wirken sich diese Forschungsprämissen<br />

auf die Resultate, die Netzwerkstrukturen, aus? Wird der Guru-Knoten<br />

zum Sonderfall durch diese Prämissen oder weil er sich qualitativ von allen anderen<br />

Knoten unterscheidet? Diese Fragen sollen anhand der im Forschungsprojekt<br />

erarbeiteten Erhebungswerkzeuge diskutiert und mithilfe erster Daten illustriert<br />

werden.<br />

Vanessa Meier: The Sai-Family. Wie erforscht man die Netzwerke von Guru-<br />

Devotees?<br />

Das Berner SNF-Forschungsprojekt „Globale Gurus“ befasst sich anhand der<br />

Untersuchung von Netzwerken der Devotees von Sathya Sai Baba und Amma<br />

vergleichend mit der Frage nach der Entstehung und Stabilität von weltweiten<br />

religiösen Netzwerken. Methodisch stellt sich die Frage, wie man konkret<br />

vorgehen kann, um relevante Daten über Devotee-Devotee-Beziehungen zu<br />

erfassen. Der Vortrag schlägt eine Kombination aus Leitfadeninterviews,<br />

Erhebung von Egonetzwerken mit Hilfe des Programms „Venn-Maker“ und<br />

Teilnehmender Beobachtung mit Feldprotokollen vor. Anhand der zwei Messgrössen<br />

„Multiplexität von Beziehungen“ und „Parallelnetzwerke“ wird erläutert,<br />

wie die Erhebung gestaltet ist und wie aufgrund dieser Daten Aussagen<br />

über die Netzwerkstabilität und die Entstehung der Devotee-Netzwerke getroffen<br />

werden können.<br />

32<br />

Adrian Hermann: Die Publizistik asiatischer indigen-christlicher Eliten und die<br />

Anfänge transkontinentaler Netzwerkbildung zwischen unabhängigen<br />

katholischen Kirchen um 1900: Das Beispiel der „Iglesia Filipina Independiente“<br />

Im Jahr 1902 rief der Publizist, Historiker, politische Aktivist und religiöse Rebell<br />

Isabelo de los Reyes y Florentino (1864–1938) die Gründung einer unabhängigen<br />

philippinischen Kirche aus, der „Iglesia Filipina Independiente“ (IFI). Gleichzeitig<br />

ernannte er den philippinischen Priester Gregorio Aglipay (1860–1940) zum<br />

ersten Erzbischof der Kirche. Auch wenn die frühe Geschichte dieser „religiösen<br />

Revolution“ bereits mehrfach detailliert rekonstruiert wurde, gehen bisherige


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Studien nur am Rande auf die Zeitschriften ein, welche Aktivisten im Umkreis der<br />

IFI in den Jahren 1903 und 1904 herausgegeben haben. Diese dienten nicht nur<br />

der Kommunikation mit der philippinischen Öffentlichkeit und waren zentrale<br />

Organe für die Veröffentlichung wichtiger Dokumente (Kirchenverfassung, Pastoralbriefe,<br />

Kirchenordnung etc.); vielmehr boten sie auch eine Möglichkeit, die<br />

neue philippinische nationale Kirche als Teil einer globalen christlichen Gemeinschaft<br />

zu etablieren.<br />

Eine Analyse dieser Zeitschriften ermöglicht es, die IFI innerhalb der entstehenden<br />

transkontinentalen Netzwerke unabhängiger Katholiken zu verorten. Wie<br />

sich aus den Zeitschriften sowie aus zeitgenössischen Briefen zwischen der IFI<br />

und unabhängigen katholischen Kirchen aus Goa, Ceylon und der Schweiz ablesen<br />

lässt, stellten die IFI Journale „La Verdad“ (1903) und „La Iglesia Filipina<br />

Independiente: Revista Catolica“ (1903/04) ein zentrales Kommunikationsmedium<br />

für die junge Kirche dar, und fanden als solches ihren Weg nicht nur bis nach<br />

Ceylon, sondern auch in die Schweiz und andere Weltregionen. Die Rekonstruktion<br />

dieser frühen Kontakte zwischen unabhängigen katholischen Gruppierungen<br />

in Europa und Asien erweitert unser Bild des asiatischen Katholizismus um 1900.<br />

Als Teil einer Fallstudie zur Bedeutung von Periodika und Zeitungen in der<br />

Geschichte der transkontinentalen Netzwerkbildung indigen-christlicher Eliten in<br />

der kolonialen Öffentlichkeit des frühen 20. Jahrhunderts richtet mein Beitrag<br />

seine Aufmerksamkeit auf die Vielfalt nicht-missionarischer Kontakte zwischen<br />

indigenen Christen in der kolonialen Welt und die Entstehung einer ‚indigenous-<br />

Christian public sphere‘.<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Catherina Wenzel (Frankfurt/M)<br />

Ex-zentrische Positionalität, Empirie und literarische Strategien in<br />

Reisebeschreibungen des 17. Und 18. Jh. – Diskussionen um die<br />

Methoden ihrer Analyse<br />

<br />

<br />

<br />

Catherina Wenzel: Pietro della Valles (1585-1652) Reiseberichte über<br />

Persien und Indien<br />

Karsten Schmidt: Theoretische Herausforderungen einer<br />

religionswissenschaftlichen Thematisierung christlich-missionarischer<br />

Reiseberichte<br />

Robert Langer: Der Dabestān-e Maẕāheb (‚School of Religious Doctrines‘,<br />

17. Jh.): Möglichkeiten religionswissenschaftlicher und ethnohistorischer<br />

Analyse<br />

Auf diesem Panel soll es um diejenigen Methoden gehen, mit denen sich Reiseberichte<br />

aus dem 17. und 18. Jahrhundert lesen und bearbeiten lassen, um sowohl<br />

die Frage nach den Autoren (Pilger, Missionare, esoterische Gruppe) und ihren<br />

Voraussetzungen als auch nach den von ihnen verfassten Texten zu stellen. Der<br />

Begriff der exzentrischen Positionalität ist ein Begriff, der in der philosophischen<br />

Anthropologie von Helmuth Plessner geprägt wurde. Im religionswissenschaftlichen<br />

33


Kontext kann Positionalität hier zunächst spezifiziert werden als normative Festlegungen<br />

im variablen Kontext des weltanschaulichen Horizontes, der sozialen<br />

Herkunft, des jeweiligen Bildungs- und Wissenskanons, sowie der Frömmigkeitsgeschichte.<br />

Durch Reisen und/oder Migration wird der Einzelne in besonderer Weise<br />

damit konfrontiert, sich Fremdes als (neues) Wissen anzueignen, sich zu diesem ins<br />

Verhältnis zu setzen, bestimmte Wertungen und Handlungsstrategien zu entwickeln.<br />

Darüber hinaus aber soll in diesem Forschungsprojekt die Analyse der jeweiligen<br />

Reiseberichte, um die ethnologische/ ethnographische Methode ergänzt<br />

werden, weil sie zum einen erlaubt, die praktische Umsetzung der jeweiligen religionstheoretischen<br />

Verhältnisbestimmung zwischen der eigenen Religion und der<br />

Anderen in Augenschein zu nehmen und weil sie zum anderen (zumindest zum Teil)<br />

auf Empirischem beruht. Nicht zuletzt aber gibt es noch die Dimension der<br />

anschließenden literarischen Produktion. Das Panel möchte sich damit beschäftigen,<br />

wie diese vielfältigen Dimensionen und methodischen Anforderungen an<br />

solche Texte bewältigt werden können.<br />

Catherina Wenzel: Pietro della Valles (1585-1652) Reiseberichte über Persien und<br />

Indien<br />

Pietro della Valle nennt sich selbst Il Pellegrino, obgleich seine Orientreise (1614-<br />

1626) über Jerusalem, Damaskus, Bagdad, Persien und Indien eher den Standards<br />

einer Bildungs- und Forschungsreise entspricht. Sein vermutlich ‚katholisches’<br />

Beharren auf dem Pilgerstatus impliziert eine deutliche Distanz zu den Apodemiken,<br />

die zu seiner Zeit in protestantischen Milieus entwickelt wurden. Das hat<br />

allerdings einen enorm positiven Effekt, da mit seinem Reisebericht, der zwischen<br />

1650-58 veröffentlicht wird, ein Text vorliegt, der mit Fug und Recht in die<br />

Geschichte der Ethnographie gehört, u.a. weil er die Konzentration auf das<br />

‚Wesentliche’ der Apodemiken vermeidet und Freude am Detail entwickelt hat.<br />

Die literarische Produktion von Reiseberichten folgte seiner Zeit bereits einem<br />

etablierten Genre, das sich an interessierte Leser wendete, diese aber nicht nur<br />

mit Stoff für Imaginationen versorgte, sondern selbst in einem „mult i-faceted<br />

cosmographical discourse“ stand. Diese Literaturen zeigen nicht nur auf unvergleichliche<br />

Weise Diversität in kultureller und religiöser Hinsicht, sondern sie<br />

deuten sie zugleich, wobei sie nicht ohne dialogische Prinzipien auskommen.<br />

34<br />

Karsten Schmidt: Theoretische Herausforderungen einer<br />

religionswissenschaftlichen Thematisierung christlich-missionarischer<br />

Reiseberichte<br />

Die religionswissenschaftliche Beschäftigung mit christlich-missionarischer<br />

Reiseliteratur hat die Struktur eines Metaberichts über andere Berichte. Der<br />

Missionar stellt die Vorstellungen, Praktiken, Institutionen und gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse der bereisten Gemeinschaften dar, sowie geographisch-natürliche<br />

Gegebenheiten und die Umstände seiner Reise. Sofern diese Darstellungen nach<br />

heutigem Wissensstand fehlerhaft sind bzw. gegenüber den nichtchristlichen<br />

Traditionen kritisch-verzerrend sieht sich die religionswissenschaftliche Themati-


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

sierung zu einer normativen Metakritik genötigt. Die missionarischen Aussagen<br />

werden in ihrem historischen Kontext verortet und im Zusammenhang mit den<br />

weltanschaulichen und gesellschaftlichen Bedingungen analysiert. Den unzutreffenden,<br />

normativ überformten Fremdbeschreibungen stellt man eigene, um<br />

angemessenere Deutungen bemühte gegenüber. Im Verhältnis zum jeweiligen<br />

Beschreibungsgegenstand – d.h. der Reiseberichte zu den fremden Völkern und<br />

Regionen sowie im religionswissenschaftlichen Zugang zu diesen Reiseberichten<br />

– lassen sich jeweils zwei relevante Perspektivendichotomien unterscheiden:<br />

Einerseits die Interpretation bedeutungstragender Ausdrucksgestalten gegenüber<br />

einer Darstellung historisch-lokaler Gegebenheiten – sowie andererseits<br />

entweder um neutrale Deskriptivität bemühte Zugänge gegenüber offen normativ<br />

wertenden. Theoretisch stellt sich dabei die Aufgabe einer Vermittlung dieser<br />

Dichotomien sowohl unter- als auch miteinander. Es bedarf einer integralen<br />

Konzeption, welche die Bedingungen und Möglichkeiten deskriptiver und normativer<br />

Rede, sowie die Situierung semantischer Gehalte in die lebenspraktischen<br />

Kontexte gesellschaftlich-historischer Umstände zusammenführt. Der Vortrag<br />

benennt Bausteine eines solchen Ansatzes in Weiterführung von Kippenbergs<br />

„Religionspragmatik“, angereichert durch sprachpragmatische Überlegungen von<br />

Robert B. Brandom. Als Anwendungsbeispiel dient der Bericht des jesuitischen<br />

Missionars Ippolito Desideri (1684-1733) über seine Indien- und Tibetmission.<br />

Robert Langer: Der Dabestān-e Maẕāheb (‚School of Religious Doctrines‘, 17. Jh.):<br />

Möglichkeiten religionswissenschaftlicher und ethnohistorischer Analyse<br />

Der „Dabestān-e Maẕāheb“ (‚School of Religious Doctrines‘) wurde vermutlich<br />

von (Mollā) Mūbad Šāh (etwa 1615–70) verfasst. Der Autor hatte aller Wahrscheinlichkeit<br />

nach einen zarathuštrischen Hintergrund und gehörte einer Gruppe<br />

an, die sich aus Schülern des Ādhar Kayvān zusammensetzte. Kayvān selbst<br />

war um 1570 von Es.t.axr (Īrān) nach Patna (Nordost-Indien) ausgewandert. Die<br />

nach ihm benannte religiöse Richtung und damit auch ihre Literatur, wie der<br />

„Dabestān“, enthalten Revitalisierungsversuche zarathuštrischer Religion und<br />

wirkte zuerst im iranischen Safawidenreich, dann unter anderen Bedingungen im<br />

indischen Mogulreich. Die Informationen über die Kayvānī-Gruppe und über die<br />

anderen, im „Dabestān“ beschriebenen Religionen beruhen auf Reisen des<br />

Autors während der Regierungszeit von Šāh Ǧahān (1627–58) und auf Texten der<br />

religiösen Gruppen, die zitiert werden. In diesem Beitrag soll diskutiert werden,<br />

mit welchen methodologischen Grundlagen eine Rekonstruktion der Gruppe um<br />

Ādhar Kayvān und eine Analyse ihrer religionstheoretischen Anschauungen und<br />

mystischen Lehren sowie ihrer Darstellung hinsichtlich anderer religiöser Gruppen<br />

im indischen Mogulreich möglich ist. Dabei soll insbesondere das Konzept<br />

der (ex-zentrischen) Positionalität zur Anwendung kommen, wenn es um sozioreligiöse<br />

Hintergründe, Wissenskonfigurationen und weltanschauliche Standpunkte<br />

beim Autor einerseits und literarische Strategien in den Beschreibungen<br />

im „Dabestān“ andererseits geht. Damit verbunden sind Fragen nach Editionen<br />

und Übersetzungen des „Dabestān“, eines oftmals zitierten, aber nach wie vor<br />

schwer und nur in unzureichenden Editionen und Übersetzungen zugänglichen<br />

35


Textes, die methodisch eng mit den genannten Analyseversuchen verzahnt<br />

werden müssen.<br />

Panelstrang D: ZHG 104<br />

Hannah Müller-Sommerfeld (Leipzig)<br />

Religionen und politische Herrschaft (II): Religionen und Recht<br />

Einleitung des Panels: Hannah Müller-Sommerfeld ()<br />

Astrid Reuter: Religion im Prozess der Ver(grund)rechtlichung der<br />

Gesellschaft<br />

Hannah Müller-Sommerfeld: Wie entsteht Religionsrecht? Ein<br />

religionsgeschichtlicher Blick auf das deutsche Beschneidungsgesetz vom<br />

20. Dezember 2012<br />

Sarah Jahn: Religion im Spannungsfeld von Recht, Politik und Verwaltung:<br />

Religionsgemeinschaften im Strafvollzug<br />

Christiane Königstedt: Die Ursachen und Hintergründe der Ablehnung<br />

„Neuer Religiöser Bewegungen“ in Frankreich<br />

Panelabstract vgl. S. 24<br />

Astrid Reuter: Religion im Prozess der Ver(grund)rechtlichung der Gesellschaft<br />

Das Vortragsthema wird in drei Schritten entfaltet. Im ersten Schritt werden<br />

einige wichtige Etappen des Vorgangs der Verrechtlichung des sozialen Lebens<br />

rekonstruiert. Im zweiten Schritt wird ausgeführt, wie das Recht im Zuge dieses<br />

Prozesses zu einer ‚Imaginationsform‘ des Sozialen insgesamt – und also auch<br />

des Religiösen – wurde. Im dritten Schritt wird es schließlich darum gehen zu<br />

zeigen, dass diese Prozesse im 20. Jahrhundert Hand in Hand gingen mit einer<br />

Entwicklung, die man als ‚Vergrundrechtlichung‘ bezeichnen kann, und zu untersuchen,<br />

welche Konsequenzen dies für die Dynamik des Religiösen hat.<br />

36<br />

Hannah Müller-Sommerfeld: Wie entsteht Religionsrecht? Ein<br />

religionsgeschichtlicher Blick auf das deutsche Beschneidungsgesetz vom 20.<br />

Dezember 2012<br />

Dem Themenbereich „Religionen und politische Herrschaft“ soll in diesem<br />

Vortrag anhand der Entstehung von Religionsrecht am Fallbeispiel des deutschen<br />

Beschneidungsgesetzes von 2012 nachgegangen werden.<br />

Am Anfang war die Beschneidung eines muslimischen Jungen in Köln im November<br />

2010 und am Ende das „Gesetz über den Umfang der Personensorge bei<br />

einer Beschneidung des männlichen Kindes“ vom 20. Dezember 2012. Dieses ist<br />

inzwischen als § 1631d ins BGB eingefügt. Ziel des Vortrages ist es, die dynamische<br />

Struktur dieser Entwicklung aufzuweisen. Dazu gehören die Interventionen<br />

der betroffenen Religionsgemeinschaften bei der Bundesregierung, die mediale<br />

Mobilisierung der Öffentlichkeit (pressure politics). Der gewünschte Erfolg ließ<br />

nicht lange auf sich warten. Die Bundesregierung bestellte im <strong>August</strong> 2012 den<br />

Ethikrat ein, wenige Monate später wurden Gesetzesentwürfe im Bundestag


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

präsentiert und schließlich Ende 2012 ein neues Gesetz verabschiedet. Ein<br />

Vergleich der jüdischen und muslimischen Beteiligung an diesen Geschehnissen<br />

zeigt international eine Dominanz der jüdischen Vertretung. Bei den Muslimen<br />

fiel sie etwas zurückhaltender aus, obwohl sie mit rund 4,2 Millionen Anhängern<br />

in Deutschland die größere religiöse Minorität bilden.<br />

Erklärungen für diesen Verlauf sind auch in den jüdischen und muslimischen<br />

Religionsgeschichten zu suchen, die weit über den deutschen Schauplatz hinausweisen.<br />

Denn während es zum Kontinuum der transnationalen Religionsgeschichte<br />

des Judentums gehört, bei Regierungen für eigene Rechte und Interessen zu<br />

intervenieren, so blicken Muslime in ihrer Geschichte noch nicht auf eine lange<br />

Tradition als religiöse Minorität zurück.<br />

Sarah Jahn: Religion im Spannungsfeld von Recht, Politik und Verwaltung:<br />

Religionsgemeinschaften im Strafvollzug<br />

Der Vortrag beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen für Religionsgemeinschaften<br />

die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit im System<br />

des Strafvollzugs umsetzen zu können. Die Betrachtung erfolgt anhand eigenen<br />

Materials, dass in unterschiedlichen bundesdeutschen Anstalten erhoben wurde.<br />

Dabei wird eine synchrone und religionsvergleichende Perspektive eingenommen,<br />

da festzustellen ist, dass Religionsgemeinschaften, ungeachtet ihres öffentlich-rechtlichen<br />

Status, ungleich behandelt werden.<br />

Christiane Königstedt: Die Ursachen und Hintergründe der Ablehnung „Neuer<br />

Religiöser Bewegungen“ in Frankreich<br />

Die Reaktionen auf auf das vermehrte Auftreten neuer religiöser Bewegungen<br />

waren in Frankreich seit den 1970er Jahren vergleichsweise aggressiv und<br />

dauern, mit veränderten Vorzeichen, bis heute an. Auf die Frage nach den<br />

Gründen für diese starke Ablehnung alternativer Formen von Religion, die sogar<br />

in einer säkularen rechtlichen Regulierung nur bestimmter Formen von Religion<br />

mündete, wurden bisher verschiedene und zum Teil widersprüchliche Antworten<br />

gegeben. Der großen Komplexität der Konstellation geschuldet, führten zum<br />

Beispiel einige die Situation hauptsächlich auf einen ideologisierten Laizismus<br />

und/oder die ursprüngliche Dominanz der katholischen Kirche zurück, während<br />

Andere vielleicht die einseitig negative Berichterstattung in den Medien in enger<br />

Kooperation mit den „Anti-Kult“-Bewegungen betonten. Der Vortrag basiert auf<br />

einer größeren Untersuchung dieser Fragestellung unter Einbeziehung bisher<br />

wenig erschlossener juristischer Quellen. Anhand der Ergebnisse soll gezeigt<br />

werden, wie die Verwendung verschiedener, sich ergänzender Forschungsansätze<br />

dem Thema vielleicht umfassender gerecht werden konnte, in dem sie<br />

ermöglichte, die Verwobenheit und das Zusammenwirken mehrerer Faktoren zu<br />

untersuchen und darzustellen.<br />

37<br />

Panelstrang E: ZHG 105


Sven Bretfeld (Bochum) und Karénina Kollmar-Paulenz (Bern)<br />

Religiöses Emplacement und translokale Strukturen: Relationale<br />

Ansätze in der Religionsgeschichte<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Karénina Kollmar-Paulenz: Weißer Zar und schwarzer Glaube: Globale<br />

Religionsgeschichte als relationale Geschichte<br />

Michael Bergunder: Globale Religionsgeschichte als Retterin<br />

religionswissenschaftlicher Komparatistik? Kulturwissenschaftliche<br />

Überlegungen zur Rechtfertigung von Vergleichsgegenständen<br />

Tulasi Srinivas: Globalization, Philosophies of (un) Containment and<br />

Entangled Ethical Subjectivities<br />

Sven Bretfeld: Der Niedergang des Buddhismus in Indien und seine<br />

translokalen Folgen<br />

Die Integration postkolonialer Kritiken hat in den Geschichtswissenschaften zu<br />

einer Reihe von Ansätzen geführt, die sich in Überwindung von historistischer<br />

Essentialisierung und Eurozentrismus um eine Neubestimmung historischer Gegenstände<br />

bemüht. An Stelle von statischen Nationen bilden Dynamik und Verflechtung,<br />

die Relationalität von Lokalem, Translokalem und Globalem, Pluralität und<br />

Polyphonie die zentralen analytischen Prämissen dieser zusammenfassend als<br />

"transnationale Geschichte", "Verflechtungs-" oder "Globalgeschichte" bezeichneten<br />

Zugänge. Religionswissenschaft – sowohl in ihren empirischen als auch in ihren<br />

systematischen Perspektiven – sieht sich seit längerem und aus ähnlichen Gründen<br />

vor dieselben methodologischen und gegenstandskonstitutiven Probleme gestellt.<br />

Obgleich die globalgeschichtliche Forschung Religion längst als eine der mächtigsten<br />

translokal wirksamen Kräfte identifiziert hat und umgekehrt eine "globale<br />

Religionsgeschichte" mehrfach gefordert und programmatisch entworfen wurde,<br />

hat sich bislang kein systematischer interdisziplinärer Austausch etabliert. Dieses<br />

Panel erkundet die deskriptive und explikative Leistungsfähigkeit und die systematischen<br />

Konsequenzen verflechtungstheoretischer Ansätze auf die Erforschung der<br />

Religionsgeschichte der "großen" und "kleinen Räume". In systematischer Hinsicht<br />

soll dabei die These von Religion als europäischer Erfindung ebenso auf dem<br />

Prüfstand stehen wie die Fragen nach der Wechselbeziehung zwischen Empirie und<br />

Analyse sowie der Möglichkeit universeller Master Narratives.<br />

38<br />

Karénina Kollmar-Paulenz: Weißer Zar und schwarzer Glaube: Globale<br />

Religionsgeschichte als relationale Geschichte<br />

Im Jahr 1846 publizierte der buryatmongolische Gelehrte Dorji Banzarov (1822-<br />

1855) seine in russischer Sprache an der <strong>Universität</strong> Kazan verfasste Dissertation<br />

„Der schwarze Glaube, oder der Schamanismus bei den Mongolen“. Das Werk<br />

übte einen enormen Einfluss auf die sich im Kontext der vergleichenden Religionswissenschaft<br />

und Ethnologie etablierende „Schamanismus“-Forschung aus.<br />

Am Beispiel dieses Werks und seines Autors, sowie weiterer zeitgenössischer, in<br />

mongolischer Sprache abgefasster Werke zur Religionsgeschichte der Buryatmongolen<br />

sollen globalgeschichtliche Ansätze, die relationale Beziehungen in den<br />

Mittelpunkt rücken und Globalgeschichte im Sinne einer „Perspektivierung von


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Geschichtsschreibung“ (Angelika Epple) verstehen, für eine globale Religionsgeschichte<br />

fruchtbar gemacht werden.<br />

Michael Bergunder: Globale Religionsgeschichte als Retterin<br />

religionswissenschaftlicher Komparatistik? Kulturwissenschaftliche Überlegungen<br />

zur Rechtfertigung von Vergleichsgegenständen<br />

Mit dem Abschied von der Religionsphänomenologie, auf Englisch „comparative<br />

religion“ und der Hinwendung zu kulturwissenschaftlichen Ansätzen ist der Religionsvergleich<br />

in eine heftige Krise geraten. Dies betrifft aber die Identität der<br />

Religionswissenschaft in ihrem Kern, da sie sich traditionell zu einem gewichtigen<br />

Teil über den Religionsvergleichs definiert hat. Die Diskussion leidet dabei an<br />

einer gewissen Unschärfe. Oft wird die Krise der religionswissenschaftlichen<br />

Komparatistik als eine Krise der Methode des Vergleichens verstanden. Dies<br />

greift jedoch zu kurz, da formal-methodisch alles mit allem ohne weiteres vergleichbar<br />

ist. Wie Burkhard Gladigow bereits vor längerer Zeit deutlich gemacht<br />

hat, ist das Hauptproblem der Komparatistik, dass jedem Vergleichsgegenstand<br />

ein bestimmtes Interesse eigen ist. Die Krise der Komparatistik ist also eine Krise<br />

der Rechtfertigung des Vergleichsgegenstandes. Der globalgeschichtliche Ansatz<br />

in Verbindung mit bestimmten kulturwissenschaftlichen Theoriebildungen bietet<br />

eine Möglichkeit zur Historisierung der Vergleichsgegenstände und damit eine<br />

Alternative, diese sinnvoll zu rechtfertigen. Illustriert wird die These des Vortrags<br />

mit einem indischen Fallbeispiel.<br />

Tulasi Srinivas: Globalization, Philosophies of (un) Containment and Entangled<br />

Ethical Subjectivities<br />

Networked globalization and its twin, neoliberal economics, highlight interactions<br />

between cultures, religions and people. The language of „dynamics,<br />

entanglements, relationality, plurality and polyphony“ mark contemporary global<br />

discourse. In this descriptive meditation on ritual praxes in Hindu temple publics<br />

of Bangalore City, I build upon this post colonial vocabulary and argue that the<br />

„philosophy of (un) containment“ that ritual praxis deploys in Bangalore allows<br />

us to explore the multiple nature of ethical subjectivities and their entanglements<br />

in a globalizing world. Moving away from discourses of the hybrid,<br />

towards a more nuanced understanding of connected ethical and moral subjectivities,<br />

I suggest that the Bangalore illustration has much to teach us.<br />

Sven Bretfeld: Der Niedergang des Buddhismus in Indien und seine translokalen<br />

Folgen<br />

Entgegen der Argumentation T. Masuzawas, Religionen wie Buddhismus seien<br />

erst in kolonialer Zeit „erfunden“ worden, geht dieser Beitrag von einem interaktiven<br />

– wenn auch bei weitem nicht konsistenten oder gar homogenen – Beziehungsgeflecht<br />

zwischen den buddhistischen Gemeinschaften Asiens aus, das mit<br />

der Ausbreitung dieser Religion emergierte und mit stetig sich verändernden<br />

Strukturen bis heute Bestand hat. Diese Hypothese schließt ein, dass jenes<br />

Geflecht Eigenschaften eines eigenlogischen Feldes aufweist, das identifizierbare<br />

39


Makrostrukturen herausbildet und in „glokalen“ Austauschprozessen reproduziert.<br />

Der historische Vergleich, der mit der Entstehung der „Globalgeschichte“<br />

als Perspektive der Geschichtswissenschaft wiederentdeckt wurde, kann auch für<br />

die Religionswissenschaft zur Erforschung translokaler Prozesse und makrostruktureller<br />

Konstellationen fruchtbar gemacht werden. Dies hat unter anderem<br />

Folgen für die religionswissenschaftliche Systematik, die zugunsten einer dynamischen<br />

Relationalität von Religion(en) Essentialismen und Eurozentrismen<br />

aufgeben kann, ohne dabei in eine gänzliche Auflösung ihres Gegenstandes zu<br />

verfallen. Der Vortrag beleuchtet dies am Fallbeispiel des Niedergangs des<br />

Buddhismus in Indien. Dieses Ereignis, so die These, zeitigte weit reichende<br />

Folgen für das translokale buddhistische Netzwerk und löste vergleichbare<br />

„glokale“ Transformationen in buddhistischen Gesellschaften außerhalb Indiens<br />

aus. Es wird im Speziellen um geänderte Zeit- und Raumkonzepte gehen. Auf<br />

diesen basierend sind lokale Ideologien entstanden, mit denen Neubestimmungen<br />

kollektiver religiöser Aufgaben und Verantwortlichkeiten formuliert wurden<br />

und die sich mittelfristig als Neuverteilung von Zentren und Peripherien in der<br />

„globalen“ buddhistischen Landschaft ausgewirkt haben.<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Alexandra Grieser (Groningen)<br />

Religionsästhetik: Konzepte, Methoden, Gegenstände (II)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Peter J. Bräunlein: Geister-Ästhetiken und Jenseits-Topographien. Zur<br />

gegenwärtigen Konjunktur des Post-Mortem Kino in Südostasien<br />

Xenia Zeiler: Religionsästhetik und materiale Religion in Südasien: Yantras<br />

als ‚objects of worship’ in tantrischen und hinduistischen Traditionen<br />

Jens Kreinath: Transformative Dynamiken mimetischer Akte: Ästhetische<br />

Dimensionen interreligiöser Heiligenverehrung in Hatay, Türkei<br />

Annette Wilke: Imagination als religionsästhetische und -systematische<br />

Kategorie – Am Beispiel tantrischer Imaginationstechniken<br />

Panelabstract vgl. S. 28<br />

40<br />

Peter J. Bräunlein: Geister-Ästhetiken und Jenseits-Topographien. Zur<br />

gegenwärtigen Konjunktur des Post-Mortem Kino in Südostasien<br />

Vor wenigen Jahren brachte der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser eine neue<br />

Genre Bezeichnung ins Spiel: Post-Mortem Kino. Er beobachtete an Motiven und<br />

der Erzählweise des populären amerikanischen Kinos seit den späten 1990er<br />

Jahren ein raffiniertes Spiel mit Identitätskrise und Realitätswahrnehmung.<br />

"Was passiert, wenn man seinen eigenen Tod überlebt?" ist zentrale Frage von<br />

Filmen wie LOST HIGHWAY (1997), AMERICAN BEAUTY (1999), FIGHT CLUB<br />

(1999), THE SIXTH SENSE (1999), MEMENTO (2000), MULHOLLAND DRIVE (2001),<br />

THE OTHERS (2001) u.a.m. Die betreffenden Filmplots experimentieren mit der


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

mentalen Welt der (traumatisierten) Hauptfigur und den sie umgebenden<br />

paradoxen "Jenseitswelten".<br />

Parallel zur Konjunktur dieses Hollywood-Genres feiert eine neue Form des<br />

Geisterfilms in Ost- und Südostasien immense Erfolge. Hideo Nakatas RINGU<br />

(1998) löste eine Welle von Geisterfilmen aus, in denen die nachtodlichen<br />

Konsequenzen von sozialer Ausgrenzung, Eifersucht, Vergewaltigung, Unfalltod<br />

und Mord drastisch vor Augen geführt werden. Der Horror der Moderne bringt<br />

traumatisierte Tote hervor, die Recht und Rache geltend machen. In meinem<br />

Vortrag diskutiere ich die Thesen von Thomas Elsaesser an Beispielen des asiatischen<br />

Post-Mortem Kinos und gehe dabei auf Intentionen und Möglichkeiten ein,<br />

Geister(welten) in der Moderne filmästhetisch zu plausibilisieren.<br />

Xenia Zeiler: Religionsästhetik und materiale Religion in Südasien: Yantras als<br />

‚objects of worship’ in tantrischen und hinduistischen Traditionen<br />

Die materiale als auch visuelle Ausgestaltung von yantras, (geometrischen)<br />

Konstrukten zur Meditations- und Ritualunterstützung, oblag und obliegt in<br />

tantrischen und hinduistischen Traditionen verschiedenen religionsästhetischen<br />

Einflüssen und Traditionen. Als Objekten materialer Ausprägung sind yantras in<br />

privaten und öffentlichen Kontexten dabei eigenständige Verehrungspraktiken<br />

zugeordnet – yantras wurden auch zu autarken ‚objects of worship’. Diese<br />

Entwicklungen liegen v.a. in der Eingliederung von yantras aus ursprünglich<br />

esoterischen tantrischen Kontexten in exoterische brahmanisierte und populäre<br />

rezente hinduistische Traditionen und damit in Transformationen durch<br />

Mainstreamisierung begründet. Im gegenwärtigen Südasien sind yantras sowohl<br />

als materiale Ritual- und Verehrungsobjekte wie auch als visuelle Symbole in<br />

verschiedenen sozio-religiösen Bereichen sehr verbreitet. Der Vortrag analysiert<br />

zwei Göttinnenyantras in ihren materialen und visuellen (Re)Interpretationen<br />

und Transformationen von spezifisch tantrischen Hintergründen zu Repräsentationen<br />

in rezenten Kontexten, beispielsweise in Onlineshops. Dabei sollen auch<br />

die diversen Interpretationen und Nutzungen von yantras als materiale sozioreligiöse<br />

Konstrukte in den Religionen Südasiens thematisiert werden.<br />

Jens Kreinath: Transformative Dynamiken mimetischer Akte: Ästhetische<br />

Dimensionen interreligiöser Heiligenverehrung in Hatay, Türkei<br />

Dieser Vortrag leistet einen Beitrag zur Erforschung der transformativen Dynamiken<br />

interreligiöser Rituale in Hatay, der südlichsten Provinz der Türkei. Ziel dieses<br />

Vortrags ist es, einen theoretischen Ansatz in der Religionsästhetik vorzustellen,<br />

welcher mimetische Akte als heuristischen Ausgangspunkt für die Erforschung<br />

religionsgeschichtlicher Dynamiken heranzieht. Dabei wird Mimesis nicht mehr<br />

wie zuvor lediglich als eine Form der Repräsentation begriffen, sondern als ein<br />

Vorgang der Nachahmung, welcher auf Ähnlichkeit und Differenz, Aneignung und<br />

Abgrenzung beruht. In kritischer Auseinandersetzung mit den Ansätzen von Walter<br />

Benjamin und Theodor Adorno sowie von Michael Taussig und Alfred Gell soll<br />

der Versuch unternommen werden, einen Begriff der Mimesis zu entwickeln, der<br />

in der Lage ist, die religionsgeschichtlichen Dynamiken in der Südtürkei zu erfas-<br />

41


sen, die zuvor als Formen des Synkretismus begriffen worden sind. Dabei wird<br />

das produktive Potential eines neu formulierten Begriffs der Mimesis herangezogen,<br />

der nicht mehr Formen der Nachahmung als Derivative von einem authentischen<br />

Original in einer nachgeahmten Kopie begreift. Ein zentrales Anliegen<br />

dieses Vortrags besteht darin, den Begriff der Mimesis ästhetisch zu fassen und<br />

in dessen Wirksamkeit in der Transformation interreligiöser Beziehungen herauszuarbeiten.<br />

Ästhetik wird als ein Feld der Wirksamkeit begriffen ohne auf Prozesse<br />

der Wahrnehmung beschränkt zu bleiben. Die Ähnlichkeiten und Differenzen<br />

in Formen der Heiligenverehrung in Hatay werden dabei als empirische und<br />

ethnographische Grundlage für die theoretische Fassung der transformativen<br />

Dynamiken mimetischer Akten herangezogen. Die Dynamiken in den interreligiösen<br />

Beziehungen werden anhand detaillierter Beschreibungen ausgewählter<br />

Ritualhandlungen in historischer und vergleichender Perspektive dargestellt.<br />

Annette Wilke: Imagination als religionsästhetische und -systematische Kategorie<br />

– Am Beispiel tantrischer Imaginationstechniken<br />

Imagination spielt sich nicht nur in inneren Welten und privaten Phantasien ab,<br />

sondern wirkt auch im Kollektiven – im kulturellen Gedächtnis, in Habitusformen,<br />

Ritualen, religiösen Vorstellungswelten, Nationalismen, Klischeevorstellungen<br />

etc., kurzum im kollektiven imaginaire ganzer Sozialverbände. Imagination<br />

bezieht sich auch nicht nur auf innere Bildproduktion oder auf „große Erzählungen“,<br />

sondern wird sinnlich und materiell medialisiert, reproduziert und transformiert.<br />

Praktiken der Imagination sind nicht nur kreativ, sondern auch kanalisierend<br />

und disziplinierend. Dies sind, sehr verkürzt, einige Thesen des Bandes<br />

“Religion – Imagination – Ästhetik: Vorstellungs- und Sinneswelten in Religion<br />

und Kultur” (hg. Lucia Traut und Annette Wilke, in Vorbereitung), welcher Artikel<br />

mit unterschiedlichen empirischen Beispielen und theoretischen Verortungen zu<br />

Imaginationsräumen, Imaginationsgeschichte(n), Imaginationstechniken und<br />

Imaginationspolitiken umfasst. All dies wird auch in meinem Fallbeispiel deutlich.<br />

Ich stelle Techniken der Imagination in den Initiations- und Mitternachtsriten<br />

eines Ritualmanuals des linkshändigen Tantrismus vor und zeige, wie durch den<br />

gezielten Gebrauch von menschlicher Vorstellungskraft, Sexualpraktiken und<br />

Mantra-Riten eine Transformation erzeugt werden soll, die dem kulturellen<br />

imaginaire des tantrischen Superman, der alle menschlichen Grenzen transzendiert<br />

und Gott Siva „in allen Gliedern“ geworden ist, entspricht. Imagination, so<br />

schlage ich vor, kann per Definition nicht nur Abwesendes anwesend machen,<br />

sondern durch die Überblendung von Vorstellungswelten und empirischer<br />

Wirklichkeit neue („dritte“) Räume erzeugen.<br />

42<br />

14:15 – 15:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Johannes Quack (Heidelberg)


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Die Vielfalt der Nichtreligion: Säkulare Lebensentwürfe und<br />

Weltanschauungen (III)<br />

<br />

<br />

Cora Schuh: Das Nicht-Religiöse verstehen – Eine Auseinandersetzung mit<br />

religionswissenschaftlichen und säkularisierungstheoretischen<br />

Klassifizierungen anhand empirischer Beispiele<br />

Wanda Alberts: Nichtreligion als Gegenstand der Religionswissenschaft<br />

(am Beispiel des norwegischen Humanismus)<br />

Panelabstract vgl. S. 19<br />

Cora Schuh: Das Nicht-Religiöse verstehen – Eine Auseinandersetzung mit<br />

religionswissenschaftlichen und säkularisierungstheoretischen Klassifizierungen<br />

anhand empirischer Beispiele<br />

Der Vortrag diskutiert anhand mehrere empirischer Fallbeispiele die Frage, wie<br />

man sich dem Nicht-Religiösen konzeptionell nähern kann. Dabei werden säkularisierungstheoretische<br />

und religionswissenschaftlich/ anthropologische Herangehensweisen<br />

verglichen. Erstens wird die Frage diskutiert inwieweit mit den<br />

Begriffen des Säkularen, respektive des Nicht-Religiösen, unterschiedliche Aspekte<br />

des Nicht-Religiösen in den Blick genommen werden. Zweitens werden verschiedene<br />

Interpretationsrahmen vorgestellt, in deren Rahmen zeitgenössische<br />

atheistische Artikulationen verstanden werden können. Damit wird anhand einer<br />

klassischen religionswissenschaftlichen Klassifizierung aufgezeigt inwieweit ein<br />

säkularisierungstheoretisches Verständnis für eine Untersuchung des Nicht-<br />

Religiösen fruchtbar gemacht werden kann. Abschließend wird an einem letzten<br />

Fallbeispiel gezeigt, dass auch der Begriff des Nicht-Religiösen Teil lebensweltlicher<br />

Auseinandersetzungen um Religion und Säkularität ist. Die Autorin<br />

argumentiert dafür in dieser lebensweltlichen Verwobenheit keinen Mangel<br />

sondern vielmehr ein analytisches Potential zu sehen. Entscheidend ist daher<br />

nicht die Schaffung neuer scheinbar neutraler Termini, sondern ein reflektierter<br />

Blick auf die komplexe Verwobenheit der Klassifizierungen des Religiös-Säkularen<br />

mit gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen.<br />

Wanda Alberts: Nichtreligion als Gegenstand der Religionswissenschaft (am<br />

Beispiel des norwegischen Humanismus)<br />

In diesem Vortrag soll zunächst die Rolle des norwegischen humanistischen<br />

Verbands (Human-etisk forbund) als Teil der religiösen und säkularen Landschaft<br />

Norwegens analysiert werden. Darauf aufbauend wird die Frage nach säkularen<br />

Bewegungen – und weiteren Formen der Nichtreligion – als Gegenstand der<br />

Religionswissenschaft gestellt, mit dem Ziel, mögliche Implikationen der Empirie<br />

(Dynamiken von „Religion“ und „Nichtreligion“) für religionswissenschaftliche<br />

Theoriebildung zur Diskussion zu stellen.<br />

43<br />

Panelstrang B: ZHG 102


Márcia Moser (Marburg), Marita Günther-Saeed (Marburg) und Verena<br />

Maske (Marburg)<br />

Intersektionalität – ein produktiver Ansatz zur theoretischen<br />

Reflexion von komplexem, empirischem Material<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Márcia Moser: Intersektionalität zwischen theoretischer Reflexion und<br />

politischer Omnipotenz – Chancen und Risiken eines jungen Programms<br />

Verena Maske: Jung, weiblich, muslimisch – Intersektionalität als<br />

Analyseinstrument zur Erfassung von Identitätspolitiken junger<br />

Musliminnen der Muslimischen Jugend in Deutschland e.V.<br />

Doris Decker: "Von der ,Priesterin' zur ,Hausherrin' – von der ,Sklavin' zur<br />

,Märtyrerin'" Zum Verhältnis von Religion, Klasse und Geschlecht in<br />

frühislamischer Literatur<br />

Danijel Benjamin Cubelic: Polyzentrisches Begehren – queere<br />

Selbstpositionierungen nach dem Arabischen Frühling<br />

Während in einigen akademischen Kontexten die Notwendigkeit einer Implementierung<br />

gendertheoretischer Ansätze noch immer diskutiert wird, gelten diese in<br />

anderen wiederum, je nach Interesselage, als entweder bereits überholt oder auch<br />

als bedroht. Letztere Debatte geht einher mit der Herausbildung von Intersektionalität<br />

als theoretischer Fokussierung.<br />

Zentrales Anliegen theoretischer Ansätze zu Intersektionalität ist das Zusammendenken<br />

sozialer Kategorien und die Theoretisierung von Differenzen, wie<br />

Geschlecht, Rasse, Sexualität, Klasse uvw. Herausgebildet haben sich diese in<br />

Auseinandersetzung mit politischen Debatten und Praxen – eine enge Rückbindung<br />

der Theoriebildung an empirisches Material ist den Ansätzen somit von Grund auf<br />

zu eigen.<br />

In den letzten Jahren hat ‚Intersektionalität‘ eine breite Rezeption erfahren, die sich<br />

unaufhörtlich auch über kontroverse und dynamische Debatten charakterisiert. In<br />

die deutschsprachige Religionswissenschaft sind diese kaum durchgedrungen.<br />

In diesem Panel soll anhand verschiedener Beispiele eine intersektionale Analyse<br />

zur Anwendung kommen und hinsichtlich ihrer Einbindung in die Religionswissenschaft<br />

diskutiert werden.<br />

44<br />

Márcia Moser: Intersektionalität zwischen theoretischer Reflexion und politischer<br />

Omnipotenz – Chancen und Risiken eines jungen Programms<br />

Der Begriff ‚Intersektionalität‘ hat im Zuge der Rezeption von Kimberlé W.<br />

Crenshaw in der deutschsprachigen akademischen Landschaft, insbesondere im<br />

Kontext der Gender Studies und Kulturwissenschaften, an Popularität gewonnen.<br />

Zunächst formuliert in einem rechtswissenschaftlichen Rahmen wurde der Ansatz<br />

schnell über Disziplinengrenzen hinweg aufgegriffen und weiterentwickelt.<br />

Das Konzept schien produktiv hinsichtlich einer theoretischen wie auch empirischen<br />

Sensibilisierung für die Komplexität von identitären und strukturellen<br />

Macht- und Ohnmachtsverhältnissen. In der deutschsprachigen Religionswissenschaft<br />

ist ‚Intersektionalität‘ als theoretisch-analytische Reflexionsanregung nicht<br />

aufgegriffen worden. Hierfür ist wohl weniger der ausgeprägt politische Charakter,<br />

der in dieser kurzen Beschreibung anklingt, der Grund, als vielmehr die


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

immer noch ausgeprägte grundsätzliche Skepsis gegenüber den Gender Studies<br />

und ihnen verbundenen Ansätzen, wie der Queer Theory oder eben ‚Intersektionalität‘.<br />

In dem Vortrag möchte ich das Potential des Ansatzes für die Religionswissenschaft<br />

herausarbeiten, ohne dabei die kritischen Aspekte des Programms<br />

‚Intersektionalität‘ auszublenden.<br />

Verena Maske: Jung, weiblich, muslimisch – Intersektionalität als<br />

Analyseinstrument zur Erfassung von Identitätspolitiken junger Musliminnen der<br />

Muslimischen Jugend in Deutschland e.V.<br />

Jung, weiblich und muslimisch – diese Attribute verweisen auf spezifische,<br />

durchaus heterogene und in sich widersprüchliche soziale Erwartungen, Fremdzuschreibungen<br />

und Diskriminierungen, die junge Musliminnen in Deutschland in<br />

ihren Orientierungen und sozialen Praxen zu einer je eigenen sozialen Positionierung<br />

verarbeiten. Sozialen Differenzierungskategorien wie race, class und gender<br />

kommt in diesem Zusammenhang eine Allokationsfunktion zu, sie sind verbunden<br />

mit spezifischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Die eigene soziale<br />

Positionierung und Identitätspolitik ist dabei nicht eindimensional, sondern<br />

ergibt sich aus der Verwobenheit sozialer Kategorien, die mit je verschiedenen<br />

Bedeutungszuweisungen und Wertungen sowie spezifischen Aneignungsmustern<br />

verbunden und daher in sich heterogen sind. Dieser Beitrag beleuchtet die<br />

Identitätspolitiken junger Musliminnen, die im Verein der Muslimischen Jugend<br />

in Deutschland aktiv sind. Es soll anhand eines intersektionalen Forschungsansatzes<br />

im Rahmen einer qualitativ-empirischen Studie danach gefragt werden,<br />

welche Differenzierungskategorien in diesem Kontext relevant werden und wie<br />

sie sich auf die Lebenslagen und Identitätskonstruktionen der jungen Musliminnen<br />

auswirken. Schließlich sollen exemplarisch Überlegungen und Reflexionen<br />

dazu angestellt werden, wie Ansätze und Perspektiven der Intersektionalität als<br />

Analyseinstrument in religionswissenschaftlichen Studien angewandt und fruchtbar<br />

gemacht werden können.<br />

Doris Decker: "Von der ,Priesterin' zur ,Hausherrin' – von der ,Sklavin' zur<br />

,Märtyrerin'" Zum Verhältnis von Religion, Klasse und Geschlecht in<br />

frühislamischer Literatur<br />

In der frühislamischen Literatur wird die Formierungsphase des Islam im frühen<br />

7. Jh. als eine konfliktträchtige Zeit beschrieben: Heftige Kontroversen über differente<br />

Normen- und Wertesysteme werden geführt, durch Boykotte geraten<br />

manche Parteien bis an den Rand ihrer Existenzfähigkeit, kriegerische Auseinandersetzungen<br />

folgen. Die geschilderten soziokulturellen Transformationsprozesse<br />

sind durchtränkt von diskriminierenden Momenten – was auch in weiblichen<br />

Geschlechterkonzepten deutlich wird: Religiöse Funktionsträgerinnen der altarabischen<br />

Religion werden von den siegreichen Muslimen von ihren Kultstätten<br />

vertrieben oder ermordet, Sklavinnen, die von Muhammad und seiner Botschaft<br />

überzeugt sind, gedemütigt und zu Tode gequält. Welche Rolle spielen in diesem<br />

Zusammenhang Religion, Klasse und Geschlecht und welche Wechselwirkungen<br />

zwischen diesen Differenzierungskategorien lassen sich entdecken? Diesen<br />

45


Fragen werde ich in meinem Beitrag nachgehen und zeigen, inwiefern „Religion“<br />

und „Klasse“ konstitutive Elemente weiblicher Geschlechterkonzepte der frühislamischen<br />

Literatur sind und deren Transformationen mitbestimmen. Dafür<br />

werde ich die Geschehnisse nach Muhammads Tod im Jahr 632 bis zur Kompilation<br />

der Textsammlungen im 8. und 9. Jh. – die Materialgrundlage des Vortrags –<br />

berücksichtigen und nach deren Auswirkungen auf die literarische Gestaltung der<br />

Geschlechterkonzepte fragen. Ferner wird geprüft, ob ein intersektionaler<br />

Forschungsansatz mit dem Fokus auf Religion, Klasse und Geschlecht zum Verstehen<br />

literarischer Geschlechterkonzepte beiträgt und für eine kritische Auswertung<br />

schriftlicher Dokumente bezüglich der Historizitätsfrage ertragreich ist.<br />

Danijel Benjamin Cubelic: Polyzentrisches Begehren – queere<br />

Selbstpositionierungen nach dem Arabischen Frühling<br />

Die massiven politischen Verwerfungen des Arabischen Frühlings haben seit 2011<br />

zu einer Verschiebung der Konfliktlinien um die Rechte von sich als lesbisch,<br />

schwul, bi-, trans- und intersexuell positionierenden (queeren) Bevölkerungssegmenten<br />

arabischer Gesellschaften geführt. Am Beispiel Ägyptens und Tunesiens<br />

möchte der Vortrag einen kritischen Blick auf die Prekarisierung arabischer<br />

Queers unter dem Druck der Subjektideale nationalistischer und religiöser<br />

Normen einerseits und globaler queerer Identitätspolitik andererseits werfen<br />

und dabei aufzeigen, wie sich durch die Situiertheit dieser Subjektpositionen am<br />

Konvergenzpunkt religiöser, ethnischer, nationaler und geschlechtlicher<br />

Identitätsdiskurse die Aushandlung (post-)kolonialer Grundkonflikte wiederholt.<br />

Fokusiert werden sollen die Selbstpositionierungen arabischer Queers und ihre<br />

