Von einem militärputsch, der keiner sein will
Von einem militärputsch, der keiner sein will
Von einem militärputsch, der keiner sein will
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thema StaatSStreich in honduraS<br />
Politik und menSchenrechte<br />
<strong>Von</strong> <strong>einem</strong> <strong>militärputsch</strong>,<br />
<strong>der</strong> <strong>keiner</strong> <strong>sein</strong> <strong>will</strong><br />
Honduras galt bislang als stabile, wenngleich „defekte“ Demokratie. Der Militärputsch<br />
vom 28. Juni hat das Land in eine politische Krise katapultiert.<br />
text: Peter Peetz<br />
nur wenige Stunden<br />
nachdem das honduranische<br />
Militär Präsident<br />
Manuel Zelaya am 28.<br />
Juni nach Costa Rica ausgeflogen<br />
hatte, beschloss das Parlament<br />
einstimmig, ein angeblich<br />
von diesem verfasstes<br />
Rücktrittsschreiben anzunehmen.<br />
Wie es die Verfassung bei<br />
Rücktritt o<strong>der</strong> dauerhafter Abwesenheit<br />
eines Präsidenten<br />
vorsieht, wurden dem bisherigen<br />
Parlamentspräsidenten<br />
Roberto Micheletti die Regierungsgeschäfte<br />
übertragen.<br />
Aus s<strong>einem</strong> unfrei<strong>will</strong>igen Exil<br />
betonte Zelaya jedoch, nicht<br />
zurückgetreten zu <strong>sein</strong>; das<br />
Schreiben stamme nicht von<br />
ihm.<br />
Nach <strong>sein</strong>er Vereidigung<br />
erklärte Micheletti in Übereinstimmung<br />
mit einer Verlautbarung<br />
des Obersten Gerichtshofs,<br />
bei dem Wechsel im<br />
Präsidentenamt handle es sich<br />
nicht um einen Militärputsch.<br />
Das Militär habe lediglich die<br />
Anordnungen ziviler Organe<br />
in die Tat umgesetzt. Die für<br />
14 Presente sePtember 2009<br />
den 29. November angesetzten<br />
Wahlen würden wie geplant abgehalten.<br />
Micheletti selbst steht<br />
nicht zur Wahl. In Vorwahlen<br />
unterlag er Ende 2008 dem<br />
ehemaligen Vize-Präsidenten<br />
Elvin Santos, <strong>der</strong> als Präsidentschaftskandidat<br />
für die Liberale<br />
Partei (PL), <strong>der</strong> auch Micheletti<br />
und Zelaya angehören, ins<br />
Rennen geht.<br />
Unmittelbar nach dem<br />
Putsch positionierte sich auf<br />
internationaler Ebene eine<br />
breite Allianz gegen die neuen<br />
Machthaber. In Honduras<br />
selbst jedoch wurde die Absetzung<br />
Zelayas von den meisten<br />
politischen Akteuren begrüßt.<br />
Für die Amtsübernahme durch<br />
Micheletti stimmten über fast<br />
alle Parteigrenzen hinweg alle<br />
anwesenden Parlamentsabgeordneten.<br />
Nur die Parlamentarier<br />
<strong>der</strong> linken Kleinpartei<br />
Unificación Democrática (UD)<br />
blieben <strong>der</strong> Abstimmung fern.<br />
Zelaya hatte nach s<strong>einem</strong><br />
Amtsantritt 2006 zunächst<br />
ganz im Sinne <strong>der</strong> traditionellen<br />
politischen Kultur<br />
Honduras’ regiert. In s<strong>einem</strong><br />
ursprünglichen Kabinett waren<br />
die Namen <strong>der</strong> Familien<br />
präsent, die seit jeher das politische<br />
und wirtschaftliche<br />
Leben des Landes dominieren.<br />
Mit <strong>der</strong> Zeit verschlechterten<br />
sich jedoch die Beziehungen<br />
zwischen Zelaya und einigen<br />
Teilen <strong>sein</strong>er Partei, insbeson<strong>der</strong>e<br />
mit dem Netzwerk um<br />
Roberto Micheletti, <strong>der</strong> die<br />
meisten PL-Parlamentarier<br />
hinter sich wusste. So verweigerte<br />
die PL-Mehrheit Zelaya<br />
die Zustimmung zu verschiedenen<br />
Vorhaben, etwa <strong>der</strong><br />
Schließung des als unsicher<br />
geltenden Flughafens von Tegucigalpa.<br />
Als Zelayas Machtbasis, die<br />
weit verzweigten klientelistischen<br />
Netzwerke, zusehends<br />
wegbröckelte, suchte er neue<br />
Verbündete. Er fand sie bei<br />
Hugo Chávez und im Land<br />
