Reichtum und Bedeutung des Rituals in der Ostkirche - Kath.de
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Michael Schnei<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Reichtum</strong> <strong>und</strong> <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Rituals</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Ostkirche</strong><br />
(Vortrag <strong>in</strong> St. August<strong>in</strong> am 16.1.2009)<br />
Das vorgenommene Thema unserer Überlegungen ist nicht ohne Brisanz. Haben wir doch<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten e<strong>in</strong>e Liturgiereform durchgemacht, die ihresgleichen <strong>in</strong> so kur-<br />
zer Zeit kaum noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> christlichen Gottesdienstes gehabt hat.<br />
Inzwischen unterschei<strong>de</strong>n wir im römischen Ritus e<strong>in</strong>e »gewöhnliche« <strong>und</strong> »außerge-<br />
wöhnliche Form«, wodurch <strong><strong>de</strong>r</strong> alte überkommene Ritus <strong><strong>de</strong>r</strong> römischen Kirche wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
e<strong>in</strong>en alltäglichen Sitz im Leben <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche erhalten hat. Doch bleibt nach <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Li-<br />
turgiereform bei nicht wenigen <strong><strong>de</strong>r</strong> E<strong>in</strong>druck zurück, daß Ritus wie auch Ritual eher »zeit-<br />
bed<strong>in</strong>gt« <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>halb je neu zu reformieren seien. Gibt es also neben <strong>de</strong>m Axiom »ec-<br />
clesia semper reformanda« nun auch das von <strong><strong>de</strong>r</strong> »liturgia semper reformanda«?<br />
Am En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Konzils<strong>de</strong>batten um die Liturgieerneuerung griff Papst Johannes XXIII. mit<br />
<strong>de</strong>n markanten Worten e<strong>in</strong>: »Es darf nicht wie beim Seesturm se<strong>in</strong>, wo <strong><strong>de</strong>r</strong> Kapitän auf-<br />
for<strong><strong>de</strong>r</strong>te, alles Überflüssige über Bord zu werfen, <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Bauer se<strong>in</strong>e Frau <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Pfar-<br />
rer se<strong>in</strong> Brevier <strong>in</strong>s Meer warf.« Was Papst Johannes XXIII. hier kurz anspricht, blieb die<br />
je neue Anfrage <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Jahrzehnte: Was ist an <strong><strong>de</strong>r</strong> jetzigen Form <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie <strong>und</strong> ih-<br />
ren Riten bzw. Ritualen letztlich überflüssig bzw. nur noch lästig, so daß sich die Kirche<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong>sen endlich entledigen muß?<br />
I. LITURGIE ALS GEFEIERTES DOGMA<br />
Für die Kirche <strong><strong>de</strong>s</strong> Ostens ist mit solchen Fragen e<strong>in</strong> Lebensnerv berührt. In E<strong>in</strong>heit mit<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> frühen Kirche sieht die orthodoxe Kirche die e<strong>in</strong>zigartige <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie dar-<br />
<strong>in</strong>, daß sie zu jener mündlichen Überlieferung <strong><strong>de</strong>r</strong> Offenbarung gehört, die im kirchlichen<br />
Leben <strong>und</strong> Brauchtum zu bewahren ist <strong>und</strong> auf diese Weise weitergegeben wer<strong>de</strong>n muß.<br />
Dazu heißt es bei Basilius von Caesarea <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk »Vom Heiligen Geist«: »Wer hat<br />
uns schriftlich gelehrt, daß die auf <strong>de</strong>n Namen unseres Herrn Jesus Christus Hoffen<strong>de</strong>n<br />
sich mit <strong>de</strong>m Zeichen <strong><strong>de</strong>s</strong> Kreuzes bezeichnen? Welcher Buchstabe hat uns angewiesen,<br />
uns beim Gebet nach Osten zu richten? Die Worte <strong><strong>de</strong>r</strong> Epiklese beim Weihen <strong><strong>de</strong>s</strong> eu-<br />
charistischen Brotes <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Kelches <strong><strong>de</strong>r</strong> Segnung - wer von <strong>de</strong>n Heiligen hat sie uns<br />
schriftlich h<strong>in</strong>terlassen? Wir begnügen uns ja nicht mit <strong>de</strong>m, was <strong><strong>de</strong>r</strong> Apostel o<strong><strong>de</strong>r</strong> das<br />
Evangelium anführen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n sprechen vorher <strong>und</strong> nachher noch an<strong><strong>de</strong>r</strong>es aus <strong><strong>de</strong>r</strong> unge-<br />
schriebenen Lehre, was von großer <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> für das Mysterium ist. Wir segnen auch<br />
das Wasser <strong><strong>de</strong>r</strong> Taufe <strong>und</strong> das Öl <strong><strong>de</strong>r</strong> Salbung <strong>und</strong> außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>n Täufl<strong>in</strong>g selbst. Auf<br />
welche schriftlichen Zeugnisse stützen wir uns da? Lassen wir uns dabei nicht von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
1
1<br />
verschwiegenen <strong>und</strong> geheimnisvollen Überlieferung leiten?« Nach Basilius geht es <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie nicht bloß um e<strong>in</strong>e Frage <strong><strong>de</strong>s</strong> Ritus <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zelebrationsweise. Vielmehr<br />
gilt: Liturgie ist gefeiertes Dogma.<br />
Die Offenbarung wie auch ihre Annahme im Glauben <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Tradition<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche gehören zusammen. Basilius bezeichnet die ungeschriebene Tradition als<br />
»Dogma«; die geschriebene h<strong>in</strong>gegen, welche er als »Kerygma« <strong>de</strong>f<strong>in</strong>iert, ist <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Heili-<br />
gen Schrift <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Werken <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirchenväter überliefert. Dem Dogma kommt es zu,<br />
das Kerygma auszulegen <strong>und</strong> zu vertiefen, nicht mit Worten <strong>und</strong> Begriffen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n im<br />
Vollzug <strong><strong>de</strong>r</strong> Sakramente wie auch im Leben <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche <strong>und</strong> im Alltag <strong><strong>de</strong>s</strong> Christen. 2<br />
Bei<strong>de</strong>, Kerygma <strong>und</strong> Dogma, bil<strong>de</strong>n die apostolische Tradition. Dar<strong>in</strong> wird <strong>de</strong>utlich, daß<br />
es nach Basilius <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie nicht bloß um austauschbare Ritualien geht.<br />
Liturgie als gefeiertes Dogma gehört zur unaufgebbaren Überlieferung <strong><strong>de</strong>s</strong> christlichen<br />
Glaubens.<br />
Die Glaubensregel blieb lange nicht aufgeschrieben, sie war mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger mit <strong>de</strong>m<br />
konkreten Leben <strong><strong>de</strong>r</strong> glauben<strong>de</strong>n Kirche i<strong>de</strong>ntisch. Seit die Autorität <strong><strong>de</strong>r</strong> sprechen<strong>de</strong>n Kir-<br />
che wie auch <strong><strong>de</strong>r</strong> apostolischen Nachfolge jedoch <strong>in</strong> die Heilige Schrift e<strong>in</strong>geschrieben<br />
ist, kann sie von ihr nicht mehr getrennt wer<strong>de</strong>n. Aber die Offenbarung <strong>und</strong> die »viva<br />
vox« <strong><strong>de</strong>r</strong> apostolischen Nachfolge liegen <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen Schrift voraus <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d mit ihr<br />
nicht i<strong>de</strong>ntisch. Denn die Offenbarung ist größer <strong>und</strong> umfassen<strong><strong>de</strong>r</strong> als das <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen<br />
Schrift Enthaltene: sie selbst ist Zeugnis von Offenbarung, aber nicht die Offenbarung<br />
selbst. Das evangelische Pr<strong>in</strong>zip »Sola scriptura« erweist sich <strong>in</strong>sofern als unzureichend,<br />
als es die Kirche mit ihrer Überlieferung <strong>und</strong> Liturgie <strong>in</strong> ihrer konstitutiven <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> für<br />
das Leben aus <strong>de</strong>m Glauben außer acht läßt.<br />
Der unmittelbare Zusammenhang von Offenbarung, Schrift <strong>und</strong> Kirche wird auf <strong>de</strong>m II.<br />
Vatikanum immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> betont. Offenbarung me<strong>in</strong>t das gesamte Sprechen <strong>und</strong> Tun<br />
Gottes an <strong>de</strong>n Menschen, also jene Wirklichkeit, von <strong><strong>de</strong>r</strong> die Heilige Schrift Zeugnis<br />
ablegt, welche aber die Heilige Schrift nicht alle<strong>in</strong> ist. In DV 9 heißt es: »So ergibt sich,<br />
daß die Kirche ihre Gewißheit über alles Geoffenbarte nicht aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen Schrift alle<strong>in</strong><br />
schöpft.« Überlieferung, Heilige Schrift <strong>und</strong> Lehramt <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche s<strong>in</strong>d <strong><strong>de</strong>r</strong>art »unmittelbar<br />
mite<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> verknüpft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> zugesellt, daß ke<strong>in</strong>es ohne die an<strong><strong>de</strong>r</strong>en besteht <strong>und</strong><br />
daß alle zusammen, je<strong><strong>de</strong>s</strong> auf se<strong>in</strong>e Art, durch das Tun <strong><strong>de</strong>s</strong> e<strong>in</strong>en Heiligen Geistes<br />
wirksam <strong>de</strong>m Heil <strong><strong>de</strong>r</strong> Seelen dienen« (DV 10). Die Kirche ist eben ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> gesetzliche<br />
Institution, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n e<strong>in</strong>e lebendige Überlieferung, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> das Christusgeheimnisses im Le-<br />
ben <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche gegenwärtig bleibt, nicht zuletzt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>zelnen liturgischen Riten <strong>und</strong><br />
Ritualen.<br />
1<br />
2<br />
Zit. nach Basilius von Cäsarea, Über <strong>de</strong>n Heiligen Geist. E<strong>in</strong>gel. <strong>und</strong> übers. von Manfred Blum, Freiburg 1967, 98f.<br />
Das Kerygma wird verkün<strong>de</strong>t, das Dogma bleibt »verschwiegen«, wie Basilius sagt, <strong>de</strong>nn nur im Schweigen läßt<br />
sich die Wür<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Geheimnisse bewahren <strong>und</strong> vor aller Gewohnheit <strong>und</strong> Gewöhnlichkeit schützen.<br />
2
Zunächst e<strong>in</strong> Wort zu <strong>de</strong>m, was die <strong>Ostkirche</strong> unter e<strong>in</strong>em Ritus versteht. Als e<strong>in</strong>en<br />
»Ritus« bezeichnen wir »die Gesamtheit <strong><strong>de</strong>r</strong> gottesdienstlichen Gebräuche e<strong>in</strong>er be-<br />
stimmten Kirche; es me<strong>in</strong>t dabei nicht nur <strong>de</strong>n Zeremonienapparat, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die ganze<br />
Lebensordnung <strong>und</strong> Verfassung e<strong>in</strong>er christlichen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> <strong>in</strong> ihrer Eigenart, die ja<br />
3<br />
gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n gottesdienstlichen Bräuchen zutage tritt« . Bei e<strong>in</strong>em Ritus geht es nicht<br />
um Theorien <strong>und</strong> Gedankengeflechte über Gott, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um die rechte Weise <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Anbetung: »‘Ritus’ ist für <strong>de</strong>n Christen e<strong>in</strong>e konkrete, Zeiten <strong>und</strong> Räume übergreifen<strong>de</strong><br />
geme<strong>in</strong>schaftliche Gestaltung <strong><strong>de</strong>s</strong> durch <strong>de</strong>n Glauben geschenkten Gr<strong>und</strong>typus von<br />
Anbetung, die ihrerseits [...] immer die ganze Praxis <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens e<strong>in</strong>bezieht. Ritus hat<br />
also se<strong>in</strong>en primären Ort <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie, aber nicht nur <strong>in</strong> ihr. Er drückt sich auch aus <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er bestimmten Weise, Theologie zu treiben, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Form <strong><strong>de</strong>s</strong> geistlichen Lebens <strong>und</strong><br />
4<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>n rechtlichen Ordnungsformen <strong><strong>de</strong>s</strong> kirchlichen Lebens.« Der Ritus ist nicht etwas,<br />
über das die Kirche - <strong>in</strong> freier Anpassung - verfügt, erhebt doch die Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie,<br />
weil sie das unverwechselbare Mysterium <strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens feiert, <strong>de</strong>n Anspruch auf e<strong>in</strong>e<br />
gewisse Verb<strong>in</strong>dlichkeit.<br />
Für die Kirche <strong><strong>de</strong>s</strong> Ostens folgt aus e<strong>in</strong>er solchen Auffassung, daß die liturgische Über-<br />
lieferung, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ritus kristallisiert, »heilig« ist <strong>und</strong> als solche ke<strong>in</strong>er vor-<br />
schnellen »Reform« bedarf. Vielmehr gilt: Das Dogma, das e<strong>in</strong>e geoffenbarte Wahrheit<br />
ausdrückt, die wie e<strong>in</strong> unerforschliches Mysterium ersche<strong>in</strong>t, muß sich je<strong><strong>de</strong>r</strong> im Glauben<br />
durch e<strong>in</strong>en seelischen Prozeß, nicht zuletzt gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitfeier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie, so<br />
aneignen, daß er das Mysterium nicht se<strong>in</strong>er Erkenntnisweise anpaßt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n selbst ei-<br />
ne tiefgreifen<strong>de</strong> Umgestaltung, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Umwandlung se<strong>in</strong>es Geistes erfährt, um<br />
schließlich zu <strong><strong>de</strong>r</strong> mystischen Erfahrung <strong><strong>de</strong>s</strong>sen fähig zu wer<strong>de</strong>n, was das Dogma<br />
ausdrückt.<br />
Die Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie nimmt <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche <strong><strong>de</strong>s</strong> Ostens e<strong>in</strong>e zentrale Stellung e<strong>in</strong>. Alles im<br />
5<br />
Leben <strong><strong>de</strong>s</strong> orthodoxen Glaubens hat se<strong>in</strong>en Ursprung <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie. In <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Ostkirche</strong><br />
gibt es zwar ke<strong>in</strong>e oberste Autorität zur e<strong>in</strong>heitlichen Ordnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie, doch gilt es<br />
»<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> orthodoxen Kirche als gesicherte Tatsache, daß e<strong>in</strong>e Norm, die von allen ortho-<br />
doxen Kirchen rezipiert ist, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>mnach das Pleroma <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche das Siegel se<strong>in</strong>er Zu-<br />
stimmung aufgedrückt hat, volle Verb<strong>in</strong>dlichkeit besitzt. E<strong>in</strong>e solche Zustimmung gibt es<br />
für die bestehen<strong>de</strong> Gottesdienstordnung seit urvor<strong>de</strong>nklicher Zeit. E<strong>in</strong>e solche Zu-<br />
stimmung gibt es auch für die Überzeugung, daß ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne orthodoxe Kirche die<br />
Gottesdienstordnung än<strong><strong>de</strong>r</strong>n darf, weil sie sonst die E<strong>in</strong>heit aller orthodoxen Kirchen <strong>in</strong><br />
6<br />
Gefahr brächte« .<br />
Die liturgischen Traditionen entfalten sich nicht »von oben«, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n s<strong>in</strong>d gewachsene<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
A. Adam <strong>und</strong> R. Berger, Pastoralliturgisches Handlexikon. Freiburg-Basel-Wien 1980, 456.<br />
J. Ratz<strong>in</strong>ger, Der Geist <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Freiburg 2000, 138.<br />
Im folgen<strong>de</strong>n ist speziell von <strong><strong>de</strong>r</strong> sogenannten »byzant<strong>in</strong>ischen« Liturgietradtion <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Ostkirche</strong> die Re<strong>de</strong>.<br />
E.C. Suttner, Gottesdienst <strong>und</strong> Recht <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> orthodoxen Kirche, <strong>in</strong>: LJ 33 (1983) 30-42, hier 34.<br />
3
Größen: »Gewisse Zentren religiösen Lebens, Klöster o<strong><strong>de</strong>r</strong> Bischöfe, ordneten die Litur-<br />
gie, welche <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Maße Verb<strong>in</strong>dlichkeit erlangte, als diese Ordnung übernommen <strong>und</strong><br />
beobachtet wur<strong>de</strong>. Von enormem E<strong>in</strong>fluß waren das Wallfahrtszentrum <strong><strong>de</strong>r</strong> Christenheit<br />
schlechth<strong>in</strong> <strong>und</strong> das dortige Kloster <strong><strong>de</strong>s</strong> heiligen Sabas; <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Reichshauptstadt war es<br />
das Studiou-Kloster, <strong><strong>de</strong>s</strong>sen Abt Theodoros Studites berühmt wur<strong>de</strong> als Verteidiger <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>verehrung, aber auch als Zusammensteller liturgischer Bücher. ‘Von oben’ <strong>in</strong>itiierte<br />
Liturgiereformen konnten sich dagegen nie recht durchsetzen« . 7<br />
Das <strong>de</strong>m Osten eigene Verständnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Theologie, welches mit <strong>de</strong>m dargelegten <strong><strong>de</strong>s</strong> hei-<br />
ligen Basilius übere<strong>in</strong>stimmt, f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich schließlich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> orthodoxen Auffassung von<br />
»Dogmatik« <strong>und</strong> dogmatischen Formulierungen wie<strong><strong>de</strong>r</strong>. Im Leben <strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens braucht<br />
es e<strong>in</strong>e an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Sprache als die <strong><strong>de</strong>r</strong> Begriffe <strong>und</strong> Sachmitteilungen. Nach Yannaras kann<br />
selbst die Schönheit <strong><strong>de</strong>r</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Ikone von dogmatischem Rang se<strong>in</strong> <strong>und</strong> die<br />
zentralen Glaubens<strong>in</strong>halte ausdrücken, <strong>in</strong>sofern sie Anteil gibt an <strong><strong>de</strong>r</strong> Erfahrung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Wahrheit im Glauben. Das verborgene mystische Leben im Glauben gibt das Thema <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Theologie an, welches sie annehmen <strong>und</strong> immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> be<strong>de</strong>nken muß. Insofern kann<br />
Dogmatik nie nur begrifflich <strong>und</strong> philosophisch se<strong>in</strong>, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n hat sich <strong>de</strong>m Dogma von<br />
Chalkedon <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> VI. Ökumenischen Konzils immer neu zu stellen, um <strong>de</strong>n Christen zu<br />
e<strong>in</strong>er Existenz gemäß <strong><strong>de</strong>s</strong> göttlichen Lebens zu eröffnen: Primum vivere, <strong>de</strong><strong>in</strong><strong>de</strong> theologi-<br />
cari. Insofern muß Liturgie, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em konkreten Ritus ausdrückt, als »Dogma«<br />
angesehen wer<strong>de</strong>n, als e<strong>in</strong> Stück gelebte <strong>und</strong> gefeierte Dogmatik.<br />
7<br />
II. DIE ÖSTLICHEN LITURGIEGEBIETE<br />
Im Bereich <strong><strong>de</strong>r</strong> sogenannten <strong>Ostkirche</strong> unterschie<strong>de</strong>n wir verschie<strong>de</strong>ne Riten, die sich<br />
kurz wie folgt vorstellen lassen:<br />
1. Alexandr<strong>in</strong>ischer Ritus <strong>in</strong> koptischer <strong>und</strong> äthiopischer Ausprägung (Ägypten <strong>und</strong> Äthi-<br />
opien).<br />
2. Antiochenischer o<strong><strong>de</strong>r</strong> Westsyrischer Ritus <strong>in</strong> jakobitischer, maronitischer <strong>und</strong> malan-<br />
karischer Form (Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>er Orient <strong>und</strong> Indien).<br />
3. Ostsyrischer Ritus <strong>in</strong> nestorianischer, chaldäischer <strong>und</strong> malabarischer Form (Irak <strong>und</strong><br />
Indien).<br />
4. Armenischer Ritus (vor allem Armenien, aber auch <strong>in</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Län<strong><strong>de</strong>r</strong>n wie Türkei <strong>und</strong><br />
Libanon).<br />
5. Der byzant<strong>in</strong>ische Ritus fand die weiteste Verbreitung <strong>und</strong> lebt heute noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
M. Kunzler, Archieratikon. E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> Geist <strong>und</strong> Gestalt <strong><strong>de</strong>r</strong> bischöflichen Liturgie im byzant<strong>in</strong>ischen Ritus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
griechisch-katholischen Kirche <strong><strong>de</strong>r</strong> Ukra<strong>in</strong>e, Pa<strong><strong>de</strong>r</strong>born 1998, 82; er fügt h<strong>in</strong>zu: »So hat <strong><strong>de</strong>r</strong> zelebrieren<strong>de</strong> Bischof<br />
sich zwar an die Anweisungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Archieratikon zu halten, ihm steht es aber schon frei, Anpassungen an die Situation<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> jeweils mitfeiern<strong>de</strong>n Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> dort vorzunehmen, wo die I<strong>de</strong>ntität <strong><strong>de</strong>s</strong> gottesdienstlichen Vollzuges<br />
nicht berührt wird« (ebd., 83).<br />
4
griechischen Ausprägung fort. Mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Missionierung <strong><strong>de</strong>r</strong> slawischen Völker (Bulgaren,<br />
Russen, Serben u.a.) im 9. bis 10. Jahrh<strong>und</strong>ert jedoch kamen weitere Völker h<strong>in</strong>zu, so<br />
es zu e<strong>in</strong>em Gottesdienst <strong><strong>de</strong>s</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Ritus auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er slawischen Ausprägung<br />
kommt. Heute stellt die byzant<strong>in</strong>ische Liturgie nur e<strong>in</strong> Segment <strong>in</strong> <strong>de</strong>m großen Gebil<strong>de</strong><br />
orthodoxer Liturgie <strong>und</strong> Riten dar.<br />
Um die byzant<strong>in</strong>ische Liturgie recht zu vollziehen, bedarf es nicht weniger als 27 um-<br />
fangreicher liturgischer Bücher. Die verschie<strong>de</strong>nen Litrgieformulare <strong><strong>de</strong>s</strong> byzant<strong>in</strong>ischen<br />
Ritus stimmen heute <strong>in</strong> Inhalt <strong>und</strong> Aufbau weitgehend übere<strong>in</strong> <strong>und</strong> unterschei<strong>de</strong>n sich<br />
zuweilen nur durch die priesterlichen Gebete vone<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong>. In <strong><strong>de</strong>r</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Liturgie<br />
s<strong>in</strong>d vier verschie<strong>de</strong>ne Liturgieformen <strong>in</strong> Gebrauch:<br />
8<br />
1) Die Liturgie <strong><strong>de</strong>s</strong> heiligen Basilius ist früher bezeugt <strong>und</strong> damit <strong>in</strong> ihrer theologischen<br />
Aussage ursprünglicher als jene Liturgie, die <strong>de</strong>m Kirchenvater Johannes Chrysostomus<br />
zugeschrieben wird. In <strong><strong>de</strong>r</strong> früh- <strong>und</strong> mittelbyzant<strong>in</strong>ischen Zeit war die Basilius-Liturgie<br />
die Hauptliturgie, sie wur<strong>de</strong> jedoch schließlich - nicht zuletzt aufgr<strong>und</strong> ihrer Länge -<br />
durch die Chrysostomus-Liturgie verdrängt. Die Basilius-Liturgie wird heute 10mal jähr-<br />
lich gefeiert (Vortage von Weihnachten <strong>und</strong> Theophanie, 1. Januar - Fest <strong><strong>de</strong>s</strong> Basilius,<br />
die fünf ersten Sonntage <strong><strong>de</strong>r</strong> großen Fastenzeit, <strong><strong>de</strong>r</strong> Große Donnerstag <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Große<br />
Samstag).<br />
2) Bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie <strong><strong>de</strong>s</strong> heiligen Johannes Chrysostomus han<strong>de</strong>lt es sich um e<strong>in</strong>e antio-<br />
chenische Liturgie. Johannes Chrysostomus war nämlich zuerst Erzbischof von Antio-<br />
chien, bevor er nach Konstant<strong>in</strong>opel kam, <strong>und</strong> hatte sich viel mit Liturgie beschäftigt. Als<br />
antiochenische Liturgie stammt die Chrysostomus-Liturgie letztlich aus Jerusalem <strong>und</strong><br />
von <strong>de</strong>n Aposteln. Viele Elemente dieser Liturgie f<strong>in</strong><strong>de</strong>n sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>en orientali-<br />
schen Riten, nämlich im syrischen, maronitischen <strong>und</strong> teilweise im koptischen Ritus, so<br />
daß sie wirklich die universale Liturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> Apostel ist <strong>und</strong> nicht nur die Liturgie <strong><strong>de</strong>s</strong> hei-<br />
ligen Johannes Chrysostomus. 9<br />
10<br />
Die Chrysostomus-Liturgie wur<strong>de</strong> bis <strong>in</strong>s 9. Jahrh<strong>und</strong>ert weiter entfaltet <strong>und</strong> blieb seit-<br />
her mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger so, wie sie heute noch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Kirche gefeiert<br />
11<br />
wird. Auch wenn sie später als byzant<strong>in</strong>ische Liturgie bezeichnet wird, hat sie eigent-<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
Vgl. zu <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Ausführungen M. Schnei<strong><strong>de</strong>r</strong>, Die Göttliche Liturgie. E<strong>in</strong>e theologische H<strong>in</strong>führung zur Litur-<br />
2<br />
gie unserer Väter unter <strong>de</strong>n Heiligen Basilius <strong>und</strong> Johannes Chrysostomus, Köln 2005; <strong><strong>de</strong>r</strong>s., Die göttliche Liturgie<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong> heiligen Apostels Jakobus <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrenbru<strong><strong>de</strong>r</strong>s <strong>und</strong> ersten Bischofs von Jerusalem. Kommentar <strong>und</strong> H<strong>in</strong>führung,<br />
Köln 2009; auch C. Serafimidis, Die Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Göttlichen Liturgie <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> orthodoxen Kirche. E<strong>in</strong>e geistliche Auslegung,<br />
Köln 2006.<br />
Vielleicht hat die Chrysostomus-Liturgie gera<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>halb e<strong>in</strong>e so große <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> erhalten, weil sie so eng mit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Liturgie Jerusalems verb<strong>und</strong>en ist.<br />
Ab <strong>de</strong>m 8. Jahrh<strong>und</strong>ert kam z.B. die Proskomidie h<strong>in</strong>zu.<br />
E<strong>in</strong>e differenzierte Darstellung dieser Entwicklung f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich bei K.C. Felmy, Vom urchristlichen Herrenmahl zur<br />
Göttlichen Liturgie (Oikonomia 39). Erlangen 2000.<br />
5
lich recht wenig mit Byzanz zu tun, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n mehr mit Jerusalem, Syrien, Paläst<strong>in</strong>a, An-<br />
tiochien <strong>und</strong> Alexandrien; als sie jedoch über Jerusalem <strong>und</strong> Antiochien nach Konstan-<br />
t<strong>in</strong>opel (= Byzanz) kam, wur<strong>de</strong> sie dort mit vielen Elementen angereichert <strong>und</strong> dadurch<br />
e<strong>in</strong> Ausdruck <strong><strong>de</strong>r</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Kultur. 12<br />
3. Die heilige <strong>und</strong> göttliche Liturgie unseres heiligen Vaters Jakobus, Apostels <strong>und</strong> Her-<br />
renbru<strong><strong>de</strong>r</strong>s, ersten Bischofs von Jerusalem. Sie fand von Paläst<strong>in</strong>a aus E<strong>in</strong>gang bei allen<br />
orthodoxen Kirchen, wird aber <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Kirche ab <strong>de</strong>m 6. Jahrh<strong>und</strong>ert von<br />
<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n genannten Formularen verdrängt <strong>und</strong> heute nur selten zelebriert, meist am<br />
Fest <strong><strong>de</strong>s</strong> Apostels Jakobus <strong>und</strong> am Sonntag vor Weihnachten. Diese Liturgieform wird<br />
<strong>de</strong>m heiligen Apostel <strong>und</strong> Herrenbru<strong><strong>de</strong>r</strong> Jakobus zugeschrieben, welcher <strong><strong>de</strong>r</strong> erste Bi-<br />
schof von Jerusalem war. Mit <strong>de</strong>m 12. Jahrh<strong>und</strong>ert muß Jerusalem se<strong>in</strong>e liturgische<br />
Eigenständigkeit aufgeben <strong>und</strong> geht <strong>in</strong> die byzant<strong>in</strong>ische Liturgiefamilie <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong>en Chry-<br />
sostomus-Liturgie auf; die Jakobus-Liturgie gerät endgültig <strong>in</strong> Vergessenheit. Neuerd<strong>in</strong>gs<br />
kommt <strong><strong>de</strong>r</strong> Jakobus-Liturgie <strong>in</strong> Jerusalem <strong>und</strong> Galiläa e<strong>in</strong>e neue <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> zu. Die Lima-<br />
Liturgie ist von ihr bee<strong>in</strong>flußt. 13<br />
4. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Fastenzeit wur<strong>de</strong> an Wochentagen üblicherweise ke<strong>in</strong>e Liturgie gefeiert. Die<br />
Möglichkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Kommunionempfangs gab es nur <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorgeweihten Gaben<br />
(Präsanktifikanten-Liturgie). Sie wird heute am Mittwoch <strong>und</strong> Freitag <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten 6 Fa-<br />
stenwochen gefeiert sowie am Donnerstag <strong><strong>de</strong>r</strong> vierten Fastenwoche <strong>und</strong> am Montag,<br />
Dienstag <strong>und</strong> Mittwoch <strong><strong>de</strong>r</strong> »Heiligen Woche«. Bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> vorgeweihten Gaben<br />
han<strong>de</strong>lt es sich um e<strong>in</strong>e Vesper mit Kommunionausteilung (<strong><strong>de</strong>r</strong> schon verwan<strong>de</strong>lten <strong>und</strong><br />
dann aufbewahrten eucharistischen Gaben). Die Liturgie, welche auch »Präsanktifika-<br />
tenmesse« genannt wird, wird Gregorios Dialogos (Papst Gregor <strong>de</strong>m Großen zuge-<br />
schrieben, aber auch Epiphanios von Cypern <strong>und</strong> Basilius <strong>de</strong>m Großen. Ihre Entstehung<br />
reicht <strong>in</strong> die nachapostolische Zeit zurück, also <strong>in</strong> die Zeit <strong><strong>de</strong>s</strong> 2. Jahrh<strong>und</strong>erts. In<br />
unseren folgen<strong>de</strong>n Überlegungen zum orthodoxen Ritus <strong>und</strong> Ritual beschränken wir uns<br />
auf die Liturgie <strong><strong>de</strong>s</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Ritus.<br />
12<br />
13<br />
III. BEISPIELE AUS DER GOTTESDIENSTLICHEN PRAXIS<br />
Unter e<strong>in</strong>em »Ritual« s<strong>in</strong>d <strong><strong>de</strong>r</strong> Text, die Anweisung wie auch die konkreten Vollzüge <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
e<strong>in</strong>zelnen Sakramente <strong>und</strong> Sakramentalien zu verstehen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen sich das typische Ver-<br />
Das Wort »byzant<strong>in</strong>isch« kommt später auf; erst im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert spricht man von »Byzanz«.<br />
So <strong><strong>de</strong>r</strong> Redaktor <strong><strong>de</strong>r</strong> Lima-Liturgie über die Epiklese: Max Thurian, <strong>in</strong>: Ökumenische Perspektiven von Taufe, Eucharistie<br />
<strong>und</strong> Amt. Hrsg. von M. Thurian, Frankfurt-Pa<strong><strong>de</strong>r</strong>born 1983, 217f.; auch H.-J. Schulz, <strong>in</strong>: Gottesdienst 18<br />
(1984) 1-4.<br />
6
ständnis e<strong>in</strong>es Ritus kristallisiert. Aus <strong><strong>de</strong>r</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Liturgie seien hierzu e<strong>in</strong>ige<br />
Beispiele vorangestellt.<br />
Der wichtigste Teil <strong><strong>de</strong>r</strong> Gabenbereitung (»Proskomidie«) am Anfang <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie ist die<br />
Zurichtung <strong><strong>de</strong>r</strong> für das eucharistische Opfer bestimmten Elemente, die Prothesis. Sie<br />
zeigt wie auf Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n das Mysterium Christi: daß er prophezeit wur<strong>de</strong> als Lamm, daß er<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Stall geboren wur<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Krippe lag. Auch die Schil<strong><strong>de</strong>r</strong>ung se<strong>in</strong>er Lei<strong>de</strong>n<br />
wird schon vorweggenommen.<br />
Dafür wer<strong>de</strong>n spezielle liturgische Gegenstän<strong>de</strong> verwen<strong>de</strong>t; gemäß <strong>de</strong>n Regeln <strong><strong>de</strong>r</strong> ortho-<br />
doxen Kirche wer<strong>de</strong>n sie ausschließlich für <strong>de</strong>n Gottesdienst verwen<strong>de</strong>t, <strong>und</strong> es ist nicht<br />
erlaubt, sie zu an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Zwecken zu benutzen. Die Gegenstän<strong>de</strong> können <strong>in</strong> zwei Katego-<br />
rien aufgeteilt wer<strong>de</strong>n:<br />
a) Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Gegenstän<strong>de</strong>, die für die Heilige Eucharistie benötigt wer<strong>de</strong>n:<br />
- Kommunionlöffel (Labida): Mit <strong>de</strong>m Löffel empfangen die Gläubigen die Heilige Kommu-<br />
nion. In früherer Zeit, als <strong>de</strong>n Gläubigen Leib <strong>und</strong> Blut Christi getrennt gereicht wur<strong>de</strong>n,<br />
verwen<strong>de</strong>te man tatsächlich e<strong>in</strong>e Zange (labis). Ihre <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> weist auf die Berufung<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong> Jesaja zu se<strong>in</strong>em prophetischen Amt, als e<strong>in</strong> von Gott gesandter Engel se<strong>in</strong>e Lippen<br />
mit e<strong>in</strong>er glühen<strong>de</strong>n Kohle berührte, die er »mit e<strong>in</strong>er Zange vom Altar genommen hatte«<br />
(Jes 6,6).<br />
- Eileton <strong>und</strong> Antimension: Es han<strong>de</strong>lt sich um rechteckige Tücher, die <strong><strong>de</strong>r</strong> Priester bei<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Eucharistiefeier auf <strong>de</strong>m Altar ausbreitet, bevor er nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Gabenprozession (Großer<br />
E<strong>in</strong>zug) die Gaben daraufstellt. Sie symbolisieren das Grab Christi bzw. das Leichentuch.<br />
Auf <strong>de</strong>m Antimension ist die Bestattung <strong>und</strong> Bewe<strong>in</strong>ung Christi dargestellt.<br />
- Velen: Dies s<strong>in</strong>d drei Tücher; zwei kle<strong>in</strong>e zum Be<strong>de</strong>cken <strong><strong>de</strong>r</strong> Gaben im Kelch <strong>und</strong> auf<br />
<strong>de</strong>m Diskos <strong>und</strong> e<strong>in</strong> etwas größeres, das Aer heißt <strong>und</strong> bei<strong><strong>de</strong>s</strong> be<strong>de</strong>ckt; es ist das Sym-<br />
bol <strong><strong>de</strong>s</strong> Himmels <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zustimmung Gottes zum Opfer se<strong>in</strong>es Sohnes.<br />
- Schwamm <strong>und</strong> Mousa: Mit <strong>de</strong>m Schwamm wer<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> heiligen Kelch gere<strong>in</strong>igt <strong>und</strong> die<br />
Brotteilchen zusammengeschoben. Mit e<strong>in</strong>em Schwamm gaben die Römer Christus am<br />
Kreuz Essig <strong>und</strong> Galle zu tr<strong>in</strong>ken.<br />
b) An<strong><strong>de</strong>r</strong>e Heilige Gegenstän<strong>de</strong>:<br />
- Weihrauchfaß: Es hat drei Ketten mit 12 Glöckchen. Die drei Ketten symbolisieren die<br />
heilige Dreiheit, die Glöckchen die Predigt <strong><strong>de</strong>r</strong> zwölf Apostel o<strong><strong>de</strong>r</strong> auch die himmlischen<br />
Heerscharen.<br />
- Öllampen (Kandili): Sie brennen vor <strong>de</strong>n Ikonen zu Ehren <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen. Das Öl er<strong>in</strong>nert<br />
an die Barmherzigkeit Gottes, das Licht an das Leben <strong><strong>de</strong>r</strong> Gläubigen, das erleuchtet se<strong>in</strong><br />
soll.<br />
c) Die Prosphora (Opferbrot), gesäuertes (als Zeichen <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens) Weizenbrot, br<strong>in</strong>gen<br />
die Gläubigen für die Eucharistiefeier mit. Sie ist r<strong>und</strong> <strong>und</strong> besteht als Symbol für die<br />
göttliche <strong>und</strong> menschliche Natur Christi aus zwei Teilen, die übere<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gesetzt s<strong>in</strong>d.<br />
7
In die Oberfläche ist e<strong>in</strong> Stempel e<strong>in</strong>gedrückt, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>sen Mitte sich e<strong>in</strong> Siegel bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t,<br />
das »Lamm« genannt wird. Die Inschrift lautet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Abkürzung »Jesus Christus<br />
siegt«. Weiterh<strong>in</strong> bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich e<strong>in</strong> Dreieck auf <strong>de</strong>m Stempel, das zum Ge<strong>de</strong>nken an die<br />
Gottesmutter verwen<strong>de</strong>t wird, sowie e<strong>in</strong> weiteres Quadrat, das neun kle<strong>in</strong>e Dreiecke<br />
enthält, als S<strong>in</strong>nbild <strong><strong>de</strong>r</strong> neun Chöre <strong><strong>de</strong>r</strong> Engel, das nach griechischem Brauch zum Ge-<br />
<strong>de</strong>nken an die Engel <strong>und</strong> die Heiligen (nach slavischem Brauch nur zum Ge<strong>de</strong>nken an die<br />
Heiligen) verwen<strong>de</strong>t wird.<br />
IV. DIE THEOLOGISCHEN GRUNDAUSSAGEN DER ORTHODOXIE<br />
ZU RITUS UND RITUAL<br />
In <strong>de</strong>n liturgischen Riten wie auch bei <strong>de</strong>n Ritualen geht es <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> orthodoxen Kirche um<br />
ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> zeremoniellen Vollzüge, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um e<strong>in</strong> theologischen Problem. Gott ist näm-<br />
lich größer als alles, was je von ihm erkannt <strong>und</strong> erfahren wer<strong>de</strong>n kann, <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>halb ist<br />
ke<strong>in</strong>e Aussage wie auch ke<strong>in</strong>e Zeremonie ihm letztlich angemessen. Damit ist e<strong>in</strong> Propri-<br />
um <strong><strong>de</strong>r</strong> östlichen Theologie genannt, nämlich ihr apophatischer Ansatz.<br />
1. Der Ansatz bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Inkarnation<br />
Die Apophatik ist jene Gr<strong>und</strong>haltung, die <strong>de</strong>m letzten (Nicht-) Erkennen Gottes ent-<br />
spricht. Sogar die höchste Theophanie, Gottes vollkommene Offenbarung <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt<br />
durch die Inkarnation <strong><strong>de</strong>s</strong> Wortes, hat apophatischen Charakter. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Anaphora <strong><strong>de</strong>r</strong> Ba-<br />
silius-Liturgie heißt es:<br />
Gebieter <strong><strong>de</strong>s</strong> Alls, Herr <strong><strong>de</strong>s</strong> Himmels <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong>, aller sichtbaren <strong>und</strong> unsichtbaren<br />
Schöpfung. Du sitzest auf <strong>de</strong>m Thron <strong><strong>de</strong>r</strong> Herrlichkeit <strong>und</strong> ergrün<strong><strong>de</strong>s</strong>t die Tiefen.<br />
Anfanglos bist Du, unsichtbar, unbegreiflich, unbeschreibbar, unverän<strong><strong>de</strong>r</strong>lich, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Vater unseres Herrn Jesus Christus, <strong><strong>de</strong>s</strong> großen Gottes <strong>und</strong> Erlösers, <strong><strong>de</strong>s</strong> Gegen-<br />
stan<strong><strong>de</strong>s</strong> unserer Hoffnung.<br />
Um <strong>de</strong>n Weg <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung mit Gott beschreiben zu können, bedient sich die apophati-<br />
sche Theologie e<strong>in</strong>er ant<strong>in</strong>omischen Re<strong>de</strong>weise. Beispielsweise besteht nach östlicher<br />
Theologie das große Glaubensgeheimnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschwerdung nicht alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> jung-<br />
fräulichen Empfängnis, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Tatsache, daß <strong><strong>de</strong>r</strong> unermeßliche Schöpfergott <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Menschen e<strong>in</strong>getreten ist: Er, <strong><strong>de</strong>r</strong> Grenzenlose, läßt sich vom Schoß se<strong>in</strong>er Mutter<br />
umschließen; Gott, <strong><strong>de</strong>r</strong> über <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur <strong>und</strong> ihren Gesetzen steht, wird Mensch, <strong>in</strong> allem<br />
uns gleich - außer <strong><strong>de</strong>r</strong> Sün<strong>de</strong>, um allen das neue Leben zu eröffnen; was aber »angenom-<br />
men« ist, kann erlöst wer<strong>de</strong>n. So enthält die Liturgie <strong>in</strong> ihrer apophatischen Re<strong>de</strong>weise<br />
bei<strong>de</strong> Aussagen, nämlich die <strong><strong>de</strong>r</strong> unnahbaren Größe <strong><strong>de</strong>s</strong> göttlichen Geheimnisses <strong>und</strong> die<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> unfaßbaren Gegenwart <strong>und</strong> Nähe <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschgewor<strong>de</strong>nen, <strong><strong>de</strong>r</strong> als »wahrer Gott <strong>und</strong><br />
8
wahrer Mensch« unter uns gelebt hat <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n eucharistischen Gaben unter uns ge-<br />
genwärtig ist.<br />
Die theologische Sprechweise <strong><strong>de</strong>r</strong> Orthodoxie ist nicht begrifflich dogmatisch, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
heilsgeschichtlich <strong>und</strong> doxologisch. Gewiß, wer Gott begegnet, erfährt ihn als jenen, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
14<br />
größer ist als alles, was je von ihm erkannt wer<strong>de</strong>n kann. Aber die Apophatik führt<br />
nicht <strong>in</strong> das Verstummen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong> neues Bemühen um <strong>de</strong>n Lobpreis auf <strong>de</strong>n drei-<br />
e<strong>in</strong>en Gott. Die e<strong>in</strong>zige kataphatische, also bejahen<strong>de</strong> Aussage über Gott ist, daß er sich<br />
uns als <strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>e <strong>und</strong> dreifaltige Gott geoffenbart hat, <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em mensch-<br />
gewor<strong>de</strong>nen Sohn. So w<strong>und</strong>ert es nicht, daß je<strong><strong>de</strong>s</strong> Gebet <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> byzant<strong>in</strong>ischen Liturgie -<br />
wie zur »Rettung« <strong><strong>de</strong>s</strong> bisher Gesprochenen <strong>und</strong> Erbetenen - mit e<strong>in</strong>em Lobpreis auf <strong>de</strong>n<br />
Gott en<strong>de</strong>t, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich uns als e<strong>in</strong> Dreifaltiger geoffenbart hat.<br />
Aus diesen theologischen Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zipien baut sich die byzant<strong>in</strong>ische Liturgie auf, sie ist<br />
e<strong>in</strong>e Darstellung <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens Jesu <strong>und</strong> zugleich <strong><strong>de</strong>r</strong> unentwegte Lobpreis auf <strong>de</strong>n drei-<br />
e<strong>in</strong>en Gott, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich uns geoffenbart hat. Damit ist e<strong>in</strong> erstes Gr<strong>und</strong>gesetz <strong><strong>de</strong>r</strong> östlichen<br />
Rituale angesprochen: Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Zeugnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Inkarnation <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschensohnes, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
sich uns <strong><strong>de</strong>r</strong> dreie<strong>in</strong>e Gott unüberbietbar geoffenbart hat.<br />
Je<strong>de</strong> Aussage von Gott, die auf <strong>de</strong>n Menschensohn bezogen bleibt, ist damit als e<strong>in</strong>e<br />
authentische Glaubenserfahrung ausgewiesen. Dies f<strong>in</strong><strong>de</strong>t <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Chrysostomus-Liturgie<br />
dar<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ausdruck, daß sie <strong>in</strong> ihrem Ablauf e<strong>in</strong>e Darstellung <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens Jesu ist, be-<br />
g<strong>in</strong>nend mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt <strong>in</strong> Bethlehem (Proskomidie) bis zur Himmelfahrt (bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Zurück-<br />
br<strong>in</strong>gung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gaben nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommunion). Die ganze menschliche Geschichte erhält ihr<br />
S<strong>in</strong>nziel im Kommen <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschensohnes, das die Kirchenväter als die Synthese <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Heilsgeschichte <strong>de</strong>uten. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Chrysostomus-Liturgie betet <strong><strong>de</strong>r</strong> Priester zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
E<strong>in</strong>setzungsworte:<br />
14<br />
Er kam <strong>und</strong> <strong>in</strong><strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n ganzen Heilsplan um unsretwillen erfüllte, nahm er <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Nacht, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> er überliefert wur<strong>de</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr sich selbst überlieferte für das Leben<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Welt, das Brot <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e heiligen, re<strong>in</strong>en <strong>und</strong> makellosen Hän<strong>de</strong>, dankte, segnete,<br />
heiligte, brach <strong>und</strong> gab es se<strong>in</strong>en heiligen Jüngern <strong>und</strong> Aposteln <strong>und</strong> sprach...<br />
Die heilsgeschichtliche Sicht f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Basilius-Liturgie z.B. im Gebet <strong><strong>de</strong>r</strong> Op-<br />
ferung:<br />
Blicke auf uns herab, o Gott. Schau auf unsere Anbetung <strong>und</strong> nimm sie an, wie Du<br />
angenommen hast die Gabe Abels, die Opfer Noes, die Sühneopfer Abrahams, die<br />
priesterlichen Dienste Moses' <strong>und</strong> Aarons, die Frie<strong>de</strong>nsopfer Samuels. Wie Du <strong>de</strong>nsel-<br />
ben wahrhaften Dienst von De<strong>in</strong>en Aposteln angenommen hast, so, Herr, nimm <strong>in</strong><br />
De<strong>in</strong>er Güte diese Opfergaben aus unseren sündhaften Hän<strong>de</strong>n an.<br />
Mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschwerdung <strong><strong>de</strong>s</strong> Gottessohnes <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Jahren se<strong>in</strong>es verborgenen <strong>und</strong><br />
öffentlichen Lebens, im Kreuzestod <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Auferstehung <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschensohnes ist<br />
Gott <strong>in</strong> die menschliche Geschichte e<strong>in</strong>gegangen, so daß unsere Alltäglichkeit <strong>in</strong> die<br />
Vgl. V. Lossky, Die mystische Theologie <strong><strong>de</strong>r</strong> morgenländischen Kirche. Graz-Wien-Köln 1961, 51.<br />
9
ewige Geschichte <strong><strong>de</strong>s</strong> dreie<strong>in</strong>en Lebens aufgenommen ist.<br />
Damit en<strong>de</strong>t alle Geschichte; <strong>de</strong>nn seit <strong>de</strong>m Kommen Christi kann es nichts mehr geben,<br />
was absolut neu ist. Selbst wenn am En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeiten <strong><strong>de</strong>r</strong> Schleier, <strong><strong>de</strong>r</strong> auf <strong>de</strong>n sichtba-<br />
ren Zeichen liegt, genommen ist, wird die Wirklichkeit dann ke<strong>in</strong>eswegs größer se<strong>in</strong> als<br />
jene, die jetzt schon, wenn auch verborgen, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie gegenwärtig ist. So<br />
verkün<strong>de</strong>t die Kirche <strong>in</strong> ihrer Liturgie die Gegenwart jenes Mysteriums, das <strong>in</strong> <strong>und</strong> mit<br />
Christus se<strong>in</strong>e Verwirklichung <strong>und</strong> Vollendung gef<strong>und</strong>en hat.<br />
15<br />
2. E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Erfahrung <strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens<br />
Der Weg nun, <strong>de</strong>n die östliche Liturgie zur tieferen Erkenntnis <strong><strong>de</strong>s</strong> göttlichen Geheimnis-<br />
ses e<strong>in</strong>schlägt, das die menschliche Fassungskraft <strong>in</strong> allem übersteigt, verläuft an<strong><strong>de</strong>r</strong>s als<br />
im Westen. Hier ist man gewohnt, vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Taufe, Erstkommunion <strong>und</strong> Firmung e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>-<br />
führungskurs anzubieten, um das Sakrament zu erklären, auf daß <strong><strong>de</strong>r</strong> Empfänger <strong>de</strong>n sa-<br />
kramentalen Vollzug besser verstehen <strong>und</strong> mitvollziehen kann. Der Osten geht mit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
frühen Kirche e<strong>in</strong>en an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Weg <strong><strong>de</strong>s</strong> Erkennens <strong>und</strong> Erfahrens im Glauben. Die sakra-<br />
mentale Verwirklichung <strong><strong>de</strong>s</strong> Christusmysteriums wird erst nachträglich als mystagogi-<br />
sche Vertiefung <strong><strong>de</strong>s</strong> erfahrenen Taufgeschehens <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Osternacht vermittelt. Im e<strong>in</strong>-<br />
leiten<strong>de</strong>n Satz <strong><strong>de</strong>r</strong> I. Mystagogischen Katechese Kyrills von Jerusalem für die Neugetauf-<br />
ten kommt dies zum Ausdruck:<br />
Schon lange wollte ich zu euch [...] von <strong>de</strong>n geistlichen <strong>und</strong> himmlischen Mysterien<br />
sprechen. Doch da ich wohl wußte, daß Schauen mehr als Hören zum Glauben führt,<br />
habe ich <strong>de</strong>n gegenwärtigen Augenblick abgewartet: ihr solltet durch die Erfahrung<br />
leichter auf das h<strong>in</strong>führbar wer<strong>de</strong>n, was zu sagen ist, damit me<strong>in</strong>e Hand euch dann<br />
gut zu <strong><strong>de</strong>r</strong> herrlicher leuchten<strong>de</strong>n, duften<strong>de</strong>n Au <strong><strong>de</strong>s</strong> Paradieses geleiten könne. Seid<br />
ihr doch <strong><strong>de</strong>s</strong> göttlichen <strong>und</strong> lebenspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Ba<strong><strong>de</strong>s</strong> gewürdigt wor<strong>de</strong>n <strong>und</strong> so auch<br />
noch göttlicherer Mysterien fähig. Da euch also <strong><strong>de</strong>r</strong> Tisch <strong><strong>de</strong>r</strong> vollkommeneren Lehren<br />
bereitet wer<strong>de</strong>n muß, wohlan, so wollen wir euch genau darüber unterrichten, damit<br />
15<br />
ihr die <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>sen erkennt, was euch <strong>in</strong> jener Taufnacht geschehen ist.<br />
Das heißt: Erst die Erfahrung im Glauben führt zur Erkenntnis <strong>und</strong> zum tieferen Verste-<br />
hen <strong><strong>de</strong>r</strong> E<strong>in</strong>sicht. Hieraus folgt e<strong>in</strong> zweites Gr<strong>und</strong>gesetz <strong><strong>de</strong>r</strong> östlichen Rituale: Sie s<strong>in</strong>d<br />
ke<strong>in</strong>e austauschbaren äußeren Zeremonien, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n letztlich mystischen Ursprungs, sie<br />
führen die Gläubigen, die an <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie teilnehmen, <strong>in</strong> die Erfahrung <strong>und</strong> das Auskosten<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens e<strong>in</strong>.<br />
L.A. W<strong>in</strong>terswyl (Hg.), Cyrill von Jerusalem. E<strong>in</strong>weihung <strong>in</strong> die Mysterien <strong><strong>de</strong>s</strong> Christentums. Freiburg 1954, 23.<br />
10
16<br />
3. Himmlisches Verkosten<br />
Das Christentum hat e<strong>in</strong> ihm eigenes Verständnis von <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit. Geschichte wird als<br />
Liturgie verstan<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong> solches Verständnis von Zeit <strong>und</strong> Geschichte führte zu e<strong>in</strong>em<br />
neuen Konzept <strong><strong>de</strong>s</strong> gottesdienstlichen Lebens, das es so <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Religion gab<br />
<strong>und</strong> geben wird. Jahres-, Wochen- <strong>und</strong> Tageskreis s<strong>in</strong>d dazu bestimmt, die Zeit zu hei-<br />
ligen, während die Liturgie aus <strong><strong>de</strong>r</strong> alten Zeit heraustreten <strong>und</strong> <strong>in</strong> die neue Zeit e<strong>in</strong>treten<br />
läßt. Gegenüber <strong><strong>de</strong>r</strong> Unverän<strong><strong>de</strong>r</strong>lichkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Göttlichen Liturgie kommt im Wan<strong>de</strong>l <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Herrenjahres <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> St<strong>und</strong>enliturgie gera<strong>de</strong> die Heiligung <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit zum Ausdruck. Bei<strong>de</strong><br />
Dimensionen gehören im christlichen Zeitverständnis zusammen, <strong>de</strong>nn die Verkündigung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> eschatologischen Endzeit, wie sie <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie geschieht, steht <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>-<br />
dung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Vergegenwärtigung <strong><strong>de</strong>s</strong> Neuen Äon <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit.<br />
Nicht nur <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeitbegriff, auch die Welterfahrung än<strong><strong>de</strong>r</strong>t sich <strong>in</strong> <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>m Glauben.<br />
Der orthodoxe Gläubige erwartet voller Sehnsucht die Verklärung von Kosmos <strong>und</strong><br />
Mensch. Die neue Welt ist schon jetzt im Kommen. Diese Erfahrung macht <strong><strong>de</strong>r</strong> östliche<br />
Christ vor allem <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie. Im Gebet zur Konsumption <strong><strong>de</strong>r</strong> eucharistischen<br />
Gaben heißt es am En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Basilius-Liturgie <strong>in</strong> <strong>de</strong>m schon angeführten Gebet <strong><strong>de</strong>s</strong> Li-<br />
turgen:<br />
Siehe, soweit es <strong>in</strong> unserer Macht steht, Christus, unser Gott, ist jetzt erfüllt <strong>und</strong><br />
vollbracht das Geheimnis De<strong>in</strong>es göttlichen Plans. Wir haben das Gedächtnis De<strong>in</strong>es<br />
Lei<strong>de</strong>ns gefeiert, wir haben das Abbild De<strong>in</strong>er Auferstehung gesehen, wir wur<strong>de</strong>n<br />
erfüllt mit De<strong>in</strong>em endlosen Leben, wir haben De<strong>in</strong>e unerschöpflichen Wonnen ge-<br />
kostet; wir bitten Dich, uns ihrer auch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> künftigen Welt zu würdigen durch die<br />
Gna<strong>de</strong> De<strong>in</strong>es ewigen Vaters <strong>und</strong> De<strong>in</strong>es heiligen, gütigen <strong>und</strong> lebenspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
