Reformation und Freiheit - Die CDU-Fraktion des Sächsischen ...
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Schriftenreihe zu Gr<strong>und</strong>lagen, Zielen<br />
<strong>und</strong> Ergebnissen der parlamentarischen<br />
Arbeit der <strong>CDU</strong>-<strong>Fraktion</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Sächsischen</strong> Landtages<br />
<strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
Im Rahmen der Vortragsreihe „Forum Frauenkirche“<br />
Band 63
Inhaltsverzeichnis<br />
Begrüßung<br />
Pfarrer Holger Treutmann<br />
Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche Dresden<br />
2 – 3<br />
Einführung<br />
Steffen Flath MdL<br />
Vorsitzender der <strong>CDU</strong>-<strong>Fraktion</strong> <strong>des</strong> <strong>Sächsischen</strong> Landtages<br />
4 – 5<br />
„Der Mensch ist zur <strong>Freiheit</strong> berufen“<br />
Anmerkungen zum Thema der Lutherdekade 2011<br />
6 – 16<br />
Dr. Matthias Rößler MdL<br />
Präsident <strong>des</strong> <strong>Sächsischen</strong> Landtages<br />
Schlusswort<br />
Dr. Fritz Hähle<br />
Ehrenpräsident <strong>des</strong> Johann-Amos-Comenius-Clubs Sachsen<br />
17 – 20<br />
1
Begrüßung<br />
Pfarrer Holger Treutmann<br />
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Dr.<br />
Rößler, sehr geehrter Herr <strong>Fraktion</strong>svorsitzender<br />
Flath , sehr geehrte Damen <strong>und</strong><br />
Herren Staatsminister <strong>und</strong> Staatssekretäre,<br />
Mitglieder <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e <strong>des</strong> JACC,<br />
liebe Gäste der Frauenkirche.<br />
Namens der Stiftung Frauenkirche heißen<br />
wir Sie herzlich Willkommen am<br />
Buß- <strong>und</strong> Bettag im großen R<strong>und</strong> dieser<br />
Kirche, so wie wir das seit vielen Jahren<br />
schon praktizieren. Es ist schön, dass Sie<br />
so beständige Gäste in unserem Haus<br />
sind <strong>und</strong> wir neben dem Gottesdienst<br />
am Vormittag nachmittags eine Vortragsveranstaltung<br />
haben, in der politische<br />
Themen vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
dieses Tages <strong>und</strong> der geistlichen Verantwortung,<br />
die sich mit dieser Kirche<br />
verbindet, hier ihren Ort finden können.<br />
Das Thema der <strong>Freiheit</strong> soll heute im<br />
Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.<br />
Für Martin Luther entspringt die <strong>Freiheit</strong><br />
<strong>des</strong> Menschen aus dem Glauben an<br />
Jesus Christus.<br />
Christlich verstandene <strong>Freiheit</strong> ist nicht<br />
nur eine <strong>Freiheit</strong> von etwas – von andern<br />
Mächten, von Schuld, von Abhängigkeiten<br />
-, sondern zugleich eine <strong>Freiheit</strong><br />
zu etwas – zur Nächstenliebe, zur<br />
verantwortlichen Gestaltung der Welt.<br />
Buß- <strong>und</strong> Bettag, das ist ein Tag, der in<br />
Sachsen als Feiertag begangen werden<br />
kann, ein arbeitsfreier Tag. Der Buß- <strong>und</strong><br />
Bettag spricht ähnlich von der <strong>Freiheit</strong>,<br />
nämlich dass wir frei sein können mit<br />
Blick auf die Vergangenheit von unseren<br />
Verfehlungen. Wir können uns im Bekenntnis<br />
vor Gott <strong>und</strong> durch Vergebung<br />
von den Lasten der Vergangenheit frei<br />
sprechen lassen. Aber wichtig ist, dass<br />
wir nicht nur sagen können, was schief<br />
gegangen ist, sondern durch die Vergebung<br />
auch frei werden für etwas Neues.<br />
Der Buß- <strong>und</strong> Bettag hat nicht die Funktion,<br />
Menschen klein zu machen, sondern<br />
sie aufzurichten <strong>und</strong> neu in Verantwortung<br />
zu setzen.<br />
Themen der Neuorientierung gäbe es<br />
auch im Bereich der Politik. Wenn ich zurück<br />
blicke auf das vergangene Jahr, dann<br />
fallen mir Stichworte wie Fukushima ein,<br />
Neuorientierung in der Energiepolitik,<br />
die Stabilität <strong>des</strong> Euro, der Zusammenhalt<br />
der europäischen Staaten, aber auch<br />
der Zusammenhalt <strong>und</strong> innerer Friede im<br />
eigenen Land. Im Blick auf den Freistaat<br />
bedrängt uns die geplante Kriminalität in<br />
der rechtsradikalen Szene.<br />
Bisher geltende Paradigmen müssen<br />
überdacht werden <strong>und</strong> eine Suche nach<br />
neuen Wegen liegt vor uns. Trotz aller<br />
Bedrängnisse brauchen wir die innere<br />
<strong>Freiheit</strong>, neu zu planen <strong>und</strong> zu denken.<br />
Ich denke, dazu gibt der Buß- <strong>und</strong> Bettag<br />
die große Chance.<br />
2
Der Buß- <strong>und</strong> Bettag war in unserer<br />
Geschichte immer schon ein Tag, an<br />
dem das Verhältnis von Staat <strong>und</strong> Kirche<br />
thematisiert wurde <strong>und</strong> im Lauf der<br />
Geschichte unterschiedlich beschrieben<br />
worden ist. <strong>Die</strong> Art <strong>und</strong> Weise, wie<br />
dieses Verhältnis im Moment gelebt<br />
wird – mit einer Trennung von Staat <strong>und</strong><br />
Kirche -, aber mit einer gegenseitigen<br />
Verantwortung füreinander, bietet viele<br />
Möglichkeiten.<br />
<strong>Die</strong> Frauenkirche als wieder aufgebaute<br />
Kirche ist in den vergangenen sechs<br />
Jahren ein Ort geistlichen Lebens geworden<br />
mit Gottesdiensten, Andachten,<br />
Taufen <strong>und</strong> Trauungen. Aber sie ist auch<br />
ein Ort, an dem wir die Verantwortung<br />
für Frieden <strong>und</strong> Versöhnung immer wieder<br />
neu in unserer Gegenwart buchstabieren<br />
wollen. Dazu trägt auch die Vortragsreihe<br />
im Forum Frauenkirche bei,<br />
die sich in jedem Jahr mit einem anderen<br />
Thema beschäftigt. In diesem Jahr war<br />
es das Thema „Gerechtigkeit“.<br />
<strong>Die</strong> Vorträge <strong>des</strong> Johann-Amos-Comenius-Clubs<br />
stehen damit immer auch in<br />
einem größeren Zusammenhang <strong>des</strong> politischen<br />
<strong>und</strong> geistlichen Nachdenkens.<br />
Dafür bin ich sehr dankbar <strong>und</strong> möchte<br />
diesen Dank ausdrücklich auch im Namen<br />
der Stiftung Frauenkirche <strong>und</strong> als<br />
Pfarrer dieser Kirche weiter sagen. Wir<br />
blicken voraus auf einen interessanten<br />
<strong>und</strong> Gewinn bringenden Nachmittag.<br />
Ich freue mich, dass Sie da sind.<br />
3
Einführung<br />
Steffen Flath MdL<br />
Verehrter Herr Volker Treutmann, Sie<br />
sind Frauenkirchenpfarrer <strong>und</strong> Geschäftsführer<br />
der Stiftung Frauenkirche <strong>und</strong><br />
ich darf mich zunächst ganz herzlich<br />
bedanken für Ihre Gastfre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong><br />
Kooperation. Es stellt keine Selbstverständlichkeit<br />
dar, dass wir seit Jahren<br />
hier am Buß- <strong>und</strong> Bettag die Frauenkirche<br />
nutzen dürfen. Dafür mein herzliches<br />
Dankeschön. Sie haben es gesagt:<br />