bei Teilen <strong>der</strong> UD, <strong>der</strong> orthodox-linken<br />
Bürgerbewegung<br />
Bloque Popular und <strong>einem</strong><br />
Teil <strong>der</strong> zersplitterten Gewerkschafts-<br />
und Bauernbewegung.<br />
Foto: James RodRíguez
Foto: James RodRíguez<br />
Die internationale Öffentlichkeit<br />
kann nicht nachvollziehen,<br />
warum eine von Zelaya<br />
betriebene und für den<br />
Tag des Putsches anberaumte<br />
Volksbefragung eine so heftige<br />
Reaktion fast des gesamten<br />
politischen Establishments<br />
ausgelöst hat. Ist die politische<br />
Klasse gegen plebiszitäre Demokratieelemente,<br />
weil sie<br />
dadurch ihre Macht gefährdet<br />
sieht? Warum waren unter den<br />
Gegnern <strong>der</strong> Volksbefragung<br />
dann nicht nur die traditionelle<br />
Presse, son<strong>der</strong>n ebenso<br />
vertrauenswürdige unabhängige<br />
Medien? Auch Letztere<br />
schenkten einer Demokratisierung<br />
des Landes per Volksbefragung<br />
keinen Glauben. Viele<br />
Kritiker warfen Zelaya vor, sich<br />
letztlich die Möglichkeit einer<br />
zweiten Amtszeit verschaffen<br />
zu wollen.<br />
Bei <strong>der</strong> Volksbefragung handelte<br />
es sich zwar nur um einen<br />
allerersten Schritt in Richtung<br />
einer neuen Verfassung, die gegebenenfalls<br />
eine Wie<strong>der</strong>wahl<br />
Zelayas ermöglicht hätte. Aber<br />
kriSe und kein ende?<br />
dies allein löste im politischen<br />
Establishment, einschließlich<br />
<strong>der</strong> Judikative, eine geradezu<br />
allergische Reaktion aus. Die<br />
aktuelle Verfassung schließt<br />
die Wie<strong>der</strong>wahl eines Präsidenten<br />
kategorisch aus. Wer<br />
gegen diese Bestimmung verstößt<br />
o<strong>der</strong> ihre Än<strong>der</strong>ung vorschlägt<br />
– ebenso wie <strong>der</strong>jenige,<br />
<strong>der</strong> ihn dabei in direkter o<strong>der</strong><br />
indirekter Weise unterstützt –,<br />
verliert mit sofortiger Wirkung<br />
das Amt, das er gerade ausübt,<br />
und wird für zehn Jahre<br />
von <strong>der</strong> Ausübung öffentlicher<br />
Ämter ausgeschlossen. Das<br />
Verbot <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>wahl gehört<br />
geradezu zum Kern <strong>der</strong> honduranischen<br />
Verfassung.<br />
Sämtliche gerichtliche Instanzen<br />
untersagten Zelaya<br />
die Durchführung <strong>der</strong> Volksbefragung.<br />
Dass er von s<strong>einem</strong><br />
Vorhaben dennoch nicht abließ,<br />
stellte eine Verletzung <strong>der</strong><br />
Gewaltenteilung dar. Zelayas<br />
Argumentation, die wirtschaftlich-politische<br />
Elite scheue die<br />
Befragung, weil sie einen ersten<br />
Schritt zum Verlust ange-<br />
thema<br />
Honduras im Juli 2009: Gewalt und Repression<br />
am Flughafen, als Zelaya versucht, zu landen. Ein<br />
Junge wird von Militärs und Polizei ermordet.<br />
stammter Pfründe bedeuteten<br />
könnte, ist sicherlich zutreffend.<br />
Gleichwohl hätte Zelaya<br />
die formalen Spielregeln eines<br />
noch so defekten Rechtsstaats<br />
nicht so eklatant missachten<br />
dürfen.<br />
All das rechtfertigt we<strong>der</strong><br />
verfassungsrechtlich noch moralisch<br />
den Militärputsch, <strong>der</strong><br />
Zelayas Rechtsbrüchen einen<br />
an<strong>der</strong>en, weit radikaleren entgegensetzte.<br />
Denn wie auch<br />
immer die neuen Machthaber<br />
es drehen und wenden, am<br />
28. Juni hat in Honduras ein<br />
Militärputsch stattgefunden.<br />
Wenn ein regierendes Staatsoberhaupt<br />
vom Militär mit vorgehaltener<br />
Waffe gegen <strong>sein</strong>en<br />
Willen außer Landes gebracht<br />
wird und kurz darauf ein neuer<br />
Präsident ausgerufen wird,<br />
ist das keine verfassungskonforme<br />
Form des Übergangs<br />
von einer Regierung zu einer<br />
an<strong>der</strong>en. Der Reihe illegitimer<br />