Handlungsspielräume – Strategien der Aneignung, des Umkodierens und Überschreibens<br />

gegenläufiger Subjektideale – innerhalb der situativen Emergenzen<br />

des Arabischen Frühlings. Über das Fallbeispiel hinaus sollen auch theoretische<br />

Überlegungen zu einer Sensibilisierung des Forschungsprogramms der Intersektionalität<br />

und seiner Befunde für postkoloniale Kontexte und transkulturelle<br />

Subjektivierungsformen zur Diskussion gestellt werden.<br />

46<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Martin Radermacher (Münster) und Eva Tolksdorf (Bremen)<br />

Evangelikale/Charismatische Bewegungen (I)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Katja Rakow: Evangelikale und Pfingstlerische Großkirchen in<br />

transkultureller Perspektive<br />

Insa Pruisken: Kulturelle Werte und Wachstum: Predigten als Medium der<br />

Identitätsbildung in Megakirchen<br />

Frederik Elwert: Evangelikalismus in Aussiedler-Gemeinden: Lokale und<br />

globale Perspektiven<br />

Maltese Giovanni: Der Ort des „Islam“ im pfingstlich-charismatischen<br />

Diskurs über Politik und Nationalismus in den Philippinen – ein<br />

methodischer Essay


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Rezente evangelikale und charismatische Bewegungen sind als heterogene (1)<br />

transnationale Netzwerke, (2) lokale Gemeinschaften, (3) Diskurse aus Außenperspektiven<br />

sowie Akteursperspektiven erforschbar. Die Fragestellungen des Panels<br />

werden im Anschluss an die Stoßrichtung der <strong>DVRW</strong>-Tagung auf die „Pluralisierung<br />

religionswissenschaftlicher Ansätze, Gegenstände, Methoden und Theorien“ fokussieren<br />

sowie die Dialektik von Empirie und Theorie in Bezug auf das Forschungsfeld<br />

diskutieren. Dabei sollen terminologische Kategorien (wie „(neo-)charismatisch/-<br />

pfingstlich“, „fundamentalistisch“, „sektiererisch“) sowie übergeordnete Klassifikationen<br />

(z. B. „traditionell“/„konservativ“ vs. „liberal“/„progressiv“, „global“/„lokal“<br />

vs. „transnational“ oder „transkulturell“) reflektiert werden.<br />

Panel I wird sich evangelikalen und charismatischen Bewegungen und ihrer Verwobenheit<br />

mit lokalen und globalen Konditionen sowie politischen Diskursen bezogen<br />

auf „Transkulturalität“ und „Politisierung“ annähern. Die Tragweite rezenter Ansätze<br />

der Transcultural Studies (Rakow) sowie der soziologischen Bewegungsforschung<br />

(Pruisken) für die religionswissenschaftliche Forschung werden anhand evangelikaler<br />

Großkirchen diskutiert. Im Kontext des Transkulturalismus bewegt sich auch die<br />

Untersuchung lokaler und transnationaler Vergemeinschaftung russlanddeutscher<br />

Evangelikaler (Elwert). Schließlich werden politische Verflechtungen zwischen Islam<br />

und philippinischer Pfingstbewegung aus diskursanalytischer Perspektive in den<br />

Blick genommen (Maltese).<br />

Panel II soll die „Spiritualität“ und Körperdiskurse rezenter evangelikaler und<br />

charismatischer Strömungen aufgreifen und theoretisch reflektieren. Dabei wird<br />

gezeigt, wie sich post-traditionale Evangelikale neu aufstellen z. B. über den<br />

Versuch einer „holistischen Spiritualität“ jenseits des evangelikalen Mainstreams<br />

(Schüler) oder durch Annäherung an und Neusemantisierung von gesellschaftlich<br />

weit verbreiteten Körper- und Fitnessidealen (Radermacher). Auch die universalisierende<br />

Charakterisierung (neo-)charismatischer Bewegungen als „erfahrungs- und<br />

körperorientiert“ (Knoblauch 2009) soll kritisch diskutiert werden (Tolksdorf).<br />

Zudem sollen Subjektivierungs- und Somatisierungstendenzen in der evangelikalen<br />

Konzentration auf eine ‚erfüllende‘ Sexualität thematisiert werden (Hoberg).<br />

Katja Rakow: Evangelikale und Pfingstlerische Großkirchen in transkultureller<br />

Perspektive<br />

Evangelikale und pfingstlerische Kirchen sind weltweit im Aufwind und gehören<br />

zu den stetig wachsenden christlichen Bewegungen. Neben der globalen Verbreitung<br />

lässt sich seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ein vermehrtes<br />

Auftreten sogenannter Großkirchen (Megachurches) mit wöchentlich mehr als<br />

2.000 Gottesdienstbesuchern verzeichnen. Viele dieser Kirchen, die sich zumeist<br />

um einen charismatischen Seniorpastor zentrieren, haben durch weltweit ausgestrahlte<br />

Fernsehprogramme, internationale Buchpublikationen und Gastpredigten<br />

in Asien, Australien, den USA und Europa eine transnationale Reichweite<br />

erlangt bzw. sich als bedeutender Teil des globalen Netzwerkes evangelikaler und<br />

pfingstlerischer Kirchen etabliert. Die epistemologische Neuorientierung in den<br />

Kultur- und Sozialwissenschaften weg von ‚lokal begrenzten Kulturen’ hin zu<br />

47


hybriden kulturellen Räumen, die Teil eines vielfältig translokal und transkulturell<br />

verknüpften Geflechts von Kulturen sind, vollzog sich verstärkt im Kontext der<br />

Analyse von Globalisierungsprozessen und hat auch die Religionsforschung<br />

erreicht. Schon vor einigen Jahren hat Klaus Hock transkulturelle Prozesse als<br />

„Strukturprinzip der Religionsgeschichte“ (2002) beschrieben. Der Beitrag befasst<br />

sich mit Fragen der Erfassung und Konzeptionalisierung von Transkulturalität am<br />

Beispiel evangelikaler und pfingstlerischer Großkirchen und diskutiert rezente<br />

Ansätze aus den Transcultural Studies im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit in der<br />

religionswissenschaftlichen Forschung.<br />

48<br />

Insa Pruisken: Kulturelle Werte und Wachstum: Predigten als Medium der<br />

Identitätsbildung in Megakirchen<br />

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Kirchenlandschaft in den USA durch die<br />

rapide Ausbreitung von Megakirchen nachhaltig verändert. Megakirchen sind<br />

evangelikale Einzelgemeinden, deren Gottesdienste regelmäßig von mindestens<br />

2.000 Gläubigen besucht werden. Die größten Megakirchen in den USA haben<br />

mittlerweile über 40.000 Gottesdienstbesucher. Der Beitrag beschäftigt sich mit<br />

dem Zusammenhang zwischen der Größe (Zahl der Gottesdienstbesucher) und<br />

der kulturellen Identität (Predigtstil) von Megakirchen. Jedes Konzept von Identität<br />

schließt notwendig die Vorstellung einer Grenze ein: Mitglieder müssen von<br />

Nichtmitgliedern, interne von externen Strukturen unterschieden werden. Infolgedessen<br />

besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Werten und Ideen der<br />

Megakirchen und der Inklusion ihrer Mitglieder. Werte verweisen normalerweise<br />

auf Vorstellungen des „Guten“. Um das „Gute “ (durch positive Wertungen)<br />

näher bestimmen zu können sind jedoch zwangsläufig Vorstellungen des „Bösen“<br />

erforderlich (in Form von negativen Wertungen). Die soziale Konstruktion des<br />

„Bösen“ ist für die kulturelle Identität der Megakirchen somit von zentraler<br />

Bedeutung. Predigten sind für die Konstruktion der kulturellen Identität zentral,<br />

weil hier die Unterscheidung zwischen Vorstellungen des „Guten“ und „Bösen“<br />

wirksam werden. Sie sind sprachliche Dokumente der Legitimation bestehender<br />

kultureller Vorstellungen. Ziel des Beitrags ist es, die konkreten Verlaufsmuster<br />

und Strukturen der Unterscheidung (Codes) zwischen positiven und negativen<br />

Wertungen herauszuarbeiten. Dazu werden die Predigten aller im Raum Houston<br />

ansässigen Megakirchen anhand von Videodaten protokolliert und analysiert. Es<br />

besteht erstens die Vermutung, dass die kleineren Megakirchen nicht nur andere<br />

Themen zum Gegenstand haben, sondern auch negativen Wertungen mehr<br />

Raum geben als positiven Wertungen. Umgekehrt spielen in den Predigten der<br />

großen Megakirchen positive Wertungen – etwa in der Tradition des positiven<br />

Denkens – eine wichtigere Rolle. Zweitens sind die Predigten in kleineren Megakirchen<br />

vermutlich spezifischer und decken ein kleineres Spektrum an Zielgruppen<br />

und Geschmacksstilen ab als in den großen Megakirchen.<br />

Frederik Elwert: Evangelikalismus in Aussiedler-Gemeinden: Lokale und globale<br />

Perspektiven


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Aussiedler aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sind eine der<br />

größten Migrantengruppen in Deutschland. Eine vergleichsweise große Minderheit<br />

unter ihnen – Schätzungen gehen von ca. 25% der russlanddeutschen<br />

Aussiedlern aus – ist evangelikal oder pfingstlerisch. Während die evangelischlandeskirchliche<br />

oder katholische Mehrheit überwiegend in den bestehenden<br />

Gemeinden Anschluss gefunden hat (oder religiös nicht aktiv ist), haben sich die<br />

evangelikalen Aussiedler nur selten bestehenden Freikirchen angeschlossen,<br />

sondern zumeist eigene Gemeinden gegründet. Die große Zahl der neuen<br />

Gemeinden und ihre Dynamik hat das evangelikale Feld in Deutschland nachhaltig<br />

geprägt. Die Gemeinden bewegen sich dabei zwischen globaler Vernetzung<br />

und freikirchlicher Unabhängigkeit auch von lokalen oder nationalen Zusammenschlüssen.<br />

Die Herausbildung ethno-konfessioneller Milieus durch die weitgehende<br />

Isolation der Gemeinden in der Sowjetunion scheint ihnen dabei eine<br />

gewisse Sonderposition zukommen zu lassen, die sie in ein besonderes Spannungsverhältnis<br />

zum globalen Evangelikalismus und Pentekostalismus stellt.<br />

Maltese Giovanni: Der Ort des „Islam“ im pfingstlich-charismatischen Diskurs<br />

über Politik und Nationalismus in den Philippinen – ein methodischer Essay<br />

Am 12.04.2010 wurde ein hochrangiges Mitglied der Bangsamoro Islamic Armed<br />

Forces (BIAF), des bewaffneten Arms der Moro Islamic Liberation Front (MILF),<br />

suspendiert, weil er ein politisches Bündnis mit dem Präsidentschaftskandidaten<br />

Eddie Villanueva gebildet haben soll. Nimmt man in Betracht, dass Villanueva,<br />

Evangelist und Gründer der größten Filipino Pfingstkirche, während des gesamten<br />

Wahlkampfs nicht nur von Figuren wie Nur Misuari – dem Gründer der Moro<br />

National Liberation Front (MNLF) und Symbol des Unabhängigkeitskrieges für ein<br />

islamisches Mindanao –, sondern auch von US-evangelikalen Persönlichkeiten<br />

mit engen Beziehungen zu konservativen Politikkreisen unterstützt wurde (etwa<br />

Cindy Jacobs), dann erscheint diese Konstellation ungewöhnlich, wenn nicht<br />

bizarr.<br />

Ist diese Allianz im Sinne eines Wahlkampfpragmatismus, Populismus (Kessler &<br />

Rüland) oder einer ‚für die philippinische Politik typischen‘ transaktionalen<br />

Beziehung (Salazar) zu verstehen? Ist sie Ausdruck eines „Split-Level Christentums“<br />

(Bulatao)? Oder liegt ihr gar eine theologische Rationalität zu Grunde?<br />

Welchen Ort nimmt der Islam bei der Konzeptualisierung von Politik und Nation<br />

in der philippinischen Pfingstbewegung und im Selbstverständnis der Akteure<br />

ein?<br />

Diese Fragen sollen auf der Grundlage intensiver Feldforschung in den Visayas,<br />

Mindanao und Manila in den Wahljahren 2010 und <strong>2013</strong> diskutiert werden.<br />

Dabei soll deutlich werden, dass sich ein diskursanalytischer Ansatz, der sich an<br />

die hegemonietheoretischen Arbeiten Chantal Mouffes und Ernesto Laclaus<br />

anlehnt, am besten eignet, um mit dem spannungsreichen Datenmaterial umzugehen,<br />

wenn gegensätzliche Artikulationen nicht ignoriert, als peripher bezeichnet<br />

oder entlang vorkonfigurierter Gegenüberstellungen (etwa Religon/Politik,<br />

religiös/säkular, progressiv/konservativ, etc.) homogenisiert werden sollen.<br />

49


Panelstrang D: ZHG 104<br />

Ansgar Jödicke (Fribourg/CH)<br />

Religionen und politische Herrschaft (III): Religionen in<br />

gesellschaftlichen Umbruchsituationen<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Einleitung des Panels: Ansgar Jödicke<br />

Moderation des Panels: Ulf Plessentin<br />

Jödicke Ansgar: Die Religionspolitik Aserbaidschans und ihre Folgen für die<br />

Religionsgemeinschaften<br />

Karsten Lehmann: Zur Etablierung interreligiöser und interkultureller<br />

Dialoginstitutionen in den internationalen Beziehungen<br />

Ulf Plessentin: Politische Umbrüche und Religionen<br />

Panelabstract vgl. S. 24<br />

Jödicke Ansgar: Die Religionspolitik Aserbaidschans und ihre Folgen für die<br />

Religionsgemeinschaften<br />

Die politische Unabhängigkeit 1991 führte Aserbaidschan in eine Zeit politischen<br />

Wandels und politischer Instabilität. Religionspolitisch dominierte zunächst eine<br />

liberal-freiheitliche Auffassung. Im Zuge zunehmend semi-autoritärer<br />

Herrschaftsauffassung verfestigte sich jedoch in den letzten 10 Jahren die Furcht<br />

vor dem politischen Islam und die Religionspolitik wurde restriktiver. Ähnlich wie<br />

in den beiden anderen südkaukasischen Staaten dient der rechtlich festgelegte<br />

Zwang zur Registrierung religiöser Organisationen als primäres religionspolitisches<br />

Instrument. Im Vergleich mit Armenien und <strong>Georg</strong>ien verfügt Aserbaidschan<br />

jedoch über keine zentral organisierte Mainstream-Religion, mit der<br />

zusätzlich zur Registrierungspolitik ein Staatsvertrag abgeschlossen werden kann.<br />

Der Beitrag untersucht die Wirkungen dieser Registrierungspolitik auf die Organisationsformen<br />

religiöser Gemeinschaften in Aserbaidschan und ihre Reaktionen.<br />

50<br />

Karsten Lehmann: Zur Etablierung interreligiöser und interkultureller<br />

Dialoginstitutionen in den internationalen Beziehungen<br />

Im Verlauf der letzten Dekade hat sich im Rahmen der internationalen Beziehungen<br />

eine erstaunliche Zahl neuer Institutionen entwickelt, welche sich dezidiert<br />

dem interreligiösen Dialog verschrieben haben. Die Entwicklung internationaler<br />

Dialoginstitutionen ist damit in eine dritte Phase eingetreten. Nachdem (1) in den<br />

1950er und 1960er Jahren der Begriff des Dialogs weitgehend auf Kontakte<br />

zwischen Vertretern der beiden groβen politischen Blöcke begrenzt war, haben<br />

(2) in den 1970er und 1980er Jahren vermehrt Organisationen mit einem<br />

dezidiert religiösen Hintergrund (am bekanntesten wohl: Religions for peace<br />

(rfp), 1970 gegründet als World Conference on Religions for Peace (wcrp))<br />

versucht ‚Religion‘ in diese Debatten einzubringen. In den 2000ern sind nun (3)<br />

Institutionen entstanden, welche sich selbst als religiös oder faith-based<br />

beschreiben und sich dabei dezidiert auf dem politischen Parkett der internatio-


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

nalen Beziehungen zu verorten suchen. Vor allem diese jüngsten Entwicklungen<br />

sind von Seiten der Religionswissenschaft bislang kaum untersucht worden. Der<br />

hier skizzierte Panel-Beitrag möchte sich deshalb diesem äußerst dynamischen<br />

Feld zunächst aus einer deskriptiven Perspektive nähern. Im Sinne einer ‚empirischen<br />

Dialogforschung‘ soll rekonstruiert werden, wie sich das soeben benannte<br />

Feld entwickelt hat. Im Mittelpunkt wird dabei die Etablierung neuer Dialoginstitutionen<br />

unter den Bedingungen globaler Herrschaftskonstellationen im Spannungsfeld<br />

zwischen Religion und Politik stehen. Auf dieser Basis wird es in einem<br />

zweiten Schritt möglich werden, systematische Aussagen über die Verschiebung<br />

der Grenzen von Religion und Politik im religiösen Feld zu formulieren und somit<br />

zur Analysen der Interdependenzen zwischen Religion und Politik beizutragen.<br />

Ulf Plessentin: Politische Umbrüche und Religionen<br />

In der wissenschaftlichen Analyse des Themengebietes Religionen und Politik<br />

werden gerne politische Umbruchsprozesse (wie z.B. Revolutionen, Regierungswechsel,<br />

Reformen o.Ä.) fokussiert. Einerseits wird erörtert, inwieweit religiöse<br />

Akteure und Ideen derartige politische Veränderungen beeinflusst oder angeschoben<br />

haben. Andererseits wird untersucht wie politische Brüche sich auf<br />

Religionen als Institutionen auswirken. Selten wird dagegen thematisiert, ob ein<br />

politischer Wandel auch zu Veränderungen in der Auslegung von religiösen<br />

Lehren, in der Glaubens- oder Ritualpraxis führt. Der Fokus auf politische<br />

Umbruchsprozesse bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine dezidiert<br />

religionswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Themengebiet: Gerade weil<br />

Politik und Religion nicht als statische, sondern als dynamische Systeme betrachtet<br />

werden, kann sowohl der Einfluss von Religion auf Politik, als auch (und besonders)<br />

die Wirkung von politischer Umwelt auf Religion(en) analysiert werden.<br />

In diesem Beitrag werden die aktuellen Diskussionen des AK Religionen und<br />

Politik vorgestellt.<br />

Panelstrang E: ZHG 105<br />

Alexander-Kenneth Nagel (Bochum)<br />

Interreligiöse Kontaktzonen in modernen<br />

Einwanderungsgesellschaften (I): Interreligiöse Räume<br />

<br />

<br />

<br />

Alexander-Kenneth Nagel: Sprechende Stille: Interreligiöse Räume als<br />

religionswissenschaftliche Problemstellung<br />

Mehmet Kalender: Gepflanzte Vielfalt: Zur Schaffung von Gärten als<br />

interreligiöse Kontaktzonen<br />

Anna Neumaier: „Feindkontakt!“? Religionsbezogene Online-<br />

Diskussionsforen als intra- und interreligiöse Kontaktzonen<br />

Migration und religiöse Pluralisierung gehen Hand in Hand. Dabei blieb religiöse<br />

Vielfalt abstrakt und unsichtbar, solange religiöse Migrantengemeinden an den<br />

lokalen und gesellschaftspolitischen Rändern angesiedelt waren. Mit der zunehmenden<br />

Sichtbarkeit religiöser Minderheiten durch repräsentative Gebäude und<br />

51


gesellschaftliche Teilhabeansprüche und mit der Wiederkehr der Religion ins<br />

öffentliche Bewusstsein werden interreligiöse Kontakte und Konflikte vermehrt<br />

zum Gegenstand zivilgesellschaftlicher und politischer Gestaltungsbemühungen.<br />

Das Panel versammelt Studien zu den interreligiösen Kontaktzonen, die auf diese<br />

Weise als Antwort auf religiöse Pluralisierung entstehen. Sie erschöpfen sich nicht<br />

in Dialogveranstaltungen oder Tagen der offenen Tür, sondern nehmen als<br />

kommunikative Räume und politische Infrastrukturen Gestalt an und fordern damit<br />

zu neuartigen empirischen und theoretischen Zugängen, z.B. im Bereich der<br />

Religionsästhetik, heraus.<br />

Alexander-Kenneth Nagel: Sprechende Stille: Interreligiöse Räume als<br />

religionswissenschaftliche Problemstellung<br />

Krankenhäuser, Hospize, Flughäfen und <strong>Universität</strong>en haben in den vergangenen<br />

Jahren vermehrt sogenannte Räume der Stille eingerichtet. Sie reagieren damit<br />

auf Prozesse religiöser Pluralisierung und gestiegene Teilhabeansprüche religiöser<br />

Minderheiten. Ausgehend von vier Fallbeispielen konturiert der Vortrag die<br />

konzeptionellen und methodischen Herausforderungen einer religionswissenschaftlichen<br />

Analyse, die Räume der Stille zum Sprechen bringen will. Dabei greift<br />

er in vergleichender Perspektive unter anderem Fragen nach den inter- bzw.<br />

multireligiösen Gestaltungskonzepten, dem Verhältnis zur christlichen Mehrheitsreligion,<br />

der organisatorischen Einbettung und den lokalen religionspolitischen<br />

Hintergründen auf.<br />

Mehmet Kalender: Gepflanzte Vielfalt: Zur Schaffung von Gärten als interreligiöse<br />

Kontaktzonen<br />

Köln hat schon länger einen, Hamburg hat seit kurzem einen und Karlsruhe will<br />

einen. In den letzten Jahren entstehen vermehrt aufwendig gestaltete interreligiöse<br />

Orte, die anders als vornehmlich funktionelle religiöse Orte (wie Gebetsund<br />

rituelle Waschräume) mit einer oftmals hohen symbolischen Dichte von den<br />

Initiatoren bewusst im öffentlichen Raum errichtet werden. Dabei finden sich<br />

neben eher denkmalartigen Anlagen (z. B. die „Tore der Weltreligionen“ in<br />

Hamm) vor allem Gärten. Der Vortrag geht anhand des „Gartens der Religionen“<br />

in Köln und der „Welt der Religionen“ in Hamburg einerseits auf den Schaffungsprozess<br />

und die Gestaltung und andererseits auf die Nutzung und Rezeption<br />

dieser Orte ein. Vor diesem Hintergrund erörtert der Vortrag zudem einen raumtheoretischen<br />

Zugang und eine religionsästhetische Methodologie.<br />

52<br />

Anna Neumaier: „Feindkontakt!“? Religionsbezogene Online-Diskussionsforen als<br />

intra- und interreligiöse Kontaktzonen<br />

Dass verschiedene religiöse Gruppen aufeinandertreffen, ist in lokal-räumlichen<br />

Bezügen oft in klar markierten interreligiösen Kontaktzonen der Fall. Im Internet<br />

ist das Verhältnis zwischen den "eigenen" religiösen Räumen und ausgewiesenen<br />

Zonen interreligiösen Austausches weniger deutlich abgegrenzt bzw. wird<br />

subversiv unterlaufen – und dies ist insbesondere dort der Fall, wo der Grad an


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

interaktiven Teilnahmeoptionen hoch ist. Dies soll am Fall religiöser Online-<br />

Diskussionsforen erläutert werden: In Bezug auf ihre Betreiber und ihr grundsätzliches<br />

religiöses Selbstverständnis lassen sich diese Seiten meist fein säuberlich<br />

einordnen – die einen sind katholisch, die anderen evangelisch-landeskirchlich<br />

oder freikirchlich ausgerichtet. Bei der Nutzerschaft sieht dies schon ganz anders<br />

aus: Auch wenn der größere Teil sich als der "Hausreligion" zugehörig versteht,<br />

finden sich immer auch Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften und ebenso<br />

solche Nutzer, die sich dezidiert als Atheisten oder säkular verstehen. Die Gründe<br />

für deren Beteiligung sind dabei weniger mangelnde Alternativangebote als<br />

vielmehr ein explizites Interesse am inter- oder intrareligiösen Online-Austausch.<br />

Anhand von empirischem Material aller beteiligten Nutzergruppen lassen sich<br />

nun sowohl Konfliktlinien als auch Vergemeinschaftungen innerhalb der Nutzerschaft<br />

nachzeichnen. Beides bezieht sich dabei aber nicht unbedingt auf die zu<br />

erwartenden Gruppen religiöser Zugehörigkeit; im interreligiösen Kontakt<br />

entstehen vielmehr – zumindest online – auch ganz neue und unerwartete<br />

Koalitionen.<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Alexandra Grieser (Groningen)<br />

Religionsästhetik: Konzepte, Methoden, Gegenstände (III)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Alexandra Grieser: Imaginationen zwischen Religion und Wissenschaft:<br />

Das Gehirn als religiöses Objekt<br />

Brigitte Luchesi: Fotos in religionswissenschaftlichen Publikationen. Zur<br />

Ästhetik visueller Präsentation von Religion<br />

Hans Gerald Hödl: Neither Syncretism nor Inculturation? Aesthetic<br />

Transfer between West-African Cultures and Christianity in Santería and<br />

Celestial Church of Christ<br />

Gregory Alles: Bodies in Motion – Theorizing Dance in Rathva Religion and<br />

Culture<br />

Panelabstract vgl. S. 28<br />

Alexandra Grieser: Imaginationen zwischen Religion und Wissenschaft: Das<br />

Gehirn als religiöses Objekt<br />

Religion findet nicht nur in Kirchen oder Moscheen statt, sondern wird medial<br />

verhandelt und in einem Repertoire „gesellschaftlicher Einbildungskraft“ gebildet.<br />

Seit der Romantik haben Kunst und Wissenschaft dabei eine besondere Rolle<br />

erlangt und die ‚Leerstellen‘ traditioneller Religion neu besetzt – nicht nur mit<br />

neuen Gegenständen und Motiven, sondern auch als Praktiken und Erwartungen<br />

im Feld einer schwer bestimmbaren ‚Spiritualität‘. Besonders die bild-gebenden<br />

Verfahren der Wissenschaft haben einen paradoxen Einfluss auf Vorstellungen<br />

und kulturelle Praxis: Jeder weiß um ihren Charakter des Artefaktischen, und<br />

doch wirken sie als Abbilder und Garanten des Faktischen. Solche Ästhetisierung<br />

53


von Wissen und Wissenschaft ist zurzeit vor allem in den Neuro-Wissenschaften<br />

zu beobachten, die vielfach den Anspruch erheben, grundlegend neu zu definieren,<br />

was den Menschen als Individuum ausmacht (from personhood to “brainhood”,<br />

NeuroCultures, F. Vidal). Im popularisierenden Diskurs wird das Gehirn<br />

zum conceptual object, an dem das Selbstverstehen, aber auch die Gestaltbarkeit<br />

des Menschen neu durchgespielt wird, und nicht zuletzt durch die kognitive<br />

Religionsforschung wird es dabei auch zum ‚Zentralorgan‘ von Religion. Die<br />

religionsästhetische Beschreibung einer Konfiguration aus Darstellungsweisen<br />

und Argumentationsformen ermöglicht, das Verhältnis von Religion und Wissenschaft<br />

nicht nur in argumentativen, sondern auch ästhetischen Strategien zu<br />

erschließen, dabei zu zeigen, wie die Romantisierung von Wissen als religiöses<br />

Muster der Moderne fortbesteht und in historischer Perspektive sichtbar zu<br />

machen, dass Religion durch Wissenschaft keineswegs verdrängt oder abgelöst<br />

wird, sondern Religion den Wissenswandel adaptiert, beantwortet und bearbeitet.<br />

Mitlaufend wird gefragt, inwiefern Imaginationen zum Forschungsgegenstand<br />

werden können und dies zu einer „Religionsgeschichte ästhetischer<br />

Formen“ beitragen kann.<br />

Brigitte Luchesi: Fotos in religionswissenschaftlichen Publikationen. Zur Ästhetik<br />

visueller Präsentation von Religion<br />

Die gegenwärtig viel beachtete Bildwissenschaft betont das Potenzial von Fotos,<br />

Wissen zu generieren. In verschiedenen akademischen Disziplinen wie etwa der<br />

Kunstwissenschaft, der Ethnologie oder der Kulturwissenschaft ist es seit langem<br />

üblich, den jeweiligen Publikationen Fotos beizufügen. Mittlerweile folgen auch<br />

immer mehr Religionswissenschaftler diesem Beispiel, vor allem dann, wenn sie<br />

Ergebnisse eigener empirischer Forschungen vorlegen. Der Beitrag hat in erster<br />

Linie religionswissenschaftliche Publikationen der letzteren Art im Blick. Er<br />

konzentriert sich zum einen auf die Art und Weise, in der hier Fotos verwendet<br />

werden, und zum anderen darauf, welche möglichen Wirkungen die gewählten<br />

Fotos auf die Betrachter/Leser haben. Wie sieht das von den Fotografien hervorgebrachte<br />

Wissen aus? Ergänzen Fotos das durch den Text erzeugte Wissen,<br />

verändern sie es oder verhelfen sie zu davon unterschiedenen Erkenntnissen?<br />

Mögliche Antworten sollen zur Ästhetik der visuellen Präsentation von Religion<br />

beitragen.<br />

54<br />

Hans Gerald Hödl: Neither Syncretism nor Inculturation? Aesthetic Transfer<br />

between West-African Cultures and Christianity in Santería and Celestial Church<br />

of Christ<br />

West-African Religious Matrix (as found in Yorùbá òrìșà-worship and Vodun in<br />

Benin and Togo) has had a strong impact on the formation of religious systems as<br />

developed by the offspring of slaves in the Americas. Scholars have often focused<br />

on the blending of Christian elements with West-African cultures. Terms used for<br />

this "mixing" have been mainly "syncretsim", "acculturation" and "inculturation"<br />

(the latter mainly used by theologians). Behind these terms we find a rather<br />

static concept of Christian culture on the one hand and "West-African" cultures


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

on the other hand. As some other authors, I opt for a more dynamic understanding<br />

of cultural processes. I have tried to show that the concept of a cultural<br />

matrix (as conceived of by Andrew Apter) is more apt to describe these processes<br />

of cultural transformation with respect to Cuban Santería in a short essay<br />

published in 2010, and I have used the same concept to explain the ambiguity of<br />

the relationship of the Beninois Aladura Church "Celestial Church of Christ" to<br />

"West African Traditional Religions". The latter regard themselves as staunch<br />

opponents of "Vodun", but they are regarded as "Vodun in a Christian disguise"<br />

by members of other Christian denominations. In my contribution to the conference,<br />

I want to compare the two processes of interaction between Christianity<br />

and autochthonous West-African religious world-view with respect to "West-<br />

African" aisthetic (in the Greek sense) forms of expression of religious experience.<br />

*A term used for the sake of brevity or faute de mieux; the concept of<br />

"traditional religion" in itself is highly questionable, since it denies processes of<br />

cultural change and/or transformation to the religions thus labeled.<br />

Gregory Alles: Bodies in Motion – Theorizing Dance in Rathva Religion and Culture<br />

One approach to ritual activities, prevalent since the 1960s, attempts to read<br />

them as “texts”, that is, to construe their meanings, often with the help of exegesis<br />

by local ritual specialists. Such an approach seems ill-suited to the religious<br />

activities of most Rathvas, indigenous people living in the easternmost talukas of<br />

Vadodara district, Gujarat. It is not that this approach is impossible; there are in<br />

fact ritual specialists from whom it is possible to acquire more or less authoritative<br />

interpretations of ritual activities. Such interpretations suffer, however, from<br />

a major drawback: most Rathvas experience such religious activities not in the<br />

form of the activity of ritual specialists, which they largely ignore, but through<br />

bodily motion in exuberant group dance, which a semiotic approach would seem<br />

only to distort. In this paper I will identify the roles of dance in Rathva rituals,<br />

concentrating primarily on Ind puja, the festival of Holi, and weddings. I will then<br />

reflect on how to theorize such motion. Although the classic theory may be<br />

Durkheim’s notion of collective effervescence as the source of the sacred, recent<br />

cognitive science and neuroscience may have more plausible explanations to<br />

offer, rooted in the physiological experiences of bodies in motion.<br />

16:15 – 17:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Céline Grünhagen (Bonn)<br />

Religiöse Bewertung von Sex & Gender-Devianzen<br />

<br />

Céline Grünhagen: Gender Trouble im Theravāda-Buddhismus: Zur<br />

religiösen Prägung und interkulturellen Übertragbarkeit wissenschaftlicher<br />

Konzepte und Kategorien<br />

55


Leyla Jagiella: „Wie die Engel vor Gottes Thron“ – zu Tradition und Wandel<br />

muslimischer Konzeptionen eines „dritten Geschlechts” auf dem Indischen<br />

Subkontinent<br />

Doris Decker: "I want to fuck you religiously" LGBT-Gruppen im<br />

Spannungsfeld von Sexualität und Religion im Libanon<br />

Sabine Exner: Homophobie in Uganda – ein Import aus dem Westen?<br />

Innerhalb des Panels werden verschiedene Geschlechtermodelle und Sexualitäten<br />

und diesbezügliche Normen in ihrem jeweiligen religiösen Kontext in den Blick<br />

genommen. Schwerpunkt der Beiträge liegt dabei auf sexuellen Orientierungen und<br />

geschlechtlichen Identitäten, die dem – häufig religiös legitimierten – normativen<br />

Modell, welches sich zumeist an der Dichotomie von Mann und Frau orientiert,<br />

nicht entsprechen. Neben gleichgeschlechtlichen sexuellen Praktiken und Beziehungen<br />

bzw. Homosexualität und ihrer Bewertung in verschiedenen Religionen/Kulturräumen<br />

werden auch Identitäten zwischen oder jenseits von Mann und<br />

Frau bzw. Formen des „dritten Geschlechts“, oder Transsexualität bzw. Transgender,<br />

sowie ihre religiöse und sozialpolitische Bewertung angesprochen. Dabei<br />

soll es auch darum gehen, kritisch zu prüfen, inwiefern Kategorien und Konzepte<br />

wie Hetero- und Homosexualität, Transsexualität und Transgender etc., die selbst<br />

bereits kulturbedingt sind, auf die verschiedenen kulturellen Kontexte anwendbar<br />

sind.<br />

56<br />

Céline Grünhagen: Gender Trouble im Theravāda-Buddhismus: Zur religiösen<br />

Prägung und interkulturellen Übertragbarkeit wissenschaftlicher Konzepte und<br />

Kategorien<br />

Die Kategorien und Konzepte des sexualwissenschaftlichen Diskurses, wie<br />

Heterosexualität, Homosexualität, Transsexualität etc. sind aus kulturbedingten<br />

Entwicklungen innerhalb der abendländischen Geistesgeschichte hervorgegangen<br />

und verweisen auf ein christlich-biblisch legitimiertes binäres Geschlechtermodell,<br />

das Mann und Frau als die beiden normalen und natürlichen Geschlechterkategorien<br />

definiert. Dies impliziert eine Widernatur des Abweichenden und<br />

kann eine entsprechende gesellschaftliche und religiöse Abwertung sexuell und<br />

geschlechtlich devianter Personen nach sich ziehen. Begreift man diese wissenschaftlichen<br />

Konzepte als kulturbedingt, wirft dies die Frage nach ihrer Übertragbarkeit<br />

auf andere kulturelle Kontexte auf. Vor diesem Hintergrund werden<br />

zunächst Formen der sexuellen Orientierung und das Geschlechtermodell in der<br />

gegenwärtigen thailändischen Gesellschaft, das neben gendernormativen<br />

Männern und Frauen auch Kathoeys und Toms aufweist, vorgestellt. Neben der<br />

diesbezüglichen kritischen Überprüfung der Tauglichkeit sexualwissenschaftlicher<br />

Kategorien, wird ein Blick auf die mögliche (theravāda-)buddhistische Legitimation<br />

eines solchen Modells und die religiöse wie sozialpolitische Bewertung sexuell<br />

und geschlechtlich devianter Personen geworfen.<br />

Leyla Jagiella: „Wie die Engel vor Gottes Thron“ – zu Tradition und Wandel<br />

muslimischer Konzeptionen eines „dritten Geschlechts” auf dem Indischen


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Subkontinent<br />

Die hijras, die Vertreterinnen eines „dritten Geschlechts“ auf dem Indischen<br />

Subkontinent, werden von einem Großteil der wissenschaftlichen Forschung<br />

hauptsächlich vor dem Hintergrund altindischer Traditionen und im Kontext einer<br />

stark hinduistisch geprägten Gesellschaft betrachtet. Aus dem Blick fällt dabei oft<br />

das Selbstverständnis vieler traditioneller Hijrahäuser („Familien”), die sich in<br />

direkter Kontinuität mit der Kultur muslimischer Hofeunuchen der Vergangenheit<br />

sehen, so wie die wichtige soziokulturelle Bedeutung der hijras auch in mehrheitlich<br />

muslimisch geprägten Gegenden Nordindiens, Pakistans und Bangladeshs.<br />

Die traditionellen religiösen Vorstellungen und Praktiken in und um die Hijrahäuser<br />

sind stark vom Islam des Subkontinentes geprägt und viele hijras sind<br />

gläubige und praktizierende Muslime, die zwischen ihrer Religion und ihrer<br />

geschlechtlichen Identität keinen Widerspruch fühlen. Ausgehend von verschiedenen<br />

Feldforschungsaufenthalten der Vortragenden bei und Kontakten mit<br />

hijras in Indien und Pakistan zwischen den Jahren 2001 und 2010 soll in dem<br />

Panelbeitrag die Verortung der Hijrakultur in den „kleinen” und „großen” Traditionen<br />

des indo-pakistanischen Islams dargestellt werden. Dabei soll vor allem<br />

auch auf das manchmal gelingende, manchmal scheiternde Zusammenspiel<br />

dieser Verortung sowohl mit hinduistischen Traditionen, als auch mit einem sich<br />

zunehmend globalisierenden und „essentialisierenden” Islam, als auch mit Indien<br />

und Pakistan zunehmend prägenden modernen westlichen Vorstellungen zu<br />

Geschlecht und Sexualität eingegangen werden.<br />

Doris Decker: „I want to fuck you religiously“ LGBT-Gruppen im Spannungsfeld<br />

von Sexualität und Religion im Libanon<br />

Sexualität ist neben Religion und Politik eines der drei Tabuthemen arabischer<br />

Gesellschaften – wird häufig behauptet. In den letzten Jahren wird Sexualität<br />

allerdings zunehmend im öffentlichen Raum diskutiert, und dies in besonderer<br />

Weise im Libanon: In der Tagespresse wird eine sexuelle Revolution propagiert,<br />

vor Islamisten, die zu einer neuen „Dunkelheit“ führen könnten, gewarnt und<br />

gefragt, wie es zusammenpasse, den Körper als beschämend, aber ebenso als<br />

göttliche Entität zu betrachten. Berichte über Medienzensuren deuten an, dass<br />

manchen Konfessionen der pluralistischen Religionslandschaft des Libanon die<br />

sexuelle Liberalisierung zu weit geht. Maßgeblich an der Gestaltung des öffentlichen<br />

Diskurses über Sexualität beteiligt sind LGBT- und LBTQ-Gruppen, die sich<br />

seit einigen Jahren in Beirut formieren und für die Rechte von Homosexuellen,<br />

Bisexuellen, Queer- und Transgender-Personen eintreten, auf die sich die Abkürzungen<br />

beziehen. Diesem "Novum" arabischer Gesellschaften widmet sich der<br />

Vortrag mit der Frage, welche Rolle Religion im Leben der Aktivisten und Aktivistinnen<br />

spielt. Denn gerade hier könnte erwartet werden, dass es zu einer Kollision<br />

individueller Konzepte von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung<br />

mit religiösen Normen- und Wertesystemen kommt, da Religionen häufig binäre,<br />

heteronormative Geschlechterordnungen vertreten. Deshalb wird untersucht, ob<br />

es für die Aktivisten und Aktivistinnen bezüglich des persönlichen Glaubens und<br />

institutionalisierter Religion zu Konflikten kommt, auf die mit spezifischen<br />

57


Umgangsweisen und Bewältigungsstrategien reagiert wird. Die methodische<br />

Grundlage ist ein Set aus qualitativer Forschung und der Analyse von LGBT- und<br />

LBTQ-Literatur. Neben der Interaktion von Theorie und Empirie wird vor allem<br />

die Bedeutung der Mehrsprachigkeit im Libanon für das methodische Vorgehen<br />

reflektiert, da gerade sie bezüglich der Frage nach der Entwicklung von Terminologien<br />

und Klassifikationen, aber auch deren Anwendbarkeit auf andere kulturelle<br />

Kontexte hilfreich sein kann.<br />

Sabine Exner: Homophobie in Uganda – ein Import aus dem Westen?<br />

Im Jahr 2009 legte der ugandische Parlamentsabgeordnete David Bahati die Anti<br />

Homosexuality Bill vor, eine Gesetzesvorlage, die Homosexualität kriminalisiert<br />

und im schlimmsten Fall mit dem Tode bestraft. Sie erregte nicht nur innerhalb<br />

Ugandas eine hitzige Diskussion, sondern beschäftigte auch die internationale<br />

Politik, Menschenrechtsorganisationen, religiöse Institutionen sowie LGBT-<br />

Verbände. Die wichtigsten Vertreter dieses Gesetzes sind dabei David Bahati mit<br />

seinen Verbindungen zu der US-amerikanischen, evangelikalen Organisation The<br />

Family, Martin Ssempa, Pastor der Makerere Community Church, sowie der<br />

Medienvertreter Giles Muhame. Mittels klassischer, religiös konnotierter<br />

Argumente begründen sie ihre Ablehnung von Homosexualität mit dem Verweis<br />

auf die Bibel, ihrer Sorge um ihre Kinder und dem Anspruch, die traditionelle,<br />

heterosexuelle Familie schützen zu wollen. Homosexualität sei ein genuin westliches<br />

Phänomen und auch vor der Kolonialisierung kein Bestandteil der ugandischen<br />

Gesellschaft und Kultur gewesen. Die Gegenposition nehmen der Aktivist<br />

David Kato, Christopher Ssenyonjo, ehemaliger Bischof der Church of Uganda,<br />

und die Frauenrechtlerin und Juristin Sylvia Tamale ein. Ihre Kombination von<br />

religiösen Argumenten, mit der Betonung der allumfassenden Liebe eines christlichen<br />

Gottes, und historisch-kritischen Argumenten dient dazu, die soziale Realität<br />

von Homosexualität für die Bevölkerung aufzuzeigen sowie die koloniale<br />

Bedingtheit von legalisierter Homophobie in Uganda wissenschaftlich zu begründen.<br />

Diese Argumentationsstrukturen auf lokaler Ebene, bestehend aus Wissenschaftlichkeit,<br />

Emotionalität und religiös-theologischer Begründung, entsprechen<br />

den globalen Diskursstrukturen um Homosexualität. In Uganda, einem Land, das<br />

in hohem Maße von internationalen (und oft kirchlichen) Entwicklungsgeldern<br />

abhängig ist, tritt noch das spezifische diskursive Element hinzu, Homosexualität<br />

im Ringen um nationale Eigenständigkeit als Instrument zur Abgrenzung von<br />

neokolonialen Einflüssen zu kontextualisieren.<br />

58<br />

Panelstrang B: ZHG 102<br />

Lauren Drover (Bonn), Tony Pacyna (Zürich) und Anna Schröder<br />

(Greifswald)


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Kognition, Mission, Konversion – Themen aus dem<br />

religionswissenschaftlichen „Giftschrank“ als Chance zur Innovation<br />

religionswissenschaftlicher Ansätze<br />

<br />

<br />

<br />

Anna Schröder: Konversionserleben – mit einer neuen psychosozialen<br />

Konversionstheorie erklärt<br />

Lauren Drover: Sanfte Missionsmethoden in der „Religious Economy“.<br />

Missionarische Strategien der Sōka Gakkai International und der<br />

Ahmadiyya bezogen auf die Theorie des religiösen Marktes von Rodney<br />

Stark<br />

Tony Pacyna: Religion als basal-epistemologisches Bezugssystem sozialer<br />

Kognition<br />

Anna Schröder: Konversionserleben – mit einer neuen psychosozialen<br />

Konversionstheorie erklärt<br />

Klassisch wird zwischen einem plötzlichen und einem graduellen Konversionstyp<br />

unterschieden. Auf welche Weise die Konversion erlebt wird, bestimmen soziale<br />

Normen. Doch wie verläuft der Veränderungsprozess in einer Person während<br />

der Konversion? Und wie können dieselben psychischen Mechanismen zu den<br />

unterschiedlichen Erlebensweisen dieses Veränderungsprozesses beitragen?<br />

Konversion wird hier als Zentralisierungsprozess von religiösen Erlebens- und<br />

Verhaltensweisen in einem hierarchisch organisierten System persönlicher<br />

Konstrukte verstanden. Dem liegt das kognitive konstruktpsychologische Persönlichkeitsmodell<br />

von <strong>Georg</strong>e A. Kelly zugrunde, das von Stefan Huber auf Religionen<br />

angewandt wurde. Veränderungsprozesse in diesem Konstruktsystem<br />

können in einem Top-down-Prozess von hierarchisch höheren, allgemeineren<br />

und einflussreicheren Selbstkonzepten ausgehen. Die Veränderung kann aber<br />

auch auf der Ebene der sehr begrenzt einflussreichen, basalen Selbstwahrnehmungen<br />

beginnen und sich in einem Bottom-up-Prozess ausbreiten. Zwischen<br />

zwei benachbarten Hierarchieebenen gibt es sich gegenseitig verstärkende<br />

Rückkopplungsschleifen von sowohl Top-down- als auch Bottom-up-Prozessen.<br />

Je nach sozialem Kontext werden in der Introspektion jeweils die Top-down-<br />

Prozesse als plötzliches Erleben oder die Bottom-up-Prozesse als graduelles Erleben<br />

betont. Die empirischen Daten von 462 Konvertiten aus den evangelischen<br />

Landeskirchen in Deutschland zeigen, dass sowohl das introspektive Intensivierungserleben<br />

als auch die Selbstkategorisierung zu einem Konversionstyp<br />

gemeinsam unterschiedliche Aspekte des Konversionsprozesses erklären. Dabei<br />

ist die Konversionstypologie der beste Prädiktor für die biographische Rekonstruktion<br />

im Regressionsmodell. Das Intensivierungserleben hat das größere Gewicht<br />

für den Zusammenhang mit dem Religiositätsmaß zum Befragungszeitpunkt.<br />

Konsequenzen für die zukünftige Konversionsforschung und die notwendige<br />

Multidisziplinarität der Religionswissenschaft werden diskutiert.<br />

59<br />

Lauren Drover: Sanfte Missionsmethoden in der „Religious Economy“.<br />

Missionarische Strategien der Sōka Gakkai International und der Ahmadiyya


ezogen auf die Theorie des religiösen Marktes von Rodney Stark<br />

Der US-amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark, hat über die letzten<br />

Jahrzehnte (mit wechselnden Coautoren) eine Theorie des religiösen Marktes<br />

entwickelt, welche vor allem die Spannung von religiösen Gruppen gegenüber<br />

der Mehrheitsgesellschaft im Fokus hat. Dabei geht er davon aus, dass sich die<br />

religiösen Bedürfnisse der Menschen (von ultraliberal bis ultrastreng) auf<br />

verschiedene Marktnischen verteilen. Allerdings wirken Religionen, die in besonderer<br />

Spannung zur Mehrheitsgesellschaft stehen („sects“) zunächst attraktiver<br />

als die etablierten Religionen, da die religiösen Belohnungen hier höher sind.<br />

Diese Theorie Starks soll in diesem Vortrag kritisch betrachtet werden. Als empirische<br />

Maßstäbe dienen dabei die japanische Laienreligion Sōka Gakkai International<br />

und die islamische Sonderprägung Ahmadiyya, vor allem in ihrer Missionsaktivität<br />

in „westlichen“ Ländern. Es wird davon ausgegangen, dass beide<br />

Gruppen beim Eintritt in diese Märkte nicht versuchten durch Exklusivität und<br />

den Konflikt mit der Mehrheitsgesellschaft Anhänger zu gewinnen, sondern<br />

gerade im Gegenteil versuchen innerhalb der Produktpalette „neue Religionen“<br />

besonders liberal aufzutreten. Dies zeigt sich unter anderem an den Missionsmethoden,<br />

die im Gegensatz zu vergleichbaren Gruppen oder früheren Phasen<br />

der Expansion „sanfter“ gemacht wurden.<br />

60<br />

Tony Pacyna: Religion als basal-epistemologisches Bezugssystem sozialer<br />

Kognition<br />

Die four horsemen des New Atheism – Sam Harris, Daniel Dennett, Richard<br />

Dawkins und Christopher Hitchens – kritisieren Religion nicht, sie sind gegen<br />

Religion. Die größte Aufmerksamkeit erregte Richard Dawkins Beitrag God<br />

Delusion (dt.: Der Gotteswahn). Glaube ist für Dawkins irrational, Gott existiert<br />

nicht. Als biologisches Nebenprodukt der Evolution durch natürliche Selektion<br />

hat Religion keinerlei Nutzen für das Überleben des Menschen und führt zu Krieg<br />

und Gewalt.<br />

Betrachtet man Religionen als komplexe soziale Phänomene, erkennt man die<br />

graduelle Transformation vom höheren Säugetier zum Menschen. Signifikante<br />

Unterschiede lassen sich in den kognitiven Funktionen des menschlichen Gehirns<br />

feststellen. Das Ziel meines Vortrages ist es zu zeigen, dass kulturelle Phänomene<br />

wie Religionen nicht der natürlichen Selektion unterliegen. Als Produkte der<br />

sexuellen Selektion emergierte Religion als Überlebensvorteil.<br />

Kulturelle Phänomene wie Religionen entwickelten sich innerhalb einer Gruppe<br />

distinkter Individuen als Adaption spezies-spezifischer sozialer Kognition. Diese<br />

Entwicklung ermöglichte dem Menschen andere Individuen als intentionale<br />

Akteure zu erkennen und zu behandeln. Aufgrund der flexiblen Morphologie des<br />

menschlichen Gehirns entwickelte bereits der frühe Mensch problemorientierte<br />

Lösungsansätze, die ihn vor dem Aussterben bewahrten. Linguistische Symbole<br />

evolvierten, um auf verschiedene Erfahrungen aufmerksam zu machen. Andere<br />

Individuen innerhalb der Gruppe konnte diese nun adaptieren oder kritisieren,<br />

und ermöglichten damit ein höherentwickeltes Leben.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Religion als kulturelles Phänomen und soziale Institution entwickelte sich<br />

aufgrund der reziproken Beziehungen von Ideen und Handlungen verschiedener<br />

Individuen innerhalb einer Gruppe zu einem epistemologischen Bezugssystem.<br />

Religion ist ein – und meiner Ansicht nach das bedeutendste – kulturelle Phänomen,<br />

das die Akkulturation in eine spezifische Gruppe innerhalb einer Gruppe<br />

ermöglicht. Religion so verstanden ermöglicht als Bezugssystem, zwischen richtig<br />

und falsch zu entscheiden. Folgerichtig ist Religion ein Bezugssystem, das bereits<br />

für frühe Menschen konstitutiv für die Entwicklung moralischer Urteile war und<br />

trägt somit grundlegend epistemologische Züge.<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Martin Radermacher (Münster), Katja Rakow (Heidelberg) und Insa<br />