<strong>Die</strong> Frauenkirche ist ein Symbol <strong>des</strong><br />
Wiederaufbaus, aber auch ein Symbol<br />
der Versöhnung, hier in dieser Stadt, in<br />
unserem Land, in Europa, weltweit. <strong>Die</strong><br />
Bürger, die Christen, haben Anfang der<br />
90er Jahre <strong>des</strong> letzten Jahrh<strong>und</strong>erts in<br />
<strong>Freiheit</strong> entschieden, diesen Wiederaufbau<br />
mit vielen Millionen Spenden zu unterstützen.<br />
<strong>Die</strong>se Spenden sind gewissermaßen<br />
auch Ausdruck der <strong>Freiheit</strong>.<br />
Liebe Fre<strong>und</strong>e <strong>des</strong> Johann-Amos-Comenius-Clubs,<br />
ich darf Sie wie in jedem Jahr<br />
im Namen der <strong>CDU</strong>-Landtagsfraktion<br />
recht herzlich begrüßen. Zuerst den<br />
Landtagspräsidenten, unseren heutigen<br />
Referenten Dr. Matthias Rößler, ebenso<br />
Mitglieder der <strong>Fraktion</strong>, Frau <strong>Die</strong>tzschold,<br />
Herrn Bienst. Ich darf aber auch<br />
wie in jedem Jahr ehemalige Mitglieder<br />
<strong>des</strong> B<strong>und</strong>estages begrüßen, wie Herrn<br />
Jork. Ich sehe auch viele ehemalige<br />
Landtagsabgeordnete, die ehemaligen<br />
Minister Dr. Geisler <strong>und</strong> Dr. Brüggen, die<br />
ehemaligen Staatssekretäre Dr. Nees<br />
<strong>und</strong> Dr. Legall. Und für alle, die viele<br />
Jahre in unserem Land Verantwortung<br />
getragen haben, steht einer an erster<br />
Stelle, nämlich unser Ehrenpräsident<br />
Dr. Fritz Hähle. Ich begrüße den Rektor<br />
der Bergakademie Freiberg, Magnifizenz<br />
Prof. Meyer <strong>und</strong> viele Oberbürgermeister<br />
<strong>und</strong> Bürgermeister, Präsidenten<br />
<strong>und</strong> Vorsitzende von Lan<strong>des</strong>behörden,<br />
Gewerkschaften, Verbänden <strong>und</strong> Unternehmen.<br />
Ich freue mich, dass wieder<br />
viele Vertreter der Kirchen unter uns<br />
sind, Prälat, viele Superintendenten,<br />
Oberlan<strong>des</strong>kirchenräte, Pfarrer <strong>und</strong><br />
Prediger. An der Spitze für alle Kirchenvertreter<br />
möchte ich den Beauftragten<br />
der Evangelischen Lan<strong>des</strong>kirchen beim<br />
Freistaat Sachsen, Herrn Oberkirchenrat<br />
Seele, nennen. Seien Sie alle recht<br />
herzlich willkommen.<br />
Der Buß- <strong>und</strong> Bettag 2011 ist im Freistaat<br />
Sachsen ein Feiertag. Und wie in<br />
jedem Jahr immer ein Thema, ob dieser<br />
Feiertag nicht abgeschafft werden<br />
sollte. Denn wir sind das einzige B<strong>und</strong>esland,<br />
in dem der Buß- <strong>und</strong> Bettag<br />
als Feiertag begangen wird. Da ich für<br />
die <strong>CDU</strong>-Landtagsfraktion sprechen<br />
darf, kann ich Ihnen sagen: Wir werden<br />
diesen Feiertag verteidigen. Buße ist<br />
nichts Altmodisches <strong>und</strong> notwendig,<br />
natürlich auch für uns Politiker <strong>und</strong> sie<br />
tut uns allen gut. Beten auch. Beten<br />
heißt danken <strong>und</strong> wir haben in unserem<br />
4
Land allen Gr<strong>und</strong> dazu, danke zu sagen.<br />
Beten bedeutet auch Hilfe <strong>und</strong> Trost suchen,<br />
Beten für Europa, dass sich alles<br />
zum Guten wenden möge. Unsere sächsische<br />
Antwort auf die Verschuldungskrise<br />
in Europa ist wie beim Festhalten<br />
am Buß- <strong>und</strong> Bettag. Auch hier halten<br />
wir daran fest, Maß zu halten <strong>und</strong> unseren<br />
Reichtum in Sachsen eben nicht<br />
auf Schulden zu gründen, die dann Kinder<br />
<strong>und</strong> Enkel abzahlen müssen. Wir<br />
gehen diesen deutlich steinigeren Weg,<br />
weil wir die <strong>Freiheit</strong> haben, uns so zu<br />
entscheiden.<br />
Wie lässt sich nun diese <strong>Freiheit</strong> aus dem<br />
christlichen Glauben herleiten? Was hat<br />
<strong>Reformation</strong> mit <strong>Freiheit</strong> zu tun? Was<br />
können wir – auch wir Katholiken – von<br />
Martin Luther lernen? Danke, lieber<br />
Matthias Rößler, dass Du für uns alle diese<br />
Herausforderung angenommen hast.<br />
Matthias Rößler liebt die <strong>Freiheit</strong>. Deshalb<br />
hast Du Dich damals in der DDR unwohl<br />
<strong>und</strong> beengt gefühlt. Deshalb hast<br />
Du Dich im Demokratischen Aufbruch<br />
für Veränderungen eingesetzt. Deshalb<br />
warst Du bei der Wiedererrichtung <strong>des</strong><br />
Freistaates Sachsen dabei. Deshalb hast<br />
Du als Kultus- <strong>und</strong> Wissenschaftsminister<br />
wahrlich keine Auseinandersetzung<br />
gescheut. Deshalb dienst Du heute als<br />
Landtagspräsident. Und <strong>des</strong>halb bist Du<br />
heute unser Referent. Wir freuen uns<br />
jetzt auf das Referat <strong>und</strong> ich übergebe<br />
Dir das Wort.<br />
Fotomontage: © Václav Mach/fotolia.com; © kzww/shutterstock.com<br />
5
„Der Mensch ist zur <strong>Freiheit</strong> berufen“<br />
Anmerkungen zum Thema der Lutherdekade 2011<br />
Dr. Matthias Rößler MdL<br />
I. <strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
<strong>Die</strong> Lutherdekade der Evangelischen<br />
Kirche in Deutschland nimmt dankenswerter<br />
Weise Impulse der <strong>Reformation</strong><br />
auf, die bis in unsere heutige Zeit hineinreichen.<br />
<strong>Die</strong> Frage der <strong>Freiheit</strong> steht im Zentrum<br />
der <strong>Reformation</strong>.<br />
<strong>Die</strong> Begriffe <strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong> sind<br />
unauflöslich miteinander verb<strong>und</strong>en.<br />
<strong>Freiheit</strong> ist aber zugleich auch das<br />
Schlüsselwort der Moderne.<br />
Nach Gottfried Benn beispielsweise gibt<br />
es nur einen einzigen modernen Konflikt:<br />
den zwischen dem Staat <strong>und</strong> der<br />
<strong>Freiheit</strong>. Für einen großen Teil der Amerikaner,<br />
der sich heute vor allem in der<br />
Tea-Party-Bewegung versammelt, sind<br />
der Staat <strong>und</strong> die Regierung in Washington<br />
sogar der Feind der <strong>Freiheit</strong>.<br />
„Der Mensch ist zur <strong>Freiheit</strong> berufen.“<br />
Unter diesem Leitgedanken, der uns in<br />
meinem Vortrag begleiten soll, will ich<br />
versuchen, dem Motto <strong>des</strong> Themenjahres<br />
2011 der Lutherdekade als Christ<br />
<strong>und</strong> als Politiker gerecht zu werden.<br />
Ausgehend von der evangelischen Botschaft,<br />
dass der Mensch zur <strong>Freiheit</strong> berufen<br />
ist, stelle ich den <strong>Freiheit</strong>sbegriff<br />
ins Spannungsfeld einer Entwicklung,<br />
die vom Frühchristentum bis in unsere<br />
Tage reicht, <strong>und</strong> in dem die <strong>Reformation</strong><br />
die vielleicht entscheidende Zäsur<br />
der sächsischen, deutschen <strong>und</strong> europäischen<br />
Geschichte gebildet hat.<br />
Eine Schwierigkeit oder besser Herausforderung<br />
