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Unser Gesundheitswesen braucht Qualitätstransparenz

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<strong>Unser</strong> <strong>Gesundheitswesen</strong> <strong>braucht</strong><br />

Qualitätstransparenz<br />

Kontakt<br />

Marion Grote Westrick<br />

Telefon +49 5241 81-81506<br />

Fax +49 5241 816-81506<br />

Marion.GroteWestrick@Bertelsmann.de<br />

Bertelsmann Stiftung<br />

Carl-Bertelsmann-Straße 256<br />

33311 Gütersloh<br />

www.bertelsmann-stiftung.de<br />

Transparenz für Bürger | Transparenz für Ärzte | Politik für Transparenz


Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Inhalt<br />

INHALT<br />

Vorwort<br />

Transparenz für Bürger<br />

• Arzt-Patienten-Gespräch: Transparenz beim Untersuchen<br />

und Behandeln<br />

• Nutzertypen: Wer sich wie informiert<br />

• Internet: Was kann es leisten?<br />

• Krankenhaus-Qualitätsberichte: Informieren, aber richtig!<br />

• Zertifikate: Qualität mit Brief und Siegel<br />

Transparenz für Ärzte<br />

• Vorbild Industrie: Qualitätsmanagement in Arztpraxen<br />

• Qualitätstransparenz in den USA: »Transparenz<br />

spornt Ärzte an«<br />

• Bezahlen nach Leistung: Gut für Qualität und Transparenz?<br />

Politik für Transparenz<br />

• Angebotsvielfalt: Wettbewerb ohne Transparenz?<br />

• Vertrauen in die Versorgung: Persönliche Erfahrung zählt<br />

• Qualitätstransparenz: Balance zwischen Wirkung<br />

und Nebenwirkung<br />

5<br />

8<br />

9<br />

18<br />

22<br />

28<br />

38<br />

46<br />

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56<br />

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80<br />

86


4 | 5 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Vorwort<br />

UNSER GESUNDHEITSWESEN<br />

BRAUCHT QUALITÄTSTRANSPARENZ<br />

Versuch und Irrtum ist ein bewährtes Verfahren, um Neues zu<br />

lernen oder Probleme zu lösen. Nur lässt es sich nicht überall<br />

anwenden: »Gesundheit ist ein zu hohes Gut, als dass man die<br />

Unterschiede im Leistungsspektrum und in der Qualität der<br />

Leistungserbringer als Patient ausschließlich durch Versuch<br />

und Irrtum herausfinden möchte«, betonte die ehemalige Verfassungsrichterin<br />

Renate Jaeger bereits 2003.<br />

Auch wenn sich gegenteilige Behauptungen hartnäckig halten:<br />

Qualität im <strong>Gesundheitswesen</strong> ist messbar. Struktur-, Prozessund<br />

Ergebnisqualität spielen dabei ebenso eine Rolle wie die<br />

unterschiedlichen Perspektiven von Patienten, Ärzten, Krankenhäusern,<br />

Krankenkassen und Politikern. Wenn Qualität erst<br />

einmal gemessen ist, dann sollte sie auch für Bürger transparent<br />

sein. In vielen Ländern gehören das Messen und Veröffentlichen<br />

von Qualität im <strong>Gesundheitswesen</strong> schon längst<br />

zum Alltag, in Deutschland hingegen noch nicht.<br />

Hier setzt die Arbeit der Bertelsmann Stiftung an. Mit ihren<br />

Projekten möchte die Bertelsmann Stiftung einen Beitrag für<br />

mehr Qualitätstransparenz im deutschen <strong>Gesundheitswesen</strong><br />

leisten. Dabei nimmt sie die Perspektive der Versicherten ein,<br />

die am wenigsten Einfluss haben, obwohl sie die wichtigste<br />

Gruppe darstellen: Als Beitragszahler finanzieren sie das<br />

Gesundheitssystem, und als Patienten nutzen sie es. Die Versicherten<br />

haben einen Anspruch zu erfahren, welche Qualität<br />

sie für ihre Beiträge erhalten.<br />

Bürger wollen Informationen<br />

über Qualität<br />

In diesem Heft möchten wir Qualitätstransparenz aus der<br />

Sicht der zentralen Beteiligten betrachten: Was wollen die<br />

Bürger? Was wollen die Ärzte, und was sollten sie tun? Was<br />

ist Aufgabe der Politik? Für Bürger ist Qualitätstransparenz<br />

im Arzt-Patienten-Gespräch zentral. Sie möchten wissen,<br />

ob es verschiedene Untersuchungs- und Behandlungsoptionen<br />

gibt, und sie wollen gemeinsam mit dem Arzt entscheiden.<br />

Viele Bürger suchen nach Informationen rund um das<br />

Thema Gesundheit. Für sie wird es zunehmend schwieriger,


6 | 7 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Vorwort<br />

zwischen objektiven Informationen und Werbung, zwischen<br />

unabhängigen und interessengeleiteten Informationsanbietern<br />

zu unterscheiden. Wo finden sie zuverlässige und verständliche<br />

Informationen? Erstaunlich ist, dass viele Informationen<br />

so präsentiert werden, als gäbe es nur den einen Informationssuchenden.<br />

Dabei sollten gut aufbereitete Informationen<br />

den Bedürfnissen unterschiedlicher Nutzertypen Rechnung<br />

tragen.<br />

Informationen müssen vertrauenswürdig sein. Wir gehen<br />

der Frage nach, wie Bürger die rasant wachsende Informationsquelle<br />

Internet nutzen und wie sie beurteilen können, ob das,<br />

was sie im Internet finden, tatsächlich vertrauenswürdig ist.<br />

Krankenhaus-Qualitätsberichte und Zertifikate sollten konkrete<br />

Informationen über die Qualität von Ärzten und Kliniken<br />

liefern. Doch entsprechen sie in ihrer gegenwärtigen Form<br />

dem Bedürfnis der Bürger nach verständlichen Qualitätsinformationen?<br />

Ärzte wollen durch Qualität<br />

überzeugen<br />

Qualitätstransparenz kommt nicht nur den Bürgern zugute.<br />

Auch Ärzte und andere Leistungserbringer profitieren davon:<br />

Arztpraxen, Medizinische Versorgungszentren und Krankenhäuser,<br />

die intern Transparenz schaffen, können ihre Qualität<br />

verbessern und nach außen für Patienten und Krankenkassen<br />

darstellen. »Wer durch Qualität überzeugen will«, so Renate<br />

Jaeger, »muss dafür sorgen, dass Qualitätsparameter auch die<br />

informierte Öffentlichkeit erreichen.« Internationale Erfahrungen<br />

zeigen, dass sich Leistungserbringer durch das Publizieren<br />

ihrer Qualitätsergebnisse sogar angespornt fühlen, noch<br />

besser zu werden. Vom Qualitätsmessen und Veröffentlichen<br />

ist es nur ein kleiner Schritt dahin, Arztpraxen und Krankenhäuser<br />

mit besseren Qualitätsergebnissen auch finanziell<br />

zu belohnen. Wir zeigen auf, welche Erfahrungen die USA<br />

und Großbritannien mit leistungsorientierter Vergütung im<br />

<strong>Gesundheitswesen</strong> bisher gemacht haben.<br />

Politik muss Qualitätstransparenz<br />

unterstützen<br />

Auf dem Weg zu mehr Qualitätstransparenz kommt dem Staat<br />

eine entscheidende Rolle zu: Er muss Rahmenbedingungen<br />

und Anreize so setzen, dass zuverlässige Qualitätsinformationen<br />

bereitgestellt werden. Das wird umso wichtiger, je mehr<br />

Versicherungs- und Versorgungsformen sich im Wettbewerb<br />

herausbilden. Denn bei wachsender Vielfalt brauchen die<br />

Bürger erst recht unabhängige, ausgewogene und verständliche<br />

Informationen, um eine überlegte Entscheidung treffen<br />

zu können. Dies gilt auch für Entscheidungen »hinter den<br />

Kulissen«, also zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen:<br />

Nur wenn Qualität gemessen wird und transparent ist,<br />

kann Qualität zum Vertragsgegenstand werden. Die vergangenen<br />

Gesundheitsreformen haben bereits erste Weichen für<br />

mehr Qualitätstransparenz gestellt.<br />

Transparenz fördert Qualität<br />

Wir meinen: Transparenz ist nicht nur notwendig, um Qualität<br />

im <strong>Gesundheitswesen</strong> darzustellen. Sie trägt vor allem zur<br />

stetigen Verbesserung der Patientenversorgung bei. Transparenz<br />

fördert die in den Gesundheitsprofessionen ohnehin<br />

verankerte Qualitätskultur, wie sie in Qualitätszirkeln oder<br />

in Initiativen zum Lernen aus Fehlern und Lernen von<br />

den Besten bereits gelebt wird. Der Staat muss gesetzliche<br />

Rahmenbedingungen deshalb so gestalten, dass Transparenz<br />

das Vertrauen, und nicht das Misstrauen, in die Qualitätskultur<br />

der medizinischen Profession stärkt. In einem transparenten,<br />

qualitätsorientierten <strong>Gesundheitswesen</strong> sollte es<br />

selbstverständlich sein, dass Zeit und Raum für Einfühlungsvermögen,<br />

Zugewandtheit und Umsicht gegenüber den<br />

Patienten und ihren Angehörigen vorhanden sind. Ziel aller<br />

Anstrengungen muss es letztlich sein, den Bürgern eine<br />

qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung mit<br />

den medizinisch notwendigen Leistungen zu sichern.<br />

Qualitätstransparenz trägt dazu entscheidend bei, nicht<br />

zuletzt, weil sie den Bürgern das für das <strong>Gesundheitswesen</strong><br />

nicht angemessene Verfahren von Versuch und<br />

Irrtum erspart.<br />

Dr. Brigitte Mohn<br />

Mitglied des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung<br />

Leiterin Themenfeld Gesundheit<br />

• Jaeger, R. (2003): Informationsanspruch des Patienten –<br />

Grenzen der Werbung im <strong>Gesundheitswesen</strong>. In:<br />

Medizinrecht, 5, 263–268.


8 | 9 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

TRANSPARENZ FÜR BÜRGER<br />

• Arzt-Patienten-Gespräch: Transparenz beim Untersuchen und Behandeln<br />

• Nutzertypen: Wer sich wie informiert<br />

• Internet: Was kann es leisten?<br />

• Krankenhaus-Qualitätsberichte: Informieren, aber richtig!<br />

• Zertifikate: Qualität mit Brief und Siegel<br />

ARZT-PATIENTEN-GESPRÄCH: TRANSPARENZ<br />

BEIM UNTERSUCHEN UND BEHANDELN<br />

Patienten von heute vertrauen ihrem Arzt nicht mehr blind. Sie wollen<br />

vielmehr wissen, welche Vor- und Nachteile einzelne Behandlungsmöglichkeiten<br />

mit sich bringen, um dann gemeinsam mit dem Arzt<br />

die Therapie festzulegen. Während Ärzte von ihren kommunikativen<br />

Fähigkeiten überzeugt sind, fühlen sich viele Patienten oft nicht ausreichend<br />

mit einbezogen und folgen deshalb nicht oder nur halbherzig<br />

den Ratschlägen und Verordnungen ihres Arztes. Verschiedene Informationsangebote<br />

helfen ihnen, sich in Gesprächen mit dem Arzt stärker<br />

einzubringen.<br />

Was Hippokrates in seinem Eid von angehenden<br />

Ärzten forderte, hatte 2.000 Jahre lang Bestand:<br />

»In wie viele Häuser ich auch kommen werde, zum<br />

Nutzen der Kranken will ich eintreten.« Doch die<br />

Zeiten haben sich geändert: In den 1960er Jahren<br />

kamen Zweifel auf, ob der Arzt allein immer beurteilen<br />

kann, was denn »zum Nutzen der Kranken«<br />

wirklich heißt. Schließlich entstand in den 90er<br />

Jahren das Modell des Shared Decision Making,<br />

zu Deutsch: partizipative Entscheidungsfindung.


10 | 11 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

um auch nur eine Stunde länger zu leben. Die<br />

meisten Patienten liegen zwischen diesen Extremen,<br />

so Sawicki. Wo sie liegen, muss der Arzt herausfinden.<br />

Bessere Behandlungserfolge<br />

mit Shared Decision Making<br />

Untersuchungen zeigen, dass Shared Decision<br />

Making auch medizinisch sinnvoll ist: Das gemein-<br />

Es fordert Ärzte und Patienten auf, in einem einvernehmlichen<br />

Miteinander zu klären, was zu tun ist.<br />

Die endgültige Entscheidung verbleibt natürlich bei<br />

dem Patienten – um ihn geht es, und er muss im<br />

Wesentlichen mit den Folgen einer erfolgreichen oder<br />

misslungenen Behandlung oder den Konsequenzen<br />

einer Nichtbehandlung zurechtkommen. Shared<br />

Decision Making soll vor allem dazu beitragen, dass<br />

die Position des Patienten gegenüber den medizinischen<br />

Experten gestärkt wird.<br />

In der Medizinsoziologie werden drei grundlegende<br />

Arzt-Patienten-Beziehungen unterschieden: Im<br />

paternalistischen Modell legt der Arzt alleine die<br />

Therapie fest und gibt dem Patienten nur so viele<br />

Informationen, wie er es für angemessen hält. Es<br />

kann also durchaus sein, dass ein paternalistischer<br />

Arzt seinem Patienten Informationen gezielt vorenthält<br />

– durchaus im guten Glauben, dass dies<br />

»zum Nutzen des Kranken« geschieht. Im informativen<br />

Modell zieht sich der Arzt auf die Funktion<br />

der Informationsbeschaffung zurück. Die Entscheidung<br />

über die Therapie liegt einzig und allein beim<br />

Patienten. Im Shared-Decision-Making-Modell<br />

dagegen entscheiden Arzt und Patient gemeinsam<br />

über Diagnostik und Therapie. Dabei macht der<br />

Arzt die Entscheidungsgrundlage für den Patienten<br />

transparent: Er klärt den Patienten nicht nur<br />

über die Vor- und Nachteile der möglichen Untersuchungen<br />

und Therapien auf, sondern er fragt<br />

auch nach den individuellen Bedürfnissen des<br />

Patienten.<br />

Und diese Bedürfnisse können ganz verschieden<br />

sein, wie etwa Peter Sawicki, Leiter des Instituts für<br />

Qualität und Wirtschaftlichkeit im <strong>Gesundheitswesen</strong><br />

(IQWiG), aus eigener Erfahrung weiß (Weymayr<br />

2006): Ein Mann mit Blutkrebs, der dank intensiver<br />

Therapie geheilt werden konnte, sagte einige Monate<br />

später zu ihm: »Wenn ich gewusst hätte, was ich<br />

dafür durchmachen muss, hätte ich die Therapie verweigert.«<br />

Ein anderer Mann dagegen, dem Sawicki<br />

nur geringe Hoffnung machen konnte, wollte die<br />

Therapie um jeden Preis – er war mit seiner Partnerin<br />

so glücklich, dass er alles unternommen hätte,<br />

same Beraten und Entscheiden mindert Angst und<br />

wirkt sich positiv auf den Behandlungserfolg und<br />

die Patientenzufriedenheit aus. Und die Compliance<br />

steigt, das heißt, der Patient trägt eine Therapie, für<br />

die auch er sich entschieden hat, eher mit – selbst<br />

wenn sie lästig, unangenehm oder sogar schmerzhaft<br />

ist. So wiesen Heidelberger Wissenschaftler in<br />

einer Studie nach, dass Patienten mit chronischen<br />

Faser-Muskel-Schmerzen nach einer gemeinsamen<br />

Entscheidungsfindung mit ihrem Arzt viel zufriedener<br />

waren und besser mit ihren Schmerzen umgehen<br />

konnten als Patienten, die ohne Informationen einfach<br />

nur behandelt worden waren, oder Patienten,<br />

die zwar besondere Informationen über ihre Erkrankung<br />

erhielten, aber trotzdem nicht in den


12 | 13 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Entscheidungsprozess einbezogen worden waren<br />

(Tuffs 2006).<br />

Im Shared Decision Making sind Ärzte und Patienten<br />

hinsichtlich der Auswahl einer Behandlung gleichberechtigte<br />

Partner. Informationen fließen in beide<br />

Richtungen. Beide Partner bringen ihre Entscheidungskriterien<br />

aktiv in den Abwägungsprozess ein<br />

und übernehmen gemeinsam die Verantwortung für<br />

die getroffene Entscheidung (Härter et al. 2005).<br />

Shared Decision Making folgt einem klaren Ablauf<br />

(Härter et al. 2005, Elwyn et al. 2005):<br />

1. Mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht<br />

2. Partizipative Entscheidungsfindung anbieten,<br />

Rollen klären und Gleichberechtigung der<br />

Partner formulieren<br />

3. Deutlich machen, dass verschiedene Wahlmöglichkeiten<br />

vorliegen<br />

4. Über die Wahlmöglichkeiten und ihre Vorund<br />

Nachteile informieren<br />

5. Verständnis der Optionen aus Sicht des Patienten<br />

rückmelden und weitere Optionen erfragen<br />

6. Ideen, Bedenken und Erwartungen des Patienten<br />

ermitteln<br />

7. Aushandeln<br />

8. Zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen<br />

9. Plan zur Umsetzung der Entscheidung<br />

festlegen<br />

Will man Shared Decision Making wirklich ernst<br />

nehmen, muss man auch fragen: Wollen Patienten<br />

überhaupt mitentscheiden? Vielleicht fühlen sie sich<br />

in der Obhut des Arztes ganz wohl und möchten<br />

sich gar nicht mit den Eventualitäten und Risiken<br />

der Verfahren auseinandersetzen? David Klemperer,<br />

Professor an der Fachhochschule Regensburg für<br />

Public Health, und Melanie Rosenwirth vom Zentrum<br />

für Sozialpolitik an der Universität Bremen gehen<br />

davon aus, dass Shared Decision Making »die Bedürfnisse<br />

vieler, aber nicht aller Patienten berücksichtigt.«<br />

Denn die einen wollen nur gut informiert sein,<br />

die anderen auch mitentscheiden.<br />

Jeder zweite Versicherte<br />

will gemeinsam mit dem<br />

Arzt entscheiden<br />

Ob und wie Shared Decision Making umgesetzt<br />

wird, darüber gibt der Gesundheitsmonitor der<br />

Bertelsmann Stiftung Auskunft: In den Jahren 2001<br />

bis 2006 fragte er Versicherte nach ihrem Bedürfnis<br />

mitzuentscheiden. Das Ergebnis war eindeutig<br />

[Abbildung 1]: 56 Prozent wünschen, dass der Arzt<br />

mit ihnen verschiedene Behandlungsoptionen diskutiert<br />

und dann beide eine Entscheidung treffen.<br />

23 Prozent überlassen die Entscheidung lieber dem<br />

Arzt, 18 Prozent wollen alleine bestimmen. Je höher<br />

die Schulbildung und je niedriger das Alter sind,<br />

desto deutlicher fällt das Votum für ein gemeinsames<br />

Vorgehen aus. Berücksichtigt man auch internationale<br />

Untersuchungen zu dieser Frage, kann als<br />

Faustregel gelten: Mehr als die Hälfte der Patienten<br />

möchte Shared Decision Making, je knapp ein Viertel<br />

will alleine bestimmen beziehungsweise gar nicht<br />

mitentscheiden.<br />

Die Zustimmung für das Modell ist laut Gesundheitsmonitor<br />

bei den Ärzten genauso hoch wie bei<br />

den Versicherten: 54 Prozent befürworten das gemeinsame<br />

Vorgehen. Allerdings wollen 37 Prozent<br />

der Ärzte alleine entscheiden, und 8 Prozent möchten<br />

ganz den Patienten bestimmen lassen. Auch<br />

scheint es, dass die Ärzte die Richtlinien des Shared<br />

Decision Making beherzigen: Rund 95 Prozent der<br />

Abbildung 1:<br />

Wer soll nach Ansicht der Versicherten entscheiden?<br />

weiß nicht<br />

Patient<br />

Arzt<br />

Angaben in Prozent<br />

23<br />

18<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, halbjährliche Bevölkerungsbefragungen 2001–2006, N=11.602<br />

3<br />

56<br />

Arzt und Patient<br />

gemeinsam


14 | 15 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Abbildung 2:<br />

Der Hausarzt hat bei der Entscheidung über eine Behandlung ...<br />

alles verständlich erklärt<br />

alle Fragen beantwortet<br />

Behandlungsalternativen<br />

vorgeschlagen<br />

über Vor- und Nachteile<br />

informiert<br />

Lebensumstände<br />

einbezogen<br />

nach Vorstellungen des Patienten<br />

gefragt und einbezogen<br />

zu Fragen aufgefordert<br />

Ärzte<br />

Versicherte<br />

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Befragung Herbst 2005, Versicherte N=1.537, Ärzte N=516<br />

100<br />

BertelsmannStiftung<br />

Ärzte geben an, alles verständlich erklärt zu haben,<br />

70 Prozent schlagen nach eigenem Bekunden<br />

Behandlungsalternativen vor und 54 Prozent haben<br />

die Patienten nach ihren Vorstellungen gefragt und<br />

diese einbezogen.<br />

Doch die Patienten zeichnen kein so rosiges Bild<br />

von ihren Gesprächen mit dem Arzt [Abbildung 2]:<br />

In jeder Hinsicht bewerten sie ihre tatsächliche Einbeziehung<br />

deutlich schlechter. Während beispielsweise<br />

84 Prozent der Ärzte angeben, die Patienten<br />

über Vor- und Nachteile informiert zu haben, sehen<br />

sich nur 56 Prozent der Patienten über Vor- und<br />

Nachteile aufgeklärt.<br />

Checklisten für Patienten<br />

Es gibt mehrere unabhängige Stellen, die sich um<br />

wissenschaftlich fundierte, verständlich formulierte<br />

Informationen für Bürger, deren Informationsbedürfnis<br />

noch nicht hinreichend gestillt ist, bemühen:<br />

etwa das IQWiG mit seinen Gesundheitsinformationen<br />

im Internet, die Patienten-Information des<br />

Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin<br />

oder die Patientenleitlinien der Universität Witten-<br />

Herdecke (Angabe der Webseiten im Kapitel<br />

»Internet«). Um beurteilen zu können, ob ein Arzt<br />

gemäß dem Modell des Shared Decision Making<br />

handelt und seine Patienten mit einbezieht, haben<br />

mehrere Institutionen Checklisten entworfen. In<br />

der Checkliste des Ärztlichen Zentrums für Qualität<br />

in der Medizin mit dem Titel »Woran erkennt man<br />

eine gute Arztpraxis?« drehen sich vier von elf<br />

ausführlich erläuterten und mit Fragen ergänzten<br />

Checkpunkten um das Thema Mitentscheiden:<br />

• Nimmt der Arzt mich und mein spezielles gesundheitliches<br />

Problem ernst?<br />

• Erhalte ich eine umfassende und verständliche<br />

Aufklärung?<br />

• Erhalte ich von meinem Arzt weiterführendes<br />

Informationsmaterial und Informationen über<br />

Hilfsangebote?<br />

• Kann ich gemeinsam mit meinem Arzt über die<br />

Art meiner Behandlung entscheiden bzw. unterstützt<br />

mein Arzt mich darin, eine Entscheidung<br />

zur Behandlung treffen zu können?<br />

In Deutschland hat sich einiges zur Förderung<br />

des Shared Decision Making getan. Das Bundesministerium<br />

für Gesundheit und Soziale Sicherung<br />

rief 2001 das Programm »Der Patient als Partner<br />

im medizinischen Entscheidungsprozess« ins<br />

Leben, mit dem Ziel, »anwendungsorientierte<br />

Forschungsprojekte zu unterstützen, die sich in<br />

unterschiedlichen Krankheitsbereichen auf die<br />

verstärkte Einbeziehung von Patienten in den<br />

medizinischen Entscheidungsprozess konzentrieren«<br />

(www.patient-als-partner.de). Außerdem verabschiedete<br />

eine von der Bundesregierung eingesetzte<br />

Arbeitsgruppe im Jahr 2002 eine Patientencharta,<br />

die Teile der Patientenbeteiligung sogar festschreibt.<br />

Darin heißt es: »Alle medizinischen Maßnahmen<br />

setzen eine wirksame Einwilligung des Patienten<br />

voraus. Eine Einwilligung kann nur wirksam sein,<br />

wenn der Patient rechtzeitig vor der Behandlung<br />

aufgeklärt wurde oder ausdrücklich darauf verzichtet<br />

hat.« (BMGS und BMJ 2002)<br />

Gemeinsames Entscheiden<br />

fördern<br />

Patienten wird heute auf verschiedenen Ebenen<br />

ein Mitentscheiden leichter gemacht – auch wenn<br />

zuweilen das paternalistische Denken noch vorherrscht.<br />

Damit Shared Decision Making mehr


16 | 17 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Literatur<br />

Anwendung findet, kommen verpflichtende und<br />

freiwillige Maßnahmen in Frage: So müssten<br />

Medizinstudenten bereits im Studium die Vorteile<br />

des gemeinsamen Entscheidens kennen lernen und<br />

kommunikative Kompetenzen erwerben. Zusätzlich<br />

sollten Ärztekammern Kommunikationstrainings<br />

zu einem Bestandteil der ärztlichen Pflichtfortbildung<br />

machen. Schließlich sollte der Gemeinsame<br />

Bundesausschuss Patientenbeteiligung zu einem<br />

verpflichtenden Teil des Qualitätsmanagements<br />

für Arztpraxen und Krankenhäuser machen.<br />

Ob und welche dieser möglichen Maßnahmen umgesetzt<br />

werden, bleibt abzuwarten. Doch schon heute<br />

wäre es an der Zeit, den Eid des Hippokrates zu<br />

aktualisieren. Eine zeitgemäße Version im Sinne<br />

des Shared Decision Making könnte lauten: »Alle<br />

Patienten, die zu mir kommen, werde ich ergebnisoffen<br />

über die Behandlungsoptionen informieren,<br />

auf dass wir gemeinsam entscheiden, welcher<br />

Nutzen für sie der größte ist.«<br />

• Amhof, R.; Böcken, J.; Braun, S.; Schlette, S. (2005): Shared Decison<br />

Making. Beteiligung von Patienten an medizinischen Entscheidungen.<br />

Gesundheitsmonitor, Newsletter der Bertelsmann Stiftung, 3/2005.<br />

• BMGS und BMJ (2002): Patientencharta – Patientenrechte in<br />

Deutschland. www.bmj.bund.de/media/archive/1025.pdf.<br />

• Elwyn, G.; Hutchings, H.; Edwards, A.; Rapport, F.; Wensing, M.;<br />

Cheung, W.-Y.; Grol, R. (2005): The OPION scale: measuring the<br />

extent that clinicians involve patients in decision-making tasks.<br />

Health Expectations (8), 1, 34–42.<br />

• Härter, M., Loh, A.; Spies, C. (Hrsg.) (2005): Gemeinsam entscheiden<br />

– erfolgreich behandeln. Neue Wege für Ärzte und Patienten<br />

im <strong>Gesundheitswesen</strong>. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag.<br />

• Klemperer, D.; Rosenwirth, M. (2005): Shared Decision Making:<br />

Konzept, Voraussetzungen und politische Implikationen. Ein<br />

Chartbook. Bertelsmann Stiftung und Zentrum für Sozialpolitik<br />

der Universität Bremen (Hrsg.), Gütersloh.<br />

• Tuffs, A. (2006): Teamarbeit von Arzt und Patient erhöht<br />

Zufriedenheit. Universitätsklinikum Heidelberg, Pressemitteilung<br />

Nr. 66/2006 vom 31.03.2006.<br />

www.klinikum.uni-heidelberg.de/uploads/media/pm66_06.pdf.<br />

• Weymayr, C. (2006): Mehr und weniger. brand eins, 6/2006.


