âMaterialien zu Die besseren Wälderâ [PDF-Datei ... - GRIPS Theater
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Materialien <strong>zu</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder<br />
Eine komödiantische Parabel von Martin Baltscheit<br />
für Menschen ab 12 Jahren
2<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
als wir das Stück »<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder« lasen, entstanden sofort Bilder des Heranwachsens<br />
und der scheinbaren Unvereinbarkeit verschiedener Welten vor unserem innerem Auge. Das<br />
der Autor Martin Baltscheit <strong>zu</strong>tiefst Menschliches im Gewand einer Tierparabel schreibt,<br />
irritierte und faszinierte. Wir haben den Text heiß und kontrovers diskutiert, schließlich kam<br />
der Regisseur Robert Neumann hin<strong>zu</strong> und brannte darauf, diese Coming-of-age-Geschichte,<br />
diese fiebrige Suche nach der eigenen Identität zwischen den Welten <strong>zu</strong> erzählen.<br />
<strong>Die</strong> Jury des Deutschen Jugendtheaterpreises 2010 begründete ihre Auszeichnung des Stückes<br />
so: »›Es kommt doch nicht darauf an, wo du herkommst. Es kommt darauf an wohin du gehst<br />
und mit wem.‹ Mit diesem Satz am Ende des Stücks gibt Baltscheit einen wichtigen Impuls für<br />
jeden Heranwachsenden. Man kann ihn aber auch als einen brandaktuellen Kommentar <strong>zu</strong>r<br />
Debatte um Zuwanderung und Integration in Deutschland und Europa lesen.<br />
Gekonnt kleidet der Autor Fragen nach dem ›wir hier drinnen, ihr da draußen‹ in eine<br />
Tierparabel und würzt das Ganze mit seinem scharfen, ernsthaften Humor.<br />
<strong>Die</strong> Jury des Deutschen Jugendtheaterpreises 2010 zeichnet mit ›<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder‹ eine<br />
starke und relevante Geschichte aus, die von überzeugenden Einzelschicksalen ausgehend, über<br />
das Individuelle hinausweist und sich dabei nicht vor Überzeichnung und Komik scheut.«<br />
Wir haben in diesem Material weiterführende Texte in den Kapiteln »Identität«, »Kulturelle<br />
Vielfalt« und »Werte, Welten, Traditionen« <strong>zu</strong>sammengestellt.<br />
Zur Vertiefung mit Schulklassen und Gruppen finden Sie am Ende eines jeden Kapitels »Fragen<br />
und Übungen«.<br />
Viel Spaß beim Lesen und Probieren.<br />
Laura Klatt und Kirstin Hess<br />
(<strong>Theater</strong>pädagogin) (Dramaturgin)<br />
3
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Liebe Leserin, lieber Leser! 3<br />
Beset<strong>zu</strong>ng 5<br />
Zu »<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder« 6<br />
Szenenspiegel 7<br />
Kapitel 1: Identität 13<br />
Szenenausschnitte 14<br />
Identitätspoker 15<br />
Das Prinzip Hoffnung 16<br />
Sieben Sekunden 16<br />
Deutschsein – Wo bleibt der deutsche Traum? 17<br />
Demian 18<br />
Kultur als Eisberg 18<br />
Fragen und Übungen <strong>zu</strong>m Thema »Identität« 19<br />
Kapitel 2: Kulturelle Vielfalt 21<br />
Szenenausschnitt 22<br />
Allgemeine Erklärung <strong>zu</strong>r Kulturellen Vielfalt 23<br />
Interkultur 23<br />
Deutschland schafft mich ab 24<br />
Interview mit Ibrahim Kanalan von Jugendliche ohne Grenzen 27<br />
Heimat – Wir suchen noch 30<br />
Kulturelle Orientierung 32<br />
Personenbezogene Interkulturalitätsstrategien 34<br />
Fragen und Übungen <strong>zu</strong>m Thema »Kulturelle Vielfalt« 35<br />
Kapitel 3: Werte, Welten, Traditionen 39<br />
Szenenausschnitte 40<br />
Vier Spiele mit der Vergangenheit 41<br />
Gesellschaft ohne Baldachin 42<br />
Von Werten und Welten 44<br />
Weck mich auf 45<br />
Der Traum ist aus 45<br />
<strong>Die</strong> vier Archmedischen Punkte 46<br />
Fragen und Übungen <strong>zu</strong>m Thema »Werte, Welten, Traditionen« 48<br />
Literatur- und Filmtipps 51<br />