<strong>des</strong> Themas besteht darin,<br />
dass wir das Verhältnis zwischen <strong>Reformation</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong> mit dem Begriff der<br />
politischen oder weltanschaulich-individualistischen<br />
<strong>Freiheit</strong> nicht erfassen<br />
können.<br />
Auf diese Problematik komme ich im Laufe<br />
meiner Ausführung mehrfach zurück.<br />
Der <strong>Freiheit</strong>sbegriff der <strong>Reformation</strong> ist<br />
Bestandteil der Religion.<br />
Genau an dieser Stelle finden wir, die<br />
heute auf Einladung <strong>des</strong> Johann-Amos-<br />
Comenius-Clubs hier versammelt sind,<br />
zugleich auch den Zugang, weil Religion<br />
für uns kein Phänomen der Geschichte,<br />
sondern in erster Linie ein lebendiger<br />
Bestandteil unserer Gegenwart ist.<br />
6
II.<br />
Der <strong>Freiheit</strong>sbegriff der Reformatoren<br />
<strong>Die</strong> allermeisten von uns kennen die Abbildungen<br />
<strong>des</strong> Epitaphs von Lucas Cranach<br />
dem Jüngeren, in dem mehrere Reformatoren<br />
gemeinsam dargestellt sind.<br />
<strong>Die</strong> ausgeprägte Individualität dieser<br />
Menschen <strong>des</strong> Zeitalters der Renaissance<br />
lässt darauf schließen, dass ihre<br />
Lehren im Einzelnen nicht weniger stark<br />
ausgeprägt waren.<br />
Es ist aber ohnehin eines der Kennzeichen<br />
der großen Reformatoren, dass<br />
die <strong>Freiheit</strong>sbegriffe von Martin Luther,<br />
Huldrych Zwingli, Philipp Melanchthon<br />
<strong>und</strong> Johannes Calvin oder Erasmus von<br />
Rotterdam unterschiedlich <strong>und</strong> kaum<br />
auf einen Nenner zu bringen sind.<br />
Sie verbindet eine gemeinsame Herkunft<br />
<strong>und</strong> Tradition.<br />
Der <strong>Freiheit</strong>sbegriff der Reformatoren<br />
geht auf die <strong>Freiheit</strong>sphilosophie <strong>des</strong><br />
christlichen Humanismus der Renaissance,<br />
insbesondere auf Erasmus von<br />
Rotterdam, den großen Wegbereiter der<br />
<strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> Primus inter Pares unter<br />
den Humanisten zurück.<br />
Er ist aber andererseits – zumal in den<br />
Kernländern der <strong>Reformation</strong> – auch<br />
eine Frucht der deutschen Mystik, die<br />
auf eine Mittlerrolle der Kirche verzichtet<br />
<strong>und</strong> das Verhältnis <strong>des</strong> Einzelnen zu<br />
Gott in den Mittelpunkt stellt.<br />
Insbesondere die Lehre von der religiösen<br />
Selbständigkeit <strong>des</strong> Menschen<br />
gegenüber jeder kirchlichen Tradition<br />
wurde zur geistigen Gr<strong>und</strong>lage der <strong>Reformation</strong>.<br />
Geistesgeschichtlich hat dieser <strong>Freiheit</strong>sbegriff<br />
seine Wurzeln in den Traditionen<br />
<strong>des</strong> Judentums <strong>und</strong> <strong>des</strong> Christentums,<br />
wie sie uns im Evangelium<br />
überliefert sind, <strong>des</strong>sen Lehren Erasmus<br />
von Rotterdam als „Philosophie Christi“<br />
bezeichnet hat.<br />
Jesus von Nazareth ist zum Vorbild der<br />
evangelischen <strong>Freiheit</strong> geworden. Er ist<br />
der Befreier schlechthin.<br />
„Zurück zu den Quellen!“.<br />
Mit diesem Ruf leitete Erasmus auch in<br />
Deutschland die Wiederentdeckung <strong>des</strong><br />
frühchristlichen Schrifttums im Original<br />
<strong>und</strong> eine Übersetzungstätigkeit in die<br />
Lan<strong>des</strong>sprachen ein, die mit Luthers Bibelübersetzung<br />
ihren Höhepunkt erreichen<br />
sollte.<br />
7
<strong>Die</strong> Autorität <strong>des</strong> Neuen Testaments,<br />
das „Sola scriptura“ Martin Luthers, wird<br />
über alle staatlichen <strong>und</strong> kirchlichen Autoritäten<br />
gestellt.<br />
Dialog <strong>und</strong> Diskussion der Quellen werden<br />
zu Gr<strong>und</strong>lagen der Entwicklung reformatorischer<br />
Theologie.<br />
Entscheidend wurde das Studium der Bibel,<br />
insbesondere der Briefe <strong>des</strong> Paulus,<br />
für die Erkenntnis der Befreiungstat <strong>des</strong><br />
Evangeliums.<br />
„Ihr, liebe Brüder, seid zur <strong>Freiheit</strong> berufen“,<br />
ruft Paulus (Galater 5, Vers 13) den<br />
ersten Gemeindegliedern nicht nur in<br />
Kleinasien zu.<br />
„Denn der Herr ist Geist. Wo aber der<br />
Geist <strong>des</strong> Herrn ist, da ist <strong>Freiheit</strong>.“<br />
(Zweiter Korintherbrief, Kapitel 3, Vers<br />
17). „Zur <strong>Freiheit</strong> hat uns Christus befreit.<br />
So steht nun fest <strong>und</strong> lasst euch<br />
nicht wieder das Joch der Knechtschaft<br />
auflegen.“ (Brief an die Galater, Kapitel<br />
5, Vers 1)<br />
<strong>Die</strong> Galater, Nachkommen der tapferen<br />
Kelten, deren <strong>Freiheit</strong>sstolz wir nicht<br />
nur aus der antiken Kunst kennen, waren<br />
die richtigen Adressaten für diese<br />
Botschaft.<br />
Das Hauptthema <strong>des</strong> Galaterbriefs ist<br />
die <strong>Freiheit</strong>.<br />
Er ist bereits von einem Geist der <strong>Freiheit</strong>,<br />
Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit durchdrungen,<br />
wie er später dann unter völlig<br />
anderen Vorzeichen auch noch die<br />
großen Emanzipationsbewegungen der<br />
Neuzeit getragen hat.<br />
Das vorkirchliche Frühchristentum ist<br />
eine <strong>Freiheit</strong>sreligion <strong>und</strong> als eine solche<br />
zuerst von den Humanisten wieder<br />
entdeckt worden.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Reformation</strong> hat dem <strong>Freiheit</strong>sbewusstsein<br />
<strong>des</strong> Urchristentums dann den<br />
entscheidenden gesellschaftlichen Impuls<br />
gegeben.<br />
Dabei soll die <strong>Freiheit</strong> in erster Linie<br />
eine geistige sein.<br />
Es ist die <strong>Freiheit</strong> <strong>des</strong> Geistes, das freie<br />
Wort <strong>und</strong> die freie Verkündigung <strong>des</strong><br />
Wortes Gottes, um die es den Frühchristen<br />
wie den Reformatoren von Anfang<br />
an geht.<br />
Erasmus von Rotterdam sah den Sinn<br />
seines Lebens <strong>und</strong> Schaffens allein darin,<br />
nach der Lehre <strong>des</strong> Evangeliums in<br />
der <strong>Freiheit</strong> <strong>des</strong> Geistes zu leben.<br />
„Ich liebe die <strong>Freiheit</strong>, ich will <strong>und</strong> kann<br />
niemals einer Partei dienen“, lautet sein<br />
Bekenntnis, von dem seine Korrespondenz<br />
mit allen gleich gesinnten Geistern<br />
Europa durchdrungen ist.<br />
Martin Luther hatte als Theologe einen<br />
noch weit differenzierteren <strong>Freiheit</strong>sbegriff<br />
entwickelt, der sich jeder Vereinfachung<br />
widersetzen muss.<br />
8
Doch ist es nicht falsch, wenn ich dennoch<br />
vereinfacht sage, dass sich für Luther<br />
die <strong>Freiheit</strong> allein aus der Befreiung<br />