18 | 19 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

NUTZERTYPEN:<br />

WER SICH WIE INFORMIERT<br />

welche spezifischen Bedürfnisse sie an Informationen<br />

haben, zeigt eine Analyse der Medienwissenschaftlerin<br />

Eva Baumann vom Europäischen Zentrum<br />

für Medienkompetenz in Marl (Baumann 2006).<br />

Anhand von Daten des Gesundheitsmonitors 2006<br />

Versicherte dürfen nicht in einen Topf geworfen werden: Während das<br />

entwickelte sie eine Nutzertypologie und erstellte<br />

Informationsbedürfnis der einen kaum zu befriedigen ist, sind andere<br />

fünf Profile, die zeigen, welche Informationsstrategie<br />

eher desinteressiert. Analysiert man Informationsziele, -quellen und<br />

einzelne Nutzergruppen wählen und auf welche<br />

-themen, lassen sich verschiedene Nutzertypen charakterisieren. Daraus<br />

Art sie angesprochen werden können. Um die ein-<br />

können Ärzte und Krankenhäuser, Krankenkassen und Informations-<br />

zelnen Typen zu ermitteln, wurde das Informa-<br />

anbieter effektive Informationsstrategien ableiten.<br />

tionsverhalten der Versicherten unter drei Gesichts-<br />

heitsexperten wie Ärzte und Apotheker sowie<br />

nelle Gesundheitsexperten, sondern streben nach<br />

punkten bewertet – den unterschiedlichen Zielen,<br />

das private Umfeld<br />

Unabhängigkeit. Sie informieren sich intensiv über<br />

Quellen und Themen ihrer Informationssuche<br />

3. Informationsthemen: gesunde Lebensweise/<br />

Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten. An<br />

Da kämen Kunden aus dem Staunen nicht heraus:<br />

(Baumann 2006):<br />

Wohlbefinden, Krankheiten und Behandlungs-<br />

gesunder Lebensweise, Wohlbefinden und anderen<br />

wenn ihr Supermarkt eines Tages im Getränkeregal<br />

möglichkeiten, Gesundheitssystem und Akteure/<br />

»weichen« Themen sind sie nur durchschnittlich<br />

nur Eistee, am Obststand nur Ananas und an der<br />

1. Informationsziele: einen allgemeinen Überblick<br />

Institutionen der Gesundheitsversorgung – die<br />

interessiert. Sie vertrauen Fachmedien und gelten<br />

Käsetheke nur Tilsiter anbieten würde. So absurd<br />

über Gesundheitsthemen und das Gesundheits-<br />

Befragten konnten hier auch angeben, dass sie<br />

als selbstbewusst und kritisch. Sie sind tendenziell<br />

diese Vorstellung für den Einzelhandel wäre, so<br />

system erhalten, eigene Kompetenz steigern,<br />

nicht nach Informationen suchen.<br />

jung, weiblich und hoch gebildet. Ihr Informations-<br />

verbreitet ist sie mitunter im <strong>Gesundheitswesen</strong>.<br />

um sich besser in ihre Gesundheitsversorgung<br />

bedarf zu aktuellen Gesundheitsthemen ist sehr<br />

Wer Informationen über Kliniken, Praxen und all-<br />

einbringen zu können oder Unabhängigkeit von<br />

Aus den unterschiedlichen Informationsstrategien<br />

hoch. Diesem kleinsten, aber sehr anspruchsvollen<br />

gemeine Gesundheitsthemen anbietet, hat meist<br />

medizinischen Experten zu erlangen<br />

der Befragten lassen sich fünf Typen voneinander<br />

Personenkreis wird man am ehesten mit Fachinfor-<br />

einen prototypischen Nutzer vor Augen. Dabei zeigen<br />

2. Informationsquellen: Massenmedien wie<br />

abgrenzen (Baumann 2006):<br />

mationen gerecht.<br />

Studien immer wieder, dass Versicherte nicht über<br />

Fernsehen, Radio, Zeitungen, Gesundheits-<br />

• Die »kommunikativen Co-Therapeuten«: 16 Pro-<br />

einen Kamm geschoren werden sollten. Welche<br />

zeitschriften, Fachmedien wie Bücher, Lexika<br />

• Die »autarken Krankheitsexperten«: 13 Prozent<br />

zent der Bevölkerung informieren sich ebenfalls<br />

Typen von Nutzern man unterscheiden kann und<br />

oder medizinische Fachzeitschrifen, Gesund-<br />

der Bevölkerung verlassen sich nicht auf professio-<br />

intensiv über Gesundheitsthemen, allerdings nicht


20 | 21 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

in Fachmedien, sondern bevorzugt bei Gesundheitsexperten.<br />

Auch wenn sie nicht nach Selbstständigkeit<br />

streben, wollen sie ihre eigene Kompetenz steigern,<br />

um gegebenenfalls bei Entscheidungen über<br />

Untersuchungen und Behandlungen besser mitreden<br />

zu können. Die Co-Therapeuten sind eher<br />

niedrig gebildet, überwiegend alt und gesundheitlich<br />

angeschlagen. Über ihre speziellen Beschwerden<br />

hätten sie gerne mehr Informationen, die aber<br />

alltagsbezogen und leicht verständlich sein sollen.<br />

Obwohl sie für allgemeine Gesundheitsthemen<br />

empfänglich sind, ist es fraglich, ob sie die Inhalte<br />

dann auch umsetzen würden.<br />

• Die »wellnessorientierten Medienkonsumenten«:<br />

Für diese größte Nutzergruppe, 28 Prozent der<br />

Bevölkerung, stehen Wohlbefinden und gesunde<br />

Lebensweise im Mittelpunkt ihres Interesses.<br />

Sie konzentrieren sich auf das Vorbeugen und<br />

nicht so sehr auf die Behandlung von Krankheiten.<br />

Sie nutzen und vertrauen Massenmedien und<br />

Gesundheitszeitschriften. Die vergleichsweise<br />

älteren, oft weiblichen wellnessorientierten<br />

Medienkonsumenten sind meist überdurchschnittlich<br />

gesund. Sie werden am ehesten von<br />

unterhaltsam aufbereiteten, verständlichen,<br />

praktischen und ihr Wohlbefinden steigernden<br />

Informationen erreicht.<br />

• Die »wenig interessierten Gelegenheitsnutzer«:<br />

26 Prozent der Bevölkerung kümmern sich normalerweise<br />

wenig um Gesundheitsthemen. Falls<br />

sie konkreten Informationsbedarf haben, recherchieren<br />

sie gezielt in Fachmedien. Ansonsten vertrauen<br />

sie darauf, dass alles funktioniert. Diese<br />

eher jungen, gebildeten, oft männlichen Gelegenheitsnutzer<br />

erreicht man vermutlich am besten mit<br />

überraschenden Botschaften und mit Gesundheitsthemen,<br />

die sich mit ihrem Lebensalltag, also mit<br />

ihren freizeit- und berufsbezogenen Interessen<br />

befassen.<br />

• Die »Inaktiven«: 17 Prozent der Bevölkerung –<br />

also fast jeder sechste Bürger – sind an Gesundheitsthemen<br />

völlig desinteressiert. Insofern bilden<br />

sie keine wirkliche Nutzergruppe, sondern sind<br />

vielmehr die Nicht-Nutzer. Es sind meist junge,<br />

niedrig gebildete, gesunde Männer, die keine<br />

Veranlassung sehen, sich mit Gesundheitsthemen<br />

zu beschäftigen. Falls sie erahnen, dass ihnen<br />

gesundheitsbewusstes Verhalten nahegebracht<br />

werden soll, schalten sie ab. Um wichtige primärpräventive<br />

Botschaften, wie beispielsweise zum<br />

»Safer Sex«, dieser Zielgruppe zugänglich zu<br />

machen, bieten sich Aufklärungskampagnen sowie<br />

Entertainment-Education-Strategien in Massenmedien<br />

an, die die Botschaften etwa in die Handlung<br />

einer Fernsehserie integrieren.<br />

Informationen auf Nutzertypen<br />

abstimmen<br />

Diese sehr unterschiedlichen Informationsinteressen<br />

verdeutlichen, wie wichtig es ist, Art, Umfang, Anspruch<br />

und Kommunikationsstil der Informationsund<br />

Beratungsangebote an die verschiedenen Bevölkerungsgruppen<br />

und ihre Lebensumstände anzupassen.<br />

»Will man der Öffentlichkeit beispielsweise die Teilnahme<br />

an einem Präventionsprogramm nahebringen«,<br />

so Baumann, »bedeutet dies, die Kommunikationsziele<br />

bei den ›Gelegenheitsnutzern‹ oder ›Inaktiven‹<br />

niedriger zu hängen als bei den bereits Interessierten<br />

und aktiv nach konkreten Informationen Suchenden.«<br />

(Baumann 2006) Um auf das Supermarkt-Beispiel<br />

zurückzukommen: Nicht jedem schmeckt alles – nur<br />

wenn ein Produkt die Bedürfnisse seiner Zielgruppe<br />

anspricht, wird es zum Bestseller, ansonsten bleibt<br />

es ein Ladenhüter.<br />

Literatur<br />

• Baumann, E. (2006): Auf der Suche nach der Zielgruppe – Das<br />

Informationsverhalten hinsichtlich Gesundheit und Krankheit als<br />

Grundlage erfolgreicher Gesundheitskommunikation. In: Böcken, J.;<br />

Amhof, R.; Braun, B.; Schnee, M. (Hrsg.): Gesundheitsmonitor 2006.<br />

Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 117–153.<br />

• Marstedt, G. (2003): Auf der Suche nach gesundheitlicher<br />

Information und Beratung: Befunde zum Wandel der Patientenrolle.<br />

In: Böcken, J.; Braun, B.; Schnee, M. (Hrsg.): Gesundheitsmonitor<br />

2003. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 117–135.


22 | 23<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

INTERNET:<br />

WAS KANN ES LEISTEN?<br />

Wer das Internet häufig nutzt, mag es nicht mehr<br />

missen. Die Fülle, Aktualität und Qualität der Informationen<br />

sind mittlerweile so überwältigend, dass<br />

einem der Griff ins gute alte Bücherregal vergleichs-<br />

• Aktualität: Informationen können beliebig oft<br />

auf den neuesten Stand gebracht werden.<br />

• Maßgenauigkeit: Internetversierte können gezielt<br />

und direkt ganz spezifische Informationen finden.<br />

zum Beschaffen von wenig Information viel Zeit,<br />

ist es heute umgekehrt: Die Zeit, die das Herauspicken<br />

der relevanten und vertrauenswürdigen<br />

Informationen verschlingt, steht in groteskem Wider-<br />

weise beschwerlich und ineffektiv vorkommt. Das<br />

Gleichzeitig ermöglicht die Hypertextstruktur des<br />

spruch zu dem Sekundenbruchteil, den Google<br />

Die rasante Entwicklung des Internets eröffnet den Bürgern neue<br />

gilt auch für Gesundheitsthemen: Zum Stichwort<br />

Internets die Individualisierung von Informations-<br />

<strong>braucht</strong>, um die Informationen zu beschaffen.<br />

Möglichkeiten. So sind Informationen über gesunde Verhaltensweisen,<br />

Herzinfarkt beispielsweise zaubert die Suchmaschine<br />

bausteinen für unterschiedliche Zielgruppen.<br />

• Fehlende Qualitätskontrolle: Die 2.670.000<br />

unterschiedliche Krankheiten, Diagnosen und Therapien sowie über<br />

Google in einem Bruchteil von Sekunden 2.670.000<br />

• Unbegrenztheit: Jeder kann sich heute ohne großen<br />

Google-Treffer zum Thema Herzinfarkt enthalten<br />

Ärzte und Kliniken nur ein paar Mausklicks entfernt. Ob diese Infor-<br />

Einträge auf den Bildschirm. Selbst medizinische<br />

Aufwand mit seinem eigenen Wissen in die Daten-<br />

viel Datenmüll, der nicht immer auf den ersten<br />

mationen aber auch vertrauenswürdig sind, lässt sich oft nur schwer<br />

Laien können Informationen erhalten, die bislang<br />

welt einbringen. Entsprechend rasant und nutzer-<br />

Blick als solcher zu erkennen ist. Manche Informa-<br />

beurteilen.<br />

den Ärzten vorbehalten waren. Doch von wem und<br />

orientiert haben sich die Inhalte entwickelt.<br />

tionen sind unzuverlässig, verfolgen undurchsich-<br />

wofür wird diese scheinbar grenzenlose Informa-<br />

• Multimedialität: Das Internet kann gesundheits-<br />

tige Ziele oder wollen bewusst in die Irre führen.<br />

tionsquelle genutzt? Und wenn ja: Wie glaubwürdig<br />

relevantes Wissen über Text, Ton, Bild und Film<br />

• Technikprobleme: Nicht jeder geht gerne mit<br />

sind die Informationen?<br />

ansprechend vermitteln. Über die Vernetzung des<br />

Technik um. Zudem veralten Hard- und Software<br />

World Wide Web mit Foren, Chats und E-Mail sind<br />

binnen kurzer Zeit.<br />

Die Vorteile des Internets sind bestechend (Schmidt-<br />

zahlreiche Kommunikationsformen möglich. Rat-<br />

Kaehler 2005, Brechtel 2004):<br />

suchende können sich aufgrund der Anonymität<br />

Aus dem Internet recherchierte Gesundheitsthemen<br />

• Verfügbarkeit: Wo ein Computer sowie ein Telefon-<br />

weitgehend frei von Stigmatisierung oder Fremd-<br />

bergen zudem spezielle Gefahren. So sind viele Infor-<br />

anschluss oder lediglich ein Handynetz vorhanden<br />

bestimmung informieren und austauschen.<br />

mationen für medizinische Laien unverständlich,<br />

sind, steht die große weite Datenwelt offen. Rund<br />

wissenschaftlich nicht abgesichert oder schlicht irre-<br />

um die Uhr. Durch die Aufhebung von Zeit und<br />

Doch die Freude an der Datenwelt auf Tastendruck ist<br />

führend oder falsch. Einzelne Anbieter versprechen<br />

Raum erhalten auch Menschen mit Behinderungen<br />

nicht ungetrübt. Wesentliche Nachteile sind (Brechtel<br />

beispielsweise die sofortige Heilung von Krebser-<br />

und eingeschränkter Mobilität einen barrierefreien<br />

2004):<br />

krankungen oder AIDS mit Hilfe von Nahrungser-<br />

Zugang zu gesundheitsbezogenen Inhalten und<br />

• Informationsflut: Das Überangebot muss gefiltert<br />

gänzungsmitteln. Die so genannten »Pro-Anorexia-<br />

Beratungsleistungen.<br />

werden, und das kostet Zeit. Brauchte man früher<br />

Sites« propagieren Essstörungen als Lifestyle, und


24 | 25<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Menschen mit depressiven Erkrankungen werden in<br />

Diskussionsforen zum Suizid aufgefordert. Schließlich<br />

können vermeintlich fachkundige, aber falsche<br />

Informationen, auf die sich der Internetnutzer ver-<br />

Übersicht: Ausgewählte Webseiten mit<br />

patientenverständlichen Gesundheitsinformationen<br />

von unabhängigen Anbietern<br />

Fernsehsendungen, Tageszeitungen, Zeitschriften<br />

sowie Krankenkassenbroschüren die häufigste<br />

Informationsquelle. Jeder zweite Informationssuchende<br />

greift darauf zurück. Erstaunlich ist aller-<br />

digste Informationsquelle. Doch fast genauso viele<br />

Befragte, nämlich 14 Prozent, vertrauen dem Internet<br />

am meisten.<br />

lässt, zu Fehldiagnosen und Schäden führen. Manche<br />

Informationen aus dem Internet können darüber<br />

hinaus das Vertrauensverhältnis zum Arzt stören,<br />

wenn sie dessen Ratschlag widersprechen.<br />

Doch auch dieser Einwand ist nicht durchgehend<br />

berechtigt: Wenn der Arzt etwa Wechselwirkungen<br />

von Arzneimitteln nicht bedacht oder über mögliche<br />

Folgeschäden einer Behandlung nicht ausreichend<br />

aufgeklärt hat, kann das Internet wertvolle Zusatzinformationen<br />

liefern. Einige unabhängige Anbieter<br />

geben dafür Hilfestellung [siehe Übersicht].<br />

Internet ersetzt immer mehr<br />

das persönliche Gespräch<br />

Wie wichtig ist das Internet als Informationsquelle?<br />

Eine Befragung durch den Gesundheitsmonitor der<br />

Bertelsmann Stiftung von 2006 förderte folgendes<br />

• www.gesundheitsinformation.de<br />

(Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />

im <strong>Gesundheitswesen</strong>)<br />

• www.patienten-information.de<br />

(Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin)<br />

• www.dimdi.de<br />

(Deutsches Institut für Medizinische<br />

Dokumentation und Information)<br />

• www.patientenleitlinien.de<br />

(Universität Witten-Herdecke)<br />

• www.degam.de/leitlinien.html<br />

(Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und<br />

Familienmedizin)<br />

• www.therapie.net<br />

(Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und<br />

Gesundheitssystemforschung (ISEG), Hannover,<br />

und Medizinische Hochschule Hannover (MHH)<br />

im Auftrag der Gmünder ErsatzKasse GEK)<br />

dings, dass das Internet das persönliche Gespräch<br />

als Informationsquelle überholt hat: Während<br />

42 Prozent das Internet als Quelle angeben, bleiben<br />

persönliche Gespräche mit dem Arzt (38 Prozent),<br />

mit der Familie oder Freunden (37 Prozent) oder mit<br />

Apothekern (20 Prozent) als Informationsquellen<br />

zurück (Baumann 2006). Doch Häufigkeit allein sagt<br />

bekanntlich wenig über Qualität, Zuverlässigkeit<br />

und Seriosität aus.<br />

Wie schätzen die Bürger deshalb die Qualität des<br />

Internets als Informationsquelle ein? Die Befragten<br />

des Gesundheitsmonitors sollten im Herbst 2005<br />

von 24 möglichen Informationsquellen die drei<br />

ergiebigsten nennen. Auch hier schneidet das Internet<br />

erstaunlich gut ab: Es rangiert hinter Beiträgen<br />

im Fernsehen (22 Prozent) an zweiter Stelle (19 Prozent).<br />

Selbst die Vertrauenswürdigkeit des Internets<br />

als Informationsquelle schätzt die Bevölkerung sehr<br />

Das hohe Vertrauen in das Internet zeigt sich auch<br />

bei der Suche nach einem sehr sensiblen und wichtigen<br />

Thema wie der Qualität von Gesundheitseinrichtungen:<br />

Zwei Drittel aller Befragten halten Informationsbroschüren<br />

und das Internet für geeignet,<br />

um sich nach der Qualität von Einrichtungen zu<br />

erkundigen. Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und<br />

Fernsehsendungen fallen weit dahinter zurück<br />

(Geraedts 2006).<br />

Derzeitige Arzt- und Kliniksuchmaschinen<br />

haben Schwächen<br />

Bei so viel Internetbegeisterung wundert es nicht,<br />

dass der Markt mit speziellen Arzt- und Kliniksuchmaschinen<br />

schon jetzt sehr stark expandiert. Doch<br />

Vorsicht: Im September 2006 bewertete die »Financial<br />

Times Deutschland« 15 solcher Suchmaschinen.<br />

Gesamtbewertung: interessengeleitet, stark kommer-<br />

Ergebnis zutage: Zwar sind für diejenigen, die<br />

gezielt nach Gesundheitsinformationen suchen,<br />

[Wir übernehmen keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit<br />

der Informationen auf den angegebenen Internetseiten.]<br />

hoch ein: Zwar ist der Arzt für die meisten Befragten,<br />

16 Prozent, selbstverständlich die vertrauenswür-<br />

zialisiert, nur bedingt informativ und meist nicht<br />

flächendeckend. So wird der Leiter der Deutschen


26 | 27<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Stiftung Gesundheitsinformation Heiner Kirchkamp<br />

mit der eher nüchternen Beurteilung der Szene<br />

zitiert: Die Online-Suche nach dem besten Arzt in<br />

Deutschland werde noch lange die Suche nach der<br />

besten Selbstdarstellung bleiben (Carlin 2006).<br />

Um das volle Potenzial des Internets als vertrauenswürdige<br />

ergänzende Informationsquelle auszuschöpfen,<br />

ist es also noch ein weiter Weg. Eine<br />

Qualitätssicherung der Inhalte von Webseiten, nicht<br />

nur ihrer Formate, ist vonnöten. Blind vertrauen<br />

sollten die Nutzer den Inhalten im Internet bis dahin<br />

also nicht – resignieren allerdings auch nicht, sondern<br />

das Internet als das begreifen, was es ist: eine<br />

zusätzliche Quelle, die dem Nutzer den Zugang zu<br />

medizinischen Fachinformationen eröffnen und seine<br />

alleinige Abhängigkeit vom Arzt und dessen kommunikativen<br />

Kompetenzen verringern kann – aber<br />

auch eine Quelle an Informationen, deren Glaubwürdigkeit<br />

der Nutzer immer wieder hinterfragen<br />

muss.<br />

Um ihre Vertrauenswürdigkeit zu demonstrieren,<br />

greifen Anbieter von Gesundheitswebseiten auf<br />

unterschiedliche Formen der Qualitätssicherung<br />

zurück: Sie lassen ihr Internetangebot akkreditieren,<br />

zertifizieren oder einem Peer-Review-Verfahren<br />

unterziehen. Die gängigste Form der Qualitätssicherung<br />

ist die Selbstregulierung. Hier unterwerfen sich<br />

Anbieter von Gesundheitsinformationen freiwillig<br />

dem Kodex einer Initiative. Doch halten die Anbieter<br />

den Kodex auch ein? Einige Initiativen verlassen sich<br />

auf das bloße Versprechen des Anbieters, andere<br />

wiederum haben Kontrollmechanismen installiert.<br />

Das Problem: Viele Initiativen fordern letztlich nur<br />

eine formale Qualität der Webseiten. Sie sorgen<br />

dadurch zwar für Transparenz über die Datenquellen,<br />

über die Finanzierung durch Sponsoren,<br />

über Kooperationen und Vernetzungen der Informationsanbieter.<br />

Doch der Inhalt selbst wird nicht<br />

hinterfragt. Gesundheitswebseiten können den<br />

Nutzern somit auch fälschlicherweise eine inhaltliche<br />

Qualität suggerieren (Schmidt-Kaehler 2004).<br />

Initiativen zur Qualitätssicherung, die Qualitätskriterien<br />

für Gesundheitswebseiten entwickelt<br />

haben:<br />

• www.afgis.de<br />

(Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem)<br />

• www.discern.de<br />

(Medizinische Hochschule Hannover in<br />

Kooperation mit dem Ärztlichen Zentrum<br />

für Qualität in der Medizin)<br />

• www.patienten-information.de/content/<br />

informationsqualitaet/checkliste<br />

(Checkliste entwickelt vom Ärztlichen Zentrum<br />

für Qualität in der Medizin)<br />

[Wir übernehmen keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit<br />

der Informationen auf den angegebenen Internetseiten.]<br />

Literatur<br />

• Baumann, E. (2006): Auf der Suche nach der Zielgruppe – Das<br />

Informationsverhalten hinsichtlich Gesundheit und Krankheit als<br />

Grundlage erfolgreicher Gesundheitskommunikation. In: Böcken, B.;<br />

Braun, B.; Amhof, R.; Schnee, M. (Hrsg.): Gesundheitsmonitor 2006.<br />

Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 117–153.<br />

• Brechtel, T. (2004): Elektronische Gesundheitsinformationen oder:<br />

Wofür nutzen Versicherte das Internet? Gesundheitsmonitor,<br />

Newsletter der Bertelsmann Stiftung, 09/2004.<br />

• Carlin, M. (2006): Dann sucht mal schön. Financial Times<br />

Deutschland, medbiz, 09/2006.<br />

• Geraedts, M. (2006): Qualitätsberichte deutscher Krankenhäuser und<br />

Qualitätsvergleiche von Einrichtungen des <strong>Gesundheitswesen</strong>s aus<br />

Versichertensicht. In: Böcken, B.; Braun, B.; Amhof, R.; Schnee, M. (Hrsg.):<br />

Gesundheitsmonitor 2006. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 154–170.<br />

• Schmidt-Kaehler, S. (2004): Patienteninformation Online. Bern: Hans<br />

Huber.<br />

• Schmidt-Kaehler, S. (2005): Patienteninformation und -beratung<br />

im Internet. Transfer medientheoretischer Überlegungen auf ein<br />

expandierendes Praxisfeld. Medien und Kommunikationswissenschaft<br />

(53), 4, 478–492.


