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Leitlinien und ärztliche Entscheidungsspielräume - Frank Praetorius

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Tabelle 4. Prospektive Register <strong>und</strong> Randomisierte Studien.<br />

hat (Abb. 3). Wie generell in 94% der<br />

Werbeprospekte sind die Inhalte nicht<br />

durch valide wissenschaftliche Untersuchungen<br />

nachvollziehbar [19]. Eine<br />

Klärung erfolgt im engen Zeitmuster<br />

von Praxis <strong>und</strong> Klinik selten, obgleich<br />

nach Erfahrung des Autors die Rückfrage<br />

nach den Quellen manche Attacken<br />

unwirksam macht.<br />

Systematische Verzerrungen:<br />

Publication bias; Missbrauch<br />

von EbM in der Werbung<br />

Bei der Entwicklung, Implementierung<br />

<strong>und</strong> Anwendung von evidenzbasierten<br />

<strong>Leitlinien</strong> können Verzerrungen auftauchen,<br />

die den positiven Intentionen der<br />

EbM zuwiderlaufen. Dazu gehören Verzerrungen<br />

durch industrielle Interessen:<br />

Positive Studien werden rascher geplant,<br />

schneller <strong>und</strong> leichter publiziert<br />

<strong>und</strong> die <strong>Leitlinien</strong> in kürzerer Zeit verfasst<br />

<strong>und</strong> verteilt. Für ein Pharmakon<br />

negative Studienergebnisse werden<br />

eher nicht publiziert. Der entstehende<br />

Publication bias führt bei der Nutzen-<br />

Risiko-Abwägung neben einer Überschätzung<br />

der Wirksamkeit zur gefährlichen<br />

Unterschätzung von Risiken durch<br />

Pharmaka (vgl. den bekanntesten Fall:<br />

CAST).<br />

Ein effektives Gegenmittel ist die Verpflichtung<br />

zur Registrierung vor Studienbeginn.<br />

Die deutschen Ethikkommissionen<br />

fordern ein öffentlich zugängliches<br />

Register, wie es in mehreren<br />

Ländern gesetzlich geregelt sei, mit Anschluss<br />

an das weltweite CCT-meta-Register.<br />

Ohne Registrierung bestehe die<br />

Gefahr unethischen Handelns, da<br />

schlechte Forschung am Menschen unethisch<br />

ist [17]. Gegen die selektive Berichterstattung<br />

haben im September<br />

2004 die Herausgeber von zwölf namhaften<br />

internationalen Journalen den<br />

Nachweis der Vorab-Registrierung zur<br />

Voraussetzung der Veröffentlichung<br />

von Studien gemacht [18] (bisher ohne<br />

deutsche Beteiligung). Eine weitere Lösung<br />

wäre der Vorschlag von Kay Brune:<br />

eine unabhängige Struktur der Ärzteschaft<br />

(z. B. bei der Arzneimittelkommission),<br />

die eigene industrieunabhängige<br />

Studien in Auftrag geben kann [7].<br />

Eine Verzerrung entsteht ebenfalls<br />

durch den Missbrauch von EBM in der<br />

Werbung: Wenn etwa ein Medikament<br />

ohne überprüfbares Literaturzitat als<br />

„Standardtherapie“, „unumstritten &<br />

erstattungsfähig“ dekoriert wird – nur<br />

weil vor etwa 6 Jahren jemand in einer<br />

nicht-wissenschaftlichen Ärztezeitung<br />

von „sicheren Studien“ geschrieben<br />

Abb. 4. Register der<br />

ALKK:Akute Koronarsyndrome.<br />

Versorgungsforschung:<br />

Kontrolle der Über-<br />

Regulierung<br />

Prospektive kontrollierte<br />

Register (PCR)<br />

Eine gewissermaßen „sture“ Anwendung<br />

von <strong>Leitlinien</strong> findet ihre Grenze<br />

in der Anwendung auf Patienten, deren<br />

Merkmale sie aus den gr<strong>und</strong>legenden<br />

Studien ausgeschlossen hätten (Tab. 4).<br />

Diese Problematik an der Realität zu<br />

prüfen, ist eine der Aufgaben der PCR.<br />

In der BRD haben die Register der Arbeitsgemeinschaft<br />

der Leitenden Kardiologischen<br />

Krankenhausärzte (ALKK)<br />

auf diesem Sektor Maßstäbe gesetzt.<br />

Das Beispiel der Abb. 4 zeigt die Bedeutung<br />

für die EbM: Durch die kontrollierte<br />

Beobachtung gewonnene Erkenntnisse<br />

können „geltende“ RCT’s <strong>und</strong><br />

<strong>Leitlinien</strong> entkräften <strong>und</strong> völlig neue<br />

Studien notwendig machen. Denn<br />

RCT’s gelten nur solange, bis in der wissenschaftlichen<br />

Realität ihre Gr<strong>und</strong>lagen<br />

nicht mehr zutreffen.<br />

Ein einzelner Laborfaktor – in Abb. 4<br />

die Verwendung der Troponine bei der<br />

Diagnostik der akuten koronaren Syndrome<br />

<strong>und</strong> des Myokardinfarktes –<br />

kann die Definition des Krankheitsbildes<br />

dramatisch verändern <strong>und</strong> damit<br />

die bisherigen Studienkollektive entwerten.<br />

Bisher war man bei gleichartigen<br />

Beschwerden davon ausgegangen,<br />

dass ein Drittel der Patienten eine instabile<br />

Angina Pectoris (IAP, ohne EKGoder<br />

Enzymveränderungen) <strong>und</strong> fast<br />

die Hälfte einen „klassischen“ akuten<br />

Myokardinfarkt (AMI) mit beiden Symptomen<br />

haben. Ein kleinerer Sektor (in<br />

Abb. 4 „alt“) betraf Herzinfarkte zwar<br />

mit Enzymerhöhung aber ohne ST-Veränderung<br />

im EGK (Non-ST = NST-AMI).<br />

Durch die Troponinbestimmung erhöht<br />

20 ZaeFQ<br />

Z. ärztl. Fortbild. Qual. Ges<strong>und</strong>h.wes. (2005) 99; 15–23<br />

http://www.elsevier.de/zaefq

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