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Thema Transitional Justice - juridikum, zeitschrift für kritik | recht ...

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thema<br />

hoffte, erhielt die Truth and Reconciliation Commission nur<br />

die Kompetenz, in besonderen Fällen und unter spezifischen<br />

Voraussetzungen von einer Strafverfolgung abzusehen. 9 Ihr<br />

Motto „Versöhnung durch Wahrheit“ schuf einen Weg, aber<br />

keinen Automatismus zum Verzicht auf Strafe in Form von<br />

vergeltender Ge<strong>recht</strong>igkeit.<br />

Aus der Geschichte des Freiheitskampfes geht aber klar<br />

hervor, dass retributive Ge<strong>recht</strong>igkeit bei sehr vielen zivilgesellschaftlichen<br />

Kräften eine zentrale Bedeutung einnahm.<br />

Diese hatten ihr eigenes „Ge<strong>recht</strong>igkeitssystem“, als Alternative<br />

zu den rassistischen gerichtlichen und polizeilichen<br />

Apartheidinstitutionen, geschaffen, um Sanktionsmöglichkeiten<br />

gegen wirkliche und vermeintliche Kollaborateure zu<br />

kontrollieren. Nach dem Ende der Apartheid erhofften sie sich<br />

eine Legitimation dieser „Volksgerichte“. Viele, vor allem jugendliche<br />

Kader aus dem Kreis der Comrades, ertrugen die<br />

hohen Verluste an Menschenleben, aber auch die mentalen<br />

und psychischen Kosten der permanenten Erniedrigungen<br />

und Diskriminierungen nur im Hinblick auf eine baldige Wendung<br />

des Blattes. Und darunter verstanden sie, wie zahlreiche<br />

SympathisantInnen im Ausland – beispielsweise der in der<br />

Präambel zitierte Bürger<strong>recht</strong>saktivist, Sozialphilosoph und<br />

Reggae-Star Mutabaruka – eine radikale Umverteilung von<br />

Sanktionsgewalt, Macht, Herrschaft und Besitzverhältnissen.<br />

Das belegt ein weiterer Textausschnitt aus dem eingangs zitierten<br />

Gedicht, der den Geist einer widerständigen, auf Abrechnung<br />

und Vergeltung drängenden Jugend <strong>recht</strong> zutreffend<br />

paraphrasieren sollte:<br />

Azania when? Who is enemy, who is friend?<br />

Azania plan, take back the lan’!<br />

And the time will come, when blacks will rule<br />

But will it be only a talk and a tool?<br />

Disguised in blackness doing his best<br />

Apartheid disguised in African blackness<br />

Mandela beware! Mind you share out we share! 10<br />

Angesichts solcher, nur allzu verständlicher Haltungen<br />

einer ansehnlichen Bevölkerungsgruppe bedurfte es schon<br />

eines sehr hohen Legitimationsaufwandes, um einen Transformationsprozess<br />

auf den umstrittenen Werten der Wahrheit<br />

und restaurativen Ge<strong>recht</strong>igkeit aufzubauen und durch die<br />

TRC umzusetzen. Der Königsweg zu diesem Ziel war die<br />

(Re)Konstruktion eines panafrikanischen Ge<strong>recht</strong>igkeitsbegriffs<br />

und der damit angeblich verwobenen Werte der Versöhnung,<br />

des Vorranges der Gemeinschaft vor den Rechten<br />

des Einzelnen, des sozialen Friedens vor dem Prinzip der<br />

„ge<strong>recht</strong>en Strafe“, der Menschenwürde, Solidarität und der<br />

