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Heft 3/2001: "Der Balkan: Was bringt die Zukunft?" - unhcr

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| TITEL |<br />

UNHCR/R. CHALASANI/CS•YUG•<strong>2001</strong><br />

Ethnische Minderheit benötigen im Kosovo weiterhin Schutz – unabhängig davon,<br />

ob es sich um Albaner, Serben oder Roma handelt. Britische Soldaten und ein<br />

UNHCR-Mitarbeiter sprechen mit einem serbischen Bauern über <strong>die</strong> Sicherheitslage.<br />

à Eine Zivilverwaltung der Vereinten Nationen<br />

namens UNMIK soll <strong>die</strong> instabile Provinz<br />

mit Unterstützung der KFOR-Truppen<br />

in <strong>die</strong> <strong>Zukunft</strong> führen, doch ist <strong>die</strong>se<br />

ungewiss. „Im Kosovo gibt es kein Minderheitenproblem“,<br />

sagt ein hochrangiger Mitarbeiter<br />

einer Hilfsorganisation. „Hier ist<br />

<strong>die</strong> Mehrheit das Problem“, fügt er hinzu<br />

und spielt damit auf <strong>die</strong> Haltung der Albaner<br />

gegenüber den Serben an.<br />

Hinter <strong>die</strong>ser pauschalen und vereinfachenden<br />

Feststellung stecken Tausende individueller<br />

Geschichten: von Serben, <strong>die</strong><br />

trotz der Feindseligkeit um sie herum geblieben<br />

sind, von den wenigen, <strong>die</strong> zurückgekehrt<br />

sind, von Albanern in der umgekehrten<br />

Situation, in Enklaven in Gebieten mit<br />

serbischer Mehrheit und von der überraschenden<br />

Ankunft von mehr als 80.000<br />

Flüchtlingen aus der Ehemaligen Jugoslawischen<br />

Republik Mazedonien (siehe Seite 11).<br />

Slivovo, ein Bezirk mit acht Dörfern, erinnert<br />

in seiner landschaftlichen Schönheit<br />

an kitschige Postkarten aus der Schweiz. Als<br />

hier 1999 vier Brüder von Angehörigen<br />

einer albanischen Bürgerwehr an einem<br />

Baum erhängt wurden, verließen <strong>die</strong> meisten<br />

serbischen Einwohner das Gebiet. Miro<br />

Pavic wollte sein Gemüse, seinen Weizen,<br />

seinen Mais, seine Obstbäume und sein Vieh<br />

nicht aufgeben und beschloss, zu bleiben.<br />

Schwedische Soldaten haben einen Kommandoposten<br />

am Fuß des Hügels errichtet,<br />

auf dem Pavics Bauernhof steht, und halten<br />

Wache auf den nahe gelegenen Berggipfeln.<br />

UNHCR hat eine Buslinie eingerichtet,<br />

mit der <strong>die</strong> wenigen Serben in<br />

dem Bezirk durch albanisch dominiertes<br />

Gebiet in <strong>die</strong> „Außenwelt“ gelangen können.<br />

Die Lage ist heikel. Dennoch gilt Slivovo<br />

als eines von knapp mehr als zehn Gebieten<br />

im Kosovo, <strong>die</strong> angeblich sicher genug sind,<br />

um frühere serbische Bewohner zur Rückkehr<br />

aufzufordern. Miro Pavic führt eine<br />

Liste aller geflohenen serbischen Familien<br />

und spricht sich nachdrücklich für ihre<br />

Rückkehr aus. „15 Familien sind zurückgekommen“,<br />

sagt er. Dieser Anfang ist ermutigend.<br />

Dennoch bezweifeln auch Mitarbeiter<br />

von Flüchtlingsorganisationen, dass<br />

<strong>die</strong> meisten der 230.000 Serben und Angehörigen<br />

anderer Minderheiten, <strong>die</strong> hier einmal<br />

