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Klaus-Peter Willsch<br />
Mitglied <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages<br />
Obmann <strong>de</strong>r CDU/CSU-Fraktion im<br />
Haushaltsausschusses<br />
Klaus-Peter Willsch, MdB • Platz <strong>de</strong>r Republik 1 • 11011 Berlin<br />
An <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten<br />
<strong>de</strong>r Europäischen Kommission<br />
Herrn José Manuel Durão Barroso<br />
Rue <strong>de</strong> la Loi 200<br />
B-1049 Brüssel<br />
Büro Berlin<br />
Platz <strong>de</strong>r Republik 1<br />
11011 Berlin<br />
Paul-Löbe-Haus<br />
Raum 6.239<br />
Telefon 030 227 – 73 124<br />
Fax 030 227 – 76 124<br />
E-Mail:<br />
klaus-peter.willsch@bun<strong>de</strong>stag.<strong>de</strong><br />
Wahlkreis Rheingau-Taunus / Limburg<br />
Hirsenstraße 13<br />
65329 Hohenstein-Holzhausen<br />
Telefon 06120 91 00 51<br />
Fax 06120 91 00 52<br />
E-Mail:<br />
klaus-peter.willsch@wk.bun<strong>de</strong>stag.<strong>de</strong><br />
Berlin, <strong>de</strong>n 25.05.2010<br />
Ihr Interview in <strong>de</strong>r heutigen FAZ vom 25.05.2010<br />
Sehr geehrter Herr Barroso,<br />
Ihr Interview in <strong>de</strong>r heutigen FAZ kann nicht unbeantwortet bleiben. Zum besseren Verständnis<br />
füge ich Ihnen meine Grün<strong>de</strong> zur Ablehnung <strong>de</strong>s Griechenland-Bailouts und <strong>de</strong>s 750 Milliar<strong>de</strong>n-<br />
„Rettungsschirmes“ bei.<br />
Mir scheint, dass Ihre Brüsseler o<strong>de</strong>r Lissabonner Perspektive auf unser Land doch in einigen<br />
Dingen ein Zerrbild erzeugt hat. Wir sind <strong>de</strong>m von Ihnen eingefor<strong>de</strong>rten Volksbildungsauftrag in<br />
Sachen Vorteilhaftigkeit <strong>de</strong>r gemeinsamen Währung für die <strong>de</strong>utsche Volkswirtschaft intensiv<br />
nachgekommen.<br />
Nicht umsonst hatten wir bei Europawahlen im europäischen Vergleich Wahlbeteiligungen im<br />
oberen Bereich. Vor allem aber hatten Europakritiker bei <strong>de</strong>n Wahlen zum Europäischen<br />
Parlament in unserem Land nie eine Chance: Gera<strong>de</strong> einmal 7,5% für die Neo-Kommunisten bei<br />
<strong>de</strong>r Europawahl 2009 markieren hier <strong>de</strong>n Höchstwert, das sah in vielen an<strong>de</strong>ren<br />
Mitgliedsstaaten <strong>de</strong>utlich an<strong>de</strong>rs aus. Ihre Einschätzung, dass es in unserem Land „nicht genug<br />
kraftvolle Stimmen gab, die <strong>de</strong>r Öffentlichkeit erklärt hätten, wie wichtig es für Deutschland ist,<br />
<strong>de</strong>n Euro zu haben“, <strong>de</strong>ckt sich nicht mit <strong>de</strong>r Realität.<br />
Grund für <strong>de</strong>n hohen I<strong>de</strong>ntifikationsgrad mit <strong>de</strong>r europäischen Einigung war aber nicht nur die<br />
Sehnsucht nach einer dauerhaften Frie<strong>de</strong>nsordnung nach einem Jahrhun<strong>de</strong>rt schrecklicher<br />
Kriege in Europa. Wir haben auf die Verträge vertraut und auf die Kommission als Hüterin <strong>de</strong>r<br />
Verträge. O<strong>de</strong>r aber zumin<strong>de</strong>st auf die Entschlossenheit unserer eigenen Regierung, mittels <strong>de</strong>s<br />
Einstimmigkeitsprinzips bei grundlegen<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Verfasstheit <strong>de</strong>r Europäischen
Klaus-Peter Willsch<br />
Mitglied <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages<br />
- 2 -<br />
Union einer schleichen<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rung in einem Sinne, <strong>de</strong>n die Deutschen und ihr Parlament<br />
