download - Traumanetz Seelische Gesundheit Sachsen
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Tagungsdokumentation<br />
Hinsehen – und dann?<br />
Fachtagung zu psychischen Folgen häuslicher Gewalt<br />
Erstes Treffen <strong>Traumanetz</strong>-<strong>Sachsen</strong><br />
05.09.2008, 09:30 bis 17:00 Uhr<br />
Deutsches Hygienemuseum Dresden<br />
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden<br />
Sächsisches Staatsministerium für Soziales<br />
unterstützt und gefördert durch:
Hinsehen – und dann?<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort 2<br />
Begrüßung 3<br />
Staatsministerin Christine Claus<br />
Programm<br />
Fachvortrag 1: 5<br />
<strong>Gesundheit</strong>liche Folgen häuslicher Gewalt, medizinischer Versorgungsbedarf<br />
Fachvortrag 2: 9<br />
Psychische Folgeerscheinungen nach häuslicher Gewalt und der Umgang damit<br />
Fachvortrag 3:<br />
Ergebnisse und Erfahrungen des S.I.G.N.A.L.-Projektes Berlin 10<br />
Fachvortrag 4:<br />
Das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> 13<br />
Fallskizze:<br />
Rechtliche Möglichkeiten 16<br />
Podiumsdiskussion mit Repräsentanten der verschiedenen Bereiche des <strong>Traumanetz</strong>es:<br />
Erwartungen und Horizonte 19<br />
Arbeitsgruppen der verschiedenen Bereiche des <strong>Traumanetz</strong>es 26<br />
Kinder<br />
Häusliche Gewalt<br />
Unfall und Gewaltverbrechen<br />
Psychosozialer Notfall<br />
Migration und Opfer rechtsextremer Gewalt<br />
Impressum 32
Hinsehen – und dann?<br />
Vorwort<br />
Häusliche Gewalt ist zum Thema geworden. Mindestens jede 5. Frau ist betroffen. Männer werden<br />
sind ebenso Opfer häuslicher Gewalt. Und besonders Kinder leiden unter dieser Form von Gewalt, die<br />
im häuslichen Umfeld geschieht – manchmal unbemerkt, manchmal aber auch ganz offensichtlich.<br />
Wer Opfer häuslicher Gewalt war oder ist, hat es besonders schwer. Einerseits müssen sie Schmerz<br />
und Scham durch die gewalttätigen Übergriffe erfahren. Andererseits brauchen Opfer ungleich mehr<br />
Kraft und Energie, um der Gewalt zu entkommen, sich Hilfe zu suchen, sich zu öffnen und Heilung zu<br />
erlangen.<br />
Medizinische Anlaufstellen sind oft die ersten Einrichtungen, die ein Opfer in seiner Not aufsucht. In<br />
diesem Sinne kommt vor allem diesen ersten Ansprechpartnern in Praxen, Kliniken oder Beratungsstellen<br />
eine besondere Bedeutung zu. Sie sind Wegbereiter für einen Weg aus der Gewalt, wenn sie<br />
die Leiden der Betroffenen erkennen, wahrnehmen und ihnen hilfreich zur Seite stehen.<br />
Noch findet das Thema Häusliche Gewalt zu wenig Beachtung – sowohl in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit<br />
als auch in <strong>Gesundheit</strong>ssystem. Und noch immer erreicht Betroffene zeitnah nicht die Hilfe,<br />
die sie benötigen und die es auch gibt. Viele Projekte, Fachkräfte, medizinische Dienste, Beratungsstellen<br />
und Therapeuten sind mittlerweile mit dem Thema der häuslichen Gewalt und der Behandlung<br />
deren psychischen Folgen vertraut. Eine vernetzende und kooperative Zusammenarbeit ist jedoch<br />
bislang nur in kleinen Teilbereichen und zwischen vereinzelten Fachkräften erfolgreich gelungen.<br />
Das <strong>Traumanetz</strong>-<strong>Sachsen</strong> möchte sowohl Betroffenen den Zugang zu Hilfen erleichtern, ein verlässlicher<br />
Ansprechpartner für die ersten schwierigen Schritte sein und auch Helfern im System die Möglichkeit<br />
zum Austausch und zur Vernetzung bieten.<br />
Die Tagung „Hinsehen – und dann?“ möchte diesen letzten Gedanken mit einer ersten Veranstaltung<br />
in die Tat umsetzen und Fachkräften aus dem <strong>Gesundheit</strong>ssystem und dem sozialen Sektor in den<br />
gemeinsamen Austausch bringen und ein Kennen lernen ermöglichen.<br />
Ein Netz braucht Fäden und Knoten, die es knüpfen. Diese Tagung sollte Fäden zusammen führen<br />
und auch weitere Knoten knüpfen, sowie neue Impulse und Ideen sammeln. Das <strong>Traumanetz</strong>-<br />
<strong>Sachsen</strong> ist ein ständig weiter zu knüpfendes Netz und braucht Anregungen und Mitwirkende. Nur so<br />
kann es als Dachverband für <strong>Sachsen</strong> bereits bestehende Netzwerkstrukturen integrieren und bündeln.<br />
Neben der Arbeit an einem gemeinsamen Netzwerk verschiedenster Fachprofessionen erarbeitet ein<br />
Modellprojekt Grundlagen zur Sensibilisierung für das Thema Häusliche Gewalt. Durch Weiterbildungen,<br />
Qualifizierungen und Fachtagungen in und für alle medizinischen Bereiche möchten wir Fachkräften<br />
im <strong>Gesundheit</strong>swesen auf das Thema aufmerksam machen und ihnen helfen, damit im Sinne<br />
der Betroffenen umzugehen.<br />
Damit Hilfe wirklich ankommt.<br />
Dr. med. Julia Schellong<br />
Klinik & Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik<br />
am Universitätsklinikum Dresden<br />
www.traumanetz-sachsen.de<br />
2
Hinsehen – und dann?<br />
Grußwort der Sächsischen Staatsministerin für Soziales<br />
Christine Clauß<br />
Sehr geehrter Prof. Albrecht,<br />
sehr geehrter Prof. Joraschky,<br />
sehr geehrte Damen und Herren,<br />
ich begrüße Sie herzlich zu dieser Fachtagung, die das Universitätsklinikum<br />
Dresden gemeinsam mit meinem Haus initiiert hat und mit dem wir<br />
eine Tradition begründen wollen.<br />
Bereits im vergangenen Jahr hatten wir mit der Sächsischen Landesärztekammer<br />
zu einer großen Veranstaltung eingeladen, um den Leitfaden zum Umgang mit den Opfern<br />
häuslicher Gewalt zu implementieren.<br />
Meine Damen und Herren, häusliche Gewalt ist mehr denn je ein sozialpolitisches Thema. Forschung<br />
und Praxis haben mit ihren Erfahrungen wichtige Impulse zur Auseinandersetzung damit gegeben.<br />
Dabei sollen alle Bereiche des <strong>Gesundheit</strong>swesens für diese Thematik gewonnen und zur Zusammenarbeit<br />
bewegt werden. In diesem Kontext werden die psychischen Folgen für Opfer häuslicher<br />
Gewalt verstärkt in den Blick genommen, um aufzuzeigen, dass häusliche Gewalt neben dem körperlichen<br />
auch seelisches Leid zufügt.<br />
Meine Damen und Herren, jede fünfte Frau in Deutschland erleidet Gewalt – mit gesundheitlichen<br />
Folgen, die bis zu lebensbedrohlichen Verletzungen reichen. So registrierte allein die sächsische Polizei<br />
im Jahr 2007 1.790 Fälle von Straftaten im häuslichen Umfeld. 82% der Opfer waren Mädchen<br />
und Frauen.<br />
Häusliche Gewalt wird als Gewalthandlung zwischen erwachsenen Personen in engen sozialen Beziehungen<br />
definiert. Dabei sind Kinder jedoch nahezu immer Mitbetroffene. Und entgegen mancher<br />
Vorurteile kommen Gewaltbeziehungen in allen sozialen Schichten und Altersgruppen vor.<br />
Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung und Nötigung, Freiheitsberaubung<br />
und Erpressung, Sexualstraftaten sowie versuchte und vollendete Tötungsdelikte sind regelmäßig<br />
auftretende Straftaten im Rahmen häuslicher Gewalt. Die zur Anzeige gebrachten Delikte spiegeln<br />
das tatsächliche Ausmaß jedoch nur sehr eingeschränkt wieder:<br />
Dem sächsischen Kriminalamt zufolge ist die Anzeigenbereitschaft von Gewaltstraftaten innerhalb der<br />
Familie aufgrund der persönlichen Täter-Opfer-Beziehung nur schwach ausgeprägt. Die<br />
Ziffer der nicht zur Anzeige gebrachten Straftaten ist hoch. Nach kriminologischen Erkenntnissen des<br />
LKA sind insbesondere schwangere und in Trennung lebende Frauen besonders gefährdet. Allein<br />