Pruisken (Heidelberg)<br />

Evangelikale/Charismatische Bewegungen (II)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Sebastian Schüler: Ganzheitliches Beten: Emerging Church und<br />

Postevangelikalismus als Ausdruck gegenwärtiger<br />

Religiositätskonstruktion<br />

Martin Radermacher: Evangelikalismus und zeitgenössische Spiritualität<br />

Eva Tolksdorf: Normierungsstrategien und Authentizitätskonstruktionen in<br />

der (neo-)charismatisch-evangelikalen Bewegung in Deutschland<br />

Verena Hoberg: Was ist ‚erfüllende Sexualität‘? Analyse evangelikaler<br />

Ehe(vorbereitungs)kurse<br />

Panelabstract vgl. S. 47<br />

Sebastian Schüler: Ganzheitliches Beten: Emerging Church und<br />

Postevangelikalismus als Ausdruck gegenwärtiger Religiositätskonstruktion<br />

Ausgehend von laufenden Feldforschungen in Europa, widmet sich der Vortrag<br />

einer evangelikal-charismatischen Gebetsbewegung, die als Beispiel der<br />

sogenannten „Emerging Church-Bewegung“ verstanden werden kann. Diese<br />

Gebetsbewegung hat in den letzten Jahren hunderte von Gebetsräumen initiiert,<br />

in denen durch permanentes Gebet eine fortlaufende Gebetskette am Leben<br />

erhalten werden soll. Charakteristisch für die Gebetsräume ist, dass sie Orte des<br />

kreativen Ausdrucks von Gebet sein sollen und zugleich Ausgangspunkte für<br />

soziales Engagement und Mission darstellen. Des Weiteren wird Gebet als<br />

zentrales Medium der aktiven Gestaltung des individuellen Lebensstils angesehen.<br />

An diesem Beispiel wird gezeigt, wie sich posttraditionale Evangelikale<br />

neu organisieren und neue Wege suchen, eine „holistische Spiritualität“ jenseits<br />

des evangelikalen Mainstreams zu leben. Neben der Problematisierung rezenter<br />

Konzepte wie „Spiritualität“ oder „Emerging Church“ soll diskutiert werden,<br />

inwiefern diese evangelikale Reformbewegung selbst Teil eines neuen religiösen<br />

Mainstream darstellt und wie diese Transformation religiöser Sozialformen<br />

systematisch gefasst werden kann.<br />

61


Martin Radermacher: Evangelikalismus und zeitgenössische Spiritualität<br />

Auf die ‚Familienähnlichkeiten’ zwischen ‚Evangelikalen’ und ‚Spirituellen’ ist<br />

bereits hingewiesen worden. Bei Hubert Knoblauch (Populäre Religion, 2009)<br />

gehören „evangelikale“ und „esoterische“ Bewegungen aufgrund ihrer Ähnlichkeiten<br />

im Hinblick auf bestimmte Merkmale zum „harten Kern“ der populären<br />

Spiritualität. Ähnlich argumentiert Steven J. Sutcliffe, wenn er auf Basis der<br />

Subjektivierungsthese von Paul Heelas und Linda Woodhead (The Spiritual<br />

Revolution, 2005) notiert, man könne die bislang übliche, analytische Trennung<br />

zwischen ‚New Age’ und evangelikalen Christen aufheben. Auch dort, wo keine<br />

direkten Parallelen gezogen werden, fallen mitunter Ähnlichkeiten auf. So passt<br />

ein Merkmalskatalog für den analytischen Begriff „Spiritualität“, entworfen von<br />

Giselle Vincett und Linda Woodhead (Religions in the Modern World, 2009) – mit<br />

notwendigen Abstrichen – auch auf bestimmte evangelikale Strömungen. Insbesondere<br />

die dort vermerkte Betonung subjektiver Erfahrungen, die Abgrenzung<br />

der Akteure gegenüber ‚Religion’ und ihr Interesse am Körper als Medium spiritueller<br />

Einsicht bieten sich als Ausgangspunkte für einen vergleichenden Blick auf<br />

‚Spirituelle’ und ‚Evangelikale’ an, der am speziellen Beispiel devotionaler Fitness<br />

erläutert werden soll. Das Konzept „devotionale Fitness“ umschreibt einen nordamerikanisch-evangelikalen<br />

Diskurs, der besonderen Wert auf körperliche Fitness<br />

und Gesundheit legt, gesellschaftliche Körper-/Fitnessideale importiert und<br />

beides dezidiert biblisch legitimiert. Der Beitrag soll die „eigenen empirischen<br />

oder historischen Einzelbefunde in einem größeren komparativen und systematisch-analytischen<br />

Kontext“ (CfP) reflektieren und fragen: Welche Parallelen und<br />

Unterschiede gibt es zwischen evangelikalen ‚Körpertheologien’ und zeitgenössischer<br />

Spiritualität? Auf welcher theoretisch-analytischen Ebene sind diese<br />

‚Familienähnlichkeiten’ zu verorten? Mit welcher Rechtfertigung (und mit<br />

welchem Nutzen) können diese Gruppen verglichen werden – gerade wenn man<br />

bedenkt, dass ‚im Feld’ oft explizite Abgrenzungsdiskurse stattfinden?<br />

62<br />

Eva Tolksdorf: Normierungsstrategien und Authentizitätskonstruktionen in der<br />

(neo-)charismatisch-evangelikalen Bewegung in Deutschland<br />

Seit den 80er und 90er Jahren haben sich in Deutschland zunehmend freie<br />

charismatische Gemeindezentren gegründet, die sich selbst als „überkonfessionell“,<br />

„christlich“ und „charismatisch“ verstehen und i.d.R. von außen als<br />

„neopfingstlich“ bzw. „neocharismatisch“ klassifiziert werden. Im Unterschied zu<br />

den sog. konfessionsbezogenen „Erneuerungsbewegungen“ bzw. der ‚klassischen‘<br />

Pfingstbewegung haben sich diese freien charismatischen Gemeindezentren<br />

unabhängig von den Strukturen und Vorgaben etablierter landes- und<br />

freikirchlicher Gemeindeverbände in eigenen lokalen und globalen Netzwerken<br />

organisiert. Der Vortrag stellt ein laufendes qualitativ-empirisches Dissertationsprojekt<br />

vor, das sich einem Vergleich von Normierungs- und Normalisierungsstrategien<br />

von drei Gemeindezentren in Deutschland widmet. Dabei wird der<br />

Stellenwert von und der regulierende Umgang mit charismatischen Praktiken<br />

(sog. „Erfahrungen mit dem Heiligen Geist“) insbesondere im Kontext von<br />

Heilungsgottesdiensten in den Blick genommen. Was macht den eigenen


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

„charismatischen“ Stil aus und worin unterscheiden sich die Gemeinden untereinander?<br />

Welche Ausdrucksformen werden als „authentisch“, welche als „nicht<br />

authentisch“ von den Akteuren gedeutet und bewertet? Welche Relevanz haben<br />

sogenannte „Manifestationen des Heiligen Geistes“ (z.B. „Ruhen im Geist“,<br />

Lachen, Weinen, Zittern etc.) gegenwärtig, die in der aktuellen religionssoziologischen<br />

und religionsethnologischen Literatur (z.B. Kern 1997; Csordas 2002;<br />

Storck 2008; Knoblauch 2009) als Prototyp ‚charismatischer Erfahrung‘ betont<br />

werden? Hierbei soll die universalisierende Charakterisierung der<br />

(neo-)charismatischen Bewegung als besonders „erfahrungs- und körperorientiert“<br />

(Knoblauch 2009) anhand rezenter Beispiele aus dem deutschen Kontext<br />

kritisch diskutiert werden. So sind beispielsweise (1) Abgrenzungsprozesse<br />

gegenüber „spektakulär“ wirkenden Massenritualen durch Subjektivierung und<br />

Pluralisierung von Praktiken, (2) Transformations- und Normalisierungsprozesse<br />

von ehemaligen „high charismatics“ zu „low charismatics“ durch Evangelikalisierung<br />

und (3) identitätswahrende kontextabhängige Anpassungsstrategien von<br />

„high charismatics“ zu beobachten.<br />

Verena Hoberg: Was ist ‚erfüllende Sexualität‘? Analyse evangelikaler<br />

Ehe(vorbereitungs)kurse<br />

Nicht nur in der Diskussion über Evangelikale in der Öffentlichkeit, sondern auch<br />

im Feld selbst spielt das Thema ‚Sexualität‘ eine wichtige Rolle. Weite Teile des<br />

Evangelikalen definieren sich selbst auch über ihre spezifische Vorstellung legitimer<br />

Sexualität: Sexualität hat ihren Ort in der (in einer Ehe) auf Dauer angelegten<br />

heterosexuellen Beziehung, dort soll sie dann jedoch auch gelebt werden. Die<br />

zunehmende Verbreitung von evangelikalen Ehe(vorbereitungs)kursen, die auch<br />

auf Fragen der Sexualität fokussieren, gibt Anlass zu der Vermutung, dass eine<br />

‚erfüllenden Sexualität‘ immer mehr zum Feld der Bewährung für den einzelnen<br />

Gläubigen wird. Der Vortrag, der ein laufendes qualitativ-empirisches Dissertationsprojekt<br />

vorstellt, möchte der Frage nachgehen, wie die Bewährung über<br />

Fragen der Sexualität im Evangelikalen aussieht. Dazu sollen zunächst Analysen<br />

von evangelikalen Ehevorbereitungs- und Intimitätskursen in der Schweiz dargestellt<br />

werden: Welche Vorstellungen von Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit und<br />

Sexualität kommen in den Kursmaterialien zum Ausdruck? In einem weiteren<br />

Schritt soll der Umgang einzelner Paare mit den in den Kursen vermittelten<br />

Deutungen rekonstruiert werden. Dazu werden Analysen von Interviews mit<br />

Paaren vorgestellt. Dabei stellt sich die Frage, was das spezifisch ‚Evangelikale‘ an<br />

diesen Ausdrucksgestalten ist und worüber es sich als solches erfassen lässt. Wie<br />

lässt sich eine evangelikale Religiosität im beschriebenen Umgang mit Sexualität<br />

rekonstruieren? Dieser Frage soll im Vortrag nachgegangen werden mit kritischer<br />

Bezugnahme auf unterschiedliche theoretische Deutungsangebote, mit denen<br />

sich die evangelikale Haltung zur Sexualität als besondere Ausprägung einer<br />

fundamentalistischen Panikreaktion auf Anforderungen der Moderne (Liebsch<br />

2001) oder als besonderer Ausdruck einer „erfahrungs- und körperorientierten“<br />

Form von Religiosität (Knoblauch 2008) interpretieren ließe.<br />

63


Panelstrang D: ZHG 104<br />

Wolfgang Gantke (Frankfurt/M) und Edmund Weber (Frankfurt/M)<br />

Das Heilige als Problem in der Religionswissenschaft: Fragen und<br />

Perspektiven (I)<br />

Edmund Weber: Die dialektische Dynamik von Sakralität und Kulturalität<br />

der Existenz als genuines Thema authentischer Religion<br />

Vladislav Serikov: Varianten ohne Invariante? Zur semantischen<br />

Notwendigkeit der Kategorie des Heiligen<br />

Martin Mittwede: Empirische Forschung und das Heilige –<br />

Religionswissenschaft im interdisziplinären Kontext<br />

Das Konzept der Tagung macht auf die Dringlichkeit eines übergreifenden systematischen<br />

Diskurses, der die Vielfalt der empirischen Forschung systematisch<br />

integriert, als "die bestehende Herausforderung unseres Faches, Empirie und<br />

Theorie – mit Wach gesprochen: Religionsgeschichte und Systematische Religionswissenschaft<br />

– miteinander zu verbinden" aufmerksam. Die Kategorie des Heiligen<br />

gehört seit William James’ „Die Vielfalt religiöser Erfahrung“, Emile Durkheims „Die<br />

elementaren Formen des religiösen Lebens“ und vor allem Rudolf Ottos „Das Heilige“<br />

zu den Grundbegriffen der Religionswissenschaft. Die Kategorie des Heiligen ist<br />

insbesondere nach dem cultural turn in der Religionswissenschaft umstritten.<br />

Allerdings sprechen die nach wie vor andauernden Versuche, diese Kategorie zu<br />

politisieren, soziologisieren, ontologisieren, psychologisieren oder sie gar ganz aus<br />

dem religionswissenschaftlichen Diskurs zu verbannen für die bleibende Bedeutung<br />

dieses in der Religionswissenschaft offenbar voreilig verabschiedeten Begriffs.<br />

Könnte es nicht sein, dass erst der Bezug auf das wie immer verstandene Heilige die<br />

Verwendung der Begriffe "Religion" und "religiös" sinnvoll erscheinen lässt? Könnte<br />

nicht der Bezug auf das Heilige eine Bedingung der Möglichkeit einer deutlichen<br />

Abgrenzung eines eigenständigen Gegenstandes einer kulturübergreifenden Religionswissenschaft<br />

sein? Könnte damit der Kategorie des Heiligen nicht doch wieder<br />

eine identitäts- und einheitsstiftende Funktion in einer Religionswissenschaft<br />

zuwachsen, die sich immer mehr in kleine, unverbundene Teildisziplinen aufzulösen<br />

droht? Das Panel diskutiert die Fragen und Perspektiven um den umstrittenen<br />

Begriff des Heiligen in der modernen Religionswissenschaft.<br />

64<br />

Edmund Weber: Die dialektische Dynamik von Sakralität und Kulturalität der<br />

Existenz als genuines Thema authentischer Religion<br />

Authentische Religion ist keine intrakulturelle Wahlmöglichkeit, sondern eine<br />

extrakulturelle Funktion des evolutionär befreiten menschlichen Bewusstseins;<br />

sie meint dessen Auseinandersetzung mit dem dialektischen Verhältnis der<br />

Existenz, d.h. ihrer Unbestimmbarkeit (Sakralität) und ihrer Gestalthaftigkeit (Kulturalität).<br />

Das Heilige meint den Grund der Existenz und Kultur deren Gestaltung.<br />

Die Erscheinungsform dieser Auseinandersetzung bzw. Religionskultur ist unbegrenzt,<br />

ihr Sinn eindeutig und allen ihren Ausformungen gemeinsam. Eine


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Spaltung der Menschheit in religiöse und sog. nicht-religiöse Personen verdeckt<br />

die Allgemeinheit der Identität des Existenzproblems und stabilisiert sektiererischen<br />

Orthodoxismus. Mythologische und postmythologische Varianten der<br />

Artikulation der authentischen Religion stellen keine substanzielle Differenz dar,<br />

sondern sind lediglich akzidenteller Natur. Doch bedarf die Artikulation authentischer<br />

Religion wegen ihres Gegenstands stets nichtalltäglicher, befremdlicher,<br />

gar widersinniger Form. Im Zentrum der religiösen Aktivität des menschlichen<br />

Bewusstseins steht das Heilige, d.h. die Unbestimmbarkeit der Existenz, die die<br />

transkulturelle Freiheit der Existenz konstituiert und die durch die Kraft der<br />

Negativität des befreiten Bewusstseins stets die Dogmatisierung von Existenzgestaltungen<br />

progressiv aufhebt.<br />

Vladislav Serikov: Varianten ohne Invariante? Zur semantischen Notwendigkeit<br />

der Kategorie des Heiligen<br />

Was ist religiös an religiösen Einstellungen, Gefühlen und Handlungen? Nach den<br />

cultural, linguistic und iconic turns ist es zu einer populären Strategie geworden,<br />

die Begriffe „Religion“ und „religiös“ als fuzzy Begriffe zu behandeln und die<br />

Diskussion um diese Begriffe zu verharmlosen und aus dem gegenwärtigen<br />

religionswissenschaftlichen Diskurs unter dem Rückgriff auf Wittgensteins Begriff<br />

der Familienähnlichkeit möglichst zu verbannen. Der Vortrag setzt sich mit dieser<br />

Strategie kritisch auseinander. Unter dem Rückgriff auf die moderne philosophische<br />

Debatte um Semantik-Pragmatik werden die Ansätze, die Wittgenstein<br />

folgen, in Frage gestellt. Der Vortrag argumentiert dafür, dass die Kategorie des<br />

Heiligen als differentia specifica des Begriffs „religiös“ verstanden werden muss.<br />

Als Vorschläge zu einer angemessenen semantischen Beschreibung dieser<br />

Kategorie werden dann die aussichtsreichen semantischen Ansätze von David<br />

Chalmers, Ronald Dworkin und Anna Wierzbicka erwägt.<br />

Martin Mittwede: Empirische Forschung und das Heilige – Religionswissenschaft<br />

im interdisziplinären Kontext<br />

Komplexe Fragestellungen benötigen komplexe Strategien für ihre Beantwortung.<br />

Die Frage nach dem Heiligen als einem Gegenstand der Forschung wird in<br />

vielen Disziplinen außerhalb der Religionswissenschaft gestellt und beständig<br />

weiter untersucht. Bedeutsam sind insbesondere die Psychologie, die Medizin,<br />

sowie interdisziplinär angelegte Forschungen zu veränderten Bewusstseinszuständen,<br />

die im Kontext der religiösen Erfahrung stehen. Gefahren zeigen sich<br />

in vorschnellen bzw. vereinfachten Interpretationen der empirischen Befunde<br />

und Chancen zeigen sich in neuen Untersuchungsmöglichkeiten, die Hinweise auf<br />

transpersonale Wirklichkeiten, das Heilige, ... geben können. In der Verknüpfung<br />

verschiedener Forschungsansätze kann sich eventuell eine erweiterte Sicht<br />

entfalten. Anhand von Beispielen empirischer Ergebnisse und deren Deutungen<br />

sollen grundlegende Fragen aufgeworfen werden.<br />

65


Panelstrang E: ZHG 105<br />

Alexander-Kenneth Nagel (Bochum)<br />

Interreligiöse Kontaktzonen in modernen<br />

Einwanderungsgesellschaften (II): lokale Infrastrukturen<br />

<br />

<br />

<br />

Gritt Klinkhammer: Identitätspolitiken in interreligiösen Milieus<br />

Nelly Schubert: Integrationsagenturen als interreligiöse Begegnungsräume<br />

Piotr Suder: Moscheebauprojekte als soziale Katalysatoren interreligiöser<br />

Kooperation<br />

Panelabstract vgl. S. 51<br />

Gritt Klinkhammer: Identitätspolitiken in interreligiösen Milieus<br />

Der Umgang mit der Vielfalt von Kulturen, der Heterogenität von Lebensformen<br />

und der Pluralität religiöser Ideen und Praxen ist in den letzten Jahren herausforderndes<br />

Thema in unterschiedlichen Disziplinen. Dabei umreißen Fragen nach<br />

der Anerkennung kultureller, sozialer und personaler Identität sowie nach dem<br />

Verhältnis zwischen dem Fremden und dem Vertrauten das Feld, in dem sich die<br />

kultur- und sozialwissenschaftliche Reflexion dazu bewegt. Das Feld der religiösen<br />

Pluralität und interreligiösen Begegnung und Kommunikation wird zwar in<br />

manchen Studien mitbehandelt. Allerdings sind die religionssoziologischen<br />

Thesen zu den Folgen makrosoziologisch beobachtbarer zunehmender religiöser<br />

Pluralität von Gesellschaften für Religion in der Moderne (Berger: Säkularisierung;<br />

Hervieux-Leger: Dynamisierung von Religion) kaum auf meso- und mikrosozialer<br />

Ebene empirisch untersucht worden. In religionswissenschaftlicher<br />

Perspektive stellt sich im Gegenteil der identitäre Umgang mit religiöser Pluralität<br />

auf der mikrosozialen Ebene als weitgehendes Forschungsdesiderat dar. Der<br />

Vortrag möchte die oben genannten Linien der Debatte und ihrer ‚schwarzen<br />

Löcher‘ nachzeichnen und vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse<br />

eines abgeschlossenes Forschungsprojektes zu muslimisch-christlichen Dialoginitiativen<br />

in Deutschland die These ausführen, dass intendierte interreligiöse<br />

Begegnungs- und Kommunikationsräume wie solche, die seit 9/11 durch interreligiöse<br />

Dialoginitiativen vielerorts geschaffen wurden, spezifische Orte der<br />

Dynamisierung von Religion und des Religiösen bilden, in denen sich jenseits<br />

tradierter Toleranzzugeständnisse und/oder strikter Grenzziehungen durch Absolutheitsansprüche<br />

monotheistischer Religionen religiös hybride personale und<br />

soziale Identitäten ausbilden.<br />

66<br />

Nelly Schubert: Integrationsagenturen als interreligiöse Begegnungsräume<br />

Integrationsagenturen sind Institutionen, die spezifisch für moderne Einwanderungsgesellschaften<br />

sind. Sie dienen der Förderung sozialen Zusammenhaltes<br />

innerhalb dieser Gesellschaften. Ihre Ausrichtung beschränkt sich längst nicht<br />

mehr auf die Einbindung von unterschiedlichen Nationalitäten, sondern ist auch<br />

auf interreligiöse Vermittlung ausgerichtet. Sie stellen mit dieser Zielsetzung<br />

verschiedene Ressourcen für interreligiöse Begegnungen zur Verfügung. Eine


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

sehr gefragte Ressource sind die Räumlichkeiten von Integrationsagenturen. In<br />

ihnen werden zum Beispiel unterschiedlich stark formalisierte und verschieden<br />

motivierte Veranstaltungen mit interreligiösem Kontaktpotential – vom<br />

Grillabend zur Vernetzung organisierter Migrantenvereinigungen bis hin zu den<br />

protokollierten Sitzungen eines interreligiösen Arbeitskreises – abgehalten.<br />

Das Zusammenspiel theologischer und gesellschaftspolitischer Zielsetzungen in<br />

interreligiösen Dialogen führt laut Levent Tezcan zu dem Kompromiss, „religiöse<br />

Kommunikation in das politische Handeln einzubinden“ (Tezcan 2006: 29). Politik<br />

dominiert demnach in dieser Hinsicht über Religion. Wie verhält es sich mit der<br />

Interaktion zwischen theologisch motivierten Akteuren in politisch definierten<br />

Räumlichkeiten? Welche Rolle nimmt Politik bei interreligiösen Begegnungen<br />

innerhalb eines solchen lokalpolitischen Handlungsrahmens ein? Welches<br />

Gewicht haben hier theologische Unterschiede? In meinem Vortrag werde ich am<br />

Beispiel von städtischen Integrationsagenturen im Ruhrgebiet aufzeigen, wie<br />

interreligiöses Handeln innerhalb politisch definierter Räumlichkeiten von diesen<br />

beeinflusst wird.<br />

Piotr Suder: Moscheebauprojekte als soziale Katalysatoren interreligiöser<br />

Kooperation<br />

Die religiöse Landschaft in Deutschland war und ist stark durch Zuwanderung<br />

geprägt. Die damit einhergehende religiöse Pluralisierung zeichnet sich unter<br />

anderem dadurch aus, dass vielfältige Formen der religiösen Vergemeinschaftung<br />

von MigrantInnen entstanden sind. Diese stellen wichtige sozio-religiöse Infrastruktur<br />

für ihre Mitglieder zur Verfügung und befinden sich auf vielfältige Weise<br />

im Austausch mit ihrer Umwelt (interreligiöser Dialog, Kooperation mit kommunalen<br />

Stellen).<br />

Mit zunehmender Etablierung im Aufnahmeland werden die religiösen Migrantengemeinden<br />

immer sichtbarer für die Gesellschaft, z.B. in Form von Gotteshäusern<br />

und öffentlichen Zeremonien.<br />

Die zunehmende Institutionalisierung und Repräsentanz im öffentlichen Raum<br />

sind aus der Binnenperspektive Ausdruck religiöser und kultureller Verortung in<br />

Deutschland. Diese Prozesse werden zugleich mancherorts von außen als eine<br />

demonstrative Besetzung des öffentlichen Raums und Bedrohung von Teilen der<br />

Mehrheitsgesellschaft interpretiert. Damit sind vielfältige konflikthafte Auseinandersetzungen<br />

auf kommunaler Ebene verbunden, was eine Herausforderung<br />

für den sozialen Zusammenhalt vor Ort darstellen kann. In dem Vortrag wird auf<br />

der Grundlage mehrerer in den Städten NRW’s durchgeführter Fallstudien der<br />

Frage nachgegangen, welche Rolle interreligiösen Dialogforen in Moscheebaukonflikten<br />

zukommt. Ein Blick auf die Konfliktverläufe zeigt, dass kirchliche<br />

Vertreter häufig prominente Vermittler-Rollen einnehmen und nicht selten die<br />

Anliegen der muslimischen Gemeinden unterstützen. Es gilt daher aufzuzeigen<br />

welche Unterstützungsleistungen in der Konfliktsituation von Seiten der kirchlichen<br />

Vertreter und Gemeinden für muslimische Moscheebauvorhaben mobilisiert<br />

werden, welche Beweggründe dahinter stecken und wie sich die Dialogforen<br />

durch den Moscheebau in Form und Inhalt verändern können.<br />

67


Panelstrang F: ZHG 006<br />

Anja Hänsch (<strong>Göttingen</strong>)<br />

Repräsentation und Performanz<br />

<br />

<br />

<br />

Ina Mahlstedt: Thors Hammer und der ‚steinerne Himmel‘<br />

Assia Harwazinski: Religion in Dance: Sidi Larbi Cherkaoui and his trilogy<br />

"Babel", "Foi", "Myth"<br />

Anja Hänsch: Eine Göttin für das Neolithikum: Marija Gimbutas'<br />

vorgeschichtliches Paradies aus religions- und literaturwissenschaftlicher<br />

Sicht<br />

Ina Mahlstedt: Thors Hammer und der ‚steinerne Himmel‘<br />

Das Phänomen von Wasser und Eis, von kurzen, hellen Sommern und eisigen,<br />

dunklen, langen Wintern prägt mit seiner extreme saisonale Veränderung das<br />

Leben im Norden Europas und damit auch die religiöse Welt der Jäger. Bei<br />

meinen Forschungsreisen nach Skandinavien konnte ich im Zusammenhang von<br />

Felsbildern und Mythen aufschlussreiche Einblicke erhalten, die meine theoretischen<br />

Kenntnisse über zyklische Religionen fundierten und erweiterten, so dass<br />

ich interessante Forschungsergebnisse zu zyklischen Naturreligionen und deren<br />

religiösen Vorstellungen präsentieren kann. Diese waren bis in die letzte heidnische<br />

Epoche hinein in unterschiedlicher Form noch lebendig. Sie dokumentieren<br />

sich in der Skaldendichtung der Edda und belegen damit eine Jahrtausende lange<br />

religiöse Kontinuität früher skandinavischer Jäger.<br />

68<br />

Assia Harwazinski: Religion in Dance: Sidi Larbi Cherkaoui and his trilogy "Babel",<br />

"Foi", "Myth"<br />

Religion and Dance. Sidi Larbi Cherkaou and his trilogy „Babel“, „Myth“ and „Foi“<br />

as critique of religion. Sidi Larbi Cherkaoui is a dancer of Moroccan-Belgian origin,<br />

born in Antwerpen, with his own dance-group, the “Eastman Company”, the<br />

name reflecting his personal background as “being born in the East” or “coming<br />

from the East”. His trilogy “Babel”, “Myth”, “Foi” is reflecting historical incidences,<br />

playing with oriental and occidental motives and traditions and combining it<br />

artistically with the music-ensemble of the “Capilla Flamenca”, reflecting the<br />

traditions of early Oriental and European music of the Middle Ages and the<br />

Renaissance. Working with international groups and varying elements of performance<br />

and dance-styles, Cherkaoui, a dancer of Muslim origin, shows himself as<br />

a “free mind”. His trilogy reflects the whole range of biblical and Islamic motives<br />

in a historical dance-performance, using various styles and elements. Himself<br />

being of extreme innovative spirit and creativity, Cherkoui shows the violence<br />

and quietness of religious traditions as well as their provocative questioning and<br />

the critical questioning of religious traditions themselves. Religion is presented<br />

and used as an artistic element of stage-performance, telling human stories.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Anja Hänsch: Eine Göttin für das Neolithikum: Marija Gimbutas'<br />

vorgeschichtliches Paradies aus religions- und literaturwissenschaftlicher Sicht<br />

Die Archäologin Marija Gimbutas (1921-1994) interpretierte neolithische und<br />

paläolothische Frauenstatuetten als Ausdruck der Religion einer "Großen Göttin".<br />

In der Archäologie besteht Konsens über die Unhaltbarkeit dieser Theorie.<br />

Dennoch hatten und haben Marija Gimbutas Ideen einen großen Wirkungskreis.<br />

Sie beeinflusste WissenschaftlerInnen anderer Disziplinen (z. B. Joseph Campbell)<br />

und wurde/wird in der neu-religiösen Göttinnenbewegung rezipiert. Aus der<br />

Sicht der Geschlechterforschung, der Religions- und Literaturwissenschaft<br />

erscheint es daher als lohnenswert folgende Fragen an das Werk von Marija<br />

Gimbutas zu richten: Was für ein religiöses System entwickelt Marija Gimbutas<br />

mit der Großen Göttin und wie gestaltet sie ihre Göttinnen-Narrative auf der<br />

metaphorischen Ebene aus? Welche Geschlechterbilder verbindet sie mit ihrer<br />

Göttin des Neolithikums?<br />

Freitag, 13.9.<strong>2013</strong><br />

9:15 – 10:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Jens Schlieter (Bern) und Christoph Bochinger (Bayreuth)<br />

Empirische Religionsforschung und die Bestimmung von Religion (I)<br />

<br />

<br />

Jens Schlieter: Natürlich übernatürlich? Die Unterscheidung<br />

Immanenz/Transzendenz in empirischer Religionsforschung und<br />

Religionstheorie<br />

Jens Kreinath: Das ‚Sichtbare‘ und das ‚Unsichtbare‘: Theoretische Rahmen<br />

und empirische Daten in der Formation ‚moderner‘ Religions- und<br />

Religiositätsbegriffe<br />

Im letzten Jahrzehnt haben sich in der Religionswissenschaft vermehrt empirische<br />

Zugänge der Erforschung von Gegenwartsreligionen und zeitgenössischer Religiosität<br />

etabliert. Wie aber lässt sich methodisch begründen, was im Feld der Religionen<br />

als empirisch erforschbar gelten kann und was nicht? Mit welchen Kriterien wird<br />

die Unterscheidung zwischen „Religion“ und „Nicht-Religion“ getroffen? Auch in<br />

religionssoziologischen Kontexten geschieht dies zumeist mit Hilfe der geläufigen<br />

Unterscheidung von „transzendent/immanent“ (bzw. äquivalente Unterscheidungen<br />

wie „über/natürlich“ usw.). Offenkundig können diese aber nicht aus dem<br />

untersuchten religiösen Feld abgeleitet werden, sondern gehen der Identifizierung<br />

des „Religiösen“ im Untersuchungsfeld schon voraus. Auch die empirische Religionsforschung<br />

bleibt damit auf eine Theorie der Religion angewiesen. Andererseits<br />

bleibt eine zeitgenössische Religionstheorie auf die Ergebnisse der empirischen<br />

69


Forschung bezogen, die sie zur eigenen Theoriebildung verwenden muss, um ihre<br />

eigene Relativierung zu einem lediglich historisch interessanten Paradigma zu<br />

verhindern. Die Beiträge des Panels wollen sich aus verschiedenen Perspektiven<br />

genau diesem Wechselbezug von empirischer Religionsforschung und zeitgenössischer<br />

Religionstheorie widmen.<br />

Jens Schlieter: Natürlich übernatürlich? Die Unterscheidung<br />

Immanenz/Transzendenz in empirischer Religionsforschung und Religionstheorie<br />

In dem Vortrag soll die Frage erörtert werden, ob eine Definition von Religion<br />

ohne Verwendung des Schemas von Transzendenz/Immanenz möglich und sinnvoll<br />

ist. Dazu wird eine Analyse der kognitiven Metaphern für „Transzendenz“<br />

(und ihre Äquivalente) in theologischen, philosophischen, religionswissenschaftlichen<br />

und religionssoziologischen Entwürfen vorgenommen. Sie soll aufzeigen,<br />

inwieweit diese Metaphern eine aus bestimmten religiösen und philosophischen<br />

Referenztraditionen geläufige Schematisierung vornehmen, die auf strikt duale<br />

räumliche und zeitliche Differenzen baut: zum Beispiel „hier/dort“ (räumlich:<br />

sichtbar/unsichtbar, diese/jene Welt); „jetzt/später“ (zeitlich: Leben/Tod);<br />

„unsicher/sicher“ bzw. „ungewiss/gewiss“ (epistemologisch und emotional:<br />

Unsicherheit/Kontingenz bzw. Sicherheit/Gewissheit); „gefangen/befreit“<br />

(individuelles wie auch kollektives Heil oder Unheil, entweder jetzt/hier oder<br />

dort/später). Zuletzt wird an Beispielen der empirischen Religionsforschung<br />

diskutiert, ob diese emischen wie etischen Schematisierungen aller Empirie<br />

vorausgehen dürfen bzw., ob sie durch andere ergänzt oder ersetzt werden<br />

sollten.<br />

70<br />

Jens Kreinath: Das ‚Sichtbare‘ und das ‚Unsichtbare‘: Theoretische Rahmen und<br />

empirische Daten in der Formation ‚moderner‘ Religions- und Religiositätsbegriffe<br />

Eines der zentralen Paradigmen in der Formation von dezidiert ‚modernen‘<br />

Religionsbegriffen ist die methodologische und theoretische Dominanz des<br />

‚Sichtbaren‘ (oder ‚Visuellen‘/‘Materiellen‘) gegenüber dem ‚Unsichtbaren‘ (oder<br />

‚Auditiven‘/‘Immateriellen‘). Wie wissenschaftsgeschichtliche Studien zur Gegenstandsbestimmung<br />

in der formativen Phase der Religionswissenschaft gezeigt<br />

haben (Gladigow 1987, Kippenberg 1997), hat dieses Paradigma der Moderne<br />

weitreichende Konsequenzen für die Bestimmung des Gegenstandes religionswissenschaftlicher<br />

Forschung. Ziel dieses Vortrages ist, die für moderne Religionsbegriffe<br />

entscheidende Unterscheidung ‚sichtbar‘/‚unsichtbar’ diskursanalytisch<br />

zu problematisieren und als theoretischen Rahmen mit meinen Daten zur<br />

individualreligiösen Form der Heiligenverehrung in der Türkei in Beziehung zu<br />

setzen. Ausgehend von einer kritischen Analyse des Religionsbegriffes von Emile<br />

Durkheim und dessen empirischer Grundlage soll zuerst der Einfluss von<br />

Durkheims Ansatz auf ein an der Visualität orientiertes Konzept des religiösen<br />

Phänomens aufgezeigt werden. Dabei geht es darum, methodologische Fragen<br />

nach der Definition des Religionsbegriffes und deren pragmatischen Nutzen für<br />

die Bestimmung des Forschungsfeldes oder Gegenstandsbereiches der<br />

Religionswissenschaft aufzuwerfen. Anhand des ethnographischen Materials


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

meiner Forschung zu interreligiösen Pilgerstätten der Südtürkei sollen neue<br />

Möglichkeiten einer Konzeptualisierung des religionswissenschaftlichen Gegenstandsbereiches<br />

aufgezeigt werden. Die den Vortrag leitende begrifflichen Unterscheidungen<br />

der wissenschaftlichen Forschung und der religiösen Erfahrung soll<br />

dabei mit der methodischen Unterscheidung der sogenannten ‚emischen‘ und<br />

‚etischen‘ Perspektive aus der Religionsethnologie systematisch in Beziehung<br />

gesetzt und für ein komplexeres Verständnis der Unterscheidung von sichtbaren<br />

und unsichtbaren ‚religiösen Phänomenen‘ herangezogen werden. Diese methodologische<br />

Reflexion soll es erlauben, die Dynamiken in den vielfältigen Formen<br />

von lokaler Religion und Individualreligiosität verständlich zu machen.<br />

Panelstrang B: ZHG 102<br />

Christoph Auffarth (Bremen)<br />

Die Kehrseite der Medaille: Aufklärung und Religion<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Christoph Auffarth: Lebensführung und Lebensbild: Selbstdisziplin und<br />

Autobiographie in der Religion der Aufklärung)<br />

Klaus Brand: Aufgeklärte Geisterseher: Wissenschaft als Religion im frühen<br />

19. Jahrhundert (am Beispiel des Mesmerismus)<br />

Tilman Hannemann: „Von der anderen Seite des Horizonts steigt die Nacht<br />

mit allen ihren Gespenstern wieder empor“: Diskursive Erwartungen und<br />

Abgrenzungen gegenüber den Scharlatanen der Aufklärung<br />

Julian Strube: Ein neues Christentum – Die Suche nach einer<br />

wissenschaftlichen Vernunftreligion im postrevolutionären Frankreich<br />

Die heutige Religionswissenschaft versteht sich als ein der Programmatik der<br />

Aufklärung verpflichtetes Projekt. Aufklärung als Ziel der Wissenschaft als ein europaweites<br />

Projekt seit der Sattelzeit erweist sich schließlich als ‚dialektisch‘, wie<br />

Horkheimer und Adorno 1947 angesichts des Kraters konstatieren mussten, den<br />

der Nationalsozialismus hinterlassen hatte. Inwieweit Religion aufgeklärt werden<br />

kann oder ob sie das dialektisch Andere zur Aufklärung darstellt, war schon den<br />

Zeitgenossen eine umstrittene Frage. Was bleibt, wenn die Sonne entlarvt ist, ohne<br />

die Insignien des Sonnenkönigs, ohne Perücke, ohne Staatsgewänder? Was ‚kostet‘<br />

Aufklärung, was geht durch Aufklärung verloren? ‒ das sind die komplementären<br />

Zweifel zur Freude über die restlos rational erklärbare Welt. Das Panel stellt die<br />

Frage nach der Kehrseite der Aufklärung und den wechselseitigen Beeinflussungen<br />

aufgeklärter und religiöser Weltbilder. Am Material aus der Epoche der Aufklärung<br />

werden religiöse Akteure, Religion und Bildungskonzepte sowie das Verhältnis von<br />

(Natur-)Wissenschaft und Religion untersucht.<br />

Christoph Auffarth: Lebensführung und Lebensbild: Selbstdisziplin und<br />

Autobiographie in der Religion der Aufklärung<br />

„Lebensführung“ bildet für Max Weber das zentrale Thema seiner Soziologie.<br />

Wie aus dem passiven Wort „Der Herr ist mein Hirte und […] führet mich zu<br />

71


frischem Wasser …“, d.h. Gott führt den Menschen, das aktive Bild wurde, das<br />

aktives sinnhaftes Handeln bedeutet, vollzieht sich in der Aufklärung. An die<br />

Stelle des Sünders, der nur dank der Gnade Gottes gerecht wird (die Anthropologie<br />

des Luthertums), stellt die Pädagogik und Andragogik der Aufklärung den<br />

Menschen, der in seinem Handeln dazu beiträgt, die Welt zu heiligen. Wie der<br />

kleine Anteil Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert, daraus man Brot backt, so<br />

sind die Christen aufgerufen, ihr Licht nicht unter einen Scheffel zu stellen.<br />

Calvinisten, Pietisten, Herrnhuter oder die Puritaner verstehen sich als die<br />

Erwählten für die Aufgabe, Vorbild für andere zu werden, sich als city upon the<br />

hill zu zeigen (und so einen amerikanischen Habitus generierten, der auch ohne<br />

explizite Religion funktioniert). – Aber sie sind sich der Schwäche und Verführbarkeit<br />

bewusst. Deshalb trainieren von Kind an die Kinder eine Selbstkontrolle:<br />

Am Abend notieren sie, was sie erreicht haben und was nicht; am Sonntag für die<br />

Woche, und bei der nächsten Bewerbung schreiben sie in den Lebenslauf, wie<br />

Gott sie berufen hat zu einem Dienst für ihn. Das Tagebuch, das Bewerbungsschreiben<br />

als Berufungserzählung, die Lebensbeichte und die Autobiographie<br />

sind Gattungen, die neu entstehen oder transformiert werden. Entstehung und<br />

Rezeption eines bestimmten Habitus wird zu einem Leitkonzept der Religionswissenschaft.<br />

72<br />

Klaus Brand: Aufgeklärte Geisterseher: Wissenschaft als Religion im frühen 19.<br />

Jahrhundert (am Beispiel des Mesmerismus)<br />

Die Erfindung des Mesmerismus gegen Ende des 18. Jahrhunderts steht im<br />

Kontext wissenschaftlicher Theorien, die zum Teil grundlegende Neuordnungen<br />

des Wissens über die Welt etwa im Bereich der Elektrizität und des Magnetismus,<br />

der Astronomie und Physik und der Physiologie und Medizin zu bieten<br />

versprachen, so dass die Vorstellung Franz Anton Mesmers, es gäbe ein unsichtbares<br />

Magnetisches Fluidum, das der Schlüssel zum Heil der Menschheit sei, nur<br />

eine unter vielen ähnlichen zeitgenössischen Entdeckungen war.<br />

In jüngerer Zeit wurde häufiger betont, dass für die Zeit der Aufklärung in Europa<br />

nicht grundsätzlich von einer Dominanz eines naturwissenschaftlichen Rationalismus<br />

im Gegensatz zu einem gegenaufklärerischen religiösen Irrationalismus<br />

ausgegangen werden kann. Zumindest nicht in der Weise, wie es in der älteren<br />

Forschung dichotomisch auf die Spitze getrieben wurde. Eigentlich gehe es nicht<br />

um eine Gegenüberstellung von Naturwissenschaft mit Theologie oder Religion,<br />

sondern beide haben (in der Rückschau) Anteil an der Etablierung der aufklärerischen<br />

und nach-aufklärerischen Wissenschaften und auch der Religiosität.<br />

Religiöse Wissenschaft und wissenschaftliche Religiosität befinden sich im<br />

Einklang mit aufklärerischen Prinzipien und Zielen.<br />

Unter solchen Voraussetzungen lässt sich der Mesmerismus nicht nur als zeitgenössische<br />

Wissenschaft begreifen, sondern auch als in der Aufklärung tief verhaftete<br />

Weltsicht, wie sie im Okkultismus oder der Esoterik zum Vorschein kommt<br />

und in diesem Sinne als religiöse Wissenschaft und wissenschaftliche Religion. Als<br />

eine diskursübergreifende Wissenschaft im aufklärerischen Sinn und poetische


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Romantik. Anhand von Texten der Romantiker und Wissenschaftler zu Beginn des<br />

19. Jahrhunderts wird diese Ambivalenz aufgezeigt und kritisch hinterfragt.<br />

Tilman Hannemann: „Von der anderen Seite des Horizonts steigt die Nacht mit<br />

allen ihren Gespenstern wieder empor“: Diskursive Erwartungen und<br />

Abgrenzungen gegenüber den Scharlatanen der Aufklärung<br />

Auf der Kehrseite der Aufklärung bewegten sich zwischen 1770 und 1790 in<br />

dichter Abfolge eine Reihe erst populärer, dann ausgegrenzter charismatischer<br />

Einzelfiguren, deren Auftreten eine Erneuerung und Intensivierung der Religion<br />

mittels der Präsenz übernatürlicher Wesen und/oder Kräfte versprach. Ihre<br />

Wirkung blieb in der Regel auf lokale Kontexte oder spezifische Netzwerke<br />

beschränkt, doch ihre Rezeption nahm in den öffentlichen Organen der Aufklärung<br />

im Rahmen der Debatte um Schwärmerei bzw. Enthusiasmus einen breiten<br />

Raum ein. Dabei diente oft – Shaftesburys (1671–1713) „test of ridicule“ folgend<br />

– der Spott als Waffe, sodass die Magier und „Geisterseher“, als Scharlatane für<br />

die Nachwelt diskreditiert, von der Historiographie der Aufklärungszeit bis vor<br />

kurzem ignoriert wurden. Die Rolle der Scharlatane im religionsgeschichtlichen<br />

Wandel während der Aufklärungszeit nimmt Konturen an, wenn zum einen ihre<br />

Ausgrenzung – die öffentliche Feststellung, einem Schwindler aufgesessen zu<br />

sein – nicht als ein Lackmustest über den gesunden Menschenverstand, sondern<br />

als soziale Diskursstrategie begriffen wird; und wenn zum anderen ihre Aufstiege<br />

in den Blick genommen werden, in die religiöse und gesellschaftliche Erwartungen<br />

gestalterisch eingreifen und Symbol- und Handlungsrepertoires erzeugen.<br />

Hierbei geht es in „schwärmerischen“ Kreisen nicht nur um esoterische Lehren<br />

oder Blicke ins Jenseits, sondern auch um Menschenbilder und Gesellschaftsprojekte.<br />

Über die Charakterisierungen der Scharlatane werden konträre Positionen<br />

zu diesen Entwürfen verhandelt – ein Diskurs, der auf die theologischen Positionen<br />

zurückwirkt. Als Material dienen zwei kurze Fallstudien zum „Grafen“<br />

Alessandro Cagliostro (1743–1795 ) und zum „Genieapostel“ Christoph Kaufmann<br />

(1753–1795).<br />

Julian Strube: Ein neues Christentum – Die Suche nach einer wissenschaftlichen<br />

Vernunftreligion im postrevolutionären Frankreich<br />

Aufklärerische Gedanken schlugen sich 1793 in dem revolutionären „Kult der<br />

Vernunft“ nieder, auf den wenig später der „Kult des Höchsten Wesens“ folgte.<br />

Dieser Versuch, das Christentum durch einen „vernünftigen Kult“ zu ersetzen,<br />

hatte trotz seiner Kurzlebigkeit dauerhafte Nachwirkungen. Die auf Napoleons<br />

pragmatische Annäherung an die Kirche folgende Religionspolitik des immer<br />

wieder durch neue Revolutionen zerrütteten Frankreichs zeichnete sich durch<br />

eine Wechselhaftigkeit aus, die die andauernde Ungewissheit über den Platz von<br />

Religion in der Gesellschaft widerspiegelt. Frühsozialistische Kreise, deren tiefe<br />

Religiosität heute kaum noch wahrgenommen wird, reagierten auf diese<br />

Spannungen. Das Christentum sollte nicht etwa vernichtet, sondern durch die<br />

sozialistische Lehre überhaupt erst verwirklicht werden: Jesus habe schließlich<br />

nichts anderes als den Kommunismus gepredigt. Die Anhänger von Denkern wie<br />

73


Claude Henri de Saint-Simon (1760-1825), Charles Fourier (1772-1832) oder<br />

Pierre Leroux (1797-1871) waren sich darin einig, dass es nun allerdings einer<br />

dezidiert „wissenschaftlichen“, „vernünftigen“ Lehre bedurfte. Um den katholischen<br />

Priester Félicité de Lamennais (1782-1854) formierte sich indes ein „Neo-<br />

Katholizismus“, dessen Vertreter einen fortschrittlichen, in die Zukunft gerichteten,<br />

liberalen Katholizismus anstrebten. Auch hier verfolgte man das Programm<br />

eines „wissenschaftlichen Katholizismus“, kritisierte aus fideistischer Warte<br />

jedoch die menschliche Vernunft. Von Rom durch zwei Enzykliken verdammt,<br />

wandte sich der davon zutiefst schockierte Lamennais sozialistischen Positionen<br />

zu. Ein Vergleich frühsozialistischer und „neo-katholischer“ Ansichten über<br />

Religion, ihren Platz in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zu den aufstrebenden<br />

Wissenschaften ermöglicht einen aufschlussreichen Einblick in die von Aufklärung<br />

und Revolution geprägten Religionsdiskurse, die bis heute das Verhältnis<br />

von Vernunft, Wissenschaft und Religion bestimmen.<br />

74<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Horst Junginger (München)<br />

Martial Arts und Religion (I)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Einführung: Horst Junginger<br />

Esther Berg: Medien, Martial Arts und materiale Religion: Shaolin Kung Fu<br />

als (religiöse) Praxis der Selbstverwirklichung und -optimierung<br />

Markus Wagner: Taijiquan – eine Kampfkunst, viele Traditionen?<br />

Sixt Wetzler: Kampfkunst als „Weg der Selbstfindung“ – west-östliches<br />

Wunschdenken?<br />

Religiös-weltanschauliche Elemente der sog. Kampfkünste können auf verschiedene<br />

Weise historisch und systematisch untersucht werden. Im Mittelpunkt des Panels<br />

sollen weniger die religionsgeschichtlichen Bezüge der Martial Arts in ihrem<br />

ursprünglichen kulturellen Kontext stehen, als die Veränderungen, die sie auf dem<br />

Weg in den Westen durchlaufen haben. Ähnlich wie beim Yoga und Zen wird auch<br />

die Rezeptionsgeschichte der Martial Arts sehr stark durch den Gegensatz von<br />

Traditionalismus und Modernismus beeinflusst, der sich meistens daran entzündet,<br />

ob man sich auf die wie auch immer verstandenen religiösen Ursprünge oder auf<br />

Wettkampf und Sport konzentrieren soll. Im Panel werden einige Disziplinen und<br />

systematischen Aspekte der Martial Arts vorgestellt und diskutiert. Ein wichtiger<br />

Gesichtspunkt soll dabei das Konzept einer „Religion in Bewegung“ sein, das sich<br />

auf mehreren Ebenen diskutieren lässt. Abgesehen vom allgemeinen religiösen<br />

Wandel und der Migration in den Westen ist „Religion in Bewegung“ den Martial<br />

Arts schon auf der Ebene des Grundwissens eingeschrieben. Sowohl beim Erlernen<br />

der Basics, der Anwendung in spezifischen „Formen“ und beim Sparring werden<br />

Bewegungsmuster nicht nur geübt, sondern nach Maßgabe eines weltanschaulich<br />

begründeten Systems internalisiert bzw. sogar ritualisiert. Das Spektrum religionssystematischer<br />

Themen ist bei den Martial Arts breit gestreut und umfasst Aspekte


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

der Flow- und Grenzerfahrung, des Gesundheits- und Körperwissens, der Psychomotorik<br />

und Performanz und zahlreiche Elemente der für neue religiöse Bewegungen<br />

charakteristischen Transformationsprozesse.<br />

Esther Berg: Medien, Martial Arts und materiale Religion: Shaolin Kung Fu als<br />

(religiöse) Praxis der Selbstverwirklichung und -optimierung<br />

2001 gründet der Shaolin Tempel in Songshan, China, seinen ersten offiziellen<br />

Tochtertempel außerhalb Chinas in Berlin. Seitdem lehren dort Meister und<br />

Mönche Shaolin Kung Fu als „buddhistischer Praxis in Bewegung“ und als<br />

Möglichkeit, sich „geistig und körperlich selbst zu verwirklichen“. In diesem<br />

