nä-Serie Tumorschmerztherapie - Hannoversche Ärzte-Verlags-Union
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Klinik und Praxis<br />
Therapie von Tumorschmerzen jedoch<br />
ebensowenig gerecht, wie bei „benignen“<br />
chronischen Schmerzen. Dieser Aspekt bildet<br />
in vielen Fällen die Grundlage für die<br />
Beobachtung, daß Tumorpatienten mitunter<br />
trotz steigender Dosen analgetisch<br />
hochwirksamer Medikamente über immer<br />
stärkere Schmerzen klagen. Bei der Mehrzahl<br />
der Tumorschmerzpatienten lassen<br />
sich zwar organisch begründete Schmerzursachen<br />
feststellen; jedoch werden in den<br />
meisten Fällen somatische Schmerzzustände<br />
durch psychologische Faktoren verstärkt<br />
bzw. unterhalten. Dieser Umstand ist bei<br />
der Behandlung von Patienten mit Tumorschmerzen<br />
unbedingt zu beachten.<br />
4<br />
Psychosoziale Schmerzkomponente:<br />
- Ausbleibende Schmerzlinderung trotz<br />
adäquater medikamentöser Therapie<br />
kann ein Hinweis auf schmerzverstärkende<br />
resp. schmerzunterhaltende Einflüsse<br />
spiritueller Faktoren bzw. ungelöster<br />
psychosozialer Probleme sein.<br />
Akuität<br />
Akute Schmerzen haben im allgemeinen einen<br />
exakt definierten Beginn sowie eine<br />
nachvollziehbare und meist auch für den Patienten<br />
erkennbare Ursache. Solche Schmerzen<br />
treten bei Tumorpatienten oftmals im<br />
Zusammenhang mit therapeutischen Interventionen<br />
auf. Sie stellen zumeist kein therapeutisches<br />
Problem dar und zeigen, wie<br />
Schmerzzustände im Rahmen anderer,<br />
nicht-maligner Erkrankungen, zumeist einen<br />
selbstlimitierenden Verlauf.<br />
Entsprechend der Entwicklung von Tumoren<br />
mit stetiger Zellvermehrung und Volumenvergrößerung<br />
handelt es sich bei<br />
tumorbedingten Schmerzen meist um<br />
chronische Schmerzen mit allmählichem<br />
Beginn und konsekutiv zunehmender<br />
Schmerzintensität.<br />
Werden für derartige Schmerzzustände<br />
Opioide verordnet, wird seitens der behandelnden<br />
<strong>Ärzte</strong> bei unzureichendem analgetischem<br />
Effekt oftmals eine Toleranzentwicklung<br />
vermutet, wenn es trotz steigender<br />
Opioidapplikationen zu einer progredienten<br />
Schmerzzunahme kommt. Bei<br />
einzelnen Tumorpatienten, speziell bei sehr<br />
hohen Opioiddosierungen, mag eine solche<br />
Toleranzentwicklung auch durchaus<br />
vorstellbar sein. In der Mehrzahl der Fälle<br />
ist allerdings eher eine Progredienz des<br />
Tumorleidens für einen steigenden Bedarf<br />
an Opioiden verantwortlich, wie Collin et<br />
al. in einer prospektiven Untersuchung zeigen<br />
konnten [Collin et al. 1993].<br />
Weitere Kriterien zur Unterscheidung von<br />
akuten und chronischen Schmerzen finden<br />
sich in Tabelle 3.<br />
Zeitliche Charakteristik<br />
Die Einteilung nach der zeitlichen Charakteristik<br />
des Auftretens der Beschwerden<br />
stellt ein weiteres Kriterium zur Klassifizierung<br />
von Tumorschmerzen dar. Am häufigsten<br />
treten Schmerzen bei Tumorpatienten<br />
als Dauerschmerz auf. Therapeutisch<br />
folgt aus diesem Verlauf, daß die Pharmakotherapie<br />
kontinuierlich, also entsprechend<br />
der Wirkzeit der verordneten Medikamente<br />
erfolgen muß. Treten die Schmerzen<br />
allerdings zeitlich nicht vorhersehbar<br />
auf, reicht meist auch eine Bedarfsmedikation<br />
aus; diese Konstellation stellt bei<br />
Tumorschmerzpatienten allerdings eher<br />
eine Ausnahme dar.<br />
Therapeutisch problematisch sind sogenannte<br />
Durchbruchschmerzen („breakthrough<br />
pain“), die auch bei Patienten<br />
unter permanenter Opioidtherapie aus<br />
einem stabilen Ruheschmerzniveau heraus<br />
als zeitlich begrenzte Exazerbation auftreten<br />
können. Dies geschieht entweder ohne<br />
erkennbaren Auslöser oder wird durch eine<br />
Aktion des Patienten hervorgerufen, wie<br />
z.B. durch Bewegung, Husten, Wasserlassen,<br />
Defäkation o.ä. im Sinne sogenann-<br />
Akuter Schmerz Chronischer Schmerz<br />
Algesiologie<br />
Selbstlimitierend Persistierend, zumeist Nachweis eines<br />
charakteristischen Schmerzverhaltens<br />
Einhergehend mit erhöhter Sympathi- Sympathikusaktivität meist nicht (mehr)<br />
kusaktivität erhöht<br />
Zeichen von vermehrtem Streß Stimmungsschwankungen, Depression<br />
und Angstzustände regelhaft vorhanden<br />
Zumeist im Zusammenhang mit diagno- Geht zumeist einher mit Entwicklung oder<br />
stischen und/oder therapeutischen In- Wiederauftreten der Krebserkrankung<br />
terventionen<br />
Abgrenzung zu vorbestehenden chronischen<br />
Schmerzzuständen nicht-maligner<br />
Genese empfehlenswert<br />
Tab. 3: Kriterien zur Unterscheidung von akuten und chronischen Schmerzen bei Tumorpatienten<br />
n i e d e r s ä c h s i s c h e s<br />
ärzteblatt 7/99