Aktionen fügte das Parlament<br />
noch eine weitere hinzu: Die<br />
Abgeordneten machten es sich<br />
leicht, indem sie vorgaben, die<br />
Presente sePtember 2009 15
thema StaatSStreich in honduraS<br />
offensichtlich gefälschte Rücktrittserklärung<br />
Zelayas, die kurioserweise<br />
das Datum vom 25.<br />
Juni (drei Tage vor dem Putsch)<br />
trug, für bare Münze zu nehmen.<br />
Wäre Zelayas Absetzung in<br />
<strong>einem</strong> transparenten rechtsstaatlichen<br />
Verfahren erfolgt,<br />
durchgeführt von den dafür<br />
zuständigen Institutionen (Verurteilung<br />
durch ein Gericht,<br />
Amtsenthebungsverfahren<br />
Worin besteht die Arbeit von<br />
EMIH?<br />
Yadira rodríguez: EMIH,<br />
das Equipo de Monitoreo Independiente<br />
de Honduras<br />
(deutsch: Team für unabhängige<br />
Kontrolle aus Honduras),<br />
entstand 1997 als Allianz von<br />
Menschenrechts-, Frauen- und<br />
kirchlichen Organisationen.<br />
Unser Ziel ist die Einhaltung<br />
von Arbeits- und Menschenrechten,<br />
insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong><br />
Exportindustrie Honduras’.<br />
Beson<strong>der</strong>es Augenmerk legen<br />
wir dabei auf die Situation <strong>der</strong><br />
16 Presente sePtember 2009<br />
durch das Parlament etc.), dann<br />
hätten diese zivilen Instanzen<br />
die Polizei und gegebenenfalls<br />
das Militär mit dem Vollzug<br />
dieser Entscheidung beauftragen<br />
können. Das Oberste Gericht<br />
hat zwar nach dem Putsch<br />
verlauten lassen, die Streitkräfte<br />
hätten auf dessen Anweisung<br />
gehandelt. Aber gemäß aller<br />
verfassungsstaatlichen Grundsätze<br />
handelte es sich dabei um<br />
eine illegale und damit unwirk-<br />
Peter Peetz M.A. ist Wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am German Institute<br />
of Global and Area Studies<br />
(GIGA) in Hamburg. Vollständiger<br />
Text: www.giga-hamburg.de/gigafocus/lateinamerika.<br />
„Wir kämpfen gegen den<br />
Putsch, nicht für Zelaya!“<br />
Seit dem Militärputsch in Honduras werden Gegner <strong>der</strong> neuen De-facto-Regierung<br />
massiv bedroht und Proteste unterdrückt. Mehrere Kritiker des Putschregimes<br />
wurden bereits getötet. Unsere Partnerorganisation EMIH aus San Pedro<br />
Sula ist am Wi<strong>der</strong>stand gegen den Staatsstreich beteiligt. Im November werden<br />
zwei ihrer Mitarbeiterinnen Deutschland besuchen.<br />
interView: thomaS krämer-BroScheit (cir)<br />
Frauen. Mit unserem kleinen<br />
Team von Hauptamtlichen kontrollieren<br />
wir die Einhaltung<br />
von Arbeitsrechten in Fabriken<br />
und auf Plantagen, führen Untersuchungen<br />
durch, schulen<br />
Beschäftigte zu ihren Rechten.<br />
Dies trägt auch dazu bei, dass<br />
sie sich organisieren und für<br />
ihre Rechte eintreten.<br />
Was hat sich durch den Putsch für<br />
eure Arbeit geän<strong>der</strong>t?<br />
rodríguez: Unsere Menschenrechte<br />
werden verletzt. Uns<br />
bleibt nichts an<strong>der</strong>es übrig, als<br />
die, mit denen wir arbeiten, bei<br />
same Anordnung; selbst bei<br />
„Gefahr im Verzug“ obliegt es<br />
dem Obersten Gericht nicht,<br />
sozusagen per Dekret die Absetzung<br />
eines gewählten Präsidenten<br />
anzuordnen.<br />
ihren Wi<strong>der</strong>standsaktionen zu<br />
begleiten. In unseren Weiterbildungskursen<br />
diskutieren wir<br />
über die aktuelle Situation und<br />
bieten so einen Raum, in dem<br />
die Frauen sich über ihre Wut<br />
und ihren Frust austauschen<br />
können. Und wir beteiligen<br />
uns an den Protesten, bis die<br />
Verfassungsordnung wie<strong>der</strong><br />
hergestellt ist. Wir kämpfen<br />
gegen den Putsch, nicht für<br />
Zelaya!<br />
Wie ist die Situation in <strong>der</strong> Region<br />
San Pedro Sula?<br />
rodríguez: Seit dem 28.<br />
Foto: James RodRíguez,