28 | 29<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

KRANKENHAUS-QUALITÄTSBERICHTE:<br />

INFORMIEREN, ABER RICHTIG!<br />

tätskontrollen und Werbeverbot für Mediziner aus.«<br />

(Focus Magazin Verlag 2005) Der juristische Streit<br />

ging bis an den Bundesgerichtshof, der 1999 schließlich<br />

die Rechtmäßigkeit der Liste bestätigte – selbst<br />

wenn sie nicht auf wissenschaftlich einwandfreien<br />

Versicherte und Patienten wollen mehr Informationen über die Qualität<br />

Füßen stand und mangels Datenlage auch nicht<br />

von Ärzten und Krankenhäusern. Obwohl in den vergangenen Jahren viel<br />

stehen konnte. Seitdem legt »Focus« die Liste in aktu-<br />

unternommen wurde, um die Informationslage zu verbessern, kommen<br />

die bereitgestellten Informationen nicht an. Kein Wunder: Die Angebote<br />

orientieren sich wenig an den Bedürfnissen der Nutzer. Doch wer Gehör<br />

finden möchte, muss die Perspektive des Nutzers einnehmen. Das betrifft<br />

alisierter Form regelmäßig auf. Das Ärzte-Ranking ist<br />

jedes Mal wieder ein Garant für hohe Auflagen. Ein<br />

2001 erschienenes Buch, das die einzeln im Magazin<br />

veröffentlichten Listen zusammenfügt, wurde ein<br />

häuser – einen zweijährlichen Qualitätsbericht<br />

vor, der den Stand der Qualitätssicherung sowie die<br />

Art und Anzahl der Leistungen des Krankenhauses<br />

Hoher Informationsbedarf über<br />

die Qualität von Anbietern …<br />

vor allem Inhalt, Aufbereitung und Verfügbarkeit.<br />

Bestseller (Focus Magazin Verlag 2005).<br />

darzustellen hat. Alle Krankenhäuser müssen ihren<br />

Wie hoch der tatsächliche Bedarf an Orientierungs-<br />

Qualitätsbericht im Internet veröffentlichen. Seit<br />

hilfen ist, lässt sich nicht nur am Erfolg der »Focus«-<br />

Offenbar befriedigte die »Focus«-Liste ein Bedürfnis,<br />

September 2005 können Interessierte die Berichte<br />

Listen ablesen. Nach einer internationalen Repräsen-<br />

Als vor 13 Jahren erstmals im Magazin »Focus« eine<br />

das andere Orientierungshilfen, wie der Rat von<br />

der ersten Runde aus 2004 herunterladen.<br />

tativbefragung gaben 58 Prozent der Deutschen an,<br />

Liste erschien, die Ärzte verschiedener Fachrichtun-<br />

Freunden und Verwandten oder Empfehlungen des<br />

für eine Wahl des passenden Krankenhauses nicht<br />

gen nach ihrer Qualität bewertete, war die Empörung<br />

einweisenden Arztes, nicht bedienen konnten. Wie<br />

Die Qualität von Arztpraxen bleibt hingegen weiterhin<br />

genügend Informationen zu besitzen (Coulter/Magee<br />

groß, vor allem in Fachkreisen: Wer sich nicht selbst<br />

sollten sie auch – standardisierte, unabhängige<br />

weitgehend im Dunkeln: Zwar sind die 17 regionalen<br />

2003). Auch der Gesundheitsmonitor der Bertelsmann<br />

auf einem vorderen Listenplatz wiederfand, bemän-<br />

Qualitätsinformationen über die Leistungserbringer<br />

Kassenärztlichen Vereinigungen sowie die Kassenärzt-<br />

Stiftung fragte die Bevölkerung nach ihrem Informa-<br />

gelte das Auswahlverfahren, das wissenschaftliche<br />

waren für alle Beteiligten, selbst für die Kranken-<br />

liche Bundesvereinigung per Gesetz zur Veröffent-<br />

tionsbedarf und schlüsselte ihn nach Leistungsan-<br />

Fundament, die Datenbasis sowie die reißerische<br />

kassen, nicht verfügbar. Um den Informationsmangel<br />

lichung eines regionalen beziehungsweise bundes-<br />

bietern auf [Abbildung 1]. Dabei zeigte sich, dass<br />

Aufmachung und Vermarktung des Rankings. Die<br />

zu beheben und die Leistungsanbieter selbst in die<br />

weiten Qualitätsberichts angehalten. Auf einzelne<br />

89 Prozent der Befragten Informationen über die<br />

Empörung berührte aber auch grundsätzliche Aspek-<br />

Pflicht zu nehmen, wurde schließlich der Gesetz-<br />

Arztpraxen gehen die Berichte allerdings nicht ein,<br />

Qualität von Fachärzten für wünschenswert (»stimme<br />

te: Die Liste, so der Verlag, »löste heftige Diskussio-<br />

geber aktiv. Seit 2004 schreibt § 137 des Fünften<br />

so dass sie sich als Informations- und Entscheidungs-<br />

voll zu« plus »stimme eher zu«) halten. 86 Prozent<br />

nen und einen Rechtsstreit um Transparenz, Quali-<br />

Sozialgesetzbuchs (SGB V) – zumindest für Kranken-<br />

grundlage für die Wahl einer Arztpraxis nicht eignen.<br />

wünschen sich Informationen über Krankenhäuser


30 | 31<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Abbildung 1:<br />

»Wie stehen Sie zu folgender Aussage: Informationen über<br />

die Qualität von ... sind wünschenswert.«<br />

Facharzt<br />

Krankenhaus<br />

Hausarzt<br />

Zahnarzt<br />

Rehabilitationsklinik<br />

Physiotherapeut<br />

Pflegeeinrichtung<br />

Ambulanter Pflegedienst<br />

Apotheke<br />

Angaben in Prozent 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

stimme voll zu stimme eher zu lehne eher ab lehne voll ab weiß nicht<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Bevölkerungsbefragung Frühjahr 2006, N=1.524<br />

Aus den Ergebnissen stellt sich die Frage, wie es zu<br />

dieser Diskrepanz kommt – zwischen einem hohen<br />

Bedarf an Qualitätsinformationen auf der einen Seite<br />

und einer geringen hypothetischen und noch geringeren<br />

praktischen Nutzung bestimmter vorhandener<br />

Qualitätsinformationen auf der anderen Seite. Zum<br />

einen könnte es daran liegen, dass die Umfrage des<br />

Gesundheitsmonitors sieben Monate nach der erstsowie<br />

82 Prozent über Haus- und Zahnärzte. Auch<br />

über die Apotheken, in der Befragung an hinterster<br />

Stelle, hätte die Hälfte der Befragten gerne mehr<br />

Qualitätsinformationen (Geraedts 2006).<br />

… aber nur geringe Nutzung<br />

der vorhandenen Angebote …<br />

Der Bedarf an Informationen steht jedoch im Kontrast<br />

zu der tatsächlichen Nutzung von Informationsangeboten.<br />

Der Gesundheitsmonitor fragte die Versicherten,<br />

wie sie vorgehen würden, wenn sie eine Klinik<br />

auswählen müssten. Es zeigte sich, dass standardisierte<br />

Qualitätsinformationen nur eine untergeordnete<br />

Rolle [Abbildung 2] spielen: Nur 22 Prozent<br />

würden Vergleichslisten zu Rate ziehen – 90 Prozent<br />

dagegen sich mit ihrem Arzt besprechen, 81 Prozent<br />

die Wahl gleich ganz dem Arzt überlassen, 78 Prozent<br />

nach der Nähe zum Wohnort entscheiden und<br />

62 Prozent sich auf die Erfahrungen von Freunden<br />

und Verwandten verlassen (Geraedts 2006).<br />

Noch deutlicher wird die Diskrepanz zwischen geäußertem<br />

Bedarf und Nutzung bestimmter, derzeit<br />

vorhandener Qualitätsinformationen bei der Frage,<br />

ob die Versicherten überhaupt schon einmal von<br />

Qualitätsberichten der Krankenhäuser gehört haben:<br />

Diese Frage bejahten nur 19 Prozent. Unter diesen<br />

19 Prozent Versicherten ging bei 24 Prozent das<br />

Interesse so weit, dass sie sich einen Bericht ansahen.<br />

Das heißt, dass insgesamt knapp fünf Prozent<br />

aller Befragten bereits einen Bericht gelesen haben.<br />

Manche taten dies aus allgemeinem Interesse, andere,<br />

um sich konkret zu informieren. Wurde nur<br />

die Untergruppe der Befragten betrachtet, denen<br />

ein planbarer Aufenthalt in einer Klinik bevorstand,<br />

ergab sich ein ähnliches Bild: Von 109 Patienten<br />

hatten sich nur vier bereits per Internet und Qualitätsbericht<br />

über mögliche Krankenhäuser erkundigt.<br />

… ist letztlich nicht verwunderlich<br />

Abbildung 2:<br />

»Angenommen, Sie planen einen Krankenhausaufenthalt.<br />

Würden Sie ...?«<br />

gemeinsam mit<br />

dem Arzt entscheiden<br />

Entscheidung<br />

dem Arzt überlassen<br />

Nähe zum Wohnort<br />

berücksichtigen<br />

Empfehlungen von Freunden/<br />

Verwandten annehmen<br />

eigene Erfahrungen<br />

machen<br />

Vergleichslisten nutzen<br />

bei Selbsthilfeorganisationen<br />

oder Patientenverbänden<br />

informieren<br />

bei Verbraucherberatungsstellen<br />

informieren<br />

Angaben in Prozent 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

stimme voll zu stimme eher zu lehne eher ab lehne voll ab weiß nicht<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Bevölkerungsbefragung Frühjahr 2006, N=1.524


32 | 33<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

maligen Veröffentlichung der Krankenhaus-Qualitätsberichte<br />

stattfand. Es ist also gut möglich, dass es<br />

mehr Zeit <strong>braucht</strong>, bis sich die Existenz der Berichte<br />

herumspricht und sie intensiver genutzt werden. Der<br />

eigentliche Grund aber liegt nach Ansicht von Experten<br />

woanders: Die Qualitätsberichte gehen an den<br />

Bedürfnissen der Versicherten vorbei. In keiner Hinsicht<br />

erfüllen die Berichte Kriterien, die an nutzerorientierte<br />

Informationen gestellt werden: Sowohl<br />

Inhalt als auch Aufbereitung, Verfügbarkeit und<br />

Zielgruppenorientierung wurden offenbar nicht aus<br />

Nutzer-, sondern aus Anbieterperspektive und deren<br />

wirtschaftlichen Interessen betrachtet.<br />

Was erwarten Versicherte von<br />

der Krankenhausversorgung?<br />

Wie lassen sich Informationsangebote – konkret<br />

die Krankenhaus-Qualitätsberichte – also stärker<br />

an den Nutzern ausrichten? Um zu ergründen, was<br />

Versicherte über eine Klinik wissen möchten, ist<br />

es sinnvoll, zunächst die Frage zu stellen, was sie<br />

überhaupt von einer Klinik erwarten, das heißt,<br />

was ihnen wichtig ist. Denn darüber möchten sie<br />

wahrscheinlich auch informiert werden.<br />

Welche Kriterien würden Patienten bei der Wahl<br />

einer Klinik in die Waagschale werfen? Zur Beantwortung<br />

bieten sich wieder internationale Studien<br />

sowie Daten aus dem Gesundheitsmonitor an.<br />

Gesundheitsexperten wie Doris Schaeffer von der<br />

Universität Bielefeld weisen darauf hin, dass die<br />

Erwartungen der Patienten keine feste Größe sind.<br />

Es finden sich Unterschiede zwischen Patienten<br />

mit akuten und chronischen Erkrankungen,<br />

zwischen älteren und jüngeren Patienten, zwischen<br />

Männern und Frauen, zwischen Personen unterschiedlicher<br />

Herkunft und vermutlich auch zwischen<br />

Menschen mit verschiedenen Krankheiten. Darüber<br />

hinaus variieren die Präferenzen wohl auch bei einer<br />

Person selbst, je nachdem in welchem Krankheitsstadium<br />

sie sich befindet (Schaeffer 2006). Diese<br />

unterschiedlichen Nutzerpräferenzen haben allerdings<br />

System, wie das Kapitel »Nutzertypen: Wer<br />

sich wie informiert« verdeutlicht.<br />

Doris Schaeffer hat internationale gesundheitswissenschaftliche<br />

Studien zur Erforschung von<br />

Patientenbedürfnissen ausgewertet und kommt<br />

auf sechs Bereiche, die Patienten wichtig sind<br />

(Schaeffer 2006):<br />

• Vertrauenswürdigkeit: Eine Einrichtung sollte verlässlich,<br />

seriös und glaubwürdig sein und die Sicherheit<br />

ausstrahlen, die der Patient in seiner krankheitsbedingten<br />

Verunsicherung <strong>braucht</strong>. Die Forderung,<br />

vertrauenswürdig zu sein, gilt auch für die Informationsangebote<br />

selbst. Mangelndes Vertrauen in<br />

die Seriosität der angebotenen Informationen scheint<br />

mit ein Grund für deren geringe Nutzung zu sein.<br />

• Fachliche Expertise und Kompetenz: Von allen<br />

Mitarbeitern eines Krankenhauses erwartet der<br />

Patient Kompetenz, Professionalität, Erfahrung,<br />

Sorgfalt und eine Behandlung nach dem aktuellen<br />

Stand der Wissenschaft. So erfüllen z.B. Universitätskliniken<br />

zwar das Kriterium der Wissenschaftlichkeit<br />

in besonderem Maße, werden aber dennoch<br />

skeptisch betrachtet, insbesondere weil hier den<br />

Medizinstudenten, die aus Patientensicht gewisse<br />

Expertisekriterien nicht erfüllen, Aufgaben übertragen<br />

werden.<br />

• Beziehung zum Patienten: Auch in großen Häusern<br />

wollen Patienten als Person und nicht als Fall wahrgenommen<br />

und entsprechend mit Respekt und<br />

Würde behandelt werden. Ärzte und Pfleger sollten<br />

auch Familienangehörige des Patienten nicht als<br />

Störfaktor betrachten, sondern mit einbeziehen.<br />

• Kommunikation und Information: Patienten<br />

klagen häufig darüber, dass sich Ärzte zu wenig<br />

Zeit nehmen, um mit ihnen zu reden. Sie wünschen<br />

sich eine intensivere Kommunikation bei<br />

der Abklärung und Mitteilung der Diagnose, beim<br />

Festlegen der Behandlung, während der Therapie<br />

und bei der Entlassung.<br />

• Organisation und Management der Krankenhausversorgung:<br />

Patienten wollen Planungssicherheit<br />

und eine reibungslose Organisation<br />

ihres Klinikaufenthalts. Darüber hinaus wünschen<br />

sie sich, dass nach dem Betätigen der Klingel<br />

zügig Hilfe kommt. Andererseits sollte eine straffe<br />

Organisation das Pflegepersonal nicht zu »Flitz<br />

und Spritz« verführen. Wichtig sind Patienten<br />

zudem feste Ansprechpartner, Transparenz über<br />

die Abläufe, guter Service und eine patientenorientierte<br />

Flexibilität in den Abläufen.<br />

• Standort und Atmosphäre: Eine Architektur,<br />

die sowohl ansprechend gestaltet ist als auch den<br />

Patienten mit ihren Einschränkungen größtmögliche<br />

Autonomie und Privatsphäre erlaubt, eine<br />

günstige Lage und eine gute Verkehrsanbindung<br />

sind Kriterien, auf die Patienten ebenfalls Wert<br />

legen.


34 | 35<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Abbildung 3:<br />

Entscheidungskriterien bei der Wahl des Krankenhauses (Relevanz in Prozent)<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

Qualifikation der Ärzte<br />

Sauberkeit der Klinik und Patientenzimmer<br />

Qualifikation des Pflegepersonals<br />

Behandlung nach den neuesten und derzeit besten<br />

medizinischen Verfahren<br />

Freundlichkeit des Personals<br />

98,16<br />

96,51<br />

96,45<br />

95,85<br />

95,61<br />

14 24-Stunden-Verfügbarkeit der apparativen Ausstattung<br />

15 Einhaltung der Arbeitszeiten für Ärzte<br />

16 Umfang der apparativen Ausstattung<br />

17 Häufigkeit der Durchführung bestimmter Eingriffe<br />

18 Ambulante Behandlungsmöglichkeiten<br />

19 Orientierung der ärztlichen und pflegerischen<br />

81,93<br />

80,91<br />

79,11<br />

79,11<br />

78,52<br />

78,25<br />

25<br />

26<br />

27<br />

28<br />

Anzahl der behandelten Patienten mit<br />

meiner Erkrankung<br />

Angebot alternativer Heilmethoden<br />

Wirtschaftlichkeit der Behandlung, das heißt<br />

Einsatz der jeweils kostengünstigsten unter den<br />

gleichwertigen Behandlungsverfahren<br />

Anzahl der medizinischen Fachabteilungen<br />

61,03<br />

59,79<br />

56,52<br />

52,20<br />

Auch im Gesundheitsmonitor wird regelmäßig nach<br />

den Präferenzen der Patienten bei der Wahl eines<br />

Krankenhauses gefragt. Die Ergebnisse decken sich<br />

weitgehend mit den internationalen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen. Zusätzlich lässt die Datenerhebung<br />

im Gesundheitsmonitor eine quantitative Auswertung<br />

und damit auch ein Ranking der einzelnen<br />

Kriterien zu (Geraedts 2006). Unter 33 abgefragten<br />

Kriterien rangiert die Qualifikation der Ärzte an<br />

erster Stelle: 98 Prozent der Versicherten bezeichnen<br />

sie als »wichtig«. [Abbildung 3]<br />

6<br />

7<br />

Einbeziehen der Patienten bei der Behandlung<br />

Spezialkompetenzen der Klinik<br />

91,10<br />

88,55<br />

20<br />

Versorgung an wissenschaftlichen Leitlinien/Standards<br />

Qualität des Essens<br />

78,03<br />

29<br />

Verfügbarkeit von Informationsbroschüren<br />

der Klinik zur Klinikorganisation<br />

52,11<br />

Wie sollten die Qualitätsberichte<br />

aussehen?<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

Zufriedenheit der Patienten mit dieser Einrichtung<br />

Behandlungserfolge und Komplikationsrate der Klinik<br />

Empfehlung der Klinik durch Spezialisten<br />

Umfang der therapeutischen Möglichkeiten<br />

Leistungsspektrum der medizinischen Fachabteilungen<br />

87,25<br />

86,32<br />

86,31<br />

85,35<br />

83,52<br />

21<br />

22<br />

23<br />

24<br />

Umgang der Klinik mit Beschwerden von Patienten<br />

Unabhängige Beurteilung der Qualität und des<br />

Qualitätsmanagements der Klinik (»Zertifizierung«)<br />

Verfügbarkeit von Informationsbroschüren<br />

der Klinik zum Ablauf bestimmter Behandlungen<br />

Erreichbarkeit der Klinik mit dem Auto und<br />

77,23<br />

74,69<br />

72,53<br />

72,05<br />

30<br />

31<br />

32<br />

33<br />

Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe<br />

Ausstattung der Klinik (Cafeteria, Bibliothek,<br />

Gebetsraum, Raucherraum etc.)<br />

Berücksichtigung besonderer Belange von Patienten<br />

mit Migrationshintergrund<br />

Verfügbarkeit eines Patientenfürsprechers<br />

51,08<br />

45,04<br />

41,20<br />

35,14<br />

Was ist demnach aus Sicht eines Krankenhauses zu<br />

beachten, wenn ein Informationsangebot wie ein Qualitätsbericht<br />

veröffentlicht wird? Es gibt drei große<br />

Baustellen, an denen die Krankenhäuser – und beim<br />

Widerstand der Kliniken auch der Gesetzgeber –<br />

arbeiten sollten, um die bisherigen Qualitätsberichte<br />

zu verbessern:<br />

13<br />

Ausstattung der Zimmer (Bettenzahl, Telefon,<br />

82,21<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln<br />

Fernseher, Toilette usw.)<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Bevölkerungsbefragung Frühjahr 2006, N=1.524, Auswertung durch Geraedts (2006)<br />

BertelsmannStiftung<br />

1. Fehlende Informationen aufnehmen: Krankenhaus-Qualitätsberichte<br />

sollen zum einen darüber


36 | 37<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

informieren, was Patienten für wichtig erachten,<br />

aber auch eine Orientierungshilfe für einweisende<br />

Ärzte und die Krankenkassen sein. Bisher werden<br />

die Patientenpräferenzen kaum berücksichtigt:<br />

In den Qualitätsberichten erscheinen von den<br />

Top-Ten-Kriterien der Versicherten gerade drei,<br />

nämlich die Qualifikation der Ärzte, die Qualifikation<br />

des Pflegepersonals und die Spezialkompetenzen<br />

der Klinik. Die übrigen Top-Ten-Kriterien der<br />

Versicherten werden in den Qualitätsberichten<br />

nicht aufgeführt (Geraedts 2006). Dies gilt etwa<br />

für Qualitätskriterien wie die »Einbeziehung der<br />

Patienten bei der Behandlung« oder die »Zufriedenheit<br />

der Patienten mit dieser Einrichtung«, die viele<br />

Häuser sowieso in eigenen Patientenbefragungen<br />

ermitteln. Vor allem sollten aber die »Behandlungserfolge<br />

und Komplikationsraten der Klinik« veröffentlicht<br />

werden – doch bisher trauen sich nur<br />

wenige Kliniken, ihre Qualitätsergebnisse, die sie<br />

ohnehin an die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung<br />

melden müssen, offenzulegen. Gerade<br />

die drei letztgenannten Kriterien sind sicherlich<br />

sowohl für die Patienten als auch für Gesundheitsexperten<br />

wie einweisende Ärzte und Krankenkassen<br />

äußerst wichtige Informationen.<br />

2. Nutzerfreundlichkeit der Informationen erhöhen:<br />

Die Nutzerfreundlichkeit betrifft zum einen den Stil,<br />

der griffig und verständlich sein sollte, zum anderen<br />

die Aufbereitung der Informationen (Schaeffer 2006).<br />

Bei aller gebotenen Informationsfülle dürfen Qualitätsberichte<br />

und Broschüren mit Fakten und Daten<br />

nicht überladen werden – sonst wird der Nutzer<br />

am Ende erst recht allein gelassen. Denn Informationsvielfalt<br />

und -komplexität führen zu Frustration<br />

und Lähmung und verleiten den Nutzer dazu, eher<br />

willkürlich Aspekte herauszugreifen und so eine<br />

unausgewogene und unangemessene Entscheidung<br />

zu treffen. Als Möglichkeiten, umfangreiche Daten<br />

handhabbar zu machen, bieten sich zum Beispiel<br />

computergestützte Entscheidungshilfen und grafisch<br />

einleuchtende Darstellungen von Daten an. Auch<br />

spricht einiges dafür, Informationen in Erzählform<br />

oder als Erfahrungsberichte aufzubereiten.<br />

3. Verfügbarkeit verbessern: Der Gesetzgeber verlangt<br />

eine Veröffentlichung der Krankenhaus-Qualitätsberichte<br />

im Internet. Damit ist theoretisch die<br />

größtmögliche Verbreitung gewährleistet – schließlich<br />

lassen sich auch im Internetcafé in Tokio die<br />

Daten des Kreiskrankenhauses im schwäbischen<br />

Plochingen abrufen. Dennoch geht diese Art der<br />

Datenpräsentation an vielen älteren Patienten vorbei,<br />

die derzeit das Internet nur wenig nutzen oder<br />

ihm nicht trauen. Diese Gruppe stellt jedoch die<br />

Mehrheit der Patienten. Für diese Patienten bieten<br />

sich Informationsangebote an, die sie ohnehin<br />

nutzen (Geraedts 2006): etwa ansprechend aufgemachte,<br />

gedruckte Broschüren und Telefonhotlines.<br />

Auch wenn die Krankenhaus-Qualitätsberichte<br />

der ersten Runde 2005, und höchstwahrscheinlich<br />

auch die der anstehenden zweiten Runde 2007, noch<br />

erheblich verbessert werden können (Altenhöner<br />

et al. 2007), ist zumindest ein erster großer Schritt<br />

in Richtung Transparenz über die Qualität von<br />

Leistungsanbietern getan. Wenn die drei genannten<br />

Verbesserungspotenziale ausgeschöpft werden,<br />

können sich Versicherte und ihre einweisenden<br />

Ärzte, aber auch Krankenkassen, besser über die<br />

Qualität von Krankenhäusern informieren. Zudem<br />

gilt es nun, nächste Schritte hin zu mehr Transparenz<br />

zu wagen: die Einführung einer Qualitätsberichtspflicht<br />

auch für Arztpraxen, Medizinische<br />

Versorgungszentren, Rehabilitationskliniken und<br />

Pflegeheime.<br />

Literatur<br />

• Altenhöner, T.; Schmidt-Kähler, S.; Schwenk, U.; Weber, J.; Schaeffer,<br />

D. (2007): Was wollen Patienten wissen? Strukturierte Qualitätsberichte<br />

immer noch nicht patientengerecht. In: Krankenhaus<br />

Umschau, 2/2007, 111–112.<br />

• Coulter, A.; Magee, H. (2003): The European patient of the future.<br />

Maidenhead, Philadelphia: Open University Press.<br />

• Focus Magazin Verlag (2005): Die große FOCUS-Ärzte-Liste –<br />

jetzt in aktualisierter, erweiterter Neuausgabe.<br />

www.focus-magazin-verlag.de/PF4/PF4D/PF4DN/pf4dn.htm?snr=282.<br />

• Geraedts, M. (2006): Qualitätsberichte deutscher Krankenhäuser und<br />

Qualitätsvergleiche von Einrichtungen des <strong>Gesundheitswesen</strong>s aus<br />

Versichertensicht. In: Böcken, J.; Braun, B.; Amhof, R.; Schnee, M.<br />

(Hrsg.): Gesundheitsmonitor 2006. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung,<br />

154–170.<br />

• Schaeffer, D. (2006): Bedarf an Patienteninformationen über das<br />

Krankenhaus. Eine Literaturanalyse. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.