Vortrag wird der Frage nachgegangen werden, wie die Praxis des Shaolin Kung Fu<br />

durch den Shaolin Tempel Deutschland als „religiöse Praxis in Bewegung“ und als<br />

Techniken der Selbstverwirklichung und -optimierung konstruiert wird. Dabei soll<br />

anhand dieses Fallbeispiels erläutert werden, wie die Praxis von martial arts im<br />

Nexus von Medien, Materialer Religion und transkulturellen Austausch- und<br />

Transformationsprozessen als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung<br />

fassbar gemacht werden kann.<br />

Markus Wagner: Taijiquan – eine Kampfkunst, viele Traditionen?<br />

In meinem Vortrag stelle ich die Kampfkunst Taijiquan (Tai Chi Chuan) in Grundzügen<br />

vor und diskutere sie in ihren religiösen Bezügen: Taijiquan und die<br />

„inneren Kampfkünste“ Chinas werden regelmässig mit dem Daoismus in Verbindung<br />

gebracht: Ein Vergleich Daoistischer Klassiker mit einigen der sogenannten<br />

„Taiji-Klassiker“, die gewöhnlich auf die Ming–Zeit oder später datiert werden,<br />

soll zeigen, inwiefern solche Verbindungslinien innerhalb der älteren Taijiquan-<br />

Tradition(en) nachweisbar sind. In einem weiteren Schritt wird auf die neueste<br />

Entwicklung und moderne Ansichten dessen eingegangen, was gegenwärtig<br />

verbreitet als „klassisch“ angesehen wird. Hier lassen sich deutliche Unterschiede<br />

feststellen, je nachdem ob das Geschichtsbild spirituell orientierter oder das<br />

sportlich-wettkampforientierter Praktizierender oder die in China offiziell vertretene<br />

Sichtweise als Grundlage genommen wird.<br />

Sixt Wetzler: Kampfkunst als „Weg der Selbstfindung“ – west-östliches<br />

Wunschdenken?<br />

Geprägt durch die Rezeption der japanischen Budo-Systeme ist (auch in der<br />

wissenschaftlichen Literatur) häufig die Meinung anzutreffen, „echte“ Kampfkunst<br />

zeichne sich dadurch aus, dass sie über die reine Vermittlung kämpferischen<br />

Wissens hinaus ein Weg der Kultivierung des Geistes und der emotionalen<br />

Ausgeglichenheit sei - eine wesentliche Bedingung für die quasi-religiöse Bedeutung,<br />

die ihr im Leben vieler Anhänger zukommt. In meinem Vortrag möchte<br />

hinterfragen, inwieweit dies der historischen Wahrheit und regionalen Heterogenität<br />

der Kampfkünste entspricht. Den Vorgaben des Panels entsprechend soll<br />

dann vor allem diskutiert werden, welche Bedeutung diesem „Sekundärmythos<br />

75


der Gewaltlosigkeit“ in der westlichen Rezeption und Praxis der asiatischen<br />

Kampfkünste zukommt.<br />

Panelstrang D: ZHG 104<br />

Wolfgang Gantke (Frankfurt/M) und Edmund Weber (Frankfurt/M)<br />

Das Heilige als Problem in der Religionswissenschaft: Fragen und<br />

Perspektiven (II)<br />

<br />

<br />

<br />

Wolfgang Gantke: Das Problem des Heiligen vor dem Hintergrund der<br />

Krise des Naturalismus<br />

Manfred Hutter: Gibt es das „Heilige“ in der Religionsgeschichte des Alten<br />

Orients? Begriffsforschung als Basis systematischer Fragestellungen<br />

Perry Schmidt-Leukel: Die Bedeutung des Heiligen für die Erklärung von<br />

Religion<br />

Panelabstract vgl. S. 64<br />

Wolfgang Gantke: Das Problem des Heiligen vor dem Hintergrund der Krise des<br />

Naturalismus<br />

Die gegenwärtige, in unterschiedlichen Kontexten wahrnehmbare Krise des<br />

Naturalismus bildet den Hintergrund, vor dem ich das Problem des Heiligen im<br />

Sinne einer kritischen Vorverständnisforschung behandeln werde. Nach der<br />

Verabschiedung einer Religionsphänomenologie, die, wie Rudolf Otto, das Heilige<br />

oft undiskutiert vorausgesetzt hatte, konnte sich in der Religionswissenschaft ein<br />

„methodischer Naturalismus“ unbefragt durchsetzen, der heute aufgrund neuer<br />

Grenzerfahrungen, auch in verschiedenen Naturwissenschaften, seinen Selbstverständlichkeitscharakter<br />

verliert. Die Anerkennung der bleibenden Realität<br />

einer nicht-naturalistisch interpretierbaren, unverfügbaren und unergründlichen<br />

Wirklichkeitsdimension erzwingt geradezu eine „neue Offenheit“ für das umstrittene,<br />

vieldeutig interpretierbare und vielleicht voreilig verabschiedete Phänomen<br />

des Heiligen. In meinem Beitrag werde ich zu zeigen versuchen, dass das mit<br />

Misch, Plessner u.a. lebenshermeneutisch gut begründbare und auch interkulturell<br />

verallgemeinerbare Verbindlichnehmen des Unergründlichen in der Wissenschaft<br />

auch wieder ein Ernstnehmen des Problems des Heiligen gestattet. Es ist<br />

„das Prinzip der offenen Frage“, das in der andauernden Diskussion um das<br />

Heilige die undurchschaute Verabsolutierung des „methodischen Naturalismus“<br />

verhindert und einen Methodenpluralismus allererst erlaubt.<br />

76<br />

Manfred Hutter: Gibt es das "Heilige" in der Religionsgeschichte des Alten<br />

Orients? Begriffsforschung als Basis systematischer Fragestellungen<br />

Der Vortrag skizziert in der ersten Hälfte in kurzen Ansätzen verschiedene Begriffe<br />

aus dem alten Anatolien, Mesopotamien und Iran (2. und 1. Jahrtausend<br />

v.u.Z.), die in religiösen Kontexten mit „heilig“ (bzw. „rein“) übersetzt werden<br />

können. Aufbauend auf einer solchen Materialbasis ist danach zu fragen, ob sich


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

daraus ein Allgemeinbegriff „heilig“ als zentrales Charakteristikum verschiedener<br />

antiker Religionen gewinnen lässt oder ob eine Kategorie „heilig“ zwar als<br />

Beschreibungs- und (religiöses) Ordnungselement in einzelnen Religionen sinnvoll<br />

ist, aber wegen der jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen Verortung<br />

dieses Begriffs nur auf den jeweiligen Einzelbereich einer konkreten Religion<br />

angewendet werden kann und sollte.<br />

Perry Schmidt-Leukel: Die Bedeutung des Heiligen für die Erklärung von Religion<br />

Nach Joachim Wach will die Religionswissenschaft „die Religionen erforschen,<br />

verstehen und deuten“. Die Deutung bzw. Erklärung eines Phänomens besteht<br />

im Kern in seiner Rückführung auf entsprechende Gründe und Ursachen. Bei der<br />

Erklärung von Religion und religiösen Phänomenen bieten sich hierfür prinzipiell<br />

zwei verschiedene Wege an: (a) die naturalistische Erklärung durch Rückführung<br />

auf ausschließlich innerweltlich gegebene Gründe und Ursachen und (b) die<br />

religiöse Erklärung durch Rückführung auch auf von den Religionen selbst angenommene<br />

transzendente Gründe und Ursachen. Will sich die Religionswissenschaft<br />

für beide Erklärungsweisen offen halten, so sind in ihr unterschiedliche<br />

Hypothesen auf ihre jeweilige Erklärungskraft hin zu befragen. Traditionell sind<br />

religiöse Erklärungen nur in der Gestalt solcher Erklärungen gegeben, die einer<br />

bestimmten Religion entstammen und daher alle anderen Religionen aus einer<br />

Außenperspektive betrachten. Weit davon entfernt, die Außenperspektive als<br />

hermeneutisch allein angemessene zu glorifizieren, wurde diese vielmehr von<br />

zahlreichen Pioniere der Religionswissenschaft aufgrund der ihr innewohnenden<br />

Tendenz zur Verzeichnung des religiös Anderen kritisiert. Als Konsequenz strebte<br />

die Religionsphänomenologie nach einer quasi religionsübergreifenden Innenperspektive<br />

(metexis). Die Kategorie des Heiligen als ein allen Religionen gemeinsamer<br />

Bezugspunkt spielte dabei eine zentrale Rolle. Das hier vorgestellte Paper<br />

wird für die bleibende Berechtigung dieses Ansatzes argumentieren und dabei<br />

auf einige zeitgenössische Weiterentwicklungen einer solchen religiösen und<br />

zugleich religionsübergreifenden Erklärung von Religion eingehen.<br />

Panelstrang E: ZHG 105<br />

Sandhya Marla (Bochum) und Sabrina Weiß (Bochum)<br />

Die Erforschung von Generationsdynamiken im Kontext von Religion<br />

und Migration<br />

<br />

<br />

<br />

Sandhya Marla: Generationszugehörigkeit als sozio-religiöses Milieu: zum<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl der zweiten Migrantengeneration<br />

tamilischer Hindus in Deutschland<br />

Sabrina Weiß: „Generation building“ im Kontext von Migration und<br />

Religion – koreanische Christen der zweiten Generation in Zeiten des<br />

Umbruchs?<br />

Karin Hitz: Sphären des religiösen Wandels in und rund um islamische(n)<br />

Organisationen in Deutschland<br />

77


Dem Zusammenhang von Religion und generationalen Umbrüchen misst die<br />

französische Soziologin Hervieu-Léger keine geringere Bedeutung zu als das<br />

langfristige Bestehen religiöser Traditionen. Mit Blick auf das Bestehen und die<br />

Entwicklung – oder auch auf die Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten –<br />

des Religiösen im Migrationskontext, wendet das Panel begriffliche und theoretische<br />

Konstrukte der Generationenforschung auf das religionssoziologische<br />

Themenfeld religiöser Migranten-Gemeinschaften an. Somit wird religiöser Wandel<br />

im Zusammenhang mit Generationsdynamiken diskutiert. Das Panel setzt sich mit<br />

folgenden Fragen auseinander: Welche Rolle spielt das Thema „Generation“ im<br />

Kontext von Religion und Migration? Welche theoretischen Generationskonzepte<br />

lassen sich für die empirische Forschung zu Migranten-Gemeinschaften fruchtbar<br />

machen? Welche Rolle spielt das Thema „Generation“ im Kontext von Religion und<br />

Migration aus empirischer Sicht? Und, was zeichnet einen dezidiert religionswissenschaftlichen<br />

Blick auf den Zusammenhang zwischen Religion, Migration und<br />

Generation aus? Diese und ähnliche Fragen werden in den Vorträgen jeweils<br />

verschieden behandelt. Die empirischen Einzelbefunde stehen im Kontext unterschiedlicher<br />

migrierter religiöser Traditionen, vor deren historischen Hintergründen<br />

jeweils eine systematisch-analytische Reflektion stattfinden soll. Konkret werden<br />

Konfliktpotenziale, kollektive Identifikationsmomente und Dynamiken erörtert, die<br />

sich in gegenwartsbezogenen Studien zur Generationenfolge koreanischchristlicher,<br />

tamilisch-hinduistischer und muslimischer Migranten-Gemeinschaften<br />

zeigen.<br />

78<br />

Sandhya Marla: Generationszugehörigkeit als sozio-religiöses Milieu: zum<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl der zweiten Migrantengeneration tamilischer<br />

Hindus in Deutschland<br />

Tamilische Hindus aus Sri Lanka bilden in Deutschland die größte südasiatische<br />

Diaspora-Gemeinschaft und zudem die engagierteste Hindu-Gruppierung. Religionswissenschaftliche<br />

Studien (v.a. Baumann/ Luchesi/ Wilke 2003) haben<br />

gezeigt, dass die hinduistische Religiosität für die Auswanderungsgeneration einen<br />

maßgeblichen Identitäts- und Integrationsfaktor darstellt/e. Rund 30 Jahre<br />

nach den ersten Fluchtwellen aus Sri Lanka ist eine breite zweite Generation<br />

herangewachsen. Fraglich ist, welche Rolle hinduistische Traditionen in ihrem<br />

Leben spielen und ob die Religiosität etwas ist, was sie als Gemeinschaft zusammenhält.<br />

Der Vortrag beleuchtet die Rolle, die die hinduistische Religionskultur in<br />

der Diaspora für ein kollektives Zusammengehörigkeitsgefühl spielt. Als Grundlage<br />

zu einer religionswissenschaftlichen Reflexion eines Generationskonzeptes<br />

dienen dabei Mannheims wissenssoziologische Überlegungen. Er sieht in der<br />

Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation über die naturgegebene Zugehörigkeit<br />

zu einer bestimmten Jahrgangskohorte hinaus mehr, nämlich eine soziale<br />

Dimension. Er geht davon aus, dass Individuen immer schon in eine übergeordnete<br />

Dynamik historischer Prozesse eingebunden sind, die zur Verinnerlichung<br />

kollektiv geteilter und handlungsleitender Wissensbestände führt. Es zeigte sich<br />

in meinem Material, dass tamilische Hindus der zweiten Generation in einem


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

religions- und kulturspezifischen Milieu aufwachsen, dass sich deutlich von der<br />

mehrheitsgesellschaftlich dominierten Umwelt unterscheidet. Im Vortrag soll<br />

anhand von exemplarischen Analysebeispielen nachvollzogen werden, was<br />

hindu-tamilische Generationszusammenhänge auszeichnet.<br />

Sabrina Weiß: „Generation building“ im Kontext von Migration und Religion –<br />

koreanische Christen der zweiten Generation in Zeiten des Umbruchs?<br />

Mit „Das Problem der Generation“ hat Karl Mannheim nachhaltig die methodische<br />

und theoretische Konzeptionierung der Generationenforschung geprägt.<br />

Mit seiner Arbeit entwickelte er eine Möglichkeit der Darstellung gesellschaftlicher<br />

Veränderungen – jenseits von biologistischen Gesellschaftstheorien. Sein<br />

historisches Ordnungsmodell versucht durch die Berücksichtigung der Generationenzugehörigkeit<br />

historische Wandlungsprozesse greifbar zu machen. Dennoch<br />

ist sein theoretisches Modell ein Kind seiner Zeit. Aus heutiger Perspektive wird<br />

deutlich, dass es sich dabei um einen Generationenentwurf handelt, der auf ein<br />

bestimmtes geschlechtshierarisches, nationales, kulturell begrenztes und soziale<br />

Eliten fokussierendes Gesellschaftsbild fußt. Für die religionswissenschaftliche<br />

Auseinandersetzung mit Generationstheorien im Kontext von Migration und<br />

Religion scheint es nun fruchtbar zu sein, den Generationsbegriff als eine erfahrungsgeschichtliche<br />

Kategorie zu verstehen. Denn Dynamiken, Konflikte und<br />

Wandlungsprozesse, wie sie am Beispiel einer empirischen Forschung zu koreanischen<br />

Christen in NRW aufgezeigt werden soll, erscheinen im Zusammenhang<br />

der Generationenfrage fruchtbarer analysiert werden zu können, wenn sie unter<br />

Aspekten der Kommunikation (z.B. in Form von ritueller Praxis oder religiös motivierter<br />

Diskurse) betrachtet werden. Welche Identifikationspunkte sind für die<br />

zweite Generation koreanischer Christen bedeutend, die dazu führen, dass sie<br />

sich nicht nur als gyopo (Menschen, die außerhalb der Heimat Korea leben und<br />

den Kontakt zu ihren koreanischen Wurzeln verloren haben) bezeichnen,<br />

sondern sich einer Generation zugehörig fühlen, die weder „deutsch“ noch<br />

„koreanisch“ ist? Und welche Folgen hat das Generationsverständnis für Wandlungsprozesse<br />

und Dynamiken innerhalb der koreanisch-christlichen Gemeinden,<br />

die derzeit noch mehrheitlich von der „ersten Generation“ dominiert werden?<br />

Mit diesen Fragen will sich der Beitrag auseinandersetzen und sich der Diskussion<br />

einer Verbindung generationstheoretischer Konzepte mit der empirischen Religionsforschung<br />

stellen.<br />

Karin Hitz: Sphären des religiösen Wandels in und rund um islamische(n)<br />

Organisationen in Deutschland<br />

Ausgehend von empirischen Befunden thematisiert der Vortrag Konzepte,<br />

welche zur Generierung von Wissen über Religionswandel, Generation und<br />

Migration beitragen können. Thematisch wird dabei aus der Forschung über engagierte<br />

Muslime in Deutschland geschöpft, welche jeweils selbst unterschiedlichen<br />

Generationen zuordenbar sind und in inhaltlich diversen Bereichen aktiv<br />

sind. Die Sphären des religiösen Wandels beziehen sich dabei auf die organisationale<br />

Ebene (Grad der Institutionalisierung, Geschichte der Organisation, inhalt-<br />

79


liche Ausrichtung), auf die familiale Ebene (intergenerationale Dynamiken innerhalb<br />

der Familie, Migrationsaspekte) sowie auf die subjektiv-psychologische<br />

Ebene (Verhaltensweisen, Verarbeitungsstrategien). Ein besonderer Fokus wird<br />

dabei auf Handlungsopportunitäten und Restriktionen gelegt, welche aus<br />

verschiedenen Situationen und Interaktionen resultieren. Konkret zeigt sich, dass<br />

es beispielsweise in Moscheegemeinden zu Situationen kommt, in denen sich<br />

Angehörige jüngerer Generationen nicht mehr mit den Vorständen identifizieren<br />

können und sich je nach dem in Passivität zurückziehen, in Konfrontation treten<br />

oder aus der Gemeinde ausscheiden und eigene Initiativen gründen.<br />

80<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Zubair Ahmad (Frankfurt/M)<br />

Whence and Whither? Religionswissenschaft, Europäischer<br />

Kolonialismus und die Interventionen Postkolonialer Studien (I)<br />

<br />

<br />

Alicia M. Turner: Constructing and Contesting ‘Religion’ in Colonial<br />

Contexts<br />

Humeira Iqtidar: Islamism, Secularism and Secularisation: Categories and<br />

Historical Trajectories<br />

In den letzten Jahren hat der akademische Diskurs in Deutschland ein verstärktes<br />

Interesse an Postkolonialen Theorien gezeigt. Auch wenn die hierbei zur Geltung<br />

kommenden postkolonialen Studien noch lange nicht als etabliertes Forschungsfeld<br />

gelten können, ist ihre Relevanz für verschiedene Wissenschaften immer wieder<br />

erörtert und betont worden. Ausgehend von vergangenen und gegenwärtigen<br />

Auswirkungen des Kolonialismus haben wissenschaftliche Disziplinen wie Soziologie,<br />

Politikwissenschaft, Philosophie, Anthropologie, Ethnologie, Orientalistik,<br />

Islamwissenschaft, Literaturwissenschaft oder Geschichtswissenschaft das (innerwie<br />

auch äußer-)disziplinäre Fortbestehen und Nachwirken einer Vielzahl von<br />

Beziehungen und Effekten kolonialer Herrschaft thematisiert und herausgearbeitet.<br />

Im Verhältnis zu anderen empirischen Kulturwissenschaften hat sich die Religionswissenschaft<br />

bisher besonders schwer getan, in eine Auseinandersetzung mit dem<br />

Feld der Postkolonialen Studien zu treten. Gleichzeitig ist aber auch deutlich<br />

geworden, dass die Kategorie der Religion im Rahmen der Postkolonialen Studien<br />

selbst einen blinden Fleck darstellt und der Faktor Religion sowohl im Rahmen der<br />

Analyse kolonialer Imagination und Herrschaftspraxis als auch im Kontext des antikolonialen<br />

Widerstands und postkolonialer Identitätskonstitution häufig unberücksichtigt<br />

geblieben ist. Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen des Panels versucht<br />

werden, zu einer postkolonial informierten Reflexion der Religionswissenschaft und<br />

ihrer Begrifflichkeiten, Kategorien, Theorien und Methoden beizutragen. Aus<br />

welchem Kontext stammen die gängigen religionswissenschaftlichen Konstrukte<br />

und Theorien und was ist in sie eingeschrieben? Inwiefern müssen Grundkonzepte<br />

der Religionswissenschaft in Frage gestellt werden? Welche Gegenstände und<br />

welche Methoden sind vor dem Hintergrund postkolonialer Kritik vertret- bzw.<br />

sinnvoll verwendbar? Konzipiert man die (religions-)wissenschaftliche Forschung als


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Teil eines Herrschaftsdiskurses, wie es die Postkolonialen Studien seit Edward Said<br />

tun, lassen sich nicht nur gängige Fragestellungen und Herangehensweisen<br />

problematisieren, sondern auch weitergehende epistemologische Fragen stellen:<br />

Zum Beispiel nach dem Verhältnis von systematischer Reflexion des Subjekts zur<br />

objektiven Eingebundenheit in Macht-/Wissenskomplexe. Mit postkolonialer Kritik<br />

lässt sich ferner der Einfluss eruieren, den (westliche) Begriffe und Konzepte auf<br />

ihren Untersuchungsgegenstand und somit auf die soziale Wirklichkeit hatten und<br />

haben. In welchen Kontext schreiben sich aktuelle empirische Befunde ein? Im<br />

zweiten Panelslot soll es spezifisch um die deutsche bzw. deutschsprachige Religionsforschung<br />

gehen: Zu diskutieren sind die Bedeutung postkolonialer Kritik für<br />

den deutschen Kontext; welche Themen, Debatten und Konzepte können oder<br />

müssen in Frage gestellt werden bzw. sind sinnvoll mit einer postkolonial informierten<br />

Herangehensweise zu bearbeiten? Empirische Forschungsarbeiten und<br />

deren Erkenntnisse sowie deren Rückwirkung auf die Konzeption von Religion und<br />

Religionswissenschaft sollen hier diskutiert werden.<br />

Alicia M. Turner: Constructing and Contesting ‘Religion’ in Colonial Contexts<br />

Critiques of the category of religion well predate the advent of post-colonial<br />

studies in the academic study of religion. Jonathan Z. Smith warned over three<br />

decades ago that,<br />

"Religion is solely the creation of the scholar’s study. It is created for the<br />

scholar’s analytic purposes by his imaginative acts of comparison and<br />

generalization. Religion has no independent existence apart from the<br />

academy. For this reason, the student of religion, . . . must be relentlessly<br />

self-conscious. Indeed, this self-consciousness constitutes his primary expertise,<br />

his foremost object of study” (Jonathan Z. Smith, Imagining Religion:<br />

From Babylon to Jonestown (Chicago: University of Chicago Press, 1982), xi).<br />

Recent scholarship on ‘religion’ and colonialism would challenge Smith’s assertion<br />

that only scholars imagine and invent religion or imbue it with classificatory<br />

and disciplinary power. Many others had a stake in the definition and<br />

redefinition of ‘religion’ in the colonial context. Whether as a limitation on state<br />

authority, a potential medium for colonial governmentality or resistance to state<br />

interventions, colonizers and colonized alike were invested in the messy work of<br />

defining and questioning ‘religion’ in its local manifestation. If contesting<br />

religious traditions themselves was about contesting the nature of the world and<br />

its social organization, contesting the category of religion was about challenging<br />

the terms of cross-cultural interpretation and colonial power. And yet, careful<br />

observation of colonial conflicts and confrontations, their strategies for defining<br />

and at times defying religion can provide good training for the relentless<br />

self-consciousness that Smith requires of us as scholars of religion. Noting, not<br />

just that religion was not fixed or universal, but how definitions shifted and were<br />

critiqued in practice and what was at stake in these maneuvers can tell us<br />

81


something more about the careful and fraught game we play when we set out to<br />

study phenomenon we label religious.<br />

Humeira Iqtidar: Islamism, Secularism and Secularisation: Categories and<br />

Historical Trajectories<br />

11:15 – 12:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Jens Schlieter (Bern) und Christoph Bochinger (Bayreuth)<br />

Empirische Religionsforschung und die Bestimmung von Religion (II)<br />

<br />

<br />

<br />

Andrea Rota: Bestimmungskriterien von Formen religiöser und säkularer<br />

Vergemeinschaftung<br />

Johannes Quack: Religion und das religionsbezogene Feld: Zur<br />

Gegenstandsbestimmung der Religionswissenschaft<br />

Christoph Bochinger und Katharina Frank: Auf dem Weg zu einer empirisch<br />

gegründeten Religionstheorie<br />

Panelabstract vgl. S. 69<br />

Andrea Rota: Bestimmungskriterien von Formen religiöser und säkularer<br />

Vergemeinschaftung<br />

Die gemeinschaftsstiftende Funktion der Religion und die Formen der religiösen<br />

Vergemeinschaftung gehören zu den grundlegenden empirischen und theoretischen<br />

Problemen der klassischen Religionssoziologie. Jüngere Ansätze reflektieren<br />

über die neuen Formen des kollektiven religiösen Lebens (z.B. Hero 2010).<br />

Mit der zu beobachtenden Auflösung des religiösen Feldes (Bourdieu 1987)<br />

werden jedoch die Grenzen zwischen religiösen und nicht-religiösen Institutionen<br />

unscharf. Dieser Prozess stellt somit die Frage nach den Bestimmungskriterien<br />

von Formen religiöser und säkularer Vergemeinschaftung. Der Panelbeitrag will<br />

gegenwärtige Definitionen der (Religions)Gemeinschaft erörtern und auf ihr<br />

(implizites oder explizites) Religionsverständnis eingehen.<br />

82<br />

Johannes Quack: Religion und das religionsbezogene Feld: Zur<br />

Gegenstandsbestimmung der Religionswissenschaft<br />

Es ist naheliegend, als Untersuchungsgegenstand der Religionswissenschaft<br />

„Religion“, Religionen oder bestimmte Aspekte und Formationen innerhalb eines<br />

religiösen Feldes bzw. verschiedener religiöser Felder anzuführen. Dieser Beitrag<br />

argumentiert, dass darüber hinaus Phänomene in den Blick genommen werden<br />

sollten, die gemeinhin nicht als religiös gelten mögen, jedoch gleichzeitig zentral<br />

mit einem religiösen Feld verbunden sind und deren Beschreibung und Analyse<br />

somit auch auf deren Verhältnis zu „Religion“ bzw. Religionen eingehen sollte. In<br />

Anlehnung an Pierre Bourdieu kann argumentiert werden, dass Phänomene und


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Akteure desto eher als Untersuchungsgegenstand in Frage kommen, je mehr und<br />

je stärker sie Feldeffekte produzieren oder erfahren. Diesem Ansatz zufolge ist<br />

die Religionswissenschaft selbst Bestandteil eines religionsbezogenen Feldes und<br />

kann folglich zum eigenen Untersuchungsgegenstand gezählt werden. Eine<br />

daraus abzuleitende Aufgabe der Religionswissenschaft ist es zu untersuchen,<br />

wie die Grenzen des religiösen (und damit auch des religionsbezogenen) Feldes<br />

von der Religionswissenschaft und anderen Akteuren bestimmt und ausgehandelt<br />

werden. Darauf aufbauende Unterscheidungen von „legitimen und nicht<br />

legitimen Gegenständen der Religionswissenschaft“ (Schlieter 2010: 42)<br />

ergänzen die Debatte um die Definition von „Religion“ bzw. die Grenzen eines<br />

religiösen Feldes um Analysen religionsbezogener Positionierungen. Unter<br />

Einbeziehung empirischer Studien versucht dieser Beitrag aufzuzeigen, wie auf<br />

diese Weise der alten Debatte um ein religionswissenschaftliches Selbstverständnis<br />

eine neue Dynamik verliehen werden kann.<br />

Christoph Bochinger und Katharina Frank: Auf dem Weg zu einer empirisch<br />

gegründeten Religionstheorie<br />

Neben der Theorie und Methodologie der Religionswissenschaft ist auch die<br />

Theorie der Religion als Aufgabe einer systematischen oder theoretischen Religionswissenschaft<br />

von zentraler Bedeutung. In der Vergangenheit haben sich<br />

ReligionswissenschaftlerInnen im Zuge der Abwendung von den Essenzialismen<br />

der Religionsphänomenologie einer Definition von Religion aus bekannten<br />

Gründen oft entweder völlig enthalten oder sich stattdessen auf eine Dimensionalisierung<br />

von Religion oder Religiosität beschränkt.<br />

Spätestens wenn man Religionen mit sozialwissenschaftlichen Methoden untersuchen<br />

will, ist eine konkrete Bestimmung von Religion und ihre Unterscheidung<br />

von „Nicht-Religion“ und „Nicht-Religiosität“ – jeweils im Sinne einer Arbeitsdefinition<br />

für einen bestimmten Kontext – erforderlich. Sie sollte selbst empirisch<br />

verankert sein, wozu besonders die qualitative Sozialforschung in der Tradition<br />

der Grounded Theory gute Möglichkeiten bietet. Aus religionswissenschaftlicher<br />

Sicht ist es dabei entscheidend, sowohl die Verschiedenheit der religiösen<br />

Symbolsysteme als auch die ihrer jeweiligen historischen und gesellschaftlichen<br />

Kontexte zu thematisieren: In modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften ist<br />

„Religion“ offensichtlich anders zu bestimmen als in Kontexten, wo dies nicht der<br />

Fall ist.<br />

In unserer Präsentation schlagen wir, ausgehend von empirischen Untersuchungen<br />

zur religiösen Gegenwartskultur in der Schweiz und in Deutschland, eine<br />

empirisch tragfähige Bestimmung von Religion in modernen Kontexten vor. Darauf<br />

aufbauend, wird im Anschluss an sozialwissenschaftliche Theoriebildungen<br />

(Talcott Parsons) ein allgemeines Forschungskonzept zur Bestimmung von Religion<br />

in drei Aspekten (Religiöser Symbolbestand, religiöse Gemeinschaft und<br />

individuelle Religiosität) vorgeschlagen und konkret in ihren Wechselwirkungen<br />

thematisiert. Die Diskussion darüber ermöglicht sowohl eine bessere Strukturierung<br />

spezifisch religionswissenschaftlicher Fragestellungen und Erkenntnisinteressen<br />

als auch eine Abgrenzung von anderen religionsbezogenen Fächern.<br />

83


Panelstrang B: ZHG 102<br />

Marvin Döbler (Bremen)<br />

Ideologien der Religionswissenschaft<br />

<br />

<br />

<br />

Marvin Döbler: ‚Wahrheit und Methode‘ revisited – ein<br />

Religionswissenschaftler im Gespräch mit Hans-<strong>Georg</strong> Gadamer<br />

Ilinca Tanaseanu-Döbler: Religiöse Religionswissenschaftler: Formen<br />

moderner Intellektuellenreligiosität<br />

Moritz Deecke: Das Verhältnis von Religion und Wissenschaft im Hinblick<br />

auf die Religionswissenschaft<br />

Wissend, dass Nicht-Normativität erkenntnistheoretisch unmöglich ist (verwiesen<br />

sei nur auf Gadamers „Wahrheit und Methode“), stellt sich Religionswissenschaft<br />

unter den Anspruch, nicht-normativ sein zu wollen, wie Oliver Freiberger das<br />

einmal beschrieben hat. Damit soll sie sich von der christlichen Theologie oder<br />

religiösen Expertendiskursen anderer Religionen unterscheiden, und so lässt sich<br />

auch ein spezifisch religionswissenschaftlicher Diskurs begründen.<br />

Allerdings sind so zwei Dimensionen von Normativität zumindest denkbar, mit<br />

denen sich die Religionswissenschaft auseinandersetzten muss: sie muss immer<br />

wieder (1) die disziplinären Grundlagen des Erkennens und ihre Hermeneutik auf<br />

unterliegende Ideologien, Vorurteile und -annahmen prüfen. Sie muss sich aber<br />

auch (2) kritisch prüfen, wie sie als Player auf dem religiösen Feld agiert, wenn sie<br />

sich in gesellschaftliche Diskurse einbringt, die von Religionsgemeinschaften<br />

geführt werden. Der zweite Punkt ist im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche<br />

Debatten besonders relevant, man denke an die Zukunft des Religionsunterrichts,<br />

die Konkurrenzsituation um Ausstattung der Religionswissenschaft im Verhältnis zu<br />

den Theol. Fakultäten sowie Beratungs- und Gutachtertätigkeiten für Parteien oder<br />

politische Institutionen - inzwischen Betätigungsfelder der Religionswissenschaft in<br />

Deutschland. Ein weiterer Fall ist ebenfalls denkbar: (3) was passiert, wenn Religionswissenschaftler<br />

beginnen, Religion zu designen und sich so in den Gegenstandsbereich<br />

begeben?<br />

84<br />

Marvin Döbler: ‚Wahrheit und Methode‘ revisited – ein Religionswissenschaftler<br />

im Gespräch mit Hans-<strong>Georg</strong> Gadamer<br />

Vor etwas mehr als 50 Jahren erschien Hans-<strong>Georg</strong> Gadamers „Wahrheit und<br />

Methode“. Im Angesicht der Vorherrschaft der Naturwissenschaften ringt<br />

Gadamer um eine Grundlegung der Geisteswissenschaft als Verstehenswissenschaft.<br />

Welche Impulse kann ein revisit bei Gadamer der Religionswissenschaft<br />

geben, die eine Vielzahl von Zugängen zu ihrem Gegenstandsbereich aufgegriffen<br />

hat, naturwissenschaftliche (z.B. cognitive religion), (wissens-)soziologische (z.B.<br />

rekonstruktive Sozialforschung) und philologische? Das Referat soll zugleich in<br />

das Panel einführen.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Ilinca Tanaseanu-Döbler: Religiöse Religionswissenschaftler: Formen moderner<br />

Intellektuellenreligiosität<br />

Wie konstruieren Religionswissenschaftler ihre eigene Religiosität und wie setzen<br />

sie diese explizit und implizit in Beziehung zur religionswissenschaftlichen Arbeit<br />

und zu anderen religiösen Traditionen? Gibt es Unterschiede zwischen der<br />

Religiosität eines Religionswissenschaftlers und der „Professorenreligiosität“<br />

(Gladigow) anderer Religionsforscher in benachbarten Disziplinen? Diese Fragen<br />

sollen anhand eines Vergleichs zwischen Mircea Eliade und dem Altphilologen<br />

Peter Kingsley diskutiert werden.<br />

Moritz Deecke: Das Verhältnis von Religion und Wissenschaft im Hinblick auf die<br />

Religionswissenschaft<br />

In der Vergangenheit wurde in der Religionswissenschaft das grundlegende<br />

Verhältnis der beiden Bestandteile des Kompositums Religionswissenschaft in<br />

der Weise eines einfachen Bezuges konstruiert: In der Religionswissenschaft<br />

lenkt Wissenschaft ihren Blick untersuchend auf Religion. Dies konnte dadurch<br />

begründet werden, dass grundsätzliche und allgemeine Unterscheidungen<br />

zwischen Religion und Wissenschaft möglich sind. Notwendig wurde diese<br />

Begründung vor dem Hintergrund, sich durch eine klare Unterscheidbarkeit von<br />

Meta- und Objektebene vor Vereinnahmung (z.B. von Seiten christlicher Theologie,<br />

politischen Akteuren mit „Heilsbotschaften“) zu schützen. Diese Ausrichtung<br />

kann vor ihrem zeitlichen Entstehungshintergrund verstanden werden und hat<br />

der Religionswissenschaft wichtige Impulse gegeben. Es lässt sich jedoch heute<br />

feststellen, dass diese klaren Distinktionen vor dem sich verschiebenden zeitgeschichtlichen<br />

Hintergrund und einer weitestgehend emanzipierten Religionswissenschaft<br />

zunehmend obsolet werden. Dadurch geraten die Brüchigkeit dieser<br />

Konstruktion und die sie motivierenden gesellschafts- und fachpolitischen<br />

Interessen zunehmend in den Blick der Kritik. In diesem Beitrag möchte ich mich<br />

daher auf die inhaltlichen Ähnlichkeiten und formalen Identitäten von Religion<br />

und Wissenschaft konzentrieren. Aus diesem Vorgang ergibt sich eine Konzeption<br />

von Religionswissenschaft, deren Grundzug nicht mehr in der einseitigen Fokussierung<br />

von Religion durch die Religionswissenschaft besteht, sondern als deren<br />

methodologische Grundbewegung die Thematisierung des Wechselverhältnisses<br />

von Religion und Wissenschaft in einer Weise vollzogen wird, die den Blick auf<br />

sich selbst in ihrer Konzeption als Religions-Wissenschaft mit einschließt. So wird<br />

ein Zugang eröffnet, der die voreilige Gleichsetzung von Wissenschaftlichkeit mit<br />

Säkularität umgeht und ein höheres Maß an Selbstreflexivität mit sich bringt.<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Horst Junginger (München)<br />

Martial Arts und Religion (II)<br />

<br />

Horst Junginger: The way of doing things: Martial Arts „Formen“ am<br />

Beispiel der Karatekata<br />

85


Wolfgang Fanderl: Jigorō Kanō (1860-1938), Bildungspolitiker und<br />

Begründer des modernen Judo<br />

Panelabstract vgl. S. 74<br />

Horst Junginger: The way of doing things: Martial Arts „Formen“ am Beispiel der<br />

Karatekata<br />

Im Karate und anderen japanischen Kampfkünsten werden Bewegungsabläufe<br />

nach vorgegebenen Regeln bzw. Übungsformen mit einem imaginierten Gegner<br />

Kata genannt. Sie dienen der Schulung der Grundtechniken, werden aber auch<br />

als ein geistiges Konzept des richtigen Tuns auf Grundlage der überlieferten<br />

Tradition verstanden. Manche, wie Boyé Lafayette De Mente, sehen in der<br />

„Kataisierung“ Japans (the shikata of being Japanese) das Charakteristikum der<br />

japanischen Gesellschaft insgesamt. Die Betonung der geistigen Dimension des<br />

Karate geht oft mit der Neigung einher, den Kampfkünsten eine innere oder<br />

sogar esoterische Bedeutung beizumessen. Kata-typische Bewegungsmuster<br />

finden sich auch in Tanz- und Theaterformen wie Kabuki oder Nō und können<br />

möglicherweise in einen übergeordneten systematischen Zusammenhang<br />

gebracht werden. Es liegt nahe, die „Formen“ der Martial Arts unter dem<br />

Gesichtspunkt der Sequenzierung und Ritualisierung zu betrachten. Dabei drängt<br />

sich die Frage nach der Verbindung von Sinn und Form in den Vordergrund: Ist<br />

der Formwandel eher Bedrohung oder Bereicherung für die Tradition?<br />

86<br />

Wolfgang Fanderl: Jigorō Kanō (1860-1938), Bildungspolitiker und Begründer des<br />

modernen Judo<br />

Kanōs Sportphilosophie ist bestimmt von seinen in der späten Meiji- und frühen<br />

Taishō-Zeit gefestigten Vorstellungen. Dabei spielt die nationalistische Ideologie<br />

eine untergeordnete Rolle, zumal er sich im Laufe der Zeit noch mehr von dieser<br />

distanzierte. Gerade die religiöse Dimension von Begriffen wie shinkoku, yamato<br />

damashii oder der Tennō-Ideologie befand sich im Widerspruch zu Kanōs Morallehre.<br />

Anders verhielt es sich bei seinem Zeitgenossen Ueshiba Morihei (1883-<br />

1969), der unter dem Einfluss von Onisaburō Deguchi (1871-1948), dem Mitbegründer<br />

der Ōmoto-Kyō, das Aikidō (Aikijutsu) in einen ultranationalistischen und<br />

pseudoreligiösen Zusammenhang stellte. Das Judo hat sich in seiner Entwicklungsgeschichte<br />

mehrfach verändert. Da heute eine rein sportliche Betrachtungsweise<br />

einer allgemein verbreiteten Erwartungshaltung widerspricht,<br />

werden Mythen bemüht und in vermeintlich abgeschlossenen Gruppierungen<br />

wiederbelebt bzw. neu arrangiert. Einen nicht unmaßgeblichen Anteil daran hat<br />

die weltweite Kataszene, die durch die Anwendung formalisierter Techniken, die<br />

ursprünglich nur eine spezielle Übungsform in einem Gesamtkontext darstellten,<br />

eine Ritualisierung herbeizuführen sucht. Parallel dazu hat sich im Zuge des<br />

vermeintlichen Werteverfalls ein gemeinsames Projekt des Kodokan und der<br />

All-Japanischen Judo Föderation (AJJF), Judo no runessansu (Die Renaissance des<br />

Judo), gebildet, um die Versportlichung einzudämmen und sich wieder mehr auf


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

die ursprünglichen Ideen und Ideale Jigorō Kanōs zu besinnen und so zu einem<br />

„authentischen“ Judo zurückzufinden.<br />

Panelstrang D: ZHG 104<br />

Michaela Mross (<strong>Göttingen</strong>)<br />

Interreligiosität/Transreligiosität in religionswissenschaftlicher<br />

Perspektive<br />

<br />

<br />

<br />

Sandra Schaub: Dialog der Weltreligionen – Der Gottesbegriff und seine<br />

zeichendidaktischen Möglichkeiten im interreligiösen Diskurs von<br />

Judentum, Christentum und Islam<br />

Stamatios Gerogiorgakis: Belief revision und interreligiöser Dialog<br />

Assia Harwazinski: Religious Views From the Bottom: Lessons from a<br />

Teaching Experience in Multicultural Classes<br />

Sandra Schaub: Dialog der Weltreligionen – Der Gottesbegriff und seine<br />

zeichendidaktischen Möglichkeiten im interreligiösen Diskurs von Judentum,<br />

Christentum und Islam<br />

Der Gottesbegriff oder die Rede von ´Gott` könnte eine, in allen drei Offenbarungsreligionen<br />

(Judentum – Christentum – Islam) vorkommende, Ausgangslage<br />

bilden. Grundsätzlich ist es „das Anliegen des Monotheismus …, dass man Gott in<br />

den verschiedenen Erscheinungsweisen, die nicht identisch sein müssen und in<br />

den unterschiedlichen Situationen des Lebens und der Geschichte als denselben<br />

wiedererkennt.“ (Antes 1990, S. 32) Jedoch ist das Gottesbild eines monotheistischen,<br />

allmächtigen Gottes des AT, der nach eigenem Belieben irgendwo im<br />

Himmel schaltet und waltet, auf einen theistischen und personalen Gott des NT,<br />

mit und über den Schüler und Schülerinnen reden dürfen, zeitgemäß und kindgemäß<br />

anzupassen. Daher ergibt sich also m.E. die Forderung, anders von ‚Gott‘<br />

– von einer anti-realistischen Perspektive (Abel 1988) aus – zu reden (Brändle<br />

2001). Bei der Rede von ´Gott` wird davon ausgegangen, dass mit dem, was wir<br />

inhaltlich sagen, immer auch auf ein Etwas (Gegenstand, Objekt, o.ä.) Bezug<br />

genommen wird. Dabei handelt es sich erst einmal um das Zustandekommen<br />

eines Erlebnisses, bei dem „einer oder mehrere unserer Sinne gereizt werden<br />

und dass die dadurch hervorgerufenen Nervenprozesse in einer Weise gedeutet<br />

und ergänzt werden, die durch die ganze Reizsituation bedingt ist.“ (Sundén<br />

1966. S. 3) Anhand eines Motivmusters – wie auch immer geartet es sein mag –<br />

kann innerhalb eines bestimmten Referenzrahmens ein Erlebnis fixiert, gedeutet<br />

und ergänzt werden. Dies geschieht über die Sprache, die sämtlichen Handlungsformen<br />

vorgeschaltet ist. „Sprache ist ein strukturierter Handlungsbereich;<br />

Sprechen ist regelgeleitetes Handeln. Deshalb kann man nach Sprachformen<br />

(Wittgenstein 1999) des Glaubens fragen.“ (Zirker 1985. S. 138)<br />

87<br />

Stamatios Gerogiorgakis: Belief revision und interreligiöser Dialog


88<br />

Die gegenwärtige Lage in der kulturwissenschaftlichen Forschung zeigt, dass der<br />

Schwerpunkt der meisten Studien in puncto interreligiöser Dialog bei der Empirie,<br />

nicht bei der Theorie liegt. In der Religionswissenschaft, der Geschichte und<br />

der Ethnologie wird die Übertragung von Gedankengut von einer Quellkultur zu<br />

einer Zielkultur bzw. die Annahme neuen Gedankenguts durch die Zielkultur zwar<br />

rege, allerdings anhand der Ergebnisse, nicht anhand des Prozesses erforscht. Da<br />

gerade der Prozess von der rationalen Struktur von Religionsgesprächen zeugen<br />

muss, bleiben rationale Momente des Prozesses der Überzeugungsänderung und<br />

Überzeugungsfestigung in der kulturwissenschaftlichen Wissenstransferforschung<br />

außer Acht. Dessen ungeachtet erscheint der interreligiöse Dialog<br />

einer breiten Öffentlichkeit immer interessanter und erstrebenswerter. Auf<br />

welchen Grundlagen werden aber Appelle zu einem Dialog laut, wenn von Seiten<br />

der kulturwissenschaftlichen Religionsforschung ausgeschlossen wird, dass<br />

Einstellungs- und Überzeugungsänderungen nicht durch Dialog herbeigeführt<br />

werden? Wenn ferner die neueste religionsphilosophische Forschung von der<br />

Logik religiöser Überzeugungen her mit diesem Resultat übereinstimmt? Die<br />

geschilderte Lage der historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung zur<br />

Überzeugungsänderung und -festigung motiviert mich dazu, die Überzeugungsänderung<br />

(im Sinn von religiösen Überzeugungen kann hier von Konversion die<br />

Rede sein) als Resultat eines Religionsdialogs bzw. Überzeugungsfestigung trotz<br />

eines Religionsdialogs zu betrachten. Dabei möchte ich den interreligiösen Dialog<br />

als einen rationalen Prozess auffassen, der mit Hilfe der belief-revision-theory<br />

analysiert werden kann. Das Instrumentarium der belief-revision-theory kann im<br />

religiösen Kontext folgendermaßen nützlich gemacht werden: In deduktiv nichtabgeschlossenen<br />

Systemen wie Religionen gibt es neben i) Grundannahmen und<br />

ii) aus Grundannahmen abgeleiteten Sätzen („belief sets“) auch eine Menge von<br />

unabhängigen Positionen (iii), die nicht von (i) oder (ii) abzuleiten sind, ohne dass<br />

es Widersprüche zwischen (i), (ii) und (iii) gibt. Es ist z.B. eine christliche Grundannahme<br />

vom Typ (i), dass nur der Mensch nach dem Ebenbild Gottes erschaffen<br />

wurde. Das zieht nach sich, dass der Mensch eine besondere Stellung in der<br />

Schöpfung hat, was im Christentum eine Position vom Typ (ii) ist, da sie nicht<br />

direkt belegt ist. Das kann nun (muss aber nicht) so interpretiert werden, dass<br />

das reproduktive Klonen von Menschen falsch ist, was eine Position vom Typ (iii)<br />

ist. Diese Position vom Typ (iii) hat viele Varianten, die vom absoluten Verbot<br />

jeglichen Klonens von Menschenzellen bis zur Annahme des therapeutischen<br />

Klonens unter bestimmten Bedingungen reichen. Die ganze Palette christlicher<br />

Ansichten zum Klonen kann ebenfalls im Islam angetroffen werden, allerdings<br />

mit anderen Begründungen; etwa nicht mit der Ebenbildlichkeit. Konvergierende<br />

Überzeugungen vom Typ (iii) finden in den modernen religiösen Debatten<br />

Eingang in divergierende belief sets. D.h. die divergierenden belief sets verschiedener<br />

Religionen (Positionen vom Typ (i) und (ii)) bleiben bestehen, während<br />

dieselben Religionen im Sinn ihrer Positionen vom Typ (iii) immer näher<br />

kommen. Wie anhand des soeben angeführten Beispiels angedeutet möchte ich<br />

die Phänomene der Überzeugungsänderung und -festigung in religiösen Kontexten<br />

im Sinn der belief-revision-Theorie erklären. Folgende Forschungshypothesen


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

erscheinen mir vielversprechend: 1. Zu Recht setzt der interreligiöse Dialog die<br />

prinzipielle Mitteilbarkeit religiöser Überzeugungen, auch „mystischer“ Inhalte,<br />

voraus. Der Dialog und infolge dessen die Mitteilbarkeit von Überzeugungen sind<br />

nur dann unmöglich, wenn die prospektiven Dialogpartner sich dem Dialog<br />

verschließen. 2. Im Sinn ihrer Positionen vom Typ (iii), die das jeweilige belief set<br />

intakt lassen, konvergieren die Weltreligionen weitgehend, auch wenn sich deren<br />

belief sets weiterhin unterscheiden. 3. Die Änderung eines religiösen belief sets<br />

ist vermutlich nur unter besonderen Bedingungen möglich, die für andere Überzeugungen<br />

nicht relevant sind. Die Möglichkeit einer irrationalen Überzeugungsänderung<br />

oder Überzeugungsfestigung ist nicht von vornherein auszuschließen.<br />

Die Kriterien, welche die Grenzen der irrationalen Überzeugungsänderung bzw.<br />

-festigung gegenüber der rationalen Überzeugungsänderung und -festigung<br />

ausmachen, sollen allerdings im Sinn der zu erarbeiteten Theorie formuliert<br />

werden. Ich habe vor, meine Überlegungen zur religiösen Überzeugungsänderung<br />

und -festigung an die philosophische belief revision-Literatur sowie an die<br />

Religionspsychologie anzuschließen. Ich werde untersuchen, inwieweit der religiöse<br />

Gesinnungswandel als Spezialfall der allgemeinen Überzeugungsrevision<br />

gelten kann. Ferner möchte ich den „Mechanismus“ der Festigung religiöser<br />

belief sets untersuchen.<br />

Assia Harwazinski: Religious Views From the Bottom: Lessons from a Teaching<br />

Experience in Multicultural Classes<br />

Teaching youngsters without any academic background is not the regular job of a<br />

scholar of the History and Study of Religion. It is completely different from working<br />

on Religion on papers, documents, archives; Religion becomes alive in the<br />

body and mind of the persons in class; it is not sterile, but very concrete. One<br />

and a half year of teaching in multicultural classes in the urban context, subjects<br />

without any connection to the topic of Religion at first sight, provided an insidelook<br />

into the living religious attitudes and convictions of young people coming<br />

from various countries, among them a high percentage of Muslims (Lebanon,<br />

Kosovo, Macedonia, Turkey, Pakistan, Sudan, Germany), but also Russians, East<br />

Germans, Serbians and other. The religious attitudes came into practice in<br />

various lessons, touching subjects dealing with the political history of Germany,<br />

Ethics and here, especially, around topics dealing with health and the body.<br />

These religious attitudes or world-views were mostly no academic ones, but acquired<br />

via regular education from parents, family and traditions in their homecountries<br />