lebten, in absehbarer Zeit zurückkehren<br />

werden.<br />

Die britische Regierung hat 15 Gewächshäuser<br />

gespendet, um einen weiteren Anreiz<br />

zur Rückkehr zu geben und zur Sicherung<br />

des Lebensunterhalts der Serben<br />

beizutragen. Pavic beklagte jedoch, <strong>die</strong> Enklave<br />

sei zu „einem vergoldeten Käfig“<br />

geworden. „Wir sitzen immer noch inmitten<br />

unseres Gemüses gefangen. Die Sicherheitslage<br />

hat sich im letzten Jahr verbessert,<br />

aber <strong>die</strong> Präsenz der schwedischen Soldaten<br />

ist weiterhin absolut unverzichtbar“, sagt<br />

er. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir<br />

ohne sie hier leben könnten.“<br />

KRISENHERD<br />

Das Gleiche gilt für Slobodanka Nojic,<br />

<strong>die</strong> Ehefrau eines Priesters an der orthodoxen<br />

Bischofskirche von Mitrovica. Die<br />

zweitgrößte Stadt im Kosovo ist de facto <strong>die</strong><br />

Frontlinie bei den Auseinandersetzungen<br />

zwischen den Albanern in den südlichen<br />

Stadtteilen und den Serben im Norden. Fanatismus<br />

und Hass werden nicht selten offen<br />

zur Schau gestellt. Eine Mitarbeiterin<br />

einer Hilfsorganisation fürchtet sich sogar,<br />

wenn es in der Stadt ruhig ist. „Ich habe<br />

ständig Angst, dass etwas passieren wird.<br />

Hier ist es zu ruhig. Die Stimmung ist unheimlich.“<br />

Die Bischofskirche liegt im Süden der<br />

Stadt inmitten der albanischen Viertel.<br />

Griechische Soldaten haben sie mit Stacheldraht,<br />

Sandsäcken und bewaffneten Mannschaftstransportfahrzeugen<br />

umgeben. Die<br />

Kirche ist offiziell geöffnet, aber nur wenige<br />

Menschen nehmen an den Gottes<strong>die</strong>nsten<br />

teil. Die Priester werden von Soldaten begleitet,<br />

wenn sie das Gelände verlassen.<br />

Slobodanka Nojic traut sich das nicht mehr.<br />

„Ich habe zu viel Angst“, sagt sie. „Wenn wir<br />

versuchen würden, das Gelände ohne Eskorte<br />

zu verlassen, würden wir entführt<br />

oder getötet. Wir würden mit Sicherheit nie<br />

mehr in <strong>die</strong>ses Haus zurückkehren.“<br />

Halit und Zadi Maxhuni stecken unter<br />

umgekehrten Vorzeichen in einer ähnlichen<br />

Situation. Sie leben als Albaner im<br />

serbisch dominierten Norden der Stadt.<br />

Halit Maxhuni ist beinahe blind. Auf dem<br />

Höhepunkt des Konflikts verbrachten sie<br />

ein ganzes Jahr in ihrer abgedunkelten Wohnung<br />

mit Decken vor den Fenstern. Abgesehen<br />

von zwei ihnen wohlgesinnten serbischen<br />

Nachbarn, <strong>die</strong> ab und zu für sie<br />

einkauften, war ein kleines Radio ihr einziger<br />

Kontakt zur Außenwelt.<br />

Als Halit Maxhuni sich jüngst endlich<br />

auf <strong>die</strong> Straße traute, um zum Friseur zu<br />

gehen, standen in der Nachbarschaft alle<br />

Serben auf ihren Balkons und beobachteten<br />

AUF DEM HÖHEPUNKT DES KONFLIKTS VERBRACHTEN SIE EIN GANZES JAHR<br />

IN IHRER ABGEDUNKELTEN WOHNUNG, MIT DECKEN VOR DEN FENSTERN.<br />

EIN KLEINES RADIO WAR IHR EINZIGER KONTAKT ZUR AUßENWELT.<br />

24 FLÜCHTLINGE NR. 3/<strong>2001</strong>

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