im Glauben ergibt.<br />
Ihm ging es dabei – auch wenn derartige<br />
Behauptungen auf den Portalen der Lutherdekade<br />
in Worms <strong>und</strong> anderswo von<br />
politisierenden Protestanten in die Welt<br />
gesetzt werden – weder um die <strong>Freiheit</strong><br />
der Andersdenkenden, was immer man<br />
auch darunter verstehen mag, geschweige<br />
denn um „Toleranz“ im Sinne einer<br />
heute weit verbreiteten Beliebigkeit.<br />
Man braucht sich nur an den Abendmahlstreit<br />
zu erinnern, um darüber<br />
Aufschluss zu erhalten, wie es um die<br />
Toleranz zwischen den verschiedenen<br />
reformatorischen Strömungen oder gar<br />
zwischen Katholiken <strong>und</strong> Protestanten<br />
bestellt gewesen ist.<br />
Ein Dialog der Religionen <strong>und</strong> Kulturen<br />
– mit dem man heute auch im Namen<br />
Luthers in den Massenmedien hausieren<br />
geht – wäre ihm angesichts der Bedrohung<br />
<strong>des</strong> christlichen Europas durch das<br />
osmanische Reich niemals in den Sinn<br />
gekommen.<br />
Der Publizist Robert Leicht, einst Chefredakteur<br />
der „Zeit“, heute Professor<br />
in Erfurt, unterstreicht das treffend in<br />
einem Beitrag für „Das Evangelische<br />
Magazin“:<br />
„Wenn Martin Luther von <strong>Freiheit</strong><br />
sprach, so dachte er an ein Problem, das<br />
uns Heutigen, auch uns heutigen Christenmenschen,<br />
nicht mehr wirklich auf<br />
den Nägeln brennt – wohingegen das,<br />
was wir heute für unsere <strong>Freiheit</strong> halten,<br />
Martin Luther überhaupt nicht vor Augen<br />
stand.“<br />
Mit „wir“ <strong>und</strong> „heutige Christenmenschen“<br />
meint Robert Leicht zumin<strong>des</strong>t<br />
den beträchtlichen Teil unserer Gesellschaft,<br />
der seine <strong>und</strong> von der eher linksliberalen<br />
„Zeit“ vertretenen Vorstellungen<br />
von <strong>Freiheit</strong> teilt.<br />
Für Luther bedeutete <strong>Freiheit</strong> die Befreiung<br />
vom Gesetz der Sünden <strong>und</strong> –<br />
ganz persönlich bezogen – von Zweifeln,<br />
Ängsten <strong>und</strong> Anfechtungen.<br />
Sein eigenes Befreiungserlebnis, das<br />
„Turmerlebnis“ im Turm <strong>des</strong> Schwarzen<br />
Klosters zu Wittenberg, lag in der religiösen<br />
Erkenntnis, dass der Mensch<br />
gerecht vor Gott wird nicht durch seine<br />
Werke, sondern allein im Glauben.<br />
„Da fühlte ich mich“, erinnert sich Luther,<br />
„wie ganz <strong>und</strong> gar neugeboren, <strong>und</strong><br />
durch offene Tore trat ich in das Paradies<br />
selbst ein.“<br />
<strong>Die</strong>ses „Turmerlebnis“ vom Frühjahr<br />
1513 ist als die „Geburtsst<strong>und</strong>e der <strong>Reformation</strong>“<br />
bezeichnet worden.<br />
Luthers Berufung auf das Gewissen,<br />
wie es im Turmerlebnis von seinen Bürden<br />
entlastet <strong>und</strong> freigesetzt wurde, ist<br />
gegen staatliche <strong>und</strong> kirchliche Autori-<br />
9
täten auf dem Wormser Reichstag 1521<br />
als geflügeltes Wort in allen Geschichtsbüchern<br />
überliefert worden.<br />
„Daher kann <strong>und</strong> will ich nichts widerrufen,<br />
weil wider das Gewissen etwas zu<br />
tun weder sicher noch heilsam ist. Gott<br />
helf mir, Amen.“<br />
Einigkeit bestand auch zwischen Erasmus<br />
<strong>und</strong> Luther in der Anerkennung der<br />
Gewissensfreiheit, während die Willensfreiheit<br />
ein Streitpunkt zwischen Luther<br />
<strong>und</strong> Erasmus geblieben ist.<br />
Damit ist ein Begriff gefallen, der – auch<br />
in unserem Zusammenhang – zumin<strong>des</strong>t<br />
zur Sprache gebracht werden muss.<br />
Wer sich auf eine Auseinandersetzung<br />
mit dem Verhältnis zwischen <strong>Reformation</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong> einlässt, der stößt<br />
unweigerlich auch auf das Problem der<br />
Willensfreiheit, das sich weit schwieriger<br />
darstellt, als es zunächst den Anschein<br />
hat.<br />
Kurz gefasst waren Gewissens- <strong>und</strong> Willensfreiheit<br />
für Erasmus von Rotterdam<br />
nicht zu trennen.<br />
Luther hingegen hatte schon 1517 erkannt,<br />
was ihn an diesem Punkt von<br />
Erasmus trennte:<br />
„Anders lautet das Urteil <strong>des</strong>sen, der der<br />
menschlichen <strong>Freiheit</strong> etwas zuerkennt,<br />
anders <strong>des</strong>sen, der nichts kennt außer<br />
der Gnade.“<br />
1524 kommt es dann auch zur schriftlich<br />
ausgetragenen Kontroverse zwischen Erasmus<br />
<strong>und</strong> Luther über die Willensfreiheit.<br />
Trotz der Vermittlungsversuche von<br />
Melanchthon, für den die <strong>Freiheit</strong> zum<br />
ursprünglichen Wesen <strong>des</strong> Menschen<br />
gehört <strong>und</strong> der eine Zwischenposition<br />
eingenommen hat, ist es über dieser<br />
Frage zum Bruch zwischen Luther <strong>und</strong><br />
Erasmus gekommen, der sich von der<br />
<strong>Reformation</strong>sbewegung fortan immer<br />
stärker zu distanzieren begann.<br />
Weil die Willensfreiheit nicht in Bezug<br />
auf den Menschen, sondern in erster Linie<br />
in Bezug auf Gott zur Debatte steht,<br />
will ich es gern den Theologen überlassen,<br />
weiter darüber zu streiten <strong>und</strong> mich<br />
selbst darauf beschränken, es an dieser<br />
Stelle erwähnt zu haben.<br />
10
III. Luthers Lehre von den zwei Reichen<br />
Was wir bis jetzt über den <strong>Freiheit</strong>sbegriff<br />
der Reformatoren in Bezug auf uns<br />
selbst erfahren haben, so standen weder<br />
die Förderung der <strong>Freiheit</strong> der Andersdenkenden<br />
noch die Toleranz noch der<br />
Dialog der Religionen auf ihrem Programm.<br />
Wir haben auch gesehen, dass die Frage,<br />
ob Luther als Vorvater der modernen<br />
<strong>Freiheit</strong> in Anspruch genommen werden<br />
kann, mit einiger Vorsicht beantwortet<br />
werden muss, wenn man nicht vorschnell<br />
zu fragwürdigen Schlussfolgerungen<br />
gelangen will.<br />
Ausdrücklich greift die <strong>Reformation</strong> dagegen<br />
auf das ursprüngliche christliche<br />
<strong>Freiheit</strong>sverständnis in der Gewissens-,<br />
Glaubens- <strong>und</strong> Religionsfreiheit zurück.<br />
Wie steht es aber um das damit verb<strong>und</strong>ene<br />
Verhältnis zwischen Kirche <strong>und</strong><br />
Staat?<br />
Wolfgang Huber schreibt in einem Vortrag<br />
zum <strong>Reformation</strong>stag:<br />
„<strong>Die</strong> <strong>Reformation</strong> war ursprünglich eine<br />
theologische Bewegung.<br />
Es ging Martin Luther <strong>und</strong> ihm folgend den<br />
anderen Reformatoren <strong>des</strong> lutherischen<br />
wie <strong>des</strong> reformierten Flügels der <strong>Reformation</strong><br />
um eine Erneuerung <strong>des</strong> christlichen<br />
Glaubens <strong>und</strong> um die darin begründete<br />