zehn Fälle von Misshandlungen schwangerer Frauen sind den Polizeibehörden des Freistaates <strong>Sachsen</strong><br />
im Jahr 2007 bekannt geworden.<br />
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Häusliche Gewalt ist in erster Linie an Frauen verübte<br />
Gewalt. Zwar sind auch Männer betroffen, aber deutlich seltener.<br />
Die Erklärungsmuster dafür sind vielfältig und komplex. Nicht immer lassen sich solche Straftaten mit<br />
einer Art psychopathologischem Verhalten der Täter aufgrund psychologischer, biologischer oder<br />
hormoneller Defekte erklären. Denn die Täter häuslicher Gewalt erscheinen häufig nach außen hin<br />
völlig angepasst. Sie können im öffentlichen Bereich ihren Aggressionstrieb kontrollieren und die Beherrschung<br />
wahren. In der nach außen abgeschirmten Privatsphäre der Familie reagieren sie jedoch<br />
ihre Aggressionen an Frau und Kindern ab.<br />
Meine Damen und Herren, die Gleichstellung beider Geschlechter ist zwar heute weit fortgeschritten.<br />
Die in unserer Gesellschaft über Jahrhunderte fest verankerten Geschlechterrollen lassen sich aber<br />
nur allmählich in den Köpfen auflösen – noch immer erscheint vielen das hierarchische Verhältnis zwischen<br />
Mann und Frau als natürliche Ordnung. Hier bestimmt der Mann das gemeinsame Leben und<br />
setzt den Handlungsrahmen der Frau fest. Lange Zeit war Gewalt eine gesellschaftlich tolerierte und<br />
legitimierte Strategie, diese Ordnung im Privatbereich aufrechtzuerhalten. Auch heute noch ist dieses<br />
Denken in Teilen der Bevölkerung verankert.<br />
Damit wird deutlich, dass häusliche Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist, dem mit allen gebotenen<br />
rechtsstaatlichen Mitteln begegnet werden muss.<br />
Den juristischen Rahmen setzt seit 2002 das Gewaltschutzgesetz, das der Polizei ermöglicht, Täter<br />
aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen und Kontaktverbote zu verhängen. Das Opfer wird dadurch<br />
unmittelbar geschützt und in die Lage versetzt, mit Hilfe der entsprechenden Beratungsstellen<br />
nach Auswegen aus der Gewaltsituation zu suchen.<br />
3
Hinsehen – und dann?<br />
Das Sächsisches Staatsministerium für Soziales fördert und bietet in Kooperation mit den Kommunen<br />
ein landesweites Netz von spezifischen Einrichtungen Beratung und Unterstützung. Dazu gehören<br />
derzeit 18 Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen, sieben Interventions- und Koordinierungsstellen<br />
sowie drei Täterberatungsstellen.<br />
Die sächsischen Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen gaben im vergangenen Jahr 676 Frauen und<br />
557 Kindern eine schützende Unterkunft. Sie führten 663 Beratungen durch und leisteten enorme<br />
praktische Hilfestellung. Zudem wurden in den sieben Interventions- und Koordinierungsstellen im<br />
Jahr 2007 1.099 Opfer häuslicher Gewalt beraten. 95,5% davon waren Frauen.<br />
Meine Damen und Herren, häusliche Gewalt ist kein einmaliges Ereignis, das als „Ausrutscher“ abgetan<br />
werden kann. Nein, in der Regel handelt es sich um ein komplexes System von Gewalt, Machtausübung<br />
und Kontrolle, das Unabhängigkeit, Selbstvertrauen und Selbstbestimmung der betroffenen<br />
Person zerstört. Die Gewalt dauert über Jahre an, wird häufiger und schlimmer.<br />
Finanzielle, persönliche und soziale Abhängigkeiten, die Sorge um die Kinder, aber auch Scham und<br />
Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung hindern das Opfer, die Gewaltbeziehung zu verlassen. Die<br />
systematische Zerstörung des Selbstwertgefühls des Opfers durch fortgesetzte Misshandlungen und<br />
Demütigungen schränkt dessen Handlungs- und Abwehrmöglichkeiten immer weiter ein. In der Literatur<br />
wird das so einsetzende Verhalten als Theorie der erlernten Hilflosigkeit beschrieben. Und folglich<br />
geht der Benachrichtigung der Polizei in den meisten Fällen eine längere Geschichte von Misshandlungen<br />
voraus.<br />
Sehr geehrte Teilnehmende, hier müssen wir ansetzen. Denn trotz aller Bemühungen und Möglichkeiten<br />
findet nur ein Teil der Opfer den Weg in die Beratungseinrichtungen oder zur Polizei.<br />
Aber: Jede Person, die häusliche Gewalt erlebt, sucht wegen gesundheitlicher Beschwerden früher<br />
oder später medizinischen Rat. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sich die Betroffenen früher melden<br />
und nicht später.<br />
Damit kommt Ihnen, den Tätigen in den <strong>Gesundheit</strong>sberufen, eine Schlüsselposition im Hilfesystem<br />
für Opfer häuslicher Gewalt zu. Denn wie Sie diesen ersten Kontakt gestalten, bestimmt den weiteren<br />
Weg des Opfers. Viele von Ihnen können bestätigen, dass kaum eine betroffene Person von sich aus<br />
während der ambulanten oder stationären Versorgung über die Gewalterfahrung spricht. Oftmals wird<br />
die erlebte Gewalt aus Angst und Anspannung verdrängt oder das Opfer scheut sich, diese zu offenbaren.<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass vielen Fachkräften in der medizinischen und psychosozialen Versorgung<br />
Informationen zum Thema Gewalt, den gesundheitlichen Folgen und Möglichkeiten der Intervention<br />
fehlen.<br />
Um diesem Bedarf zu entsprechen und Ihnen, meine Damen und Herren, Sicherheit und Handlungskompetenzen<br />
im Umgang mit Gewaltbetroffenen zu vermitteln, hat das Sächsische Staatsministerium<br />
für Soziales einen „Sächsischen Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte zum Umgang mit Opfern häuslicher<br />
Gewalt“ erarbeitet. Dieser wurde im vergangenen Jahr vorgestellt und wird seitdem im Rahmen von<br />
Fortbildungsveranstaltungen ausgegeben. Der Leitfaden soll Sie beim Umgang mit Patientinnen und<br />
Patienten, bei denen Sie erlebte Gewalt als Krankheitsursache vermuten, unterstützen. Denn neben<br />
den körperlichen Verletzungen, die in 67% der Fälle registriert werden, treten als Folgen des Gewalthandelns<br />
psychosomatische und psychische Störungen auf. Diese werden besonders in ihren Spätfolgen<br />
noch zu wenig berücksichtigt. Umso bedeutsamer erscheint es deshalb, das Lebensumfeld und<br />
die Geschichte psychisch kranker Patientinnen und Patienten zu beleuchten. So können mögliche<br />
Gewalterfahrungen herausgefunden und den Opfern eine adäquate gesundheitliche Versorgung sowie<br />
psychosoziale Unterstützung angeboten werden. Diese ist von besonderer Bedeutung, da Gewalterfahrungen<br />
so zerstörerisch wirken können, dass sie langwierig und gravierend die seelische<br />
<strong>Gesundheit</strong> beeinträchtigen.<br />
Meine Damen und Herren, das Thema häusliche Gewalt ist noch immer mit vielen Fragen und Unsicherheiten<br />
besetzt. Mit der heutigen Veranstaltung möchten wir Sie motivieren, hinzusehen und dann<br />
die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Gemeinsam mit der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie<br />
und Psychosomatik des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus will das Sozialministerium aufklären<br />
und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.<br />
Dabei spielen die Kommunikation miteinander und die Zusammenarbeit aller beratenden und helfenden<br />
Einrichtungen und Fachkräfte eine wichtige Rolle, um die Frage „Hinsehen und dann?“ im Sinne<br />
der Opfer zu beantworten.<br />
In diesem Sinne wünsche ich der Fachtagung einen erfolgreichen Verlauf und Ihnen hilfreiche Erkenntnisse<br />
für den Umgang mit den Opfern häuslicher Gewalt.<br />
