Heft 3/2001: "Der Balkan: Was bringt die Zukunft?" - unhcr
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GUTE NACH-<br />
RICHTEN<br />
¬ Die Regierung in<br />
Belgrad hieß<br />
jüngst erstmals<br />
zurückkehrende<br />
Staatsangehörige<br />
willkommen, <strong>die</strong><br />
wie Hussein<br />
Abdijevic zur albanischen<br />
Volksgruppe<br />
zählen – eine<br />
wichtige politische<br />
Kehrtwendung.<br />
UNHCR/R. CHALASANI/CS•YUG•<strong>2001</strong><br />
à Kroatien zurückkehren wollen? „Nein“,<br />
antwortet er, ohne zu zögern. „Dort wurde<br />
alles zerstört. Meine Häuser wurden niedergebrannt.<br />
Warum sollte ich dorthin zurückgehen?“<br />
Wenig später gibt er jedoch zu:<br />
„Wenn alle zurückkehren, würden wir vielleicht<br />
auch darüber nachdenken.“ Diese ambivalente<br />
Haltung kam in vielen Gesprächen<br />
zum Ausdruck, <strong>die</strong> wir in der Region<br />
√Trajko und Divna<br />
Arsiare zählen zu<br />
den erst sehr<br />
wenigen Serben, ,<br />
<strong>die</strong> bislang in das<br />
Kosovo zurückgekehrt<br />
sind. √<br />
geführt haben. Zuerst ein entschiedenes<br />
„Nein“, dann doch ein „Vielleicht“– wenn sich<br />
<strong>die</strong> Situation in Kroatien verbessern sollte.<br />
Hinsichtlich des Sturzes von Slobodan<br />
Milosevic und der im Kosovo begangenen<br />
Verbrechen, <strong>die</strong> nach und nach ans Tageslicht<br />
kommen, zeigten sich <strong>die</strong> Flüchtlinge<br />
zwiespältig, ablehnend und feindselig. „Wir<br />
haben alle gehofft, dass nach der Auslieferung<br />
von Milosevic etwas geschieht“, sagt<br />
Pupovac. „Es ist auch etwas passiert: Die<br />
Strompreise sind drastisch gestiegen, und<br />
das Kindergeld wurde gekürzt.“ Ein anderer<br />
Flüchtling in Südserbien meint verärgert:<br />
„War Milosevic der einzige Kriegsverbrecher?<br />
<strong>Was</strong> ist mit den Albanern, den Kroaten<br />
und den Muslimen? Sie waren alle<br />
schuldig. Man hätte ihn nicht ausliefern<br />
Unterschiedliche Sicht…<br />
Die Suche nach der<br />
Tihomir Stanimorovic hat sich in Rage geredet: „Die internationale<br />
Gemeinschaft hat <strong>die</strong> Albaner innerhalb von<br />
zwei Monaten zurück an ihre Wohnorte gebracht. Wir sind<br />
jetzt schon zwei Jahre hier.“<br />
Die Rückkehr schien <strong>die</strong>sem Serben wie ein unerfüllbarer<br />
Traum. „Die Menschen können heute anscheinend problemlos<br />
zum Mond fliegen“, sagt er. „Aber hier auf dem <strong>Balkan</strong> können<br />
wir nicht einmal <strong>die</strong> paar Kilometer zurück an unsere früheren<br />
Wohnorte fahren.“<br />
Stanimorovic, seine Ehefrau und seine beiden Kinder verließen<br />
das Kosovo genau wie schätzungsweise 230.000 Serben, Roma und<br />
Angehörige anderer Gruppen Ende 1999, als <strong>die</strong> alliierten Truppen<br />
in <strong>die</strong> Provinz einmarschierten und ihnen <strong>die</strong> zuvor geflohenen<br />
oder vertriebenen Albaner auf dem Fuß folgten. Es war eine dramatische<br />
Wende des Schicksals für <strong>die</strong> Menschen in dem Gebiet. Wie<br />
Stanimorovic es darstellt, wurden sie von den NATO-Truppen<br />
bewusst vertrieben.<br />
Seinen Angaben zufolge hatten „Terroristen“ ihn eine Woche<br />
lang mit verbundenen Augen gefangen gehalten und geschlagen,<br />
bevor er wieder freigelassen wurde. Schließlich gelangte er bis zu<br />
<strong>die</strong>sem ehemaligen Motel am Stadtrand von Bujanovac in Südserbien,<br />
das in eine Sammelunterkunft für 130 Menschen umgewandelt<br />
wurde. Seit zwei Jahren leben <strong>die</strong> Bewohner dort.<br />
Ein paar Traktoren und Fahrzeuge, <strong>die</strong> sie mit sich nehmen<br />
konnten, sind in der Nähe geparkt. Jede Familie erhielt ein Zimmer<br />
oder ein winziges Chalet auf dem Motelgelände. Es gibt fließendes<br />
<strong>Was</strong>ser und Strom. Verglichen mit der Situation anderer entwurzelter<br />
Menschen in der Region und in anderen Teilen der Welt<br />
geht es ihnen nicht schlecht.<br />
Aber es herrschen ein nagender Groll und zunehmende Frustration<br />
im Motel Bujanovac. Die Bewohner gefallen sich in der Opferrolle.<br />
Die Waffen schweigen, und politische Veränderungen<br />
haben <strong>die</strong> Region erfasst, aber <strong>die</strong> vertriebenen Serben scheinen<br />
nicht davon zu profitieren.<br />
„Es sollte nicht eine Regelung für <strong>die</strong> Albaner und Bosniaken<br />
und eine andere Regelung für <strong>die</strong> Serben geben“, sagt Stanimorovic,<br />
dem <strong>die</strong> Rolle des Sprechers der Menschen im Motel auf den Leib<br />
geschnitten ist. Ein junges Mädchen in der Gruppe, <strong>die</strong> sich um<br />
uns versammelt hat, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Niemand<br />
singt so gut wie <strong>die</strong> Serben, und wir feiern auch <strong>die</strong> besseren<br />
Partys.“ Aber hier herrscht keine Partystimmung. „Die NATO ist<br />
an allem schuld“, beharrt er. Diese und ähnliche Aussagen sind<br />
von den vertriebenen Serben in der ganzen Region zu hören. „Hätten<br />
sie nicht eingegriffen, würden wir immer noch friedlich zusammenleben.<br />
Wir haben nichts Unrechtes getan. Es sind immer <strong>die</strong><br />
kleinen Leute, <strong>die</strong> es am schlimmsten erwischt.“<br />
WER SAGT DIE WAHRHEIT?<br />
Stanimorovics Heimatdorf Novo Selo liegt weniger als eine<br />
Fahrtstunde von Bujanovac entfernt. Vor dem Konflikt war es ein<br />
ethnisch gemischtes Dorf. Er behauptet, alle Häuser von Serben<br />
wären bei deren Flucht von Albanern niedergebrannt und „<strong>die</strong><br />
18 FLÜCHTLINGE NR. 3/<strong>2001</strong>