– altogether: culturally while growing up. They affected eating<br />

behaviours as well as the choice of professions and often had a strong concern<br />

with sexuality and family-planning. The contribution will present an insight look<br />

into the difficulties arising due to religious attitudes in class and some practical<br />

examples of how to deal with them as a scholar of the Study of Religion.<br />

89<br />

Panelstrang E: ZHG 105<br />

Vanessza Heiland (Leipzig)


Reaktionen von Religion(en) auf Religionspolitiken in Deutschland seit<br />

1919<br />

<br />

<br />

<br />

Vanessza Heiland: Religiöse Minderheiten in der Weimarer Republik<br />

Dirk Schuster: (Re-)Aktionen auf nationalsozialistische Religionspolitiken<br />

Frank Schenker: Zeitgeschichtliche Herausforderungen in einer sich<br />

verändernden religiösen Landschaft<br />

Politische Kontexte und deren Veränderungen können einen Wandel von Religionen<br />

innerhalb eines Nationalstaates in organisatorischer und dogmatischer Hinsicht<br />

bewirken. Deutschland war im 20. Jahrhundert immer wieder grundlegenden politischen<br />

Veränderungen unterworfen, wodurch sich mehrfach die Praxis gegenüber<br />

religiösen Gemeinschaften wandelte. Infolge der annähernden Gleichstellung 1919,<br />

der scheinbaren Willkür in der Behandlung während der nationalsozialistischen<br />

Diktatur sowie des grundlegenden Neuaufbaus des bundesrepublikanischen<br />

Rechtsstaates sahen sich Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften innerhalb<br />

weniger Jahrzehnte mit immer neuen politisch-rechtlichen Vorgaben und<br />

behördlichen Praxen bzw. Umgängen konfrontiert. Das Panel möchte Veränderungen<br />

in der Organisation, Praxis und/oder Dogmatik von Religionsgemeinschaften<br />

anhand ausgewählter Beispiele auf ihren kausalen Zusammenhang zu politischen<br />

und rechtlichen Einflussfaktoren hin untersuchen und an bisherige theoretische<br />

Konzeptionen zum Verhältnis von Religion und Politik anknüpfen.<br />

Vanessza Heiland: Religiöse Minderheiten in der Weimarer Republik<br />

Nachdem die Weimarer Verfassung erstmals eine reichsweit einheitliche Regelung<br />

der Angelegenheiten von Religionsgesellschaften traf, war für alle Religionsgemeinschaften<br />

die Rechtsbasis zu freier Entfaltung geschaffen. Die staatliche<br />

Religionspolitik und behördliche Verwaltungspraxis war jedoch bei weitem nicht<br />

so liberal, wie der Verfassungstext eigentlich vermuten ließe. So wurden etwa<br />

kleinen Religionsgemeinschaften Körperschaftsrechte nicht ohne Widerstand<br />

zuerkannt. Der Vortrag geht der Frage nach und demonstriert an ausgewählten<br />

Beispielen, wie religiöse und denen gleichgestellte weltanschauliche Minderheiten<br />

auf die neue Rechtslage und veränderte politische Situation der Weimarer<br />

Republik reagierten. Der Fokus richtet sich dabei auf etwaige Wandlungen in den<br />

Einstellungen und Verhaltensweisen derartiger Gruppierungen, über die Vereinssatzungen<br />

und Vereinsmitteilungen Auskunft geben können. Aus der Betrachtung<br />

religionshistorischer Beispiele sollen allgemeinere Aussagen über das<br />

Verhältnis von kleinen Religionsgemeinschaften zum Staat von Weimar formuliert<br />

und in den Kontext bisheriger systematischer Überlegungen hinsichtlich des<br />

Verhältnisses von Religion und Politik gestellt werden.<br />

90<br />

Dirk Schuster: (Re-)Aktionen auf nationalsozialistische Religionspolitiken<br />

Der Umgang des nationalsozialistischen Regimes bewegte sich gegenüber<br />

Kirchen und Religionsgemeinschaften zwischen willkürlichen Verboten und<br />

unerwarteter Toleranz. Neben außenpolitischen Erwägungen nahmen Vertreter


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

der NS-Führung immer wieder Einfluss auf den politischen und exekutiven<br />

Umgang gegenüber einzelnen Religionsgemeinschaften, wodurch sich zu keiner<br />

Zeit eine einheitliche ideologische Linie bezüglich Religion ausbilden konnte.<br />

Anhand verschiedener Beispiele verdeutlicht der Vortrag, dass sich religiöse<br />

Gemeinschaften in der Zeit des „Dritten Reiches“ auf verschiedene Religionspolitiken<br />

einstellen mussten. Neben rechtlichen Veränderungen bedeuteten persönliche<br />

Interventionen von Regime-Vertretern einen stetigen Unsicherheitsfaktor<br />

für religiöse Gemeinschaften bezüglich ihrer Akzeptanz innerhalb der stilisierten<br />

„Volksgemeinschaft“. Die unterschiedlichen nationalsozialistischen Religionspolitiken<br />

werden mit Hilfe von Einstellungen gegenüber Religionsgemeinschaften<br />

dargestellt und in Bezug zueinander gestellt. Daran anknüpfend vermittelt der<br />

Vortrag einen systematisierenden Einblick, wie sich die vorgestellten Religionsgemeinschaften<br />

den politischen Entwicklungen anzupassen versuchten und auf<br />

die innenpolitischen Wandlungen reagierten.<br />

Frank Schenker: Zeitgeschichtliche Herausforderungen in einer sich verändernden<br />

religiösen Landschaft<br />

Schon ein Blick in die Statistik zeigt, dass in der dritten im Panel zu diskutierenden<br />

Periode die nachhaltigsten Veränderungen für die Religionsgemeinschaften<br />

auszumachen sind. Das erste statistische Jahrbuch der Bundesrepublik verzeichnet<br />

für das Jahr 1950 eine Kirchenmitgliedschaft in der Bevölkerung von 96,5<br />

Prozent – ein aus heutiger Sicht sagenhafter Wert. Im Jahr 2010 waren nur noch<br />

59,4 Prozent Mitglied der Evangelischen oder der Katholischen Kirche. Im Vortrag<br />

werden einzelne religionspolitische Fallbeispiele aus der Zeit vor und nach der<br />

Wiedervereinigung hinsichtlich der Wechselwirkung zwischen Religion und Politik<br />

betrachtet. Hierzu zählt insbesondere die Frage der Integration muslimischer<br />

Minderheiten in die bundesdeutsche Gesellschaft, die mit der Entscheidung zur<br />

Anwerbung von Gastarbeitern aus der Türkei ihren Anfang nahm und bis in die<br />

Gegenwart neue Herausforderungen produziert. Zu erläutern sind darüber<br />

hinaus die grundsätzlichen Positionen der Parteien zum Staat-Kirche-Verhältnis,<br />

um schließlich mit Methoden der Policy-Analyse Einflussfaktoren der jüngeren<br />

Religionspolitik darzustellen.<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Constantin Wagner (Frankfurt/M)<br />

Whence and Whither? Religionswissenschaft, Europäischer<br />

Kolonialismus und die Interventionen Postkolonialer Studien (II)<br />

<br />

<br />

Gabriele Richter: Können die Subalternen ‚hexen’? Eine Gegenüberstellung<br />

von Religion im Pazifik und Subaltern-Theorien<br />

Marita Günther-Saeed: Neue Normierungen und Ausschlüsse? Das<br />

Zusammenspiel religiöser, gegenderter und ethnisierender Codierungen<br />

von Wissen am Beispiel des „International Council of Thirteen Indegenous<br />

Grandmothers“ und „Rat der Großmütter“<br />

91


Zubair Ahmad: Islampolitik im postkolonialen Deutschland<br />

Panelabstract vgl. S. 80<br />

Gabriele Richter: Können die Subalternen ‚hexen’? Eine Gegenüberstellung von<br />

Religion im Pazifik und Subaltern-Theorien<br />

Eine Form von ‚Hexerei‘ im Hochland von Neuguinea in den 1930ern wird in den<br />

Berichten von Kolonialbeamten und Missionaren unter den Bedingungen des<br />

„First Contact“ erst noch suchend beschrieben und dann kategorisiert und mit<br />

europäischen Vorstellungen und Erwartungen verglichen. Die der Hexerei<br />

Angeklagten hingegen kommen selten zu Wort. Dies ist in der Regel nur dann der<br />

Fall, wenn sie nicht mehr das „gefährliche Andere“ (Kippenberg über Magie)<br />

repräsentieren und bereits Teil der Hierarchien von Kolonialismus und Mission<br />

geworden sind.<br />

Was kann post-koloniale Theorie über die „Stimme der Anderen“ von Gayatri C.<br />

Spivak bis Jay Maggio zu dieser Frage beitragen? Und welche anderen theoretischen<br />

wie methodischen Ansätze können hier hilfreich sein?<br />

Die Subalternen sind die, über deren Köpfe entschieden wurde und denen nicht<br />

nur die Geschichtsschreibung verwehrt hat, gehört zu werden. Sie sind, wenn<br />

überhaupt nur ‚zwischen den Zeilen‘ zu finden. Und das hat auch Einfluss darauf,<br />

wie mit ihrer Religion umgegangen wurde und umgangen wird. Religionsgeschichtliche<br />

Forschung zur Religion von Menschen, die soziopolitisch auf der<br />

untersten Hierarchiestufe von Kolonialismus und Missionierung standen, kommt<br />

nicht umhin optimistisch danach zu fragen, was nicht gesagt wurde. Zugleich<br />

muss methodisch alles Gesagte und folglich auch Verschriftlichte unter dem<br />

Aspekt ungleicher Machtverteilung kritisch eingeschätzt werden.<br />

92<br />

Marita Günther-Saeed: Neue Normierungen und Ausschlüsse? Das<br />

Zusammenspiel religiöser, gegenderter und ethnisierender Codierungen von<br />

Wissen am Beispiel des „International Council of Thirteen Indegenous<br />

Grandmothers“ und „Rat der Großmütter“<br />

In den Konzepten des in den USA angesiedelten „International Council of 13<br />

Indigenous Grandmothers“ und des sich daran orientierenden „Rat der Großmütter“<br />

in Deutschland werden die Kategorien Alter, Geschlecht, Religion und<br />

Herkunft (‚Indigenität‘) in spezifischer Weise verschränkt. ‚Indigene‘ Authentizität<br />

als Autorität im Zusammenhang mit ‚spiritueller‘ Kompetenz von ‚älteren‘ Frauen<br />

schreibt sich in Debatten um Globalisierung, Macht und Identitätspolitiken ein.<br />

Sich aus diesem Zusammenspiel legitimierendes Wissen wird als Lösung für zahlreiche<br />

gegenwärtige sozialpolitische Probleme benannt und in Interventionen<br />

umgesetzt. Der Beitrag stellt diese Konzepte vor und problematisiert, inwieweit<br />

dieser speziellen Verschränkung und v.a. den Kategorien ‚spirituell‘ und ‚indigen‘<br />

Normierungsfunktionen zukommen: welche Differenzierungen werden hiermit<br />

aufgemacht, welche Ausschlüsse entstehen und was für Aktionsräume definiert?<br />

Wie wird der Terminus in den europäischen bzw. deutschen Kontext übersetzt?<br />

Diese Fragen sollen nicht nur an die zu untersuchenden Konzepte gestellt


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

werden, sondern auch an den Gebrauch innerhalb der (Religions)Wissenschaft<br />

und ihrer Positionierung zu diesen Debatten.<br />

Zubair Ahmad: Islampolitik im postkolonialen Deutschland<br />

14:15 – 15:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Jürgen Mohn (Basel)<br />

Die Verwissenschaftlichung des Religionsbegriffs (I)<br />

<br />

<br />

<br />

Dirk Johannsen: Reduktion<br />

David Atwood: Genese<br />

Stephanie Gripentrog: Diagnose<br />

Im 19. Jahrhundert verloren die Theologien und die Philosophie zunehmend ihr<br />

Monopol auf die Konzeptionalisierungen von ‚Religion‘. Sowohl in politischen und<br />

künstlerisch-literarischen Zusammenhängen als auch in verschiedenen wissenschaftlichen<br />

Disziplinen entwickelten sich eigenständige Religionsdiskurse. Dabei<br />

kam es zu wechselseitigen Einflussnahmen: Einerseits führte die Ausdifferenzierung<br />

der akademischen Disziplinen zu verschiedenen Religionskonzepten. Andererseits<br />

wurden diverse Disziplinen massgeblich durch die verschiedenen Religionskonzepte<br />

geprägt. Religionskonzepte wirkten somit selbst wissenschaftsdifferenzierend.<br />

Diese Verwissenschaftlichungen des Religionsbegriffs bildeten die Grundlage, auf<br />

der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Religionswissenschaft und Religionsgeschichte<br />

mit ihren angrenzenden Disziplinen institutionalisierten. Im Panel<br />

werden Diskursverläufe im Zusammenhang mit der Verwissenschaftlichung des<br />

Religionsbegriffs im späten 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

über drei Fallstudien nachvollzogen. Im Sinn einer transnationalen Konstellationsgeschichte<br />

der mit der Institutionalisierung der Religionswissenschaft verbundenen<br />

Denkräume liegt der Fokus dabei auf der Erschliessung bisher vernachlässigter<br />

Quellengattungen, welche neue Einblicke in das Zusammenspiel politischer und<br />

populärer mit wissenschaftlichen und religiösen Auseinandersetzungen um den<br />

Religionsbegriff erlauben. In diesen Auseinandersetzungen konnten zwei Hauptstränge<br />

identifiziert werden, die in den bisherigen Unterscheidungen nur eine untergeordnete<br />

Rolle spielen: Mit der Formel der ‚reduzierten Religion‘ werden<br />

Diskursstränge bezeichnet, welche Religion als Epiphänomen sozialen, psychologischen<br />

oder ökonomischen Parametern unterordnen. Dieser ersten ‚Verwissenschaftlichung‘<br />

folgte eine zweite, die durch den Wandel des reduzierten zu einem<br />

generischen Religionsverständnis gekennzeichnet ist, in dem Religion zu einem<br />

nicht reduzierbaren Spezifikum wurde und somit die Forderung nach einer eigenen<br />

Disziplin nach sich zog. Die diesem Wandel unterlegten Debatten werden am<br />

Beispiel der frühen religionshistorischen Kongresse in Stockholm, Paris und Basel<br />

nachgezeichnet werden.<br />

93


Dirk Johannsen: Reduktion<br />

„Das Verhältnis von Religion […] und moderner Kultur […] ist nicht schwer zu<br />

definieren oder zu beschreiben. Ein Wort fasst es zusammen. Das ist das Wort –<br />

Konflikt!“ (A. Sabbatier, 1897). Eine eigenständige Religionswissenschaft, die sich<br />

nicht als naturalistische und wissenschaftsgeschichtliche Metadisziplin sondern<br />

über den eigenständigen Gegenstandsbereich ‚Religion‘ definierte, war erst in<br />

Abgrenzung zur dem wissenschaftlichen Reduktionismus verpflichteten, selbstdefinierten<br />

Moderne denkbar geworden. Greifbar wird dieser Übergang in den<br />

Debatten des ‚Ersten Internationalen Kongresses für Religionswissenschaft‘, der<br />

1897 in Stockholm stattfand. Die leitenden Fragen galten dort nicht historischen<br />

oder systematischen Analysen, sondern zuerst einmal den Möglichkeiten, Religion<br />

als Gegenwort zu ‚Moderne‘ zu behaupten und zu definieren. Die Religionswissenschaft<br />

wurde dabei explizit als das Instrument konzipiert, mit dem den<br />

linksliberalen Modernisten die Deutungshoheit über den Religionsbegriff entzogen<br />

werden sollte. Die – wie es in den polemischen Kommentaren zum Kongress<br />

hieß – im Beisein von „64 Frauen und Fräulein, 70 Pfarrern, 6 Studenten, 20<br />

Ingenieuren, Direktoren, und Apothekern usw.“ (Rosenqvist 1898) kontrovers<br />

geführten methodologischen Debatten sollen in diesem Vortrag als Ausgangspunkt<br />

einer konstellationsgeschichtlichen Betrachtung zur Verwissenschaftlichung<br />

des Religionsbegriffs im Kontext der religionswissenschaftlichen Identitätsbildung<br />

dienen. Dabei soll speziell auf die Wurzeln der bis heute vorherrschenden<br />

religionswissenschaftlichen Zurückhaltung gegenüber reduktivnaturalistischen<br />

Ansätzen eingegangen werden.<br />

94<br />

David Atwood: Genese<br />

Während die Tendenzen am Kongress in Stockholm eher apologetisch ausfielen,<br />

lässt sich der Pariser Kongress für Religionsgeschichte als das Bemühen<br />

zusammenfassen, Religion auf wissenschaftliche und nichtkonfessionelle Art und<br />

Weise zu beschreiben. Der Kongress in Paris sei von der „unvoreingenommenen<br />

Suche nach dem Wahren“ (Albert Réville) geprägt gewesen. So wurde zum einen<br />

die Etablierung einer laizistischen Religionsforschung sowie eines generischen<br />

Religionsverständnisses gefeiert, zum anderen auf die ‚Unwissenschaftlichkeit‘<br />

der vorherigen Kongresse hingewiesen. Zwei Kontroversen zeigen deutlich, dass<br />

sich die ‚Wissenschaftlichkeit‘ in der Religionsforschung sowohl gegen religionsapologetische<br />

als auch gegen reduktionistische und religionskritische Tendenzen<br />

durchsetzen musste. Neben den neuen sowohl wissenschaftsimmanenten als<br />

auch politischen Ansprüchen des Kongresses wird in Paris zudem deutlich greifbar,<br />

dass eine solche „unvoreingenommen Suche“ nach der Wahrheit nicht eine<br />

stringente Ausgrenzung ‚religiöser Wahrheit‘ meint, sondern eine Neuausrichtung<br />

von Wissenschaftlichkeit, die einer Transformation von Religion in Wissenschaft<br />

nahekommt und mit dem Diktum Révilles deutlich gemacht werden kann:<br />

„[…] die unvoreingenommene und unermüdliche Suche nach dem Wahren ist<br />

eine der Formen, nicht die Mindeste, der Liebe Gottes.“ Der Vortrag nimmt


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Forderungen zur Fundierung einer ‚laiischen Moral‘ als Ausgangspunkt einer<br />

Analyse, in welcher ein generisches Religionsverständnis und die Religionswissenschaft<br />

als Artikulationsinstanz von ‚Religion‘ gegenseitig aufeinander verweisen.<br />

Stephanie Gripentrog: Diagnose<br />

Die Psychologie erzählt sich selbst ihren Beginn als Wissenschaft zumeist mit der<br />

Einrichtung des ersten psychologischen Labors durch Wilhelm Wundt im Jahr<br />

1879. ‚Wissenschaftlichkeit’ bedeutete hier die experimentelle und damit naturwissenschaftliche<br />

Ausrichtung, für die Wundts Labor stand. ‚Religion’ hielt Wundt<br />

zwar für einen Gegenstand seiner Wissenschaft, jedoch nicht für experimentell<br />

erforschbar. Auch auf den internationalen psychologischen Kongressen in Paris<br />

1900 und in Genf 1909 war ‚Religion’ Gegenstand kontroverser Debatten: Vertreter<br />

der sich etablierenden Disziplin der Psychologie setzten sich dort unter<br />

anderem mit der Frage auseinander, ob und wie ‚Religion’ Gegenstand ihrer<br />

Forschung sein konnte. Dabei wurden reduktive, also psychologistisch ausgerichtete<br />

Religionskonzepte gegen generische Konzepte von ‚Religion’ als einem nicht<br />

in psychologische Parameter auflösbaren Phänomen gegeneinander ins Feld<br />

geführt. Anhand der Frage, wie Religionspsychologie einerseits zur allgemeinen<br />

Psychologie, andererseits zur Metaphysik in Bezug gesetzt werden könnte,<br />

rangen die Disziplinenvertreter also nicht nur um eine Klärung ihres Gegenstandsbereichs,<br />

sondern auch um den Status der Psychologie als Wissenschaft<br />

überhaupt. Der war vor allem durch das ungeklärte Verhältnis der Psychologie zu<br />

Spiritismus und Okkultismus, die selbst den Anspruch der Wissenschaftlichkeit<br />

für sich erhoben, in Frage gestellt. ‚Religion’ spielte also auf verschiedenen<br />

Ebenen eine Rolle: Als Gegenstand der Forschung selbst, die sich ihm vor allem<br />

gegen Ende des 19. Jahrhunderts mal experimentell, mal verstehend zu nähern<br />

versuchte. Als unter der ‚Diagnose’ der Pathologisierung stehend, um damit<br />

Religionskritik, manchmal zugleich aber auch Religionsapologie zu betreiben.<br />

Aber auch als das ‚Andere’, dem gegenüber sich die Psychologie als Wissenschaft<br />

– und damit zugleich als behauptete ‚Nicht-Religion’ – allererst positionieren<br />

musste.<br />

Panelstrang B: ZHG 102<br />

Steffen Führding (Hannover) und Dagmar Fügmann (Würzburg)<br />

Zwischen Normativität und Wertneutralität: Religionswissenschaft<br />

und ihre Gegenstände<br />

<br />

<br />

Thomas Eich: Konzepte von Wandel als Erneuerung in<br />

Islamwissenschaftlicher Forschung<br />

Michael Schmiedel: Interkulturelle Bildungsarbeit zwischen Wissens- und<br />

Wertevermittlung<br />

95


Christoph Bochinger und Moritz Klenk: Die Normativität der<br />

Religionswissenschaft zwischen Religion, Theologie und säkularer<br />

Gesellschaft<br />

Dagmar Fügmann: Holzwege im Wald der Gegenstände<br />

Das Konzept der Jahrestagung der <strong>DVRW</strong> in <strong>Göttingen</strong> betont die Fokussierung der<br />

Tagung unter anderem auf grundlegende terminologische Konzepte und konventionelle<br />

begriffliche Kategorien der Religionswissenschaft. Auf der Ebene der<br />

Gegenstände der Religionswissenschaft gilt es heute als selbstverständlich, jene<br />

Gegenstände als kontextgebunden zu denken. Diese Selbstverständlichkeit scheint<br />

auf der Ebene der Begriffsbildung jedoch nicht gegeben, zumindest dann nicht,<br />

wenn von einer wie auch immer gearteten Wertneutralität von Begriffen (und im<br />

Anschluss daran von religionswissenschaftlichen Analysen und Religionswissenschaft<br />

selbst), ausgegangen wird. Dennoch bestimmt Wachs Begründung der<br />

Religionswissenschaft als nichtnormative Disziplin auch aktuell häufig die Eigenpositionierung<br />

der Religionswissenschaft, zumindest implizit. Doch lässt sich die<br />

Logik von Begriffsbildung, und letztendlich von Sprache selbst, nicht vom Politischen<br />

(le politique, im Unterschied zu la politique, „der Politik“ (Ricoeur)) trennen<br />

(Marchart). Begriffe wie Traditionalismus, Kolonialismus, Fundamentalismus,<br />

Modernismus und Kulturalismus, um nur wenige zu nennen, sind ebenso normativ<br />

aufgeladen wie beispielsweise die Begriffe Kultur, Demokratie, Integration oder<br />

Individualität. Beschreiben wir eine bestimmte „Religion“ oder „Kultur“, schwingen<br />

häufig beispielsweise Begriffe wie Aufklärung, Demokratie, Individualismus oder<br />

„universell gültige Menschenrechte“ – in Verbindung mit der Zuschreibung „gut“ –<br />

wie selbstverständlich implizit oder explizit mit. Ziel des Panels ist es, sich mit dem<br />

Faktum einer kaum vermeidbaren Normativität auf der begrifflichen Ebene wie auf<br />

der Ebene der Gegenstände der Religionswissenschaft auseinanderzusetzen.<br />

96<br />

Thomas Eich: Konzepte von Wandel als Erneuerung in Islamwissenschaftlicher<br />

Forschung<br />

In islamwissenschaftlicher Forschung, die sich mit der Entwicklung der Scharia<br />

auseinandersetzt, fokussiert sich die Diskussion seit ca. 50 Jahren auf den so<br />

genannten ijtihad. Dieser sei ein Akt der autonomen Normsetzung durch muslimische<br />

Gelehrte, der normativ primär durch die ratio der Gelehrten autorisiert<br />

wird. Ältere Forschung vertrat die Meinung, nach einer Phase, in der ijtihad<br />

erlaubt gewesen sei, sei das „Tor des ijtihad verschlossen“ worden. Neuere<br />

Forschung (seit den 1980ern) argumentiert in die entgegen gesetzte Richtung.<br />

Beide Forschungsmeinungen teilen dabei implizit das Modell, dass Religionsausübung<br />

sich historisch wandeln, d.h. auf Veränderungen reagieren muss, und<br />

dass dies in der Praxis nur erfolgen kann, indem Menschen Normen autonom zu<br />

setzen beginnen. Ijtihad wird dabei als eine Art revolutionärer Befreiungsschlag<br />

konzeptionalisiert, der neue Interpretationen hervorbringt.<br />

Interessant ist hierbei im Sinne der Themenstellung des Panels „Zwischen<br />

Normativität und Wertneutralität“, dass „neue Interpretationen“ implizit als<br />

„gut“ gesehen werden. Dies zeigt sich daran, dass der ijtihad-Begriff in dieser


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Debatte zentral mit dem des „Erneuerers“ (mujaddid) in der Religion des Islams<br />

verknüpft wird. In dem Vortrag wird anhand dieses Beispiels thematisiert, wie<br />

mit einer impliziten Favorisierung eines bestimmten Modells historischen<br />

Wandels eine normative Wertung einher geht.<br />

Michael Schmiedel: Interkulturelle Bildungsarbeit zwischen Wissens- und<br />

Wertevermittlung<br />

Wissenschaft kann reine Grundlagenforschung sein, ohne ein anderes Interesse,<br />

als mit dazu entwickelten Methoden Wissen zu generieren. Wissenschaftler(innen)<br />

können Ihre Arbeit aber auch in außerwissenschaftliche Kontexte<br />

einbinden. Praktische (Religions)Wissenschaft ist in diesem Sinne eher kontextuell<br />

als rein. Sie kann sich einbringen in eine interkulturelle Bildungsarbeit, die<br />

nicht nur Forschungsergebnisse, sondern auch Werte vermitteln will, um ein<br />

friedliches Zusammenleben in einer gemeinsamen Gesellschaft zu fördern. Aus<br />

konstruktivistischer Perspektive ist jedes menschliche Handeln interessegeleitet,<br />

so auch das wissenschaftliche und auch die Grenzziehung zwischen den wissenschaftlichen<br />

Disziplinen, zwischen Wissenschaft und Nichtwissenschaft, zwischen<br />

Beschreibung und Normierung, zwischen Kulturen und Religionen. Und je nach<br />

Interesse können diese Grenzen durchlässiger oder undurchlässiger gestaltet<br />

werden. Interdisziplinarität, Interkulturalität und Interreligiosität sind Grenzüberschreitungen<br />

aus dem Interesse heraus, der Wirklichkeit gerecht zu werden und<br />

das Leben an dieser Wirklichkeit auszurichten. Der Referent berichtet über seine<br />

interkulturelle und interreligiöse Arbeit in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit<br />

Wissenschaftler(inne)n anderer Fächer und Nichtwissenschaftler(inne)n und<br />

versucht die Frage zu beantworten: Ist das eine Instrumentalisierung von<br />

Wissenschaft für nichtwissenschaftliche Interessen oder eine sinngebende<br />

Einbettung in einen größeren Kontext?<br />

Christoph Bochinger und Moritz Klenk: Die Normativität der<br />

Religionswissenschaft zwischen Religion, Theologie und säkularer Gesellschaft<br />

Seit ihren Anfängen hat sich die Religionswissenschaft nach innen wie nach<br />

außen häufig ex negativo als nicht-theologische Wissenschaftsdisziplin dargestellt,<br />

die Religion als Gegenstand beschreibend aus einer wissenschaftlichen<br />

Außensicht untersucht und darstellt. Im Gegensatz zur Theologie fälle sie keine<br />

Urteile und vermittle keine religiöse Orientierung, sie sei eine nicht-normative<br />

Wissenschaft (so neben Joachim Wach auch Gustav Mensching u.v.a.). Dies steht<br />

zunächst im Widerspruch zu den normativen Interessen vieler FachvertreterInnen,<br />

die sich z.B. für interreligiösen Dialog oder die Vorstellung eines gemeinsamen<br />

Wesenskerns der Religionen einsetzten. Im Zuge der zunehmenden Bedeutung<br />

der Religionswissenschaft als Interpretin und politische Beraterin für gesellschaftlich<br />

diskutierte Themen rund um Religion erhält der Diskurs um die Normativität<br />

der Religionswissenschaft eine neue Bedeutung. Im Rückgriff auf aktuelle<br />

Debatten zum religionskundlichen Religionsunterricht, zur islamischen Theologie<br />

in Deutschland sowie zur Verortung von Theologie und Religionswissenschaft in<br />

den Schweizer Medien geht der Beitrag der Frage nach, inwiefern Theologie und<br />

97


Religionswissenschaft als normative Disziplinen gelten können und welche<br />

Konsequenzen sich aus solchen Überlegungen für den universitären Betrieb und<br />

die Entwicklung einer anwendungsorientierten Religionswissenschaft ergeben.<br />

Dagmar Fügmann: Holzwege im Wald der Gegenstände<br />

Der Beitrag wird versuchen, der Frage des Tagungskonzepts nach der „adäquaten<br />

Benutzung, Entwicklung und Revision von Terminologien und Klassifikationsmustern“<br />

im Hinblick auf eine zumindest implizit angenommene Wertneutralität von<br />

Begriffen nachzuspüren. Grundlage der Überlegungen ist die erkenntnistheoretische<br />

Einsicht, dass wir von den Dingen an sich nichts wissen können, dass Gegenstände<br />

als Gegenstände von Deutungssystemen (oder auch: von Theorien)<br />

erzeugt werden. Bereits bei der Konstruktion von Begriffen und Gegenständen<br />

stellt sich eine kaum vermeidbare Normativität ein. Sie zeigt sich unter anderem<br />

durch notwendige Grenzziehungen, aber auch durch bestimmte Denkstile und<br />

Denkkollektive.<br />

98<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Mira Sonntag (Tokio)<br />

Biologische und soziale Evolutionstheorien in der religiösen<br />

Selbstbehauptung in Asien<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Christian Meyer: Evolutionistische Interpretationen von<br />

Religionsgeschichte im Widerstreit von Religionskritik und<br />

Religionsapologetik in China, ca. 1900-1930<br />

Seung Chul Kim: Darwin und der Buddhismus im modernen Korea und<br />

Japan<br />

Mira Sonntag: ‚Evolution‘ in der religiösen Selbstbehauptung japanischer<br />

Christen von 1877 bis 1945<br />

Franz Winter: Die Evolution der Religion: Modelle der<br />

Geschichtsinterpretation bei japanischen Neureligionen<br />

Die Entwicklung der modernen Religionswissenschaft stand bekanntermaßen in<br />

engem Zusammenhang mit der Diskussion verschiedener Theorien biologischer wie<br />

sozialer Evolution. Doch nicht nur das entstehende Forschungsgebiet der Religionswissenschaft<br />

versuchte auf diese Weise, seinen wissenschaftlichen Gültigkeitsanspruch<br />

zu behaupten. Auch Vertreter einzelner Religionen griffen in der Selbstbehauptung<br />

auf Evolutionstheorien zurück. Die Rezeption der darwinischen Theorie<br />

führte dabei u.a. zur Erweiterung des religiösen Selbstverständnisses auf universalgeschichtlicher<br />

Ebene. Zu welchen konkreten Thesen die Rezeption von Evolutionstheorien<br />

Asien geführt hat, soll dieses Panel anhand von ausgewählten religionshistorischen<br />

Studien zeigen, die sich insbesondere auf buddhistische und christliche<br />

Diskurse in Korea, Japan und China beziehen.<br />

Christian Meyer: Evolutionistische Interpretationen von Religionsgeschichte im


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Widerstreit von Religionskritik und Religionsapologetik in China, ca. 1900-1930<br />

Evolutionistische Denkschemata waren ein wichtiger Bestandteil der neuen<br />

Vorstellung von Religionsgeschichte sowie des Fachs Religionswissenschaft<br />

selbst, wie es in China um kurz nach 1900 aus dem Westen importiert wurde. Sie<br />

waren dabei eng mit der Idee von Modernisierung verknüpft und gelangten so<br />

früh in dem Strom neuübersetzter Werke und der allgemeinen Modernisierungsbemühungen<br />

nach China. Dabei implizierten insbesondere die rezipierten Ideen<br />

und Schriften von Comte und Spencer Religionskritik und wurden so auch von<br />

radikalen Modernisierern vertreten.<br />

Allerdings wurde zeitgleich das evolutionäre Schema auch von christlichen Vertretern<br />

bewusst und mit strategischen Interessen aufgenommen. Hier spielte<br />

insbesondere die Differenzierung von höherer gegenüber niedriger Religion eine<br />

wichtige Rolle, und damit die Abgrenzung von der unter Druck geratenen und als<br />

„Aberglaube“ (mixin) verschrienen chinesischen Volksreligion.<br />

Insgesamt konnten sowohl Religionskritiker wie auch Apologeten auf die Argumente<br />

und vorgängigen Diskurse im Westen zurückgreifen, die damit nach China<br />

„transplantiert“ wurden. Diese Diskurse waren damit formativ für die Entstehung<br />

einer frühen Religionswissenschaft in China überhaupt.<br />

Seung Chul Kim: Darwin und der Buddhismus im modernen Korea und Japan<br />

Während der Modernizierung Asiens standen buddhistische Denker in Korea und<br />

Japan unter dem starken Einfluss der Darwinschen Evolutionstheorie sowie des<br />

sozialen Darwinismus. Die Begegnung mit evolutionistischen Ideen zwang z.B.<br />

Yong Woon Han (1879-1944), einen koreanischen Zen-Mönch, und Manshi Kiyozawa<br />

(1863-1903), einen japanischen Shin-Buddhisten, zu einer Korrektur ihres<br />

Wirklichkeitsverständnisses. Für Han war das evolutionistische Denken eine<br />

Gelegenheit, die buddhistische Lehre vom Entstehen in Abhängigkeit (pratītyasamutpada)<br />

auch auf der zeitlichen Ebene zu bestätigen. Durch die kritische<br />

Rezeption des sozialen Darwinismus wollte Han außerdem die Liebe des Bodhisattva<br />

zu allen Lebewesen betonen. Kiyozawa bejahte einerseits die Logik<br />

(Rationalität) evolutionistischen Denkens. Andererseits kritisierte er aber, dass<br />

der Logik von Ursache und Wirkung im Darwinismus ein dynamisches Wirklichkeitsverständnis<br />

fehle.<br />

In diesem Vortrag möchte ich versuchen, zu erläutern, wie evolutionistisches<br />

Denken ins buddhistische Wirklichkeitsverständnis aufgenomen wurde, und<br />

welchen Einfluss die buddhistische Rezeption der Darwinschen Theorie auf die<br />

"Modernisierung" Asiens hatte.<br />

Mira Sonntag: ‚Evolution‘ in der religiösen Selbstbehauptung japanischer Christen<br />

von 1877 bis 1945<br />

Seit Edward S. Morses Vorlesungen von 1877-79 zur biologischen und sozialen<br />

Evolution wurden die Theorien Darwins und Spencers in Japan intensivst diskutiert.<br />

Im Hintergrund stand dabei die Frage nach dem erfolgversprechendsten<br />

Modernisierungsmodell für Japan und dem Anteil des Christentums am selbigen.<br />

Da alle Teilnehmer an dieser frühen Debatte „Geist/Seele“ für unerlässlich in der<br />

99


iologischen wie sozialen Evolution hielten, konnten christliche Vertreter hier mit<br />

auf theistische Evolution und Evolution der Religionen ausgerichteten Argumenten<br />

noch punkten. Die politische Wende ab 1889 und der starke Einfluss des<br />

Unitarismus mit seinem Anspruch auf den „Gott der Evolution“ sowie der<br />

zunehmende Agnostizismus der einheimischen Unitarier bremsten jedoch das<br />

bisherige Kirchenwachstum bis 1900 abrupt ab. Ungefähr zeitgleich gibt die<br />

kongregationalistische Kumamoto-Gruppe den Startschuss für die Schaffung<br />

eines „japanischen“ Christentums, das, wie die Entwicklung der Lehren der<br />

daraus entstehenden Denomination zeigt, auf biologischen und sozialen Evolutionstheorien<br />

fußt und sich der Entmythologisierung des biblischen Textes<br />

verschreibt. Evolutionstheorien wurden jedoch keineswegs nur von Unitariern<br />

und Kongregationalisten rezipiert und zur religiösen Selbstbehauptung integriert.<br />

Dieser Vortrag analysiert, wie Vertreter verschiedenster Denominationen und<br />

christlicher Gruppierungen biologische und soziale Evolutionstheorien bis 1945 in<br />

ihre Lehre integrierten. Gefragt wird dabei insbesondere danach, welche Vorteile<br />

die Integration derselben bei der Lösung konkret anstehender Probleme bot und<br />

inwiefern sie zu einer Weiterentwicklung der jeweiligen christlichen Lehren<br />

führte. Mit Blick auf den von Unitariern eingeforderten Dialog mit den Religionen<br />

(Buddhismus und Shinto) soll weiterhin untersucht werden, inwiefern der durch<br />

Thesen zur Evolution der Religionen motivierte Religionsvergleich Einfluss auf die<br />

Entwicklung des ab 1890 anvisierten „japanischen“ Christentums hatte.<br />

100<br />

Franz Winter: Die Evolution der Religion: Modelle der Geschichtsinterpretation<br />

bei japanischen Neureligionen<br />

Der Gründer der neureligiösen Bewegung Kōfuku no kagaku¸ Ōkawa Ryūhō,<br />

präsentiert in zentralen Texten eine sehr eigenwillige Interpretation der<br />

Geschichte, in deren Rahmen die Entwicklung der Religionen eine zentrale Rolle<br />

spielt. Dahinter steht ein evolutionstheoretisches Modell, das als eindeutigen<br />

Fokus eine geographische (Japan als logischer Endpunkt der Entwicklung) und<br />

eine historische Aufgipfelung (in Ōkawa selbst) eines langfristigen, Äonen umfassenden<br />

Entwicklungsganges postuliert. Der Beitrag hat das Ziel, dieses Programm<br />

in einen größeren Kontext der religionsgeschichtlichen Entwicklung einzuordnen,<br />

wobei insbesondere Vergleiche mit schon „älteren“ neureligiösen Bewegungen<br />

Japans (wie beispielsweise Mahikari) fruchtbar gemacht werden sollen. Auch hier<br />

begegnen eindeutige Evolutionsmodelle, die sich aber in wesentlichen Punkten<br />

unterscheiden. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich das Modell Ōkawas als Teil<br />

eines Wandels begreifen, der auch für andere Beispiele der religiösen Gegenwartskultur<br />

Japans relevant ist. Zentral ist in diesem Zusammenhang auch die<br />

Diskussion um einen „Nationalismus“, der unter anderem im Zusammenhang mit<br />

japanischen Neureligionen immer wieder angesprochen ist. Dies ist eng verknüpft<br />

mit einer breiten innerjapanischen Debatte, die tief in die Verwerfungen<br />

der Geschichte dieses Landes seit dem ausgehenden 19. Jh. bis heute führt.<br />

Damit ist die Beschäftigung mit diesem speziellen Thema in einen allgemeinen<br />

kulturhistorischen Rahmen hineingestellt und für eine breitere Diskussion<br />

relevant gemacht.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Panelstrang D: ZHG 104<br />

Carsten Ramsel (Bern) und Stefan Huber (Mainz)<br />

Atheismus in interkultureller und transdisziplinärer Perspektive<br />

Carsten Ramsel: Atheistinnen und Atheisten in der Schweiz. Typen –<br />

Dynamiken – Konfliktfelder<br />

Stefan Huber: Atheistische Spiritualität? Ergebnisse einer Spurensuche<br />

Anja Kirsch: ,Religion’, ,Weltanschauung’ und ,Atheismus’ in der<br />

narrativen Weltanschauungsdidaktik des Realsozialismus<br />

Durch das öffentlichkeitswirksame Handeln von Atheistinnen und Atheisten erfahren<br />

sie in der (religions-)wissenschaftlichen Forschung neuerdings verstärkt Beachtung.<br />

Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern haben sie bislang<br />

nur marginal behandelt (Streib und Klein 2012). Deswegen drängen sich zunächst<br />

begriffshistorische Fragen zum Atheismus auf. Wie und in welchem Kontext wurde<br />

der Begriff zu einer bestimmten Zeit verwendet? Welche Akteure benutzten ihn?<br />

Mit welchen Interessen war die Zuschreibung „atheistisch“ verbunden? Daran<br />

schließen sich historische und kulturwissenschaftliche Fragen an: Welche Formen<br />

des Atheismus lassen sich historisch/kulturell unterscheiden? Kennen wir in anderen<br />

als der europäischen Kultur Atheismen und lassen sich diese miteinander vergleichen?<br />

Wie? Daran lassen sich sozialwissenschaftliche Fragestellungen anknüpfen.<br />

Wer bezeichnet sich heute als Atheistin oder Atheist? Welche psychischen und<br />

sozialen Funktionen erfüllen Atheismen? Wie lässt sich Atheismus psychologisch<br />

und soziologisch erklären? Wie verändert sich das religiöse Feld durch das Auftreten<br />

starker atheistischer Akteure? Welche neuen (und komplexen) Konfliktlinien<br />

sind dadurch zu erwarten?<br />

Carsten Ramsel: Atheistinnen und Atheisten in der Schweiz. Typen – Dynamiken –<br />

Konfliktfelder<br />

Der Vortrag basiert auf einer Reihe von Interviews mit Atheistinnen und Atheisten<br />

in der Schweiz und versucht eine vorläufige idealtypische Differenzierung von<br />

Atheistinnen und Atheisten. Er beschreibt biographische wie gesellschaftliche<br />

Dynamiken und reflektiert über mögliche Konfliktfelder einer religiös-pluralen<br />

Gesellschaft wie der Schweiz. Unter dem Gesichtspunkt der Gegenstandsorientierung<br />

und systematischer Reflexion klärt er über die Frage auf, wer als Atheistin<br />

oder Atheist gilt und wie der Begriff innerhalb der religionswissenschaftlichen<br />

Forschung zu verwenden sei.<br />

Stefan Huber: Atheistische Spiritualität? Ergebnisse einer Spurensuche<br />

In dem Beitrag wird zunächst auf verschiedene Begriffe von Spiritualität und<br />

Atheismus eingegangen. Vor diesem Hintergrund werden im zweiten Teil empirische<br />

Befunde diskutiert, die als Hinweise für eine atheistische Spiritualität<br />

interpretiert werden können. Als Datengrundlage dienen drei repräsentative<br />

101


Surveys, die in der Schweiz in den Jahren 2007 und 2008 durchgeführt wurden<br />

(Religionsmonitor, European Value Survey, International Social Survey Programme).<br />

In diesen Studien können 12 bis 18 Prozent der schweizerischen Bevölkerung<br />

als „atheistisch“ klassifiziert werden. Von dieser Gruppe geben 43 bis 50<br />

Prozent an, dass sie zumindest etwas spirituell bzw. an Spiritualität interessiert<br />

sind. Diese Befunde zum spirituellen Selbstkonzept werden ergänzt durch<br />

Befunde, die belegen, dass AtheistInnen auf alternative religiöse und spirituelle<br />

Praktiken vertrauen. Danach glauben 32 Prozent der AtheistInnen an Glücksbringer,<br />

30 Prozent an Horoskope, 22 Prozent an Hellseher und 21 Prozent an<br />

Wunderheiler.<br />

Anja Kirsch: ,Religion’, ,Weltanschauung’ und ,Atheismus’ in der narrativen<br />

Weltanschauungsdidaktik des Realsozialismus<br />

Die qualitativ-empirische Forschung zu Entkirchlichung und Entchristlichung der<br />

ostdeutschen Bundesländer scheint es zu belegen: Die DDR war ein atheistischer<br />

Staat, deren Erziehungssystem in bester Tradition der Marx’schen atheistischen<br />

Religionskritik auf die Formung eines atheistischen Staatsbürgers ausgerichtet<br />

war. Dieser Hypothese steht der empirische Befund der als ,Weltanschauungsunterricht’<br />

konzipierten Staatsbürgerkunde entgegen, in deren Texten Atheismus<br />

als Begriff und als Integrationsmoment nahezu keine Rolle spielt. Auch in der<br />

DDR-Philosophie war Atheismus das „ungeliebte Stiefkind“, Forschungen zum<br />

Atheismus fanden, anders als in der Sowjetunion, lediglich vereinzelt und an geografisch<br />

marginalen Orten der DDR statt; der einzige Lehrstuhl für „Wissenschaftlichen<br />

Atheismus“ an der <strong>Universität</strong> Jena bestand nur wenige Jahre. Die Beispiele<br />

zeigen, dass sich die „wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus-<br />

Leninismus“ offiziell weit weniger über Atheismus definiert hat, als dies zu erwarten<br />

gewesen wäre. Anstelle von Atheismus wurden für die Vermittlung der „sozialistischen<br />

Überzeugungsbildung“ Attribute gewählt und in den Schulbüchern<br />

narrativ inszeniert, die frei von Religionsbezug dargelegt werden konnten, während<br />

Atheismus immer auch ein Sich-Verhalten zu Religion impliziert. Das Anliegen<br />

der Überzeugungsbildung war grundlegender: Es ging darum, dauerhaft eine<br />

alternative sozialistische Erinnerungskultur zu etablieren, von der aus ,Religion’<br />

nur als temporäre Abweichung von der richtigen Weltanschauung erschien. Der<br />

Vortrag stellt die narrative Struktur der entsprechenden Lehrtexte vor, wobei vor<br />

allem auch auf das Phänomen der Vermittlung säkularer Inhalte in sonst vor<br />

allem für die religiöse Sozialisation charakteristischen Formen eingegangen wird.<br />

Dies erlaubt einen neuen Blick auf Konzepte ,politischer Religion’ und Hypothesen<br />

zum ,religiösen’ Charakter von Weltanschauung.<br />

102<br />

Panelstrang E: ZHG 105<br />

Christa Frateantonio (Marburg) und Jens Kugele (Gießen)<br />

Raum und Religion<br />

<br />

Jens Kugele: Zurück zum Raum – Raumtheorie und Religionswissenschaft


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

<br />

<br />

<br />

Christa Frateantonio: Neue religiöse Räume in der Moderne: Yoga-Studios<br />

als urbanes Phänomen<br />

Martin Baumann: Neue Sakralbauten in der Politik des Raums<br />

Thorsten Wettich: Theorizing religious practice in spatial terms – die<br />

yezidische Gemeinde in Deutschland<br />

In diesem Panel sollen Fragen nach dem Verhältnis von Raum und Religion im Zentrum<br />

stehen. In jüngerer Vergangenheit hat diese Thematik insbesondere in der kulturwissenschaftlichen<br />

Forschung verstärkte Aufmerksamkeit erhalten, wobei gerade<br />

die raumtheoretischen Arbeiten ausgehend von H. Lefèbvre und M. Foucault<br />

vielfältige Anregungen bieten, die Frage nach Theorie, Methode und Empirie im<br />

Kontext religionswissenschaftlicher Forschung zu erörtern. Inwiefern ergeben sich<br />

hierdurch neue religionswissenschaftliche Perspektiven, beispielsweise auf die Gestaltung<br />

des öffentlichen Raums durch religiöse Gemeinschaften? Auch Fragen hinsichtlich<br />

ästhetischer Aspekte, die weltweit sakrale Räume und Ritual-Schauplätze<br />

unterschiedlicher Religionen prägen, sowie mit Blick auf Verflechtungen von Religions-<br />

und Stadtgeschichte sind von Interesse. Zu befragen sind auch die Rolle religionshistorischer<br />

und -politischer Geographien „fremder“ Kulturen für Europa sowie<br />

imaginierte Geographien von mythischen Landschaften und „Unterwelten“.<br />

Ziel des Panels ist es, anhand konkreter Fallbeispiele theoretische und methodische<br />

Möglichkeiten und Analysechancen zu diskutieren, die durch eine Zugrundelegung<br />

der Raumperspektive in der Religionswissenschaft entstehen.<br />

Jens Kugele: Zurück zum Raum – Raumtheorie und Religionswissenschaft<br />

Die Vielzahl von theoretischen Arbeiten, die sich seit den 1980er Jahren besonders<br />

in der englisch- und französichsprachigen Diskussion dem Thema „Raum“<br />

widmet, geht auf ein interdisziplinäres AutorInnenfeld zurück. Über Begriffe wie<br />

u.a. „space“, „place“, „thirdspace“, „locality“, „lieu“ oder „milieu“ wurde vor<br />

allem aus sozialgeographischer, soziologischer, geschichtswissenschaftlicher und<br />

ethnologischer Perspektive ein Reflexionshorizont erarbeitet, der in den Kulturwissenschaften<br />

zu einem bahnbrechenden raumtheoretischen Paradigmenwechsel<br />

führte. Aus unterschiedlichen Gründen war die Religionswissenschaft in<br />

dieser interdisziplinären Diskussion bislang kaum vertreten. Auch die Rezeption<br />

dieses Theorieangebots in der religionswissenschaftlichen Forschung ist gerade<br />

im deutschsprachigen Raum vergleichsweise verhalten. Der Beitrag geht auf einige<br />

disziplingeschichtliche Gründe dieser Zurückhaltung ein und argumentiert<br />

anhand pointierter empirischer Beispiele für das fruchtbare Potenzial raumtheoretischer<br />

Ansätze für die religionswissenschaftliche Forschung.<br />

Christa Frateantonio: Neue religiöse Räume in der Moderne: Yoga-Studios als<br />

urbanes Phänomen<br />

Yoga-Studios sind unterschiedliche, d.h. großenteils nicht untereinander vernetzte<br />

kommerziell arbeitende Unternehmen mit eigenen Räumlichkeiten und einem<br />

turnusmäßigen Angebot von Kursen, die von unterschiedlichen ‚Lehrern‘ abgehalten<br />

werden (Websites). Sie existieren praktisch in allen europäischen Städten<br />

103


und weisen spezifische räumliche Konzentrationen innerhalb des städtischen<br />

Raumes auf (Google Maps): teils in zentraler Lage (Innenstädte), teils in Stadtvierteln,<br />

die sich bei näherer Analyse als gentrifiziert qualifizieren lassen. Das<br />

Phänomen städtischer Yoga-Studios wird anhand ihrer Standorte und Websites<br />

im Horizont dreier Theoretiker der Moderne respektive moderner Städte analysiert:<br />

1. Henri Lefevre (Produktion von Raum ist Strukturierung von Sozialbeziehungen),<br />

2. <strong>Georg</strong> Simmel (kapitalistische Großstädte erzeugen bestimmte soziale<br />

und psychische Dispositionen und. 3. Hartmut Rosa (Beschleunigung als modernes<br />