38 | 39<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

ZERTIFIKATE:<br />

QUALITÄT MIT BRIEF UND SIEGEL<br />

Jeder kennt Gütesiegel wie den Blauen Umweltengel, die TÜV-Prüfzeichen<br />

Die Bevölkerung bringt Gütesiegeln und Zertifikaten<br />

von Arztpraxen und Krankenhäusern ein großes Vertrauen<br />

entgegen. In der Umfrage des Gesundheitsmonitors<br />

der Bertelsmann Stiftung vom Herbst 2005<br />

beurteilten die Befragten unterschiedliche Maßnahmen<br />

zur Sicherung der Qualität in der Gesundheitsversor-<br />

trollen und allgemein zugängliche, objektive und<br />

verständliche Informationen, die die Wahl einer<br />

Praxis oder eines Krankenhauses erleichtern, den<br />

Bedürfnissen der Versicherten sehr entgegen.<br />

Dass das Vertrauen der Bevölkerung in kontrollierte<br />

Abbildung 1:<br />

»Was meinen Sie: Wird durch Qualitätskontrolle und<br />

anschließendem Zertifikat ...«<br />

die Fortbildung von Arzt und Personal<br />

besser kontrollierbar?<br />

76<br />

oder die Qualitätsurteile der Stiftung Warentest: Sie sorgen für Transparenz<br />

und schaffen Vertrauen. Sie besiegeln, dass ein Produkt, eine Dienstleistung<br />

oder eine ganze Organisation sich einem externen Prüfverfahren<br />

gung. Zertifikate stellten sich dabei, auch aufgrund<br />

ihrer Bekanntheit aus anderen Zusammenhängen,<br />

als die beliebteste Maßnahme heraus: 85 Prozent der<br />

und zertifizierte Praxen hoch ist, zeigen die Erwartungen,<br />

die die Befragten an zertifizierte Einrichtungen<br />

richten, wie Abbildung 1 verdeutlicht.<br />

die medizinische Behandlung verbessert<br />

(d. h. weniger Komplikationen, bessere<br />

Behandlungsmethoden)?<br />

71<br />

gestellt hat und alle vorgegebenen Anforderungen erfüllt. Auch im<br />

<strong>Gesundheitswesen</strong> finden Gütesiegel und Zertifikate als Nachweis von<br />

Qualität allmählich Einsatz. Welche Qualitätsanforderungen die unter-<br />

Befragten befürworten eine regelmäßige Überprüfung<br />

der Qualifikation von Ärzten, beispielsweise in Form<br />

eines Ärzte-TÜVs. 74 Prozent wünschen sich, dass<br />

Der Vertrauensvorschuss, den Zertifikate bei den<br />

Befragten genießen, stammt sicherlich aus den posi-<br />

der Patient besser und verständlicher über<br />

seine Krankheit und deren Behandlung<br />

informiert?<br />

67<br />

schiedlichen Zertifizierer stellen, ist für die Versicherten bisher nur<br />

bedingt transparent.<br />

Krankenkassen über die Qualität von Ärzten und<br />

Krankenhäusern informieren. 68 Prozent wollen die<br />

Veröffentlichung von Ranglisten der Qualität von<br />

tiven Erfahrungen mit diesem Instrument in anderen<br />

Anwendungsbereichen. Wichtig ist es zukünftig,<br />

dieses Vertrauen nicht zu verspielen, sondern zur<br />

der Behandlungsablauf für den Patienten<br />

verbessert (d.h. kürzere Wartezeiten, weniger<br />

Doppeluntersuchungen)?<br />

62<br />

Ärzten und Krankenhäusern (Bertelsmann Stiftung<br />

2006). Folglich kommen regelmäßige Qualitätskon-<br />

Verbesserung der Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong><br />

zu nutzen. Dafür müssen die Versicherten<br />

und Patienten die Qualitätszertifikate nicht nur<br />

die schriftliche Information für den Patienten<br />

über Diagnose, Krankheitsursache, Behandlungsmethode<br />

o. ä. besser?<br />

57<br />

kennen, sondern sie auch ausfindig machen und<br />

Anteile der Antworten mit »ja«, Angaben in Prozent<br />

nutzen. Doch wie leicht findet ein Versicherter eine<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Befragung Frühjahr 2005, N=1.539<br />

Arztpraxis oder ein Krankenhaus, die ein Qualitätsmanagement-System<br />

anbieten, sich einer externen<br />

Überprüfung stellen und dies zudem mit einem<br />

Zertifikat nach außen belegen? Wie selbsterklärend<br />

sind die Zertifikate? Die Antwort lautet: Gegenwärtig


40 | 41 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

herrscht große Unübersichtlichkeit, obwohl Zertifikate<br />

doch für mehr Transparenz sorgen sollen.<br />

Qualitätsmanagement ist Pflicht,<br />

anschließende Zertifizierung Kür<br />

Der Gesetzgeber verpflichtet seit dem Jahr 2000<br />

Krankenhäuser und stationäre Einrichtungen für<br />

Vorsorge und Rehabilitation und seit Anfang 2004<br />

Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren,<br />

ein »einrichtungsinternes Qualitätsmanagement«<br />

einzuführen und weiterzuentwickeln. All diese<br />

Einrichtungen können einen unabhängigen Dritten<br />

mit der Überprüfung beauftragen, ob alle Maßnahmen<br />

des Qualitätsmanagements umgesetzt worden<br />

sind – sie müssen aber nicht. Denn die Zertifizierung<br />

ist nach wie vor freiwillig (BMG 2006). Den Arzt-<br />

praxen und Krankenhäusern bleibt gegenwärtig<br />

sowohl bei der Wahl eines Qualitätsmanagement-<br />

Systems als auch bei der anschließenden Zertifizierung<br />

ein großer Freiraum. Die Kehrseite der Medaille<br />

ist die Unübersichtlichkeit für den Patienten.<br />

So kann jede Einrichtung zwischen den Qualitätsmanagement-Systemen<br />

frei wählen. Doch jedes der<br />

zahlreichen Verfahren hat einen anderen Anspruch<br />

und legt unterschiedliche Schwerpunkte – je nachdem<br />

welche Institution das Qualitätsmanagement-System<br />

entwickelt hat und welche die externe Überprüfung<br />

durchführt und schließlich das Zertifikat ausstellt<br />

(siehe auch das Kapitel »Vorbild Industrie: Qualitätsmanagement<br />

in Arztpraxen«). Und im Zweifelsfall<br />

wird ein Arzt oder Krankenhaus ein System auswählen,<br />

welches am wenigsten Aufwand verursacht.<br />

Die Patienten als Endverbraucher können es kaum<br />

beeinflussen, dass sich die anspruchsvolleren Qualitätsmanagement-Systeme<br />

verbreiten. Denn sie<br />

können nur schwer in Erfahrung bringen, welche<br />

Systeme verwendet werden, wie sie zu bewerten sind<br />

und wie ihr Arzt oder Krankenhaus sie tatsächlich<br />

umsetzt. Dies liegt auch daran, dass die Zertifizierung<br />

freiwillig ist. Für Patienten ist es schon schwer<br />

genug, eine der wenigen bisher zertifizierten Arztpraxen<br />

ausfindig zu machen – und danach müssten<br />

sie noch die einzelnen Verfahren miteinander vergleichen.<br />

Ärzte lehnen freiwillige Zertifizierungen<br />

bisher eher ab<br />

Viele Ärzte stehen einer Zertifizierung ihrer Qualitätsanstrengungen<br />

durch unabhängige Dritte nicht so<br />

aufgeschlossen gegenüber, wie die Patienten es gerne<br />

hätten: Nach einer Ärztebefragung im Rahmen des<br />

Gesundheitsmonitors meinen 70 Prozent der Ärzte,<br />

dass eine Zertifizierung lediglich mehr Aufwand für<br />

sie bedeutet. 50 Prozent sehen in ihr kein wirksames<br />

Mittel zur Praxisoptimierung, und 40 Prozent glauben<br />

nicht, dass damit das Praxispersonal zu sorgfältigerem<br />

Arbeiten angeleitet werden kann. Doch<br />

nicht nur das: Viele Ärzte ignorieren ganz einfach<br />

die Wünsche der Patienten nach Zertifizierungen.<br />

Fast jeder zweite Arzt glaubt, dass Zertifizierungen<br />

für Patienten völlig unwichtig seien (Schnee/<br />

Kirchner 2005).<br />

Liegen die Ärzte mit ihrer Einschätzung richtig?<br />

Zumindest ist zu erkennen, dass trotz der großen<br />

Zustimmung zu Zertifikaten und der Leistungsfähigkeit,<br />

die die Bürger ihnen zuschreiben, ihre Bedeutung<br />

bei der Wahl eines Arztes immer noch gering<br />

ist. Dies verdeutlichen die Befragungsergebnisse des<br />

Gesundheitsmonitors vom Frühjahr 2006: Von den<br />

Befragten, die in letzter Zeit einen neuen Arzt aufgesucht<br />

und sich vorher über ihn informiert haben,<br />

erkundigen sich 70 Prozent darüber, wie zufrieden<br />

andere Patienten mit dem Arzt sind. 68 Prozent versuchen,<br />

sich über Fachkenntnisse, Spezialisierungen<br />

und Erfahrungen zu informieren, und 52 Prozent<br />

wollen etwas über den Umgang des Arztes mit<br />

seinen Patienten wissen. Zertifikate, Fortbildungsnachweise<br />

oder Qualitätsberichterstattung spielen<br />

dagegen bei nur 15 Prozent der Befragten eine Rolle<br />

(Bertelsmann Stiftung 2006).


42 | 43<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Bisher noch zu wenige<br />

zertifizierte Praxen<br />

Wie lässt sich die Diskrepanz erklären – großes<br />

Vertrauen in Zertifikate einerseits, aber ihr geringer<br />

Einsatz als Orientierungshilfe für die Arztwahl andererseits?<br />

Es könnte an der Unübersichtlichkeit der<br />

Zertifikatelandschaft oder an der bisher fehlenden<br />

Erfahrung mit ihrer Verwendung im <strong>Gesundheitswesen</strong><br />

liegen. Vor allem aber daran, dass bisher erst<br />

sehr wenige Zertifizierungen erfolgt sind. Insofern<br />

besteht für die meisten Bürger bisher noch gar nicht<br />

die Möglichkeit, Qualitätssiegel als Entscheidungsgrundlage<br />

tatsächlich zu verwenden.<br />

Die Befragungsergebnisse verdeutlichen somit das<br />

Problem der aktiven Informationssucher: Da unabhängige<br />

Informationsgrundlagen fehlen, sind Patienten<br />

bei der Wahl ihres Arztes immer noch auf Hörensagen<br />

und allgemeine Einschätzungen auf der Basis<br />

von Praxisschildern angewiesen. Immerhin ist ein<br />

positiver Trend zu verzeichnen: 2004 griffen nur<br />

neun Prozent aller aktiven Informationssucher auf<br />

Zertifikate als Entscheidungsgrundlage der Arztwahl<br />

zurück, zwei Jahre später waren es bereits 15 Prozent.<br />

In einem ähnlichen Umfang dürften auch die verfügbaren<br />

Zertifikate gestiegen sein.<br />

Werden Zertifikate nicht ohnehin überfällig, wenn<br />

bis spätestens 2010 jede Arztpraxis ein Qualitätsmanagement-System<br />

eingeführt haben muss? Dies<br />

ist sicher nicht der Fall. Patienten werden dann<br />

immerhin die Gewissheit haben, dass ihre Arztpraxis<br />

ein Verfahren durchlaufen hat, doch welches und<br />

mit welchem Ergebnis bleibt weiterhin unklar. Eines<br />

sollte daher für qualitätsinteressierte Bürger gewährleistet<br />

sein: Transparenz darüber, wer und was sich<br />

hinter den Qualitätsmanagement-Systemen und<br />

hinter den Zertifizierungsstellen verbirgt.<br />

Zertifizierung und Zertifizierer<br />

müssen vertrauenswürdig sein<br />

Problematisch kann es sein, dass Zertifikate<br />

prinzipiell von jeder Institution vergeben werden<br />

können – seien es interessengeleitete Berufsverbände,<br />

kommerzielle Anbieter oder aber unabhängige<br />

Vereine und Stiftungen. Der Wert eines<br />

Zertifikates hängt davon ab, ob es gegenüber den<br />

Versicherten glaubhaft die behauptete Qualität<br />

bezeugt. Diese Glaubwürdigkeit ist dann besonders<br />

groß, wenn das verwendete Qualitätsmanagement-<br />

System zum einen einen hohen Standard aufweist.<br />

Zum anderen sollte aber die zertifizierende Institution<br />

selbst möglichst unabhängig von den zu<br />

bewertenden Arztpraxen und Krankenhäusern<br />

und ihren jeweiligen Interessenverbänden sein und<br />

ihre Neutralität und Unabhängigkeit über einen<br />

langen Zeitraum und gegen Widerstände erfolgreich<br />

aufrechterhalten können.<br />

Dass Versicherte nicht jedem Zertifizierer gleich<br />

viel Vertrauen entgegenbringen, zeigen wiederum<br />

Ergebnisse des Gesundheitsmonitors [Abbildung 2]:<br />

Unabhängigen Institutionen wie dem TÜV oder<br />

Stiftungen attestieren 83 Prozent der Bevölkerung<br />

Glaubwürdigkeit. Den Ärztekammern und Krankenkassen<br />

schenken mit 57 Prozent und 55 Prozent der<br />

Befragten schon viel weniger Versicherte Glauben.<br />

Dem Gesundheitsministerium als möglichem Anbieter<br />

von Zertifikaten vertrauen 38 Prozent, anderen<br />

Behörden oder Ämtern nur noch 23 Prozent der<br />

Befragten (Schnee/Kirchner 2005). Die geforderte<br />

Unabhängigkeit betrifft also sowohl die Zertifizierung<br />

als auch den Zertifizierer selbst.<br />

Abbildung 1:<br />

Es gibt viele Institutionen, die Zertifikate ausstellen können.<br />

Welche davon halten Sie für glaubwürdig?<br />

Unabhängige Institutionen<br />

wie TÜV oder Stiftungen<br />

Ärztekammern<br />

Krankenkassen<br />

Gesundheitsministerium<br />

Andere Behörden oder Ämter<br />

Angaben in Prozent<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Befragung Frühjahr und Herbst 2004, N=2.984<br />

23<br />

38<br />

57<br />

55<br />

83


44 | 45<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Bürger<br />

Nicht alle Anbieter für Qualitätsmanagement und<br />

Zertifizierung legen bisher die Ansprüche ihres<br />

Systems an die Arztpraxen und ihre eigenen wirtschaftlichen<br />

und (verbands-)politischen Interessen<br />

offen. Es <strong>braucht</strong> unabhängige Stellen, die die Unterschiede<br />

zwischen den einzelnen Systemen den interessierten<br />

Versicherten aufzeigen. Und auch dann<br />

blieben Zertifikate, die ja hauptsächlich das Bemühen<br />

um eine stetige interne Qualitätsverbesserung<br />

dokumentieren, nur eines der möglichen Informationsangebote,<br />

um die Transparenz über die<br />

Qualität von Leistungsanbietern zu erhöhen.<br />

Wichtig ist somit zukünftig, die Bürger für das Thema<br />

Qualität zu sensibilisieren. Sie sollten im eigenen Interesse<br />

Qualitätsinformationen von ihrem Arzt fordern,<br />

bevor sie sich behandeln lassen. Sie sollten wissen,<br />

dass es verschiedene Qualitätsmanagement-Systeme<br />

gibt und die Leistungsanbieter unterschiedlich professionell<br />

mit dem Thema Qualität umgehen. Dieses<br />

Bewusstsein können sowohl die qualitätsorientierten<br />

Leistungserbringer selbst, aber auch die Krankenkassen<br />

oder Verbraucher- und Patientenverbände schärfen.<br />

Zudem muss Transparenz über zertifizierte Arztpraxen,<br />

Medizinische Versorgungszentren oder<br />

Krankenhäuser hergestellt werden. Die Bürger sollten<br />

zertifizierte Leistungsanbieter mit vertretbarem Aufwand<br />

ausfindig machen können. Verbraucher- und<br />

Patientenverbände könnten sie dabei unterstützen.<br />

Je qualitätsbewusster die Bürger zukünftig sein<br />

werden, umso mehr werden die zertifizierten<br />

Einrichtungen selbst ein Interesse daran haben,<br />

dass möglichst viele Bürger sie finden.<br />

Literatur<br />

• Bertelsmann Stiftung (2006): Gesundheitsmonitor, Welle IX.<br />

Tabellarische Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung<br />

im Oktober/November 2005. Eine Studie der TNS Healthcare im<br />

Auftrag der Bertelsmann Stiftung. München (unveröffentlicht).<br />

• Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (Hrsg.) (2006): Sicherung<br />

der Qualität im <strong>Gesundheitswesen</strong>. Maßnahmen, Verantwortliche,<br />

Ansprechpartner. Berlin.<br />

• Schnee, M.; Kirchner, H. (2005): Qualitätsmanagement und<br />

Zertifizierung. In: Böcken, J.; Braun, B.; Schnee, M.; Amhof, R.<br />

(Hrsg.): Gesundheitsmonitor 2005. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung,<br />

41–53.<br />

• Zöll, R.; Brechtel, T. (2005): Qualitätsmanagement und Zertifikate<br />

in Gesundheitseinrichtungen: Viele Konzepte, viele Verfahren und<br />

kaum Transparenz. Gesundheitsmonitor, Newsletter der Bertelsmann<br />

Stiftung, 02/2005.<br />

INFO<br />

Zertifikate über ein erfolgreich eingeführtes Qualitätsmanagement-System sind nicht zu verwechseln mit Urkunden über Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen,<br />

an denen der Arzt teilgenommen hat. Da es Zertifikate verschiedenster Anbieter für Weiterbildungen gibt, die vom Hören eines einstündigen<br />

Vortrags bis zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse reichen können, steht der interessierte Patient vor einer bunten Vielfalt<br />

von Urkunden. Nur bei genauer Analyse geben sie einen Eindruck von der Ernsthaftigkeit der Fort- und Weiterbildungsaktivitäten des Arztes.


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Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

TRANSPARENZ FÜR ÄRZTE<br />

• Vorbild Industrie: Qualitätsmanagement in Arztpraxen<br />

• Qualitätstransparenz in den USA: »Transparenz spornt Ärzte an«<br />

• Bezahlen nach Leistung: Gut für Qualität und Transparenz?<br />

VORBILD INDUSTRIE:<br />

QUALITÄTSMANAGEMENT IN ARZTPRAXEN<br />

Von den Patienten gewollt, vom Gesetzgeber gefordert, von den Ärzten<br />

nicht immer geliebt: Nach den Krankenhäusern hält Qualitätsmanagement<br />

nun Einzug in Arztpraxen. Bis 2010 müssen alle Arzt- und Psychotherapeutenpraxen<br />

sowie alle Medizinischen Versorgungszentren ihre<br />

Strukturen, Abläufe und Ergebnisse überprüfen und zeigen, dass<br />

sie ihre Qualität kontinuierlich verbessern. Wie sie das anstellen, ist<br />

weitgehend ihnen selbst überlassen. Qualitätsmanagement-Systeme<br />

helfen ihnen dabei.<br />

Dr. med. Ralf Rohde-Kampmann, Allgemeinarzt<br />

einer Gemeinschaftspraxis in Verden an der Aller<br />

in Niedersachsen, ist von den Vorteilen des Qualitätsmanagements<br />

überzeugt. Seiner Erfahrung nach<br />

schafft es mehr Zeit für Gespräche mit den Patienten,<br />

macht seine Mitarbeiter zufriedener und reduziert<br />

deren Überstunden. Sein Praxisteam hat viel Zeit<br />

darin investiert, die Patienten zu schulen und zu<br />

stärken, damit sie im Alltag besser mit ihrer Krankheit<br />

umgehen können. »Das hat dazu geführt«, so<br />

Rohde-Kampmann, »dass die Patienten teilweise zum


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Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

70 Prozent der Ärzte, dass eine Zertifizierung ledig-<br />

• Struktur: Hier geht es um die räumliche, perso-<br />

Manager ihrer Krankheit geworden sind. Wir Ärzte<br />

fangen dann nicht bei jeder Untersuchung noch einmal<br />

bei null an.« (Durst 2006) Für ihn und seine<br />

Kollegen in der Gemeinschaftspraxis bedeutet Qualitätsmanagement,<br />

sich mit dem eigenen Tun auseinanderzusetzen<br />

und dieses stetig zu verbessern –<br />

zum Wohle der Patienten. »Ein schöner Nebeneffekt<br />

des Qualitätsmanagements ist«, so Rohde-Kampmann,<br />

»dass wir durch straffere Arbeitsabläufe und weniger<br />

Überstunden jetzt 20.000 Euro mehr Gewinn pro<br />

Jahr haben.« Ein weiterer schöner Nebeneffekt: Rohde-<br />

Kampmann und seine Kollegen gewannen im Jahr<br />

2004 den Berliner Gesundheitspreis zum Thema<br />

»Hausarzt-Medizin der Zukunft« (Durst 2005).<br />

In der Industrie längst Standard, hat Qualitätsmanagement<br />

nun auch Deutschlands Arztpraxen<br />

erreicht. Die Patienten versprechen sich laut Gesundheitsmonitor<br />

der Bertelsmann Stiftung viel davon:<br />

71 Prozent der Befragten erwarten von zertifizierten<br />

Praxen oder Krankenhäusern, also solchen mit erfolgreich<br />

umgesetztem Qualitätsmanagement, eine<br />

bessere medizinische Behandlung, 62 Prozent eine<br />

bessere Organisation der Abläufe mit kürzeren<br />

Wartezeiten, weniger Doppeluntersuchungen und<br />

besserer Dokumentation der Patientenakte<br />

(Bertelsmann Stiftung 2005).<br />

Ärzte hingegen stehen dem Qualitätsmanagement<br />

und einer anschließenden Zertifzierung nicht so aufgeschlossen<br />

gegenüber, wie die Patienten es gerne<br />

hätten und wie der Hausarzt Rohde-Kampmann und<br />

seine Kollegen es vormachen. Nach der Ärztebefragung<br />

im Rahmen des Gesundheitsmonitors meinen knapp<br />

lich mehr Aufwand für sie bedeutet. Knapp 50 Prozent<br />

sehen in ihr kein wirksames Mittel zur Praxisoptimierung,<br />

und 40 Prozent glauben nicht, dass damit<br />

das Praxispersonal zu sorgfältigerem Arbeiten angeleitet<br />

werden kann (Schnee/Kirchner 2005).<br />

Ob nun Befürworter oder Skeptiker: Für alle niedergelassenen<br />

Ärzte ist es höchste Zeit, ihre tägliche<br />

Arbeit systematisch zu analysieren, für ihre Mitarbeiter<br />

transparenter zu machen und sie stetig zu<br />

verbessern, denn seit 2004 ist Qualitätsmanagement<br />

gesetzlich vorgeschrieben, und »Qualitätsmanagement<br />

in Arztpraxen dient«, so besagt es eine Definition<br />

des Bundesgesundheitsministeriums, »der<br />

kontinuierlichen Verbesserung der Patientenversorgung<br />

und Praxisorganisation. Dazu werden die<br />

Dienstleistungen, Arbeitsabläufe und Praxisbereiche<br />

in einzelnen Schritten systematisch hinterfragt.«<br />

(BMG 2005)<br />

Die Qualität einer Arztpraxis umfasst drei wesentliche<br />

Aspekte. Diese werden im Rahmen des Qualitätsmanagements<br />

begutachtet und kontinuierlich<br />

verbessert:<br />

nelle und technische Ausstattung der Praxis. Auch<br />

der Aus- und Fortbildungsstand des Arztes und<br />

seiner Mitarbeiter wird beleuchtet.<br />

• Prozess: Die beste Struktur nützt wenig, wenn die<br />

Abläufe nicht stimmen. Sie müssen zielgerichtet,<br />

zeitnah und vorab definiert sein.<br />

• Ergebnis: Entscheidend ist letztlich, ob das Behandlungsziel<br />

erreicht worden ist. Hier zählt der<br />

messbare Erfolg der Praxisarbeit, der sich u.a. in<br />

medizinischen Ergebnissen wie Heilungsquoten,<br />

den so genannten »patient reported outcomes«,<br />

oder der Patientenzufriedenheit ausdrückt.<br />

Die jetzt festgeschriebene Verpflichtung zum einrichtungsinternen<br />

Qualitätsmanagement kündigte sich<br />

lange an: Bereits das Gesundheitsstrukturgesetz von<br />

1993 beauftragte die Spitzenverbände der Kassen,<br />

die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesverbände<br />

der Leistungserbringer, gemeinsam Verfahren<br />

zur Qualitätssicherung zu bestimmen. Die<br />

Kassenärztliche Bundesvereinigung verfasste daraufhin<br />

Qualitätssicherungsrichtlinien und regte Qualitätszirkel<br />

an, in denen sich Ärzte mit ihren Kollegen<br />

austauschen sollten. 1999 definierte die Gesundheits-


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Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