kommunikativen Vernunft der Konsensorientierung. Für diese<br />

und ähnliche Dimensionen wurde ein afrikanischer Begriff<br />

gefunden: Ubuntu, den vor allem der von Nelson Mandela<br />

eingesetzte Vorsitzende der Wahrheitskommission, der ehemalige<br />

anglikanische Erzbischof Desmond Tutu, prägte: 11<br />

„Ubuntu says I am human only because you are human. If<br />

I undermine your humanity, I dehumanize myself. You must<br />

do what you can to maintain this great harmony, which is<br />

perpetually undermined by resentment, anger, desire for vengeance.<br />

That’s why African jurisprudence is restorative rather<br />

than retributive.“ 12<br />

4. Mission Impossible<br />

Von den vielen möglichen Lesarten dieser Konstruktion einer<br />

essentiell afrikanischen Rechtsprechung als restaurativ<br />

scheint mir jene am meisten argumentatives Gewicht zu besitzen,<br />

die auf den historischen und globalen Zusammenhang<br />

Bezug nimmt. Danach ging es den führenden ProponentInnen<br />

rund um Madiba („Vater der Nation“) Mandela nicht nur um<br />

den Aufbau einer neuen Gesellschaft aus einer der monströsesten<br />

Verzerrungen einer staatlichen sozialen Gemeinschaft,<br />

dem Afrikaander Apartheidstaat. 13 Sondern auch, und vielleicht<br />

sogar vor allem, um die Verbreitung einer nachhaltigen<br />

Botschaft an die Welt. Ihr Kern bestand in der Unhaltbarkeit<br />

jeglicher rassistischer Doktrinen, aber auch in den zu widerlegenden<br />

Thesen der westlichen Modernisierung, die sich um<br />

die Sprachspiele der Unterentwicklung ranken. Mit diesem<br />

„discourse of lack“ 14 wird so genannten „Entwicklungsländern“<br />

unter anderem vorgehalten, dass sie kein „richtiges“<br />

Recht (Rechtsstaatlichkeit oder rule of law), keine ordentliche<br />

Politik (Mehrparteiendemokratie) und Ökonomie (liberalisierte<br />

Marktwirtschaft) sowie wahre Religion (Christentum)<br />

besäßen. Nach zehn Jahren zurückgelegtem Weg zum Ziel<br />

dieser „Mission Impossible“ – einer Transformation des systematischen<br />

Menschen<strong>recht</strong>sverletzungsstaates zur „Regenbogennation“<br />

– sind die Erfolge jedoch unleugbar. 15 Auch<br />

wenn es nur wenige bemerken oder gar zugeben wollen, hat<br />

der <strong>recht</strong>lich verordnete Weg des Verstehens statt Rache, der<br />

Wiedergutmachung (Reparation) statt Vergeltung, des ubuntu<br />

statt <strong>recht</strong>licher Diskriminierung Rechtsgeschichte geschrieben.<br />

Im 200. Todesjahr von Immanuel Kant hat sich eine Gesellschaft<br />

vielleicht erstmals in der nicht besonders erfolgreichen<br />

Geschichte (seit) der Aufklärung ein Gesetz gegeben,<br />

das den kategorischen Imperativ von einem a priori der Moral<br />

auf das gesatzte Recht einer selbst gegebenen und demokratisch<br />

legitimierten Verfassung gestellt und in Folge von den<br />

tönernen Füßen des Sollens auf den harten Boden der Alltagsrealität<br />

„herab geholt hat“. 16 Ihr Terrain wurde zu einem Gutteil<br />

von der TRC und ihren Diskursen der Versöhnung auf der<br />

9) Durch den „Promotion of National Unity and<br />

Reconciliation Act“, Nr 34, der die TRC gegen<br />

Ende 1995 etablierte;<br />

www.doj.gov.za/trc/legal/act9534.htm.<br />

10) Mutabaruka, Beware, auf der CD Melanin<br />

Man, 1994 Revolver Records.<br />

11) Siehe dazu genauer Wilson, The Politics of<br />

Truth and Reconciliation in South Africa (2001)<br />

9-13.<br />

12) Desmond Tutu, Mail and Guardian vom<br />

17. März 1996.<br />

13) Allein die Selbstbezeichnung als „Afrikaander“<br />

enthüllt neben dem selbstgefälligen<br />

Pioniergeist auch den Versuch, den Titel der<br />

Okkupation durch ein ius solis zu legitimieren<br />

und sich so zu den besser und sogar einzig<br />

be<strong>recht</strong>igten Landherren zu machen.<br />

14) Vgl zu diesem Begriff: Nader, The Americanization<br />

of Law, in: Griffiths/K von Benda-<br />

Beckmann/F von Benda-Beckmann (eds), Mobile<br />

Law, Mobile Poeple (2005).<br />

15) Siehe dazu Sauer, 1994 – 2004: Zehn<br />

Jahre Freiheit in Südafrika (1994) 4, Indaba<br />

41/04.<br />

16) Dass diesem historischen Durchbruch<br />

nicht genügend Achtung geschenkt wird, hat<br />

wohl auch mit dem Krieg gegen den Terror und<br />

für die Beibehaltung der (gar nicht so) Neuen<br />

Weltordnung zu tun, die für entsprechende Ablenkung<br />

sorgt, vor allem auch weil dieser globale<br />

Feldzug schon rein statistisch klar für den<br />

exponentiellen Zuwachs an Terror sorgt, durch<br />

den er sich (zur Freude der Waffenindustrie) in<br />

einem Circulus vitiosus legitimiert.<br />

Seite 84 <strong>juridikum</strong> 2005 / 2

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