Phänomen, kompensiert u.a. in ‚Entschleunigungsoasen‘ = Yoga-Studios).<br />

Martin Baumann: Neue Sakralbauten in der Politik des Raums<br />

Viele, sicherlich nicht allen Religionen und ihren Gemeinschaften ist eine öffentliche<br />

Darstellung durch sichtbare und repräsentative Sakralbauten wichtig. Diese<br />

öffentliche Repräsentanz scheint u.a. für marginalisierte bzw. neu hinzugetretene<br />

religiöse Gemeinschaften ein Mittel zu sein, an dem gesellschaftlich konstruierten<br />

Raum Anteil zu erhalten und damit an der Besetzung von Öffentlichkeit und<br />

Prestige zu partizipieren. Die Debatte um den Bau von Minaretten in der<br />

Schweiz, jedoch schon zahlreiche frühere Debatten um neue Sakralbauten oder<br />

öffentliche Performanzen (u.a. Muezzin-Ruf) etwa in Deutschland, Österreich,<br />

Italien oder der Schweiz, verweisen auf die implizite Normativität des öffentlichen<br />

Raums und damit die „Politik des Raums“ (Lefèbvre). Der öffentliche Raum<br />

ist für neu hinzutretende Religionsgemeinschaften nicht ohne weiteres zugänglich.<br />

Sie können zugelassen, unter Auflagen zugelassen oder ausgeschlossen und<br />

etwa Neubauten verboten werden. Das Zentrum Religionsforschung (<strong>Universität</strong><br />

Luzern) hat diese Prozesse im Rahmen seines Dokumentationsprojekts „Kuppel –<br />

Tempel – Minarett“ erforscht (www.religionenschweiz.ch/bauten), indem es alle<br />

in der Schweiz neu erbauten Religionsgebäude von Immigranten seit 1945 erhob.<br />

Die Spannweite der Baurealisierungen reicht von reibungsloser Umsetzung bis<br />

hin zu Verbot und Ausschluss. Die Untersuchung hat u.a. auch gezeigt, dass die<br />

Qualität der lokalen sozialen Beziehungen die Chancen einer Baudurchführung<br />

weitaus stärker beeinflussen können als das allgemeine Image einer Religion.<br />

Diese lokalen ‚Raumpolitiken‘ können damit Begrenzungen des normativ ‚besetzten‘<br />

öffentlichen Raums durchbrechen: lokal gutes Ansehen einer Religionsgemeinschaft<br />

kann zur öffentlich und raumpolitischen Repräsentanz durch einen<br />

Sakralbau führen, auch entgegen dem gesellschaftlichen Diskurs. Der Vortrag<br />

wird mithilfe Lefèbvres „Politik des Raums“ ausgewählte Beispiele von Sakralbauprojekten<br />

analysieren und die Tragfähigkeit der Perspektive prüfen.<br />

104<br />

Thorsten Wettich: Theorizing religious practice in spatial terms – die yezidische<br />

Gemeinde in Deutschland<br />

Die ethnoreligiöse Gemeinschaft der Yeziden erlebt eine überaus vitale Entwicklung:<br />

Im Rahmen der Migrationsbewegung ihrer Subjekte aus den kurdischen<br />

Herkunftsgebieten nach Westeuropa setzt sich die monotheistische Religion<br />

selbst in Bewegung. Ihre transnationalen Austauschprozesse, sowie ihre diasporische<br />

Neugestaltung lassen dynamische Neuformierungen in der religiösen Praxis


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

im Alltag erkennen. Grounding religion – also das empirische Erfassen dieser vitalen<br />

Transformationen – wird zur methodologischen Herausforderung. Der spatial<br />

turn hat für das Forschungsdesign solcher sozialer Aushandlungsprozesse theoretische<br />

Ansätze zur Verfügung gestellt, die sich in religionswissenschaftlicher<br />

Perspektive im Forschungsdesign anwenden lassen. Mithilfe des Raumes ist es<br />

möglich die aktuellen religiösen Bewegungen in der yezidischen Gemeinde in<br />

Deutschland holistisch zu überblicken und gleichzeitig in die relevanten religiösen<br />

Handlungen auf alltäglicher Ebene einzutauchen. Dies gelingt mithilfe der handlungs-<br />

und alltagszentrierten Perspektive auf religiösen Raum als soziale Produktion<br />

in der Dialektik von Determination und Aneignung.<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Vasilios Makrides (Erfurt)<br />

Postmoderne und Postkoloniale Zugänge zur Religion im Osten<br />

Europas<br />

<br />

<br />

<br />

Sebastian Rimestad: Die russisch-orthodoxe Sicht auf den<br />

Postsäkularismus<br />

Vasilios Makrides: Orthodoxes Christentum in Ost- und Südosteuropa in<br />

postkolonialer Perspektive<br />

Stamatios Gerogiorgakis: Kann es eine postmoderne oder postkoloniale<br />

christliche Orthodoxie geben?<br />

Der Osten Europas stand über Jahrhunderte unter dem prägenden Einfluss westeuropäischer<br />

Entwicklungen unterschiedlicher Art und Intensität (z.B. im Rahmen<br />

diverser Modernisierungsprogrammen). Diese lange Abhängigkeit führte zu einer<br />

Fülle von einheimischen, religiös-motivierten Reaktionen, die die eigene Kultur und<br />

Entwicklungen mit einer entsprechenden „einheimischen Brille“ zu betrachten und<br />

zu evaluieren trachteten. In diesem Kontext galt die westliche Moderne nicht als<br />

nachahmungswürdiges Entwicklungsmodell. Die „Kolonisation“ des Ostens durch<br />

den Westen wurde kritisch reflektiert und bearbeitet. Solche Reaktionen können<br />

mit Hilfe von postmodernen und postkolonialen Theorieansätzen untersucht und<br />

beleuchtet werden. Dasselbe gilt auch für die Zeit des Kommunismus, der über weite<br />

Teile Osteuropas Fuß fasste. Diese atheistischen und säkularen Regimes haben<br />

im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts versucht, nicht nur institutionelle Religionen,<br />

sondern sogar die Religiosität aus ihren Gesellschaften zu verdrängen, oder sie<br />

zumindest in die Privatsphäre abzudrängen. Die Entwicklungen seit dem Untergang<br />

des Kommunismus 1989/91 und des daraus resultierten ideologischen Vakuums<br />

können ebenfalls mit Theorien des Postkolonialismus sowie der Postmoderne<br />

beschrieben werden. Unser Panel wird sich der theoretischen Untermauerung des<br />

untererforschten religiösen Feldes in Osteuropa zuwenden. Nicht nur das traditionell<br />

in diesen Regionen dominierende Orthodoxe Christentum, sondern auch andere<br />

christliche Kirchen, kleinere traditionelle Religionsgemeinschaften sowie „Neue<br />

Religionen“ können mit dieser Art von Theorien analysiert werden. Das Panel<br />

105


erhofft sich, unterschiedliche theoretische, geographische und religiöse Themenfelder<br />

miteinander vergleichen zu können.<br />

Sebastian Rimestad: Die russisch-orthodoxe Sicht auf den Postsäkularismus<br />

Der in der letzten Dekade viel und kontrovers diskutierte Ausdruck der „postsäkularen<br />

Welt“ hängt eng mit postmodernen Theorien zusammen, genau wie<br />

Säkularisierung und Moderne lange als komplementär angesehen wurden. Genau<br />

wie die Säkularisierungsthese ruft auch der „Post-Säkularismus“ Kritiker auf<br />

den Plan und wird mit vielfachen Bedeutungen verwendet. Es kann eine Abkehr<br />

vom Gedanken der Säkularisierung bedeuten, seine Weiterführung oder gar<br />

seine Ausblendung. Im russischen Kontext nimmt die These der postsäkularen<br />

Welt allerdings einen mehr konkreten Gehalt an, da dort Säkularismus konkret<br />

mit der Herrschaft des Kommunismus (1917-1990) im Zusammenhang gebracht<br />

werden kann. Der Post-Säkularismus sei daher ein greifender Name für die Periode<br />

seit den politischen Umbrüchen um 1990/91. Mein Beitrag wird die Debatte<br />

um den Post-Säkularismus im russisch-orthodoxen Kontext beleuchten und versuchen,<br />

Anknüpfungspunkte zur Debatte in der restlichen Welt aufzuzeigen.<br />

106<br />

Vasilios Makrides: Orthodoxes Christentum in Ost- und Südosteuropa in<br />

postkolonialer Perspektive<br />

Was hat das Orthodoxe Christentum mit postkolonialen Theorien und Perspektiven<br />

zu tun? Ost- und Südosteuropa, nämlich die geographischen Gebiete, in<br />

denen das Orthodoxe Christentum historisch Fuß fasste und bis heute noch<br />

mehrheitlich verankert ist, waren nie Kolonien von westeuropäischen Mächten<br />

im strikten Sinne des Wortes. Diese Aporie mag auf den ersten Blick berechtigt<br />

erscheinen, doch kann die Frage aus einem anderen Blickwinkel durchaus nachvollziehbar<br />

sein. Auch wenn die obigen Gebiete stricto sensu nie westliche Kolonien<br />

waren, waren die externen Einflüsse Westeuropas auf sie während der Neuzeit<br />

und der Moderne sehr stark, nachhaltig und prägend, so dass man von einer<br />

„Kolonisation“ des orthodoxen Ostens und Südostens Europas sprechen kann.<br />

Die multiplen Konsequenzen dieser Art von Kolonisation sind auf mehreren<br />

Ebenen zu lokalisieren und zu beobachten; zum Beispiel, in der Gleichsetzung<br />

von Verwestlichung, Modernisierung und Europäisierung, die für sehr lange Zeit<br />

gültig blieb. Interessanterweise haben Orthodoxe unterschiedlicher Provenienz<br />

im Laufe des 20. Jahrhunderts angefangen, sich schrittweise von dieser Art von<br />

Kolonisation zu befreien, und dabei versucht, ihre eigenen orthodoxen Wurzeln<br />

wiederzuentdecken sowie eine authentische „orthodoxe Stimme“ zu artikulieren<br />

und laut hören zu lassen. Diese Kolonisation sei – so die entsprechende Ansicht –<br />

mit einer völligen Verdrehung der eigenen echten orthodoxen Kriterien und<br />

Perspektiven verbunden und mit einer „babylonischen Gefangenschaft“ der<br />

orthodoxen Welt insgesamt gleichzusetzen. All dies ging mit einer heftigen Kritik<br />

Westeuropas bzw. des Westens einher, die oftmals als „Quelle allen Übels“<br />

betrachtet wurden. Postkoloniale Theorieansätze eignen sich daher durchaus,<br />

um diese orthodoxen Diskurse in ihrem spezifischen Kontext zu analysieren und


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

um deren Aufbau und Logik besser nachzuvollziehen, eine Aufgabe, die in der<br />

relevanten Forschung bisher ausgeblieben ist.<br />

Stamatios Gerogiorgakis: Kann es eine postmoderne oder postkoloniale<br />

christliche Orthodoxie geben?<br />

Der christlichen Orthodoxie wird jüngst eine Affinität zur Postmoderne nahegelegt.<br />

Außerdem gibt es postkoloniale Annäherungen zu ihr. Ich argumentiere im<br />

Sinn eines Selbstbildes bzw. einer Innenperspektive der Orthodoxie gegen diese<br />

jüngsten Entwicklungen. Ich behaupte vielmehr, dass ein postmodernes oder<br />

postkoloniales Orthodoxes Christentum Oxymora sind. Eine minimale These, die<br />

ein postmoderner christlich-orthodoxer Ansatz vertreten muss, lautet: 1. Das<br />

Orthodoxe Christentum „widersetzt sich“ seiner durchgängigen Systematisierung,<br />

da es sich nicht im Sinn eines großen Narrativs auf konsistente Weise<br />

analysieren lässt. Ich behaupte, dass der Nebensatz wahr ist: Es gibt im Orthodoxen<br />

Christentum, vor allem in der orthodoxen Theologie, inkonsistente Lehrstücke.<br />

Das aber berechtigt nicht zur Annahme des Hauptsatzes. Seit der Spätantike<br />

setzte sich das Gesamtchristentum zum Ziel, eine konsistente Theologie zu<br />

bilden. Nach dem Schisma wurde dieses Anliegen im Osten keineswegs aufgegeben,<br />

sondern im Sinn der westlichen Theologie weitergeführt: Das Orthodoxe<br />

Christentum sollte eine Theologie nach dem Vorbild der Scholastik aufbauen, nur<br />

anders als das westliche Christentum. Von postmoderner Seite könnte allerdings<br />

entgegnet werden, die systematisierende Tendenz des Orthodoxen Christentums<br />

wäre auf eine koloniale Beeinflussung des östlichen Christentums durch die<br />

Scholastik, später durch die historisch-kritische Methode, zum Schluss durch verschiedene<br />

Spielarten römisch-katholischer und evangelischer Dogmatik im 19.<br />

und im 20. Jh. zurückzuführen. D.h. 2. Das Orthodoxe Christentum befand sich<br />

lange unter dem Einfluss eines westlichen Verständnisses von Kirche und Religion,<br />

zu dem es sich originär nicht bekennt. Ich werde mit historischen Beispielen<br />

gegen These (2) argumentieren. Allgemein werde ich dafür plädieren, dass die<br />

(durchaus bestehenden) westlichen Einflüsse im Orthodoxen Christentum keine<br />

„Fremdkörper“ sind.<br />

16:15 – 17:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Jürgen Mohn (Basel)<br />

Die Verwissenschaftlichung des Religionsbegriffs (II)<br />

<br />

<br />

Jürgen Mohn: Lexikalische und institutionelle Formen der<br />

Verwissenschaftlichung von ‚Religion‘<br />

Jens Kreinath: Religionsphänomenologie als Theorie, Methode,<br />

Gegenstand: Diskursgeschichtliche Analysen zur Formation eines<br />

Wissenschaftsparadigmas der Religionswissenschaft im späten 19. und<br />

frühen 20. Jahrhundert<br />

107


Michael Stausberg: Vorarbeiten zu einer Geschichte der<br />

Religionswissenschaft<br />

Panelabstract vgl. S. 93<br />

Jürgen Mohn: Lexikalische und institutionelle Formen der Verwissenschaftlichung<br />

von ‚Religion‘<br />

Anhand von Lexika und Zeitschriften sowie der entstehenden Kongresskultur<br />

kann gezeigt werden, dass sich auch das Religionsverständnis im Zuge performativer<br />

Verwissenschaftlichung verändert. Theorie und Empirie sind heute konstitutive<br />

Elemente des Verwissenschaftlichungsdiskurses. Doch wie sah das in der<br />

konstitutiven Phase der Verwissenschaftlichung von Religion aus? Spielten diese<br />

oder andere Begriffe und Distinktionen eine Rolle bei der Verwissenschaftlichung<br />

von Religion? Auch ist zu berücksichtigen, dass die Wissenschaftskulturen im 19.<br />

Jahrhundert unterschiedliche Wissenschafts- und Religionskonzepte aufeinander<br />

bezogen haben. Daher ist es hilfreich, diese Frage anhand des französisch- und<br />

des deutschsprachigen Verwissenschaftlichungsterrains kontrastiv herauszuarbeiten.<br />

108<br />

Jens Kreinath: Religionsphänomenologie als Theorie, Methode, Gegenstand:<br />

Diskursgeschichtliche Analysen zur Formation eines Wissenschaftsparadigmas der<br />

Religionswissenschaft im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert<br />

Die wissenschaftsgeschichtlichen Bestimmungen zur Genese der Religionsphänomenologie<br />

als Theorie und Methode der religionswissenschaftlichen<br />

Forschung ist bislang wenig zum Gegenstand einer kritischen Diskursanalyse<br />

gemacht worden. Gegenüber den wissenschaftsgeschichtlichen Forschungen zu<br />

Nathan Söderblom (1915), Rudolf Otto (1917), Gerardus van der Leeuw (1933),<br />

Mircea Eliade (1945), und Friedrich Heiler (1961) als den prominentesten Vertretern<br />

dieses Forschungsparadigmas gibt es nur wenig Forschungen zur Vorgeschichte<br />

der Religionsphänomenologie, welche die Genese dieses Paradigmas im<br />

Kontext von Friedrich Max Müller (1867), Cornelius Petrus Tiele (1877), Pierre<br />

Daniel Chantepie de la Saussaye (1887) herausarbeiten und die engen Verknüpfungen<br />

der frühen Religionsphänomenologie mit den europäischen Diskursen der<br />

Religionsphilosophie und Religionsethnologie berücksichtigen. Ziel dieses Vortrages<br />

wird es sein, die gleichsam vergessene Vorgeschichte der Religionsphänomenologie<br />

als eine Archäologie des Wissens (Foucault 1969) diskursanalytisch zu<br />

rekonstruieren. Dabei werden neben diskurs- und begriffsgeschichtlichen Analyseverfahren<br />

auch veröffentlichungsgeschichtliche Untersuchungen methodisch<br />

verwendet, um neben der Genese der phänomenologischen Methode bei<br />

Chantepie de la Saussaye auch die komplexe Rezeptions- und Wirkungsgeschichte<br />

dieses Wissenschaftsparadigmas bis zu Emile Durkheim, Nathan Söderblom<br />

und Gerardus van der Leeuw herausarbeiten zu können. Die Berücksichtigung<br />

religionswissenschaftlicher und ethnologischer Kongresse und religionsphilosophischer<br />

Vorlesungsreihen um die Jahrhundertwende soll darüber hinaus<br />

Aufschluss über die internationale und interdisziplinäre Vernetzung der religi-


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

onswissenschaftlichen Diskurse dieser Zeit geben. Die Relevanz dieses Vortrages<br />

besteht darin, dass die Religionsphänomenologie nicht nur als diskursgeschichtliche<br />

Theorie zum Gegenstand des heutigen religionswissenschaftlichen Diskurses<br />

von Interesse ist, sondern auch als Methode wenn auch in veränderter Diskursform<br />

durchaus noch Bestandteil der Religionsethnologie und Religionsästhetik<br />

ist.<br />

Michael Stausberg: Vorarbeiten zu einer Geschichte der Religionswissenschaft<br />

Eine zusammenhängende Geschichte der Religionswissenschaft fehlt. Der Vortrag<br />

möchte die bisher vorliegenden Ansätze und Modelle vorstellen und das<br />

Konzept einer Fachgeschichte vorstellen.<br />

Panelstrang B: ZHG 102<br />

Panel entfällt!<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Katja Triplett (<strong>Göttingen</strong>)<br />

Religionen Asiens<br />

<br />

<br />

<br />

Ann-Kathrin Wolf: Performanz buddhistischer Texte und Theorien zu<br />

Mündlichkeit und Schriftlichkeit<br />

Henry Zimmermann: P’ansu. Über Nutzen und Hinderlichkeit des<br />

Schamanismusparadigmas in der ‚Archäologie‘ eines religiösen<br />

Spezialistentums in Korea<br />

Julia Linder: Der Buddhismus im heutigen Indonesien – ein aktueller<br />

Forschungsbericht<br />

Ann-Kathrin Wolf: Performanz buddhistischer Texte und Theorien zu<br />

Mündlichkeit und Schriftlichkeit<br />

Für die letzten Jahre lässt sich die Tendenz in den Kulturwissenschaften beobachten,<br />

dass Untersuchungen sich vermehrt auf Praxistheorien und die Materialität<br />

von Objekten fokussieren und dabei die klassisch-philologische Betrachtung von<br />

Texten in den Hintergrund tritt. Diese Herangehensweise eröffnet die Möglichkeit<br />

einer neuen Perspektive für Theorien um den Komplex Mündlichkeit und<br />

Schriftlichkeit. Dabei besitzt dieser Theorie-Komplex sowohl für die religionswissenschaftliche,<br />

als auch kultur- und medienwissenschaftliche Theoriebildung<br />

Relevanz. Beispielhaft werde ich anhand von buddhistischen Texten auf Sri Lanka<br />

den Fragen nachgehen, welche religiösen Handlungsmuster sich um diese gebildet<br />

haben, wie sich die Beziehung dieser Muster mit inhaltlichen Aspekten<br />

beschreiben lässt und inwiefern Medienwechsel einen transformierenden<br />

Einfluss auf die Textperformanz sowie die Rezeption und soziale Einbettung des<br />

Inhalts dieser Texte haben.<br />

109


Henry Zimmermann: P’ansu. Über Nutzen und Hinderlichkeit des<br />

Schamanismusparadigmas in der ‚Archäologie‘ eines religiösen Spezialistentums<br />

in Korea<br />

Seit der Einführung des Schamanismus-Begriffs in die Religionsgeschichte Koreas<br />

im ausgehenden 19. Jh. durch hauptsächlich englischsprachige Reisende und<br />

Missionare hat sich die koreanische Halbinsel in der internationalen vergleichenden<br />

Schamanismusforschung inzwischen zu einem sekundären locus classicus (im<br />

Sinne eines häufig berücksichtigten, typischen Beispiels) entwickelt. Einerseits<br />

verhalf das anhaltende Interesse an dem, was von koreanischen wie ausländischen<br />

Akademikern und Nicht-Akademikern immer wieder neu als koreanischer<br />

Schamanismus definiert wurde, den ‚populären‘ und ‚inoffiziellen‘ Bereichen der<br />

religiösen Landschaft Koreas zu kontinuierlicher Aufmerksamkeit, andererseits<br />

führte es in vielen Darstellungen zu einer zu starken Homogenisierung der koreanischen<br />

Volksreligion und ihrer zu voreiligen Ineinssetzung mit der durchaus<br />

problematischen Kategorie Schamanismus. Der Vortrag wird anhand der Untersuchung<br />

der meist unter der Bezeichnung P’ansu firmierenden und in der Forschung<br />

beinahe in Vergessenheit geratenen blinden Heiler und Exorzisten Koreas<br />

exemplarisch zeigen, dass heutige Versuche, die Vielfalt volksreligiöser Spezialisierungen<br />

in religionstypologischen ‚Zwischenräumen‘ zu rekonstruieren, mit<br />

einer kritischen Reevaluierung (und Historisierung) des Begriffsgebrauchs im<br />

Schamanismusdiskurs, insbesondere soweit er sich auf Korea und Ostasien insgesamt<br />

bezieht, und seiner u. U. eher verdeckenden als aufklärenden Konsequenzen<br />

beginnen müssen.<br />

110<br />

Julia Linder: Der Buddhismus im heutigen Indonesien – ein aktueller<br />

Forschungsbericht<br />

Der Vortrag ist als Praxisbericht einer empirischen Erforschung gelebter Religion<br />

am Beispiel des Buddhismus im heutigen Indonesien konzipiert. Dabei sollen die<br />

konkreten Herausforderungen, der Methodenansatz, die Erschließung des<br />

Feldes, Problembereiche sowie Ergebnisse und Ausblicke meiner Feldforschung<br />

(Januar bis September <strong>2013</strong>) zur Sprache kommen. Die Datenerhebung war u.a.<br />

auf die adäquate Abbildung religiöser Laien in der Erfassung gelebter Religiosität<br />

und in den Organisationsstrukturen einer religiösen Minderheit ausgerichtet,<br />

sowie auf eine Verortung des Buddhismus bzw. der verschiedenen Buddhismusformen<br />

in der pluralistischen Religionslandschaft Indonesiens (unter Berücksichtigung<br />

der Religionsausrichtung auf politische Konformität). Seit Mitte des 20.<br />

Jahrhunderts musste sich der Buddhismus in Indonesien für die Anerkennung<br />

und den Erhalt als Religion zunehmend an den Klassifikationsmodellen des Religionsministeriums<br />

orientieren und ist in manchen seiner Ausformungen noch<br />

immer wesentlich von dieser Ausrichtung geprägt. In den letzten Jahrzehnten<br />

werden diese Probleme der Positionierung des Buddhismus in Abhängigkeit von<br />

der indonesischen Religionspolitik zunehmend von internen Problemen und Spaltungen<br />

abgelöst. Eine Momentaufnahme des Buddhismus im heutigen Indonesien<br />

bildet darüber hinaus das Zusammenspiel noch vieler weiterer Faktoren ab,<br />

die in ihrer Dynamik und im gegenseitigen Wechselspiel das besondere Gepräge


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

dieser religiösen Gegenwartskultur widerspiegeln. So ergibt nicht die gleichteilige<br />

Addition der kontextualen Faktoren einen statischen ‚Indonesischen Buddhismus‘.<br />

Vielmehr verschiebt sich diese Zusammensetzung permanent und rückt für<br />

einzelne Gruppen bestimmte Aspekte zeitweilig in den Vordergrund. Darin<br />

bestehen die konkreten Herausforderungen der Erfassung und Analyse dieser gelebten<br />

Religion und der systematischen Kategorisierung des gegenwärtigen Buddhismus<br />

in Indonesien anhand bestehender Terminologien und Klassifikationsmuster.<br />

Panelstrang D: ZHG 104<br />

Christiane Altmann (Halle)<br />

Wissenschaftsdiskurs und der Beitrag der Religionswissenschaft<br />

<br />

<br />

<br />

Christiane Altmann: Religionswissenschaftliche Beiträge zum Jüdischen<br />

Messianismus: Chabad Lubavitch im Kontext von Religiösen<br />

Nonkonformismus<br />

Oliver Freiberger: Indische Religionen oder Religionen in Indien?<br />

Perspektivenunterschiede in Regionalstudien und Religionswissenschaft<br />

Matthias Egeler: Lokale Religionsgeschichte, Religionswissenschaft und<br />

Religionskontakt: Möglichkeiten eines religionswissenschaftlichen Beitrags<br />

zum Wissenschaftsdiskurs am Beispiel der Inseln der Seligen<br />

Die Empirie der Religionswissenschaft basiert u.a. auf Zuarbeiten: Religionen und<br />

deren Geschichte werden von einer Vielzahl an Regionalwissenschaften<br />

(mit-)erfasst. Deren Beitrag besteht in sprachlichen und kulturgeschichtlichen<br />

Kenntnissen, sowie Erfahrungen in der Forschungspraxis. Die Religionswissenschaft<br />

reflektiert über die empirischen Daten, deren wissenschaftliche Repräsentation und<br />

deren Analyse anhand theoretischer Fragestellungen. Im Panel gilt es die religionswissenschaftliche<br />

Perspektive in ihrer Arbeit mit anderen Fachbereichen (Regionalwissenschaften,<br />

Judaistik, uvm.) zu hinterfragen und deren Neu- oder Umbewertung<br />

von empirischen Daten zu analysieren: An konkreten Beispielen soll der<br />

religionswissenschaftliche Beitrag bei der Reflexion von Terminologien und Begrifflichkeiten<br />

veranschaulicht werden. Welche Grenzen zeigen sich im Prozess der<br />

theoretische Reflexion über Religion?<br />

Christiane Altmann: Religionswissenschaftliche Beiträge zum Jüdischen<br />

Messianismus: Chabad Lubavitch im Kontext von Religiösem Nonkonformismus<br />

1994 stirbt Menachem Mendel Schneerson, der siebte Rebbe der chassidischen<br />

Gruppe Chabad Lubavitch. Bereits zu seinen Lebzeiten kam unter seinen Anhängern<br />

eine breite Diskussion um den messianischen Status Schneersons auf. 1992<br />

erlitt der Rebbe einen Schlaganfall. Die messianischen Kräfte innerhalb Chabads<br />

vertraten nun öffentlich ihren Glauben an den Messias Schneerson. 1993 bereiteten<br />

sie alles für eine Krönung vor. Diese Geschehnisse sorgten für Aufsehen.<br />

Eine jüdisch-orthodoxe Gruppe bezeichnet eine real existierende Person als<br />

111


Messias? Nach jüdischem Selbstverständnis muss dies als abweichend gewertet<br />

werden, schließlich gilt der Glaube an das Kommen des Messias als einer der<br />

Grundpfeiler der jüdischen Religion. Die Juden warten auf ihren Erlöser. Im<br />

Mittelpunkt steht der Wissenschaftsdiskurs zu Chabad Lubavitch im Themenfeld<br />

Jüdischer Messianismus. Anhand des religionswissenschaftlichen Konzeptes von<br />

Religiösem Nonkonformismus gilt es die messianischen Entwicklungen bei<br />

Chabad Lubavitch einer Neubewertung zu unterziehen. Die bisher v.a. von judaistischen,<br />

aber auch soziologischen und ethnographischen Studien erhoben Daten<br />

sollen im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Diskussion um Lubavitch und<br />

ihren ‚Messias’ Schneerson reflektiert werden. Denn trotz des als abweichend<br />

geltenden Messianismus wächst Chabad Lubavitch in ihren Anhängerzahlen und<br />

weltweiten Niederlassungen weiterhin: Statt Sanktionen findet die Gruppe weltweit<br />

finanzielle Unterstützung bei ihrer Arbeit als Bewahrer und Verbreiter der<br />

jüdischen Religion. Am Beispiel Chabad Lubavitchs reflektiert der Vortrag den<br />

Beitrag religionswissenschaftlicher Fragestellungen bei der wissenschaftlichen<br />

Repräsentation empirischer Sachverhalte.<br />

Oliver Freiberger: Indische Religionen oder Religionen in Indien?<br />

Perspektivenunterschiede in Regionalstudien und Religionswissenschaft<br />

Der Vortrag untersucht, ob oder wie indische Religionen (speziell Buddhismus<br />

und Hinduismus) in Regionalstudien ("Area Studies") anders betrachtet werden<br />

als in der Religionswissenschaft. Im Mittelpunkt steht die Frage, in welcher Weise<br />

die jeweiligen Umfelder die Erforschung von indischen Religionen begünstigen<br />

oder unterstützen und wo jeweils „blinde Flecken“ entstehen können. In diesem<br />

Zuge wird auch das Verhältnis von universitären Einheiten (Departments, Institute),<br />

Forschungsfeldern und wissenschaftlichen Disziplinen diskutiert.<br />

112<br />

Matthias Egeler: Lokale Religionsgeschichte, Religionswissenschaft und<br />

Religionskontakt: Möglichkeiten eines religionswissenschaftlichen Beitrags zum<br />

Wissenschaftsdiskurs am Beispiel der Inseln der Seligen<br />

Innerhalb der Wissenschaftsdiskurse einer Reihe von Regionalwissenschaften,<br />

die sich mit der alteuropäischen Religionsgeschichte und verwandten Fragen<br />

befassen, ist bereits seit dem 19. Jh. wiederholt darauf hingewiesen worden,<br />

dass zwischen Vorstellungen von mythischen Inseln der Unsterblichkeit in<br />

verschiedenen Teilen Europas auffallende Parallelen bestehen: Mythische Orte<br />

wie die nordischen Glæsisvellir, die Insel Avalon der Arthusliteratur, das „Land<br />

der Frauen“ (Tír na mBan) der frühen irischen Literatur oder die Inseln der<br />

Seligen des klassischen Mittelmeerraums werden immer wieder mit auffallend<br />

ähnlichen Zügen verbunden. Dies wirft die Frage auf, ob sich in solchen Ähnlichkeiten<br />

weitreichende Kultur- und Religionskontakte widerspiegeln. Innerhalb der<br />

Regionalwissenschaften wurde seit dem 19. Jh. jedoch kein systematischer<br />

Versuch mehr unternommen, sich mit dieser Frage umfassend auseinanderzusetzen.<br />

Hier bieten sich für die Religionswissenschaft Ansatzmöglichkeiten, durch<br />

eine überregionale Perspektive und die Reflexion des Religionsvergleichs einen<br />

wesentlichen Beitrag zum Wissenschaftsdiskurs zu leisten.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Panelstrang E: ZHG 105<br />

Edith Franke (Marburg) und Bärbel Beinhauer-Köhler (Marburg)<br />

Religiöse Zuschreibungs- und Gestaltungsprozesse von Natur-<br />

Räumen. Empirische Beispiele und theoretische Reflexionen<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Edith Franke: Religiöse Interpretationen der vulkanischen Aktivitäten des<br />

Merapi im Spannungsfeld lokaler und islamischer Traditionen auf Java<br />

Celica Fitz: Von konstruierter Natürlichkeit zur Sinnstiftung in<br />

Wellnessanlagen<br />

Julia Dippel: Ein Heiligtum unter der Haube – Die (Re-)Konstruktion eines<br />

paganen Heiligtums in der Eifel<br />

Bärbel Beinhauer-Köhler: „Natur“ als gestalterisches Zeichen in<br />

multireligiösen architektonischen Räumen der Gegenwart<br />

Spätestens der „spacial turn“ hat den Blick für sozio-kulturelle Zuschreibungen zu<br />

Orten, Stätten und Landschaften geöffnet. Raum wird dabei zum einen verstanden<br />

als eine Kategorie der Imagination von Bedeutungen und Ordnungen und zum<br />

anderen auf konkrete Plätze (Orte/Lokalitäten) bezogen, die im Wechselspiel mit<br />

solchen Vorstellungen für Rituale oder andere Lebensvollzüge gestaltet werden. Im<br />

Panel wird das Augenmerk auf verschiedene Beispiele der Transformation von<br />

Natur-Räumen in ihrer religiösen Verortung und Gestaltung sowie ihrer Resonanz<br />

im sozio-kulturellen Kontext gelegt: Die Spannung von „vorher“ und „nachher“ in<br />

der Zuschreibung zu und Gestaltung von Natur werden hier Dynamiken von Religion<br />

im Sinne von Prozesshaftigkeit, Konkurrenz kultureller Systeme, Changieren<br />

von Religion und Nichtreligion besonders greifbar. Die Beiträge des Panels widmen<br />

sich den religiösen Interpretationen der vulkanischen Aktivitäten des Merapi auf<br />

Java (Edith Franke), den Reminiszenzen an eine spirituell konnotierte „Natur“ in<br />

Wellnessanlagen in Deutschland (Celia Fitz), der zeitgenössischen Überformung<br />

eines Matronenheiligtums in der Eifel als Ort neopaganer Spiritualität (Julia Dippel)<br />

und der Natur als religionsneutralem Zeichenbestand von Räumen der Stille (Bärbel<br />

Beinhauer-Köhler). Dies gewährt zum einen empirische Einblicke in mögliche religiöse<br />

Konnotierungen von Natur-Räumen und stellt zum anderen theoretische Überlegungen<br />

zur Erforschung dieser Zuschreibungsprozesse vor. Das Panel bietet damit<br />

zugleich Einblick in das an der <strong>Universität</strong> Marburg gemeinsam vertretene Arbeitsfeld<br />

materielle Religion.<br />

Edith Franke: Religiöse Interpretationen der vulkanischen Aktivitäten des Merapi<br />

im Spannungsfeld lokaler und islamischer Traditionen auf Java<br />

Der Vulkan Merapi hat für die javanische Bevölkerung eine besondere Bedeutung.<br />

In der Mythologie (Der mythologische Merapi) gilt der Merapi als Ort eines<br />

unsichtbaren Königreiches, dessen Herrscher die in der Umgebung ansässige<br />

Bevölkerung schützt. Ein spiritueller Hüter (juru kunci) des Feuerbergs (Gunung<br />

Api) ist zuständig für die religiöse Deutung der vulkanischen Aktivitäten und<br />

113


wacht über die Einhaltung und Durchführung angemessener Rituale und Verhaltensweisen.<br />

Einmal im Jahr finden am Merapi prächtige Prozessionen statt, an<br />

denen auch der Sultan von Yogyakarta teilnimmt. Ziel dieser Rituale ist es, die<br />

Legitimation des Herrschers zu bestätigen und letztlich ein harmonisches Miteinander<br />

von Menschen und gefährlichen Naturkräften zu fördern. In meinem<br />

Beitrag werde ich den historischen und kulturellen Kontext der religiösen<br />

Zuschreibungen des Merapi als Ort kosmischer Kraft und deren Resonanz/<br />

Rezeption in der seit vielen Jahrhunderten vorwiegend islamisch geprägten Kultur<br />

Javas vorstellen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage, wie diese religiöse<br />

Besetzung von Natur in die islamische Kultur Javas integriert wird.<br />

Celica Fitz: Von konstruierter Natürlichkeit zur Sinnstiftung in Wellnessanlagen<br />

In der gegenwärtigen Erforschung der vielgestaltigen Zwischenräume von „Religion“<br />

und „Nicht-Religion“, gilt die Suche des Subjekts nach intensivierter Erfahrung<br />

des Selbst und des Körpers, unter Rückbezug auf teilweise dekontextualisierte<br />

religiöse oder als natürlich konnotierte Phänomene und Traditionen als<br />

wichtiger Aspekt. In Reaktion auf die sich seit den 1980er Jahren verstärkte Nachfrage<br />

nach spirituell angereicherten Entspannungsangeboten mit Rückbezügen<br />

zum Naturerleben, entsteht ein Wellness-Markt, der auf diese in vieler Hinsicht<br />

religiös motivierte Suche mit kommerziellen Angeboten antwortet. Mit verschiedenen<br />

Formen von Wellnessanlagen (wie beispielsweise in „Sieben Welten<br />

Therme und Spa Resort“ in Künzell, Fulda) werden Räume konstruiert, welche<br />

Architekturelemente, Symbole und Verweise nutzen, um das Erholungspotenzial<br />

verschiedener touristischer Ziele an einem Ort zu komprimieren und so eine<br />

räumlich und emotional entgrenzte Atmosphäre der Erholung und Rekreation zu<br />

erschaffen. Collageartig wird in diesen Wellnessanlagen aus einer Vielzahl als<br />

religiös oder natürlich konnotierten Heilmethoden und Erholungspraktiken eine<br />

spezifische Wellnessphilosophie konstruiert, historisch und religiös hergeleitet<br />

und medial und räumlich inszeniert. Diese Inszenierung von Natürlichkeit in<br />

Wellnessanlagen führt zur Konstruktion von sinnstiftenden Zwischenräumen, in<br />

denen die Grenzen zwischen Natur und Architektur, Authentizität und Inszenierung<br />

verschwimmen. Besucher dieser Anlagen werden auf imaginierte Reisen geführt,<br />

welche den Anspruch erheben, über eine rein körperliche Erfahrung hinaus<br />

ganzheitlich und in vermittelter Form auch spirituell wirksam zu sein. In meinem<br />

Beitrag werde ich die Wechselwirkung zwischen diesen konstruierten Natur- und<br />

Erfahrungsräumen und den Entwicklungen gegenwärtiger religiöser Phänomene<br />

untersuchen.<br />

114<br />

Julia Dippel: Ein Heiligtum unter der Haube – Die (Re-)Konstruktion eines paganen<br />

Heiligtums in der Eifel<br />

Im 1. – 4. Jh. u. Z. wurden im romanisierten Mitteleuropa Weihealtäre und Terrakotten<br />

zur Verehrung der sogenannten Matronen, keltisch-germanischer Göttinnen,<br />

angefertigt. Ein Zentrum der Matronenverehrung war der südliche Teil der<br />

römischen Provinz Germania inferior – die heutige Eifelregion. Hier wurden seit<br />

dem Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Tempelbezirke, die dem Matronenkult


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

zuzuordnen sind, archäologisch erfasst. In den 1970er Jahren wurden drei dieser<br />

Tempelbezirke teilrekonstruiert und Repliken der dort gefundenen Weihealtäre<br />

aufgestellt. Eine Fülle von Opfergaben an diesen sogenannten „Matronenheiligtümern“<br />

drücken seitdem mehr als nur ein touristisches Interesse an den antiken<br />

Matronen aus. Sie bezeugen die individuell oder kollektiv ausgeführten rituellen<br />

Handlungen einer neopagan-matriarchal orientierten Religiosität. Besondere<br />

Aufmerksamkeit erlangten die AnhängerInnen dieses modernen „Matronenkults“<br />

im Jahr 2010/11: Sie protestierten gegen den Bau eines Glas-Kubus, welcher<br />

im Rahmen der Errichtung eines archäologischen Landschaftsparks um das<br />

Matronenheiligtum in Nettersheim gebaut werden sollte. Dieser hätte die unmittelbare<br />

religiös-spirituell geprägte Zugänglichkeit dieses Heiligtums im Zuge einer<br />

hauptsächlich touristischen Nutzung des Geländes stark beeinträchtigt. In<br />

meinem Vortrag soll dieser Konflikt unter den Aspekten der gesellschaftlichen<br />

Akzeptanz nonkonformer Religiosität und der (Re-)Konstruktion sakraler Räume<br />

beleuchtet und analysiert werden.<br />

Bärbel Beinhauer-Köhler: „Natur“ als gestalterisches Zeichen in multireligiösen<br />

architektonischen Räumen der Gegenwart<br />

Die bewusst nicht nur für Christen konzipierte Autobahnkapelle an der Raststätte<br />

„Gotthard“ in der Schweiz erlaubt als zentrale visuelle Erlebnisse einen Ausblick<br />

in inszeniertes Grün sowie im Inneren die Fokussierung eines riesenhaften<br />

Rosenquarzes. Weniger artifiziell finden sich in vielfach entstehenden „Räumen<br />

der Stille“ an Schulen Rosenquarzlampen, Bilder von Bäumen oder Feng-Shui-<br />

Brunnen. Anhand der empirischen Bestandsaufnahme einzelner gestalterischer<br />

Beispiele wird der Frage nachgegangen, wie solche Reminiszenzen an die „Natur<br />

funktionieren: Geht es um eine Zen-Rezeption bereits in der Bauhaustradition<br />

oder um eine zeitgenössische Rezeption von Feng Shui, die inzwischen weltweit<br />

ein breites ästhetisches Empfinden prägt? Wurde dabei die Traditionslinie zurück<br />

zu kosmologischen Bezügen der Gestaltung von Kirchen unterbrochen? Dabei<br />

wird der These nachgegangen, dass ein Rekurs auf die „Natur“ vor allem bei neu<br />

und offen für viele Religionen konzipierten architektonischen Räumen als ein<br />

religionsneutrales Zeichen gedacht ist, das eine allen gemeinsame „Spiritualität“<br />

oder Kontemplation ermöglichen soll. Gleichzeitig ist ein solches Bild von Religionen<br />

vermutlich Teil europäischer Konstruktionen. Im weiteren Sinne geht es am<br />

Beispiel von Architektur um theoretische Reflexionen zu Religion und Ästhetik,<br />

also darum, wie fluide soziokulturelle Räume und deren relationale Raumkonstruktionen<br />

in Wechselwirkung mit Architektur stehen.<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Constantin Klein (Bielefeld) und Silvia Martens (Bern)<br />

Was ist Fundamentalismus? Und was ist das Gegenteil? Religions- und<br />

sozialwissenschaftliche Konzepte von religiösem Fundamentalismus<br />

und interreligiöser Xenosophie<br />

115


116<br />

<br />

<br />

<br />

Friederike Sadowski und Andreas Zick: Rekonzeptualisierung von<br />

religiösem Fundamentalismus: Eine ägyptische Fallstudie<br />

Silvia Martens: Xenophobie und Xenosophie in der Begegnung mit religiös<br />

Anderen<br />

Constantin Klein und Heinz Streib: Xenosophie – religiösen Pluralismus<br />

leben<br />

Wann immer die Rolle von Religion in politischen Konflikten der Gegenwart zur<br />

Sprache kommt, fällt automatisch das Wort „Fundamentalismus“. Obschon außerhalb<br />

wissenschaftlicher Diskurse oft weder Hintergrundwissen zum Begriff des Fundamentalismus<br />

– z. B. wird Fundamentalismus heute entgegen seinem Ursprung als<br />

Selbstbezeichnung innerhalb der evangelikalen Bewegung in den USA im frühen 20.<br />

Jahrhundert gemeinhin stärker mit dem Islam in Verbindung gebracht – noch konkrete<br />

Kenntnisse der durchaus zahlreichen empirischen Befunde zu Fundamentalismus<br />

sonderlich verbreitet sind, scheint es dennoch einen breiten Konsens darüber<br />

zu geben, dass Fundamentalismus 1) gefährlich und deshalb 2) gesellschaftlich<br />

unerwünscht ist. Warum welche Formen von Fundamentalismus ggf. gefährlich<br />

sind oder auch nicht, und was als Gegenentwurf zu Fundamentalismus denn als<br />

gesellschaftliche Orientierung für den Umgang mit Religionen und ihren Wahrheitsansprüchen<br />

wünschenswert wäre, scheint hingegen weitgehend unklar. Das Panel<br />

„Was ist Fundamentalismus? Und was ist das Gegenteil? Religions- und sozialwissenschaftliche<br />

Konzepte von religiösem Fundamentalismus und interreligiöser<br />

Xenosophie“ will diesen beiden Fragen sowohl in theoretischer wie empirischer<br />

Hinsicht nachgehen. Dem erweiterten Bedeutungshof von Fundamentalismus in<br />

der öffentlichen Rhetorik korrespondiert, dass insbesondere in den empirischen<br />

Sozialwissenschaften mittlerweile eine breite Palette an Fundamentalismus-<br />

Konstrukten oder verwandten Konzepten existiert (z. B. Altemeyer & Hunsberger,<br />

1992; 2005; Hood, Hill & Williamson, 2005). Neben dem Anspruch auf die literale<br />

Wahrheit der eigenen heiligen Texte wird Fundamentalismus dabei insbesondere<br />

auch mit Superioritätsansprüchen der eigenen religiösen Tradition, einem dualistisches<br />

Gut-Böse-Denken, einer Affinität zu autoritärem Denken, einem Streben nach<br />

Machtgewinn für die eigene Gemeinschaft sowie der Akzeptanz von Gewalt als<br />

legitimem Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen in Verbindung gebracht.<br />

Auf der Grundlage entsprechender Konzeptionen und darauf aufbauender Messinstrumente<br />

sind zahlreiche empirische Befunde zusammengetragen worden, die<br />

insbesondere die Verflechtung des so verstandenen Fundamentalismus mit Vorurteilen<br />

und der Abwertung von Angehörigen anderer Religionen und Kulturen, Frauen<br />

und Homosexuellen belegen (Übersichten u. a. bei Batson, Schoenrade & Ventis,<br />

1993; Hall, Matz & Wood, 2010; Hood, Hill & Spilka, 2009; Hunsberger & Jackson,<br />

2005). So wichtig viele der empirischen Befunde sind, so diskutabel sind aus religionswissenschaftlicher<br />

Sicht mindestens diejenigen Fundamentalismus-Konzepte,<br />

die weniger auf die endogen religiösen Dimensionen von Fundamentalismus als<br />

vielmehr auf die (damit zunächst einmal ja lediglich statistisch assoziierten) soziostrukturellen<br />

und psychologischen Merkmale abheben (z. B. Altemeyer & Hunsberger,<br />

1992). Das wird besonders deutlich, wenn die Verwendbarkeit von Messinstrumenten<br />

aus der sozialwissenschaftlichen Fundamentalismus-Forschung im


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

interkulturellen und interreligiösen Kontext problematisiert wird. Hier ist es<br />

notwendig, zunächst einmal den Verstehenshorizont von Messinstrumenten, die in<br />

der westlichen Welt auf der Grundlage bestehender Fundamentalismus-Konzepte<br />

entwickelt worden sind, selbst empirisch zu untersuchen. Eine Möglichkeit dazu<br />

bieten sog. kognitive Interviews. Im Rahmen des Panels wird dieses Vorgehen in<br />

einem ersten Beitrag (Sadowski & Zick) exemplarisch am Beispiel der Rezeption von<br />

Aussagen der Intratextuellen Fundamentalismus-Skala (Williamson & Hood, 2005;<br />

Williamson et al. 2010) durch muslimische Respondenten aus Ägypten illustriert,<br />

und es werden Konsequenzen für die Konzeption von Fundamentalismus im<br />

Rahmen empirischer Forschung diskutiert. Dabei wird deutlich, dass es nicht „den<br />

Fundamentalismus“ gibt, sondern dass fundamentalistische Gesinnungen je nach<br />

individuellen Merkmalen, religiöser Tradition und soziokulturellem Kontext höchst<br />

unterschiedlich aussehen können. Die beiden weiteren Vorträge des Panels<br />

widmen sich der Frage, wie ein Gegenentwurf zu den gesellschaftlich als kritisch<br />

eingeschätzten Fundamentalismen aussehen könnte, und stellen zu diesem Zweck<br />

Konzeption und Ergebnisse von empirischen sozial- und religionswissenschaftlichen<br />

Studien zum Konzept der Xenosophie dar. Im Beitrag von Silvia Martens wird das<br />

Konzept der Xenosophie als Gegenentwurf zur interreligiösen Xenophobie vorgestellt<br />

und das Design einer in der Schweiz geplanten, sowohl quantitativ als auch<br />

qualitativ vorgehenden empirischen Studie zur Untersuchung xenophober und<br />

xenosopher religiöser Orientierungen präsentiert. Die Untersuchung ist als Kooperationsprojekt<br />

zu einer ähnlichen Studie geplant, die in Deutschland gegenwärtig<br />

bereits an der <strong>Universität</strong> Bielefeld durchgeführt wird und an verschiedene empirische<br />

Voruntersuchungen zu Konzept, Korrelaten und Effekten der Xenosophie<br />

anschließt. Dazu gehört insbesondere die deutlich negative Assoziation zu Maßen<br />

des religiösen Fundamentalismus ("Religious Fundamentalism Scale"; Altemeyer &<br />

Hunsberger, 1992; Subskala „Truth of Texts and Teachings“ der „Religious Schema<br />

Scale“; Streib, Hood & Klein, 2010), die als empirischer Beleg für die inverse Beziehung<br />

von Fundamentalismus und Xenosophie gewertet werden kann. Auf dieser<br />

Grundlage lässt sich auch das Verhältnis zwischen den theoretischen Konzeptionen<br />

von Fundamentalismus und interreligiöser Xenosophie diskutieren. Dieses und<br />

weitere Resultate der bisherigen empirischen Erforschung von Xenosophie werden<br />

im dritten Beitrag des Panels (Klein & Streib) berichtet und hinsichtlich ihrer<br />

wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen zur Diskussion gestellt.<br />

Friederike Sadowski und Andreas Zick: Rekonzeptualisierung von religiösem<br />

Fundamentalismus: Eine ägyptische Fallstudie<br />

Religiöser Fundamentalismus wird oft mit rigidem, dogmatischem Denken, Anfälligkeit<br />

für Vorurteile oder einer Neigung zu Autoritarismus in Verbindung gebracht.<br />

Dieses stereotypisierte Verständnis spiegelt sich auch in der immer noch<br />

sehr gebräuchlichen religiösen Fundamentalismus Skala von Altemeyer und<br />

Hunsberger (1992) wieder. Die Problematik dieses Konzeptes wird bei interkultureller<br />

Anwendung im islamischen Kontext überdeutlich. Da der größte Teil der<br />

Bevölkerung in muslimischen Ländern hoch religiös ist, entsteht schnell der<br />

117


verzerrte Eindruck, dass fast alle Menschen religiös fundamentalistisch sind. Die<br />