können diejenigen, die sich bereits für ein Qualitätsmanagement-System<br />

entschieden haben, bei<br />

ihrem System bleiben und Praxen, die neu einsteigen,<br />

sich ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes<br />

System suchen. Aufgrund der langen Vorlaufzeit<br />

haben sich verschiedene Managementsysteme am<br />

Markt etabliert [siehe Übersicht auf der nächsten<br />

Doppelseite]. Zunächst fanden vor allem industrielle<br />

Managementmethoden wie DIN EN ISO 9001: 2000<br />

und das EFQM-Modell Anwendung. Doch weil sie<br />

auf die medizinische Versorgung nur eingeschränkt<br />

übertragbar sind, entstanden auch spezielle Konzepte<br />

für das <strong>Gesundheitswesen</strong> wie EPA, QEP, KPQM,<br />

qu.no und KTQ (Schnee/Kirchner 2005).<br />

Doch wieso gibt es überhaupt eine gesetzliche<br />

Pflicht, Qualitätsmanagement einzuführen und<br />

weiterzuentwickeln? Ist Qualitätsmanagement in<br />

der Industrie nicht auch eine freiwillige Maßnahme?<br />

In der Industrie üben die Nachfrager Druck aus.<br />

Ein Zulieferer in der Automobilindustrie beispielsweise<br />

hat gegen die Konkurrenz keine Chance,<br />

wenn er auf Qualitätsmanagement verzichtet. Im<br />

<strong>Gesundheitswesen</strong> funktioniert das nicht, weil die<br />

Anreize für Ärzte gering sind, freiwillig Qualitätsministerkonferenz<br />

eine einheitliche Strategie für<br />

Qualitätsmanagement, die sich schließlich 2004 als<br />

gesetzliche Verpflichtung zum Qualitätsmanagement<br />

im Fünften Sozialgesetzbuch niederschlug.<br />

Langer Vorlauf bis zur flächendeckenden<br />

Umsetzung<br />

Diese Pflicht inhaltlich auszugestalten war Aufgabe<br />

des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA),<br />

der Anfang 2006 entsprechende Richtlinien verabschiedete<br />

und die Grundelemente und Instrumente<br />

des einrichtungsinternen Qualitätsmanagements<br />

festschrieb (G-BA 2005). Und noch immer dauert<br />

es, bis wirklich alle Praxen ein Qualitätsmanagement<br />

betreiben: Die Ärzte dürfen sich bis zu fünf<br />

Jahre Zeit lassen, die Vorgaben umzusetzen. Diese<br />

Großzügigkeit geht allerdings zu Lasten derjenigen<br />

Patienten, die auf ein funktionierendes Qualitätsmanagement<br />

in Arztpraxen schon jetzt Wert<br />

legen.<br />

Arztpraxen können zwischen den Qualitätsmanagement-Systemen<br />

frei wählen, solange<br />

sie den Ansprüchen des G-BA genügen. Damit<br />

management einzuführen: Den Krankenkassen fehlt<br />

das Druckmittel, weil sie mit den Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen, also mit allen Kassenärzten, Kollektivverträge<br />

abschließen müssen – die Kassen können<br />

nur sehr eingeschränkt bessere Ärzte, die etwa eine<br />

Zertifizierung ihres Qualitätsmanagements oder eine<br />

medizinische Ergebnisqualität nachweisen können,<br />

mit attraktiven Verträgen belohnen. Und weniger<br />

qualitätsorientierte Ärzte können nicht vom Kollektivvertrag<br />

und der kollektiven Bezahlung ausgeschlossen<br />

werden.<br />

Gesetzliche Pflicht oder<br />

Druck durch die Kassen?<br />

Insofern haben Gesetzgeber und Gemeinsamer<br />

Bundesausschuss die fehlende Verhandlungsmacht<br />

der Kassen durch Paragraphen und Richtlinien<br />

ersetzt. Mancher Versicherter wird sich fragen,<br />

was langfristig sinnvoller ist: den Ärzten Qualitätsmanagement<br />

zu verordnen und zu kontrollieren,<br />

ob sie ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen – oder<br />

die Position der Kassen zu stärken? Das hieße, den<br />

Kassen mehr Möglichkeiten einzuräumen, unterschiedliche<br />

Einzelverträge mit ausgewählten Ärzten<br />

abzuschließen, so dass einzelne Ärzte, ähnlich<br />

wie die Automobilzulieferer, unter Druck stehen,<br />

freiwillig und gewissenhaft Qualitätsmanagement<br />

einzuführen.<br />

Der Gesetzgeber hat sich vor allem für Variante<br />

eins entschieden, also Qualitätsmanagement vorzuschreiben<br />

und die Einhaltung zu kontrollieren.<br />

Für die Überprüfung sollen die Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen so genannte Qualitätsmanagement-<br />

Kommissionen mit mindestens drei besonders<br />

qualifizierten Mitgliedern einrichten. Aufgabe jeder<br />

Kommission ist es, einmal jährlich eine von 40<br />

Praxen – also nur 2,5 Prozent aller Praxen – nach<br />

dem Zufallsprinzip zu bewerten und die Ergebnisse<br />

an die KBV zu schicken, die diese für einen gemeinsamen<br />

Bericht an den G-BA aufbereitet. Ab 2011<br />

wird der G-BA die Ergebnisse und begleitende<br />

wissenschaftliche Studien schließlich auswerten,<br />

veröffentlichen und, wenn nötig, dann doch bestimmte<br />

Qualitätsmanagement-Systeme vorschreiben<br />

und Sanktionen für Ärzte festlegen. Die Kontrollfunktion<br />

der Kassenärztlichen Vereinigungen hat<br />

allerdings einen Haken: Sind sie nicht selbst Anbieter<br />

groß umworbener Qualitätsmanagement-Systeme?


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Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

Übersicht Qualitätsmanagement-Systeme und Zertifizierung<br />

DIN EN ISO 9001:2000<br />

EPA<br />

KTQ<br />

sprechend einen schrittweisen und praxisbezogenen<br />

Der branchenneutrale »Klassiker« der ISO-Norm<br />

Das »European Practice Assessment« entstand<br />

Das KTQ-Modell (»Kooperation für Transparenz<br />

Aufbau eines Qualitätsmanagement-Systems.<br />

orientiert sich im Wesentlichen an Prozessen und<br />

als wissenschaftliches Gemeinschaftsprojekt der<br />

und Qualität im <strong>Gesundheitswesen</strong>«) wurde ur-<br />

Externe Dritte können die Prozesse, Verfahren<br />

ist weltweit standardisiert. Das Verfahren wird<br />

Bertelsmann Stiftung mit dem AQUA-Institut und<br />

sprünglich für Krankenhäuser entwickelt und<br />

und Ergebnisse prüfen und zertifizieren.<br />

in so genannten Audits bewertet und mit der<br />

TOPAS Germany auf der Grundlage des nieder-<br />

anschließend für Praxen angepasst. Es handelt sich<br />

(www.kbv.de/themen/qualitaetsmanagement.html)<br />

Vergabe eines Zertifikates abgeschlossen.<br />

ländischen Visitationsmodells. EPA gewährleistet<br />

um ein Bewertungsmodell, das die Durchführung<br />

(www2.din.de)<br />

anhand einer umfassenden, indikatorengestützten<br />

einer Selbstbewertung anhand eines Kataloges<br />

qu.no und KPQM 2006<br />

Selbst- und Fremdbewertung, einer Patienten- und<br />

erfordert. Diesbezüglich legt das Verfahren seinen<br />

Die Qualitätsmanagement-Systeme der Kassenärzt-<br />

EFQM<br />

Mitarbeiterbefragung sowie eines strukturierten<br />

Schwerpunkt auf individuelle Lösungsansätze der<br />

lichen Vereinigungen Nordrhein bzw. Westfalen-Lippe<br />

Das Exzellenz-Modell der »European Foundation<br />

Feedbacks eine nachhaltige und umfangreiche<br />

Praxis. (www.ktq.de)<br />

sind speziell für die Arztpraxis entwickelt worden.<br />

for Quality Management« (EFQM) hat einen ganz-<br />

Unterstützung bei der Qualitätsverbesserung.<br />

Sie zielen vor allem auf die Prozessperspektive ab.<br />

heitlichen Ansatz und ist ein international akzeptier-<br />

Eine Benchmarking-Datenbank erlaubt einen detail-<br />

QEP<br />

Wegen ihres modularen Aufbaus können sie weiter-<br />

tes Modell für die Entwicklung eines dynamischen<br />

lierten und anonymen Vergleich mit strukturgleichen<br />

Das Modell »Qualität und Entwicklung in Praxen«<br />

entwickelt werden.<br />

Qualitätsmanagements. Es legt eine Selbstbewertung<br />

Praxen und den jeweils besten Praxen auf nationaler<br />

ist von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

(www.kvno.de/mitglieder/qualitaet/qualmanage/<br />

zugrunde. Ein Zertifikat wird nicht ausgestellt, hin-<br />

und internationaler Ebene. (www.europaeisches-<br />

(KBV) für den niedergelassenen Bereich entwickelt<br />

www.kvwl.de/arzt/q_sicherung/qm/index.htm)<br />

gegen können sich die Einrichtungen für einen Preis<br />

praxisassessment.de; Liste der nach EPA zertifizierten<br />

worden. Für die Einführung und Umsetzung dient<br />

bewerben. (www.deutsche-efqm.de)<br />

Praxen bei www.stiftung-praxissiegel.de)<br />

ein Qualitätszielkatalog als Orientierungshilfe.<br />

Es ermöglicht den Vorkenntnissen der Praxis ent-<br />

[Wir übernehmen keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit<br />

der Informationen auf den angegebenen Internetseiten.]


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Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

Wie ernsthaft werden die Kassenärztlichen Vereinigungen<br />

Praxen kontrollieren, die die von ihnen angebotenen<br />

Qualitätsmanagement-Systeme anwenden?<br />

Eine weitere Analogie mit der Automobilindustrie<br />

drängt sich auf: Die Automobilhersteller würden<br />

kaum einen monopolartig organisierten Verband<br />

der Zulieferindustrie, wenn es ihn denn gäbe, damit<br />

beauftragen zu überprüfen, ob seine zahlenden Mitglieder<br />

gewissenhaft Qualitätsmanagement betreiben –<br />

vor allen Dingen nicht dann, wenn dieser Verband<br />

zuvor ein eigenes Qualitätsmanagement-System<br />

entwickelt und dafür kräftig die Werbetrommel<br />

gerührt hätte. Hier stehen die Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen in einem Rollenkonflikt. Es scheint,<br />

als ob beim Qualitätsmanagement für Arztpraxen<br />

der Bock zum Gärtner gemacht wird.<br />

Zertifikat als Aushängeschild<br />

für Qualität<br />

Abzuwarten bleibt, wie einzelne Ärzte, unabhängig<br />

von ihrer Zwangsmitgliedschaft in den Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen, in den nächsten Jahren<br />

zum Qualitätsmanagement stehen: Sie können es<br />

als lästige Pflicht ansehen. Oder sie begreifen es<br />

als Chance für mehr Transparenz über ihre praxisinternen<br />

Abläufe und für Qualitätsverbesserungen –<br />

und als Aushängeschild für ihre Patienten und die<br />

Krankenkassen. Denn wenn die Verhandlungsposition<br />

der Kassen langfristig steigt und sie immer<br />

mehr einzelne Verträge mit ausgewählten Ärztegruppen,<br />

Medizinischen Versorgungszentren oder<br />

Krankenhäusern vereinbaren, dann werden auch<br />

Qualitätsanforderungen wie eine Zertifizierung oder<br />

eine bestimmte medizinische Ergebnisqualität ein<br />

nachzuweisender Vertragsinhalt.<br />

Auch dem gut informierten und qualitätsorientierten<br />

Patienten kommt hierbei eine bedeutsame Rolle zu:<br />

Wenn er nur solche Ärzte auswählt, die ein gut funktionierendes<br />

Qualitätsmanagement-System haben<br />

und dieses auch den Patienten gegenüber durch ein<br />

Zertifikat dokumentieren, wird der Druck auf die<br />

Ärzte steigen. Dem Qualitätsmanagement gegenüber<br />

aufgeschlossene Ärzte wie Dr. Rohde-Kampmann und<br />

seine Kollegen werden sicherlich weiterhin vertrauenswürdige<br />

Ansprechpartner für ihre Patienten und<br />

zunehmend attraktive Vertragspartner für Kassen<br />

sein.<br />

Literatur<br />

• Bertelsmann Stiftung (2005): Gesundheitsmonitor, Welle VIII.<br />

Tabellarische Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung<br />

im März/April 2005. Eine Studie der TNS Healthcare im Auftrag der<br />

Bertelsmann Stiftung. München.<br />

• Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (Hrsg.) (2005): Einführung<br />

in die Begriffe. www.die-gesundheitsreform.de/zukunft_entwickeln/<br />

qualitaetsmanagement/hintergruende/index.html.<br />

• Durst, C. (2005): Interview »Mehr Motivation und zufriedene<br />

Patienten«. In: Gesundheit und Gesellschaft (8), 7–8, 36–37.<br />

• Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) (2005): Richtlinie über grundsätzliche<br />

Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement<br />

für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden<br />

Ärzte, Psychotherapeuten und medizinischen Versorgungszentren.<br />

18.10.2005.<br />

• Schnee, M.; Kirchner, H. (2005): Qualitätsmanagement und<br />

Zertifizierung. In: Böcken, J.; Braun, B.; Schnee, M.; Amhof, R.<br />

(Hrsg.): Gesundheitsmonitor 2005. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung,<br />

41–53.


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Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

QUALITÄTSTRANSPARENZ IN DEN USA:<br />

»TRANSPARENZ SPORNT ÄRZTE AN«<br />

Interview mit Joachim Roski, Vizepräsident des National Committee<br />

for Quality Assurance (NCQA), über Transparenz in der Gesundheitsversorgung<br />

in den USA und Deutschland.<br />

Herr Roski, die landläufige Meinung in Deutschland<br />

über die Gesundheitsversorgung in den USA ist eher<br />

verhalten. Können wir bezüglich Qualitätssicherung<br />

und Transparenz etwas von den Amerikanern lernen?<br />

Ich gebe Ihnen Recht, in vielen Bereichen ist die Gesundheitsversorgung<br />

in den USA sicherlich kein Vorbild. Man denke<br />

allein schon an die 45 Millionen Menschen, die keine Krankenversicherung<br />

haben. In Bezug auf Transparenz könnte<br />

Deutschland allerdings von den USA lernen: Arbeitgeber und<br />

Bürger können dort leicht verständliche Informationen über<br />

die Qualität von Gesundheitsanbietern im Internet abrufen.<br />

Warum gibt es in den USA mehr Transparenz?<br />

Die Arbeitgeber zahlen in den USA bis zu 100 Prozent der<br />

Krankenversicherungsprämie. Die Unternehmen handeln<br />

mit den Krankenversicherungen Verträge für teilweise<br />

Zigtausende von Mitarbeitern und deren Angehörige aus.<br />

Dadurch haben sie mehr Verhandlungsmacht als ein einzelner<br />

Versicherter. Gewerkschaften und Arbeitgeber machen Druck,<br />

das Preis-Leistungs-Verhältnis der Krankenversicherungen<br />

offenzulegen. Und um das Preis-Leistungs-Verhältnis von<br />

unterschiedlichen Krankenversicherungen vergleichen<br />

zu können, brauchen die Arbeitgeber nicht nur Transparenz<br />

über die Prämienhöhe, sondern auch über die Qualität.<br />

Heißt das: niedrige Prämie gleich niedrige Qualität?<br />

Ganz und gar nicht! In mehreren großen wissenschaftlichen<br />

Studien ist wiederholt festgestellt worden, dass es im amerikanischen<br />

Gesundheitssystem keinen zwingenden Zusammenhang<br />

zwischen Qualität und Kosten gibt. Das ist für<br />

viele Konsumenten – Patienten – und auch Leistungserbringer<br />

immer wieder eine Riesenüberraschung. Es gibt teure Versicherungen<br />

mit guter und schlechter Qualität. Und es gibt<br />

günstige Versicherungen mit genauso guter und schlechter<br />

Qualität. Das heißt, um in den USA eine Versicherung oder<br />

einen Versorgungsanbieter zu wählen, <strong>braucht</strong> man sowohl<br />

aussagekräftige Informationen über die Qualität der Leistungen<br />

als auch über die Höhe der Kosten beziehungsweise abgeleitet werden, die angeben, wie viele Patienten die<br />

Ressourcen, die aufgewendet werden, um diesen Qualitätsstandard<br />

zu erreichen.<br />

die NCQA diese Qualitätsdaten, wertet sie aus und ver-<br />

»ideale Versorgung« erhalten haben. In den USA sammelt<br />

öffentlicht sie.<br />

Kann man Qualität in der Medizin überhaupt messen?<br />

Selbstverständlich! Die Medizin ist eine sehr wissenschaftlich<br />

ausgerichtete Disziplin. Die medizinische Forschung Zum Beispiel messen wir, bei wie vielen Diabetespatienten<br />

Könnten Sie das an einem Beispiel konkretisieren?<br />

untersucht und vergleicht in Forschungsvorhaben, wie wirksam<br />

unterschiedliche Präventions-, Diagnose- und Behandund<br />

Cholesterinwerte kontrolliert werden. Wenn ein Gesund-<br />

regelmäßig die Augen und Füße untersucht und Blutzuckerlungsverfahren<br />

sind. Die Ergebnisse werden dann häufig heitsversorger bei allen Qualitätsindikatoren in dieser Kategorie<br />

sehr gute Werte hat, bekommt er von uns in dieser<br />

von Facharztgesellschaften in entsprechende Behandlungspfade<br />

oder Leitlinien »übersetzt« und als »Idealversorgung« Kategorie vier Sterne, wie man sie von Hotel- und Restaurantführern<br />

kennt. Dieses leicht verständliche Bewertungssystem<br />

proklamiert – von denen der Arzt in begründeten Fällen oder<br />

Ausnahmesituationen natürlich abweichen kann. Aus diesen hilft Patienten wie auch Ärzten bei der Auswahl eines Ärztenetzwerkes<br />

oder Integrierten Versorgungssystems.<br />

Leitlinien können in einem nächsten Schritt Indikatoren<br />

Dr. Joachim Roski ist Vizepräsident des National Committee for Quality Assurance<br />

(NCQA), eine Art »Stiftung Warentest für das <strong>Gesundheitswesen</strong>« in den USA.<br />

Das NCQA bewertet die Qualität unterschiedlicher Gesundheitsversorger wie<br />

Ärztegruppen oder Managed-Care-Organisationen. 170 Mitarbeiter und externe<br />

Gutachter evaluieren die Leistungsstärke von verschiedenen Anbietern, werben<br />

Forschungsgelder ein und führen Forschungsaufträge durch. Die unabhängige und<br />

gemeinnützige Einrichtung erhält keine Steuergelder – der Gesamthaushalt von<br />

rund 26 Millionen Dollar wird selbst eingespielt.


58 | 59 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

Sie fassen also Qualitätsindikatoren in bestimmte<br />

Kategorien zusammen. Was sind das für Kategorien?<br />

Es gibt fünf Kategorien: Zugang und Service, Qualifikation<br />

der Ärzte und Pflegekräfte, Prävention, Akutbehandlung<br />

und die Behandlung von Chronikern. Auf unserer Internetseite<br />

kann man durch die Sternebewertung auf einen Blick<br />

erkennen, wie gut die Gesundheitsversorger pro Kategorie<br />

abschneiden. Und wer mehr wissen möchte, kann mehr Informationen<br />

pro Kategorie erhalten, bis hinunter zum einzelnen<br />

Qualitätsindikator wie den Augen- und Fußuntersuchungen<br />

bei Diabetikern.<br />

Die Ergebnisse des Gesundheitsmonitors der Bertelsmann<br />

Stiftung zeigen, dass Patienten nicht nur auf die medizinische<br />

Qualität Wert legen. Ihnen sind auch Aspekte wie<br />

die Freundlichkeit der Ärzte und des Pflegepersonals<br />

oder die Sauberkeit in Behandlungszimmern wichtig.<br />

Bilden Ihre Indikatoren auch diese Bereiche ab?<br />

Ja, die NCQA speist ihre Qualitätsdaten aus zwei Quellen.<br />

Die eine Quelle sind Diagnose- und Abrechnungsdaten, die<br />

Ärzte und Krankenhäuser an die Versicherungen melden.<br />

Und die zweite Quelle sind standardisierte Patientenbefragungen,<br />

die Fragen beinhalten wie »Wie respektvoll bin ich<br />

behandelt worden?«, »Wie aufmerksam haben mir der Arzt<br />

und die Pflegekräfte zugehört?« und »Wie gut wurden mir die<br />

Sachverhalte erklärt?« In jede der fünf Qualitätskategorien<br />

fließen also sowohl klinische Daten als auch Umfrageergebnisse<br />

ein.<br />

Es zeigt sich immer wieder, dass die Mehrzahl der<br />

Patienten zwar Qualitätsinformationen wünscht, sie<br />

aber dann doch nicht nutzt, wenn sie vorhanden und<br />

verfügbar sind. Lohnt sich der ganze Aufwand überhaupt?<br />

Ja, auf jeden Fall. Das Interessante ist, dass Transparenz für<br />

Arztpraxen und Krankenhäuser ein Ansporn ist, sich zu verbessern<br />

und gegenüber der »Konkurrenz« besser dazustehen. Wenn<br />

jemand sieht, dass in seiner Organisation die Patienten nicht<br />

so gut behandelt und betreut werden wie anderswo, dann will<br />

er von diesen besseren Organisationen lernen. Alle fühlen sich<br />

angespornt: Manager, Ärzte und Pflegepersonal. Selbst wenn<br />

sich nur zehn oder 20 Prozent der Patienten intensiv mit der<br />

Qualität von Arztpraxen und Krankenhäusern auseinandersetzen<br />

– Transparenz erhöht den Druck auf alle, bessere Qualität<br />

anzubieten. Und die kommt letztlich allen Patienten zugute.<br />

Das heißt, die Qualität steigt insgesamt an?<br />

Ja, und genau das stellen wir seit Beginn unserer Arbeit<br />

immer wieder fest. 1997 haben wir den ersten Qualitätsbericht<br />

aufgelegt. Damals wurden beispielsweise nur 40 Prozent aller<br />

Kinder gegen Windpocken geimpft. Heute beträgt die Rate<br />

82 Prozent, und dieser enorme Anstieg ist sicherlich auch auf<br />

die Qualitätsmessungen und die Veröffentlichungen durch die<br />

NCQA zurückzuführen.<br />

Das heißt, dass amerikanische Ärzte gegenüber der<br />

Qualitätsmessung und der Veröffentlichung von Qualitätsergebnissen<br />

aufgeschlossen sind?<br />

Zu Beginn war das Misstrauen der Ärzte sehr hoch. Sie waren<br />

zunächst skeptisch, ob Qualität wirklich sinnvoll und aussagekräftig<br />

gemessen werden kann. Doch das Bewusstsein, dass<br />

man darüber Rechenschaft ablegt, wie mit den Versichertengeldern<br />

umgegangen wird, hat sich durchgesetzt. Mittlerweile<br />

erhalten Gesundheitsversorger zum Teil sogar eine höhere<br />

Vergütung, wenn sie eine bessere Qualität anbieten als andere.<br />

Was halten Sie vom Stand der Dinge zur Qualitätstransparenz<br />

in Deutschland?<br />

Soweit ich weiß, müssen die Krankenhäuser in Deutschland<br />

nicht nur Qualitätsberichte veröffentlichen, sondern auch<br />

Qualitätsindikatoren an die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung<br />

liefern. In nur wenigen Ländern der Welt gibt es ein<br />

vergleichbares nationales Verfahren zur Qualitätsdarstellung<br />

und Datensammlung, das alle Krankenhäuser einschließt. Die<br />

Basis für Qualitätstransparenz ist da, keine Frage.<br />

… aber?<br />

Der Schatz der Qualitätsdaten, die die Krankenhäuser an diese<br />

Bundesgeschäftsstelle liefern, wird nicht gehoben. Die Qualitätsdaten<br />

der Krankenhäuser werden nicht patientengerecht<br />

veröffentlicht. Die Bürger in Deutschland können sich nicht<br />

darüber informieren, wie gut ihr Krankenhaus im Vergleich<br />

zu anderen bei einzelnen Operationen abschneidet, obwohl die<br />

Daten vorliegen. In den Qualitätsberichten der Krankenhäuser<br />

tauchen diese wirklich spannenden Daten der Bundesgeschäftsstelle<br />

nämlich nicht auf. Daten über die Qualität von Arztpraxen<br />

und anderen Versorgungseinrichtungen werden zurzeit<br />

wegen fehlender Infrastruktur noch nicht erhoben. Da gibt es<br />

sicherlich noch einiges zu tun.<br />

Was empfehlen Sie, damit auch in Deutschland die<br />

Qualität der Gesundheitsversorgung transparenter wird?<br />

Der Datenschatz, den die Bundesgeschäftsstelle angesammelt<br />

hat, sollte gehoben werden. Dann können Patienten unterschiedliche<br />

Krankenhäuser in ihrer Region vergleichen. Wichtig ist,<br />

dass die Daten benutzerfreundlich aufbereitet werden. Was<br />

zusätzlich fehlt, sind systematisch erhobene Daten über die<br />

Patientenzufriedenheit im Krankenhaus sowie über die Qualität<br />

von Arztpraxen, ebenfalls inklusive Patientenzufriedenheit.<br />

Das sind aus meiner Sicht die nächsten großen Schritte für<br />

Deutschland auf dem Weg zu mehr Qualitätstransparenz.