nicht wollen, kraftvoll entgegenzutreten.<br />
Dieses Vertrauen ist durch die Ereignisse <strong>de</strong>s Krisengipfels am zweiten Mai-Wochenen<strong>de</strong><br />
zumin<strong>de</strong>st bei mir nachhaltig erschüttert. Erstens durch die handstreichartige Schaffung eines<br />
neuen Gemeinschaftsinstrumentes (60 Milliar<strong>de</strong>n Euro), welches das in <strong>de</strong>n Verträgen (Artikel<br />
125) enthaltene Verbot, dass ein Mitgliedsland für die Defizite <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren haftet („no-bailout“),<br />
aushebelt. Dass die für Naturkatastrophen, wie Erdbeben o<strong>de</strong>r ähnliches, im Artikel 122<br />
vorgesehene Ausnahmeregel einschlägig sein soll, wo wir doch über mutwillig herbeigeführte<br />
Haushaltsnotlagen o<strong>de</strong>r aktiv gefälschte Bilanzen vor Aufnahme in <strong>de</strong>n Euroraum re<strong>de</strong>n, hebt<br />
das Einstandsverbot faktisch auf und verän<strong>de</strong>rt die Europäische Union damit zu einer<br />
Sozialtransferunion.<br />
Dies ist durch die Verträge offenbar nicht ge<strong>de</strong>ckt, verstößt aus meiner Sicht aber auf je<strong>de</strong>m Fall<br />
gegen ihren Geist.<br />
Dass die Märkte „Staatsschul<strong>de</strong>n innerhalb einer Währungsunion unterschiedlich behan<strong>de</strong>lt<br />
haben“, was Sie beklagen, zeigt doch gera<strong>de</strong> die Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>s Euro trotz völlig<br />
unterschiedlicher volkswirtschaftlicher Entwicklungsstän<strong>de</strong> unserer 16 Eurolän<strong>de</strong>r. Durch das<br />
Vertrauen in das bail-out-Verbot haben sich unterschiedliche Zinssätze für verschie<strong>de</strong>ne<br />
Schuldnerstaaten herausgebil<strong>de</strong>t, die unterschiedliches Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit<br />
<strong>de</strong>r einzelnen Staaten wi<strong>de</strong>rspiegeln. Selbst unsere <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n in ihrer<br />
Bonität unterschiedlich behan<strong>de</strong>lt, und das ist marktgerecht und gut so!<br />
Zweitens ist mein Vertrauen erschüttert durch das Aufspannen <strong>de</strong>s gigantischen<br />
„Rettungsschirmes“ (750 Milliar<strong>de</strong>n Euro), <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n untauglichen Versuch darstellt, dauerhaft zu<br />
viel Verschuldung mit noch mehr Verschuldung zu bekämpfen.<br />
Recht geben muss ich Ihnen lei<strong>de</strong>r, wenn Sie monieren, dass 2003 und 2004 durch die<br />
Regierung Schrö<strong>de</strong>r/Fischer/Eichel gemeinsam mit Frankreich <strong>de</strong>r Versuch <strong>de</strong>r Kommission,<br />
„schärfere Sanktionen nach <strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>s Stabilitätspaktes zu verhängen“, gescheitert<br />
ist. Nur darf man daraus nicht die falschen Schlüsse ziehen.<br />
Wenn nunmehr in vielen europäischen Län<strong>de</strong>rn von Haushaltssanierung die Re<strong>de</strong> ist, so führt<br />
dies in die richtige Richtung und freut mich. Erlauben sie mir aber bitte <strong>de</strong>n Hinweis, dass ich<br />
meinen Wählern nur schwer vermitteln kann, dass entgegen <strong>de</strong>n Versprechen, die ihnen bei <strong>de</strong>r<br />
Aufgabe <strong>de</strong>r D-Mark und Einführung <strong>de</strong>s Euro gegebenen wur<strong>de</strong>n, nunmehr neben erheblichen<br />
Anstrengungen zur Konsolidierung <strong>de</strong>s eigenen Haushaltes auch noch Zusatzbelastungen aus<br />