Möglichkeit, dass eine hoch religiöse Person nicht notwendigerweise konservativ<br />

oder fundamentalistisch ist oder gar zu Vorurteilen neigt, kann im Rahmen des<br />

bisherigen Konzeptes von religiösem Fundamentalismus nicht hinreichend<br />

berücksichtig werden. Von daher ist die Rekonzeptualisierung des bisherigen<br />

Verständnisses von religiösem Fundamentalismus dringend angezeigt, will man<br />

interkulturell valide zu Fundamentalismus forschen. Hood et al. (2005) haben<br />

bereits eine entsprechende Skala für religiösen Fundamentalismus entwickelt,<br />

deren Ziel die interkulturelle Anwendbarkeit ist. Wir haben in Einklang mit diesem<br />

Ansatz ein neues Modell für religiösen Fundamentalismus entworfen und<br />

werden in unserem Vortrag eine Einführung in unser theoretisches Modell sowie<br />

die dazugehörige qualitative und quantitative Forschung, die in Ägypten durchgeführt<br />

wurde, geben. Unser Modell von religiösem Fundamentalismus besteht aus<br />

einem Basis-Typus, der sich aus einer starken Identifikation mit der eigenen religiösen<br />

Gemeinschaft, der spezifischen intratextuellen Denkweise (Hood et al.,<br />

2005; Williamson & Hood 2005; Williamson et al., 2010) und einem Verständnis<br />

der eigenen Religion als omnipotent und allumfassend zusammensetzt. Zur<br />

weiteren Differenzierung dieses Basis-Typus in verschiedene Typen religiösen<br />

Fundamentalismus' werden eine Reihe von Faktoren wie ideologische Einstellung,<br />

kognitive Eigenschaften oder politische Partizipationsformen genutzt. Um<br />

das Modell quantitativ testen zu können, wurden zunächst qualitative Vorstudien<br />

umgesetzt. Diese dienten der interkulturellen Validierung der ausgewählten Skalen.<br />

Dafür wurden im Oktober/ November 2012 in Ägypten kognitive Interviews<br />

geführt, die wir anschließend mit formaler und qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet<br />

haben. Der Analyseprozess und die Ergebnisse für die Intratextuelle<br />

Fundamentalismus-Skala (Williamson & Hood, 2005; Williamson et al. 2010)<br />

werden exemplarisch gezeigt. Des Weiteren wird es erste Einblicke in die Ergebnisse<br />

der laufenden quantitativen Erhebung (n> 200) geben.<br />

118<br />

Silvia Martens: Xenophobie und Xenosophie in der Begegnung mit religiös<br />

Anderen<br />

Der Begriff der Xenophobie findet sich seit einigen Jahren vermehrt sowohl in der<br />

politischen Debatte als auch in wissenschaftlichen Studien. Fremdenfeindlichkeit<br />

und religiöse Intoleranz werden in einigen sozialwissenschaftlichen Umfragen<br />

auch empirisch gemessen. Demgegenüber werden positive Haltungen in der<br />

Begegnung mit Fremden, Xenosophie (Nakamura 2000, Waldenfels 2006), in<br />

empirischen Studien bisher kaum betrachtet. Es stellt sich die Frage nach dem<br />

Einfluss von Religion und Religiosität auf xenosophe und -phobe Verhaltensweisen.<br />

Der Beitrag stellt ein Forschungsprojekt vor, welches religionsvergleichend<br />

xenophobe und xenosophe Einstellungs- und Verhaltensmuster bei Angehörigen<br />

von christlichen, jüdischen und islamischen Religionsgemeinschaften sowie bei<br />

Konfessionslosen in der Schweiz untersucht. Ich präsentiere verschiedene Ansätze<br />

zur Erklärung xenophober und xenosopher Muster und stelle die in der Studie<br />

verwendeten quantitativen und qualitativen Methoden zur Diskussion.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Constantin Klein und Heinz Streib: Xenosophie – religiösen Pluralismus leben<br />

Das Konzept der Xenosophie (als Gegenbegriff zur Xenophobie) stammt ursprünglich<br />

aus der Philosophie, um den Zugewinn an Einsichten und persönlicher<br />

Reifung, der sich aus dem Kontakt und der Auseinandersetzung mit dem Fremden<br />

und Andersartigen ergibt, sowie das Einlassen auf eine solche Auseinandersetzung<br />

zu beschreiben (Nakamura, 2000; Waldenfels, 1990; 1997a; 1997b;<br />

1999). Insofern handelt es sich zunächst um ein theoretisches Konzept, das eine<br />

Haltung beschreibt, die im Interesse eines harmonischen und verständnisvollen<br />

Miteinanders von Anhängern unterschiedlicher (religiöser) Weltsichten unter den<br />

Bedingungen eines wachsenden religiösen Pluralismus auch gesellschaftlich<br />

wünschenswert erscheint. (Religions-)soziologisch lässt sich eine solche Haltung<br />

als Habitus charakterisieren, (religions-)psychologisch als Wertvorstellung oder<br />

Verhaltensdisposition. In Weiterführung der Faith Development-Forschung<br />

(Fowler, 1981; 1996) lässt sich Xenosophie auch als durch spezifische kognitive<br />

Schemata gekennzeichneten Stil des Umgehens mit religiöser Vielfalt (Streib,<br />

1997; 2001; 2005; 2006) begreifen, der durch eine bewusste Öffnung für neue<br />

Anreize und Gedankenimpulse durch das religiös Andersartige gekennzeichnet<br />

ist. Als ein solcher Stil des interreligiösen Kontakts wird Xenosophie als Subskala<br />

im Rahmen eines standardisierten Fragebogens, der Religious Schema Scale (RSS;<br />

Streib, Hood & Klein, 2010), die im Zuge eines kulturvergleichenden, deutschamerikanischen<br />

Forschungsprojekts zur Dekonversion (Streib, Hood, Keller, Csöff<br />

& Silver, 2009) entwickelt wurde, operationalisiert. Dabei hat sich im Rahmen<br />

einer statistischen Überprüfung gezeigt, dass Xenosophie gegenüber einer bloß<br />

an Fairness und Toleranz orientierten Haltung als eigenständiges Merkmal zu<br />

begreifen ist, das sich verlässlich anhand einer Skala von fünf Items messen lässt.<br />

Im Rahmen einer Regressionsanalyse erwies sich Xenosophie zudem über soziodemografische<br />

Variablen und religiösen Fundamentalismus (mit negativem<br />

Vorzeichen) hinaus als eigenständiger Prädiktor der allgemeinen Offenheit für<br />

Erfahrungen. Weitere Anwendungen der RSS im Zuge einer Untersuchung zur Religiosität<br />

Jugendlicher (Streib & Gennerich, 2011; Streib & Klein, in press) zeigen,<br />

dass Xenosophie auch über ein Maß für Fundamentalismus (Subskala „Truth of<br />

Texts and Teachings“ der „Religious Schema Scale“; Streib, Hood & Klein, 2010)<br />

hinaus zur Vorhersage von geringerem Antisemitismus und niedrigerer Islamophobie<br />

und, jenseits des endogen religiösen Bereichs, auch zur Vorhersage eines<br />

weniger aggressiv-eskalierenden und eines stärker aktiv-vermittelnden Streitverhaltens<br />

beitragen kann. Allerdings unterliegen Selbstauskünfte in Fragebögen<br />

oder Interviews gerade im sensiblen Bereich von Einstellungen immer Verfälschungstendenzen<br />

aufgrund unzureichender Introspektionsfähigkeit und Antwortmustern<br />

im Sinne sozialer Erwünschtheit. Innerhalb der Persönlichkeits- und<br />

Sozialpsychologie haben deshalb in den vergangenen Jahren zunehmend indirekte,<br />

experimentelle Messverfahren Verbreitung gefunden, die implizite und vorreflexive<br />

Anteile von Einstellungen zu messen im Stande sind; insbesondere der<br />

„Implizite Assoziations-Test“ (IAT; Greenwald, McGhee & Schwartz, 1998). Insofern<br />

sind solche Verfahren vereinzelt auch in der Religionspsychologie zur Untersuchung<br />

von interreligiöser Xenophobie und impliziten Vorurteilen gegenüber<br />

119


anderen Religionsgemeinschaften zur Anwendung gekommen (z. B. Henry &<br />

Hardin, 2006; Park, Felix & Lee, 2007; Rowatt, Franklin & Cotton, 2005; Rudman,<br />

Greenwald, Mellott & Schwartz, 1999). Um jenseits der methodischen Beschränkungen<br />

von Selbstauskünften auch die impliziten Anteile interreligiöser Xenophobie<br />

und Xenosophie zu messen, wird neben Fragebögen und Interviews im<br />

Rahmen des Bielefelder Xenosophie-Projekts auch ein IAT zu den drei abrahamitischen<br />

Religionen eingesetzt. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass 1) Selbstauskünfte<br />

zur Religiosität und zu Vorurteilen tatsächlich mit sozialer Erwünschtheit<br />

korreliert sind, während dies bei den IAT-Maßen nicht der Fall ist, dass 2)<br />

implizit eine recht klare Präferenz der eigenen religiösen Tradition, jedoch keine<br />

erkennbare Abwertung der anderen Religionen zu erkennen ist, und 3) im Fragebogen<br />

artikulierte Toleranzorientierung zwar geringere explizite Ablehnung<br />

anderer Religionen vorhersagt, eine xenosophische Haltung jedoch geringere<br />

Ablehnung auf der habituellen impliziten Ebene.<br />

Samstag, 14.9.<strong>2013</strong><br />

9:15 – 10:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Heinrich Wilhelm Schäfer (Bielefeld)<br />

Religionsgeschichte zwischen Anthropologie, Soziologie und<br />

Phänomenologie: theoretische und methodologische Überlegungen<br />

zum Empiriebezug der Religionswissenschaft (I)<br />

<br />

<br />

<br />

Moritz Deecke: Phänomenologen vs. Soziologen? Ein Modell für die<br />

Integration konkurrierender Theorieansätze in der Religionswissenschaft<br />

Darja Sterbenc Erker: Soziologische und anthropologische Methoden in<br />

der antiken Religionsgeschichte<br />

Thomas Hase: Religiöser Nonkonformismus und Geschlechterdebatten in<br />

der Frühen Neuzeit<br />

120<br />

Moritz Deecke: Phänomenologen vs. Soziologen? Ein Modell für die Integration<br />

konkurrierender Theorieansätze in der Religionswissenschaft<br />

In der Religionswissenschaft konkurrieren seit ihrer Etablierung zwei übergeordnete<br />

Theorieschulen um die Deutung von Religion und der Methodik des Faches:<br />

diese können der Einfachheit halber als die Schulen der Religionssoziologie und<br />

-phänomenologie bezeichnet werden (vgl. z.B. Kippenberg 1994). Die erstere<br />

steht eher für einen positivistischen und religionskritischen, die zweite eher für<br />

einen hermeneutischen und religionsfreundlichen Ansatz. Diese Konstellation hat


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

immer wieder zu leidenschaftlichen Debatten, zuletzt aber zunehmend zur<br />

Ermüdung geführt, da die Differenzen über die zu Grunde liegenden Haltungen<br />

diskursiv nicht geklärt werden können. Die Herausbildung einer übergreifenden<br />

„Fachidentität“ (Kleine 2010), die verschiedene Grundhaltungen und Forschungsinteressen<br />

integriert, wurde durch die Betonung dieser Gegensätzlichkeit bisher<br />

verhindert. Dies führt zu inkommensurablen Theorieschulen, wodurch auch die<br />

Energien, die sonst für das gemeinsame Projekt selbstbewusster Außenrepräsentation<br />

und den Ausbau institutioneller Mittel produktiv genutzt werden könnten,<br />

gebunden werden. Deshalb bräuchte es ein meta-theoretisches Modell, das die<br />

Widersprüche und Gegensätze aufhebt, ohne dass dadurch die Relevanz unterschiedlicher<br />

Blickwinkel nivelliert würde. Dies könnte dadurch geschehen, dass<br />

die konkurrierenden Theorieansätze unterschiedlichen Gegenstandsbereichen<br />

zugewiesen werden oder diese als unterschiedliche Facetten desselben Gegenstandsbereiches<br />

verstanden werden. Eine Möglichkeit, wie diese Integration<br />

geleistet werden könnte, möchte ich an Hand meines Forschungsbereiches, des<br />

interkulturellen Vergleichs religiöser Formen von Ekstase, vorstellen.<br />

Darja Sterbenc Erker: Soziologische und anthropologische Methoden in der<br />

antiken Religionsgeschichte<br />

Im Vortrag werden einige soziologische und anthropologische Methoden und<br />

ihre Anwendung in der antiken Religionsgeschichte vorgestellt, die ich selbst in<br />

meiner Forschungsarbeit erprobt habe. Zunächst wird nach den Stärken und<br />

Schwächen des Begriffes Initiation gefragt, um zu zeigen, dass mit diesem sozialwissenschaftlichen<br />

Terminus bestimmte Erwartungen und Vorurteile verwoben<br />

sind, die nicht unbedingt für die Interpretation der antiken initia relevant sind.<br />

Darüber hinaus wird gezeigt, wie P. Bourdieus theoretisches Modell der Religion<br />

als Diskursfeld fruchtbar in der Erforschung historischer Religionen angewendet<br />

werden kann. Weiterhin wird hinterfragt, inwiefern Foucaults Machtbegriff für<br />

die Analyse der Instrumentalisierung des Götterwillen durch die Inhaber religiöser<br />

Ämter oder weniger prominente religiöse Spezialisten relevant ist. Darüber<br />

hinaus werden die Möglichkeiten der Anwendung von Foucaults Machtkonzeption<br />

für die sozialen Handlungsbereiche untersucht, welche nicht von einem Zentrum<br />

der Macht ausgehen, sondern als Kräfteverhältnisse und kontinuierliche<br />

Prozesse des Verhandelns zu interpretieren sind, die bestimmte politische Veränderungen<br />

bewirken können. Die antike und die moderne Forschungsdebatte<br />

über „Magie“ ist ein weiteres Beispiel für die Wirkung des Machtdiskurses, da die<br />

Zuschreibung und Diffamierung bestimmter ritueller Praktiken als sozial minderwertig<br />

und marginal entscheidend für die Konstituierung der „Magie“ ist. Ebenso<br />

wird die Fragestellung der kulturwissenschaftlichen Geschlechterforschung unter<br />

die Lupe genommen um zu zeigen, welche Charakteristika der Religion unberücksichtigt<br />

bleiben, wenn man diesen Zugang nicht wählt. Zuletzt werden die Möglichkeiten<br />

der Performativitätstheorie analysiert, um zu zeigen, wie mythologische<br />

Inhalte und Vergangenheitskonzeptionen bei der Durchführung der Rituale<br />

vergegenwärtigt werden. Im Vortrag werde ich die Relevanz dieser Methoden für<br />

121


die Auswertung historischer Einzelbefunde und für die systematische religionswissenschaftliche<br />

Analyse untersuchen.<br />

Thomas Hase: Religiöser Nonkonformismus und Geschlechterdebatten in der<br />

Frühen Neuzeit<br />

In dem Vortrag werde ich die Frage erörtern, inwiefern die spezifischen gesellschaftlichen<br />

Rollenerwartungen an Frauen eine Funktion in den „Sektendebatten“<br />

der jüngeren Frühneuzeit (ca. 1650-1750) hatten. Es wird nach den Topoi<br />

gefragt, die in den laufenden Häresiediskursen religiöse Devianz mit den stereotypen<br />

Merkmalen des „Weiblichen“ in Verbindung bringen. Zugleich soll erörtert<br />

werden, in welcher Weise religiöse Autonomiebekundungen von Frauen (z.B. als<br />

„Prophetinnen“) als Bedrohung der allgemeinen (d.h. nicht nur der religiösen)<br />

Ordnung von der Obrigkeit aufgefasst wurden und somit die gesellschaftliche<br />

Diskussion über religiösen Nonkonformismus beeinflussten.<br />

122<br />

Panelstrang B: ZHG 102<br />

Wilhelm Wachholz (São Leopoldo) und Fritz Heinrich (<strong>Göttingen</strong>)<br />

Forschen am Vertrauten im Fremden und am Fremden im Vertrauten:<br />

Religionswissenschaft – Treiben in brasilianisch deutscher<br />

Kooperation (I)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Einleitung: Wilhelm Wachholz und Fritz Heinrich<br />

Adriane L. Rodolpho: Der Glaube an Geister und die religiöse Matrix:<br />

theoretisch methodologische Überlegungen zu einem Dialog zwischen der<br />

religiösen Feldern in Brasilien und Deutschland (Crença nos espíritos e<br />

matriz religiosa: considerações teórico-metodológicas para um diálogo<br />

entre os campos religiosos no Brasil e na Alemanha)<br />

Fritz Heinrich: Einmal Brasilien und zurück: empirische und theoretische<br />

Überlegungen zur Translozierung des europäischen Spiritismus<br />

Oneide Bobsin: Die Reifikation der Religion: die Religion der Soziologie<br />

(A Reificação Da Religião: A Religião Da Sociologia)<br />

Die Religionswissenschaft steht, wenn sie von Deutschland aus betrieben wird und<br />

sich brasilianischen Themen widmet, ebenso umgekehrt, wenn sie von Brasilien aus<br />

die religiösen Verhältnisse in Deutschland untersucht, erst recht, wenn sie transnationalen<br />

bzw. transkulturellen Fragen zwischen beiden Ländern nachgeht, in einem<br />

interessanten Spannungsfeld hermeneutischer und empirischer Sachverhalte und<br />

Tatbestände. Dieses Spannungsfeld lässt sich als Interaktion von persönlichen und<br />

gesellschaftlichen Forschungsinteressen, länder- und wissenschaftskulturspezifischen<br />

Traditionen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Theoriebildung<br />

sowie religionsgeschichtlichen Entwicklungen umreißen. Ein Fluchtpunkt dieses<br />

Spannungsfeldes ist die Frage nach der jeweiligen religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen<br />

Identität des Einzelnen und der Gruppe oder Gesellschaft, als deren<br />

Teil er sich begreift. Geht man davon aus dass jede Identität einen Locus besitzt. So<br />

zeigt das Beispiel der Lutheraner in Brasilien, dass dieser Locus, traditionell, heute


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

wenigstens noch teilweise, sehr stark das Deutschtum gewesen ist. Wenn man<br />

dann über Assimilation, sofern eine solche Rede überhaupt sinnvoll ist, sprechen<br />

will, müsste man davon ausgehen, dass die Deutschen einen neuen Locus als<br />

Bezugspunkt ihrer Identität benötigten. Was könnte dieser neue Locus sein? Brasilianer/in<br />

sein? Aber was bedeutet eigentlich Brasilianer/in-sein für die Bevölkerung<br />

deutscher Herkunft? Würde man einen deutsch-brasilianischen Lutheraner durch<br />

Berlin laufen lassen, würde er, würde sie sich sicher als ein Brasilianer, eine Brasilianerin<br />

fühlen. Die Situation erscheint vergleichbar mit der deutschen Bevölkerung<br />

türkischer Herkunft. Ein anderes Beispiel ist das des kardecistischen Spiritismus. In<br />

Deutschland von Thomas Mann als „Gesindestuben-Metaphysik“ verspottet und<br />

nach anfänglicher Popularität allmählich marginalisiert, in Brasilien unter dem Einfluss<br />

afro-brasilianischer und indigener Vorstellungen zu einem wichtigen Ferment<br />

des religiösen Feldes geworden, lässt sich mittlerweile eine Art Renaissance spiritistischer<br />

Gruppen in Deutschland unter erkennbar brasilianischem Einfluss beobachten.<br />

Wie lässt sich der Locus spiritistischer Identität zwischen Religion, Wissenschaft<br />

und Philosophie, zwischen Brasilien und Europa, insbesondere Deutschland<br />

und dem deutschsprachigen Raum religionswissenschaftlich einigermaßen sachgemäß<br />

bestimmen?<br />

Adriane L. Rodolpho: Der Glaube an Geister und die religiöse Matrix: theoretisch<br />

methodologische Überlegungen zu einem Dialog zwischen der religiösen Feldern<br />

in Brasilien und Deutschland (Crença nos espíritos e matriz religiosa:<br />

considerações teórico-metodológicas para um diálogo entre os campos religiosos<br />

no Brasil e na Alemanha)<br />

Fritz Heinrich: Einmal Brasilien und zurück: empirische und theoretische<br />

Überlegungen zur Translozierung des europäischen Spiritismus<br />

Ausgangspunkt bildet die Beobachtung, dass der Glaube an Geister bzw. mediumistische<br />

Religiosität im religiösen Feld Deutschlands über weite Teile des 20.<br />

Jahrhunderts eine vergleichsweise geringere Rolle spielt als im religiösen Feld<br />

Brasiliens. Und das, obwohl auch in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19.<br />

Jahrhunderts spiritistische Zirkel und okkultistische Sitzungen verbreitet waren.<br />

Sich andererseits aber im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren eine<br />

gewisse Renaissance des Spiritismus beobachten lässt, bei der der brasilianische<br />

Kardecismus eine erkennbare Rolle spielt. Auf der Basis einer kleinen religionshistorischen<br />

Skizze dieser Vorgänge soll die theoretische Frage diskutiert werden:<br />

lassen sich Religionen und ihre Transformationen einigermaßen sachgerecht<br />

erfassen, wenn man sie modellhaft mit Rainer Flasche als offene und zugleich geschlossene<br />

Systeme innerhalb einer übergeordneten allgemeinen Denkstruktur<br />

beschreibt. Lässt sich die Interaktion zwischen einem religiösen System und der<br />

jeweils übergeordneten Denkstruktur so abbilden, dass damit die darin inhärente<br />

Dynamik, der prozessuale Charakter der Wechselwirkungen nachvollzogen<br />

werden kann. Wie müssen diese systemischen Einheiten als Modell konstruiert,<br />

123


ggf. modifiziert werden, damit sie nicht zu statisch erscheinen und einigermaßen<br />

sachgerecht abbilden, was sich verändert, wenn ein wie auch immer religiöses<br />

System wie der kardecistische Spiritismus aus Europa nach Brasilien und von dort<br />

wieder zurück nach Europa, respektive Deutschland transloziert wird.<br />

Oneide Bobsin: Die Reifikation der Religion: die Religion der Soziologie<br />

(A Reificação Da Religião: A Religião Da Sociologia)<br />

Without disregarding the contribution of the Sociology of Religion, this text seeks<br />

to problematize scientific tendencies that, as they analyze the social function of<br />

religion in modern societies, elaborate a reified knowledge of religious phenomena.<br />

This problematization is only possible a posteriori because it is proper to<br />

the sciences to question themselves and their presuppositions. In this perspective<br />

the text will problematize Marxist and positivist theoretical presuppositions,<br />

revealing, in a certain form, commitments to a vision of the world that seeks to<br />

be universal, but ignores its historical limits and closes in on itself. The objectification<br />

of religions, that reduces the other, the foreign, as an equal to itself is a<br />

permanent risk in the analysis of happenings and phenomena. In this provocative<br />

horizon, Sociology of Religion, as an open field, permits us to ask about the<br />

religion of sociology. In this form, it transcends the condition of object to which it<br />

was summited.<br />

Panelstrang C: ZHG 103<br />

Constantin Klein (Bielefeld)<br />

Was heißt hier religiös, und was spirituell? Empirische<br />

Untersuchungen zur Semantik von „Religion“ und „Spiritualität“ und<br />

ihr Ertrag für die theoretische Diskussion religionswissenschaftlicher<br />

Leitbegriffe<br />

<br />

<br />

<br />

Constantin Klein: Die empirische Erschließung theoretischer Dimensionen<br />

des Religionsbegriffs<br />

Anne Swhajor-Biesemann, Barbara Keller und Constantin Klein: Religion<br />

vs. Spiritualität. Empirische Untersuchungen zur Semantik zweier<br />

religionswissenschaftlicher Grundbegriffe in Deutschland und den USA I:<br />

Semantische Differentiale<br />

Heinz Streib, Barbara Keller und Constantin Klein: Religion vs. Spiritualität.<br />

Empirische Untersuchungen zur Semantik zweier<br />

religionswissenschaftlicher Grundbegriffe in Deutschland und den USA II:<br />

Freie Definitionen<br />

124<br />

Constantin Klein: Die empirische Erschließung theoretischer Dimensionen des<br />

Religionsbegriffs<br />

Die Diskussion um den Religionsbegriff ist so alt wie die Religionswissenschaft<br />

selbst. Seit ihren Anfängen ist auf unterschiedlichste Weise anzugeben versucht<br />

worden, was denn Religion eigentlich ist (substantiale Ansätze) bzw. macht


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

(funktionale Ansätze). Neben den beiden genannten Definitionswegen existiert<br />

eine Fülle weiterer Ansätze zur Bestimmung von Religion - z. B. historischphilologische,<br />

phänomenologisch-formale oder kulturtheoretisch-kontextuale<br />

(vgl. z. B. Feil, 1986/1997/2001; Wagner, 1986; Bianchi, 1994; Schmitz, 1996;<br />

Pollack, 1995/2003; Haußig, 1999; Barth, 2003) - die in der Religionswissenschaft<br />

und den angrenzenden Fachgebieten diskutiert wurden und werden und auf ihre<br />

je eigene Weise die wechselseitige Verschränkung von Theorie und Empirie in<br />

der Religionsforschung widerspiegeln.<br />

Gemessen an der Bedeutung, die der Auseinandersetzung der Religionswissenschaft<br />

mit ihrem - wie auch immer genauer anzugebenden – Untersuchungsgegenstand<br />

zukommt, ist erstaunlich wenig versucht worden, in der Breite<br />

empirisch zu untersuchen, was denn eigentlich Angehörige unterschiedlicher<br />

religiöser und weltanschaulicher Gruppen konkret unter „Religion“ verstehen. Im<br />

Rahmen eines größeren Forschungsprojekts wurden darum 431 Personen aus<br />

der Pilotstichprobe sowie aus Stichproben aktiver Gemeindeglieder aus katholischen<br />

und evangelischen Gemeinden sowie verschiedenen Kreisen der Jesus<br />

Freaks danach gefragt, was es für sie bedeute, religiös zu sein. Die frei formulierten<br />

Antworten wurden inhaltsanalytisch in Anlehnung an Mayring (2011) ausgewertet,<br />

wodurch sich insgesamt 952 Texteinheiten ergaben, die mittels eines<br />

operational erstellten Kategoriensystems codiert wurden. Im Interesse der Gütesicherung<br />

wurden mehrere Indizes der Beurteiler-Übereinstimmung ermittelt,<br />

die sich als zufriedenstellend erwies. Außerdem wurden die Ergebnisse in<br />

Relation zur Zentralität der Religiosität der Befragten gesetzt, die anhand der<br />

Zentralitätsskala von Huber (2003; 2004; 2012) gemessen wurde.<br />

Die ermittelten Inhaltskategorien korrespondieren deutlich mit charakteristischen<br />

Ansätzen der Definition von Religion (substantial, funktional, formal u. a.).<br />

Dabei ergeben sich jedoch deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von der religiösen<br />

Gruppe und von Zentralität der Religiosität: Während bei den Nichtreligiösen<br />

Probanden aus der Pilotstichprobe v. a. unspezifische inhaltliche Angaben<br />

("an etwas glauben") und Negativbestimmungen vorherrschten, fokussierten<br />

mittelgradig religiöse Respondenten überwiegend auf psychosoziale Funktionen<br />

von Religion. Hochreligiöse Befragte gaben hingegen vorwiegend konkrete<br />

substantiale Antworten ("an Gott glauben") und empfanden Religion als Form<br />

der Welterklärung, die sie als sinnstiftend erfahren. Die Jesus Freaks stimmten<br />

hinsichtlich der Präferenz der Kategorie „an Gott glauben“ insbesondere mit den<br />

Katholiken überein, während sie im Unterschied zu den Angehörigen der Großkirchen<br />

mit konfessionslosen Befragten die Assoziation „Probleme“ teilten.<br />

Katholiken und Protestanten hingegen ähnelten einander insbesondere in der<br />

Betonung psychosozialer Funktionen von Religion. Im Vortrag werden die Vorgehensweise<br />

und die Ergebnisse der Studie detailliert vorgestellt und hinsichtlich<br />

ihrer Implikationen diskutiert.<br />

Anne Swhajor-Biesemann, Barbara Keller und Constantin Klein: Religion vs.<br />

Spiritualität. Empirische Untersuchungen zur Semantik zweier<br />

religionswissenschaftlicher Grundbegriffe in Deutschland und den USA I:<br />

125


126<br />

Semantische Differentiale<br />

Ein maßgebliches Problem der international vergleichenden Forschung mittels<br />

quantitativer empirisch-sozialwissenschaftlicher Methoden entsteht durch die<br />

kulturell verschiedene Konnotation grundlegender Begriffe. Im Rahmen sozialwissenschaftlicher<br />

Surveys wird diesem Problem i. d. R. dadurch Rechnung zu<br />

tragen versucht, dass in einem Translation-Retranslation-Verfahren (Brislin,<br />

1980) die Aussagen eines Fragebogens zunächst von Muttersprachlern in die<br />

Sprachen der interessierenden Kulturen übersetzt und dann durch native speaker<br />

der ursprünglich verwendeten Sprache rückübersetzt werden. Auf diesem Wege,<br />

so hofft man, soll eine möglichst adäquate Übersetzung der Fragebogen-<br />

Aussagen gewährleistet werden. Ein tiefer liegendes Problem dieser Vorgehensweise<br />

liegt jedoch darin, dass das Translation-Retranslation-Verfahren unterschwellig<br />

immer noch voraussetzt, die Semantik zugrunde gelegter Begriffe sei in<br />

den verschiedenen Kulturen identisch und durch adäquate Übersetzung hinlänglich<br />

zu operationalisieren, obschon es adäquate Übersetzungen für manche<br />

Begriffe in den Zielsprachen womöglich gar nicht wirklich gibt. Gerade in der<br />

Religionswissenschaft ist diese Problematik nur allzu gut im Bewusstsein verankert,<br />

existieren doch in den allermeisten außereuropäischen Sprachen nur näherungsweise<br />

Begriffe, die der Semantik des Religionsbegriffs innerhalb europäischer<br />

Sprachen korrespondieren (Ahn, 1997; Haußig, 1999; Schmitz, 1996).<br />

Aber auch wenn es unmittelbare begriffliche Entsprechungen gibt – etwa<br />

„Religion“ oder „Spiritualität“ im Deutschen und „religion“ bzw. „spirituality“ im<br />

Englischen - ist damit nicht ausgemacht, dass die Begriffe in unterschiedlichen<br />

Kulturen auch tatsächlich deckungsgleich konnotiert sind.<br />

Damit ergibt sich ein methodisches Dilemma: Will man etwas über verbreitete<br />

Assoziationen zu einem Begriff erfahren, benötigt man eine hinreichend breite<br />

empirische Basis, wie sie v.a. über sozialwissenschaftliche Umfragen zu gewinnen<br />

ist. Genau diese Herangehensweise erweist sich aber als sperrig im Hinblick auf<br />

die Wahrnehmung feiner semantischer Unterschiede zwischen einander<br />

vermeintlich entsprechenden Begriffen.<br />

Dennoch existieren durchaus auch quantitative Forschungsmethoden, die eine<br />

vertiefende Analyse von Semantiken gestatten; insbesondere die sog. Semantischen<br />

Differentiale (Osgood, 1972; Osgood, May, & Miron, 1975). Semantische<br />

Differentiale bestehen aus einer Reihe von Skalen, deren Pole jeweils durch<br />

gegensätzliche Adjektive gebildet werden, z. B. „alt – jung“ oder „hart – weich“.<br />

Anhand dieser Skalen sollen die befragten Personen beurteilen, ob ein bestimmter<br />

vorgegebener Begriff ihrer Ansicht nach eher als „alt“ oder als „jung“ zu<br />

charakterisieren ist. Das klassische Semantische Differential von Osgood (1962)<br />

besteht aus 18 solcher Adjektivpaare, die sich in die drei Komponenten „Evaluation“,<br />

„Macht“ und „Aktivität“ untergliedern, und wurde beispielsweise in einer<br />

grundlegenden Studie zum Verständnis der Begriffe „religion“ und „spirituality“<br />

in den USA von Zinnbauer, Pargament und Kollegen (1997) eingesetzt.<br />

Im Rahmen des Bielefelder DFG-Projekts „Spiritualität in Deutschland und den<br />

USA. Analyse von Semantik, psychologischen und soziologischen Korrelaten<br />

sowie Biographiebezug einer Selbstattribution“ wurden zwei Semantische


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Differentiale, die klassische Version von Osgood (1962) mit 18 sehr allgemeinen<br />

Adjektiven sowie ein eigens konstruiertes Semantisches Differential mit 30<br />

Adjektivpaaren, die für das religiös-spirituelle Bedeutungsspektrum sensitiv sind,<br />

dazu verwendet, kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Verständnis<br />

der Begriffe „Religion“/„religion“ und „Spiritualität“/„spirituality“ näher zu<br />

untersuchen. Die beiden Semantischen Differentiale wurden im Zuge einer breiter<br />

angelegten Befragung von insgesamt 1082 US-amerikanischen und 703<br />

deutschen Respondenten bearbeitet. Die Ergebnisse lassen insgesamt eine recht<br />

hohe interkulturelle Übereinstimmung in der Wahrnehmung der beiden Begriffe<br />

erkennen, im Detail aber auch durchaus einige Unterschiede. Deutlichere Unterschiede<br />

werden sichtbar, wenn zwischen den Befragten unterschieden wird, die<br />

sich selbst als religiös, spirituell (und nicht religiös) oder aber als weder religiös<br />

noch spirituell bezeichnen. Auch hier werden spezifische Gemeinsamkeiten und<br />

Unterschiede zwischen den Gruppen ersichtlich. Im Vortrag wird die Problematik<br />

kulturvergleichender quantitativ-empirischer Forschung skizziert, das Erhebungsverfahren<br />

des Semantischen Differentials vorgestellt, und es werden die<br />

Ergebnisse der eigenen empirischen Studie berichtet und diskutiert.<br />

Heinz Streib, Barbara Keller und Constantin Klein: Religion vs. Spiritualität.<br />

Empirische Untersuchungen zur Semantik zweier religionswissenschaftlicher<br />

Grundbegriffe in Deutschland und den USA II: Freie Definitionen<br />

Um die Vielfalt unterschiedlicher Auffassungen davon, was unter den Begriffen<br />

Religion und Spiritualität verstanden werden kann, über empirische Forschung<br />

erschließen zu können, ist es erforderlich, eine große Zahl an Personen nach<br />

ihrem individuellen Verständnis von Religion und Spiritualität zu fragen. Bei<br />

Vorliegen einer hinreichend breiten Datengrundlage ist es dann möglich, mittels<br />

verschiedener Auswertungsstrategien der empirischen Sozialwissenschaften<br />

Kernkonzepte und Dimensionen der Bedeutungsspektren von Religion und<br />

Spiritualität in der Gesellschaft oder innerhalb spezifischer religiöser und weltanschaulicher<br />

Gruppierungen zu ermitteln. Es geht bei einem solchen Forschungsansatz<br />

also um die alltagssprachliche Rede von Religion bzw. Spiritualität in einer<br />

definierten Gesellschaft oder Gruppe. Zu den geeigneten Auswertungsstrategien<br />

gehören u. a. grundlegende sprachempirische Analysen im Hinblick auf statistisch<br />

signifikante Worthäufigkeiten in bestimmten Textkorpora („korpuslinguistische<br />

Analyse“; z. B. ein Vergleich des Textbestands des eigenen Datenmaterials mit<br />

demjenigen des digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache/DWDS – vgl. für<br />

ein solches Vorgehen z. B. Altmeyer, 2011). Aber auch inhaltsanalytische Auswertungsverfahren,<br />

über die Kategoriensysteme erstellt werden, die dann ihrerseits<br />

einer statistischen Auswertung unterzogen werden können, stellen eine geeignete<br />

Strategie der Datenanalyse dar (vgl. Mayring, 2011).<br />

Im Bielefelder DFG-Projekt „Spiritualität in Deutschland und den USA. Analyse<br />

von Semantik, psychologischen und soziologischen Korrelaten sowie Biographiebezug<br />

einer Selbstattribution“ wurden die beiden oben genannten Auswertungsstrategien<br />

dazu verwendet, die subjektiven Definitionen von Religion und<br />

Spiritualität auszuwerten, die die im Rahmen des Projekts befragten Personen im<br />

127


Online-Fragebogen in zwei Eingabefenstern formuliert hatten. Insgesamt lagen<br />

1044 persönliche Definitionen von Religion und 1039 von Spiritualität aus der USamerikanischen<br />

Teilstichprobe vor. Von den deutschen Respondenten hatten 741<br />

eine persönliche Definition von Religion formuliert; 738 gaben eine persönliche<br />

Definition von Spiritualität an. Ein sprachempirischer Abgleich des Wortbestands<br />

der Definitionen beider Begriffe mit dem DWDS bzw. dem American National<br />

Corpus/ANC ergab für beide recht ähnliche Schlüsselwörter; im direkten<br />

Vergleich miteinander werden jedoch charakteristische Unterschiede des Bedeutungshofs<br />

von Spiritualität im Kontrast zu Religion sichtbar. Die inhaltsanalytische<br />

Auswertung erfolgte bisher nur für die Definitionen von Spiritualität; dazu wurde<br />

ein Kategoriensystem von 44 Kategorien verwendet, die mit dem statistischen<br />

Verfahren der Faktoranalyse zehn Dimensionen bzw. drei Sekundärdimensionen<br />

zugeordnet werden konnten, welche verbreitete Semantiken des Spiritualitätsbegriffs<br />

illustrieren. Im Rahmen des Vortrags werden am Beispiel der eigenen<br />

Studie die Vorgehensweisen von korpuslinguistischer Analyse und inhaltsanalytisch-statistischer<br />

Auswertung vorgestellt und hinsichtlich ihrer Potenziale<br />

und Grenzen diskutiert.<br />

Panelstrang D: ZHG 104<br />

Bernd-Christian Otto (Erfurt)<br />

Religionswissenschaftliche Terminologie in empirischer / historischer<br />

Perspektive<br />

<br />

<br />

Bernd-Christian Otto: Patterns of magicity – Muster der Magizität?<br />

Julian Strube: Die Entstehung des Okkultismus – Historische<br />

Religionswissenschaft zwischen Traditionskonstruktion, Apologie und<br />

Polemik<br />

128<br />

Bernd-Christian Otto: Patterns of magicity – Muster der Magizität?<br />

“Magie” ist und bleibt ein umstrittener Begriff in den Religions-, Kultur- und<br />

Geschichtswissenschaften. Neben der Problematik, dass sich keine der vorgeschlagenen<br />

Magiedefinitionen als universell anwendbar erwiesen hat und sich<br />

wichtige Definitionen in grundlegenden Punkten widersprechen (diese Schwierigkeit<br />

teilt „Magie“ mit anderen Grundbegriffen), ist der Begriff selbst in den<br />

letzten Jahrzehnten als systemischer Eurozentrismus, als polemisches Relikt<br />

christlicher Weltdeutung und Außenabgrenzung, als intellektueller Kampfbegriff<br />

der europäischen Aufklärung entlarvt worden. Hans G. Kippenberg hat diese<br />

kritischen Debatten 1998 in der Formulierung „Zerfall der Kategorie“ gebündelt.<br />

In der Zwischenzeit sind weitere kritische Stellungnahmen erschienen (u.a. Styers<br />

2004; Hanegraaff 2012); meine eigene, 2011 erschienene Dissertation zum<br />

Thema (Magie. Rezeptions- und diskursgeschichtliche Analysen von der Antike<br />

bis zur Neuzeit) suchte die Definitionsproblematik schließlich in einer prinzipiellen<br />

Historisierung des Magiebegriffs aufzulösen. Trotz dieser Infragestellungen<br />

einer wissenschaftssprachlichen Kategorie „Magie“ markiert der Begriff just im


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Moment außerordentlich florierende Forschungsfelder in Nachbardisziplinen der<br />

Religionswissenschaft. Beispielsweise kann die altertumswissenschaftliche<br />

Magieforschung als eines der populärsten und publikationsträchtigsten Felder<br />

dieser Disziplin in den letzten beiden Jahrzehnten gewertet werden. Welchen<br />

Nutzen bringt vor diesem Hintergrund die Dekonstruktion des Magiebegriffs in<br />

der theoretischen Debatte der Religionswissenschaft? Argumentiert man hier an<br />

den quellenorientierten ‚Verwendern’ der Kategorie – beispielsweise an Historikern,<br />

die Fluchtafeln und vergleichbare Quellenfunde interpretieren müssen –<br />

vorbei, nur um sich an postmodernen Argumentationsmustern zu ergötzen?<br />

Um diese Spannung aufzulösen, haben Michael Stausberg und ich in unserem<br />

kürzlich erschienenen Reader Defining Magic die Konstitution von ‚patterns of<br />

magicity’ vorgeschlagen. ‚Patterns of magicity’ greifen semantische Muster<br />

älterer Definitions- und Theoriemodelle von „Magie“ auf (auch aus der historischen,<br />

quellenorientierten Forschung), versuchen aber nicht mehr, diese im<br />

Rahmen einer einheitlichen, übergeordneten Kategorie zusammenzufügen.<br />

Stattdessen bilden ‚patterns’ jeweils einzelne (semantische, rituelle usw.) Muster<br />

ab, die im Quellenmaterial auftauchen können, ohne ontologische Aussagen über<br />

ihr Wesen, über andere ‚patterns’ oder die Kategorie „Magie“ als Ganzes zu treffen.<br />

Ein charakteristisches ‚pattern’ wäre etwa die Vorstellung einer besonderen<br />

Wirkmächtigkeit von rituellen Sprechakten. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass<br />

sich das Konzept der ‚patterns of magicity’ auf eine Vielzahl religiöser Texte<br />

anwenden ließe. Zudem wird die klassische Problematik einer wie auch immer<br />

gedachten Gegenüberstellung von „Magie“ und „Religion“ ausgehebelt. Dadurch<br />

wird es möglich, eine trennscharfe, quellennahe Methodologie zu entwickeln, die<br />

Differenzen, aber auch Musterbildungen in unterschiedlichen Materialien<br />

beleuchten kann.<br />

Im Vortrag soll versucht werden, das Konzept der ‚patterns of magicity’ in seinen<br />

theoretischen Grundannahmen vorzustellen und anhand einiger Fallbeispiele zu<br />

illustrieren. Ziel ist, das Konzept im Austausch mit den ZuhörerInnen auf Plausibilität<br />

und Anwendbarkeit – und nicht zuletzt auf die Frage, ob es überhaupt ins<br />

Deutsche übersetzt werden kann oder sollte – zu überprüfen.<br />

Julian Strube: Die Entstehung des Okkultismus – Historische<br />

Religionswissenschaft zwischen Traditionskonstruktion, Apologie und Polemik<br />

Bei einem kontrovers diskutierten Thema wie „Okkultismus“ treten grundsätzliche<br />

methodische und theoretische Probleme einer historisch-philologisch<br />

arbeitenden Religionswissenschaft besonders deutlich hervor. Im stark polemisch<br />

aufgeladenen Diskurs über die Ursprünge und Inhalte des diskursiven Netzwerks<br />

„Okkultismus“ spielt insbesondere die historische Dimension, die zeitliche Verortung<br />

des Okkultismus und seine Einordnung in eine ältere Tradition, eine zentrale<br />

Rolle. Rezente Forschungsarbeiten konnten zeigen, dass die Okkultisten um 1900<br />

im dezidiert „modernen“ Kontext der Spannungen zwischen Religion und<br />

Wissenschaft zu verorten sind. Die Zeit der ersten Popularisierung des Wortes<br />

occultisme jedoch, die 1850er und 60er Jahre, fand noch erstaunlich wenig<br />

Beachtung. Der Term fand durch die Schriften von Alphonse-Louis Constant<br />

129


(1810-1875) Verbreitung. Constant war ein ehemaliger Kleriker, der in christlichsozialistischen,<br />

feministischen Künstlerkreisen verkehrte und 1856 unter seinem<br />

neuen Pseudonym Eliphas Lévi das bis heute einflussreiche Dogme et Rituel de la<br />

Haute Magie veröffentlichte. Eine textbasierte Kontextualisierung der Schriften<br />

Constants/Lévis zeigt, dass die Genealogie des Okkultismus in einem grundsätzlich<br />

anderen Rahmen betrachtet werden sollte, als dies bisher der Fall gewesen<br />

ist. Vor allem wird deutlich, dass das okkultistische Grundgerüst nicht etwa aus<br />

einem esoterischen Kontext heraus entstand, sondern primär im Kontext von<br />

Frühsozialismus und dem damals aktuellen „Neo-Katholizismus“ herausgebildet<br />

wurde. Der Vortrag wird eine Methodik sowie die Vor- und Nachteile einer<br />

textuellen historischen Kontextualisierung thematisieren. Darüber hinaus werden<br />

einige Fragen über die sich daraus ergebende Einordnung des Okkultismus in die<br />

europäische Religions-, Wissenschafts- und Politikgeschichte aufgeworfen.<br />

130<br />

Panelstrang E: ZHG 105<br />

Simone Heidbrink (Heidelberg),Harish Naraindas (New Delhi/Heidelberg)<br />

und Karin Polit (Heidelberg)<br />

„Schlaf gut, mein geliebter Stern“ – Die multidisziplinäre<br />

Untersuchung von Kontingenzbewältigungsstrategien bei neonatalem<br />

und pränatalem Tod im Kontext institutionalisierter und individueller<br />

Religionen<br />

<br />

<br />

<br />

Simone Heidbrink: Dead Babies on YouTube. Researching Religious and<br />

Ritual Elements in Online Mourning Practices for Perinatal Death<br />

Harish Naraindas: Child bereavement in Germany and the USA: religious<br />

responses, practices and rituals to pregnancy loss and neonatal death<br />

Karin Polit: Medical technology and religion in India: What prenatal<br />

diagnostics have to do with social responsibility<br />

Im Zuge der biomedizinischen Innovationen der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

(Kontrazeptionstechnologien, pränatale Diagnostik, Ultraschall, in-utero Therapien<br />

usw.) erlebten die urbanisierten Gesellschaften des globalen Nordens starke soziale<br />

Umbrüche. Das Vertrauen in deren Wirksamkeit sowie die Möglichkeit, die eigene<br />

Reproduktion zu steuern, führten u.a. zu sinkenden Geburtenraten und einer<br />

Erhöhung des Alters von Erstgebärenden. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts werden<br />

darüber hinaus vermehrt neue Reproduktionstechnologien in Anspruch genommen.<br />

Dabei gehen Paare und werdende Mütter oft davon aus, dass der biomedizinische<br />

Fortschritt als Garant für erfolgreiche Reproduktion stehe. Neonataler und<br />

pränataler Tod kommen daher für die betroffenen Akteure oft als extremer Schock.<br />

Bei der Bewältigung der dadurch ausgelösten Lebenskrisen liefern die Diskurse<br />

offizieller religiöser Institutionen oft nur wenig Hilfe.<br />

In diesem Panel werden Beispiele vorgestellt, die sich mit Kontingenzbewältigungsstrategien<br />

bei neonatalem und postnatalem Tod, insbesondere im Spannungsfeld<br />

von innerreligiösen Experten- und Laiendiskursen beschäftigen. Dabei sollen<br />

anhand von empirischem Material verschiedene Diskursstränge sichtbar gemacht


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

werden, die unterschiedliche sozio-kulturelle, rechtliche, politische und innerreligiöse<br />

Aspekte des Umgangs mit pränatalem und neonatalem Tod in den Blick<br />

nehmen und in multimethodischer und interdisziplinärer Perspektive Fragestellungen<br />

aus den Bereichen der Religionssoziologie, Religionsästhetik, Religionsethnologie<br />

und der materiellen Religion fokussieren.<br />

Wie verändern sich theologische Expertendiskurse angesichts eines veränderten<br />

bzw. neu hinzugekommenen „Bedarfs“ an theologischen / „seelsorgerischen“<br />

Erklärungsmodellen und Ritualhandlungen? Und wie verändern<br />

sich dabei religiöse Lehrmeinungen (z.B. die Idee des Limbus)?<br />

Welche individuellen Kontingenzbewältigungsstrategien entwickeln betroffene<br />

Akteure? Welche religiösen Elemente werden dabei aufgegriffen<br />

und wie werden diese arrangiert und inszeniert?<br />

Wie werden legale Diskurse in den jeweiligen Staatsgrenzen und auf<br />

internationaler Ebene geführt und welche Rolle spielen hierbei religiöse /<br />

ethische / moralische Grundverständnisse der beteiligten Akteure?<br />

Welche gesamtgesellschaftlichen Diskurselemente (etwa die Diskussion um<br />

die Einführung eines pränatalen Bluttests zur Erkennung embryonaler<br />

Schäden im Jahr 2012) beeinflussen diese Diskursverläufe und wie sind die<br />

damit zusammenhängenden sozialen Transformationsprozesse zu verstehen?<br />

Wie können in einer komparatistischen Perspektive Beschreibungsmuster<br />

entwickelt werden, die die empirischen Befunde adäquat in ein theoretisches<br />

Rahmengerüst einfügen, welches sowohl den akteurseitigen<br />

Kontingenzbewältigungsstrategien als auch die oft populärkulturellen<br />

Diskurse, aus denen sich diese individuellen Zuschreibungen speisen,<br />

gerecht werden?<br />

Simone Heidbrink: Dead Babies on YouTube. Researching Religious and Ritual<br />

Elements in Online Mourning Practices for Perinatal Death<br />

While perinatal death has alway been a common phenomenon, the legal, social,<br />

cultural, religious and ritual dealing with stillborn children and the needs of the<br />

“orphaned parents“ however have until recently not been subject to public discourse<br />

in the global North. According to Christian theology, even their religious<br />

status have for a long time remained unclear and apart from sporadic initiatives<br />

of priests and pastors, often in collaboration with birth clinics, until today no<br />

official rites exist for babies who do not fall under the regulations of the funeral<br />

law that allows an official burial. Consequently, in Europe and the U.S. large<br />

networks of self-help groups have formed which extensively use the means of<br />

new digital media to communicate. The need for the ritual handling of perinatal<br />

death is a recurring subject in those groups, and an abundance of ideas for<br />

private rituals to be conducted by the grieving family are circulated there, many<br />

of which are documented and published online. The paper will take a look at<br />

those mainly private initiatives on the Internet and the bereavement strategies<br />

offered there from the perspective of Ritual Studies. One focus of the research<br />

131


will lie on the rather new occurence of commemoration films on YouTube, which<br />

are – because of the fact that they usually include stills or clips of dead or dying<br />

infants, which by many commenters are considered to be inappropriate and / or<br />

“too drastic“ – are highly debated online and offline.<br />

Harish Naraindas: Child bereavement in Germany and the USA: religious<br />

responses, practices and rituals to pregnancy loss and neonatal death<br />

This paper will consider the history and practice of prenatal diagnostics in selected<br />

German and US American urban centers. Comparing data form Germany and<br />

the US, this paper will focus on religious practice and discourses related to<br />

various emotional, moral, socio-political as well as scientific opinions of how a<br />

foetus or dead infant should be cared for, treated or disposed off and how the<br />

“orphaned parents” should be cared for. The project will focus on a range of<br />

bereavement counseling and ritual handling of dead babies in case of stillbirth,<br />

neonatal death and abortion.<br />

Karin Polit: Medical technology and religion in India: What prenatal diagnostics<br />

have to do with social responsibility<br />

How do biomedical practices, technologies, connected ontologies and epistemologies<br />

intersect transculturally with religious and other cultural practices in<br />

cases of threatened or actual pregnancy loss, terminations of pregnancy, early<br />

infancy death or disability of foetuses and infants of urban middle class families<br />

in highly technologized hospitals in India? This paper will consider the history of<br />

and practices related to the spread of biomedical reproductive technologies in<br />

connection with changing hopes and imaginaries concerning the unborn child in<br />

urban India. I will trace discourses connected to these sentiments and emotional<br />

responses among the upper middle classes of India. How does scientific epistemology<br />

interact with local understandings of personhood, emotional attachment,<br />

practices of caring and grieving practices or ideas of handling, analyzing and<br />

disposing of the small dead bodies?<br />

132<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Katharina Wilkens (München) und Jörg Haustein (Heidelberg)<br />

Afrikanische Religionsgeschichte: Postkoloniale Perspektiven (I)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Einleitung: Katharina Wilkens<br />

Ricarda Stegmann: Moderne Imame in Algerien? Der Wandel religiöser<br />

Autoritäten und ihrer Ausbildungsstätten im Kontext der französischen<br />

Kolonialherrschaft<br />

Jörg Haustein: Religion und „Eingeborenenrecht“ in Tanganjika: Islamische<br />

Jurisdiktion und koloniale Rechtsetzung in Deutsch-Ostafrika<br />

Samuel Krug: ‚Äthiopische Juden‘: Die Beta-Israel und die Konstruktion<br />

einer jüdischen Identität


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

In diesem Panel soll es um den im kolonialen Narrativ „geschichtslosen“ Kontinent<br />

Afrika gehen: Wie kann man heute afrikanische Religionsgeschichte schreiben,<br />

ohne in dichotomisierende Fallen von Moderne versus Tradition oder „europäische<br />

Erfindung“ versus „afrikanische Kultur“ zu fallen? Denn eine postkoloniale<br />

(Re-)Lektüre historischer wie zeitgenössischer Entwicklungen lässt deutlich erkennen,<br />

wie das Konstrukt der „Primitivität“ des „schwarzen Kontinents“ mit Ideen<br />

einer europäischen „Moderne“ korreliert, oder aber die kulturalistische Neuentdeckung<br />

„afrikanisch traditionaler Religionen“ mit den Indigenisierungsdebatten der<br />

Dekolonisierung. Das Panel wird dieser wechselseitigen Dynamik in der Religionsgeschichte<br />

Afrikas in geschichtlichen Prozessen und historischer Erinnerung untersuchen:<br />

Welche kulturellen und religiösen Grenzen innerhalb und außerhalb des<br />

Kontinents werden konstruiert und von wem? Was bedeutet es, wenn längst<br />

überholte europäische Beschreibungsweisen plötzlich zu Selbstbezeichnungen<br />

werden, wie etwa „Animisten“ oder der „feticheur“? Unter welchen diskursiven<br />

Bedingungen wird afrikanische Religionsgeschichte geschrieben, erinnert und<br />

inszeniert? Welche Rolle kommt religionsgeschichtlichen Süd-Süd Verbindungen<br />

dabei zu? Ziel des Panels ist es, anhand von konkreten Beispielen die theoretischen<br />

und methodischen Möglichkeiten postkolonialer Religionsgeschichte in Afrika zu<br />

erörtern, um so die modernistischen und kulturalistischen Deutungshoheiten über<br />

afrikanische religiöse Identitäten und Entwicklungen gleichermaßen zu entschlüsseln.<br />

Ricarda Stegmann: Moderne Imame in Algerien? Der Wandel religiöser<br />

Autoritäten und ihrer Ausbildungsstätten im Kontext der französischen<br />

Kolonialherrschaft<br />

In diesem Vortrag wird dem Diskurs über religiöse Ausbildungsstätten im Algerien<br />

des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nachgegangen.<br />

Zwischen 1870 und 1930 fand insbesondere in den Städten des Nordens/<br />

Nordwestens Algeriens ein radikaler Wandel in der Konzeption von Ulema und<br />

Imamen sowie deren Ausbildung statt. Dieser Wandel wird noch heute als ein<br />

Aufgeben traditioneller nordafrikanischer Konzepte von Wissen, Lernen und<br />

religiösem Gelehrtentum interpretiert sowie als Übernahme französischer<br />

Bildungsmodelle, die schließlich zu einer Modernisierung der algerischen Gesellschaft<br />

geführt habe. Auch Interpretationen im Kontext von aktuellen französischen<br />

Projekten zur Imamausbildung legen den Schluss nahe, algerische Ausbildungsmodelle<br />

könnten deshalb besonders gut nach Frankreich importiert<br />

werden, weil sie gerade nicht traditionellen Vorstellungen der Muslime/innen<br />

entsprächen, sondern einen Re-Import eines bereits modernisierten, von Franzosen<br />

im 19. Jahrhundert nach Algerien gebrachten Ausbildungsverständnisses<br />

darstellten. Mit Hilfe von diskurstheoretischen Überlegungen sollen im Vortrag<br />

nicht nur in einschlägigen Debatten wirksame Konzepte von „Tradition“ und<br />

„Moderne“ machtpolitisch verortet und kritisch hinterfragt werden. Zugleich<br />

sollen auch die Interessenkonstellationen im Algerien des ausgehenden 19.<br />

Jahrhunderts – bestehend aus Akteuren der französischen Metropolregierung,<br />

133


lokalen Kolonialbeamten in Algier, französischen Kabyleiforschern sowie ruralen<br />

wie urbanen arabophonen und berberophonen Eliten und Gelehrten nachgezeichnet<br />

werden. Schließlich soll gezeigt werden, dass diese Komplexität das<br />

Postulat geradezu verbietet, dass die Modernisierung religiöser Gelehrter und<br />

ihrer Ausbildung auf einer geradlinigen Distanzierung von „traditionellalgerischen“<br />

und einer Übernahme von „modernen französischen Strukturen“<br />

basiere.<br />

Jörg Haustein: Religion und „Eingeborenenrecht“ in Tanganjika: Islamische<br />

Jurisdiktion und koloniale Rechtsetzung in Deutsch-Ostafrika<br />

Die koloniale Expansion in Deutsch-Ostafrika stützte sich in wesentlichen Teilen<br />

auf die politischen und ökonomischen Netzwerke der muslimischen Küstenbewohner,<br />

was zur Ausbreitung des Islams im tanganjikischen Inland beitrug.<br />

Doch der Erwerb fundierter Kenntnisse über den ostafrikanischen Islam und<br />

seine Einbindung in die Politik der Kolonie gestalteten sich schwierig, was insbesondere<br />

hinsichtlich der Rechtsetzung auffällt. Der Vortrag geht den Debatten<br />

der kolonialen Rechtsetzung im Blick auf den Islam nach und zeigt von welchen<br />

Interessen und Wahrnehmungen die koloniale Rechtsetzung und die Einordnung<br />

des islamischen Rechts abhing, und wie diese Fragen wiederum die deutsche<br />

Islampolitik beeinflussten. Dabei wird deutlich, dass der Islam im kolonialen<br />

Rechtssystem doppelt marginalisiert wurde. Zum einen diente er zwar als Differenzmarkierung<br />

für die – historisch aus ganz anderen Gründen entstandene –<br />

Trennung zwischen Kolonialrecht und „Eingeborenrecht“, andererseits jedoch<br />

wurde er als „Störfall“ des letzteren gesehen und in den Bemühungen um die<br />

Kodifizierung eines „Eingeborenenrechts“ im Wesentlichen nicht berücksichtigt.<br />

Diese doppelte „Fremdheit“ des Islam in der kolonialen Rechtskonstruktion zeigt<br />

sich auch in der zeitgenössischen islamwissenschaftlichen Debatte zu islamischem<br />

Recht in der Kolonie und verweist auf die epistemischen Grenzen der<br />

kolonialen Fiktion von Religion, Kultur und Recht.<br />

134<br />

Samuel Krug: ‚Äthiopische Juden‘: Die Beta-Israel und die Konstruktion einer<br />

jüdischen Identität<br />

In diesem Vortrag soll die Frage erörtert werden, in wiefern jüdische und christliche<br />

Missionare des 19. und 20. Jahrhunderts dazu beigetragen haben, dass die<br />

äthiopische Gemeinschaft der Beta Israel als „äthiopische Juden“ verstanden<br />

werden. Zwei Figuren und ihre Schriften sollen hier im Mittelpunkt stehen: Der<br />

deutsche Protestant Johann Martin Flad (1831-1915) und der polnische Jude<br />

Jacques Faitlovitch (1881–1955). Die Vorgehensweise der beiden Europäer<br />

unterscheidet sich kaum voneinander: Durch die Verknüpfung von Legenden und<br />

Suggestivfragen an die Beta Israel wird ein kohärentes Bild eines jüdischen<br />

Selbstverständnisses geschaffen, das sich in den Folgejahren immer weiter<br />

verfestigt hat.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

11:15 – 12:45<br />

Panelstrang A: ZHG 101<br />

Darja Sterbenc Erker (Berlin)<br />

Religionsgeschichte zwischen Anthropologie, Soziologie und<br />

Phänomenologie: theoretische und methodologische Überlegungen<br />

zum Empiriebezug der Religionswissenschaft (II)<br />

<br />

<br />

Heinrich Wilhelm Schäfer: Religion und soziale Ungleichheit: zu Methode<br />

und Theorie einer Praxeologie (Bourdieu) der Religion<br />

Christoph Kleine: Kann Religionsgeschichte eine empirische Wissenschaft<br />

sein? Wissenschaftstheoretische und fachpolitische Überlegungen<br />

Heinrich Wilhelm Schäfer: Religion und soziale Ungleichheit: zu Methode und<br />

Theorie einer Praxeologie (Bourdieu) der Religion<br />

An der <strong>Universität</strong> Bielefeld, Center for the Interdisciplinary Research on Religion<br />

and Society (CIRRuS, www.uni-bielefeld.de/religionsforschung), wird seit 2006 in<br />

empirischen Projekten sowie begleitender Arbeit an Methoden und Theorie ein<br />

auf Bourdieus genereller Sozialtheorie aufbauendes religionssoziologisches<br />

Programm entwickelt und getestet. Es geht zurück auf die Forschungen von H.W.<br />

Schäfer in den achtziger Jahren, aus denen vor allem eine Methode zur Analyse<br />

von (individuellen und kollektiven) Habitus im Rahmen unterschiedlicher Modelle<br />

gesellschaftlicher Ungleichheit sowie eine Theorie (religiöser) Identität und<br />

Strategie hervorgegangen ist. (Habitus-Analysis VS-Verlag, in Vorbereitung.)<br />

In Vortrag und Diskussion sollen theoretische und methodologische Grundlinien<br />

des Forschungsansatzes vorgestellt und generell diskutiert werden. Dabei können<br />

spezifische Fragestellungen an den Ergebnissen laufender und abgeschlossener<br />

Forschungsprojekte vertieft werden.<br />

Christoph Kleine: Kann Religionsgeschichte eine empirische Wissenschaft sein?<br />

Wissenschaftstheoretische und fachpolitische Überlegungen<br />

In den klassischen Taxonomien der wissenschaftlichen Fachdisziplinen wird die<br />

Religionsgeschichte als eine „hermeneutische“ Wissenschaft klassifiziert, die es<br />

primär mit der Auslegung von Produkten des menschlichen Geistes zu tun habe.<br />

Sie zählt damit im Sinne Rothackers zu den „Geisteswissenschaften“, „welche die<br />

Ordnungen des Lebens in Staat, Gesellschaft, Recht, Sitte, Erziehung, Wirtschaft,<br />

Technik, und die Deutungen der Welt in Sprache, Mythus, Kunst, Religion, Philosophie<br />

und Wissenschaft zum Gegenstand haben […]“ (E. Rothacker, Logik und<br />

Systematik der Geisteswissenschaften, 1926: 3). Bis vor nicht allzu langer Zeit galt<br />

diese Einordnung in die Systematik der Wissenschaften für die Religionswissenschaft<br />

insgesamt. Seit einigen Jahren scheint jedoch eine interne Ausdifferenzierung<br />

innerhalb der Religionswissenschaft in eine historisch-hermeneutische und<br />

eine sozialwissenschaftlich-empirische Wachs (durchaus fragwürdige) Einteilung<br />

in Religionsgeschichte und systematische Religionswissenschaft zu verdrängen.<br />

135


Dabei ist evident, dass „empirische Religionswissenschaft“ nicht nur Konjunktur<br />

hat, sondern im medialen und gesellschaftlichen Diskurs größere Wissenschaftlichkeit<br />

und Relevanz für sich reklamieren kann. Empirische Forschung schafft es<br />

auf die Wissenschaftsseiten der Zeitungen, hermeneutische landet im Feuilleton.<br />

Doch ist die alte Dilthey‘sche Einteilung in eine hermeneutisch-verstehende und<br />

eine empirisch-erklärende wissenschaftstheoretisch mit Blick auf Methoden und<br />

Gegenstände überhaupt haltbar? Mit dieser auch fachpolitisch wichtigen Frage<br />

beschäftigt sich der Vortrag.<br />

136<br />

Panelstrang B: ZHG 102<br />

Wilhelm Wachholz (São Leopoldo) und Fritz Heinrich (<strong>Göttingen</strong>)<br />

Forschen am Vertrauten im Fremden und am Fremden im Vertrauten:<br />

Religionswissenschaft – Treiben in brasilianisch deutscher<br />

Kooperation (II)<br />

<br />

<br />

<br />

Miriam Zimmer: Ethnizität und ethnische Identität in interkulturellen<br />

Kontexten untersuchen: Eine empirische Herausforderung<br />

Wilhelm Wachholz: Zur Locus-Bezogenheit von Identität: das Beispiel der<br />

brasilianischen Bevölkerung deutscher Herkunft<br />

Response: Andreas Grünschloß: Religionswissenschaftliche Überlegungen<br />

zu Homi K. Bhabas ‚Die Verortung der Kultur‘ im Blick auf die Interaktion<br />

deutsch-brasilianischer Religionsforschung und ihrer Gegenstände<br />

Die Religionswissenschaft steht, wenn sie von Deutschland aus betrieben wird und<br />

sich brasilianischen Themen widmet, ebenso umgekehrt, wenn sie von Brasilien aus<br />

die religiösen Verhältnisse in Deutschland untersucht, erst recht, wenn sie transnationalen<br />

bzw. transkulturellen Fragen zwischen beiden Ländern nachgeht, in einem<br />

interessanten Spannungsfeld hermeneutischer und empirischer Sachverhalte und<br />

Tatbestände. Dieses Spannungsfeld lässt sich als Interaktion von persönlichen und<br />

gesellschaftlichen Forschungsinteressen, länder- und wissenschaftskulturspezifischen<br />

Traditionen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Theoriebildung<br />

sowie religionsgeschichtlichen Entwicklungen umreißen. Ein Fluchtpunkt dieses<br />

Spannungsfeldes ist die Frage nach der jeweiligen religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen<br />

Identität des Einzelnen und der Gruppe oder Gesellschaft, als deren<br />

Teil er sich begreift. Geht man davon aus, dass jede Identität einen Locus besitzt. So<br />

zeigt das Beispiel der Lutheraner in Brasilien, dass dieser Locus, traditionell, heute<br />

wenigstens noch teilweise, sehr stark das Deutschtum gewesen ist. Wenn man<br />

dann über Assimilation, sofern eine solche Rede überhaupt sinnvoll ist, sprechen<br />

will, müsste man davon ausgehen, dass die Deutschen einen neuen Locus als<br />

Bezugspunkt ihrer Identität benötigten. Was könnte dieser neue Locus sein? Brasilianer/in<br />

sein? Aber was bedeutet eigentlich Brasilianer/in-sein für die Bevölkerung<br />

deutscher Herkunft? Würde man einen deutsch-brasilianischen Lutheraner durch<br />

Berlin laufen lassen, würde er, würde sie sich sicher als ein Brasilianer, eine Brasilianerin<br />

fühlen. Die Situation erscheint vergleichbar mit der deutschen Bevölkerung<br />

türkischer Herkunft. Ein anderes Beispiel ist das des kardecistischen Spiritismus. In


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Deutschland von Thomas Mann als „Gesindestuben-Metaphysik“ verspottet und<br />

nach anfänglicher Popularität allmählich marginalisiert, in Brasilien unter dem<br />

Einfluss afro-brasilianischer und indigener Vorstellungen zu einem wichtigen<br />

Ferment des religiösen Feldes geworden, lässt sich mittlerweile eine Art Renaissance<br />

spiritistischer Gruppen in Deutschland unter erkennbar brasilianischem<br />

Einfluss beobachten. Wie lässt sich der Locus spiritistischer Identität zwischen<br />

Religion, Wissenschaft und Philosophie, zwischen Brasilien und Europa, insbesondere<br />

Deutschland und dem deutschsprachigen Raum religionswissenschaftlich<br />

einigermaßen sachgemäß bestimmen?<br />

Miriam Zimmer: Ethnizität und ethnische Identität in interkulturellen Kontexten<br />

untersuchen: Eine empirische Herausforderung<br />

Theoretische Konzepte empirisch zu untersuchen ist immer eine Herausforderung,<br />

besonders aber im inter- oder transkulturellen Kontext. In meinem Vortrag<br />

möchte ich die Herausforderungen beleuchten, die sich stellen, wenn Ethnizität<br />

und ethnische Identität in unterschiedlichen kulturellen Kontexten empirisch<br />

untersucht werden sollen und dabei der Herangehensweise verschiedener<br />

Fachtraditionen und nationaler Wissenschaftskulturen, sowie lokaler Feldbeschaffenheiten<br />

gerecht werden müssen. Am Beispiel ethnisch Deutscher in Brasilien<br />

und den USA werden diese Herausforderungen dargestellt und ein empirisches<br />

Konzept zur interkulturellen empirischen Erhebung von Ethnizität und<br />

ethnischer Identität entwickelt.<br />

Wilhelm Wachholz: Zur Locus-Bezogenheit von Identität: das Beispiel der<br />

brasilianischen Bevölkerung deutscher Herkunft<br />

Jede Identität besitzt einen Locus. So zeigt das Beispiel der Lutheraner in Brasilien,<br />

dass dieser Locus, traditionell, heute wenigstens noch teilweise, sehr stark<br />

das Deutschtum gewesen ist. Wenn man dann über Assimilation, sofern eine solche<br />

Rede überhaupt sinnvoll ist, sprechen will, müsste man davon ausgehen,<br />

dass die Deutschen einen neuen Locus als Bezugspunkt ihrer Identität benötigten.<br />

Was könnte dieser neue Locus sein? Brasilianer/in sein? Aber was bedeutet<br />

eigentlich Brasilianer/in-sein für die Bevölkerung deutscher Herkunft? Würde<br />

man einen deutsch-brasilianischen Lutheraner durch Berlin laufen lassen, würde<br />

er, würde sie sich sicher als ein Brasilianer, eine Brasilianerin fühlen. Die Situation<br />

erscheint vergleichbar mit der deutschen Bevölkerung türkischer Herkunft.<br />

Response: Andreas Grünschloß: Religionswissenschaftliche Überlegungen zu<br />

Homi K. Bhabas ‚Die Verortung der Kultur‘ im Blick auf die Interaktion deutschbrasilianischer<br />

Religionsforschung und ihrer Gegenstände<br />

137<br />

Panelstrang C: ZHG 103


Tim Graf (Heidelberg)<br />

Buddhismus nach dem Tsunami. Film und Diskussion über religiöse<br />

Reaktionen auf die Dreifachkatastrophe in Japan 2011<br />

<br />

<br />

<br />

Tim Graf (hauptverantwortlich)<br />

Inken Prohl<br />

Dimitry Okropiridze<br />

Das Panel befasst sich mit dem Buddhismus im Wiederaufbau Japans nach dem<br />

Erdbeben und Tsunami vom 11. März 2011. Vorgeführt wird eine 45-minütige<br />

Sonderausgabe des Dokumentarfilms Souls of Zen. Der Film erörtert die Rolle des<br />

Buddhismus in der Betreuung von Trauernden und Opfern der Katastrophe und<br />

zeigt aus der Sicht buddhistischer Priester, mit welchen Herausforderungen Helfer<br />

und Betroffene im Nordosten des Landes auch heute noch konfrontiert werden.<br />

Buddhistische Reaktionen auf die Dreifachkatastrophe werden dabei in Bezug<br />

gebracht zur Tradition buddhistischen Ahnengedenkens in einer Gesellschaft, die<br />

sowohl von verheerenden Katastrophen gezeichnet ist als auch von demographischem<br />

Wandel, sich verändernden Familienstrukturen und einer zunehmenden<br />

religiösen Pluralität. Die an die Filmvorführung anschließende Diskussion reflektiert<br />

über das Thema Religionen und Katastrophen wie auch über die methodischen und<br />

theoretischen Perspektiven ethnographischen Filmemachens für die Religionswissenschaft<br />

und den Forschungstopos Material Religion.<br />

Weitere Informationen zum Film finden Sie unter http://www.soulsofzen.com/<br />

Panelstrang D: ZHG 104<br />

Sarah Jahn (Bochum) und Michael Höckelmann (Münster)<br />

Vom Text zu den Daten oder von den Daten zum Text? Das<br />

Verständnis von ‚Empirie‘ in der Religionswissenschaft<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Michael Höckelmann: Die Rückkehr der Philologie oder das Heraustreten<br />

aus der Sprache<br />

Hannah Müller-Sommerfeld: „Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht<br />

mehr los.“ Oder: Warum Theorien in der religionshistorischen Forschung<br />

keinen Nutzen haben können<br />

Sarah Jahn: Die Erforschung religiöser Gegenwartskultur durch<br />

„Vertextung“ empirischer Daten<br />

Anna Schröder: Empirisch belegte Theorien – der psychologische Zugang<br />

zur Erforschung von Religionen als biopsychosoziokultureller Tatsache<br />

Response: Hubert Seiwert<br />

138<br />

Auf den ersten Blick scheinen die verschiedenen Teildisziplinen der Religionswissenschaft<br />

wie ungleiche Geschwister: Sie teilen sich ein Elternhaus, aber ihre<br />

methodologischen Grundannahmen könnten unterschiedlicher kaum sein. Psychologen<br />

und Soziologen runzeln vermutlich die Stirn, wenn ihre Analysen anhand<br />

qualitativer und quantitativer Daten verglichen würden mit dem Übersetzen und


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Annotieren etwa eines klassisch chinesischen Textes oder einer historischen Quelle.<br />

Doch unterscheiden sie sich wirklich so fundamental? Betreibt ein Philologe seine<br />

Disziplin im engeren Sinne, d.h. als Textkritik und -erschließung, vergleicht er<br />

Varianten, emendiert Zeichen, transliteriert Wörter – mit einem Wort, er geht mit<br />

Daten um, wie der Soziologe mit seinen Interviewmitschnitten, der Psychologe mit<br />

seiner Statistik oder der Historiker mit seinem Quellenkorpus. Der Philologe bettet<br />

seinen Text ein in eine ‚dichte Beschreibung‘ von Autor und Entstehungskontext,<br />

ebenso wie der Soziologe, Psychologe und Historiker seine Daten einordnet. Vor<br />

allem aber: Dem Forschungsgegenstand nähern sich alle hier vertretenen Zugänge<br />

über die Sprache an und ihnen liegen Grundannahmen über die Möglichkeiten und<br />

Grenzen dieses Mediums zugrunde: Was, wenn der ‚Text‘ die Unwahrheit sagt?<br />

Was, wenn im Fluss der Rede oder beim Kopieren des ‚Textes‘ ein Wort gegen ein<br />

anderes vertauscht wird? Inwiefern ist Sprache überhaupt ein geeigneter Referent<br />

für die Erforschung religiöser Phänomene? Das Panel stellt sich diesem Themenfeld<br />

vor dem Hintergrund der Frage was unter ‚Empirie‘ in den jeweiligen Teildisziplinen<br />

verstanden wird. In den einzelnen Vorträgen werden Positionen zum Thema aus<br />

Sicht der jeweiligen (Teil)Disziplin formuliert. Vor der Diskussion im Plenum wird<br />

Hubert Seiwert ein Respons geben.<br />

Michael Höckelmann: Die Rückkehr der Philologie oder das Heraustreten aus der<br />

Sprache<br />

Philologie ist wieder en vogue. Die Rückkehr der Götter ist die Rückkehr der<br />

Philologie. Nach Jahrzehnten postmoderner Ablenkung fangen die Kulturwissenschaften<br />

wieder an, die Texte und ihre Autoren ernst zu nehmen. Wenn selbst<br />

ein Edward Said im Vorwort zur letzten zu Lebzeiten erschienen Auflage von<br />

Orientalism (2003) das Loblied der Philologie singt, sollte man fragen, was die<br />

jahrzehntelang betriebene Dekonstruktion der Texte und Autoren gebracht hat.<br />

Philologie beginnt, wo andere Wissenschaften aufhören. Sie hinterfragt, was<br />

andere als Grundlage wie selbstverständlich mitführen: Sprache. So wenig, wie es<br />

eine relativitätsfreie ‚Objektivität‘ geben kann, gibt es eine vorsprachliche<br />

Erkenntnis der ‚Wirklichkeit‘. Interviewmitschnitte und Elektroenzephalogramme<br />

sind, wie religionsgeschichtliche Quellen, Texte, die gelesen werden wollen. Sie<br />

bringen die Wahrnehmung in eine – meist lineare – Anordnung von Zeichen und<br />

konstruieren so Wirklichkeit. Das vormoderne China ist ein solcher Text. Es<br />

existiert größtenteils in überlieferten, d.h. immer wieder reproduzierten Texten.<br />

Ist China also nur ein „empire of the text“ (Connery 1998), eine „imagined<br />

community“ (Anderson 1983, Holcombe 1994), die sich in den jahrtausendelangen<br />

Schreib-, Kanonisierungs- und Kommentierungsbemühungen seiner Eliten<br />

herausgeschält haben? Der Vortrag hinterfragt, inwieweit überhaupt ein ‚Heraustreten<br />

aus dem Text‘ möglich ist. Paradoxerweise sind Sinologie und chinesische<br />

Religionsgeschichte als Wissenschaften von den Texten in chinesischer Sprache<br />

(Gassmann 1985) auch mit der Materialität ihres Gegenstands konfrontiert. Z.B.<br />

wird dieser im Überlieferungsprozess immer wieder korrumpiert oder verschiedenen<br />

Entstehungsszenarien zugeschrieben. Die Textkritik versucht, solche<br />

139


Probleme teils anhand probabilistischer Kriterien (lectio difficilior), teils mit<br />

biologischen Metaphern (stemma codicum) zu lösen. Welche Konsequenzen hat<br />

diese materielle Seite der Philologie für die Religionsgeschichte?<br />

Hannah Müller-Sommerfeld: „Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht mehr<br />

los.“ Oder: Warum Theorien in der religionshistorischen Forschung keinen Nutzen<br />

haben können<br />

Für das Panel zum Verständnis von „Empirie“ in der Religionswissenschaft habe<br />

ich die Zuständigkeit für Geschichte resp. Religionsgeschichte übernommen. In<br />

meinem Vortrag will ich insbesondere der Frage nachgehen, inwiefern Sprache<br />

und implizit schriftliche Quellen überhaupt eine geeignete Referenz für die<br />

empirische Wirklichkeit sein können. Als Paradigma wähle ich dafür offizielle<br />

religionspolitische Verlautbarungen und setze sie in Verbindung mit dazugehörigen<br />

diplomatischen Bemühungen betroffener religiöser Gemeinschaften, die<br />

oft den sprachlichen Weg und schriftliche Spuren meiden. Anhand dieses<br />

Sachverhalts lässt sich dann leicht illustrieren, dass es sich mit Theorien und<br />

Theoremen in der historischen Forschung eher wie mit den Geistern in Goethes<br />

Zauberlehrling verhält: Man wird sie nicht mehr los. Dies gilt insbesondere für die<br />

inzwischen in die Jahre gekommene klassische Säkularisierungstheorie, die selbst<br />

umformuliert keiner empirischen Verifikation standhält. Selbiges gilt für die vielfach<br />

diagnostizierte und teils davon abhängige „Rückkehr der Religion“ in den<br />

öffentlichen Raum. Auf religionshistorischer Basis lässt sich von beiden Theoremen<br />

kaum behaupten, dass sie zu einem besseren Verständnis von empirischen<br />

Wirklichkeiten beitragen, dass sie immanente Strukturen transparenter werden<br />

lassen. Im Gegenteil, für die Disziplin der Religionsgeschichte sind sie mehr<br />

irreführende „Geister“.<br />

140<br />

Sarah Jahn: Die Erforschung religiöser Gegenwartskultur durch „Vertextung“<br />

empirischer Daten<br />

Im Vortrag wird sich mit den Grundfragen des Panels aus soziologischer Perspektive<br />

befasst. Dabei wird sich auf die Erforschung religiöser Gegenwartskultur<br />

beschränkt. Anders als bei der historischen und philologischen Erforschung<br />

religiöser Phänomene muss der Forscher bei Themen der Gegenwart oftmals<br />

eigene Daten generieren, um valide Aussagen treffen zu können. In der deutschen<br />

Forschungslandschaft werden diese Daten meistens mittels Methoden der<br />

qualitativen Sozialforschung erhoben. Aufgrund der niedrigen Fallzahlen und der<br />

Orientierung am Einzelfall geht es hier weniger um objektive, sondern vielmehr<br />

um intersubjektiv überprüfbare Aussagen. Doch was passiert mit religiösen<br />

Phänomenen während der Erhebung, Verarbeitung und Analyse? Welchen<br />

Stellenwert misst man dabei der Sprache in Wort und ‚Text‘ bei? Des Weiteren:<br />

Welches Verständnis von ‚Sprache‘ und ‚Text‘ liegt hier überhaupt zu Grunde? In<br />

dem Vortrag geht es also weniger darum einzelne Methoden oder Paradigmen zu<br />

diskutieren, sondern vielmehr soll versucht werden die dahinter liegenden<br />

methodologischen Grundannahmen herauszuarbeiten, um zu überprüfen, ob es<br />

ein spezifisch disziplinäres Verständnis von ‚Sprache‘ und eine spezifisch diszipli-


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

nären Verwendung von ‚Text‘ gibt. Ist die Anwendung von Max Webers Definition<br />

von Soziologie als „Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen<br />

und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will“<br />

(Weber 1920, S. 1) auf qualitative Methoden angewandt, die eines kommunikativen<br />

Konstruktivismus (Knoblauch/Keller/Reichartz 2012) oder eines „textuellen<br />

Verhaltens“ (Said 1981)? In dem Vortrag wird von der Grundannahme ausgegangen,<br />

dass es stets um die ‚Vertextung‘ (Wawrzyniak 1980) empirischer Daten<br />

geht.<br />

Anna Schröder: Empirisch belegte Theorien – der psychologische Zugang zur<br />

Erforschung von Religionen als biopsychosoziokultureller Tatsache<br />

In der Religionspsychologie wird persönliches religiöses Erleben und Verhalten<br />

mit objektiven Methoden erforscht. In der religionswissenschaftlichen Wahrnehmung<br />

dieser Forschungsperspektive werden Gegenstand und Methode oft<br />

verwechselt: Es wird kritisiert, dass die religionspsychologische Erkenntnistheorie<br />

und Methodik subjektivistisch seien, während religiöse Erfahrungen universalisiert<br />

würden. Diese Kritik trifft allerdings nur dann zu, wenn sich eine<br />

Liberaltheologie schleiermacherscher Prägung als Religionspsychologen darstellt<br />

– ein Problem das analog zur Auseinandersetzung mit der Religionsphänomenologie<br />

besteht. Empirie ist in der Psychologie vor allem ein auf die Methoden<br />

bezogenes Konzept: Während zwischen einer Ebene der (empirischen aber<br />

„latenten“) Forschungsobjekte und einer Ebene wissenschaftlicher Theorien und<br />

Konstrukte unterschieden wird, stellen die Methoden mit ihren intersubjektiv<br />

ausgehandelten Standards eine Verbindung zwischen beiden Ebenen, den<br />

Empiriebezug der Theorie, her. Überwiegend werden deduktiv aus einer logisch<br />

stimmigen Theorie solche Aussagen (Hypothesen) abgeleitet, deren Wahrheit<br />

oder Unwahrheit im Empiriebezug festgestellt werden kann. Damit orientiert sich<br />

die (religions-) psychologische Forschung standardmäßig am methodischen Konstruktivismus<br />

und der empirischen Theorieprüfung, wie sie von Hubert Seiwert<br />

seit den 1970er Jahren in der Religionswissenschaft vorgestellt und von Bretislav<br />

Horyna in seiner Wissenschaftstheorie von 2011 eingefordert wird. Anders als in<br />

den sozial- und kulturwissenschaftlich geprägten Zugängen der Religionswissenschaft<br />

manifestieren sich psychische Konstrukte nicht nur in und über Sprache,<br />

sondern auch in den biologischen Mechanismen des menschlichen Körpers.<br />

Allerdings geschieht die wissenschaftliche Kommunikation verbal. Es werden für<br />

die Diskussion Chancen und Grenzen dargestellt, die sich aus psychologischer<br />

Sicht in der Zusammenarbeit mit geistes- und kulturwissenschaftlichen Empiriebezügen<br />

für die Erforschung von Religionen als biopsycho-soziokultureller<br />

Tatsache ergeben.<br />

Panelstrang E: ZHG 105<br />

Katharina Neef (Leipzig)<br />

141


Religiöse Toleranz vs. Zwang zur Orthopraxie als<br />

religionswissenschaftliche Empirie<br />

<br />

<br />

<br />

Nicole Hartmann: Opfertest und religiöse Konformität in der römischen<br />

Kaiserzeit<br />

Daniel Eißner: Frühneuzeitliche Toleranzedikte und Sanktionsmaßnahmen<br />

gegen religiöse Abweichler<br />

Judith Zimmermann: Religion, Nation und Laizität in der Dritten<br />

Französischen Republik 1871-1914<br />

Wir wollen uns im Panel – beschränkt auf einen europäischen Kontext, aber einen<br />

zeitlichen Rahmen von fast 2000 Jahren umfassend – mit der Regulierung und<br />

Verwaltung von Religion seitens des Staates beschäftigen. In verschiedenen historisch-politischen<br />

Kontexten wurde vom Staat ein Maß an Konformität bei den<br />

Bürgern/Untertanen vorausgesetzt, das unterschiedlich rigide beobachtet und<br />

eingefordert wurde und so individuelle Handlungsspielräume eröffnete oder<br />

versperrte. Der Fokus wird besonders auf geforderten oder gar extra installierten<br />

und öffentlich ausgerichteten Ritualen liegen, die staatlichen Akteuren die Möglichkeit<br />

gaben, Orthodoxie zu inszenieren und orthopraxe Teilnahme zu generieren.<br />

Meist ging es weniger darum, Nonkonformisten anzuprangern als ihnen den Weg<br />

zurück in die Gemeinschaft aufzuzeigen. Macht und Fürsorge konnten hierbei<br />

gleichermaßen demonstriert werden.<br />

142<br />

Nicole Hartmann: Opfertest und religiöse Konformität in der römischen Kaiserzeit<br />

Stefan Krauter hat in seiner Studie „Bürgerrecht und Kultteilnahme. Politische<br />

und kultische Rechte und Pflichten in griechischen Poleis, Rom und antikem<br />

Judentum“ detailliert und deutlich die Grenzen der Erzwingbarkeit religiöser<br />

Konformität in griechischen Poleis und im römischen Reich bis ins 1. Jhd. u.Z.<br />

aufgezeigt. An die jeweiligen Eliten gab es zwar eine bestimmte Erwartungshaltung<br />

bezüglich der Übernahme öffentlicher Aufgaben und damit kultischer<br />

Verantwortung und auch im Umfeld der unteren Schichten konnte sozialer Druck<br />

mindestens zur Affirmation des städtischen Kultlebens nötigen, aber Maßnahmen<br />

zur Überprüfung/Überwachung oder gar Regulierung der religiösen Haltung<br />

der Bürger hat es nicht gegeben. Diese Notwendigkeit ergab sich erst in der<br />

Konfrontation mit Jesus-Anhängern, die als Christiani aufgrund ihrer Verweigerungshaltung<br />

gegenüber den griechisch-römischen religiösen Traditionen zur<br />

Anklage gebracht wurden. Der von römischen Statthaltern in diesen Situationen<br />

durchgeführte „Opfertest“ sollte bei drohender Todesstrafe die Möglichkeit<br />

bieten, Loyalität zu Kaiser und althergebrachter Tradition unter Beweis zu stellen<br />

– was unter Kaiser Decius sogar so weit ging, dass Bescheinigungen über vor<br />

behördlichen Zeugen durchgeführte Opfer ausgefertigt wurden. Nur in dieser<br />

sonderbaren Konstellation hat es Zwang zu Konformität und „Orthopraxie“ im<br />

römischen Reich gegeben. Zu fragen ist also nach der Bedeutung und Herausforderung<br />

dieser Maßnahmen im Selbstverständnis römischer Religion.<br />

Daniel Eißner: Frühneuzeitliche Toleranzedikte und Sanktionsmaßnahmen gegen


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

religiöse Abweichler<br />

Religionsverwaltung in der Frühen Neuzeit war nicht zuletzt aufgrund der gewaltsamen<br />

Geschehnisse im Nachgang der Reformation eng mit politischen Notwendigkeiten<br />

und strategischen Erwägungen verknüpft. Die Religionsangelegenheiten<br />

der Einzelterritorien wurden durch reichsrechtliche Bestimmungen gerahmt,<br />

welche dezidiert den Umgang mit den anerkannten Konfessionen regelten und<br />

allen anderen religiösen Gemeinschaften einen legalen Platz im Alten Reich<br />

verwehrten: Gegen Abweichler, Religionsverächter und religiöse Separatisten<br />

sollte hart und unnachgiebig vorgegangen werden. Dem entsprach auch der<br />

Konformitätsanspruch an den Einzelnen, denn Gemeinschaft konstituierte sich<br />

sowohl religiös und rechtlich wie auch sozial als christliche Abendmahlsgemeinschaft.<br />

Religiöse Devianz hatte somit umgehend weitreichende Konsequenzen,<br />

die nahezu alle frühneuzeitlichen Lebensbereiche tangierten und Nonkonformisten<br />

unter Druck setzten, sich wieder in die herrschenden Strukturen zu integrieren.<br />

Empirisch offenbart sich jedoch trotz dieser scheinbar strikten Verregelung<br />

eine erhebliche Diskrepanz zwischen reichsrechtlicher Vorgabe und Implementierung.<br />

So gaben bei der realen Umsetzung häufig eher pragmatische als dogmatische<br />

Gründe den Ausschlag, wogen zumeist wirtschaftliche Notwendigkeiten<br />

schwerer als rechtlich-politische Vorschriften und Leitbilder. Religiöse Toleranz<br />

konnte damit je nach lokal-regionaler Gemengelage nahezu jedem zuteil werden,<br />

sofern die Regenten eigennützig-praktische Erwartungen an die Ansiedlung von<br />

Angehörigen anderer Konfessionen oder auch sogenannter Sektierer hatten. Am<br />

Beispiel zahlreicher Toleranzedikte wird diesem situativen Umgang mit religiöser<br />

Duldung, aber auch mit deren Grenzen nachgespürt werden.<br />

Panelstrang F: ZHG 006<br />

Katharina Wilkens (München) und Jörg Haustein (Heidelberg)<br />

Afrikanische Religionsgeschichte: Postkoloniale Perspektiven (II)<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Magnus Echtler: Wie postkolonial ist der schwarze Messias?<br />

Ulrike Schröder: „From Cane Fields to Freedom“: Die indische<br />

Gemeinschaft als Teil der südafrikanischen Religionsgeschichte<br />

Laura Pöhler: Died of AIDS, Killed by Witchcraft! HIV und AIDS im Kontext<br />

indigener religiöser Diskurse südafrikanischer Gesellschaften<br />

Eva Spies: Endlich Individuen? Afrikanisch-Christliche Mission auf<br />

Madagaskar und die Dichotomie von Tradition und Moderne<br />

Panelabstract vgl. S. 133<br />

Magnus Echtler: Wie postkolonial ist der schwarze Messias?<br />

In meinem Beitrag beschäftige ich mich mit der Position der Nazareth Baptist<br />

Church im religiösen Feld Südafrikas sowie im akademischen Diskurs. Die NBC,<br />

gegründet 1910 von Jesaja Shembe, ist eine der bekanntesten Afrikanisch<br />

Unabhängigen Kirchen. Ihre zentrale Stellung im akademischen Diskurs zum<br />

143


afrikanischen Christentum verdankt sie vor allem dem Umstand, dass sie für<br />

Bengt Sunkler ein herausragendes Beispiel für jene „synkretistischen Sekten“<br />

darstellte, die „Brücken zurück ins Heidentum schlagen.“ Eine ähnliche Position<br />

vertrat Gerhardus Oosthuizen, der den Kirchengründer als Messias identifizierte,<br />

und die Kirche auf dieser Grundlage als nach-christlich (post-christian) klassifizierte.<br />

Diese Interpretationen, die hauptsächlich theologisch argumentierten,<br />

aber auch auf die religionswissenschaftliche Kategorienbildung einwirkten,<br />

wurden seit den späten 60ern aus einer postkolonialen Perspektive kritisiert.<br />

Allerdings verteidigten die Kirchenführer der NBC Oosthuizen gegen diese Kritik,<br />

da aus ihrer Sicht ausschließlich er den außerordentlichen Charakter des<br />

Kirchengründers und seiner Nachfolger zu würdigen wusste, während seine Kritiker<br />

kaum messianischen Charakter feststellten, und die Kirche daher als christlich<br />

klassifizierten. Diese postkolonialen Reinterpretationen machten es allerdings<br />

nötig, die Einstellungen gewöhnlicher Kirchenmitglieder als irrelevant einzustufen.<br />

Hier hakt meine Kritik aus sozialanthropologischer Perspektive ein, da aus<br />

dieser Sicht das symbolische Kapital religiöser Spezialisten, ihre Position, ihr<br />

Charisma, einzig auf der Anerkennung seitens der Laien beruht. Welche Form<br />

diese Anerkennung in der NBC annimmt, werde ich anhand von im Rahmen einer<br />

ethnographischen Forschung erhobenen Daten darstellen. Bezüglich der Möglichkeiten<br />

einer gegenwärtigen afrikanischen Religionsgeschichte argumentiere<br />

ich, dass die methodologische Stärke der Ethnographie eben gerade auf der<br />

besonderen Nähe zu den Akteuren und ihren sozialen Spielen beruht, die zwar<br />

von akademischen Diskursen beeinflusst sind, sich aber nicht auf diese beschränken.<br />

144<br />

Ulrike Schröder: „From Cane Fields to Freedom“: Die indische Gemeinschaft als<br />

Teil der südafrikanischen Religionsgeschichte<br />

Die Geschichte der Inder in Südafrika ist auf komplexe Weise verwoben mit der<br />

kolonialen Geschichte Indiens und Südafrikas. So ist etwa die Herausbildung<br />

einer gemeinschaftlichen Identität unter den indischen Einwanderern in Südafrika<br />

im 20. Jahrhundert stark beeinflusst von den in Südafrika gegebenen politischen<br />

Rahmenbedingungen unter dem Vorzeichen von britischer Kolonialherrschaft<br />

und Apartheid, aber auch von neo-hinduistischen Reformbewegungen aus<br />

Indien wie z.B. dem Arya Samaj. Häufig wird diese Geschichte jedoch völlig<br />

losgelöst von den historischen Entwicklungsprozessen anderer Bevölkerungsgruppen<br />

in Südafrika dargestellt und bleibt so ein isolierter Fremdkörper, auch in<br />

der südafrikanischen Religionsgeschichte. Die jüngsten Debatten um das<br />

150-jährige Jubiläum der Ankunft der ersten indischen Einwanderer in Südafrika<br />

machen zudem deutlich, wie stark die Repräsentation indisch-südafrikanischer<br />

Geschichte von den Dynamiken des politischen Diskurses nach dem Ende der<br />

Apartheid und von der Suche nach einer gemeinsamen Artikulation indischer<br />

Identität in Südafrika bestimmt ist. Das Paper analysiert verschiedene Repräsentationsformen<br />

indischer Geschichte und die Rolle religiöser Gemeinschaften in<br />

der Debatte um die politische und kulturelle Bedeutung der indischen Minderheit<br />

in Südafrika.


[<strong>DVRW</strong> <strong>2013</strong>]<br />

Laura Pöhler: Died of AIDS, Killed by Witchcraft! HIV und AIDS im Kontext<br />

indigener religiöser Diskurse südafrikanischer Gesellschaften<br />

Unwissen, die gesundheitspolitischen Fehltritte südafrikanischer Politiker und ein<br />

weit verbreiteter Irrglaube an witchcraft – auf die Frage, was Schuld sei an Südafrikas<br />

verheerender HIV-Epidemie, kennen biomedizinische Experten und westlich-orientierte<br />

Politiker klare Antworten. Während der öffentliche Diskurs auf<br />

der Unvereinbarkeit biomedizinischer und religiöser Wissensformen um HIV und<br />

AIDS beharrt und gesundheitspolitisch alles auf die Karte biomedizinischer<br />

Aufklärung setzt, melden Kulturwissenschaftler seit einigen Jahren Bedenken an.<br />

Sie bestätigen zwar eine Hochkonjunktur von witchcraft-Diskursen und anderen<br />

religiösen Verarbeitungsformen der AIDS-Krise, betonen aber gleichzeitig, dass<br />

Südafrikas Bevölkerung nie so informiert bezüglich der medizinischen Beschaffenheit,<br />

sowie der Prävention und Behandlung von HIV und AIDS gewesen sei.<br />

Der Beitrag widmet sich der Frage, warum sich witchcraft-Diskurse besonders zu<br />

eignen scheinen, um die sozialen und ökonomischen Realitäten der HIV Epidemie<br />

in Südafrika zu interpretieren. Es wird davon ausgegangen, dass herkömmliche<br />

Erklärungen für religiöse Reaktionen auf HIV und AIDS, allen voran ein vermeintlicher<br />

Mangel an biomedizinischem Wissen um die medizinische ‚Wahrheit‘ der<br />

Epidemie, selbst als Teil einer afrikanischen Religionsgeschichte beschrieben<br />

werden können. Im Beitrag werden aktuelle Studien zum Gesundheitsverhalten<br />

HIV-positiver Südafrikaner in Verbindung mit religionswissenschaftlichen Überlegungen<br />

zur Beschreibung afrikanischer witchcraft-Diskurse gesetzt. Ziel ist es, die<br />

ideologische Konfrontation biomedizinischer und indigener religiöser Interpretationen<br />

von HIV und AIDS religionshistorisch zu verorten und so witchcraft-<br />

Diskurse religionswissenschaftlich beschreibbar zu machen. Nicht zuletzt möchte<br />

der Vortrag auf die Chancen einer religionswissenschaftlich informierten<br />

Perspektive auf religiösen Umgang mit Krankheit und Tod zu einem besseren<br />

Verständnis der Lebens- und Sterbensrealitäten HIV-betroffener Menschen<br />

aufmerksam machen.<br />

Eva Spies: Endlich Individuen? Afrikanisch-Christliche Mission auf Madagaskar<br />

und die Dichotomie von Tradition und Moderne<br />

In der Forschung zu Madagaskar wurde christliche Mission oft als Wegbereiter<br />

der Moderne gelesen: Individualisierung wird dabei als einer der typischen<br />

Prozesse der Moderne verstanden, der das bis dahin „traditionelle" Madagaskar<br />

grundlegend verändert habe. Aber anscheinend nicht vollständig, – denn auch<br />

die wissenschaftlichen Deutungen des rezenten Booms der Pfingstkirchen beziehen<br />

sich weiterhin auf die Kategorie „Moderne“, um das Phänomen in einem<br />

größeren analytischen Kontext zu verorten: Wieder werden grundlegende Transformationsprozesse<br />

wie Individualisierung ausgemacht, diesmal aber auch die<br />

Möglichkeiten des Einzelnen betont, sich mit eben dieser Moderne und ihren<br />

Ambivalenzen auseinanderzusetzen. Ungeachtet der Deutungen der Betroffenen<br />

wird so, laut Englund und Leach 2000, das „Meta-Narrativ Moderne“ fortgeschrieben:<br />

Zwar mag Moderne nun multipel sein, doch hat die Dekonstruktion<br />

der eurozentrischen modernisierungstheoretischen Kategorie „Moderne“ einem<br />

145


146<br />

noch universeller gedachten Deutungsrahmen namens „Moderne“ Platz<br />

gemacht: Nun sind alle Gesellschaften modern und produzieren im jeweils unterschiedlichen<br />

Umgang mit ihrer Vergangenheit und den globalen Verstrickungen<br />

Traditionelles. Damit sind die ehemaligen „Traditionellen“ bzw. „Primitiven“ zwar<br />

rehabilitiert (Streck 2012), die Moderne-Stereotype selbst aber noch aktuell.<br />

Vor diesem Hintergrund möchte ich in meinem Vortrag am Beispiel des Stereotyps<br />

Individualisierung zunächst versuchen, die Dichotomie christlich-modernindividuell<br />

vs. madagassisch-traditionell-kollektiv zu hinterfragen, indem ich sie<br />

im Rahmen der europäisch christlichen Mission auf Madagaskar im 19. Jh.<br />

kontextualisiere. In einem zweiten Schritt möchte ich dann darauf eingehen, wie<br />

derzeit auf Madagaskar missionierende afrikanische Pfingstkirchen mit der<br />

Dichotomie von Tradition und Moderne arbeiten und in welchem Verhältnis<br />

diese zu Vorstellungen von Individualität und Konformität steht: Hier überlässt<br />

beispielsweise weder der Heilige Geist noch das Idealbild des erfolgreichen<br />

Christen dem modernen Individuum die Wahl über sein Verhalten. Der Vortrag<br />

versucht so, auf unterschiedlichen Ebenen den Korrelationen von Mission,<br />

Moderne und Individualisierung nachzugehen und zu zeigen, dass es in der<br />

Religionsgeschichte nicht ausreicht, allein die „europäischen“ Kategorien zu<br />

dekonstruieren.


31. Jahrestagung der <strong>DVRW</strong><br />

Empirie und Theorie – Religionswissenschaft zwischen Gegenstandsorientierung und<br />

systematischer Reflexion<br />

Wir bedanken uns<br />

bei unseren Förderern

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