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Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

BEZAHLEN NACH LEISTUNG:<br />

GUT FÜR QUALITÄT UND TRANSPARENZ?<br />

vergeblich nach unabhängigen, systematischen und<br />

gleichzeitig leicht verständlichen Auswahlhilfen –<br />

da bietet die Gastronomie mit ihrem einfachen<br />

Sternesystem mehr Hilfestellung. Darüber hinaus<br />

verdienen bessere Ärzte nicht automatisch mehr,<br />

In den USA und Großbritannien hängt seit einigen Jahren ein Teil des ärztlichen<br />

denn ihre Vergütung, die zwischen den Kassen- und<br />

Einkommens von der Qualität ab. Wer medizinische, patientenorientierte und<br />

Ärzteverbänden kollektiv ausgehandelt wird, hängt<br />

informationstechnologische Ansprüche erfüllt, kann Bonusprämien beziehen.<br />

überwiegend von der Quantität und nicht von der<br />

Bisherige Bilanz: Die gemessene Qualität steigt, doch noch sind viele Fragen offen.<br />

Qualität ihrer Leistungen ab.<br />

In Deutschland ist das Bezahlen nach Leistung noch Zukunftsmusik – hierzulande<br />

muss Qualität erst einmal gemessen werden.<br />

Die Idee, auch Ärzte nach ihrer Leistung zu bezah-<br />

wirtschaftlich ausgerichteten <strong>Gesundheitswesen</strong> der<br />

tern (Health Maintenance Organizations) in 41 Groß-<br />

len, klingt vielversprechend. Qualitätstransparenz<br />

USA entstanden zahlreiche unterschiedliche Initia-<br />

stadtgebieten der USA ergab, dass bereits die Hälfte<br />

spielt dabei eine Schlüsselrolle: Zum einen ist sie<br />

tiven. Auf den Britischen Inseln hingegen war es der<br />

der Health Maintenance Organizations P4P-Programme<br />

Für Restaurants ist es eine Binsenweisheit: Wer gute<br />

notwendige Voraussetzung für Qualitätsmessung<br />

nationale Gesundheitsdienst, der ein qualitätsbezo-<br />

in ihre Verträge aufgenommen hatten (Rosenthal<br />

Qualität bietet, verdient auch gut, wer dagegen zum<br />

und -bewertung – wer Qualität beurteilen will, muss<br />

genes Vergütungsprogramm flächendeckend für alle<br />

2006). Von ihnen boten 90 Prozent Programme für<br />

gleichen Preis schlechtere Qualität bietet, wird auf<br />

Dateneinsicht haben. Zum anderen ist eine transpa-<br />

Arztpraxen einführte.<br />

Arztpraxen an, 38 Prozent für Krankenhäuser.<br />

Dauer Kunden verlieren. Gerade die hohe Restaurantdichte<br />

in den Städten macht es unzufriedenen Kunden<br />

leicht, zur Konkurrenz abzuwandern. Für Arztpraxen,<br />

Krankenhäuser und Rehakliniken, so sollte<br />

rente Dokumentation von Leistungsdaten ein Qualitätsmerkmal<br />

an sich – ein Anbieter, der nichts zu<br />

verbergen hat, bietet höhere Qualität als ein Geheimniskrämer,<br />

der vor der Veröffentlichung seiner<br />

Pay for Performance in den USA:<br />

Unterschiedliche Initiativen …<br />

P4P-Programme waren von Anfang an eine Gemeinschaftsaktion:<br />

Sie wurden von Arbeitgebern, die in<br />

den USA hauptsächlich die Krankenversicherungs-<br />

man meinen, gelten dieselben Marktgesetze. Tatsäch-<br />

Leistung zurückschreckt.<br />

Im Jahr 2002 wurden in Kalifornien so genannte Pay-<br />

prämien ihrer Mitarbeiter bezahlen, von Kranken-<br />

lich aber verhindern mehrere Faktoren, dass sich<br />

for-Performance-Programme, abgekürzt P4P, eingeführt<br />

versicherungen und von Ärztegruppen gemeinsam<br />

die Anbieter im <strong>Gesundheitswesen</strong> dem Qualitäts-<br />

Vor allem in den USA und Großbritannien wurden<br />

(IHA 2006). In kürzester Zeit hat sich P4P auf breiter<br />

entworfen. Für das kalifornische Programm taten<br />

wettbewerb ebenso stellen müssen wie Restaurants:<br />

bereits vor Jahren Initiativen für eine leistungsbe-<br />

Basis in den USA etabliert: Eine im November 2006<br />

sich sieben Health-Plans zusammen, an die rund<br />

So suchen Bürger mit Gesundheitsbeschwerden<br />

zogene Vergütung gestartet: Im überwiegend markt-<br />

veröffentlichte Umfrage unter 252 Versorgungsanbie-<br />

6,2 Millionen Versicherte und 225 Ärztegruppen mit


62 | 63<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

versorgung erfasst und ausgewertet werden und die<br />

Ärzte elektronische Entscheidungshilfen anwenden.<br />

… mit ersten Erfolgen<br />

in Kalifornien<br />

Welche Ergebnisse wurden in Kalifornien mit den<br />

P4P-Programmen erzielt? Wie erhofft, hat sich die<br />

Qualität erhöht: 87 Prozent der Ärztegruppen konnten<br />

ihre klinischen Leistungen in den Parametern<br />

Gebärmutterhals- und Brustkrebs-Screening, Blutzuckertests,<br />

Cholesterin-Screening und Asthmamanagement<br />

verbessern, und zwar um durchschnittlich<br />

5,3 Prozent. Bei der Bewertung durch ihre<br />

Patienten verbesserten sich 66 Prozent der Ärztegruppen,<br />

und zwar um durchschnittlich 1,2 Prozent.<br />

Und 54 Prozent mehr Gruppen als im Jahr zuvor<br />

erhielten Prämien für ihre IT-Ausstattung.<br />

Auch die Transparenz wurde erhöht und der Zugang<br />

zu Informationen verbessert: Die Ergebnisse<br />

werden verbrauchergerecht nach einem 4-Sterne-<br />

Bewertungsschema veröffentlicht – und das in<br />

mehreren Sprachen. Wer sich über die Leistungen<br />

der Praxen in seiner Umgebung informieren möchte,<br />

35.000 Ärzten angeschlossen waren. Die Ziele lauten:<br />

mehr Transparenz über die Qualität der Versorgung,<br />

eine Drosselung des Prämienanstiegs, ein besseres<br />

Preis-Leistungs-Verhältnis, bessere Betreuung von<br />

Chronikern, mehr Prävention, eine stärkere Gewichtung<br />

der Zufriedenheit von Versicherten und Patienten<br />

sowie mehr Anreize für eine kostengünstigere<br />

und bessere Behandlung.<br />

Belohnt werden Qualitätsverbesserungen von<br />

Ärztegruppen in drei Bereichen, wobei nicht jedes<br />

Programm alle Bereiche honoriert (IHA 2006):<br />

• Medizinische Versorgung: Hier geht es um Erfolgsparameter<br />

in der Behandlung von chronisch<br />

Kranken, wie Diabetes- und Asthmapatienten, und<br />

um die Menge geleisteter Vorsorge-Untersuchungen<br />

und Kinderschutzimpfungen.<br />

• Patientenbeurteilung: Wie gut eine Praxis auf<br />

die Bedürfnisse der Patienten eingeht, erfasst ein<br />

standardisierter Patientenfragebogen. Die Patienten<br />

beurteilen beispielsweise die Kommunikation mit<br />

dem Arzt, die fachärztliche Versorgung, die Wartezeit<br />

sowie den Gesamteindruck.<br />

• Investitionen in IT: Mit entsprechender Hard- und<br />

Software können Daten für eine bessere Patientenkann<br />

auf der Homepage der Integrated Healthcare<br />

Association unter »http://iha.ncqa.org/reportcard/«<br />

seinen Verwaltungsbezirk anwählen, und schon<br />

erscheint – wie im Hotelführer – eine Liste der Praxen<br />

mit ihren jeweiligen Sternen für die Gesamtleistung<br />

und einzelne Kategorien.<br />

Viele offene Punkte beim P4P<br />

in den USA<br />

In einigen Punkten gibt es noch enormen Diskussionsbedarf.<br />

Hier die größten Herausforderungen:<br />

1. Niveau oder Verbesserung belohnen? Es ist bislang<br />

unklar, ob die P4P-Programme das Erreichen<br />

und Halten eines Qualitätsniveaus oder jedwede<br />

Qualitätssteigerung honorieren sollen. Wenn sie<br />

ein Mindestniveau garantieren sollen, müssen<br />

Schwellen festgelegt werden, bei deren Überschreiten<br />

die Bonuszahlung endet. Ärzte, die über dem<br />

Standard liegen, haben dann keinen finanziellen<br />

Anreiz mehr für weitere Qualitätsverbesserungen.<br />

Wenn andererseits jede Qualitätsverbesserung<br />

honoriert würde, hätten es Ärztegruppen mit niedrigerem<br />

Ausgangsniveau leichter, würden aber für<br />

etwas belohnt, was andere Gruppen schon längst<br />

erreicht hätten. Am besten wäre es, Prämien für<br />

Mindestqualität mit denen für Qualitätsverbesserungen<br />

zu kombinieren.<br />

2. Wie mit unterschiedlichen Patientengruppen<br />

umgehen? Es gibt immer Praxen mit überdurchschnittlich<br />

vielen chronisch kranken Patienten und<br />

solchen, die Behandlungen schneller abbrechen.


64 | 65<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

Diese Praxen würden aufgrund ihrer schwierigen<br />

Patientenklientel unter Umständen schlechtere<br />

Werte abliefern und wären deshalb unabhängig<br />

von ihrer tatsächlichen Qualität benachteiligt<br />

(Bodenheimer 2005). In einem solchen Falle könnten<br />

Ärzte versucht sein, schwierige Patienten zu<br />

vergraulen – also ausgerechnet jene, die intensivere<br />

Betreuung bräuchten. Um dies zu vermeiden,<br />

könnte man die Qualitätsvergütung an die<br />

jeweiligen Patientenstrukturen anpassen.<br />

3. Bonus aus bestehendem Budget zahlen? Bislang<br />

sind die Boni zusätzliches Geld. Ärzte fürchten<br />

aber, dass langfristig der Finanztopf für sie gleich<br />

groß bleiben und der ausgeschüttete Bonus an<br />

anderer Stelle vom Honorar abgezogen wird. Diese<br />

Sorge ist nur zum Teil berechtigt: Durch Qualitätsverbesserungen<br />

können Kosten sinken, etwa bei<br />

besserer Fehlervermeidung. Sinkende Kosten bei<br />

konstantem Budget hätten dann sogar steigende<br />

Einkommen zur Folge.<br />

4. Teaching for the test? Es besteht die Gefahr, dass<br />

sich Ärzte insbesondere auf die Untersuchungen und<br />

Behandlungen konzentrieren, die im Rahmen des<br />

P4P gemessen und belohnt werden. Darunter könnte<br />

die Versorgung von Patienten mit seltenen, im<br />

P4P nicht abgebildeten Krankheiten leiden. Helfen<br />

würden zusätzliche Indikatoren, allerdings um den<br />

Preis eines größeren Dokumentationsaufwandes.<br />

QOF in Großbritannien …<br />

In Großbritannien startete eine Initiative zur leistungsbezogenen<br />

Vergütung von Hausärzten etwas später<br />

als in den USA, dafür aber einheitlich und landesweit.<br />

Obwohl das so genannte United Kingdom’s<br />

Quality and Outcomes Framework (QOF) nicht verpflichtend<br />

ist, machen fast alle Ärzte mit. Das QOF<br />

bewertet Gemeinschaftspraxen von Hausärzten nach<br />

146 Indikatoren, für die sie insgesamt 1.050 Punkte<br />

erzielen können. Die Indikatoren verteilen sich auf<br />

vier Kategorien (NHS 2006):<br />

• Medizinische Versorgung, die wichtigste der<br />

vier Kategorien: 76 Indikatoren beziehen sich<br />

auf zehn chronische Erkrankungen, und es gibt<br />

maximal 550 Punkte, also mehr als die Hälfte<br />

der Gesamtpunktzahl [Abbildung 1].<br />

• Organisation: In fünf Bereichen von der Patientenakte<br />

über die Erreichbarkeit der Praxis bis hin<br />

zum Praxismanagement gibt es für 56 Indikatoren<br />

maximal 184 Punkte.<br />

Abbildung 1:<br />

Wofür britische Ärzte in der Kategorie »medizinische<br />

Versorgung« belohnt werden: Zehn chronische Erkrankungen,<br />

sortiert nach maximal erreichbaren Punkten<br />

Koronare Herzkrankheit 121<br />

Bluthochdruck<br />

Diabetes mellitus<br />

Asthma<br />

Bronchitis<br />

Psychische Erkrankungen<br />

Schlaganfall<br />

Epilepsie<br />

Krebs<br />

Schilddrüsenunterfunktion<br />

105<br />

99<br />

72<br />

45<br />

41<br />

31<br />

16<br />

12<br />

8<br />

Maximal erreichbare Gesamtpunktzahl: 550<br />

Quelle: Department of Health (2005)<br />

• Patientenerfahrungen: Diese Kategorie umfasst<br />

zwei Bereiche, und zwar Länge des Arzt-Patienten-<br />

Gesprächs und Patientenbefragungen. Für vier<br />

Indikatoren können maximal 100 Punkte erzielt<br />

werden. Der Indikator mit dem höchsten Punktwert<br />

ist die Befragung an sich: Für eine standardisierte<br />

Patientenbefragung einmal pro Jahr erhält<br />

die Praxis 40 Punkte.<br />

• Zusätzliche Services: Hiermit sind vier Bereiche<br />

zur Vorsorge, nämlich Gebärmutterhals-Screening,<br />

Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, Schwangerenbetreuung<br />

und Verhütungsberatung gemeint.<br />

Zehn Indikatoren ergeben insgesamt maximal<br />

36 Punkte.<br />

Drei weitere Bereiche bewerten schließlich die Qualität<br />

übergreifend und bringen insgesamt zusätzliche<br />

180 Punkte: Der erste Bereich bezieht sich auf die<br />

Gesamtversorgung, also darauf, wie breit verteilt eine<br />

Praxis die Indikatoren der ersten Kategorie erfüllt<br />

(100 Punkte), der zweite umfasst das Abschneiden<br />

in den anderen drei Kategorien (30 Punkte), und der<br />

dritte bildet ab, ob die Bevölkerung einen leichten<br />

Zugang zur Versorgung mit geringen Wartezeiten<br />

hatte (50 Punkte).


66 | 67<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

… mit überraschend positiven<br />

Ergebnissen<br />

Welche Ergebnisse erzielte das einheitliche englische<br />

Programm? Auf den ersten Blick gewinnt man den<br />

Eindruck, dass der Erfolg überwältigend war – zumindest<br />

in dem Sinne, dass der National Health Service<br />

(NHS) statt der erwarteten rund 600 Millionen Pfund<br />

fast eine Milliarde Pfund für die zusätzlichen Boni<br />

aufwenden musste. Aus dem Stand heraus erreichten<br />

die britischen Ärzte im Schnitt 91,3 Prozent der maximalen<br />

Punktzahl für die erste Periode 2004/05. In<br />

der zweiten Periode 2005/06 stieg dieser Wert sogar<br />

auf 96,2 Prozent. Nur 0,6 Prozent der Praxen kamen<br />

auf weniger als 650 Punkte, 77,9 Prozent lagen<br />

dagegen im Spitzenbereich über 1.000 Punkte, und<br />

9,7 Prozent der Praxen erreichten sogar die volle<br />

Punktzahl von 1.050 (NHS 2006).<br />

Ist England ein Land von Musterärzten? Tatsächlich<br />

scheint der Versorgungsstandard in den Praxen<br />

besser zu sein, als die QOF-Verantwortlichen erwartet<br />

hatten. Der differenzierte Punktekatalog mit seinen<br />

146 Indikatoren lässt durchaus eine qualitative Bewertung<br />

zu. Zwei Faktoren schränken die Aussagekraft<br />

der hohen Punktestände jedoch ein: Erstens war<br />

es den britischen Ärzten erlaubt, Problemfälle aus<br />

der Bewertung im so genannten Exception-Reporting<br />

herauszunehmen. Insgesamt wurden so im Schnitt<br />

rund 6 Prozent der Patienten ausgeklammert<br />

(Doran 2006). Ein Prozent der Praxen schloss mehr<br />

als 15 Prozent ihrer Patienten aus – und erzielte<br />

offenbar die besten Resultate. Zu klären ist nun,<br />

ob diese Praxen tatsächlich klinische Gründe hatten,<br />

mehr Patienten auszuschließen, oder ob sie das<br />

Exception-Reporting dazu miss<strong>braucht</strong>en, um lediglich<br />

ihr Einkommen zu steigern.<br />

Zweitens ist unklar, inwieweit die hohe Zielerreichung<br />

auf QOF zurückzuführen ist: Bis zum Jahr 2004,<br />

als QOF startete, hatte man bereits sechs Jahre lang<br />

intensive Anstrengungen unternommen, um die<br />

Versorgungsqualität zu verbessern (Galvin 2006). So<br />

wurden nationale Leitlinien für die häufigsten Krankheiten<br />

verabschiedet sowie landesweite Überprüfungen<br />

der Qualität eingeführt. Die Ergebnisse dieser<br />

Kontrollen wurden in Ärztekreisen und teilweise<br />

sogar für die Allgemeinheit zugänglich veröffentlicht.<br />

Das hatte offenbar nachhaltige Auswirkungen auf die<br />

Motivation der Ärzte, die Versorgungsqualität zu ver-<br />

bessern. Manche dieser Anstrengungen zeigten noch<br />

zur Zeit der QOF-Einführung Wirkung. Die Folge:<br />

Es ist letztlich sehr schwer zu beurteilen, welchen<br />

Effekt das QOF auf die Versorgungsqualität hat.<br />

Insgesamt zeigen sich die Verantwortlichen über<br />

den Erfolg des QOF verhalten erfreut. So heißt es<br />

im QOF-Abschlussbericht des NHS von 2005/2006:<br />

»Qualität zu messen ist kein einfacher Prozess. Die<br />

Indikatoren, über die dieses Bulletin berichtet, können<br />

nur Näherungen an die wirkliche Qualität sein.«<br />

Außerdem würden die abgefragten Kategorien nur<br />

eine Minderheit aller Patienten erfassen und auch<br />

für diese nur einige Aspekte ihrer Behandlung. Trotz<br />

dieser Einschränkungen bietet das Programm aber<br />

»ein wertvolles Messinstrument für die Verbesserung<br />

der Versorgung.« (NHS 2006, eigene Übersetzung)<br />

Vergleich USA und Großbritannien:<br />

unterschiedliche Ansprüche<br />

Beim Vergleich der zahlreichen verschiedenen<br />

P4P-Programme aus den USA mit dem einheitlichen<br />

und flächendeckenden QOF in Großbritannien zeigen<br />

sich einige Unterschiede: So macht der qualitätsorientierte<br />

Bonus in den USA zwischen fünf und<br />

20 Prozent der Arzthonorare aus (IHA 2006), in<br />

Großbritannien sogar 40 Prozent des Einkommens<br />

(Buckman 2007). Die kalifornischen P4P-Programme<br />

definieren meist relative Leistungsschwellen, etwa<br />

die obersten 20 Prozent. Im QOF waren die Qualitätskriterien<br />

hingegen von vornherein festgelegt.<br />

Vergleicht man den Kriterienkatalog, fällt auf, dass<br />

das kalifornische Programm der IHA – wie andere


68 | 69<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Transparenz für Ärzte<br />

• Um das finanzielle Risiko zu verringern, sollten<br />

die Programme langsam eingeführt und die Ziele<br />

niedrig angesetzt werden.<br />

• Man sollte mit Qualitätsparametern beginnen,<br />

die den deutlichsten Nutzen für die Gesundheit<br />

der Bevölkerung haben.<br />

• Schließlich sollte man wissen, von welchem gegenwärtigen<br />

Versorgungsstandard man startet.<br />

Literatur<br />

• Bodenheimer, T. et al. (2005): Can money buy quality? Physician<br />

response to pay for performance. Center for Studying Health System<br />

Change, Issue Brief No. 102, 12/2005.<br />

• Buckman, L. (2007): Is doctors’ self interest undermining the National<br />

Health Service? In: British Medical Journal, 334, 235.<br />

• Department of Health (2005): Annex A: Quality indicators – Summary<br />

amerikanische P4P-Programme auch – mit seinen<br />

derzeit zehn Kriterien wesentlich einfacher gestrickt<br />

ist als das britische QOF mit seinen 146 Indikatoren<br />

und der Berücksichtigung vieler chronischer Krankheiten.<br />

Die Hälfte der Versorgungskriterien des kalifornischen<br />

Programms betrifft Screening-Maßnahmen.<br />

Damit belohnt das Programm zum einen ausschließlich<br />

die Teilnahmeraten der Patienten, also die Quantität<br />

der erbrachten Leistung. Ihre Qualität wird nicht abgefragt.<br />

Das britische QOF trägt hingegen der Qualität<br />

des Screenings Rechnung: Die Mammografie zur Brustkrebsfrüherkennung<br />

läuft in einem eigenen Programm<br />

in spezialisierten, qualitätsgesicherten Zentren, und<br />

beim Test auf Gebärmutterhalskrebs werden nicht<br />

nur, wie im kalifornischen Pendant, die Screening-<br />

Rate, sondern auch fünf Qualitätskriterien abgefragt.<br />

In Deutschland stecken Überlegungen zur leistungsbezogenen<br />

Vergütung noch in den Kinderschuhen –<br />

wie auch, wenn die Qualität von Arztpraxen oder<br />

Ärztenetzen noch nicht einmal gemessen wird. Erst<br />

seit Kurzem setzt sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung<br />

mit dem Thema Qualitätsmessung und<br />

leistungsorientierte Vergütung auseinander: Im<br />

November 2006 initiierte sie ein Projekt, das einen<br />

Indikatorensatz entwickeln und dadurch helfen soll,<br />

»praxisinterne Qualitätsindikatoren zu erfassen und<br />

rückzuspiegeln.« (KBV 2006)<br />

Der britische Gesundheitsexperte Martin Roland,<br />

der den NHS zum QOF berät, gibt interessierten<br />

Akteuren ein paar Ratschläge mit auf den Weg<br />

(Galvin 2006):<br />

Klar ist, dass leistungsorientierte Vergütung nur ein<br />

Instrument unter vielen sein kann, um die Qualität<br />

der Patientenversorgung zu erhöhen. Andere Maßnahmen,<br />

die ohne finanzielle Anreize die Qualitätskultur<br />

der Ärzte fördern, wie beispielsweise Qualitätszirkel,<br />

anonyme Fehlerberichtssysteme oder der<br />

Einsatz von Leitlinien, verlieren dadurch keineswegs<br />

an Relevanz und sollten zukünftig noch gestärkt<br />

werden. Für das Lernen aus den Versuchen mit P4P<br />

in den USA und QOF in Großbritannien gilt: Leistungsorientierte<br />

Vergütung bringt Transparenz über die<br />

gemessene Qualität. Doch erst wenn die vielen offenen<br />

Punkte geklärt sind, lässt sich beurteilen, ob<br />

leistungsorientierte Vergütung die Qualität erhöht.<br />

of points, www.dh.gov.uk/assetRoot/04/07/86/59/04078659.pdf<br />

• Doran, T. et al. (2006): Pay-for-Performance Programs in Family<br />

Practices in the United Kindom. NEJM, 355:375.<br />

• Galvin, R. (2006): Pay-For-Performance: Too much of a good thing?<br />

A conversation with Martin Roland, Health Affairs – Web exclusive.<br />

w412, 6.9.2006.<br />

• Integrated Healthcare Association (Hrsg.) (2006): Advancing quality<br />

through collaboration: the California Pay for Performance Program.<br />

A Report on the First Five Years and a Strategic Plan for the Next Five<br />

Years. 02/2006. www.iha.org/wp020606.pdf.<br />

• KBV (2006): KBV Report: Pay for performance – ambulante Qualitätsindikatoren<br />

und Kennzahlen.<br />

• NHS (2006): National Quality and Outcomes Framework Statistics<br />

for England 2005/06. www.ic.nhs.uk/pubs/qof/qofstatbul/file.<br />

• Rosenthal, M. et al. (2006): Pay for Performance in Commercial<br />

HMOs, NEJM, 355:1895.


70 | 71<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

POLITIK FÜR TRANSPARENZ<br />

• Angebotsvielfalt: Wettbewerb ohne Transparenz?<br />

• Vertrauen in die Versorgung: Persönliche Erfahrung zählt<br />

• Qualitätstransparenz: Balance zwischen Wirkung und Nebenwirkung<br />

ANGEBOTSVIELFALT:<br />

WETTBEWERB OHNE TRANSPARENZ?<br />

Der Wettbewerb soll es richten: Um Qualitätsmängel und Ineffizienzen<br />

im <strong>Gesundheitswesen</strong> abzubauen, entwickeln Versicherer und Versorger<br />

neue Angebote, die die Versicherten wählen können – von Hausarztmodellen<br />

über Integrierte Versorgung bis hin zu Boni für gesundheitsbewusstes<br />

Verhalten. Untersuchungen zeigen, dass Versicherte für<br />

Veränderungen offen sind. Jetzt gilt es, diese Offenheit zu nutzen.<br />

Transparenz über die neuen Angebote ist hierzu eine wesentliche<br />

Voraussetzung.<br />

Es gab Zeiten, da schien alles ganz einfach: Wenn<br />

sich der Patient in der ambulanten und stationären<br />

Versorgungslandschaft mit Allgemein- und Fachärzten,<br />

Kreis- und Universitätskrankenhäusern<br />

halbwegs zurechtfand, lief der Rest von alleine.<br />

Was der Arzt für sinnvoll hielt, wurde gemacht,<br />

und die Krankenkasse zahlte. Hinter den Kulissen<br />

schlossen die Verbände von Kassen und Leistungsanbietern<br />

einheitliche und gemeinsame Verträge.<br />

Dies wird allmählich anders: Um die wenig qualitätsorientierten<br />

und teilweise ineffizienten Strukturen


72 | 73<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

im <strong>Gesundheitswesen</strong> aufzubrechen und Vielfalt<br />

und Patientenfreundlichkeit durch mehr Wettbewerb<br />

zuzulassen, werden die einheitlichen Regelungen<br />

gelockert und innovative Versorgungs- und Versicherungskonzepte<br />

gefördert.<br />

Inzwischen gibt es nicht mehr nur die gemeinsam<br />

und einheitlich festgelegte Regelversorgung, sondern<br />

daneben auch Hausarztmodelle mit einem festen<br />

Hausarzt als Lotsen im Gesundheitssystem, Strukturierte<br />

Behandlungsprogramme für chronisch Kranke<br />

und Modelle zur Integrierten Versorgung für eine<br />

kontinuierliche Behandlung über Arztpraxen und<br />

Krankenhäuser hinweg. Das Prinzip der gemeinsamen<br />

und einheitlichen Versicherungsverträge für gesetzlich<br />

Versicherte weicht auf: Krankenkassen können<br />

Zusatzversicherungen anbieten und Tarife mit<br />

Anreizen für gesundheits- und kostenbewusstes<br />

Verhalten auflegen, die mit diversen Zuzahlungen<br />

und Ermäßigungen, mit Rückzahlungen und Bonusregelungen<br />

locken beziehungsweise drohen.<br />

Die Hoffnungen, die sich an die neuen Versicherungsangebote<br />

knüpfen, gehen über den reinen<br />

Kostenaspekt hinaus: Sie sollen umfangreichere<br />

Wahlmöglichkeiten für die Versicherten, bessere<br />

Patientenorientierung und höhere Qualität bieten.<br />

Dass die neuen wettbewerbsorientierten Formen der<br />

Verträge, Angebote und Versorgungsmodelle kein<br />

Selbstzweck sind, mahnte schon im März 2003 ein<br />

Expertengutachten im Auftrag des AOK-Bundesverbandes<br />

an: »Wettbewerb darf im <strong>Gesundheitswesen</strong><br />

kein Ziel an sich sein. Er muss vielmehr auf das Ziel<br />

der Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />

der Versorgung ausgerichtet werden.« (Ebsen et al.<br />

2003) Die zentrale Frage lautet: Wollen sich die<br />

Versicherten vertraglich an Ärzte und Versorgungsformen<br />

binden? Und vor allem: Behalten die Versicherten<br />

noch den Überblick über die unterschiedlichen<br />

Vertragsmöglichkeiten?<br />

Wertschätzung oder Ablehnung<br />

neuer Angebote?<br />

Dass Versicherte die Veränderungen grundsätzlich<br />

mittragen, zeigt eine Untersuchung der Bertelsmann<br />

Stiftung mit über 1.000 Teilnehmern (Becker/Zweifel<br />

2006): 52 Prozent der Befragten halten eine Einführung<br />

neuer Versorgungsformen für wichtig, 21 Prozent<br />

sogar für sehr wichtig. Nur zehn Prozent beurteilen<br />

sie als weniger wichtig, und ein verschwindend<br />

geringer Anteil von zwei Prozent für unwichtig.<br />

Diese grundsätzliche Zustimmung wurde in einem<br />

so genannten Discrete-Choice-Experiment überprüft:<br />

Die Teilnehmer mussten unterschiedliche Vertragsbestandteile<br />

gegeneinander abwägen – und so ihre<br />

Vorlieben oder auch Abneigungen hinsichtlich einzelner<br />

Vertragsbestandteile deutlich machen.<br />

Beispielsweise sollten sie angeben, wie viel sie für<br />

eine Zusatzleistung zu zahlen bereit wären, oder<br />

umgekehrt, wie hoch sie eine Leistungseinschränkung<br />

honoriert haben möchten. Dabei zeigte sich:<br />

Krankenkassen können auf die Kompensationsforderungen<br />

von Versicherten in einigen Fällen eingehen,<br />

um entsprechende Versicherungstarife zum beiderseitigen<br />

Vorteil anzubieten. Hausarztmodelle etwa<br />

führen neben der besser koordinierten Versorgung<br />

zu sinkenden Kosten bei den Kassen. Die eingesparten<br />

Kosten können dann dazu verwendet werden,<br />

die Beiträge für die Teilnehmer an Hausarztmodellen<br />

zu senken und diese Teilnehmer für ihren Nutzenverlust<br />

durch die eingeschränkte Arztwahl zu kompensieren.<br />

Für die Befragung wurde der Status quo einer gesetzlichen<br />

Krankenkasse mit folgenden Merkmalen<br />

festgesetzt: Sie ermöglicht freie Arztwahl, für das<br />

Einholen einer Zweitmeinung wird ohne Überweisung<br />

die Praxisgebühr fällig, sie bietet weder einen


74 | 75<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

Abbildung 1:<br />

Durchschnittliche Zahlungsbereitschaften und Kompensationsforderungen<br />

für einzelne Eigenschaften neuer Versorgungsmodelle<br />

Beitragsrückerstattung<br />

359<br />

Bonus für<br />

Prävention<br />

203<br />

Service<br />

Krankenkasse<br />

123<br />

Zweitmeinung 80<br />

Hausarztmodell -115<br />

Ärztenetzwerk -203<br />

Selbstbeteiligung -246<br />

Ärzteliste<br />

(Kosten/Qualität)<br />

-346<br />

-400 -300 -200 -100 0 100 200 300 400<br />

Alle Angaben in Euro pro Jahr<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Discrete-Choice-Experiment, N=1.003, Auswertung durch Becker/Zweifel (2006)<br />

besonderen Service noch überdurchschnittlich viele<br />

Informationen an, und sie hat keine Anreizsysteme<br />

für besonders gesundheitsbewusstes Verhalten. Diese<br />

Merkmale wurden einzeln abgeändert und der jährliche<br />

Beitrag erfragt, den die Versicherten unter den<br />

neuen Vorzeichen zu zahlen bereit wären oder umgekehrt<br />

als Kompensation einfordern würden.<br />

Das Ergebnis des Experiments [Abbildung 1]: Die<br />

Beiträge könnten pro Jahr um zusätzlich 359 Euro<br />

steigen, wenn Versicherte sie bei Nichtinanspruchnahme<br />

von Leistungen zurückerstattet bekämen.<br />

203 Euro zusätzlich würden die Versicherten bezahlen,<br />

um Bonus-Prämien für gesundheitsbewusstes<br />

Verhalten zu bekommen, 123 Euro für zusätzliche<br />

Serviceleistungen der Krankenkasse und 80 Euro<br />

für das Recht, eine Zweitmeinung einzuholen. Kompensationszahlungen<br />

erwarten die Versicherten vor<br />

allem, wenn sie ihre Freiheit bei der Arztwahl aufgeben<br />

müssten. Und zwar je größer die Einschränkung,<br />

desto höher die erwartete Zahlung: 115 Euro,<br />

wenn sie sich für ein Hausarztmodell einschreiben<br />

sollen, 203 Euro für die Bindung an ein Ärztenetzwerk<br />

und 346 Euro für das Festlegen auf eine nach<br />

Kosten- und Qualitätskriterien ausgewählte Ärzteliste.<br />

Eine zusätzliche Selbstbeteiligung in Höhe von<br />

500 Euro müsste die Beiträge um 246 Euro sinken<br />

lassen (Becker/Zweifel 2006).<br />

Unabhängig von diesen hypothetischen Entscheidungsergebnissen<br />

aus dem Discrete-Choice-Experiment<br />

haben die Krankenkassen bereits viele Innovationen<br />

eingeführt:<br />

• Finanzielle Anreize: Patienten werden unter<br />

gewissen Umständen von der Praxisgebühr und<br />

Arzneizuzahlungen befreit, bekommen Boni für<br />

Präventionsmaßnahmen oder wählen Kostenerstattung,<br />

das heißt, sie bezahlen erst die Leistungen<br />

selbst und reichen die Rechnungen dann bei<br />

der Kasse ein.<br />

• Satzungsleistungen: Die Kassen geben Zuschüsse<br />

zu ambulanten Kuren, erweiterten Haushaltshilfen,<br />

häuslichen Krankenpflegern oder Hospizaufenthalten.<br />

• Versorgung: Einsparungen bei gleicher oder<br />

höherer Qualität erwarten sich die Kassen von<br />

Hausarztmodellen, Strukturierten Behandlungsprogrammen<br />

für chronisch Kranke und der<br />

Integrierten Versorgung.<br />

• Service: Krankenkassen unterhalten Geschäftsstellen,<br />

richten Telefon-Hotlines für medizinische<br />

Beratung auch am Wochenende sowie persönliche<br />

Beratungen ein oder beschäftigen Spezialisten,<br />

die Empfehlungen geben können.<br />

• Private Zusatzversicherungen: Für Leistungen, die<br />

die Kasse nicht abdeckt, wie etwa Zahnersatz, Auslandsbehandlungen,<br />

Einzel- oder Zweibettzimmer<br />

oder Chefarztbehandlung im Krankenhaus, kann<br />

die Kasse private Zusatzversicherungen empfehlen.


76 | 77 Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

Neue Angebote sind bekannt,<br />

aber noch wenig genutzt<br />

Kennen die Versicherten die Angebote der Kassen?<br />

Und wenn ja, nutzen sie sie auch? Diese Fragen<br />

stellte der Gesundheitsmonitor in einer Erhebung<br />

vom Herbst 2005 den Versicherten. Dabei zeigte sich:<br />

Die Befragten sind über die fünf markantesten Angebote<br />

nicht besonders gut informiert und nutzen<br />

sie noch wenig (Amhof 2006). Dabei muss man<br />

jedoch bedenken, dass etwa Strukturierte Behandlungsprogramme<br />

sich nur an chronisch Kranke<br />

richten. Am bekanntesten sind die Bonusprogramme:<br />

Von ihnen haben 75 Prozent der Befragten schon<br />

einmal gehört, genutzt werden sie aber nur von<br />

21 Prozent. Dahinter folgen Hausarztmodelle, Beitragsrückerstattung,<br />

Kostenerstattung, Strukturierte<br />

Behandlungsprogramme und am Ende die Selbstbehalte<br />

mit 23 Prozent Bekanntheit und mageren<br />

ein Prozent Nutzung [Abbildung 2]. Bei Beitragsrückerstattung<br />

und Selbstbehalten ist allerdings zu<br />

beachten, dass sie nur von freiwillig versicherten<br />

Mitgliedern gewählt werden können und sich der<br />

Versicherte vorher für das Verfahren der Kostenerstattung<br />

entschieden hat.<br />

Abbildung 2:<br />

Bekanntheit und Nutzung von neuen Versorgungsangeboten<br />

75<br />

Bonusprogramme<br />

21<br />

Hausarztmodelle<br />

45<br />

15<br />

38<br />

Beitragsrückerstattung<br />

2<br />

Strukturierte<br />

31<br />

Behandlungsprogramme 7<br />

Kostenerstattung<br />

31<br />

2<br />

Selbstbehalte<br />

23<br />

1<br />

Angaben in Prozent<br />

Bekanntheit<br />

gegenwärtige Nutzung<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Bevölkerungsbefragung 2006, nur GKV-Mitglieder, N=1.231<br />

BertelsmannStiftung<br />

Und die Ärzte? Finden sie sich noch zurecht? Neben<br />

den Kollektivverträgen können Kassenärzte an der<br />

hausarztzentrierten Versorgung und den Strukturierten<br />

Behandlungsprogrammen teilnehmen oder<br />

unterschiedliche Verträge zur Integrierten Versorgung<br />

von beispielsweise Herzinfarkt-, Schlaganfalloder<br />

Rückenschmerzpatienten mit den Kassen<br />

abschließen. »Es ist durchaus nachvollziehbar«, sagt<br />

Doris Pfeiffer, Chefin der Ersatzkassenverbände, in<br />

einem Interview mit der »Ärzte Zeitung«, »dass es<br />

dadurch zu einem gewissen Maß an Intransparenz<br />

gekommen ist.« (van den Bergh 2005)<br />

Transparenz über neue Angebote<br />

erforderlich<br />

Laut Pfeiffer fehlt es auch an Transparenz hinsichtlich<br />

der Qualität gegenüber den Patienten. Es genügt<br />

ja nicht, dass die Versicherten von den neuen Programmen<br />

erfahren – sie müssen auch angemessen<br />

beurteilen können, welches Qualitätsniveau damit<br />

verbunden ist. »Wir müssen als Kasse dafür sorgen«,<br />

so Pfeiffer, »dass die Versicherten hier umfassend<br />

informiert werden. Parallel dazu gibt es viele Anstrengungen<br />

im niedergelassenen und im stationären<br />

Bereich. Was im Moment noch fehlt, ist Transparenz.<br />

Es geschieht zwar sehr viel, dennoch hat man das<br />

Gefühl, dass es wenig koordiniert ist.«<br />

Transparenz über die Qualität ist auf jeder Ebene<br />

wichtig: Krankenkassen, die mit Ärztenetzen,<br />

Medizinischen Versorgungszentren und anderen<br />

Gesundheitsversorgern Verträge eingehen, müssen<br />

deren Qualität beurteilen können. Und Versicherte,<br />

die Versorgungsmodelle und Zusatzleistungen<br />

von ihren Krankenkassen angeboten bekommen,<br />

müssen wiederum deren Qualität ermessen können,<br />

um das passende Modell für sich zu finden.<br />

Dass mit zunehmendem Wettbewerb auch mehr<br />

Intransparenz einhergehen kann, ist einleuchtend –<br />

denn gerade Vielfalt statt Einheitslösungen soll ja<br />

durch den Wettbewerb erreicht werden. Die Frage<br />

ist nur, wie und durch wen die Vielfalt so gebändigt<br />

werden kann, dass eine höhere Intransparenz diese<br />

positiven Wettbewerbseffekte nicht wieder aufzehrt.<br />

Werden beispielsweise die Kassen unabhängige<br />

Informationen veröffentlichen? Oder nur ihre eigenen<br />

Angebote schmackhaft machen und negative Aspekte<br />

verschweigen? Da sind Übersichten wie etwa der


78 | 79<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

Literatur<br />

»FINANZtest-Kompass« der Stiftung Warentest hilfreich<br />

(Stiftung Warentest 2006): Der Kompass listet<br />

alle bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen mit<br />

ihren besonderen Leistungsangeboten auf.<br />

Es sind aber auch die gesundheitspolitischen Entscheider<br />

gefordert: Wenn sie auf der einen Seite den<br />

Weg frei machen für individuellere, patientenorientierte<br />

Versorgungsformen – wie es die Versicherten<br />

auch wünschen – und damit mehr Intransparenz<br />

entsteht, so müssen sie auf der anderen Seite den<br />

Versicherten ermöglichen, sich im Sinne des Verbraucherschutzes<br />

bei unabhängigen, vertrauenswürdigen<br />

Stellen über die Vor- und Nachteile und<br />

die Qualität der unterschiedlichen Versicherungsund<br />

Versorgungsformen informieren zu können. Der<br />

Staat muss dafür nicht selbst aktiv werden, sondern<br />

eher Anforderungen und Standards formulieren,<br />

damit unabhängige Institutionen den Versicherten<br />

vertrauenswürdige Entscheidungshilfen anbieten<br />

und so mehr Qualitätstransparenz herstellen können.<br />

Nur so wird Wettbewerb im <strong>Gesundheitswesen</strong> nicht<br />

zum Selbstzweck, sondern trägt zu mehr Patientenorientierung,<br />

Qualität und Wirtschaftlichkeit bei.<br />

• Amhof, R. (2006): Anreize im <strong>Gesundheitswesen</strong>. Haben sie<br />

die gewünschten Effekte? Gesundheitsmonitor, Newsletter der<br />

Bertelsmann Stiftung, 02/2006.<br />

• Becker, K.; Zweifel, P. (2006): Neue Formen der ambulanten<br />

Versorgung: Was wollen die Versicherten? Ein Discrete-Choice-<br />

Experiment. In: Böcken, J.; Braun, B.; Amhof, R.; Schnee, M. (Hrsg):<br />

Gesundheitsmonitor 2006. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung,<br />

272–303.<br />

• Ebsen, I.; Greß, S.; Jacobs, K.; Szecsenyi, J.; Wasem, J. (2006):<br />

Vertragswettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung zur<br />

Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung.<br />

Gutachten im Auftrag des AOK-Bundesverbands, Bonn.<br />

• Stiftung Warentest (2006): Gesetzliche Krankenversicherungen:<br />

Bundesweit geöffnete Krankenkassen. FINANZtest-Kompass.<br />

• Van den Bergh, W. (2005): Interview mit Doris Pfeiffer »Ärzte<br />

werden sich für mehrere Vertragsformen entscheiden«. Ärzte<br />

Zeitung, 17.3.2005.


80 | 81<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

VERTRAUEN IN DIE VERSORGUNG:<br />

PERSÖNLICHE ERFAHRUNG ZÄHLT<br />

Vertrauen ist ein Phänomen, das sich nur schwierig<br />

messen und bewerten lässt. Im Allgemeinen unterscheidet<br />

man zwischen personalem und institutionellem<br />

Vertrauen (Schnee 2006). Das personale Vertrauen<br />

bildet die Basis der Arzt-Patienten-Beziehung: Wie<br />

Die Deutschen sind skeptisch: Sie haben weniger Vertrauen in die<br />

könnten Patienten sonst täglich Tabletten schlucken<br />

Gesundheitsversorgung als Menschen in den Niederlanden, England<br />

oder sich gar für eine Operation narkotisieren lassen?<br />

und Wales. Doch wenn sie positive Erfahrungen beim letzten Arztbesuch<br />

Selbst in einem Prozess des Shared Decision Making,<br />

gesammelt haben, ist das Vertrauen bei vielen Deutschen ebenfalls groß.<br />

bei dem der Patient mit dem Arzt gemeinsam über<br />

Gesundheitspolitische Entscheider müssen folglich auch bei Rahmen-<br />

das weitere Vorgehen entscheidet, spielt Vertrauen<br />

Bertelsmann Stiftung heran (van der Schee et al. 2007).<br />

am misstrauischsten. Die Niederländer zeigten sich<br />

bedingungen und Anreizen für eine bessere Arzt-Patienten-Beziehung<br />

eine große Rolle – schließlich kann der medizinische<br />

Unter die Lupe genommen wurde das Vertrauen in<br />

nur bei fünf Fragen am skeptischsten, die allesamt<br />

ansetzen, um das Vertrauen in das <strong>Gesundheitswesen</strong> zu stärken.<br />

Laie nicht jede Information und Aktion des Arztes<br />

die Versorgung, in die Gesundheitsberufe und in die<br />

die Konsequenzen von gesundheitspolitischen Ent-<br />

nachprüfen. Institutionelles Vertrauen bezieht sich<br />

Institutionen wie Krankenhäuser und Heime.<br />

scheidungen für Patienten betrafen, und die Engländer<br />

auf das Gesundheitssystem als Ganzes. Beide Arten<br />

lediglich bei der einen Frage, ob Patienten ausreichend<br />

von Vertrauen hängen langfristig miteinander zu-<br />

Auf das »Vertrauen in die Gesundheitsversorgung«<br />

über die verschiedenen Behandlungen, die möglich<br />

sammen, müssen kurzfristig allerdings nicht immer<br />

zielten 28 Fragen ab – ob die Befragten beispiels-<br />

wären, informiert werden.<br />

übereinstimmen (Mechanic 1996).<br />

weise darauf vertrauen, dass Patienten ernst genommen<br />

werden, dass Sparmaßnahmen nicht zu Lasten<br />

Beim »Vertrauen in die Gesundheitsberufe« und<br />

Wie ist es um das Vertrauen der Menschen in das<br />

der Patienten gehen, dass Ärzte alles über Krank-<br />

»Vertrauen in Gesundheitsinstitutionen« waren die<br />

<strong>Gesundheitswesen</strong> bestellt? Eine internationale Wissen-<br />

heiten wissen, dass Patienten immer die richtige<br />

Deutschen ebenfalls am skeptischsten: Ihr Vertrauen<br />

schaftlergruppe hat Umfragen in den Niederlanden,<br />

Arznei verschrieben bekommen, dass Patienten aus-<br />

in Gesundheitsberufe, insbesondere Krankenschwes-<br />

Deutschland, England und Wales zum institutionellen<br />

reichend über die Auswirkungen der Behandlung<br />

tern, Fachärzte, Physiotherapeuten und Apotheker,<br />

Vertrauen von insgesamt über 4.000 Bürgern aus-<br />

informiert werden und dass die verschiedenen<br />

war ebenso am geringsten ausgeprägt wie ihr<br />

gewertet und verglichen, für Deutschland zogen sie<br />

Leistungserbringer gut miteinander kooperieren.<br />

Vertrauen in Kliniken, ambulante Pflegedienste<br />

die Umfragedaten des Gesundheitsmonitors der<br />

Die Deutschen erwiesen sich bei 22 der 28 Fragen<br />

und Pflegeheime.


82 | 83<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

Deutsche haben geringeres<br />

Vertrauen<br />

Wie lässt sich das geringe institutionelle Vertrauen der<br />

Deutschen erklären? Die Autoren nennen vier Einflussfaktoren<br />

für institutionelles Vertrauen: gesetzliche<br />

Regelungen und Garantien, Berichterstattung in den<br />

Medien, Verfügbarkeit von Leistungen und die Kultur<br />

(van der Schee et al. 2007). Nach Ansicht der Verfasser<br />

können die unterschiedlichen nationalen Regelungen –<br />

beispielsweise zur Vergütung der Mediziner und Therapeuten,<br />

zum Studium bzw. zur Ausbildung oder zu<br />

Patientenrechten – das unterschiedlich hohe institutionelle<br />

Vertrauen der Deutschen, Niederländer, Engländer<br />

und Waliser nicht eindeutig erklären, ebenso wenig<br />

die schwer zu vergleichende Berichterstattung in den<br />

nationalen Medien. Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung<br />

und die Verfügbarkeit von Leistungen bieten<br />

keine eindeutige Erklärung: Obwohl sie in Deutschland<br />

besser als in den Niederlanden sowie England<br />

und Wales sind, ist das Vertrauen hierzulande geringer.<br />

Die verblüffende Schlussfolgerung der Autoren lautet<br />

somit: Kulturelle Unterschiede sind ein wichtiger<br />

Grund für das unterschiedlich hohe Vertrauen (van<br />

der Schee et al. 2007). Offenbar sind Deutsche von<br />

Hause aus misstrauisch. Was folgt aus der diagnostizierten<br />

Skepsis – sollten politische Entscheider in<br />

Deutschland das geringe Vertrauen ihrer Landsleute<br />

einfach hinnehmen, weil es kulturell bedingt ist und<br />

damit kaum oder nur schwerlich verbessert werden<br />

kann? Nein: Denn trotz der offenbar tief sitzenden<br />

Skepsis kann Vertrauen in das System aufgebaut<br />

werden, etwa durch die von den Wissenschaftlern<br />

genannten Faktoren wie institutionelle Regelungen,<br />

die Verfügbarkeit von Leistungen oder die Berichterstattung<br />

in den Medien. Weitere Ansatzpunkte<br />

bestünden darin, die Ergebnisse von internationalen<br />

Systemvergleichen transparenter zu machen, also<br />

zu verdeutlichen, worin die Schwächen und auch<br />

die Stärken des deutschen Gesundheitssystems<br />

liegen, oder bei der Kommunikation von gesundheitspolitischen<br />

Maßnahmen und Reformen auf<br />

die tief sitzende Skepsis vieler Bürger einzugehen.<br />

Um das institutionelle Vertrauen in die Versorgung<br />

zu stärken, kann und sollte man zudem an der Basis<br />

ansetzen, wie eine Analyse von Daten des Gesundheitsmonitors<br />

der Bertelsmann Stiftung zeigt (Schnee<br />

2006). Hier wurde überprüft, inwieweit das Verhal-<br />

ten des Hausarztes – konkret: sein Gesprächsverhalten,<br />

sein Informationsvermögen, seine Koordinationsfähigkeit<br />

mit anderen Ärzten und sein Umgang<br />

mit knappen Ressourcen – zum Vertrauen in die<br />

Gesundheitsversorgung in Deutschland beiträgt.<br />

Denn Vertrauen entsteht nicht abstrakt, sondern<br />

auch und vor allem durch die konkreten Erfahrungen,<br />

die die Bürger als Patienten sammeln. Der<br />

Hausarzt ist meistens der erste Ansprechpartner für<br />

den Patienten. Als Repräsentant des Systems kann<br />

er das institutionelle Vertrauen seiner Patienten<br />

unterstützen, aber auch das Misstrauen schüren.<br />

Vertrauen in das System hängt<br />

von persönlichen Erfahrungen ab<br />

Wie Daten aus dem Gesundheitsmonitor 2006 belegen,<br />

schlägt etwa die Kommunikation zwischen Arzt<br />

und Patient direkt auf das institutionelle Vertrauen<br />

durch (Schnee 2006): Je länger das letzte Arztgespräch<br />

gedauert hat, desto mehr Vertrauen haben die<br />

Patienten in die Zeitressourcen der Ärzte allgemein.<br />

War das Gespräch sehr lang, hat die Hälfte der<br />

Patienten viel oder sehr viel Vertrauen, war es sehr<br />

kurz, sind nicht einmal zehn Prozent von dem Zeitbudget<br />

der Ärzteschaft überzeugt. Ferner gilt: Das<br />

allgemeine Vertrauen in die Kommunikationsfähigkeit<br />

der Ärzte wächst von rund 35 auf gut 50 Prozent,<br />

wenn der eigene Arzt im letzten Gespräch die<br />

Lebensumstände des Patienten mit einbezogen hat.<br />

Am deutlichsten kann die Aufmerksamkeit des<br />

Arztes das institutionelle Vertrauen stärken oder<br />

stören [Abbildung 1]: Hat der Arzt beim letzten<br />

Patientenkontakt intensiv zugehört, haben 14 Prozent<br />

sehr viel und 49 Prozent viel Vertrauen, dass den<br />

Patienten im deutschen <strong>Gesundheitswesen</strong> im Allgemeinen<br />

zugehört wird. Hat er dagegen so gut wie<br />

gar nicht zugehört, hat keiner der Befragten sehr<br />

viel und nur sechs Prozent viel Vertrauen in die<br />

Kommunikationsfähigkeiten der Ärzteschaft.<br />

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Frage, wie der<br />

Arzt seine Patienten informiert, wie die Behandlung<br />

zwischen Haus- und Facharzt koordiniert wird und<br />

wie der Arzt mit knappen Ressourcen umgeht:<br />

Immer bildet sich die persönliche Erfahrung in<br />

der Erwartung dem System gegenüber ab.<br />

Für die politischen Entscheider heißt das: Können<br />

sie durch entsprechende Rahmenbedingungen und


84 | 85<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

Abbildung 1:<br />

Wie intensiv hat der Hausarzt zugehört? *<br />

sehr intensiv<br />

intensiv<br />

teils/teils<br />

weniger intensiv<br />

so gut wie gar nicht<br />

Angaben in Prozent 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

p=0,000<br />

sehr viel Vertrauen viel Vertrauen wenig Vertrauen sehr wenig Vertrauen<br />

* Jede Zeile gibt an, wie stark das Vertrauen der Bevölkerung ist, dass Patienten im Allgemeinen zugehört wird –<br />

abhängig davon, wie intensiv der Arzt beim letzten Gespräch zugehört hat.<br />

Quelle: Gesundheitsmonitor, Bevölkerungsbefragung Frühjahr 2003 und Herbst 2005, N=2.765,<br />

Auswertung durch Schnee (2006)<br />

Anreize die Versorgungsqualität an der Basis verbessern,<br />

wird auch dem System als Ganzem mehr<br />

Vertrauen entgegengebracht. Und das hätte enorm<br />

positive Folgen, nicht nur für die Akzeptanz von<br />

Hausarztmodellen: Damit verbunden wären eine<br />

bessere Mitarbeit des Patienten und ein größerer<br />

Behandlungserfolg und darüber hinaus auch eine<br />

»Mitnahme« derjenigen Zweifler und Pessimisten<br />

unter den Versicherten und Ärzten, die ansonsten<br />

gut gemeinte Reformansätze zum Erliegen bringen<br />

können.<br />

Ansatzpunkte, das Vertrauen in die Versorgung<br />

durch bessere Erfahrungen mit dem Verhalten des<br />

Arztes zu stärken, gibt es viele. Einige davon können<br />

innerhalb des bestehenden Systems greifen – für<br />

andere ist hingegen auch die Politik gefordert, die<br />

richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Möglich<br />

wäre beispielsweise, kommunikative Kompetenzen<br />

in Medizinstudium und Fortbildungen zu fördern,<br />

die sprechende Medizin mehr zu belohnen, Ärzten<br />

unabhängige Patienteninformationen zur Verfügung<br />

zu stellen, Arztnetze und andere Formen Integrierter<br />

Versorgung zu nutzen und angesichts der Ressourcenknappheit<br />

mit Transparenz, Qualitätssicherung und<br />

einem Dokumentationssystem für kritische Ereignisse<br />

bei den Patienten Vertrauen in neuere und<br />

günstigere Verfahren aufzubauen (Schnee 2006).<br />

Derlei Maßnahmen, das institutionelle Vertrauen<br />

zu stärken, hätten enorm positive Wirkungen. Umgekehrt<br />

führt fehlendes Vertrauen in den Arzt oder<br />

die Versorgung zu vermehrten Kontrollen, für die<br />

Ressourcen aufgebracht werden müssen und die für<br />

die eigentlichen Leistungen nicht mehr zur Verfügung<br />

stehen. Das Vertrauen in die Versorgung sollte<br />

also gestärkt werden – ein »blindes Vertrauen« sollte<br />

allerdings nicht propagiert werden. Dies ist im Zuge<br />

von Shared Decision Making nicht mehr zeitgemäß<br />

und zusammen mit dem paternalistischen Arztmodell<br />

ad acta gelegt worden. Ziel kann es nur sein,<br />

ein »informiertes Vertrauen« und eine Transparenzkultur<br />

zu fördern, die die Vorzüge unserer Versorgung<br />

betont und gleichzeitig die Geheimniskrämerei<br />

der weniger vertrauensvollen Leistungserbringer<br />

beendet.<br />

Literatur<br />

• Calnan, M.; Rowe, R. (2004): Trust in health care. An agenda<br />

for future research. Discussion Paper, Nuffield Trust Seminar,<br />

17th November 2004.<br />

• Mechanic, D. (1996): Changing medical organization and the<br />

erosion of trust. Milbank Quarterly, 174, 171–189.<br />

• Schnee, M. (2006): Vertrauen in die Gesundheitsversorgung.<br />

In: Böcken, J.; Braun, B.; Amhof, R.; Schnee, M. (Hrsg):<br />

Gesundheitsmonitor 2006. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung,<br />

171–186.<br />

• Van der Schee, E.; Braun, B.; Calnan, M.; Schnee, M.; Groenewegen,<br />

P.P. (2007): Public trust in health care: A comparison of Germany,<br />

The Netherlands, and England and Wales. Health Policy (in Veröffentlichung).


86 | 87<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

QUALITÄTSTRANSPARENZ: BALANCE<br />

ZWISCHEN WIRKUNG UND NEBENWIRKUNG<br />

besserung und Effizienzsteigerung im <strong>Gesundheitswesen</strong><br />

beigetragen hätten.« (Bundesärztekammer<br />

2006)<br />

Was ist dran an den Klagen der Ärzte [siehe Tabelle<br />

Ein hoher Anspruch an die eigene Qualität gehört seit jeher zum ärzt-<br />

auf der nächsten Doppelseite]? Haben mit den ver-<br />

lichen Selbstverständnis. Das Versprechen der Ärzteschaft, eine qualitativ<br />

gangenen Reformen Misstrauen und Kontrolle über-<br />

hochwertige medizinische Versorgung zu sichern, reicht vielen Patienten,<br />

handgenommen? Tatsächlich hat sich in den letzten<br />

Kassen und Politikern allerdings heute nicht mehr aus. Sie fordern mehr<br />

Jahren ein enormer Wandel vollzogen: Früher war die<br />

Transparenz über Qualität. Doch Transparenz hat auch Nebenwirkungen.<br />

Ärzteschaft überwiegend allein für Qualitätssiche-<br />

es große Versorgungsunterschiede gibt, die medizi-<br />

allem über Qualitätsunterschiede, herzustellen, wird<br />

Die Gesundheitspolitik muss deshalb ein ausgewogenes Verhältnis<br />

rung verantwortlich. Die Berufsverbände stellten die<br />

nisch nicht zu erklären sind, und dass Patienten<br />

nun systematischer verfolgt.<br />

zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen von<br />

Regeln für Aus-, Fort- und Weiterbildung auf, prüften<br />

teilweise zu wenige, überflüssige und sogar fehler-<br />

Qualitätstransparenz herstellen.<br />

das Einhalten von Sicherheitsstandards und schlich-<br />

hafte medizinische Leistungen erhalten (SVR-G<br />

Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungs-<br />

teten bei Vorwürfen von Behandlungsfehlern. Mit<br />

2001). Was war und ist angesichts dieser Defizite<br />

qualität haben sowohl der Gesetzgeber als auch<br />

diesen Maßnahmen und ihrem eigenen professio-<br />

zu tun? Zum einen müssen identifizierte Versor-<br />

einzelne Ärztegruppen angestoßen: Beispielsweise<br />

Der Frust vieler Ärzte sitzt tief: »Die Gesundheits-<br />

nellen Anspruch an eine hohe Qualität wollten die<br />

gungsmängel natürlich rasch behoben werden. Zum<br />

gründeten Mediziner das Deutsche Netzwerk<br />

gesetzgebung der letzten Jahre ist geprägt vom<br />

Ärzteverbände verdeutlichen, dass die Gesundheits-<br />

anderen sollten sich Versicherte darüber informieren<br />

Evidenzbasierte Medizin, um die Anwendung<br />

Misstrauen gegenüber Ärztinnen und Ärzten«, heißt<br />

versorgung eine durchweg hohe Qualität aufwies.<br />

können, welche Versorgungsqualität sie für ihre<br />

evidenzbasierter, also auf wissenschaftlichen Erkennt-<br />

es im Beschlussprotokoll des 109. Deutschen Ärzte-<br />

Deswegen schien Transparenz über Qualität auch<br />

geleisteten Beiträge erwarten können und wer sie im<br />

nissen begründeter Medizin zu fördern. Zudem ent-<br />

tages vom Mai 2006. Die Mediziner beklagen, dass<br />

gar nicht erforderlich oder sogar überflüssig.<br />

Krankheitsfall am besten behandelt. Transparenz ist<br />

standen das Aktionsbündnis Patientensicherheit,<br />

ihnen »ohne Nachweis eine schlechte Qualität bei<br />

dafür unabdinglich. In der Tat hatte die Nachricht<br />

das sich für eine systematische Vermeidung von<br />

angeblich überteuerten Leistungen unterstellt und<br />

Dieses Bild geriet in den vergangenen Jahren zu-<br />

über Unterschiede und Mängel in der Gesundheits-<br />

Behandlungsfehlern einsetzt, oder die Gesellschaft<br />

bürokratische Kontrollstrukturen aufgebaut werden,<br />

nehmend ins Wanken: So stellte der Sachverstän-<br />

versorgung weit reichende Konsequenzen: Das Ziel,<br />

für Qualitätsmanagement in der Gesundheits-<br />

die immense Ressourcen verbrauchen, ohne dass<br />

digenrat zur Begutachtung der Entwicklung im<br />

die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbes-<br />

versorgung. Von der Wissenschaft angestoßene<br />

nachgewiesen ist, dass sie zu der behaupteten Ver-<br />

<strong>Gesundheitswesen</strong> bereits im Jahr 2001 fest, dass<br />

sern und mehr Transparenz über Qualität, und vor<br />

Initiativen wie »Jeder Fehler zählt«, »Lernen von


88 | 89<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

Tabelle: Deutsche Gesundheitsversorgung: Mittelprächtige Qualität bei hohen Ausgaben<br />

Wie sieht das Verhältnis von Aufwand, der in die<br />

Gesundheitsversorgung geht, und den Ergebnissen<br />

aus? Im internationalen Vergleich ist der finanzielle<br />

und personelle Ressourcenaufwand in Deutschland<br />

tatsächlich hoch (OECD 2006): Gemessen am<br />

Bruttoinlandsprodukt sind die Gesundheitsausgaben<br />

in Deutschland die dritthöchsten der Welt. Auch<br />

gibt es hierzulande mehr Arztpraxen, Apotheken<br />

und Krankenhäuser pro Einwohner.<br />

Dem verhältnismäßig hohen Aufwand stehen eher<br />

mittelmäßige Ergebnisse gegenüber: So nimmt<br />

Deutschland bei der Lebenserwartung mit 78,6 Jahren<br />

den unbefriedigenden Platz 14 von 21 betrachteten<br />

Ländern und bei der Säuglingssterblichkeit Platz 11<br />

von 26 ein (OECD 2006). Auch ein Vergleich über<br />

die Effektivität der Gesundheitsversorgung anhand<br />

von Qualitätsindikatoren zeigt, dass Deutschland<br />

einige vordere, aber viele hintere Ränge belegt<br />

(siehe Tabelle).<br />

Qualitätsindikatoren über Effektivität<br />

der Gesundheitsversorgung<br />

Jährliche Hepatitis-B-Infektionen, die durch Impfschutz<br />

verhindert werden können<br />

Schlaganfall: Ischämische Sterblichkeitsrate<br />

im Krankenhaus 30 Tage nach Einweisung<br />

Jährliche Maserninfektionen, die durch Impfschutz<br />

verhindert werden können<br />

Herzinfarkt: Sterblichkeitsrate im Krankenhaus 30 Tage<br />

nach Einweisung wegen akuten Myokardinfarkts<br />

Darmkrebs 5-Jahres-Überlebensrate<br />

Sterblichkeitsrate für Asthma<br />

Brustkrebs 5-Jahres-Überlebensrate<br />

Gebärmutterhalskrebs 5-Jahres-Überlebensrate<br />

Grippeimpfungen bei über 65-Jährigen<br />

* Anmerkung: Da nicht alle Qualitätsindikatoren in den betrachteten Ländern verfügbar sind,<br />

wurden je nach Datenlage unterschiedlich viele Länder miteinander verglichen.<br />

Quelle: Greß et al. (2006), erstellt nach Kelley/Hurst (2006)<br />

Rangplatz<br />

Deutschland*<br />

6 von 20<br />

9 von 17<br />

12 von 21<br />

12 von 20<br />

12 von 19<br />

15 von 21<br />

14 von 19<br />

15 von 19<br />

17 von 20<br />

den Besten« oder »Patient als Partner« haben ebenfalls<br />

eine bessere Versorgungsqualität zum Ziel.<br />

Der Gesetzgeber leitete mit den vergangenen Reformen<br />

ebenfalls Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung<br />

ein: So erhalten Krankenkassen, niedergelassene<br />

Ärzte und Krankenhäuser seit dem Jahr 2002 finanzielle<br />

Anreize, um »Strukturierte Behandlungsprogramme<br />

für Chroniker« (Disease-Management-<br />

Programme) aufzubauen und anzubieten: Mit den<br />

strukturierten Behandlungsprogrammen für chronisch<br />

Erkrankte, bisher verfügbar für Patienten mit<br />

Diabetes, Brustkrebs, Koronarer Herzerkrankung,<br />

Asthma und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung<br />

(COPD), soll die Versorgungsqualität steigen,<br />

weil sich die Ärzte beim Untersuchen und Behandeln<br />

an so genannten Leitlinien orientieren – Handlungsempfehlungen,<br />

die den aktuellen Stand von wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen und von im Alltag bewährten<br />

Verfahren wiedergeben. Zudem besteht<br />

für Krankenhäuser seit 2002 und für Arztpraxen<br />

seit 2004 die gesetzliche Pflicht, ein einrichtungsinternes<br />

Qualitätsmanagement einzuführen (siehe<br />

Kapitel »Vorbild Industrie: Qualitätsmanagement<br />

in Arztpraxen«).<br />

Doch Qualitätssicherung allein reicht heute nicht<br />

mehr aus: Solange es Defizite und Unterschiede in<br />

der Versorgungsqualität gibt, sollten sie auch publik<br />

gemacht werden. Für ihre geleisteten Beiträge haben<br />

die Versicherten ein Recht auf Transparenz – im<br />

Gegenzug sollten niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser<br />

und Krankenkassen Rechenschaft darüber<br />

ablegen, wie sie mit den Versichertengeldern umgehen.<br />

Transparenz hilft Ärzten<br />

Qualitätstransparenz ist nicht nur für die Versicherten<br />

wünschenswert und hilfreich. Auch für Leistungsanbieter<br />

entfaltet sie positive Wirkungen:<br />

• Transparenz schafft die Grundlage für eine<br />

wissenschaftlich fundierte Medizin: Erst wenn<br />

Versorgungsqualität gemessen und transparent<br />

gemacht wird, können die wirkungsvollsten<br />

Untersuchungs- und Behandlungsmethoden<br />

erkannt und anschließend in den Versorgungsalltag<br />

umgesetzt werden.<br />

• Transparenz motiviert zu kontinuierlicher<br />

Verbesserung: Sie hilft, das eigene Handeln<br />

systematisch zu reflektieren, und spornt an,


90 | 91<br />

Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

von Kollegen mit besseren Ergebnissen zu lernen.<br />

Insbesondere Ärzte in Einzelpraxen haben so die<br />

Möglichkeit für einen faktenbasierten Erfahrungsaustausch<br />

mit Kollegen.<br />

• Transparenz ermöglicht eine bessere Positionierung:<br />

Ärzte und Krankenhäuser, die eine<br />

hohe Qualität erbringen, können dies gegenüber<br />

Versicherten und Kassen hervorheben. Dadurch<br />

erhalten sie einen größeren Patientenzulauf und<br />

können besondere Versorgungsverträge mit den<br />

Kassen abschließen.<br />

Insofern ist es erfreulich, dass der Gesetzgeber erste<br />

Maßnahmen für mehr Qualitätstransparenz eingeleitet<br />

hat: Krankenhäuser müssen seit 2001 einmal<br />

jährlich Qualitätsindikatoren an die Bundesgeschäftsstelle<br />

Qualitätssicherung (BQS) melden und sich<br />

damit einem deutschlandweiten, für die Öffentlichkeit<br />

allerdings anonymen Vergleich stellen. Zudem<br />

ist jedes Krankenhaus seit 2005 dazu verpflichtet,<br />

alle zwei Jahre bestimmte Kennzahlen in einem<br />

Qualitätsbericht zu veröffentlichen (siehe Kapitel<br />

»Krankenhaus-Qualitätsberichte: Informieren, aber<br />

richtig!«).<br />

Weitere Schritte in Richtung Qualitätstransparenz<br />

müssen allerdings folgen: Zunächst sollten die gegenwärtigen<br />

Berichte die Informationen enthalten, die<br />

die Bürger wünschen. Darüber hinaus sollten Qualitätsinformationen<br />

patientenverständlich formuliert<br />

sein. Außerdem sollte auch die Qualität von Arztpraxen,<br />

Ärztenetzen und Medizinischen Versorgungszentren<br />

gemessen und veröffentlicht werden.<br />

Vor allem ist es wichtig, dass Bürger Qualitätsinformationen<br />

vergleichen können, um so den für<br />

ihre Bedürfnisse besten Anbieter zu finden.<br />

Nebenwirkungen sind<br />

steuerbar<br />

So notwendig und sinnvoll Qualitätstransparenz ist –<br />

sie kann auch unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen.<br />

Das Dilemma: Mögliche Nebenwirkungen<br />

treten umso stärker auf, je größer die »Belohnungen«<br />

für gute Messergebnisse, etwa in Form eines größeren<br />

Patientenzustroms, der kollegialen Anerkennung,<br />

individueller Versorgungsverträge mit Krankenkassen<br />

oder auch eines höheren Gehalts, sind:<br />

• Konzentration auf gemessene Leistungen: Was<br />

nicht oder nur schwierig messbar ist und deshalb<br />

nicht gemessen wird, verliert an Relevanz. Bei<br />

attraktiven »Belohnungen« guter Qualitätsergebnisse<br />

ist der Anreiz groß, sich vor allem bei den<br />

gemessenen Leistungen anzustrengen. Leistungen,<br />

deren Qualität nicht gemessen und veröffentlicht<br />

wird, werden dann möglicherweise vernachlässigt –<br />

obwohl sie einen gewichtigen Teil der alltäglichen<br />

Arbeit ausmachen.<br />

• Patientendiskriminierung: Noch ärgerlicher als<br />

die Konzentration auf die gemessenen Leistungsbereiche<br />

wäre es, wenn Ärzte Patienten gezielt<br />

an sich binden würden, weil sie mit ihnen gute<br />

Messergebnisse erzielen, und andere Patienten,<br />

mit denen sie weniger gute Messergebnisse erreichen<br />

können, vergraulen würden – etwa weil<br />

Komplikationen auftreten oder weil die Patienten<br />

sich nicht an Therapieempfehlungen halten.<br />

• Beschönigung von Messergebnissen: Mit wachsenden<br />

Belohnungen für gute Qualität steigt auch<br />

die Versuchung, Messergebnisse zu schönen oder<br />

sogar zu manipulieren.<br />

Sollte angesichts dieser möglichen Nebenwirkungen<br />

Qualitätstransparenz vielleicht doch nicht erstrebenswert<br />

sein? Nein. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass die<br />

positiven Wirkungen der Transparenz über Qualität die<br />

unerwünschten Folgen übertreffen: In vielen Ländern,<br />

beispielsweise in Dänemark, Großbritannien, in den<br />

Niederlanden und den USA, gehören das Messen und<br />

Veröffentlichen von Qualitätsdaten bereits zum Alltag.<br />

Zudem müssen die unerwünschten Nebenwirkungen<br />

nicht auftreten: Sie können durch indikatorengestützte<br />

Verfahren, durch bessere, risikoadjustierende Mechanismen<br />

zur Berücksichtigung der unterschiedlichen<br />

Patientengruppen oder durch manipulationsgeschützte<br />

Messverfahren vermieden werden – was allerdings


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Qualitätstransparenz im <strong>Gesundheitswesen</strong> | Politik für mehr Transparenz<br />

zusätzliche Kosten hervorruft. Auch können Kontrollen Unterstützt werden müssten sie dabei durch sozialrechtliche<br />

verhindern, dass es zu den unerwünschten Nebenwirkungen<br />

und vertragliche Anreize, die dieses<br />

kommt. Doch Kontrollen sind nicht nur Selbstverständnis würdigen.<br />

kostspielig, sie bringen auch ein grundsätzliches<br />

Misstrauen gegenüber dem Verhalten der Ärzte und Was zunächst wie ein Widerspruch für praktizierende<br />

anderer Leistungsanbieter zum Ausdruck und untergraben<br />

Ärzte anmutet, sollten daher zwei Ausprägungen<br />

damit deren intrinsische Motivation.<br />

derselben professionellen Qualitätskultur sein [siehe<br />

Übersicht]: Auf der einen Seite erwartet man von<br />

Die beste Lösung wäre es, wenn sich alle Ärzte und ihnen hohe Eigenmotivation und ein professionelles<br />

andere Gesundheitsfachkräfte gemäß ihrem professionellen<br />

Qualitätsverständnis hinsichtlich aller, auch der nicht<br />

und ethischen Selbstverständnis so verhal-<br />

messbaren Leistungsbereiche. Auf der anderen Seite<br />

ten, dass unerwünschte Nebenwirkungen möglichst sollen Ärzte es als ihre eigene Pflicht anerkennen,<br />

nicht auftreten: Sie fokussieren sich weder auf die Rechenschaft abzulegen über alle Leistungen, deren<br />

gemessenen Leistungsbereiche, noch diskriminieren Qualität gemessen werden kann – so wie es in anderen<br />

sie Patienten, noch beschönigen sie Messergebnisse.<br />

Branchen längst üblich ist.<br />

Übersicht: Gelebte Qualitätskultur – Vertrauen und Rechenschaft als zwei Seiten einer Medaille<br />

Vertrauen<br />

Rechenschaft<br />

Ziel<br />

Kontinuierliche Qualitätsverbesserung<br />

Darstellung des gegenwärtigen Qualitätsniveaus<br />

»Die neuerlich und aktuell diskutierte ›Gesundheitsreform‹<br />

muss diese Kontrollbürokratie konsequent<br />

abschaffen und wieder vertrauen auf die Leistungsqualität,<br />

den Leistungswillen und die Leistungsfähigkeit<br />

der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland«, fordern<br />

die Teilnehmer des 109. Deutschen Ärztetages<br />

in ihrem Beschlussprotokoll (Bundesärztekammer<br />

2006). Dem ist vor dem heutigen Stand der Qualitätstransparenz<br />

ein klares »ja, aber« hinzuzufügen: Ja,<br />

das Vertrauen in die Leistungsqualität, den Leistungswillen<br />

und die Leistungsfähigkeit der Ärztinnen und<br />

Ärzte in Deutschland ist nach wie vor essenziell.<br />

Aber: Maßnahmen und Institutionen zur Qualitätsverbesserung<br />

und Transparenzförderung stellen<br />

keine Kontrollbürokratie dar. Vielmehr sind sie<br />

Ausdruck einer gelebten Rechenschaft und Verantwortlichkeit<br />

von Ärzten und eines realisierten<br />

Wunsches nach mehr Qualitätsinformationen auf<br />

Seiten der Bürger. Denn schließlich stärkt Transparenz<br />

über Qualität das Vertrauen in die Qualität.<br />

Literatur<br />

• Bundesärztekammer (2006): Beschlussprotokoll des 109. Deutschen<br />

Ärztetages vom 23.–26. Mai 2006 in Magdeburg.<br />

www.bundesaerztekammer.de/downloads/Beschluss109DAET.pdf.<br />

• Greß, S.; Maas, S.; Wasem, J. (2006): Effektivitäts-, Effizienz- und<br />

Qualitätsreserven im deutschen Gesundheitssystem. Expertise für die<br />

Hans-Böckler-Stiftung, Essen.<br />

www.boeckler.de/pdf/fof_S-2006-840-4.pdf.<br />

• Kelley, E.; Hurst, J. (2006): Health Care Quality Indicators Project –<br />

Initial Indicators Report. OECD Health Working Papers Nr. 22.<br />

• OECD (2006): OECD Health Data 2006 – Frequently Requested Data.<br />

www.oecd.org/dataoecd/20/51/37622205.xls.<br />

• Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im<br />

<strong>Gesundheitswesen</strong> (SVR-G) (2001): Bedarfsgerechtigkeit und<br />

Wirtschaftlichkeit, Band III. Über-, Unter- und Fehlversorgung,<br />

Gutachten 2000/2001. Ausführliche Zusammenfassung.<br />

www.svr-gesundheit.de/Gutachten/Gutacht01/Kurzf-de.pdf.<br />

Adressat<br />

Spezifische Methode<br />

Eigene Organisation, z.B. Arztpraxis oder Krankenhaus<br />

Qualitätsmanagement<br />

Bevölkerung, Kassen, einweisende Ärzte, Politik<br />

Qualitätstransparenz<br />

Gemeinsame Basis<br />

Professionalität und Ethik, Qualitätsmessung, evidenzbasierte Medizin und Leitlinien


IMPRESSUM<br />

Bertelsmann Stiftung<br />

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33311 Gütersloh<br />

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Verantwortlich<br />

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Redaktion<br />

Marion Grote Westrick, Dr. Christian Weymayr<br />

Art Direction<br />

Heike van Meegdenburg<br />

Gestaltung<br />

VISIO Kommunikation GmbH, Bielefeld<br />

Produktion<br />

Druckerei Festge, Oelde<br />

Fotos<br />

Veit Mette, Bielefeld<br />

FontShop fancy<br />

Getty Images, Keith Brofsky<br />

Martina Gockeln<br />

Imagesource<br />

Photodisc<br />

ullstein bild – imagebroker<br />

Marcus Vogel, Hamburg<br />

Wir danken dem Sankt Elisabeth Hospital Gütersloh und dem<br />

Marienhospital Oelde für die Bereitstellung der Fotos auf den<br />

Seiten 8, 10, 29, 38, 40, 46, 46/47, 70/71, 73 und 81 sowie der<br />

Praxis Dr. med. Schlierkamp in Halle/Westfalen für das Titelfoto.

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