Einheit der christlichen Kirche.<br />
Dazu gehörte die Absicht, kirchliche<br />
<strong>und</strong> weltliche Ordnungsstrukturen <strong>und</strong><br />
Autoritäten auseinander zu halten.<br />
<strong>Die</strong> Grenzen staatlicher Autorität im<br />
Blick auf Glaubensfragen wie die Grenzen<br />
kirchlicher Bestimmungsmacht im<br />
Blick auf die politische Ordnung gehören<br />
zu den frühen reformatorischen Einsichten,<br />
die besonders bei Martin Luther<br />
selbst profiliert entwickelt sind...“<br />
Worin liegen diese Einsichten?<br />
Erst vor einigen Wochen habe ich mit<br />
meinem verehrten Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ratgeber<br />
Eduard Berger das diesjährige Thema<br />
der Lutherdekade in einem langen Dialog<br />
diskutiert.<br />
Der den allermeisten von Ihnen bekannte<br />
Theologe, Bischof der Pommerschen<br />
Evangelischen Kirche <strong>und</strong> Beauftragter<br />
der Lan<strong>des</strong>kirchen in Sachsen beim Freistaat,<br />
hat als ein Schlüsselwort Luthers<br />
Zwei-Reiche-Lehre in die Diskussion<br />
eingebracht.<br />
Damit ist es ihm gelungen, in meinem<br />
Luther-Verständnis als Nicht-Theologe<br />
mehr als nur einen gordischen Knoten<br />
zu lösen.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> fällt Licht auf<br />
Gottfried Benns eingangs zitierte Aussage<br />
über den Konflikt zwischen dem<br />
Staat <strong>und</strong> der <strong>Freiheit</strong>, den Martin<br />
11
Luther, seinerseits im Spannungsfeld<br />
zwischen staatlicher Gewalt <strong>und</strong> evangelischer<br />
<strong>Freiheit</strong>, in seiner Zwei-Reiche-Lehre<br />
formuliert hat.<br />
Im geistlichen Reich zur Rechten, das<br />
auf die Ewigkeit ausgerichtet ist, herrschen<br />
Evangelium <strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong>, Gleichheit<br />
<strong>und</strong> Brüderlichkeit.<br />
<strong>Die</strong>ses Reich steht im Jenseitsbezug durch<br />
die Anbindung an das Reich Gottes.<br />
Es ist die Sphäre der Religion.<br />
Im weltlichen Reich zur Linken, das auf<br />
das Irdische beschränkt bleibt, herrschen<br />
Gesetz <strong>und</strong> Staat, Gerechtigkeit<br />
<strong>und</strong> Gehorsam.<br />
<strong>Die</strong>ses Reich ist gekennzeichnet durch<br />
einen <strong>Die</strong>sseitsbezug, in dem das Reich<br />
Gottes weder beweisbar noch direkt<br />
wirksam ist.<br />
Es ist, im Unterschied zur Sphäre der Religion,<br />
der Bereich der Politik.<br />
Der Christ gehört beiden Reichen an.<br />
<strong>Die</strong> beiden Reiche verhalten sich ambivalent.<br />
Es sind polare Kräfte <strong>und</strong> Realitäten, die<br />
einander aber latent bedingen, von Fall<br />
zu Fall auch durchdringen.<br />
Sie sind gegenseitiger Steigerung ebenso<br />
fähig wie gegenseitiger Negation.<br />
<strong>Die</strong> rechte Seite, das Reich Gottes, wird<br />
dennoch <strong>und</strong> in allerletzter Instanz für<br />
die Christen immer die ausschlaggebende<br />
Seite sein. Sie stehen Jesus Christus<br />
<strong>und</strong> seiner <strong>Freiheit</strong> immer näher als<br />
dem Gesetz, das sie als Staatsbürger wie<br />
alle anderen zu erfüllen haben.<br />
<strong>Die</strong> Zwei-Reiche-Lehre ist eine theologische<br />
Figur <strong>und</strong> keine Gesellschaftsphilosophie.<br />
Dennoch erweist sich Luther mit dieser<br />
Zwei-Reiche-Lehre in seinem Denken<br />
als Realist <strong>und</strong> greift mit seinem Denkmodell<br />
auf unser heutiges Verständnis<br />
<strong>des</strong> Verhältnisses von Kirche <strong>und</strong> Staat<br />
voraus.<br />
Der Bereich der Kirchen <strong>und</strong> Religionsgemeinschaften<br />
ist als eigenständiger<br />
Bereich gegenüber dem Staat definiert,<br />
die sich gleichwohl aufeinander beziehen<br />
können.<br />
Den kirchlichen <strong>und</strong> staatlichen Rechten<br />
sind jeweils eigene Grenzen gesetzt.<br />
Beide Bereiche – Staat <strong>und</strong> Kirche – sind<br />
in ihrer Eigenständigkeit allgemein akzeptiert.<br />
Als Staatsreligion stand das Christentum<br />
für die Mehrheitsgesellschaft.<br />
Heute sind die Christen im Osten eine<br />
Minderheit, die bekennenden Christen<br />
möglicherweise in ganz Deutschland.<br />
12
Mehrheitsmeinungen <strong>und</strong> Mehrheitsentscheidungen<br />
einer weitgehend säkularisierten,<br />
manchmal atheistischen<br />
Gesellschaft sind gerade in gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />
Fragen – ich denke beispielsweise<br />
an den Schutz <strong>des</strong> ungeborenen Lebens<br />
– nicht automatisch bindend für<br />
Christen <strong>und</strong> ihre Kirchen.<br />
Widerstandsrecht <strong>und</strong> Unangepasstheit<br />
stehen im Gegensatz zum bedingungslosen<br />
Untertanengehorsam <strong>und</strong> zu konformistischer<br />
Anpassung.<br />
Davon war auch der Widerstand <strong>und</strong><br />
die kirchliche Opposition während der<br />
kommunistischen Diktatur der DDR getragen.<br />
<strong>Die</strong> Zwei-Reiche-Lehre bildet aus meiner<br />
Sicht – nach der Gewissens- <strong>und</strong> Glaubensfreiheit<br />
<strong>und</strong> dem kurzen Exkurs zur<br />
Willensfreiheit – nicht nur einen weiteren<br />
Zugang zum Thema „<strong>Reformation</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong>“<br />
Sie hat für mich – durch Eduard Bergers<br />
Vermittlung – zugleich auch einen direkten<br />
Bezug zu unserer Gegenwart<br />
hergestellt.<br />
<strong>Die</strong> von Luther formulierten Einsichten waren<br />
im Denken einer Zeit, in der die geistlich-weltliche<br />
Lebenseinheit begann auseinander<br />
zufallen, bereits latent angelegt.<br />
Aber Luther ging auch hier weit über seine<br />
Zeit hinaus, die ihm auch hier, wie in<br />
vielen anderen Fällen, nicht folgen wird.<br />
Das evangelische Staatskirchentum hat,<br />
mit dem Lan<strong>des</strong>herrn auch als Herr über<br />
die Kirche, im Gegensatz zu den ursprünglichen<br />
Intentionen <strong>des</strong> Reformators<br />
das Lutherische <strong>Freiheit</strong>sverständnis<br />
nicht weiter entwickelt.<br />
IV. <strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong>srechte<br />
So sehr sich die <strong>Freiheit</strong>sauffassung der<br />
Reformatoren von einem heutigen Verständnis<br />
von <strong>Freiheit</strong> auch unterscheiden<br />
mag, so stark sind andererseits die<br />
Impulse, die von dort aus weitergewirkt<br />
haben, auch wenn sie nicht auf direktem<br />
Wege zur Wirkung gelangt sind.<br />
Alle <strong>Freiheit</strong>sbewegungen, von denen<br />
<strong>des</strong> Frühchristentums über die der <strong>Reformation</strong><br />
bis hin zu den Demokratiebewegungen<br />
<strong>des</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> zur<br />
Friedlichen Revolution von 1989, haben<br />