Geistes jetzt <strong>und</strong> immerdar <strong>und</strong> von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.<br />
Das liturgische Gedächtnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Zukunft sprengt die klassisch-scholastische Problematik<br />
h<strong>in</strong>sichtlich <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Eucharistie als e<strong>in</strong>es Memoriale. Denn die Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Eucha-<br />
ristie als Anamnese weist nicht alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Vergangenheit - <strong>in</strong> das Paschageheimnis<br />
Christi -, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n bleibt auf die Zukunft h<strong>in</strong> ausgerichtet: Was <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Auferstehung erfüllt<br />
ist, wird im kommen<strong>de</strong>n Reich zur letzten Vollendung geführt. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie fügen sich<br />
die historischen wie auch eschatologischen Dimensionen <strong><strong>de</strong>r</strong> göttlichen Ökonomie zu ei-<br />
nem unteilbaren Ganzen. 16<br />
Von dieser himmlischen Liturgie spricht das ganze Buch <strong><strong>de</strong>r</strong> Apokalypse. Es wer<strong>de</strong>n<br />
kultische Gegenstän<strong>de</strong> <strong>und</strong> Riten genannt, die sowohl im jüdischen wie im christlichen<br />
Gottesdienst beheimatet waren (siebenarmiger Leuchter, B<strong>und</strong>esla<strong>de</strong>, Rauchopferaltar),<br />
wie auch Elemente <strong><strong>de</strong>r</strong> irdischen Liturgie auf die himmlische übertragen wer<strong>de</strong>n (weiße<br />
Vgl. J. Zizioulas, Die Eucharistie <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> neuzeitlichen orthodoxen Theologie, <strong>in</strong>: Die Anrufung <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligen Geistes<br />
im Abendmahl. Viertes Theologisches Gespräch zwischen <strong>de</strong>m Ökumenischen Patriarchat <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Evangelischen<br />
Kirche <strong>in</strong> Deutschland vom 6. bis 9. Oktober 1975 <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Evangelischen Sozialaka<strong>de</strong>mie Frie<strong>de</strong>wald, Frankfurt<br />
1977, 163-179, 176.<br />
11
Gewän<strong><strong>de</strong>r</strong>, Gesänge, Doxologien): »Der Seher erwähnt nicht umsonst, daß er se<strong>in</strong>e<br />
Schauungen an e<strong>in</strong>em 'Herrentag' hat (1,10), also zur Zeit, wo die christliche Geme<strong>in</strong><strong>de</strong><br />
sich zum Gottesdienst versammelt. So sieht er das ganze endzeitliche Drama im Rahmen<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong> urchristlichen Gottesdienstes« (O. Cullmann). Der Liturge, <strong><strong>de</strong>r</strong> am Abend das<br />
Rauchopfer im Tempel zu Jerusalem darbr<strong>in</strong>gt, wie auch <strong><strong>de</strong>r</strong> neutestamentlich Priester,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> dies beim Abendgottesdienst <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche vollzieht, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Abbild <strong><strong>de</strong>s</strong> Urbil<strong><strong>de</strong>s</strong> im<br />
Himmel, nämlich <strong><strong>de</strong>s</strong> Engels mit <strong>de</strong>m gol<strong>de</strong>nen Rauchfaß (Apk 8,4). Selbst das Got-<br />
teshaus ist e<strong>in</strong> Abbild <strong><strong>de</strong>s</strong> himmlischen Tempels wie auch die Gegenwärtigsetzung <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
»neuen Himmels« <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> »neuen Er<strong>de</strong>« (Apk 21,1), <strong><strong>de</strong>s</strong> »neuen Jerusalem« (Apk 21,2).<br />
Die himmlische Welt durchdr<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> apokalyptischer Weise die irdische Zeit. Ja, die apo-<br />
kalyptische Dimension <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit bestimmt <strong>de</strong>n ganzen Verlauf <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
menschlichen Lebens. So »ge<strong>de</strong>nken« die Gläubigen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> vergangenen<br />
Heilstat am Kreuz <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Auferstehung <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrn, aber auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Zukunft <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>kunft <strong><strong>de</strong>s</strong> zum Vater Heimgekehrten. Dies drückt sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m für die Chrysosto-<br />
mus-Liturgie eigenen Verständnis <strong><strong>de</strong>s</strong> Wortgottesdienstes aus. Die Lesungen wer<strong>de</strong>n<br />
durch das vorher gesungene Trishagion <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kontext <strong><strong>de</strong>r</strong> Doxologie gestellt, was<br />
besagt, »daß das Wort Gottes zur Kirche nicht e<strong>in</strong>fach aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Vergangenheit als Buch<br />
<strong>und</strong> fixierter Kanon kommt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n hauptsächlich als eschatologische Realität <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Reiches, vom Thron Gottes, <strong><strong>de</strong>r</strong> zu diesem Zeitpunkt <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie vom Bischof e<strong>in</strong>genom-<br />
17<br />
men wird« .<br />
17<br />
4. Kosmische Liturgie<br />
Die Sakramentenlehre <strong><strong>de</strong>s</strong> Abendlan<strong><strong>de</strong>s</strong> blickt seit <strong>de</strong>m Hochmittelalter vor allem auf <strong>de</strong>n<br />
»effectus«, auf die Wirksamkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Sakramente. Die Kirchenväter h<strong>in</strong>gegen fragen vor<br />
allem nach <strong>de</strong>m Zeichen <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>sen Zeichenhaftigkeit. Was das Neue Testament mit Se-<br />
meion bezeichnet, nennen sie »Symbolon« als die Ganzheit von Zeichen <strong>und</strong> Wirkung,<br />
von Bild <strong>und</strong> Gegenwärtigkeit. Das Symbol vergegenwärtigt jene Wirklichkeit, die unter<br />
Formen zeichenhaft verhüllt <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch geheimnisvoll offenbar ist, ja es schenkt Teil-<br />
habe am Orig<strong>in</strong>al. In diesem S<strong>in</strong>n setzt das Sakrament die Wirklichkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> göttlichen<br />
J. Zizioulas, Apostolic Cont<strong>in</strong>uity and Orthodox Theology, <strong>in</strong>: SVTQ 2 (1975) 75-108, hier 93, Anm. 70 (übersetzt<br />
von K.C. Felmy). - Der Gedanke von <strong><strong>de</strong>r</strong> E<strong>in</strong>heit <strong><strong>de</strong>r</strong> irdischen <strong>und</strong> himmlischen Liturgie ist auch für <strong>de</strong>n late<strong>in</strong>ischen<br />
Ritus zentral <strong>und</strong> wird <strong>in</strong> ihm immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> thematisiert. Im Artikel 8 <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgiekonstitution heißt es hierzu<br />
zusammenfassend: »In <strong><strong>de</strong>r</strong> irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die <strong>in</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu <strong><strong>de</strong>r</strong> wir pilgernd unterwegs s<strong>in</strong>d, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Diener <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligtums <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> wahren Zeltes. In <strong><strong>de</strong>r</strong> irdischen Liturgie s<strong>in</strong>gen wir <strong>de</strong>m Herrn mit <strong><strong>de</strong>r</strong> ganzen<br />
Schar <strong><strong>de</strong>s</strong> himmlischen Heeres <strong>de</strong>n Lobgesang <strong><strong>de</strong>r</strong> Herrlichkeit. In ihr verehren wir das Gedächtnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen<br />
<strong>und</strong> erhoffen Anteil <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>schaft mit ihnen. In ihr erwarten wir <strong>de</strong>n Erlöser, unseren Herrn Jesus Christus,<br />
bis er ersche<strong>in</strong>t als unser Leben <strong>und</strong> wir mit ihm ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Herrlichkeit.« Bei<strong>de</strong> Liturgien enthalten e<strong>in</strong>e <strong>und</strong><br />
dieselbe Realität <strong>und</strong> unterschei<strong>de</strong>n sich nur <strong><strong>de</strong>r</strong> Sichtbarkeit <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Fülle nach, ähnlich wie Symbol <strong>und</strong> Wirklichkeit.<br />
12
Heilstat unter zeichenhaften Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>und</strong> Riten gegenwärtig, die <strong><strong>de</strong>r</strong> gläubigen Sicht <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Schöpfung entstammen.<br />
Im Laufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Theologiegeschichte kam es, wie schon angeführt, zu e<strong>in</strong>er Konzentration<br />
auf das Thema <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilsgeschichte unter weitestgehen<strong><strong>de</strong>r</strong> Ausblendung <strong><strong>de</strong>s</strong> Schöpfungs-<br />
gedankens, ja zu e<strong>in</strong>er fast dualistischen Unterscheidung von Gott <strong>und</strong> Schöpfung, die<br />
so radikal war, daß sie auf die Wege <strong><strong>de</strong>s</strong> Deismus o<strong><strong>de</strong>r</strong> zum Konzept e<strong>in</strong>er gottlosen<br />
Welt zu führen schien. Im Rahmen <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfungstheologie blieb es letztlich nur bei<br />
<strong>de</strong>m Satz, daß alles se<strong>in</strong>e erste Ursache <strong>in</strong> Gott hat. Schöpfung <strong>und</strong> Kosmos traten so<br />
sehr an <strong>de</strong>n Rand theologischen Mühens <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>er Frömmigkeit, daß <strong><strong>de</strong>r</strong> Glaube<br />
<strong>in</strong> die Falle <strong><strong>de</strong>r</strong> bloßen Innerlichkeit <strong>und</strong> Subjektivität zu geraten drohte. Auch kam es,<br />
gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong>setzung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Evolutionstheorie, zur Verengung <strong><strong>de</strong>r</strong> christli-<br />
chen Protologie auf die Schöpfung im Anfang (creatio orig<strong>in</strong>alis) <strong>und</strong> auf <strong>de</strong>n Aspekt <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
18<br />
göttlichen »Schaffens«. Die Lehre vom göttlichen »Machen« bzw. die Lehre von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
fortgehen<strong>de</strong>n Schöpfung (creatio nova) wur<strong>de</strong>n kaum thematisiert. Vielmehr wur<strong>de</strong> die<br />
Schöpfung im Anfang verstan<strong>de</strong>n als e<strong>in</strong>e fertige <strong>und</strong> vollkommene Schöpfung, die kei-<br />
ner weiteren Entfaltung <strong>und</strong> Evolution bedarf, wie auch schon das Wort »Schöpfung«<br />
mit se<strong>in</strong>er Endsilbe eher e<strong>in</strong>en abgeschlossenen Prozeß <strong><strong>de</strong>s</strong> Schaffens <strong>und</strong> als e<strong>in</strong>en Vor-<br />
gang am Anfang <strong>in</strong>s<strong>in</strong>uiert; vom Menschen schien dasselbe zu gelten: als e<strong>in</strong>mal ge-<br />
schaffenes <strong>und</strong> damit fertiges Wesen ist er ke<strong>in</strong>er weiteren Evolution unterworfen. Kurz<br />
gesagt, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Schultheologie blieb es nicht aus, daß das Verhältnis Gottes zu se<strong>in</strong>er<br />
Schöpfung zeitweilig zu e<strong>in</strong>seitig auf die Frage <strong><strong>de</strong>r</strong> Kausalität beschränkt wur<strong>de</strong>.<br />
Ganz an<strong><strong>de</strong>r</strong>s die ursprüngliche Sicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung. Für die Heilige Schrift ist nicht <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
kausale Begründungszusammenhang <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung entschei<strong>de</strong>nd, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die E<strong>in</strong>woh-<br />
nung Gottes, wie sie durch Se<strong>in</strong> Ausruhen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung zum Ausdruck kommt (Gen<br />
2,3). Die E<strong>in</strong>wohnung Gottes <strong>in</strong>mitten <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung <strong>und</strong> unter <strong>de</strong>n Menschen ist das<br />
<strong>in</strong>nere Geheimnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung. Der Sabbatsegen kommt aus ke<strong>in</strong>em Tun Gottes, son-<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>n se<strong>in</strong>em Da-Se<strong>in</strong>. Die Segnung <strong><strong>de</strong>s</strong> Sabbats unterschei<strong>de</strong>t sich von <strong><strong>de</strong>r</strong> Segnung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
geschaffenen Lebewesen dadurch, daß Gott ihn durch se<strong>in</strong>e Ruhe, nicht durch e<strong>in</strong>e<br />
Tätigkeit segnet. Diesen Segen Gottes, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> ganzen Schöpfung gilt <strong>und</strong> allen D<strong>in</strong>gen<br />
<strong>in</strong> ihr Bestand gibt, erfährt Israel durch die Feier <strong><strong>de</strong>s</strong> »siebten Tages«.<br />
Weil Gott die Schöpfung durch se<strong>in</strong>e Ruhe segnet <strong>und</strong> sie mit se<strong>in</strong>er bleiben<strong>de</strong>n Gegen-<br />
wart heiligt, ist die Schöpfung das »Ursakrament« gläubiger Existenz. Hier fällt zum<br />
ersten Mal <strong>in</strong> <strong>de</strong>n biblischen Traditionen das Wort »heiligen«; es heißt so viel wie: »aus-<br />
erwählen, für sich ausgrenzen, zu se<strong>in</strong>em Eigentum <strong>und</strong> unantastbar erklären«. Bezeich-<br />
nen<strong><strong>de</strong>r</strong>weise wird dieses Wort nicht auf e<strong>in</strong> Geschöpf <strong>und</strong> auch nicht auf e<strong>in</strong>en Schöp-<br />
fungsraum angewen<strong>de</strong>t, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auf e<strong>in</strong>e Zeit, <strong>de</strong>n siebten Tag, <strong><strong>de</strong>r</strong> allen Geschöpfen<br />
zugute kommt <strong>und</strong> somit universal ist. Universal aber im endzeitlichen S<strong>in</strong>n (vgl. Hebr<br />
4,9-10). Der Sabbat ist die Gegenwart <strong><strong>de</strong>r</strong> Ewigkeit <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Vorgeschmack<br />
18<br />
Vgl. zum folgen<strong>de</strong>n auch J. Moltmann, Gott <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung, München 1985, 281-298.<br />
13
<strong><strong>de</strong>r</strong> kommen<strong>de</strong>n Welt. Wenn am En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeiten »alle Lan<strong>de</strong> se<strong>in</strong>er Ehre voll s<strong>in</strong>d« (Jes<br />
6,3) <strong>und</strong> Gott »alles <strong>in</strong> allem« ist (1 Kor 15,28), da er nun für immer se<strong>in</strong>er ganzen<br />
Schöpfung »e<strong>in</strong>wohnt« (Apk 21,3), dann s<strong>in</strong>d Schöpfung <strong>und</strong> Offenbarung tatsächlich<br />
e<strong>in</strong>s. Gott wird fortan <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ganzen Schöpfung offenbar se<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihr se<strong>in</strong>e Herr-<br />
lichkeit aufleuchten lassen. Dies ist die vollen<strong>de</strong>te Welt.<br />
Diese Endzeit ist mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschwerdung <strong>und</strong> Auferstehung Christi angebrochen, so daß<br />
jetzt schon etwas von <strong>de</strong>m ewigen »Sabbatfest« <strong><strong>de</strong>s</strong> Kosmos sichtbar wird. Dies br<strong>in</strong>gt<br />
die altkirchliche Bezeichnung <strong><strong>de</strong>s</strong> christlichen Auferstehungsfestes als <strong><strong>de</strong>s</strong> »achten<br />
Tages« zum Ausdruck. Der christliche Sonntag verweist auf <strong>de</strong>n Sabbat Israels, öffnet<br />
jedoch zugleich <strong>de</strong>n Ausblick auf jenen - je<strong>de</strong> Zählung übersteigen<strong>de</strong>n - Tag <strong><strong>de</strong>r</strong> neuen<br />
Schöpfung, <strong><strong>de</strong>r</strong> nach christlicher Auffassung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Auferweckung Christi von <strong>de</strong>n To-<br />
ten beg<strong>in</strong>nt. Läßt <strong><strong>de</strong>r</strong> Sabbat Israels auf die Schöpfungswerke Gottes <strong>und</strong> die eigene<br />
Wochenarbeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschen zurückschauen, blickt das christliche Fest <strong><strong>de</strong>r</strong> Auferstehung<br />
nach vorn <strong>in</strong> die Zukunft <strong><strong>de</strong>r</strong> neuen Schöpfung; <strong>und</strong> während Israel <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Feier <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Sabbats Anteil erhält an <strong><strong>de</strong>r</strong> Ruhe Gottes, läßt das christliche Auferstehungsfest an <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Neuschöpfung <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt teilnehmen. Deshalb zählt die Kirche <strong>de</strong>n achten Tag <strong><strong>de</strong>s</strong> christli-<br />
chen Auferstehungsfestes zugleich als <strong>de</strong>n »ersten Tag« <strong><strong>de</strong>r</strong> Woche. Je<strong>de</strong> Woche<br />
beg<strong>in</strong>nt mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Vision <strong><strong>de</strong>r</strong> neuen Schöpfung <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Hoffnung auf das ewige Leben.<br />
In <strong><strong>de</strong>r</strong> Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie f<strong>in</strong><strong>de</strong>t <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch all das wie<strong><strong>de</strong>r</strong>, was er se<strong>in</strong>er göttlichen<br />
Bestimmung nach immer schon se<strong>in</strong> sollte, nämlich Priester dieser Welt zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> als<br />
»Liturge« <strong><strong>de</strong>s</strong> Kosmos <strong>de</strong>m Schöpfergott <strong>de</strong>n ihm gebühren<strong>de</strong>n Lobpreis zurückzu-<br />
erstatten. Der Gr<strong>und</strong>vollzug <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie besteht dar<strong>in</strong>, als Priester <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt vor Gott zu<br />
stehen, <strong>und</strong> die vielen Worte <strong>und</strong> Gesänge <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie wollen nicht dazu anleiten, »viel<br />
zu plappern wie die Hei<strong>de</strong>n, die me<strong>in</strong>en, sie wer<strong>de</strong>n erhört, wenn sie viele Worte ma-<br />
chen« (Mt 6,7), vielmehr s<strong>in</strong>d sie Teil <strong><strong>de</strong>r</strong> E<strong>in</strong>übung <strong>in</strong> die Haltung <strong><strong>de</strong>s</strong> »Stehens vor<br />
Gott« als Urakt menschlicher Existenz. Nicht an<strong><strong>de</strong>r</strong>s heißt es im zweiten Hochgebet <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
römischen Liturgie: »Wir danken dir, daß du uns berufen hast, vor dir zu stehen <strong>und</strong> dir<br />
zu dienen.«<br />
Der Mensch kann das ihm von Gott geschenkte Leben nicht »wie e<strong>in</strong>en Raub« für sich<br />
behalten, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n wird sich <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Leben, wie es <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Chrysostomus-Liturgie heißt,<br />
immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> neu se<strong>in</strong>em Herrn <strong>und</strong> Schöpfer »überliefern«, um ihm <strong>in</strong> allem zu dienen.<br />
Dies kommt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gebetsabschluß zum Ausdruck, <strong><strong>de</strong>r</strong> für die Chrysostomus-Liturgie<br />
so wichtig ist, daß er öfters wie<strong><strong>de</strong>r</strong>holt wird:<br />
19<br />
Unserer allheiligen, allre<strong>in</strong>en, hochgelobten <strong>und</strong> ruhmreichen Herr<strong>in</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> Gottesgebä-<br />
rer<strong>in</strong> <strong>und</strong> immerwähren<strong>de</strong>n Jungfrau Maria, mit allen Heiligen ge<strong>de</strong>nkend, wollen wir<br />
uns selbst <strong>und</strong> e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>und</strong> unser ganzes Leben Christus, unserem Gott, überliefern.<br />
19<br />
Weil »Gott alles, was er wirkt, tut, um sich selbst offenbar zu machen« , darf die<br />
Schöpfung sakramental ge<strong>de</strong>utet <strong>und</strong> verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Für e<strong>in</strong>e solche eucharistische<br />
Bonaventura, In II sent. 16,1,1.<br />
14
Deutung <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung ist das Geschehen auf <strong>de</strong>m Tabor von beson<strong><strong>de</strong>r</strong>er <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong>.<br />
Wenn von <strong><strong>de</strong>r</strong> Verklärung gesagt wird, daß sich nicht Christus wan<strong>de</strong>lt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n daß die<br />
Augen <strong><strong>de</strong>r</strong> Jünger für e<strong>in</strong>en Augenblick schauen dürfen, was ihnen sonst verborgen war,<br />
so läßt sich von <strong><strong>de</strong>r</strong> Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Eucharistie sagen: Sie wird mit <strong>de</strong>n Gaben <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung<br />
gefeiert, ohne diese zu zerstören; vielmehr ist alles <strong>in</strong> Christus umgewan<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> er-<br />
neuert - <strong>in</strong> unmittelbarer Vorausschau auf die endzeitliche Vollendung <strong><strong>de</strong>s</strong> ganzen Kos-<br />
mos. 20<br />
Diese H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>nahme ereignet sich vornehmlich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie, die mit <strong>de</strong>n Gaben <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Schöpfung gefeiert wird. Karl Rahner schreibt hierzu: »Der Gottesdienst <strong><strong>de</strong>r</strong> christlichen<br />
Kirche ist nicht 'e<strong>in</strong>e seltsame ausgesparte neue Son<strong><strong>de</strong>r</strong>region im profanen Leben' <strong>und</strong><br />
damit nicht nur 'göttliche Liturgie <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt', son<strong><strong>de</strong>r</strong>n 'göttliche Liturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt' <strong>und</strong><br />
21<br />
damit Ersche<strong>in</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> göttlichen Liturgie, die mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilsgeschichte i<strong>de</strong>ntisch ist.«<br />
Nicht an<strong><strong>de</strong>r</strong>s heißt es bei Irenäus von Lyon: »Wir br<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n heiligen Gaben die ganze<br />
22<br />
sichtbare Natur dar, damit sie zur Eucharistie wer<strong>de</strong>.« Es s<strong>in</strong>d die Gaben <strong><strong>de</strong>r</strong> gebroche-<br />
nen, gefallenen <strong>und</strong> von Gott entfrem<strong>de</strong>ten Schöpfung, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Leib <strong>und</strong> das Blut <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Herrn verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, wie er auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kreuzestod selber e<strong>in</strong> Opfer dieser<br />
sündhaften <strong>und</strong> gottfernen Welt wur<strong>de</strong>. Da er aber die <strong><strong>de</strong>r</strong> Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Tod ver-<br />
fallene Schöpfung erlöst, verwan<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> erneuert hat, wer<strong>de</strong>n die Gaben <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfung<br />
<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Eucharistie, wie die Liturgie <strong><strong>de</strong>s</strong> heiligen Basilius sagt, zu <strong>de</strong>n »Antitypa« <strong><strong>de</strong>r</strong> Neu-<br />
schöpfung. 23<br />
In <strong>de</strong>n Wandlungsworten <strong><strong>de</strong>r</strong> Epiklese <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Chrysostomus-Liturgie: »<strong>in</strong><strong>de</strong>m Du es ver-<br />
wan<strong>de</strong>lst durch De<strong>in</strong>en Heiligen Geist« wird das Verb »metabálle<strong>in</strong>« verwen<strong>de</strong>t. Die Ver-<br />
wandlung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gaben durch das Wirken <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligen Geistes be<strong>de</strong>utet nicht, daß sie im<br />
physikalischen S<strong>in</strong>n aufhören zu se<strong>in</strong>, was sie s<strong>in</strong>d: nämlich Brot <strong>und</strong> We<strong>in</strong>, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n daß<br />
sie <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> neuen Schöpfung <strong>in</strong> Christus zugeführt wer<strong>de</strong>n, ohne daß<br />
es zu e<strong>in</strong>er Verschmelzung <strong>und</strong> Verwischung <strong><strong>de</strong>r</strong> Unterschie<strong>de</strong> kommt. Es gibt hier e<strong>in</strong>e<br />
»Diskont<strong>in</strong>uität« <strong>in</strong> Kont<strong>in</strong>uität, also ohne Verne<strong>in</strong>ung, »weil <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilige Geist 'alle D<strong>in</strong>ge<br />
neu' <strong>und</strong> nicht 'neue D<strong>in</strong>ge' macht«. 24<br />
Es kommt dabei zu ke<strong>in</strong>er Verschmelzung, <strong>de</strong>nn die »D<strong>in</strong>ge« wer<strong>de</strong>n verwan<strong>de</strong>lt, nicht<br />
ausgetauscht. Das ist wichtig, weil es im Mysterium nicht um die Auflösung <strong><strong>de</strong>r</strong> Kreatur,<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
24<br />
Am Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> eucharistischen Anaphora erfolgt die Auffor<strong><strong>de</strong>r</strong>ung: »Laßt uns geziemend (‘schön’) <strong>und</strong> mit Ehrfurcht<br />
stehen!« Die byzant<strong>in</strong>ische Erklärung bezieht dies zuweilen auf die Aussage <strong><strong>de</strong>s</strong> Petrus <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Verklärungsgeschichte<br />
(Mt 17,4) <strong>und</strong> <strong>de</strong>utet sie als Auffor<strong><strong>de</strong>r</strong>ung zum Stehen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Verklärung. Diese Auffor<strong><strong>de</strong>r</strong>ung f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir<br />
auch am Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaterunsers. Vgl. P. Evdokimov, L'Orthodoxie, 247: »Ce n'est pas le Christ qui change, mais<br />
ce sont les yeux <strong><strong>de</strong>s</strong> apôtres qui s'ouvrent pour un <strong>in</strong>stant.« Evdokimov unterstreicht auf beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Weise diese<br />
Analogie zwischen <strong><strong>de</strong>r</strong> Verklärung <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrn <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie.<br />
K. Rahner, Zur Theologie <strong><strong>de</strong>s</strong> Gottesdienstes, <strong>in</strong>: <strong><strong>de</strong>r</strong>s., Schriften zur Theologie. Bd. XIV, E<strong>in</strong>sie<strong>de</strong>ln-Zürich-Köln<br />
1980, 227-237, hier 237.<br />
2<br />
Irenäus von Lyon, Adv.haer. V 18,5 (BKV IV, 58).<br />
Daß Brot <strong>und</strong> We<strong>in</strong> als »Antitypen <strong><strong>de</strong>s</strong> heiligen Leibes <strong>und</strong> Blutes Christi« bezeichnet wer<strong>de</strong>n, führte im Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>streit<br />
zu e<strong>in</strong>er heftigen Kontroverse.<br />
A. Schmemann, Worship <strong>in</strong> a Secular Age, <strong>in</strong>: SVTQ (1972) 7; vgl. Apk. 21,5.<br />
15
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um <strong><strong>de</strong>r</strong>en kosmisch-eschatologische Verklärung geht. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Eucharistie ge-<br />
schieht - <strong>und</strong> hier wird Bulgakov zu e<strong>in</strong>em <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Vertreter <strong><strong>de</strong>r</strong> kosmisch-eschatologi-<br />
schen Liturgieerklärung - ansatzweise, antizipatorisch die Verklärung, die metamorphosis<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Welt.« 25<br />
E<strong>in</strong> Spezifikum <strong><strong>de</strong>r</strong> östlichen Schöpfungslehre zeigt sich <strong>in</strong> ihrer Bestimmung <strong><strong>de</strong>r</strong> Sakra-<br />
mente <strong>und</strong> Sakramentalien. Im Osten s<strong>in</strong>d trotz <strong>und</strong> mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Anerkennung <strong><strong>de</strong>r</strong> Siebenzahl<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Sakramente diese doch kaum von <strong>de</strong>n Sakramentalien getrennt. Die gesegneten Ge-<br />
genstän<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d Zeichen jener neuen Welt, die bloß <strong><strong>de</strong>r</strong> äußeren Ordnung nach als »Ma-<br />
terie« ersche<strong>in</strong>t, aber längst schon <strong>in</strong> die neue Schöpfung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>genommen ist: Die<br />
Kirche nimmt <strong>in</strong> ihren Sakramentalien die kommen<strong>de</strong> Verherrlichung <strong><strong>de</strong>r</strong> Kreatur voraus<br />
<strong>und</strong> gibt <strong>de</strong>n D<strong>in</strong>gen jene wahre, echte Gestalt, die sie nach <strong>de</strong>m Willen Gottes haben<br />
sollen. Dieses Geheimnis enthüllt sich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Endzeit, <strong>und</strong> zwar so, daß alles »göttlicher<br />
Bereich« ist. Im neuen Äon wird alles e<strong>in</strong>e universale Eucharistie se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn alles, was<br />
schon hier mit uns <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung steht, wird <strong>in</strong> höchstem Maße <strong>in</strong> Christus verklärt se<strong>in</strong>.<br />
25<br />
26<br />
5. Übermaß <strong><strong>de</strong>s</strong> Schönen<br />
Das griechische Wort »orthodox« setzt sich zusammen aus <strong>de</strong>m Adverb »orthos« (=<br />
richtig) <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Verb dokeo (= me<strong>in</strong>en, glauben, sich bekennen). Orthodox ist also,<br />
26<br />
wer <strong>de</strong>n wahren Glauben besitzt. Es gibt gibt aber auch e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung <strong><strong>de</strong>s</strong> Begriffs<br />
»orthodox« zum Verb doxazo (= preisen). Orthodoxie ist nicht abstrakte rechte Lehre,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n rechte Lobpreisung Gottes, die sich im rechten Glauben, Kult <strong>und</strong> Leben <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Kirche verwirklicht. Authentischer Ausdruck <strong><strong>de</strong>s</strong> Wissens um <strong>de</strong>n wahren Lobpreis<br />
Gottes ist die Schönheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Chrysostomus-Liturgie heißt e<strong>in</strong>e Bitte <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Ektenie unmittelbar vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommunion:<br />
Alles was schön ist <strong>und</strong> heilsam für unsere Seele <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt, laßt uns<br />
vom Herrn erbitten.<br />
Der Priester betet beim Anlegen <strong><strong>de</strong>r</strong> Gewän<strong><strong>de</strong>r</strong>:<br />
Me<strong>in</strong>e Seele freue sich im Herrn, <strong>de</strong>nn er hat mich mit <strong>de</strong>m Gewand <strong><strong>de</strong>s</strong> Heils beklei-<br />
<strong>de</strong>t <strong>und</strong> mich mit <strong>de</strong>m Kleid <strong><strong>de</strong>r</strong> Freu<strong>de</strong> be<strong>de</strong>ckt. Wie e<strong>in</strong>en Bräutigam hat Er me<strong>in</strong>e<br />
Stirn mit e<strong>in</strong>er Krone umgeben, <strong>und</strong> wie e<strong>in</strong>e Braut hat Er mich mit Schönheit geziert.<br />
E<strong>in</strong> Schreiben <strong><strong>de</strong>s</strong> Papstes Johannes Paulus II. aus <strong>de</strong>m Jahr 1998 trägt <strong>de</strong>n Titel »Got-<br />
tes Geist <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt«. Der Heilige Geist ist <strong><strong>de</strong>r</strong> »Geist <strong><strong>de</strong>r</strong> Schönheit« <strong>und</strong> bestimmt als<br />
K.C. Felmy, Die Deutung <strong><strong>de</strong>r</strong> Göttlichen Liturgie <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> russischen Theologie. Wege <strong>und</strong> Wandlungen russischer<br />
Liturgie-Auslegung, Berl<strong>in</strong> - New York 1984, 399f.; vgl. Irenäus, Adv. haer. IV 18,5.<br />
Den Anspruch auf Rechtgläubigkeit erhebt eigentlich je<strong>de</strong> Kirche; <strong>de</strong>nn an<strong><strong>de</strong>r</strong>nfalls wür<strong>de</strong> sie zugeben, daß sie sich<br />
<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Häresie bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t, von <strong><strong>de</strong>r</strong> sich die frühe Kirche abgrenzte, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie sich selbst orthodox nannte. Die Bezeichnung<br />
war auch im Westen geläufig, wie <strong><strong>de</strong>r</strong> römische Meßkanon zeigt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m »pro omnibus orthodoxis« (für<br />
alle Rechtgläubigen) gebetet wird, wie auch die Grab<strong>in</strong>schrift Karls <strong><strong>de</strong>s</strong> Großen, die ihn als »orthodoxus Imperator«<br />
bezeichnet.<br />
16
solcher die liturgische Feier, so daß die Feste <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrenjahres zu e<strong>in</strong>em Ausdruck <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Schönheit Gottes <strong>und</strong> unseres Glaubens wer<strong>de</strong>n. Schönheit ist die e<strong>in</strong>zig richtige Be-<br />
stimmung <strong><strong>de</strong>s</strong>sen, was <strong><strong>de</strong>r</strong> Christ ist, <strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>zige Maßstab, mit <strong>de</strong>m das Leben im<br />
Glauben zu messen ist.<br />
Die Schönheit <strong><strong>de</strong>s</strong> Irdischen ist e<strong>in</strong> Vorausbild <strong><strong>de</strong>r</strong> Schönheit <strong><strong>de</strong>s</strong> Kommen<strong>de</strong>n (Apk<br />
27 21) , sie liegt jenseits alles technisch Herstellbaren, Beherrschbaren <strong>und</strong> Planbaren. Das<br />
Schöne ist im letzten nicht machbar, auch nicht durch Kunst <strong>und</strong> Kunstfertigkeit: »Die<br />
ir<strong>de</strong>nen Gefäße können schön se<strong>in</strong>, obwohl <strong><strong>de</strong>r</strong> Schatz, <strong>de</strong>n sie tragen, immer das<br />
28<br />
Schönere ist.« Die göttliche Schönheit ist grenzenlos, <strong><strong>de</strong>s</strong>halb kann sie nur mit <strong>de</strong>m<br />
Übermaß <strong><strong>de</strong>s</strong> Unentgeltlichen beantwortet wer<strong>de</strong>n. Dieses Maß, das jenseits alles<br />
Meßbaren liegt, gilt <strong>in</strong> gleicher Weise für <strong>de</strong>n Menschen <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Leben, <strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e<br />
für die konkrete Ausgestaltung <strong><strong>de</strong>s</strong> geistlichen Lebens <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> evangelischen Räte. 29<br />
Nicht an<strong><strong>de</strong>r</strong>s die Zeichen <strong><strong>de</strong>s</strong> Gebets <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Gottesdienstes, sie wollen nicht bloß e<strong>in</strong>er<br />
äußeren, Gott gebühren<strong>de</strong>n Pflicht (»cultus <strong>de</strong>bitus«) entsprechen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n Ausdruck<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong>sen se<strong>in</strong>, daß <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie <strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em alltäglichen Leben die Überfül-<br />
le <strong><strong>de</strong>r</strong> göttlichen Schönheit, an <strong><strong>de</strong>r</strong> er selbst Anteil erhielt, »im unentgeltlichen Übermaß«<br />
darstellen darf.<br />
27<br />
28<br />
29<br />
Hierzu H.R. Schlette, Der Christ <strong>und</strong> die Erfahrung <strong><strong>de</strong>s</strong> Schönen, <strong>in</strong>: J.B. Metz, Weltverständnis im Glauben. Ma<strong>in</strong>z<br />
1965, 80-101.<br />
Ebd., 97.<br />
6. Neuschöpfung im Geist<br />
Die alles beleben<strong>de</strong> <strong>und</strong> erneuern<strong>de</strong> Kraft, die unentwegt die ganze Schöpfung ihrer ver-<br />
klärten Vollgestalt entgegenführt, ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilige Geist. Nicht an<strong><strong>de</strong>r</strong>s verhält es sich auch<br />
<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Basilius-Liturgie heißt es im zweiten Gebet für die Gläubigen:<br />
Stärke uns zu diesem Dienst durch die Kraft De<strong>in</strong>es Heiligen Geistes. Lege <strong>in</strong> unseren<br />
M<strong>und</strong>, sobald wir ihn öffnen, e<strong>in</strong> Wort, um die Gna<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligen Geistes auf die<br />
Gaben herabzurufen, die wir Dir jetzt darbr<strong>in</strong>gen.<br />
Der Heilige Geist läßt uns <strong>de</strong>n tiefen S<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Offenbarung <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschensohnes begrei-<br />
fen, <strong>de</strong>nn se<strong>in</strong> heiligen<strong><strong>de</strong>s</strong> Wirken, die Voraussetzung für je<strong><strong>de</strong>s</strong> Werk, läßt alles zu e<strong>in</strong>er<br />
Christophanie, zur Ersche<strong>in</strong>ung Christi wer<strong>de</strong>n. Er »brütete« über <strong>de</strong>m Abgr<strong>und</strong>, um dar-<br />
aus die Er<strong>de</strong> erstehen zu lassen, <strong>de</strong>n Ort <strong><strong>de</strong>r</strong> Inkarnation. Das ganze Alte Testament ist<br />
e<strong>in</strong> Vor-Pentekoste, <strong>de</strong>nn es weist auf <strong>de</strong>n verheißenen Messias h<strong>in</strong>. Der Geist steigt auf<br />
Maria herab, bil<strong>de</strong>t aus ihr die Theotokos <strong>und</strong> offenbart Jesus als <strong>de</strong>n Christus, <strong>de</strong>n Ge-<br />
salbten. Aus <strong>de</strong>n Feuerzungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligen Geistes wird die Kirche geboren, <strong><strong>de</strong>r</strong> Leib<br />
Christi. Durch das Geschenk <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligen Geistes wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Getaufte zu e<strong>in</strong>em Glied<br />
Vgl. hierzu M. Schnei<strong><strong>de</strong>r</strong>, Leben aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Fülle <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligen Geistes. Standortbestimmung Spiritualität heute, St.<br />
Ottilien 1997, 26-33.<br />
17
Christi. So erneuert <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilige Geist als <strong><strong>de</strong>r</strong> göttliche Ikonograph das Angesicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Er-<br />
<strong>de</strong>. Der Heilige Geist baut die Schöpfung zu e<strong>in</strong>em »Tempel« auf, <strong><strong>de</strong>r</strong> von <strong><strong>de</strong>r</strong> Schönheit<br />
Gottes Zeugnis ablegt, wie sie <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Theologie <strong><strong>de</strong>s</strong> Bil<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Ikone zum Ausdruck<br />
gebracht wird.<br />
Auch wenn <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilige Geist die ganze Schöpfung <strong>und</strong> das Leben <strong><strong>de</strong>s</strong> Glauben<strong>de</strong>n trägt<br />
<strong>und</strong> mit sich erfüllt, ist er nicht offenk<strong>und</strong>ig, vielmehr verbirgt er im Gegensatz zu Vater<br />
<strong>und</strong> Sohn se<strong>in</strong> persönliches Antlitz: »Er ist <strong>in</strong> uns, ohne unsere Stelle e<strong>in</strong>zunehmen; er<br />
glaubt, betet, hofft <strong>und</strong> liebt <strong>in</strong> uns so, daß er es uns 'vormacht' <strong>und</strong> 'vorsagt', es uns<br />
überhaupt erst ermöglicht; aber zugleich s<strong>in</strong>d wir es, die glauben, beten, hoffen <strong>und</strong><br />
30 lieben.« Der Heilige Geist führt unmittelbar <strong>in</strong> das göttliche Leben <strong>in</strong> Christus e<strong>in</strong>, <strong>und</strong><br />
alles <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Neuschöpfung trägt die »Handschrift« <strong><strong>de</strong>r</strong> dritten Person, aber er selbst bleibt<br />
h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>er Gabe verborgen <strong>und</strong> kann mit ihr verwechselt wer<strong>de</strong>n. Die Offenbarung sei-<br />
nes Antlitzes erfolgt erst am En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeiten, wenn das Werk <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiligen Geistes voll-<br />
31<br />
en<strong>de</strong>t ist, nämlich die Schöpfung <strong>in</strong> Christus zur Lebensfülle Gottes zu führen.<br />
Der neue Gottesdienst ist die Gegenwart Gottes <strong>in</strong> Se<strong>in</strong>em Geist, <strong><strong>de</strong>r</strong> unter <strong>de</strong>n Men-<br />
schen wirkt <strong>und</strong> sie um das Opferlamm versammelt. Im Augenblick <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie durch-<br />
dr<strong>in</strong>gt die himmlische Welt die Zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er apokalyptischen Weise. Der empfangen<strong>de</strong><br />
Mensch ist aufgefor<strong><strong>de</strong>r</strong>t, das Empfangene durch se<strong>in</strong> ganzes Wesen <strong>und</strong> mit <strong><strong>de</strong>r</strong> ganzen<br />
Welt darzubr<strong>in</strong>gen. Dieses Darbr<strong>in</strong>gen zeigt sich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> kirchlichen Symbolik. Die Symbo-<br />
lik ist die Sprache <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche zwischen Kreuz, Auferstehung <strong>und</strong> Parusie; sie versucht,<br />
die Herrlichkeit im voraus abzubil<strong>de</strong>n, die bereits <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit schon erschienen <strong>und</strong> unter<br />
uns gegenwärtig ist.<br />
Dieses Verständis wen<strong>de</strong>t sich gegen das säkulare Natur- <strong>und</strong> Weltverständnis, das<br />
D<strong>in</strong>ge - selbst geheiligte - nur zu e<strong>in</strong>em Zweck braucht <strong>und</strong>, wenn dieser erfüllt ist, weg-<br />
wirft. Schon vor <strong>de</strong>m stärkeren E<strong>in</strong>setzen <strong><strong>de</strong>r</strong> Diskussion um das Verhalten <strong><strong>de</strong>s</strong> mo<strong><strong>de</strong>r</strong>-<br />
nen Menschen zur Umwelt <strong>und</strong> bevor Theologen im Westen die ökologische Problematik<br />
32<br />
<strong>de</strong>utlich wur<strong>de</strong>, haben orthodoxe Theologen von ihrer Pneumatologie <strong>und</strong> von ihrer<br />
»eucharistischen Schau <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt« her auf das Unnatürliche im Verhalten <strong><strong>de</strong>s</strong> mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen,<br />
von <strong><strong>de</strong>r</strong> westlichen Zivilisation bestimmten Menschen zur Umwelt gewiesen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m-<br />
gegenüber die »kosmisch-eschatologische Dimension« <strong><strong>de</strong>r</strong> Eucharistie hervorgehoben,<br />
wie sie auch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Theologie <strong><strong>de</strong>r</strong> Ikone <strong>und</strong> nicht zuletzt im Lobpreis <strong><strong>de</strong>r</strong> Musik sichtbar<br />
wird, <strong>de</strong>nn diese ist selbst e<strong>in</strong>e kl<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> Ikone.<br />
30<br />
31<br />
32<br />
M. Kunzler, Die Liturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche (Amateca X). Pa<strong><strong>de</strong>r</strong>born 1995, 87.<br />
Vgl. hierzu W. Nyssen, Die Spiritualität <strong><strong>de</strong>r</strong> orthodoxen Kirche, <strong>in</strong>: Pastoralblatt... 34 (1982) 258-264.<br />
C. Yannaras, Der Heilige Geist als befreien<strong>de</strong> Kraft (Vortrag auf Kreta am 18.-25. Oktober 1979; zit. K.C. Felmy,<br />
Orthodoxe Theologie. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Darmstadt 1990, 137ff.).<br />
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7. Liturgie als Dogma im Lobpreis <strong><strong>de</strong>r</strong> Musik<br />
Die byzant<strong>in</strong>ische Spiritualität ist e<strong>in</strong>e Spiritualität <strong><strong>de</strong>r</strong> Ikone <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Spiritualität <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Hymnus. Nicht nur die christliche Architektur, auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Gesang ist an <strong><strong>de</strong>r</strong> Synagoge<br />
ausgerichtet. Von <strong><strong>de</strong>r</strong> Synagoge wird das hymnodische S<strong>in</strong>gen übernommen. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Syn-<br />
agoge wer<strong>de</strong>n von Anfang bis heute ausgewählte Psalmverse <strong>und</strong> gelegentlich mal<br />
kurze, ganze Psalmen verwen<strong>de</strong>t, wenn sie zu e<strong>in</strong>em Fest passen; sonst besteht <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
synagogale Gottesdienst aus Lesungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Hl. Schrift, aus Gebeten <strong>und</strong> Hymnen. Das<br />
Christentum übernimmt diese Ordnung, entfaltet aber als frühe Frucht christlichen<br />
Geistes die syrische Hymnodie, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich bald die koptische, die kle<strong>in</strong>asiatisch griechische<br />
<strong>und</strong> die römisch late<strong>in</strong>ische Hymnodie anschließen. Am Beg<strong>in</strong>n steht <strong><strong>de</strong>r</strong> Hymnus. Der<br />
Psalter f<strong>in</strong><strong>de</strong>t erst im vierten Jahrh<strong>und</strong>ert durch das Mönchtum E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> <strong>de</strong>n christli-<br />
chen Gottesdienst; die Heimstätte <strong><strong>de</strong>s</strong> Psalters ist Ägypten. Die Syrer schenken <strong>de</strong>m<br />
Christentum die Hymnodie, die Ägypter die Psalmodie, <strong>und</strong> aus bei<strong>de</strong>n leben wir heute.<br />
Das Ursprüngliche ist aber <strong><strong>de</strong>r</strong> Hymnus. Warum wur<strong>de</strong> im vierten Jahrh<strong>und</strong>ert <strong><strong>de</strong>r</strong> Psal-<br />
ter e<strong>in</strong>geführt, wenn schon e<strong>in</strong> hymnisches Repertoire vorlag? Die Antwort f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ause<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong>setzungen zwischen Christentum <strong>und</strong> Gnositzismus. Gegenüber <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Gnosis, die es auch im Christentum - beispielsweise bei Paulus - gibt, vernachlässigt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Gnostizismus die Praxis <strong><strong>de</strong>r</strong> Liebe. In <strong>de</strong>n Ause<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong>setzungen schien es so, daß die<br />
Gnostiker die reichere künstlerische <strong>und</strong> dichterische Potenz hätten. Der Kampf wur<strong>de</strong><br />
also auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Ebene <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie, <strong><strong>de</strong>r</strong> Dichtung <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Musik geführt, nicht auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Ebene<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> theologischen Traktate, die es so noch nicht gab. Theologischer Traktat, Dichtung<br />
<strong>und</strong> Liturgie waren vielmehr e<strong>in</strong> <strong>und</strong> dasselbe: Die großen Dichter waren große Musiker<br />
<strong>und</strong> große Theologen. Wie sehr die Gnostiker die Dimension <strong><strong>de</strong>s</strong> Geschichtlichen ganz<br />
außer acht lassen <strong>und</strong> sich nur <strong>de</strong>m ewigen Se<strong>in</strong> zuwen<strong>de</strong>n, zeigt sich dar<strong>in</strong>, daß viele<br />
gnostische Hymnen gar nicht Tod <strong>und</strong> Auferstehung Jesu erwähnen <strong>und</strong> als unbe<strong>de</strong>u-<br />
tend weggelassen wer<strong>de</strong>n. Da man mit Recht befürchtete, daß über die Hymnen gno-<br />
stisches Gedankengut <strong>in</strong> das Christetum e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gt, entschloß man sich zu e<strong>in</strong>em Verbot<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Hymnen. Dieses Verbot ist zu e<strong>in</strong>em nicht feststellbaren Datum ausgesprochen<br />
wor<strong>de</strong>n, das wir aber nicht kennen, da ke<strong>in</strong>e Akten <strong>und</strong> Unterlagen vorliegen. Es muß<br />
anfänglich schon um die Zeit zwischen 200 <strong>und</strong> 250 gewesen se<strong>in</strong>, daß das Verbot<br />
ausgesprochen wor<strong>de</strong>n ist.<br />
Der Hymnus ist nicht bloß e<strong>in</strong> feierlicher Gesang, vielmehr kommt <strong>in</strong> ihm die ganze<br />
christliche Existenz zum Ausdruck, wie es <strong><strong>de</strong>r</strong> Apostel <strong>in</strong> Eph 5,19-20 selber sagt:<br />
»Sprecht e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> Psalmen, Hymnen <strong>und</strong> geisterfüllten Lie<strong><strong>de</strong>r</strong>n zu, s<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> preist<br />
<strong>de</strong>m Herrn <strong>in</strong> euren Her-zen, sagt Gott <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Vater allezeit Dank für alles im Namen<br />
unseres Herrn Jesus Christus.« He<strong>in</strong>rich Schlier schreibt zu Eph 1,3-14: »Die Eulogie ist<br />
Antwort auf die Offenbarung <strong><strong>de</strong>s</strong> Mysteriums, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Gottes retten<strong>de</strong> Taten präsent<br />
wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> ersche<strong>in</strong>en. Das Mysterium erweckt selbst als die Epiphanie Gottes se<strong>in</strong>en<br />
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33<br />
Lobpreis.« Emmanuel Jungclaussen <strong>de</strong>f<strong>in</strong>iert die byzant<strong>in</strong>ische Hymnodie als jene Form<br />
<strong><strong>de</strong>s</strong> Gesangs, »die mit allen Elementen <strong><strong>de</strong>s</strong> Dichterischen als kün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Preisung <strong>und</strong> er-<br />
wecken<strong>de</strong> Predigt im Kult <strong>de</strong>m Mitfeiern<strong>de</strong>n die lebendige Erfahrung <strong><strong>de</strong>s</strong> Mysteriums<br />
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ermöglichen will« . Ja, im Hymnos wird das Heil vergegenwärtigt <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> gläubig versam-<br />
melten s<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>n Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>.<br />
Über die <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Musik für <strong>de</strong>n ostkirchlichen Glaubensweg f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich e<strong>in</strong> wich-<br />
tiges Zeugnis bei Basilius. Ihm geht es um die Zuordnung von Logos <strong>und</strong> Melos, die <strong>in</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Ostkirche</strong> bis heute dar<strong>in</strong> ihren Ausdruck f<strong>in</strong><strong>de</strong>t, daß es ke<strong>in</strong>en gesprochenen Got-<br />
tesdienst gibt; <strong><strong>de</strong>r</strong> Gottesdienst ist bis heute re<strong>in</strong> vokal, Instrumentalmusik wird abge-<br />
lehnt. Die Musik selber gilt aber nicht bloß als ancilla verbi, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n als soror et coo-<br />
porator verbi, auxiliatrix et <strong>in</strong><strong>de</strong>pen<strong>de</strong>ns. Basilius schreibt:<br />
33<br />
34<br />
Weil <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilige Geist wußte, daß es so schwer ist, die Menschen zur Tugend zu füh-<br />
ren <strong>und</strong> wir bei unserer Neigung zum Vergnügen <strong>de</strong>n richtigen weg vernachlässigen,<br />
was macht er? Er mischt zum Worte die Süße <strong><strong>de</strong>r</strong> Melodie, damit wir zusammen mit<br />
<strong>de</strong>m für das Gehörangenehmen Wohlklang unmerklich auch das empfangen, was im<br />
Worte <strong><strong>de</strong>r</strong> Nutzen ist. Eben für diesen Zweck s<strong>in</strong>d für uns die Gesänge <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche<br />
erf<strong>und</strong>en wor<strong>de</strong>n.<br />
Zwei H<strong>in</strong>weise s<strong>in</strong>d an diesem Text von beson<strong><strong>de</strong>r</strong>er <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong>: die Präpon<strong><strong>de</strong>r</strong>anz <strong><strong>de</strong>s</strong><br />
Wortes über die Musik <strong>und</strong> die Süße <strong><strong>de</strong>r</strong> Musik. »Süße« me<strong>in</strong>t, daß dieser Überbr<strong>in</strong>gung<br />
nicht abstrakt geschieht, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n durch die S<strong>in</strong>ne. Nihil est <strong>in</strong> <strong>in</strong>tellectu quod non fuerat<br />
<strong>in</strong> sensu, heißt ostkirchlich <strong>und</strong> patristisch: <strong>in</strong>tellectus non <strong><strong>de</strong>s</strong>cendit <strong>in</strong> cor nisi per<br />
sensum. Die Musik gilt als Vehikulum <strong><strong>de</strong>s</strong> s<strong>in</strong>ntragen<strong>de</strong>n Wortes, ohne aber selbst <strong>de</strong>n<br />
S<strong>in</strong>n zu enthalten, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n überbr<strong>in</strong>gt sie ihn durch das Gehör <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen, wo es zur<br />
Empfängnis <strong><strong>de</strong>s</strong> Wortes kommt, ähnlich wie Maria durch das Ohr <strong>de</strong>n Logos empfangen<br />
hat.<br />
In <strong><strong>de</strong>r</strong> Rückschau läßt sich über die <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>n <strong>Reichtum</strong>s <strong><strong>de</strong>r</strong> orthodoxen<br />
Rituale festhalten, daß sie letztlich alle e<strong>in</strong>e Auslegung <strong><strong>de</strong>s</strong> gläubigen Verständnisses <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Schöpfung s<strong>in</strong>d. Diese ist nie nur »Welt«, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n »Kosmos«, von Gott geliebt <strong>und</strong> ge-<br />
schaffen, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Sohn erneuert <strong>und</strong> geheiligt. Die neue Schöpfung <strong>in</strong> Christus erhält<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ritualien e<strong>in</strong>e authentische Auslegung, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Feier <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie, aber<br />
auch <strong>in</strong> zahlreichen alltäglichen Vollzügen, von <strong>de</strong>nen kaum die Re<strong>de</strong> se<strong>in</strong> konnte, ob-<br />
wohl ihnen konkreten Leben <strong><strong>de</strong>r</strong> Orthodoxen e<strong>in</strong>e zentrale <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> zukommt. In <strong>de</strong>n<br />
Ritualen <strong><strong>de</strong>r</strong> Sakramente <strong>und</strong> Sakramentalien nimmt die Kirche die kommen<strong>de</strong> Verherr-<br />
lichung <strong><strong>de</strong>r</strong> Kreatur voraus <strong>und</strong> gibt <strong>de</strong>n D<strong>in</strong>gen jene wahre, echte Gestalt, die sie nach<br />
<strong>de</strong>m Willen Gottes haben sollen. Dieses Geheimnis enthüllt sich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Endzeit, <strong>und</strong> zwar<br />
so, daß alles »göttlicher Bereich« ist. Im neuen Äon wird alles e<strong>in</strong>e universale Eucharistie<br />
H. Schlier, Der Brief an die Epheser. Düsseldorf 1958, 42.<br />
E. Jungclaussen, Marienverehrung im östlichen Christentum, <strong>in</strong>: W. Be<strong>in</strong>ert (Hg.), Maria heute ehren. Freiburg-<br />
Basel-Wien 1979, 53f.<br />
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se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn alles, was schon hier mit uns <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung steht <strong>und</strong> unser Leben ausmacht,<br />
wird <strong>in</strong> Christus verklärt <strong>und</strong> vollen<strong>de</strong>t se<strong>in</strong>.<br />
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