4
Hinsehen – und dann?<br />
Fachvortrag 1<br />
<strong>Gesundheit</strong>liche Folgen häuslicher Gewalt, medizinischer<br />
Versorgungsbedarf<br />
Referentin:<br />
Dipl. Päd. Hildegard Hellbernd<br />
Projekt S.I.G.N.A.L.<br />
Universitätsklinikum Benjamin Franklin<br />
Hindenburgdamm 30<br />
12200 Berlin<br />
5
Hinsehen – und dann?<br />
6
Hinsehen – und dann?<br />
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Hinsehen – und dann?<br />
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Hinsehen – und dann?<br />
Fachvortrag 2<br />
Psychische Folgeerscheinungen nach häuslicher Gewalt und der Umgang<br />
damit<br />
Referent:<br />
Lutz Besser<br />
Leiter des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumazentrierte<br />
Psychotherapie Niedersachsen (Zptn)<br />
Waldstraße 4<br />
30916 Isernhagen/ Neuwarmbüchen<br />
9
Hinsehen – und dann?<br />
Fachvortrag 3:<br />
Ergebnisse und Erfahrungen des S.I.G.N.A.L.-Projektes Berlin<br />
Referentin:<br />
Dipl. Päd. Hildegard Hellbernd<br />
Projekt S.I.G.N.A.L.<br />
Universitätsklinikum Benjamin Franklin<br />
Hindenburgdamm 30<br />
12200 Berlin<br />
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Hinsehen – und dann?<br />
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Hinsehen – und dann?<br />
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Hinsehen – und dann?<br />
Fachvortrag 4<br />
Das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
Referentin:<br />
Dr. med. Julia Schellong<br />
Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik<br />
des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden<br />
HELIOS-Klinik<br />
Malerstraße 31<br />
01326 Dresden<br />
www.traumanetz-sachsen.de<br />
13
Hinsehen – und dann?<br />
14
Hinsehen – und dann?<br />
Ausblick<br />
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK<br />
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK<br />
<strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong>:<br />
- Horizontale Vernetzung<br />
- Organisationsstruktur<br />
-> örtlich und landesweit<br />
-> themenspezifisch<br />
Möglichkeiten<br />
- Prävention<br />
- Information<br />
- Krisenintervention<br />
- Nachsorge<br />
-> Psychosozial<br />
-> Psychotherapeutisch<br />
Ziel: Wachstum am erlebten Trauma<br />
- Krisen effektiv meistern lernen<br />
- Sich besser fühlen, einem so schweren und harten Trauma<br />
ausgesetzt gewesen zu sein und es gemeistert zu haben<br />
- Sich der Familie / der Gemeinschaft näher fühlen<br />
- Die eigenen Ziele, Prioritäten und Werte neu orientieren<br />
www.uniklinikum-dresden.de Seite 13<br />
www.uniklinikum-dresden.de Seite 14<br />
www.traumanetz-sachsen.de<br />
15
Hinsehen – und dann?<br />
Fallskizze<br />
Rechtliche Möglichkeiten<br />
Referentin:<br />
Anca Kübler<br />
Kanzlei Anca Kübler<br />
Bautzner Straße 34/ 36<br />
01099 Dresden<br />
Conny ist Studentin der Kommunikationswissenschaften und 23 Jahre alt.<br />
Ihr Sohn, Marek, ist 3 Jahre. Er ist ein sehr lebhaftes und weit entwickeltes Kind. Nach Aussage der<br />
Kinderpsychologin ist er auf dem Stand eines 5jährigen. Marek benötigt klare Grenzen und viel Aufmerksamkeit.<br />
Als Conny 16 Jahre alt ist, erfährt sie massive körperliche Gewalt durch den leiblichen Vater. Es folgen<br />
mehrere Krankenhausaufenthalte. Dabei spricht sie niemand auf die Ursachen der Verletzungen<br />
an, auch lediglich die Brüche werden behandelt.<br />
Mit dem 18. Lebensjahr beginnt ein starker Alkohol- und Cannabismissbrauch. Conny wollte sich „betäuben,<br />
vergessen, den Schmerz nicht spüren“. Sie begibt sich in eine Suchttherapie, in welcher erstmals<br />
von ihr das Thema der Gewalterfahrung durch den Vater angesprochen wird. Leider wird auch in<br />
der Suchttherapie lediglich die Sucht behandelt, die Ursachen bleiben außen vor.<br />
Als Conny 20 Jahre ist, lernt sie Frank kennen. Sie erlebt erneut massive Gewalt durch den Partner<br />
und bringt sich selbst auch immer wieder in gefährliche Situationen mit ihm. Sie „schaltet sich dann<br />
aus“, kann sich an nichts erinnern, wenn sie zu sich kommt.<br />
Marek wird geboren. Plötzlich hat Conny nicht nur für sich allein die Verantwortung, sondern nun auch<br />
für ihren Sohn. Sie trennt sich nach langem Hin und Her von Frank. Im Rahmen von Umgängen trifft<br />
sie aber immer wieder auf ihn und erlebt auch weiter körperliche und psychische Gewalt. Sie „schaltet<br />
sich aus“, die körperlichen Beschwerden häufen sich.<br />
Ihre Hausärztin, eine Allgemeinmedizinerin, überweist sie an eine niedergelassene Psychotherapeutin,<br />
bei welcher erstmals an ihren Erlebnissen gearbeitet wird.<br />
Es beginnt eine „Hilfekette“ der verschiedensten Institutionen.<br />
Die Therapeutin empfiehlt die Kontaktaufnahme zur Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt und<br />
Stalking in Dresden, D.I.K. Nach eingehender Beratung wird eine Rechtsanwältin aufgesucht. Diese<br />
unterstützt Conny sowohl im Strafverfahren gegen Frank als auch in einen familienrechtlichen Umgangsverfahren<br />
mit dem Ziel eines begleiteten Umgangs. Daneben beginnt Conny eine stationäre<br />
Traumatherapie.<br />
Nach jeweiliger Entbindung von der Schweigepflicht findet ein intensiver Austausch der verschiedenen<br />
Professionen statt. Im Zentrum steht dabei die Vermeidung von Retraumatisierungen. So werden beispielsweise<br />
die Umgänge derart geregelt, dass die Mutter bei der Übergabe des Kindes an den Vater<br />
nicht zugegen ist, sondern eine dritte Person. Die Gerichtsverhandlungen werden therapeutisch vorund<br />
nachbereitet, bei Schwierigkeiten wird ein schneller ambulanter Termin vereinbart.<br />
Conny hat zum ersten Mal das Gefühl, nicht immer nur auf der Verliererseite zu sein. Sie führt ihr Studium<br />
fort, besucht mit Marek eine Mutter- Kind- Kur und kann sich auch wieder intensiv um Marek<br />
kümmern. Derzeit kämpft sie um das alleinige Sorgerecht für Marek, um nicht immer wieder den Attacken<br />
des Vaters ausgesetzt zu sein.<br />
16
Hinsehen – und dann?<br />
Interview:<br />
Aus welchen Situationen/ Erlebnissen heraus, finden Menschen den Weg zu Ihnen?<br />
Es sind vorrangig Betroffene häuslicher oder sexueller Gewalt, welche einen schnellen Schutz vor<br />
dem Täter suchen. Sie haben meist eine akute Notsituation, da der Täter übergriffig geworden ist und<br />
sie daher nicht mehr mit ihm zusammen beispielsweise in der gemeinsamen Wohnung leben können.<br />
Wie/ Über welche Wege kommen Klienten zu Ihnen?<br />
Die Betroffenen werden einerseits über Beratungsstellen, Psychologen oder Bekannte an mich vermittelt<br />
oder sie haben meine Adresse aus einem der Faltblätter gegen häusliche Gewalt. Auf jeden Fall<br />
hat in diesen Fällen immer rasche Hilfe Priorität, da es zeitliche Beschränkungen für den einstweiligen<br />
Rechtsschutz in derartigen Verfahren gibt.<br />
In welchem rechtlichen Spektrum können Betroffene häuslicher Gewalt Hilfe erfahren?<br />
Seit Einführung des Gewaltschutzgesetzes im Jahre 2002 ist es für Betroffene häuslicher Gewalt<br />
leichter geworden, sich gegen die Gewalt zur Wehr zu setzen. Es ist den Frauen jetzt nicht mehr allein<br />
der Weg in ein Frauenschutzhaus offen, sondern sie können auch die gemeinsame Wohnung zur alleinigen<br />
Nutzung übertragen bekommen. Der Tenor des Gesetzes lautet: Der Schläger geht, das Opfer<br />
bleibt.<br />
Welche Schutzmaßnahmen können für Betroffene installiert werden? Welche Ergebnisse kann<br />
ein Prozess für Betroffene bringen?<br />
Es gibt zum einen polizeiliche aber auch justizielle Möglichkeiten, um den Opfern häuslicher Gewalt<br />
zu helfen. Die Polizei kann in akuten Fällen den Täter für 7 Tage aus der Wohnung verweisen. Dieser<br />
darf dann in dieser Zeit die Wohnung nicht betreten. Hierdurch wird dem Opfer die Möglichkeit gegeben,<br />
sich in Ruhe um weitere Hilfe zu bemühen.<br />
Diese kann darin bestehen, dass das Opfer beim zuständigen Amtsgericht eine einstweilige Verfügung<br />
gegen den Täter erwirkt. Dem Täter kann dann nicht nur verboten werden, sich dem Opfer zu<br />
nähern, sondern auch überhaupt Kontakt mit dem Opfer aufzunehmen. Auch kann die gemeinsame<br />
Wohnung dem Opfer zur alleinigen Nutzung zugewiesen werden.<br />
Das Verfahren vor dem Amtsgericht muss das Opfer allerdings selbst beantragen. Hierbei hilft entweder<br />
eine Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt oder ein spezialisierter Anwalt. Außerdem können<br />
die Betroffenen die Rechtsantragsstelle aufsuchen und den Antrag dort zu Protokoll geben.<br />
Neben diesen polizeilichen und zivilrechtlichen Wegen ist auch die Erstattung einer Strafanzeige wegen<br />
Körperverletzung möglich. Sofern innerhalb einer Frist von 3 Monaten nach der Tat ein Strafantrag<br />
gestellt wird, so kann die zuständige Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen einen<br />
Strafbefehl oder eine Anklage zum Strafgericht senden und eine Verurteilung nach dem Strafrecht<br />
erwirken.<br />
Müssen Betroffene in jedem Falle vor Gericht persönlich aussagen? Wenn ja, wie werden sie<br />
darauf vorbereitet?<br />
In einem einstweiligen Anordnungsverfahren kann eine Entscheidung des Gerichts auch sofort und<br />
ohne mündliche Verhandlung ergehen. Kommt es aber zu einer Verhandlung, so ist in den meisten<br />
Fällen die Aussage der Betroffenen nötig. Nach einer Gesetzesänderung im Herbst diesen Jahres soll<br />
es allerdings möglich sein, die Parteien getrennt voneinander zu befragen.<br />
Im Strafrecht sind die Betroffenen meist die einzigen Zeugen und damit oft das einzige „Beweismittel“.<br />
Ihre Aussage in der Hauptverhandlung gegen den Täter ist daher unerlässlich, sofern die Tat bestritten<br />
wird. Eine Befragung des Opfers in Abwesenheit des Täters ist nur in sehr wenigen Ausnahmefällen<br />
möglich.<br />
Der genaue Verfahrensablauf wird in der anwaltlichen Beratung genau erläutert und auch die verschiedenen<br />
möglichen Ausgänge des Verfahrens besprochen. Für den Weg zum Gericht kann auch<br />
die kostenlose Begleitung durch eine Opferhilfeeinrichtung in Anspruch genommen werden.<br />
17
Hinsehen – und dann?<br />
Wie lange dauert ein solches Verfahren?<br />
Wie bereits erwähnt kann ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren nach dem Gewaltschutzgesetz innerhalb<br />
von 3-7 Tagen einen entsprechenden Beschluss zur Folge haben. Wird durch den Richter<br />
eine mündliche Verhandlung angeordnet, so ist mit einem etwas längeren Verfahren zu rechnen.<br />
Strafverfahren dauern erfahrungsgemäß sehr lange, teilweise kommt es erst nach über einem Jahr zu<br />
einer Hauptverhandlung gegen den Täter.<br />
Gibt es kurze wichtige Informationen zur Kostenregelung?<br />
Im zivilrechtlichen Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz gibt es für bedürftige Betroffene die Möglichkeit,<br />
Prozesskostenhilfe beim Gericht zu beantragen. Die Kosten der Rechtsverfolgung werden<br />
dann vom Staat übernommen. Andernfalls muss das Opfer zunächst die entstandenen Kosten selbst<br />
tragen und versuchen, diese nach einem entsprechenden Urteil vom Täter zurückerstattet zu bekommen.<br />
Strafverfahren sind für die Betroffenen grundsätzlich kostenfrei. Lediglich die Kosten für eine eventuelle<br />
Nebenklage im Prozess gegen den Täter können dann auf die Opfer zukommen, wobei es auch<br />
hier u.U. die Möglichkeit eines anwaltlichen Beistandes auf Staatskosten gibt.<br />
18
Hinsehen – und dann?<br />
Podiumsdiskussion mit Repräsentanten der verschiedenen Bereiche des <strong>Traumanetz</strong>es:<br />
Erwartungen und Horizonte<br />
Moderatorin<br />
Dipl.-Soz.-päd. Martina de Maizière<br />
Supervisorin (DGSv)<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
PD Dr. med. Jürgen Dinger<br />
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden<br />
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin<br />
Dipl.-Psych. Sabine Laniado<br />
Psychologische Psychotherapeutin, Traumatherapeutin<br />
POK Kerstin Weber<br />
Polizeioberkommissarin, Polizeidirektion Dresden<br />
Dipl.-Soz.-päd. Claudia Schauer<br />
Dresdner Interventions- und Koordinierungsstelle zu Bekämpfung von häuslicher Gewalt (D.I.K.)<br />
Dipl.-Psych. Jessica Jonas<br />
Kriseninterventionsteam Dresden (KIT DD e.V.)<br />
Zusammenfassung: In der Podiumsdiskussion, die auf die Fachvorträge folgte, stellten sich die beteiligten<br />
Expertinnen und Experten den Fragen von Martina de Maizière und dem Publikum. Zur Diskussion<br />
eingeladen waren VertreterInnen der verschiedenen im <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> vertretenen Arbeitsbereiche:<br />
Jessica Jonas (KIT/psychosozialer Notfall), Kerstin Weber (Polizei), Sabine Laniado<br />
(Traumatherapeutin), Claudia Schauer (D.I.K./häusliche Gewalt) und Uwe Schmidt (Rechtsmedizin).<br />
Durch die Diskussion führte Martina de Maizière. Ziel der Podiumsdiskussion war es, herauszuarbeiten,<br />
was sich die VertreterInnen der verschiedenen Professionen vom <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> erhoffen<br />
und wie sie sich eine gewinnbringende Vernetzung vorstellen.<br />
Im Laufe der Diskussion stellten alle TeilnehmerInnen übereinstimmend fest, dass eine interprofessionelle,<br />
sachsenweite Vernetzung wünschenswert sei. Dabei sei aber wichtig, dass bereits bestehende<br />
regionale und innerprofessionelle Netze nicht obsolet werden. Die TeilnehmerInnen wünschen sich<br />
das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> als eine Art überregionales Dach, das bestehende Netze verbindet und so<br />
ein effektives Hilfesystem für Betroffene von traumatischen Ereignissen schaffen kann. Das <strong>Traumanetz</strong><br />
<strong>Sachsen</strong> sollte Fachkräften und Betroffenen als Quelle dienen und sowohl über die verschiedenen<br />
Hilfsmöglichkeiten als auch über die Aufgaben der an der Traumaarbeit beteiligten Berufsgruppen<br />
informieren. Für die effiziente Hilfe und um eine Chronofizierung des Leidens der Betroffenen zu verhindern<br />
sei es wichtig, dass die einzelnen Netzwerkteilnehmer über die Arbeit und Möglichkeiten der<br />
anderen Netzwerkteilnehmer Bescheid wüssten.<br />
Die Erreichung von kurzen Wegen in der Traumaarbeit ist ein ehrgeiziges Ziel. Derzeit wird die Arbeit<br />
mit Betroffenen vor allem durch lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz behindert. Diese Wartezeiten<br />
behindern die Motivation der Betroffenen, die Hilfe später in Anspruch zu nehmen und seien durch<br />
die Beratungsstellen und TherapeutInnen nur schwer zu erklären. Zu wenige Psychotherapeuten<br />
stünden für die Traumatherapie zur Verfügung. Besonders prekär ist die Versorgungslage außerhalb<br />
19
Hinsehen – und dann?<br />
der Ballungsgebiete um Dresden, Chemnitz und Leipzig. Hier ist auch die Politik gefordert, größere<br />
Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> kann vorhandene Angebote vernetzen<br />
und so bekannt machen. Aufgabe der Politik sei es, die Angebote zur Verfügung zu stellen. Dass<br />
sie diese Aufgabe mehr und mehr wahr nimmt, zeigt die Beteiligung des Sächsischen Staatsministeriums<br />
für Soziales an der Fachtagung und am im August gestarteten Modellprojekt zeigt. Das Modellprojekt<br />
„Hinsehen – Erkennen – Handeln (aktive Hilfen) im <strong>Gesundheit</strong>ssystem“ will Fachkräfte im <strong>Gesundheit</strong>ssystem<br />
für den kompetenten Umgang mit dem Thema „Häusliche Gewalt und Gewalt in der<br />
Familie“ sensibilisieren und qualifizieren. Weiteres Ziel ist die Verbesserung der Kooperation zwischen<br />
dem allgemeinen <strong>Gesundheit</strong>swesen und dem bestehenden Beratungs- und Behandlungsangebot<br />
speziell zum Thema „Folgen häuslicher Gewalt.“ Durchgeführt und wissenschaftlich begleitet wird das<br />
Modellprojekt durch die Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik und dem Institut<br />
für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Dresden.<br />
Vollständige Abbildung: In der Podiumsdiskussion, die auf die Fachvorträge folgte, stellten sich die<br />
beteiligten Expertinnen und Experten den Fragen von Martina de Maizière und dem Publikum. Zur<br />
Diskussion eingeladen waren VertreterInnen der verschiedenen im <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> vertretenen<br />
Arbeitsbereiche: Jessica Jonas (KIT/psychosozialer Notfall), Kerstin Weber (Polizei), Sabine Laniado<br />
(Traumatherapeutin), Claudia Schauer (D.I.K./häusliche Gewalt) und Uwe Schmidt (Rechtsmedizin).<br />
Durch die Diskussion führte Martina de Maizière. Ziel der Podiumsdiskussion war es, herauszuarbeiten,<br />
was sich die VertreterInnen der verschiedenen Professionen vom <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> erhoffen<br />
und wie sich eine gewinnbringende Vernetzung vorstellen.<br />
Claudia Schauer führte aus, dass es vorwiegend von<br />
Welche Erfahrungen haben Sie mit Traumaopfern?<br />
Wo begegnen sie Ihnen? Wie gehen Sie häuslicher Gewalt betroffene Frauen seien, die in die<br />
mit den Betroffenen um? Die Frage richtet sich<br />
an alle DiskussionsteilnehmerInnen.<br />
Beratungsstelle kommen. Die Zahl der Männer sei seit<br />
Gründung der D.I.K. bei konstant 3% geblieben. Der<br />
große Teil der Klientinnen sei mehr oder minder traumatisiert.<br />
Ziel der Kurzzeitberatung in der D.I.K. sei es, die Klientinnen innerhalb von zwei bis drei Beratungen<br />
schnell weiter zu vermitteln. Der Zuständigkeitsbereich der D.I.K. sei grundsätzlich der der Polizeidirektion<br />
Dresden. Allerdings berieten die Mitarbeiterinnen natürlich auch Hilfe Suchende aus anderen<br />
Regionen.<br />
Aufgaben der Rechtsmedizin, so Uwe Schmidt, seien vor allem die Frühintervention nach häuslicher<br />
Gewalt sowie die fachgerechte Begutachtung und Dokumentation von Verletzungen. Eine Traumatherapie<br />
sei kein Gegenstand der rechtsmedizinischen Arbeit. Vielmehr könnten sie den Opfern helfen,<br />
indem sie beweissichernde Dokumentationen der Verletzungen anfertigen, die dann als Grundlage für<br />
juristische Entscheidungen dienten. Das rechtsmedizinische Institut betreue sowohl Erwachsene als<br />
auch Kinder. Sie fänden ihren Weg dorthin entweder über die Polizei, den Kinder- und Jugendnotdienst<br />
oder direkt auf privatem Wege. Einzugsbereich und somit Zuständigkeitsgebiet des rechtsmedizinischen<br />
Institut der Dresdner Uniklinik sei der gesamte Regierungsbezirk Dresden. Die Untersuchungen<br />
seien für die Opfer kostenlos. Die Rechtsmediziner seien im Falle erwachsener Opfer an die<br />
ärztliche Schweigepflicht gebunden.<br />
20
Hinsehen – und dann?<br />
Jessica Jonas stellte zunächst fest, dass Großschadensereignisse (wie der ICE-Unfall in Eschede*)<br />
eher die Ausnahme seien. Vielmehr seien die Haupttätigkeiten der ehrenamtlich agierenden Kriseninterventionssteams<br />
die Akutbetreuung bei belastenden Ereignissen, die eher alltäglich seien, z.B.<br />
schwere Verkehrsunfälle und belastende familiäre Ereignisse wie plötzliche Todesfälle und/oder Suizide<br />
von Familienangehörigen. Außerdem begleiteten die MitarbeiterInnen der KITs auch die Polizei<br />
bei Todesnachrichten. Häusliche Gewalt hingegen sei kein Gegenstand der Arbeit der KITs, weil sie<br />
bei eventuell beweissichernden Maßnahmen der Polizei vor Ort keinen Platz hätten.<br />
Als Opferschutzbeauftragte der Polizeidirektion Dresden hätte Kerstin Weber keinen direkten Kontakt<br />
mit den Betroffenen. Vielmehr sei sie Beraterin der Beamten. So seien die Beamten nicht auf dem<br />
aktuellen Stand der Forschung ausgebildet. Sie würden oft nicht erkennen, dass die Opfer traumatisiert<br />
seien. Ihre Aufgabe sei es, ihren KollegInnen zu erklären, was sie tun müssten, um eine professionelle<br />
Betreuung der Opfer zu gewährleisten. Die Information, dass ein Einsatz notwendig sei,<br />
komme oft aus der Nachbarschaft. Vor Ort kämen die Polizisten in die aktuelle Krisensituation. Je<br />
nach Situation müssten die Beamten entscheiden, ob ein Arzt gerufen werden muss und eventuelle<br />
Verletzungen behandelt werden müssten. Das sei natürlich nur im Falle einer Wegweisung des Täters<br />
möglich, um das Opfer zu schützen. In jedem Falle würde ein Strafverfahren eröffnet in dessen Rahmen<br />
die ärztlichen Berichte dann als Beweismittel angefordert würden.<br />
Sabine Laniado, die seit Anfang 2008 als niedergelassene Psychotherapeutin arbeitet, merkte gleich<br />
zu Beginn an, dass die Versorgung Traumatisierter suboptimal sei. Es gäbe Wartelisten mit sehr langen<br />
Wartezeiten, was für die auf Behandlung wartender PatientInnen demoralisierend sei. Besonders<br />
problematisch sei das bei Opfern von häuslicher Gewalt, deren Hemmschwelle zur Inanspruchnahme<br />
von Hilfe sowieso schon hoch sei. Für sie sei es wichtig, schnell sicheren Boden zu bekommen, was<br />
mit einer langen Wartezeit nicht vereinbar sei.<br />
Sabine Laniado beantwortete die Frage schnell mit dem<br />
Mit dem <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> ist ein Netzwerk<br />
geschaffen worden. Wenn es funktionierte,<br />
welchen Gewinn hätte es für Ihre<br />
„Gewinn der kurzen Wege“. Ein funktionierendes Netzwerk<br />
jeweilige Arbeit?<br />
könne einen kurzen Austausch (mit anderen in die Traumaarbeit<br />
involvierten Netzwerkteilnehmern*) ermöglichen.<br />
So wüsste sie aus ihrer Zeit als stationär tätige Psychotherapeutin viel über mögliche Knotenpunkte.<br />
Der innerprofessionelle Austausch zwischen Kollegen ginge schon gut.<br />
Claudia Schauer wünsche sich über den innerprofessionellen Austausch hinaus einen interprofessionellen<br />
zu TherapeutInnen, Kliniken, RechtsanwältInnen, der Polizei usw., um einen ein gut funktionierende<br />
Interventionskette zu bekommen. Ende 2005 wurde das Bündnis gegen häusliche Gewalt<br />
Dresden geschaffen. Ziel des Bündnisses sei es, Lücken in der Interventionskette zu finden, aber<br />
auch, herauszuarbeiten was gut klappe, um mit diesen Erfahrungen Lücken besser schließen zu können.<br />
Bislang könne aus der Bündnisarbeit eine positive Bilanz gezogen werden. Weitere Netzwerkar-<br />
21
Hinsehen – und dann?<br />
beit begrüße sie dennoch – das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> müsse über die Dresdner Stadtgrenzen hinaus<br />
belebt werden.<br />
In <strong>Sachsen</strong> gebe es Rechtsmedizinische Institute in Dresden,<br />
Leipzig und Chemnitz, so Uwe Schmidt. Das Dresdner<br />
Das ist wichtig. Deshalb ist das Sächsische<br />
Staatsministerium für Soziales am Auf- und<br />
Ausbau beteiligt. In den drei großen Städten<br />
Dresden, Leipzig und Chemnitz sind die Institut sei mit 4 Rechtsmedizinern für den Einzugsbereich<br />
Strukturen ganz gut ausgebaut, wie Julia<br />
Schellong ausführte. Welche Möglichkeiten<br />
unterbesetzt, in den anderen Instituten sei die Personalsituation<br />
nicht besser. Die Versorgung in Dresden sei ganz gut<br />
gibt es im ländlichen Bereich?<br />
zu bewältigen. Schwieriger ist es beispielsweise in Görlitz<br />
oder Bautzen, weil die Wege und Fahrtzeiten lang seien, die sie aber dennoch in Kauf nehmen.<br />
Ein Beispiel aus seiner Berufspraxis mache aber deutlich, dass die rechtsmedizinische Arbeit extrem<br />
wichtig sei: Ein Opfer häuslicher Gewalt habe den Weg in das Rechtsmedizinische Institut Dresden<br />
gefunden, nach dem es bei vier niedergelassenen Ärzten um eine juristisch verwertbare Dokumentation<br />
ihrer Verletzungen ersucht hätte und überall abgewiesen worden sei. Nun, da es den Leitfaden<br />
gebe, der den niedergelassen Ärzten helfen soll, sich sicherer zu fühlen, sollte so etwas nicht mehr<br />
passieren.<br />
Ein <strong>Traumanetz</strong>werk stelle sie sich schwierig vor. Kerstin<br />
Frau Weber, wo könnte für Sie ein Gewinn<br />
in der sachsenweiten Vernetzung liegen?<br />
Weber wünsche sich vielmehr Schulungen für Polizisten,<br />
damit die Beamten Traumata erkennen könnten. Zusammen<br />
mit der D.I.K. sei man schon auf einem guten Weg und habe schon Schulungen durchgeführt.<br />
Sie seien aber noch nicht umfassend. Außerdem stehe eine direkte Vermittlung zu Traumaspezialisten<br />
nicht im Vordergrund der Polizeiarbeit, weil sie mit der D.I.K. zusammen arbeiten.<br />
Die Polizei müsse mit den Opfern Zeugenvernehmungen durchführen. Wenn dabei beispielsweise<br />
eine längere Misshandlungsgeschichte zur Sprache komme, seien die Schilderungen der Opfer oft<br />
nicht klar strukturiert. Die Beamten müssten darin geschult werden, das zu verstehen und damit umzugehen.<br />
Frau Jonas, Sie und Ihre Kollegen der KITs Jessica Jonas erklärt, dass die Kriseninterventionsteams<br />
arbeiten ehrenamtlich. Sie arbeiten an der<br />
Basis, begleiten Personen, helfen ihnen<br />
oft direkt am Ort des Geschehens arbeiteten und somit das<br />
schwere Situationen zu bewältigen. Welchen<br />
Gewinn sehen Sie in einem Trauma-<br />
erste Glied in der Hilfskette seien. Deshalb sei eine interdisziplinäre<br />
Vernetzung wichtig, um optimal helfen zu können.<br />
netz <strong>Sachsen</strong>?<br />
Das <strong>Traumanetz</strong> könne den Kriseninterventionsteams bei<br />
der Arbeit helfen, weil es oft mühsam sei, Institutionen vorzustellen, die nicht bekannt seien. Im <strong>Traumanetz</strong><br />
vereint, könnten die Netzwerkteilnehmer von der Arbeit der anderen erfahren. Auch die Kriseninterventionsteams<br />
seien oft nicht bekannt und könnten so eine Plattform bekommen.<br />
Was sind zeitliche und ressourcenbezogene<br />
Hindernisse?<br />
Seit ihrer ambulanten Arbeit habe Sabine Laniado noch<br />
sehr wenig interdisziplinär gearbeitet, weil das auch Zeit<br />
kostete. Traumarbeit sei aufwendig, zeit- und kostenintensiv<br />
22
Hinsehen – und dann?<br />
und in den von den Kassen bezahlten richtlinienbezogenen 40 Stunden nicht vollständig zu leisten.<br />
Hindernisse seien also Geld und Zeit – fehlende Ressourcen für Initiativen.<br />
Stichwort „Hemmschuhe“. Es bedarf einer Hinderlich seien die oft langen Wartezeiten. Ein Therapieplatz<br />
sei nur selten schnell und unkompliziert direkt im An-<br />
Art inneres Feuer, um sich zu vernetzen.<br />
Die Patienten sollten im Vordergrund stehen.<br />
Frau Schauer, wo sind Hindernisse?<br />
schluss an die Beratung bei der DIK zu bekommen, bemerkt<br />
Was könnte helfen?<br />
Claudia Schauer. Während der Kurzzeitberatung versuchten<br />
die Mitarbeiterinnen deshalb die Wartezeit zu überbrücken,<br />
indem sie das Opfer beispielsweise an eine andere Beratungsstelle vermitteln. Es sei jedoch<br />
schwierig, den Opfern die Wartezeit zu erklären. Die D.I.K. versuche Schwellen, die durch die Wartezeit<br />
entstünden, durch Begleitung zu anderen Beratungsstellen zu verkleinern.<br />
Sabine Laniado hoffe genau das. Wie der Vortrag von<br />
Das <strong>Traumanetz</strong> könnte dazu beitragen,<br />
dass Sie von noch mehr Traumatherapeuten<br />
erfahren. Kann das Netzwerk die Defizi-<br />
Herrn Besser gezeigt hätte, sei Warten schwer und der Leidensdruck<br />
der Betroffenen groß. Ein Problem sei, dass viele<br />
te beseitigen?<br />
Therapeuten Traumatherapie nicht machen wöllten, obwohl<br />
es eine schöne Arbeit sei. Wichtig sei jedoch einen Fokus<br />
auf die eigene Psychohygiene zu legen, nicht ausschließlich schwere Fälle zu betreuen und sich supervidieren<br />
zu lassen. Sie hoffe, dass das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> dazu beitrage, neue Traumatherapeuten<br />
zu finden und sie zur Ausbildung und Arbeit zu ermutigen.<br />
Uwe Schmidt verstünde das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> als Überbau zu bestehenden Netzwerken. Seit<br />
dem Jahr 2000 hätte das Institut für Rechtsmedizin einen deutlichen Anstieg in den Untersuchungszahlen<br />
zu verzeichnen. So seien es im Jahr 2000 noch 40 körperliche Untersuchungen gewesen,<br />
während es dieses Jahr schon über 150 gewesen seien. Auch die Zahl der untersuchten Kinder steige.<br />
Er erklärt diesen Anstieg mit der zunehmenden Enttabuisierung des Themas. Die Opfer würden<br />
sich nunmehr eher trauen, Hilfe aufzusuchen. Auch würden sich immer mehr Ärzte qualifizieren, die<br />
Dokumentation leitfadengerecht durchzuführen. Jedoch habe nicht jeder Arzt einen solchen Leitfaden.<br />
Die Ärzte müssten sich aktiv darum kümmern. Man erhielte den Leitfaden in der Regel bei Fortbildung,<br />
wie beispielsweise bei dieser Tagung.<br />
Wie oft waren die Opfer häuslicher Gewalt Diese Frage könne Claudia Schauer nicht mit genauen<br />
bei einem Arzt bevor Sie in die D.I.K. kommen?<br />
Zahlen beantworten. Die D.I.K. hätte eine Kooperationsvereinbarung<br />
mit der Polizei, so dass die Opfer nach einem<br />
Polizeieinsatz in die Beratungsstelle eingeladen würden,<br />
wenn sie dies wünschten. Außerdem würden Netzwerkpartner Hilfesuchende an die D.I.K. vermitteln.<br />
Wenn die Opfer schwer verletzt seien, wären sie oft vorher beim Arzt gewesen, jedoch nicht immer.<br />
Sollte dies der Fall sein, versuchten die Mitarbeiterinnen der D.I.K. die Opfer zu einem Besuch beim<br />
Arzt zu bewegen. Zu bedenken sei außerdem, dass psychische Gewalt keine physischen Verletzungen<br />
verursache. Die Opfer würden sich also wegen ihrer psychischen Symptome an Ärzte wenden.<br />
Claudia Schauer schätze den Anteil der Opfer, die vor der Beratung in der DIK einen Arzt auf ca. 60%.<br />
23
Hinsehen – und dann?<br />
Jessica Jonas wertet bereits die Tagung und die damit verbundenen<br />
Gespräche als ersten Schritt. So könne das Ver-<br />
Angenommen das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
startet am kommenden Montag mit der<br />
Arbeit. Mit welchen konkreten Schritten<br />
sollte die Arbeit beginnen?<br />
trauen in die anderen Professionen wachsen. Weitere<br />
Schritte für die Netzwerkarbeit würden sich aus den Arbeitsgruppen<br />
ableiten lassen. Sie erhoffe sich das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> als Plattform für die verschiedenen<br />
beteiligten Professionen und einen kurzen inner- und interprofessionellen Kontakt.<br />
Die Kollegen, die in ihrer täglichen Arbeit mit häuslicher Gewalt zu tun hätten, wünschten sich eine<br />
Verlinkung und ständigen Zugriff auf die <strong>Traumanetz</strong>seite, so Kerstin Weber. Außerdem seien Schulungen<br />
für die Beamten notwendig, die sich über den Kontakt mit Julia Schellong und dem Bündnis<br />
gegen häusliche Gewalt erhoffe.<br />
Die bestehenden Netzwerke sollten einen überregionalen Dachverband bekommen, wünscht sich<br />
Uwe Schmidt. Das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> könne als solcher fungieren. Die Netzwerkpartner sollten<br />
keine Konkurrenten, sondern Partner sein, die überregional zusammen arbeiten.<br />
Im Sinne kurzer Wege sollten Kontakte hergestellt werden, so Claudia Schauer. Es sei wichtig zu<br />
wissen, was der andere macht, um das Leiden der Opfer so effektiv und schnell wie möglich zu verringern.<br />
Sabine Laniado wünscht sich für eine Patientin, der es im Moment sehr schlecht ginge, die Möglichkeit<br />
schnell stationär aufgenommen zu werden.<br />
Publikumsfrage:<br />
Herr Schmidt, wie kann es sein, dass Opfer<br />
von häuslicher Gewalt von vier Ärzten abgewiesen<br />
werden und keine Hilfe bekommen?<br />
Uwe Schmidt erläutert, dass es im geschilderten Fall keine<br />
Befunde gab, die akut zu behandeln gewesen wären. Hämatome<br />
seien für Hausärzte nur sekundär interessant, anders<br />
als für Rechtsmediziner.<br />
Kerstin Weber ergänzt, dass es für die Polizei auch oft die Erfahrung mache, dass die Frauen angeben<br />
beim Arzt gewesen zu sein und dieser die Begründung der Frauen akzeptiert, auch wenn sie offensichtlich<br />
nicht stimmen könne. Aufgabe der Polizei sei es dann, die Befunde der Ärzte anzufordern.<br />
Ziel sei es, Ärzte dafür zu sensibilisieren, Opfern von häuslicher Gewalt, die sich ihnen vorstellen, an<br />
die Polizei zu vermitteln. Die Polizei hat sonst keine Möglichkeit den Opfern zu helfen, es sei denn, sie<br />
werden zum Tatort gerufen.<br />
Publikumsfrage:<br />
Aber wieso weist der Arzt das Anliegen auf<br />
Dokumentation der Verletzungen ab?<br />
Uwe Schmidt erklärt, dass unter der Ärzteschaft eine hohe<br />
Unsicherheit herrsche und sie deshalb versuchen, solche<br />
Anliegen zu umgehen. Um diesem suboptimalen Zustand zu<br />
beseitigen gibt es den Leitfaden und das neue Modellprojekt<br />
„Hinsehen – Erkennen – Handeln“<br />
24
Hinsehen – und dann?<br />
Anca Kübler hat als Rechtsanwältin eine ganz praktische Erklärung: So ginge es in möglichen Verhandlungen<br />
nicht nur um die Dokumentation als Beweismittel. Oft würden die Ärzte als Zeugen gerufen.<br />
Davor hätten sie Angst, weil sie so leicht einen ganzen Tag verlieren könnten.<br />
Martine de Maizière bemerkt, dass sie diese Erfahrung auch gemacht habe. Hinsehen mache Arbeit:<br />
Das <strong>Traumanetz</strong> könne hier helfen, um die Opfer schnell an die richtige Stelle zu verweisen und so<br />
die eigene Arbeit gering halten.<br />
Publikum (Frau Gangl): Stichwort „Sensibilisierung“. Ein Netzwerk sei gut, aber wenn die Teilnehmer<br />
nicht sensibilisiert seien, helfe es auch nicht. Sensibilisierung funktioniere nur im persönlichen Kontakt.<br />
Viele Berufsgruppen seien nicht sensibilisiert. Da sehe sie Handlungsbedarf.<br />
Julia Schellong schließt die Diskussion mit dem Statement, dass das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong> zur Sensibilisierung<br />
beitragen könne. Weitere Informationen unter www.traumanetz-sachsen.de<br />
25
Hinsehen – und dann?<br />
Konstituierung der Arbeits- bzw. Diskussionsgruppen<br />
Ziel des <strong>Traumanetz</strong>es <strong>Sachsen</strong> ist die Optimierung der Versorgungslage betroffener Menschen. Zum<br />
Abschluss der Fachtagung wurden die Teilnehmer gebeten, sich in Arbeits- und Diskussionsgruppen<br />
zusammen zu finden. Unter der Moderation von Vertreterinnen und Vertretern des <strong>Traumanetz</strong>es<br />
<strong>Sachsen</strong> konstituierten sich die Arbeits- bzw. Diskussionsgruppen und erarbeiteten Vorschläge, die<br />
der weiteren Entwicklung des <strong>Traumanetz</strong>es <strong>Sachsen</strong> als Impulsquelle dienen soll. Es wurden folgende<br />
fünf Gruppen gebildet: Kinder, Häusliche Gewalt, Unfall & Gewaltverbrechen, Psychosozialer Notfall<br />
und Migration & Opfer rechtsextremer Gewalt.<br />
26
Hinsehen – und dann?<br />
Arbeitsbereich „Kinder“<br />
PD Dr. med. habil. Christine Erfurt<br />
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden<br />
OÄ Institut für Rechtsmedizin<br />
Dipl. Soz.-päd. Peggy Györkös<br />
Kinderschutzbund Dresden<br />
Anwesende:<br />
An der Arbeitsgruppe nahmen ca. 15 Teilnehmer aus verschiedenen medizinischen, psychologischen<br />
und sozialpädagogischen Arbeitsfeldern teil.<br />
- Rechtsmedizin<br />
- Notfallversorgung/ Krisenintervention<br />
- Mädchen- und Frauenschutzeinrichtungen<br />
- Mutter-Kind-Einrichtungen<br />
- Allgemeinmediziner<br />
- Presse<br />
- Kinder- und Jugendpsychiatrie (ambulant und klinisch)<br />
- Erziehungsberatungsstellen<br />
- Beratungsstellen<br />
- Psychosomatik<br />
Aus Zeitmangel konnten Vertreter aus dem Schulwesen nicht teilnehmen, meldeten aber großes Interesse<br />
an einem Austausch/ Mitwirkung an.<br />
Fazit: Es bestanden und bestehen gut funktionierende und teilweise stark ausgebaute Netzwerke, in<br />
denen sich Professionelle austauschen und miteinander arbeiten können. Diese Netzwerke funktionieren<br />
zum großen Teil nur innerhalb der eigenen Profession. Fachübergreifende Netzwerke gibt es<br />
kaum, ein Austausch über den eigenen Berufsstand hinaus gelingt bislang nur punktuell und meist auf<br />
Basis persönlicher Kontakte zwischen den Netzwerkpartnern. Regional bezogen sind Netzwerke jedoch<br />
noch sehr lückenhaft und nur unzureichend gepflegt und dadurch nur bedingt nutzbar.<br />
Für Betroffene sind die bestehenden professionellen Netzwerke mitunter nur schwer oder gar nicht<br />
nutzbar. Betroffene sind darauf angewiesen, fach- und netzwerkübergreifend Hilfe zu finden.<br />
Ziele, Erwartungen, Rückmeldung:<br />
- „kurze Wege“ über die eigenen bestehenden Netzwerke hinaus<br />
- fachübergreifende Kontakte, Austausch und Zusammenarbeit herstellen<br />
- Schließen von Wissenslücken auf personaler und fachlicher Ebene (Wer macht eigentlich wo was<br />
und wie tut er das?)<br />
- Vernetzungen schaffen für und mit der tätigen Basis schaffen (Basiskräfte unterstützen)<br />
- Möglichkeiten schaffen, sich auch im regionalen Raum (jenseits der Großstädte) besser kennen<br />
zu lernen und zielgerichtet vermitteln zu können<br />
- Unsicherheiten im Berufsalltag begegnen (funktionierende Kontakte für den akuten Notfall kennen<br />
und entwickeln, wenn im eigenen Berufsfeld weder Zeit, Raum oder die entsprechende Kompetenz<br />
zur Verfügung steht)<br />
- sachsenweite Streuung und regionales Zusammenarbeiten jenseits der Großstädte<br />
- Kooperationsbeziehungen aufbauen und Kooperationsvereinbarungen treffen<br />
- Zeitnah und flexibel miteinander ins Gespräch kommen<br />
- Ansprechpartner für offene Fragen im Alltag zur Verfügung haben (Wen kann ich verlässlich anrufen,<br />
wenn ich eine Frage zu meinem eigenen weiteren Vorgehen habe?)<br />
- Handlungsstrategien entwickeln und festigen (Wenn „häusliche Gewalt“ nicht der Auftrag ist und<br />
dennoch im Raum steht – wie gehen wir damit um?)<br />
- Sensibilisierung für das Thema auf allen Fachgebieten und in allen Ebenen notwendig<br />
- Möglichkeiten schaffen, um Betroffenen ein Netzwerk zugänglich zu machen (viele Netzwerke<br />
bestehen und dennoch kommen Betroffene in den Einrichtungen nicht an)<br />
- Verknüpfungen herstellen (Wie gelingt es uns an die klinische Arbeit nach der Behandlung anzuknüpfen<br />
und die Patienten in außerklinische Angebote zu integrieren?)<br />
- Handlungssicherheit schaffen (Was mache ich wenn ...?)<br />
Protokoll: Peggy Györkös<br />
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Hinsehen – und dann?<br />
Arbeitsbereich „Häusliche Gewalt“<br />
Dr. med. Uwe Schmidt<br />
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden<br />
Institut für Rechtsmedizin<br />
Rechtsanwältin Anca Kübler<br />
Kanzlei Anca Kübler<br />
Dipl.-Soz.-päd. Claudia Schauer<br />
Dresdner Interventions- und Koordinierungsstelle D.I.K.<br />
Protokoll<br />
Anwesende aus folgenden Arbeitsfeldern:<br />
- Rechtsmedizin<br />
- Notfallversorgung/ Krisenintervention<br />
- Mädchen- und Frauenschutzeinrichtungen<br />
- Allgemeinmediziner<br />
- Presse<br />
- Beratungsstellen<br />
- Psychotherapeuten<br />
- Politik (Kultus- und Sozialministerium)<br />
- Opferberatung<br />
- Polizei<br />
Defizite in der Versorgungslage:<br />
- in ländlichen Regionen, außerhalb der Ballungsgebiete, Versorgungsstruktur suboptimal (keine<br />
kurzen Wege)<br />
- <strong>Traumanetz</strong> bei Berufsgruppen außerhalb des <strong>Gesundheit</strong>s- und Beratungssektors nicht bekannt,<br />
z.B. Lehrer<br />
- fehlende Versorgungsstrukturen für Kinder und Jugendliche, z.B. in Schutzeinrichtungen; das<br />
<strong>Traumanetz</strong> sei noch nicht in der Realität angekommen<br />
Wünsche an das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong>:<br />
- regionale Zuordnung der Beratungsstellen überprüfen (einige arbeiten überregional, wirken in der<br />
Liste aber als regional sehr angebunden)<br />
- technische Umsetzung des <strong>Traumanetz</strong>es bekannt machen<br />
- andere Berufsgruppen über Netzwerk und deren Möglichkeiten informieren<br />
- Vernetzung in ländlichen Regionen verbessern<br />
- Angebote für Kinder und Jugendliche (vor allem in Notfallsituation) verbessern bzw. transparenter<br />
gestalten<br />
28
Hinsehen – und dann?<br />
Arbeitsbereich „Unfall und Gewaltverbrechen“<br />
Dr. med. Kornelia Sturz<br />
Klinik am Waldschlößchen<br />
Dipl. Psych. Sabine Laniado<br />
Psychologische Psychotherapeutin<br />
Protokoll<br />
Anwesende aus folgenden Berufsgruppen:<br />
- Psychotherapeuten<br />
- Sozialpädagogen<br />
- Beratungsstellen<br />
- Kriseninterventionsteams<br />
Derzeitige Situation<br />
- Opferhilfe braucht Kontakte und Handlungssicherheit<br />
- Kriseninterventionsteams (Feuerwehr) benötigen Informationssammlungen (z.B. über Beratungsstellen),<br />
um individueller auf Betroffene eingehen zu können<br />
- Probleme der Lebensberatungsstellen: An wen weiter verweisen? Weiterbildungen<br />
- Unfallfolgen/OPs/Gewalttaten: Was tun? Wer kann helfen? Wie geht das? (Stabilisierung)<br />
Wünsche an das <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
- es gibt „viele“ ambulant tätige Psychotherapeuten, die Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter<br />
Therapie sollte verbessert werden<br />
- man braucht Kontaktadressen zum kollegialen Austausch<br />
- es besteht Vernetzungsinteresse zum fachlichen Austausch<br />
- Antworten auf Frage: Wo sind Helfer? Patienten spezifischer beraten können<br />
- Integration des „sozialen Randbereichs“ in Hilfesystem<br />
- Weiterbildungen, Intervision<br />
29
Hinsehen – und dann?<br />
Arbeitsbereich „Psychosozialer Notfall“<br />
Gisela Oehmichen<br />
Vorsitzende des Landesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker in <strong>Sachsen</strong><br />
Dipl. Psych. Jessica Jonas<br />
Kriseninterventionsteam Dresden (KIT DD e.V.)<br />
Protokoll<br />
Anwesende aus folgenden Arbeitsfeldern:<br />
- Krisendienste<br />
- Kriseninterventionsteams<br />
- Psychotherapeuten<br />
- Ehe-Familien-Konfliktberatung<br />
- Beratungsstellen (Chemnitz, Diakonisches Werk)<br />
- Gleichstellungsbeauftragte<br />
- Sächsischer Hausärzteverband<br />
- Multikulturelles Zentrum Zittau, Frauenschutz<br />
- Schulpsychologischer Dienst<br />
- Beratungsstelle<br />
Aufgezeigte Probleme in der Versorgungslage:<br />
- niedergelassene Psychotherapeuten sehen sich mit viel zu vielen Patienten konfrontiert, akute<br />
Notfälle seien nicht zu erreichen<br />
- besonders in ländlichen Gebieten sei eine ambulante Behandlung/Therapie nicht möglich<br />
- Betroffene finden nach einem psychosozialen Notfall keine Hilfsmöglichkeiten – warum?<br />
- Psychotherapeuten haben für die Behandlung akuter Notfälle nur 5 Stunden Zeit<br />
- auf dem Papier bestehe eine Überversorgung<br />
Wünsche an das <strong>Traumanetz</strong><br />
- verschiedene Anlaufstellen bekannt machen<br />
- <strong>Traumanetz</strong> solle die Realität abbilden – Wie sieht die Versorgungslage wirklich aus?<br />
Wünsche an die Politik<br />
- Politik solle sinnvolle Vernetzung fördern<br />
- Unterversorgung bekämpfen<br />
- Behandlern mehr Zeit geben, um akute Notfälle zu versorgen<br />
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Hinsehen – und dann?<br />
Arbeitsbereich „Migration und Opfer rechtsextremer Gewalt“<br />
Dipl. Soz.-päd. Johanna Stoll<br />
Ausländerrat Dresden e.V.<br />
Grit Armonies<br />
Projektkoordinatorin<br />
Opferberatung für Betroffene rechtsextremer und rassistischer Gewalt (RAA <strong>Sachsen</strong> e.V.)<br />
Protokoll<br />
Anwesende aus folgenden Arbeitsfeldern:<br />
- ärztliche und psychologisch Psychotherapeuten<br />
- Beratungsstellen<br />
- Rechtsanwälte<br />
Versorgungslage derzeit; Vorteile/Angebot:<br />
- Fremdsprachenkenntnis und Dolmetscherpool positiv zu bewerten<br />
- Workshop- und Weiterbildungsangebote zur Sensibilisierung vorhanden<br />
- (psychologische) Erstberatung für Migranten<br />
Wünsche an <strong>Traumanetz</strong> <strong>Sachsen</strong>:<br />
- Erweiterung des Blickwinkels für die Probleme über die häusliche Gewalt hinaus<br />
- Wissenstransfer (Rechtsextremismus, Traumatisierung)<br />
- Hilfe für traumatisierte Migranten Erstellung eines Pool für Zuständigkeiten (unterschiedliche<br />
Fachgebiete)<br />
- Ermöglichung eines schnellen Zugriffs auf Informationen (z.B. Links)<br />
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Hinsehen – und dann?<br />
Impressum<br />
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden<br />
an der Technischen Universität Dresden<br />
Anstalt des öffentlichen Rechts des<br />
Freistaates <strong>Sachsen</strong><br />
Vorstand:<br />
Prof. Dr. med. Detlev Michael Albrecht<br />
Medizinischer Vorstand (Sprecher)<br />
Wilfried E. B. Winzer<br />
Kaufmännischer Vorstand<br />
Fetscherstraße 74<br />
01307 Dresden<br />
Telefon 0351 / 458 - 0<br />
Telefax 0351 / 458 - 4340<br />
E-Mail: info@uniklinikum-dresden.de<br />
Außenstelle:<br />
HELIOS-Klinik<br />
Malerstraße 31<br />
01326 Dresden<br />
Tel.: 0351 2636-0<br />
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