die Gewissensfreiheit als Handlungsmotiv<br />
<strong>des</strong> Einzelnen <strong>und</strong> die Übernahme<br />
von Verantwortung für Gemeinde <strong>und</strong><br />
Gemeinwesen ins Zentrum gestellt.<br />
Richard Schröder, der große ostdeutsche<br />
Sozialdemokrat, hat unsere <strong>Freiheit</strong>sbe-<br />
13
wegung von 1989 sogar als eine „protestantische<br />
Revolution“ bezeichnet.<br />
Der Theologe Werner Zager versucht<br />
in seinem Buch „Martin Luther <strong>und</strong> die<br />
<strong>Freiheit</strong>“ zu erklären, warum die „Sternst<strong>und</strong>e<br />
protestantischer <strong>Freiheit</strong>“, als<br />
sich Martin Luther bei seinem Auftreten<br />
vor dem Reichstag zu Worms 1521<br />
weigerte, seine Schriften zu widerrufen,<br />
der demokratischen Idee den Weg<br />
bereitet hat.<br />
Zager gründet den Zusammenhang<br />
zwischen <strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> Demokratisierung<br />
unter anderem auf der <strong>Freiheit</strong><br />
<strong>des</strong> Glaubens <strong>und</strong> dem protestantischen<br />
Bildungsverständnis, das übrigens im<br />
Vorjahr im Zentrum der Lutherdekade<br />
gestanden hat.<br />
Damit steht der Autor nicht allein.<br />
Heute besteht die einhellige Auffassung<br />
darüber, dass die modernen Menschenrechte<br />
<strong>und</strong> die persönlichen <strong>Freiheit</strong>srechte<br />
auf das christliche Menschenbild<br />
zurückzuführen sind.<br />
Dafür steht allein das Christentum. Aus<br />
keiner der anderen Weltreligionen ließe<br />
sich ähnliches ableiten. Das muss<br />
deutlich gesagt <strong>und</strong> nicht – aus welchen<br />
Gründen auch immer – zerredet<br />
werden.<br />
<strong>Die</strong> moderne Demokratie hat nicht nur<br />
griechische, sondern auch <strong>und</strong> vor allem<br />
christliche Wurzeln.<br />
Als rechtspolitischen Ausdruck haben<br />
die Reformatoren die <strong>Freiheit</strong> <strong>des</strong> Einzelnen<br />
im heutigen Sinn noch nicht gekannt<br />
oder kennen gelernt.<br />
Über die religiöse Gewissens-, Meinungs-<br />
<strong>und</strong> Bekenntnisfreiheit, wie sie<br />
dann im Zeitalter der Aufklärung ausformuliert<br />
wurde, führt aber dennoch ein<br />
Weg zur <strong>Freiheit</strong> als Menschenrecht <strong>und</strong><br />
zu den individuellen <strong>Freiheit</strong>srechten<br />
moderner Verfassungen.<br />
Heute scheint die Verwirklichung der Religionsfreiheit<br />
als Menschenrecht weltweit<br />
noch in weiter Ferne zu liegen. Gerade die<br />
Christen werden in vielen Ländern dieser<br />
Welt benachteiligt, unterdrückt, verfolgt<br />
<strong>und</strong> ermordet. Politik, Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />
Kirchen müssen diesen Menschenrechtsverletzungen<br />
<strong>und</strong> Verbrechen endlich die<br />
gebührende Aufmerksamkeit widmen<br />
<strong>und</strong> entschlossen handeln.<br />
Ich sehe aber ein noch weit größeres<br />
Problem, weil es unsere eigene Existenz<br />
ernsthaft infrage stellen kann.<br />
Als Gr<strong>und</strong>recht hat die <strong>Freiheit</strong> ihre<br />
christlich-religiösen <strong>und</strong> ethischen Inhalte<br />
heute oftmals verloren <strong>und</strong> wird<br />
für die Wahrung <strong>des</strong> obersten Gr<strong>und</strong>rechts,<br />
die Unantastbarkeit der Würde<br />
<strong>des</strong> Menschen, selbst zu einer Gefahr.<br />
Um dem entgegenzusteuern, sind wir gut<br />
beraten, den stärksten <strong>Freiheit</strong>simpuls<br />
aufzunehmen, den uns Martin Luther<br />
selbst mit auf den Weg gegeben hat.<br />
14
V. „Von der <strong>Freiheit</strong> eines Christenmenschen“<br />
„Der Mensch ist zur <strong>Freiheit</strong> berufen.“<br />
Es gibt keine Berufung, die nicht auch<br />
mit einer Aufgabe verb<strong>und</strong>en wäre.<br />
Jede Berufung entlässt uns in eine Verantwortung.<br />
<strong>Freiheit</strong> ist auch nicht zu verwechseln<br />
mit Freizügigkeit.<br />
Sie ist ein Auftrag <strong>und</strong> kein Geschenk.<br />
<strong>Freiheit</strong> heißt nicht allein, dass einer<br />
seiner Wege gehen kann, sondern dass<br />
er zugleich auch einen Sinn damit verbindet<br />
<strong>und</strong> eine Verantwortung übernimmt.<br />
Aus der <strong>Freiheit</strong> werden Rechte abgeleitet,<br />
aber eben auch Pflichten.<br />
Luthers wichtigste Veröffentlichung im<br />
Kampf um die Kirchenreform, „Von der<br />
<strong>Freiheit</strong> eines Christenmenschen“, ist<br />
1520 erschienen <strong>und</strong> in unserer Gegenwart<br />
aktueller denn je.<br />
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr<br />
aller Dinge <strong>und</strong> niemandem untertan. –<br />
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer<br />
Knecht aller Dinge <strong>und</strong> jedermann untertan.“<br />
<strong>Die</strong>sen Satz sollte man sich einprägen.<br />
Er ist einer der Sätze unserer Geistesgeschichte,<br />
über die es sich immer wieder<br />
nachzudenken lohnt, der immer aufs<br />
Neue der Vergessenheit entrissen werden<br />
muss.<br />
Er trifft uns ins Mark unserer eigenen<br />
Existenz.<br />
Für mich liegt eine der stärksten Aussagen<br />
darin, dass nur der Freie Verantwortung<br />
übernehmen kann.<br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>und</strong> Verantwortung sind zwei<br />
Seiten ein <strong>und</strong> derselben Medaille, was<br />
heute auch als „verantwortete <strong>Freiheit</strong>“,<br />
„<strong>Freiheit</strong>-in-Beziehung“, „<strong>Freiheit</strong> für etwas“<br />
oder „<strong>Freiheit</strong> in Verantwortung“<br />
bezeichnet wird.<br />
Luther hat seinen <strong>Freiheit</strong>sbegriff mit<br />
einem ethischen Gehalt aufgeladen.<br />
Nur aus diesem ethischen Gehalt heraus<br />
wird diese <strong>Freiheit</strong> praktisch überlebensfähig<br />
bleiben.<br />
Das macht ihren Gebrauch so kostbar<br />
für uns.<br />
Wo <strong>Freiheit</strong> ihren ethischen Gehalt einbüßt,<br />
zerstört sie sich selbst oder wird<br />
bewusst außer Kraft gesetzt.<br />
<strong>Die</strong> nationalsozialistische wie auch die<br />
kommunistische Gewaltherrschaft haben<br />
im vorigen Jahrh<strong>und</strong>ert die Menschen<br />
gnadenlos unterdrückt <strong>und</strong> ihrer<br />
Rechte beraubt. Sie wollten den neuen<br />
Menschen schaffen – beide ohne Gott –<br />
15
<strong>und</strong> scheiterten am <strong>Freiheit</strong>sdrang der<br />
Völker.<br />
Unsere offene Gesellschaft mit ihren<br />
scheinbar unbeschränkten <strong>Freiheit</strong>en<br />
<strong>und</strong> oftmals rücksichtslosen Drang nach<br />
individueller Selbstverwirklichung verzehrt<br />
ihre über Jahrh<strong>und</strong>erte gewachsene<br />
demografische <strong>und</strong> kulturelle Substanz.<br />
Der <strong>Die</strong>nstcharakter der <strong>Freiheit</strong> nach<br />
