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Seite 16 18Jg. Heft 3 September 1995<br />
6. Kriterien rehabilitativer Entwicldungsreteva~~<br />
Ais den dargelegten allgemeinen entwicklungsstrukturellen<br />
Leitzielen fŸ eine pragmatische Grundbeddrfhisorientierung,<br />
die sich gegenwarts- und zukunftsbezogen auf<br />
rehabilitative Entwicklungszusmmenarbeit erstreckt, soll<br />
im folgenden das Kriterium der Entwicklungsrelevanz an<br />
ausgewfilten Aspekten konkretisiert werden.<br />
6. l Nirgendwo tritt der sich wechselseitig bedingende<br />
Doppelcharakter von Behinderung als individuelle Schadigung<br />
und gesellschaftliches Produkt so deutlich zutage, wie<br />
in den Annutsbereichen der ,,Dritten Welt". Zwar leiden in<br />
allen sozialen Schichten Familien, wenn sich ihr Kind nicht<br />
erwartungsgemtifl entwickelt oder ein Angeh6riger von Behinderung<br />
betroffen ist, aber in den Amutsbereichen kumulieren<br />
die SchSdigungsfaktoren in einem bio-sozialen Proze§<br />
Denn zu den Hauptursachen von Krankheit und Behinderung<br />
zahlen hier armutsbedingt: katastrophale wohnhygienische<br />
Verh#ltnisse, schlechte Trinkwasserversorgung<br />
und durch Mangelernfihrung hervorgerufene extreme Ernahrungsst6nmgen.<br />
Diese reduzieren die Widerstandsmfte und<br />
fuhren insbesondere bei Kindern zu gravierenden Etitwick-<br />
Iimgssthngen mit somatischen, psychischen und kognitiven<br />
Folgewirkungen. Zudem fŸhr die inferiore Stellung der<br />
Frau in patriarchalischen Mangelgese11~chaften dazu, daÂ<br />
generative Verhalten, da bei vfllligem Fehlen von garantierten<br />
Sozialleistungssysteinen nur Ÿberlebend Kinder die<br />
Versorgung der Eltern È Falle von Krankheit und Alter siehern<br />
kennen. Von daher wird einsichtig, da Behindertenarbeit<br />
sich nur dann als entwicklungsrelevant erweist, wenn<br />
sie von einem ganzheitlichen präventive und rehabilitativen<br />
Konzept ausgeht, das die ,,basic needs" der von Behinderung<br />
bedrohten und betroffenen unterprivilegierten Massen<br />
erreicht. Demgern35 gilt, da alles, was geeignet ist,<br />
grundbedŸrfhisbezoge Armut und Unwissenheit zu minimieren,<br />
auch geeignet ist, Behinderung zu Ÿberwinden Es<br />
gilt also auf dem Gebiet der Zusammenarbeit im Behindertenwesen<br />
eine Doppelstrategie zu verfolgen: Rehabilitation<br />
durch angemessene medizinische Versorgung und unmittelbare<br />
annutsverrnindernde Hilfe unter Einbezug der Aktivienmg<br />
<strong>des</strong> Selbsthilfepotentials und zugleich medizinische<br />
Pi%vention zur Vermeidung von Behinderung sowie sozialkulturelle<br />
,,Enthinderung".<br />
6.2 Au fgrund der existenzbedrohenden Amiutssituation<br />
ist Behinderung in Entwicklungslbdern ein zentrales Problem<br />
fŸ eine Vielzahl von Menschen, die direkt oder indirekt<br />
von ihr betroffen sind und nicht ein relatives Randproblem<br />
wie dies in den Industriel#ndern der Fall ist. Diese<br />
Gegebenheit legitimiert Entwicklmgszusamenarbeit bei<br />
kritischen Bedenken, die nach Griinden gerade<br />
fü eine Schwerpunktsetzung im Behindertenbereich<br />
fragen. Angesichts der Tatsache, da die<br />
vitalen Lebensrisiken und die soziale Existenz<br />
in der Annutssituation der ,,Dritten Welt" sozialrechtlich<br />
v6llig ungesichert sind, bedeutet das<br />
Betroffensein von Behinderung eine weitere gravierende<br />
Erschwerung <strong>des</strong> Existenzkampfes.<br />
Zudem zerbricht durch den gesellschaftlichen<br />
Wandel die Groflfamilie, die ehedem aufgrund<br />
sozialer Reziprozitgt als soziales Netz fü alte,<br />
kranke und behinderte Angehurige fungierte. Sozial-tikonomische<br />
Probleme in den kindlichen<br />
Regionen, die durch traditionelle lokale Macht-<br />
~trukturen der Ausbeutung und Entrechtung gekennzeichnet<br />
sind, fŸhre zur Migration in die<br />
urbanen Zentren. Hier entstehen Kemfamilien,<br />
die ohne den Schutz <strong>des</strong> go§famili@e Zusamtnenhalts,<br />
zumal unter den Existenzbedingungen<br />
der st3dtischen Slums, in ihrer ~solierung vielsie<br />
nicht nur diskriminiert wird, sondern da Bltigen Risiken ausgeliefert sind. Mit der Isolierung und<br />
ihr auch, wie dies etwa in Indien der Fall ist dem Zerbrechen traditioneller Geselbchaftsmuster, die ge-<br />
(vgl. Wilken U. Wilken 1987), nur ein gerin- eignet waren, das oberleben in einer Mangelgesellschaft<br />
gerer Anteil an der Farnitienemtihrung zuge- zu optimieren, erfolgt eine Abkoppelung und zunehmende<br />
standen wird. Entsprechend hhfiger leiden Frauen unter Entfremdung vom sozial-kulturellen Erbe, Generationen<br />
noch mrkerer Untererniihrung mit gravierenden Auswirkun- Ÿberdauernde Persistieren in Elendsstruktliren fŸhr ober<br />
gen filr die Nachkommen. Fetale Mangelernghrung, Anamie soziale Entwurzelung und Kompetenzdeprivation zu<br />
bei Mutter und Kind wirken sich auf die Himreifung aus IdentittitsbrŸcken Wo Ober Generationen hin Leben auf<br />
und fŸhre bei fortbestehender Untererntihrung w3hrend der schieres Überlebe reduziert ist, nimmt es nicht wunder,<br />
S$iuglingszeit zu schwerwiegenden k6rperlichen und gei- wenn elementarste Zusammenhge etwa ,,zwischen saustigen<br />
Beeintrkhtigungen. Dieser bio-soziale ProzeB, der berem Wasser, sanit3ren Hygiene und Gesundheit" nicht<br />
aufgrund ungerechter sozial-kultureller Strukturen, von mehr bewu§ sind (vg!. Dohnanyi i991).<br />
Hunger, Krankheit, Obdachlosigkeit und Unwissenheit zu Wie sehr auch immer im internationalen entwicklungseiner<br />
hohen Sterblichkeitsrate fuhrt, bedingt wiederum das theoretischen Dialog dependenztheoretische und modere<br />
Titelbild einer<br />
mosambikan~schen<br />
Zeitschr#