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film Portät<br />

64<br />

„Mein seelenhaushalt<br />

muss beben“<br />

Intensiv, intuitiv und immer mit klarem Ziel vor Augen: Die Schauspielerin<br />

Marie Bäumer hat sich in die Oberliga des deutschen Films gespielt und auch<br />

privat für sich den richtigen Platz und die richtigen Menschen gefunden<br />

MADAME 8/2009


FOTO: Vanessa Maas (1). Outfit über CVG Showroom<br />

Seit Kurzem weiß sie, wie es<br />

ist, sich wie im falschen Film<br />

zu fühlen. Nicht beruflich,<br />

da läuft es für die Schauspielerin<br />

Marie Bäumer seit langer Zeit<br />

rund. Mit Kassenschlagern wie „Männerpension“<br />

oder „Der Schuh des Manitu“<br />

etablierte sie sich ebenso wie mit<br />

Autorenkino wie Oskar Roehlers „Der<br />

alte Affe Angst“. Derzeit brilliert sie in<br />

Sebastian Schippers frei nach Goethes<br />

„Wahlverwandtschaften“ inszeniertem<br />

Beziehungsdrama „Mitte Ende August“<br />

(Start: 30.7.) und feiert Bühnenerfolge,<br />

wie vor zwei Jahren bei den Salzburger<br />

Festspielen als Buhlschaft im „Jedermann“.<br />

Etwa um die Zeit geriet allerdings<br />

ihre private Welt ins Wanken.<br />

Sie war gerade weggegangen aus<br />

Hamburg, „weil da irgendwie die<br />

Herzfrequenz für mich nicht stimmte“,<br />

hatte nach einem Platz gesucht, an<br />

dem „der Seelenhaushalt beben“ kann.<br />

Kaum eingezogen in ihrem Traumdomizil,<br />

einem 200 Jahre alten Haus in<br />

einem Provence-Dörfchen bei Avignon,<br />

zerbrach die Beziehung zu Schauspielkollege<br />

Nicki von Tempelhoff, dem Vater<br />

ihres elfjährigen Sohnes Shawn. Sie<br />

stürzte in eine „wirklich große und tiefe<br />

Krise“, wie sie erstaunlich offen und<br />

freimütig bekennt, hoch über den Dächern<br />

von Berlin, bei einem langen<br />

Lunch in der Club-Lounge des Hotels<br />

Concorde, wo wir beide anlässlich der<br />

Verleihung des Deutschen Filmpreises<br />

abgestiegen sind. Den Trubel eines solchen<br />

Branchentreffs konnte sie noch<br />

bei der letzten Berlinale nicht verkraften,<br />

hat „einfach schlappgemacht“:<br />

„Es war schwer zu akzeptieren, dass<br />

das eigene Selbstverständnis nicht so<br />

funktioniert, wie man es an sich kennt,<br />

aber ein erster Schritt war für mich,<br />

nicht mehr gegen diese Tatsache anzukämpfen.<br />

Ich erkannte, dass ich innerlich<br />

zu aufgebrochen und zu porös war,<br />

um einfach alles so über mich hinwegrieseln<br />

lassen zu können. Die Leute<br />

erwarten ja auch nicht, dass man mit<br />

einem gebrochenen Bein auf Festspielen<br />

rumhumpelt, warum sollte das<br />

beim Herzen anders sein, bloß weil’s<br />

weniger erkennbar ist?“<br />

Marie Bäumer ist eine Frau, der<br />

Larmoyanz fremd ist, die sich<br />

den Dingen stellt und sie anpackt, auf<br />

ihre eigene Art. Dazu gehört: die verbündeten<br />

Truppen zu versammeln.<br />

Die Familie, die engsten Freunde –und<br />

vor allem ihr Frauennetzwerk: die drei<br />

besten Freundinnen, die eine in der<br />

Bretagne, die andere in München, die<br />

dritte in Hamburg; verstreut und ihr<br />

doch sehr nahe. Eine ganz besondere<br />

Rolle spielen für sie zwei Frauen, die<br />

sie ihre Wegbegleiterinnen nennt: die<br />

Engländerin Sasha und Pascale, eine<br />

„Sebastian Schipper<br />

schreibt komplexe ,<br />

klar komponierte<br />

Figuren mit wider-<br />

sprüchlichkeiten.<br />

Das mag ich.“<br />

Marie Bäumer<br />

Französin. Mit deren beider Hilfe arbeitet<br />

sie konsequent in spiritueller<br />

Weise an sich. Der enge Austausch mit<br />

anderen Frauen funktioniert für sie als<br />

„Strukturhilfe“. „Wir setzen uns sehr<br />