Lutherscher Auffassung, der Zusammenhang<br />
von <strong>Freiheit</strong> <strong>und</strong> Verantwortung<br />
drohen uns mehr <strong>und</strong> mehr abhanden<br />
zu kommen.<br />
Wenn dieser <strong>Die</strong>nstcharakter im Gebrauch<br />
der <strong>Freiheit</strong> auch nur für eine<br />
einzige Generation in Vergessenheit gerät,<br />
sind der Willkür <strong>und</strong> Wertverwahrlosung<br />
Tür <strong>und</strong> Tor geöffnet.<br />
Der Tübinger Theologe Christoph<br />
Schwöbel stellt angesichts dieser<br />
„selbstzerstörerischen Konsequenzen<br />
<strong>des</strong> Verständnisses der <strong>Freiheit</strong> als nur<br />
auf sich selbst bezogene Selbstbestimmung“<br />
die provokante Frage, ob die<br />
Emanzipationsgeschichte <strong>des</strong> modernen<br />
Menschen einen tragischen Ausgang<br />
nehmen muss.<br />
Ich teile diese Auffassung weder als<br />
Christ noch als Politiker, obwohl ich<br />
die Gefahr sehe. Wir Christen sind Optimisten.<br />
„Und wenn morgen die Welt<br />
unterginge, ich würde heute noch ein<br />
Apfelbäumchen pflanzen“, hat der große<br />
Reformator gesagt. Wir haben im heimatlichen<br />
Cossebaude im vorigen Jahr<br />
eine Streuobstwiese mit über 20 Apfelbäumen<br />
angelegt.<br />
Allerdings sollte sich aus allem heute<br />
Gesagten doch min<strong>des</strong>tens eine Folgerung<br />
ergeben.<br />
„Aus dem allen ergibt sich die Folgerung,<br />
dass ein Christenmensch nicht in<br />
sich selbst lebt, sondern in Christus <strong>und</strong><br />
seinem Nächsten; in Christus durch den<br />
Glauben, im Nächsten durch die Liebe.…<br />
Sieh, das ist die rechte, geistliche <strong>und</strong><br />
christliche <strong>Freiheit</strong>, die das Herz frei<br />
macht von allen Sünden, Gesetzen <strong>und</strong><br />
Geboten, die alle <strong>Freiheit</strong> übertrifft wie<br />
der Himmel die Erde.<br />
Das gebe uns Gott recht zu verstehen<br />
<strong>und</strong> zu behalten.<br />
Amen.“<br />
Martin Luther, <strong>Die</strong> <strong>Freiheit</strong> eines Christenmenschen,<br />
Wittenberg 1520.<br />
<strong>Die</strong>se Lektüre gebe ich Ihnen als Leseempfehlung<br />
mit auf den Weg.<br />
Seien Sie behütet an diesem Buß- <strong>und</strong><br />
Bettag.<br />
16
Schlusswort<br />
Dr. Fritz Hähle<br />
Meine sehr geehrten Damen <strong>und</strong> Herren,<br />
liebe Fre<strong>und</strong>e <strong>des</strong> Johann-Amos-Comenius-<br />
Clubs Sachsen,<br />
ich darf zunächst Herrn Landtagspräsidenten<br />
Dr. Matthias Rößler ganz herzlich<br />
für diesen Vortrag danken. Er war<br />
nicht nur für Protestanten gedacht, sondern<br />
auch für Katholiken <strong>und</strong> für Jedermann.<br />
In meinem Schlusswort will ich<br />
nochmal einige Gedanken aus meiner<br />
Sicht beleuchten.<br />
Ich beziehe mich auf Luthers <strong>Freiheit</strong>sbegriff,<br />
der ja heute Gegenstand <strong>des</strong> Vortrags<br />
war. <strong>Die</strong> Meisten wissen wohl, dass<br />
die Frage, die den Reformator anfangs<br />
umtrieb, diese war: Wie bekomme ich<br />
einen gnädigen Gott? Und dann hatte<br />
er im Neuen Testament Gottes einzigartiges<br />
<strong>Freiheit</strong>sangebot wiederentdeckt,<br />
die Botschaft von der freien Gnade<br />
Gottes. Der Mensch muss sich den Himmel<br />
nicht verdienen durch das akribische<br />
Einhalten von vielerlei Geboten oder das<br />
Erbringen frommer Leistungen, nicht<br />
durch gut <strong>und</strong> edel sein. Sondern er ist<br />
erlöst, das heißt, frei gemacht, durch die<br />
für alle Zeiten gültige Befreiungstat Jesu<br />
Christi am Kreuz, die für alle gilt, die an<br />
ihn glauben.<br />
Luther fand das so überwältigend <strong>und</strong> so<br />
überzeugend, dass er die Bibel ins Deutsche<br />
übersetzte, damit diese Botschaft<br />
ein Jeder selbst lesen konnte. Er wollte<br />
zeigen, dass sich die damalige Kirche<br />
weit entfernt hatte von der ursprünglichen<br />
Kernbotschaft durch allerlei<br />
Zusatzgebote <strong>und</strong> Traditionen, die zur<br />
Last geworden waren, statt zu befreien.<br />
Sein Appell: Allein die Schrift sollte<br />
wieder gelten. Darin steht nun mal, die<br />
Erlösung wird allein durch die Gnade<br />
gewährt, allein durch den Glauben angenommen<br />
<strong>und</strong> sie ist allein durch Jesus<br />
Christus vollbracht worden.<br />
Meine Damen <strong>und</strong> Herren, je mehr ich<br />
darüber nachdenke, <strong>des</strong>to mehr bin ich<br />
davon überzeugt, dass dieses <strong>Freiheit</strong>sverständnis<br />
Auswirkungen zeigte über<br />
die Jahrh<strong>und</strong>erte hinweg bis hin zur<br />
Friedlichen Revolution 1989/90.<br />
Ich nenne diese Friedliche Revolution<br />
beispielhaft, weil sie innerhalb meines<br />
eigenen Erlebnishorizontes gewachsen<br />
<strong>und</strong> geschehen ist. Es begann – so ist es<br />
mir bewusst – 1953, als das SED-Politbüro<br />
in einem üblen Propagandafeldzug<br />
die Junge Gemeinde der Evangelischen<br />
Kirche als westliche Terrororganisation<br />
für Kriegshetze, Sabotage <strong>und</strong> Spionage<br />
enttarnen wollte, wie es im SED-Jargon<br />
hießt. Wer sich nicht von der Jungen<br />
Gemeinde lossagte, sollte von der Oberskihochschule<br />
<strong>und</strong> der Universität entfernt<br />
werden. Etliche beugten sich dem<br />
Druck, aber Tausende junge Menschen<br />
17
lieben ihrem Glauben treu <strong>und</strong> trugen<br />
weiterhin das Zeichen der Jungen Gemeinde,<br />
das Kreuz auf einem Kreis, der<br />
die Weltkugel symbolisiert.<br />
Sie waren so frei, Schikanen <strong>und</strong> Nachteile<br />
im Berufsleben auf sich zu nehmen.<br />
In der Zeit bis zum Herbst 1989 waren<br />
viele Christen weiterhin so frei, nicht<br />
dem Druck zur Teilnahme an der Jugendweihe<br />
nachzugeben, sich nicht freiwillig<br />
zum <strong>Die</strong>nst in der Nationalen Volksarmee<br />
zu verpflichten, sich nicht allen<br />
Unterwerfungsritualen zu beugen. Sondern<br />
sie waren so frei, bei ihrem Glauben<br />
<strong>und</strong> bei ihrer Gemeinde zu bleiben,<br />
obwohl das ohne Nachteile zu erleiden<br />
nicht zu haben war.<br />
<strong>Die</strong>sen unteren Weg gingen evangelische<br />
<strong>und</strong> katholische Christen gemeinsam.<br />
Das ist die <strong>Freiheit</strong> eines Christenmenschen,<br />
deren Sprengkraft zunahm,<br />
bis sie sich in der Friedlichen Revolution<br />
Bahn brach.<br />
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr<br />
aller Dinge <strong>und</strong> niemandem Untertan“.<br />
Dass dazu aber auch die andere Seite<br />
der Medaille gehört, die dienende Verantwortung,<br />
wie wir es heute gehört<br />
haben, zeigte sich im zweiten Teil der<br />
Friedlichen Revolution ganz praktisch.<br />