<strong>de</strong>r Sanierung <strong>de</strong>r Haushalte von Partnerlän<strong>de</strong>rn treten.<br />
Mit Verlaub: Sie schreiben, dass „die Franzosen das Renteneintrittsalter erhöhen wollen“. Das<br />
ist auch an mein Ohr gedrungen. Wahr ist nach meiner Information aber auch, dass hier nur an
Klaus-Peter Willsch<br />
Mitglied <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages<br />
- 3 -<br />
eine Anhebung auf 41 Beitragsjahre zum Erhalt einer ungekürzten Rente gedacht wird, während<br />
man das Regeleintrittsalter wegen seines hohen Symbolgehaltes auf 60 Jahren belassen will.<br />
Wir haben unseren Beschäftigten schon <strong>de</strong>n Übergang auf 67 Jahre zugemutet.<br />
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: das kann die französische Politik regeln, wie sie es für<br />
richtig und in Frankreich durchsetzbar hält, ebenso wie je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re nationale Parlament in<br />
Europa. Nur müssen die Rechnungen für Haushalts<strong>de</strong>fizite an <strong>de</strong>r richtigen Adresse auflaufen.<br />
Meine Bun<strong>de</strong>skanzlerin und mein Finanzminister erhalten selbstverständlich Kopie dieses<br />
Schreibens. Auch dort wird man Ihre Skepsis gegenüber einer Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verträge besorgt<br />
zur Kenntnis nehmen. Im Rahmen <strong>de</strong>r Beratungen über <strong>de</strong>n 750-Milliar<strong>de</strong>n-Rettungsschirm in<br />
unserer CDUCSU-Fraktion war es nämlich ein wichtiges Argument zur Erlangung einer klaren<br />
Mehrheit für diese Maßnahme, dass wir die aktuelle Situation zu einer Schärfung <strong>de</strong>s<br />
Stabilitätspaktes nutzen wollen und wer<strong>de</strong>n. Dass dies nicht ohne Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verträge<br />
funktionieren wer<strong>de</strong>, war allgemeine Auffassung.<br />
Betonen möchte ich abschließend, dass es in Deutschland einen breiten Konsens zu einer engen<br />
europäischen Zusammenarbeit und zum Gemeinsamen Markt gibt. Gerne haben wir in <strong>de</strong>n<br />
zurückliegen<strong>de</strong>n Jahrzehnten <strong>de</strong>n größten Anteil an milliar<strong>de</strong>nschweren EU-Mitteln für<br />
Vorbeitrittshilfen und die verschie<strong>de</strong>nen Gemeinschaftsinstrumente zur<br />
Infrastrukturverbesserung o<strong>de</strong>r für verschie<strong>de</strong>nste Subventionen getragen. Wir wissen um die<br />
Vorzüge eines freien Welthan<strong>de</strong>ls, gera<strong>de</strong> auch im Sinne unserer starken Exportwirtschaft und<br />
ihrer zufrie<strong>de</strong>nen Kun<strong>de</strong>n.<br />
Aber wenn die Europäische Union zu einem Finanzausgleichssystem und einem<br />
Sozialtransferraum umgebaut wer<strong>de</strong>n soll, muss man dies bitte auch so ansprechen und<br />
versuchen, dafür Mehrheiten in Deutschland zu gewinnen. Wenn <strong>de</strong>r Versuch, im Schatten<br />
einer Wirtschafts- und Währungskrise die Verträge auf <strong>de</strong>n Kopf zu stellen, öffentlich kritisiert<br />
wird, hat dies nichts mit <strong>de</strong>m „intellektuellen Glanz <strong>de</strong>s Pessimismus“ zu tun, son<strong>de</strong>rn ist es <strong>de</strong>r<br />
Ruf nach Wahrhaftigkeit in <strong>de</strong>r Diskussion über die Zukunft Europas.<br />
Da ich unerschütterlicher Optimist bin, hoffe ich, dass Ihr ver<strong>de</strong>utlichen<strong>de</strong>s Interview und meine<br />
Replik darauf hierzu einen Beitrag leisten.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
gez.<br />
Klaus-Peter Willsch