mit dem eigenen Erleben auseinander,<br />

mit den neuen Erfahrungen und Hürden,<br />

die in der vermeintlichen Lebensmitte<br />

so auftauchen, erzählt sie, die<br />

gerade 40 wurde. Für sie „ein Gefühl,<br />

als stünde man auf einer Bergspitze.<br />

Blickt hinunter ins Tal auf die Vergangenheit<br />

und schaut nach vorne in die<br />

Zukunft wie auf eine weite Ebene, wo<br />

lauter Fragen auftauchen, was jetzt<br />

wirklich wichtig und richtig ist.“<br />

Wie eng immer noch ihre Bindung<br />

an die Eltern ist, erstaunt viele:<br />

„Sie haben mich immer unterstützt,<br />

nie irgendwelche Zweifel geäußert.“<br />

Nach dem Abitur begann Marie Bäumer,<br />

in Düsseldorf geboren, aber in<br />

Hamburg-Blankenese aufgewachsen,<br />

ihre Schauspielausbildung an der<br />

Scuola Teatro Dimitri im Tessin und<br />

setzte sie in Hamburg im Studio 033<br />

und an der Hochschule für Musik und<br />

Theater fort. Heute macht es ihr großen<br />

Spaß, regelmäßig an der Schauspielakademie<br />

in Ludwigsburg zu unterrichten.<br />

Wenn der Vater, ein<br />

Architekt, die Tochter am liebsten zu<br />

jeder Probe begleitet hätte, war das,<br />

sagt sie „nicht nur Elternstolz, sondern<br />

echtes Interesse. Auch heute versteht<br />

niemand so gut wie sie, wie ich leide,<br />

wenn mir eine Rolle nicht genügend<br />

Futter bietet, nicht unbedingt vom Unfang<br />

her, aber inhaltlich.“<br />

Die künstlerische Ader – und der<br />

hohe Anspruch an sich selbst –<br />

zieht sich durch die Familie. Der Vater<br />

ist „ein begnadeter Zeichner und auch<br />

als Musiker und Dichter gut“, die Mutter<br />

Ergotherapeutin und Malerin. Zusammen<br />

mit deren Bildern hat Marie<br />

Bäumer in einer Ausstellung in Hamburg<br />

die Skulpturen gezeigt, die sie im<br />

ehemaligen Pferdestall ihres Hauses in<br />

Südfrankreich fertigt. Die Liebe zur<br />

Bildhauerei kommt von der Großmutter<br />

mütterlicherseits, spekuliert Marie<br />

Bäumer. Doch auch ihre andere Großmutter,<br />

die Buchbinderin in der Werkstatt<br />

von Paul Klee war und in Japan<br />

fernöstliche Maltechniken studiert hat,<br />

mag ihr diese Begabung vererbt haben.<br />

Marie Bäumers Schwester, Mutter<br />

von drei Söhnen, ist Psychologin und<br />

Ergotherapeutin, spezialisiert auf „Biografiearbeit“,<br />

eine Art Lebenshilfe<br />

auf anthroposophischen Grundlagen.<br />

Auch mit ihr würde Marie Bäumer gerne<br />

einmal in irgendeiner Form ein kreatives<br />

Projekt auf die Beine stellen. In<br />

ihren Beruf allerdings will sie keinesfalls<br />

metaphysische Ansätze einfließen<br />

lassen: „Ich arbeite pragmatisch, ➛<br />

65


film Porträt<br />

66<br />

eher handwerklich. Jede Form von spirituellem<br />

oder auch nur minimalem<br />

therapeutischem Ansatz hat im Schauspiel,<br />

finde ich, nichts, aber auch gar<br />

nichts zu suchen. Familienaufstellungen<br />

am Set, wo die Leute dann total im<br />

Regen stehen gelassen werden mit ihren<br />

offenen Emotionskanälen: gruselig,<br />

einfach unverantwortlich! Wenn<br />

Schauspieler in ihren Gefühlen baden<br />

gehen, macht sich der Zuschauer doch<br />

höchstens Sorgen um sie oder er steigt<br />

gleich aus. Das sage ich auch meinen<br />

Studenten: Gefühlshülsen turnen total<br />

ab, da kennt das Publikum kein Mitleid.<br />

Ihr müsst die Gedanken und damit<br />

die Geschichte weitertreiben.“<br />

Privat aber spürt sie ganz stark:<br />

„Der Wandel, der gerade stattfindet<br />

tief in mir drinnen, der hat wirklich<br />

noch eine ganz andere Dimension als<br />

die, die sich im Außen zeigt und die<br />

ich zu fassen kriege.“ Ein Freund, erzählt<br />

sie, habe gerade bemerkt, in letzter<br />

Zeit käme bei ihrem Sternzeichen<br />

(Stier) der Aszendent (Zwilling) immer<br />

offensichtlicher zum Tragen.<br />

„Man sagt ja, das kippe ab einem gewissen<br />

Alter“, meint sie lachend, doch<br />

wird schnell ernst, als sie auf den Prozess<br />

zu sprechen kommt, in dem sie<br />

sich Unterstützung holt bei ihren spirituellen<br />

Begleiterinnen, um freizulegen,<br />

was in ihr rumort. „Oft meint<br />

man, die Dinge im Kopf für sich geklärt<br />

zu haben, und merkt doch, dass der<br />

Körper und das Herz noch nicht hinterhergekommen<br />

sind.“ Als sie in<br />

Frankreich von ihrer Bekannten Pascale<br />

– von Beruf Gesprächstherapeutin<br />

und Astrologin – gefragt wurde, ob sie<br />

quasi als Testperson an einem Projekt<br />

teilnehmen wolle, war ihre Neugierde<br />

geweckt. Erst recht, als sie erfuhr, dass<br />

die Engländerin Sasha – Medium und<br />

Seherin – mit von der Partie sein würde.<br />

Marie Bäumer war „sehr beeindruckt<br />

und auch stolz“, dass ihr Ex-<br />

Lebensgefährte in der sich hinziehenden<br />

Trennungsphase einwilligte, bei Pascale<br />

eine Paartherapie zu machen. „Wir<br />

hatten eine ganze Weile versucht, uns<br />

da selber durchzulavieren, und mussten<br />

einfach einsehen, dass wir immer<br />

an denselben Punkten steckenblieben.“<br />

Diese Phase ist abgeschlossen, die Beziehung<br />

ist geklärt, Vater und Sohn<br />

sehen sich oft, auch wenn Marie Bäumer<br />

sich als „weitgehend allein erziehende<br />

Mutter“ bezeichnet. Momentan<br />

ist sie solo. „Beziehung, Trennung, Beziehung,<br />

Trennung, diese vermeintliche<br />

Selbstverständlichkeit, Hilfe, das<br />

ist Hip-Hop-Leben, nichts für mich!“<br />

Sie konzentriert sich auf die Arbeit,<br />

dreht diesen Sommer den Sat.1-<br />

Zweiteiler „Die Grenze“ mit Benno Fürmann<br />

und Thomas Kretschmar, unter<br />

„Ich habe mehr und<br />

mehr das Gefühl,<br />

dass ich an meiner<br />

eigenen Wahr-<br />

haftigkeit nicht<br />

mehr vorbeikomme.“<br />

Marie Bäumer<br />

der Regie von Roland Suso Richter, für<br />

den sie auch schon in „Dresden“ gespielt<br />

hat. Steht für Andreas Kleinert<br />

(„Freischwimmer“) für die BR-Produktion<br />

„Haus und Kind“ vor der Kamera.<br />

Ende des Jahres soll „Der große Kater“<br />

von Wolfgang Panzer nach dem Erfolgsroman<br />

des Schweizers Thomas<br />

Hürlimann, in dem sie neben Christiane<br />

Paul und Bruno Ganz spielt, in die<br />

Kinos kommen. Anfang nächsten Jahres<br />

ist die Ausstrahlung der ARD-Serie<br />

„Im Angesicht des Verbrechens“ geplant,<br />

für die sie Dominik Graf geholt<br />

hat, als sie gerade ihren emotionalen<br />

Tiefpunkt erlebte, beruflich zwar erfolgreich<br />

war, sich aber nicht ausgefüllt<br />

fühlte: „Deine wirklich spannende<br />

Zeit kommt erst noch“, habe er ihr vor<br />

den Dreharbeiten gesagt. Und Recht<br />

behalten, meint sie heute. Was sie besonders<br />

freut: „Alle meine neueren<br />

Filme sind von Arte koproduziert und<br />

werden irgendwann auch in Frankreich<br />

gezeigt.“<br />

Die Provence, die sie als 17-Jährige<br />

auf einer Radtour für sich entdeckte,<br />

ist für sie eine magische Landschaft,<br />

und sie findet es stimmig, dass sie hier<br />

„noch mal eine ganz andere Sensibilität“<br />

entwickelt hat und eben auch durch<br />

ihre spirituellen Begleiterinnen auf die<br />

Art von Energiearbeit gestoßen ist, die<br />

ihre Seele wieder zum Schwingen<br />

bringt. „Das ist ja für mich keine Glaubensrichtung,<br />

sondern eine Art Coaching.<br />

Ich habe einfach gemerkt, dass<br />

der ganzheitliche Ansatz, der über reine<br />