Das wird oft vergessen. Nämlich dass<br />
sich in den neuen demokratischen<br />
Strukturen Zehntausende Christen bereitfanden,<br />
politische Verantwortung zu<br />
übernehmen. Ohne diese große Bereitschaft<br />
wäre die Revolution nicht wirklich<br />
gelungen, meine ich.<br />
„Ein Christenmensch ist ein dienstbarer<br />
Knecht aller Dinge <strong>und</strong> jedermann untertan.“<br />
Ich will einen weiteren Bezugspunkt <strong>des</strong><br />
politischen Engagements von Christen<br />
zur <strong>Reformation</strong> ansprechen: Im Augsburgischen<br />
Bekenntnis, der Confessio<br />
Augustana, die auf dem Reichstag zu<br />
Augsburg von Philip Melanchthon an<br />
Kaiser Karl V. übergeben wurde, steht<br />
im Artikel 16: „Von der Staatsführung<br />
<strong>und</strong> dem weltlichen Regiment ist gesagt,<br />
dass alle Obrigkeit in der Welt<br />
<strong>und</strong> geordnetes Regiment <strong>und</strong> Gesetze<br />
gute Ordnungen sind, die von Gott geschaffen<br />
<strong>und</strong> eingesetzt sind <strong>und</strong> dass<br />
Christen ohne Sünde in Fürsten <strong>und</strong><br />
Richteramt tätig sein können. Wenn aber<br />
der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht<br />
befolgt werden kann, dann soll man Gott<br />
mehr gehorchen, als den Menschen.“<br />
Letzteres hatte wohl in der DDR für<br />
Christen eine große Bedeutung, während<br />
es in einer freiheitlichen demokratischen<br />
Ordnung zwar nicht ungültig ist,<br />
aber in der Praxis wohl seltener zu Gewissenskonflikten<br />
führen muss.<br />
Ich will abschließend aus dem Grußwort<br />
von Lan<strong>des</strong>bischof Jochen Bohl zum<br />
Empfang <strong>des</strong> Evangelischen Arbeitskreises<br />
von <strong>CDU</strong> <strong>und</strong> CSU am Beginn<br />
<strong>des</strong> Dresdner Kirchentages im Juni 2011<br />
zitieren. Bischof Bohl sagte:<br />
18
„Ich nehme die Gelegenheit wahr, mit<br />
einigen wenigen Worten zu dem Verhältnis<br />
von Staat <strong>und</strong> Kirche zu schließen.<br />
<strong>Die</strong> EKD <strong>und</strong> auch die Sächsische<br />
Lan<strong>des</strong>kirche bejahen den Staat <strong>des</strong><br />
Gr<strong>und</strong>gesetzes, in dem Staat <strong>und</strong> Kirche<br />
getrennt sind, aber aufeinander<br />
bezogen bleiben. Wie es der überragenden<br />
Prägekraft <strong>des</strong> Christentums in<br />
Deutschland entspricht.<br />
Und dementsprechend ermutigen wir<br />
unsere Jugend, in den demokratischen<br />
Parteien mitzuarbeiten <strong>und</strong> politische<br />
Verantwortung zu übernehmen. Das<br />
haben in den zurückliegenden 20 Jahren<br />
sehr sehr viele Christenmenschen getan<br />
auf allen drei Ebenen <strong>des</strong> Staates.<br />
In der Führung der ostdeutschen Staaten<br />
wurde nach 1990 eine atheistische Elite<br />
durch eine im christlichen Glauben geb<strong>und</strong>ene<br />
abgelöst. Das trifft für Sachsen<br />
bis in diese Tage hinein zu.<br />
Und umgekehrt sind wir dankbar, dass<br />
Parlament <strong>und</strong> Regierung <strong>des</strong> Freistaates<br />
den Kirchen in den zurückliegenden<br />
20 Jahren alle – ich betone alle<br />
– Möglichkeiten zur Gestaltung ihres<br />
eigenen Lebens eröffnet haben, die der<br />
demokratische Staat den Religionsgemeinschaften<br />
nur einräumen kann. Dafür<br />
sind wir dankbar.<br />
Und ich freue mich, an diesem Abend<br />
zahlreiche vertraute Gesichter zu sehen,<br />
die je in ihrer Verantwortung dazu beigetragen<br />
haben, dass das möglich wurde.“<br />
Meine sehr geehrten Damen <strong>und</strong> Herren,<br />
sorgen wir mit Gottes Hilfe dafür, dass<br />
das noch möglichst lange so bleibt.<br />
Nun, ganz zum Schluss, bedanke ich<br />
mich nochmals bei allen Mitwirkenden<br />
beim 63. Gesprächsforum <strong>des</strong> Johann<br />
Amos Comenius-Clubs Sachsen, bei<br />
Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler,<br />
beim Pfarrer der Frauenkirche, Holger<br />
Treutmann, bei der Stiftung Frauenkirche,<br />
die uns wiederum im Rahmen<br />
dieses Forums Frauenkirche dieses w<strong>und</strong>erbare<br />
Gotteshaus geöffnet hat. Dank<br />
an Steffen Flath <strong>und</strong> an die <strong>CDU</strong>-<strong>Fraktion</strong>,<br />
die Mitarbeiter der <strong>CDU</strong>-<strong>Fraktion</strong>.<br />
Vor allem aber bedanke ich mich bei<br />
Ihnen, meine sehr verehrten Damen <strong>und</strong><br />
Herren, dass Sie weiterhin Interesse an<br />
unserer Veranstaltung gezeigt haben.<br />
Das 64. Gesprächsforum <strong>des</strong> Johann<br />
Amos Comenius-Clubs Sachsen findet<br />
am 28. Februar 2012, um 18.00 Uhr, in<br />
der Jakobikirche in Chemnitz statt. Referieren<br />
wird kein geringerer als Lan<strong>des</strong>bischof<br />
Jochen Bohl. Sie sind wieder recht<br />
herzlich dazu eingeladen. Bevor wir<br />
noch einen abschließenden Höhepunkt<br />
dieses Nachmittags erleben werden, erlaube<br />
ich mir, in der <strong>Freiheit</strong> eines Christenmenschen,<br />
wohl wissend, dass vor<br />
uns erst einmal der Ewigkeitssonntag<br />
steht, Ihnen eine gesegnete Advents<strong>und</strong><br />
Weihnachtszeit zu wünschen.<br />
Jetzt folgt statt der gewohnten Diskussion<br />
ein musikalisches Erlebnis. Wir<br />
hatten hier schon Diskussionen in der<br />
19
Frauenkirche versucht, aber das hat sich<br />
nicht so recht bewährt. Einerseits ist die<br />
Akustik gut, andererseits auch wieder<br />
schlecht, so dass manches wohl von einigen<br />
nicht verstanden wurde. So haben<br />
wir uns jetzt darauf verständigt, den<br />
Abschluss musikalisch zu gestalten. Sie<br />
gehen in sich <strong>und</strong> diskutieren mit sich<br />
selbst, während die w<strong>und</strong>erbare Orgel<br />
der Frauenkirche erklingt. Wir hören<br />
eine Phantasie von Johann Sebastian<br />
Bach über den Choral „Eine feste Burg<br />
ist unser Gott“. An der Orgel: Frauenkirchenorganist<br />
Samuel Kummer, dem<br />
ich an dieser Stelle besonders herzlich<br />
danke.<br />
20
Impressum<br />
<strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
Veranstaltung am 17. November 2011<br />
Herausgeber<br />
<strong>CDU</strong>-<strong>Fraktion</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Sächsischen</strong> Landtages<br />
Redaktion<br />
Jan Donhauser<br />
Satz, Gestaltung <strong>und</strong> Druck<br />
Z & Z Agentur, Dresden<br />
Dresden, Januar 2012<br />
<strong>Die</strong>se Broschüre wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der <strong>CDU</strong>-<strong>Fraktion</strong> <strong>des</strong> <strong>Sächsischen</strong><br />
Landtages herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlhelfern im Wahlkampf<br />
zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift<br />
zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden.