Erfahrungen mit HIV - positiven und AIDS - Patientinnen in Anamnesegruppen
Möglichkeiten der Implikation praktischer
Erfahrungen mit HIV - positiven und
AIDS - Patientinnen in die Anamnesegruppenarbeit
Von Birgit Mumelter, Innsbruck
Vor einiger Zeit kam ein 40jähriger
Mann zu uns auf die AIDS - Ambulanz.
Er erzählte, er sei von seinem
Hausarzt zum Internisten geschickt
worden, weil er in kürzester Zeit 17 kg
abgenommen habe. Außerdem leide
er unter Kopfschmerzen, Diarrhöe,
Übelkeit,
Nachtschweiß,
Schluckbeschwerden,
geschwollenen
Lymphknoten und könne sich nicht
mehr so konzentrieren wie früher. Der
Internist habe trotz einer steten Verschlechterung
seines Zustandes und
zahlreicher Überweisungen zu diversen
Spezialistinnen erst nach zwei
Monaten einen HIV - Test veranlaßt,
der positiv ausgefallen sei. Die durchgeführten
Untersuchungen
bedingen
in der Folge eine sofortige stationäre
Aufnahme, weil eine Pneumozystis -
carinii - Pneumonie, HIV - Kachexie
und eine Toxoplasmose des Gehirns
{also drei AIDS - definierende Erkrankungen)
festgestellt wurden.
Eine 35jährige Patientin, die erst seit
zwei Wochen weiß, daß sie HIV - positiv
ist, muß zwecks Operation eines
invasiven Zervixkarzinoms von der
AIDS - Station auf eine andere Abteilung
verlegt werden. Dort bekommt
sie, obwohl keine Klassepatientin, ein
Einzelzimmer und ein eigenes WC zugewiesen,
das - für alle sichtbar - mit
ihrem Namen und dem Hinweis, es
dürfe ausschließlich von dieser Patientin
benutzt werden, beschriftet ist,
obwohl dafür keine medizinische Indikation
vorliegt. Als die Patientin wieder
auf die AIDS - Station zurückkommt,
ist sie in einem sehr schlechten psychischen
Zustand.
Wir Mitarbeiterinnen der AIDS - Abteilung
(ich arbeite dort als verantwortliche
Psychologin) haben mit Fallen
wie den beiden oben dargestellten leben
gelernt; sie sind leider die Regel
und nicht die Ausnahme: Ärztinnen
wie auch Krankenpflegepersonal fühlen
sich durch HIV - positive bzw.
AIDS - kranke Patientinnen oft emotional
überfordert, stellen sich dem
aber nicht und diskriminieren die Betroffenen
in der Folge, wenn auch
meistens unbewußt. Diese Diskriminierung
kann sich in einer dem eigentlichen
Wissensstand nicht entsprechenden
langwierigen Diagnoseermittlung
ausdrücken, die den Patienten
im ersten Fallbeispiel in Lebensgefahr
gebracht hat. Sie kann aber
auch subtiler und versteckter erfolgen,
etwa indem Abteilungsangehörige
oder niedergelassene Ärztinnen Patientinnen
selbst behandeln wollen und
ihnen daher davon abraten, die AIDS
- Abteilung oder Schwerpunktpraxen
aufzusuchen, was zur Folge hat, daß
die Patientinnen medizinisch unzureichend
versorgt werden. Außerdem
erleben wir immer wieder, daß positive
HIV - Testergebnisse per Telefon mitgeteilt
werden, Operationen bei HIV -
positiven bzw. AIDS - Patientinnen
aus medizinisch nicht nachvollziehbaren
Gründen abgesagt oder verschoben
werden und psychische Erkrankungen,
obwohl offensichtlich, nicht
ernsthaft behandelt und als „Theater"
P CMC 15
abgetan werden. Und wie oft hatte ich
schon das Gefühl, daß sich so manche
Ärztinnen insgeheim denken, daß
es vor allem Fixerinnen und Schwule
ja auch nicht anders verdient hätten
und an allem selbst schuld seien. Geschlechtsspezifische
Diskriminierung
zeigt sich z.B. dadurch, daß krankheitsbedingte
Symptome bei HIV - positiven
Frauen überdurchschnittlich
häufig als Anzeichen einer Depression,
Überarbeitung oder Streß gedeutet
werden; Gewichtsverlust wird oft nicht
beachtet oder häufig sogar als vorteilhaft
bewertet. Broschüren, die erklären,
wie man sich bei lesbischem Sex
vor einer Infektion schützen kann, sind
oft nicht vorhanden oder nur schwer
zugänglich. Zudem kommt es immer
wieder vor, daß Frauen durch Schuldgefühle
unter Druck gesetzt und zu
Sterilisation oder Abtreibung überredet
werden.
Menschen, die HIV - positiv oder
AIDS - krank sind, stellen für ihre Umgebung
eine besondere Herausforderung
dar, denn sie konfrontieren durch
ihre Erkrankung mit Tabuthemen wie
Homo- und Bisexualität, eigenen
Ohnmachtsgefühlen gegenüber einer
unheilbaren Erkrankung, Süchten, Tod
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