Gesprächstherapie hinausgeht, auf<br />

einer anderen Ebene etwas mit einem<br />

macht, als wenn man sich nur mental<br />

und verbal mit sich auseinandersetzt.<br />

Gewisse Übungen beispielsweise, in<br />

denen man den Atem und das Bewusstsein<br />

in Einklang bringt, helfen mir, ein<br />

besseres Gespür für das Wesentliche zu<br />

bekommen, und verstärken in mir das<br />

Gefühl, an meiner eigenen Wahrhaftigkeit<br />

nicht mehr vorbeizukommen.“<br />

Marie Bäumer hat sich nicht eingesponnen<br />

in einen Eso-Kokon. Sie nutzt ihre<br />

reiche Innenwelt, um dem Leben im<br />

Außen Tiefe zu geben. Ihre größte Lernaufgabe:<br />

den Dingen die Zeit zu lassen,<br />

die sie brauchen. Sie fühlt sich „wie ein<br />

Rennpferd im Stall“, wenn sie nicht<br />

genügend ausgelastet oder gefordert<br />

ist: „Wenn ich für mich Sachen analysiert<br />

und erkannt habe, setze ich sie<br />

am liebsten sofort um. Eine der größten<br />

Aufgaben für mich ist, mit meinen<br />

Empfindungen, auch Stimmungsschwankungen,<br />

in den gesamten Organismus<br />

einzutauchen, sie zu durchleben<br />

und zu wiederholen, bis ich merke,<br />

jetzt ist er da, der Moment, in dem ich<br />

die Situation akzeptiere, wie sie ist, und<br />

dann ist die Veränderung vollzogen.“<br />

MADAME 8/2009


Sich einfach mal zurückzulehnen<br />

und die Tatsache zu genießen, dass<br />

sie sich mit ihrem Leben im Süden einen<br />

ganz großen Traum erfüllt hat, das<br />

ist eine Einstellung, die sie mehr und<br />

mehr für sich kultiviert. Sie nimmt sich<br />

ein Beispiel an Leuten, die sie in ihrem<br />

Paradies besuchen: „Wenn die bei uns<br />

ankommen, wirken sie wie mit so<br />

gelben Post-it-Zetteln beklebt, total<br />

unter Druck. Die muss man nur mit<br />

einem Glas Rotwein vor den Kamin<br />

setzen, oder im Sommer auf die Terrasse,<br />

und dann kommen meine beiden Kater<br />

mit dem eichhörnchenartigen Fell, einer<br />

schmiegt sich um den Hals, der<br />

andere legt sich auf die Knie, und<br />

schon sind alle ganz im ‚Omm‘.“ Zum<br />

provenzalischen Hausstand gehört auch<br />

der Hund Thuja. Er heißt nicht zufällig<br />

wie die Hecke, die das Grundstück umschließt,<br />

die Pflanze, die man auch<br />

Lebensbaum nennt, erklärt Marie Bäumer,<br />

und legt mit typischer Selbstironie<br />

nach: „Bei einem Hund sucht man<br />

sich ja sein eigenes Spiegelbild, und so<br />

ein Border-Collie ist eben ein hyperaktives<br />

Tier, freundlich, offen, aber auch<br />

ganz schön anstrengend.“<br />

Das Grundvertrauen, das ihre Eltern<br />

in ihr installiert haben, sei eine<br />

Weile verschüttet gewesen, „aber zu<br />

meiner Überraschung verspüre ich jetzt<br />

oft wieder ein tiefes, auch neues Glück“.<br />

Ihre Befindlichkeit beschreibt sie bildhaft:<br />

„Ich stehe da so in meinem Raum,<br />

dem Gewohnten, im diffusen Dämmerlicht,<br />

in dem ich mich halbwegs sicher<br />

fühle, und weiß, wo die Wände sind,<br />

aber die interessieren mich nicht, ich<br />

stehe schon sehr nahe an einer Schwelle,<br />

sie ist hoch und alt, weiß, unter einer<br />

offenen Tür, durch die ich den nächsten,<br />

sehr hellen Raum schauen kann.<br />

Ich sehe sie genau vor mir, die Schwelle,<br />

aber ich kann da nicht so drübergleiten,<br />

ich muss richtig darübersteigen,<br />

und das erfüllt mich mit erwartungsvoller<br />

Euphorie.“ Friederike Albat<br />

„Ich hoffe,<br />

dass meine<br />

Suche nach<br />

authentizität<br />

und<br />

das Arbeiten<br />

an mir<br />

irgendwann<br />

auch den<br />

Figuren, die<br />

ich spiele,<br />

zugutekommt.“<br />

Marie Bäumer

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