Dank & Impressum 52<br />
4
Beset<strong>zu</strong>ng<br />
DIE BESSEREN WÄLDER<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
für Menschen ab 12 Jahren<br />
Uraufführung am 30.03.2012, 19.30 Uhr, im <strong>GRIPS</strong> Klosterstraße<br />
Beset<strong>zu</strong>ng<br />
Mit:<br />
Jennifer Breitrück<br />
Paul Jumin Hoffmann<br />
Alessa Kordeck<br />
Florian Rummel<br />
René Schubert<br />
Regie:<br />
Bühne und Kostüme:<br />
Choreografie:<br />
Dramaturgie:<br />
Regieassistenz:<br />
<strong>Theater</strong>pädagogik:<br />
Musikalische Beratung<br />
»Schafe Maria«:<br />
Regiehospitanz:<br />
Hospitanz<br />
<strong>Theater</strong>pädagogik:<br />
Licht:<br />
Ton:<br />
Bühnenbau:<br />
Requisite:<br />
Schneiderei:<br />
Maske:<br />
Bühnenmalerei:<br />
Mutter Wolf, Mutterschaf, Opa Schaf, Melanie, Wildschwein<br />
Vater Wolf, Jäger, Beck, Jannis<br />
Frauke, Scherer, Mascha, Gans<br />
Sohn Wolf, später Ferdinand<br />
Wanja, Scherer, Bär, Alte Wölfin<br />
Robert Neumann<br />
Max Julian Otto<br />
Clébio Oliveira<br />
Kirstin Hess<br />
Gabriel Frericks<br />
Laura Klatt<br />
Tom Keller<br />
Indra-Maria Decurtins<br />
Jan Heidel<br />
Henriette Ewert, Jerry Geiger<br />
Joe Maubach, Klaus Reinke<br />
Günter Pöchtrager, Mark Eichelbaum<br />
Tobias Schmidt, Mani Thomasson<br />
Sabine Winge, Kaye Tai<br />
Sedija Hussak, Sarah-Jane Ruhnow<br />
Heinz Dreckmann, Gabriele Sehringer<br />
5
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Zu »<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
»Wir laufen nicht davon, wir gehen in die <strong>besseren</strong> Wälder.« <br />
<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder<br />
Eine komödiantische Parabel von Martin Baltscheit<br />
12+<br />
Ferdinand hat auf der Flucht in ein besseres Leben beide Eltern verloren. Ein kinderloses Paar<br />
nimmt ihn liebevoll an, er wächst in einer wohlbehüteten Gemeinschaft auf. Mit seinem besten<br />
Freund Beck und seiner ersten Liebe Melanie entdeckt er als Jugendlicher das Leben jenseits der<br />
sicheren, eingezäunten und braven Welt. Doch dann ereignet sich ein folgenschwerer Unfall:<br />
Ein nächtlicher Ausflug endet für Melanie tödlich und Ferdinand, der junge Fremde, wird<br />
verdächtigt und ausgestoßen. Er kehrt <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> denen, die er für seine wahre Familie hält,<br />
aber auch dort trifft er auf starre Traditionen und wird als Außenseiter abgestempelt.<br />
Verzweifelt fragt sich Ferdinand, wo auf der Welt ein Platz für ihn sein könnte. - Zwei<br />
Außenseiter wie er ermutigen ihn, neue Wege <strong>zu</strong> suchen: »Es kommt doch nicht darauf an, wo<br />
du herkommst. Es kommt darauf an, wo du hin gehst und mit wem.«<br />
Martin Baltscheits Ferdinand ist ein Wolf, seine Eltern, Frauke und Wanja, sind ein weißes und<br />
ein schwarzes Schaf. „<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder» ist eine berührende Geschichte mit scharfem<br />
Humor, die überall spielen könnte, auch in Berlin. Eine Geschichte über Vorurteile, soziale<br />
Rollen und die Suche nach der eigenen Identität. »<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder« wurde mit dem<br />
Deutschen Jugendtheaterpreis 2010 ausgezeichnet.<br />
Martin Baltscheit entwirft Geschichten zwischen verschiedenen Künsten. Er zeichnete Comics,<br />
schreibt, illustriert und spricht. So entstanden Bilderbücher, Hörspiele, <strong>Theater</strong>stücke. Er wurde<br />
mehrfach ausgezeichnet, <strong>zu</strong>letzt mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 für sein<br />
Bilderbuch »<strong>Die</strong> Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor«.<br />
Robert Neumann führt nach seiner erfolgreichen Inszenierung »Big Deal?«, die 2010 für den<br />
IKARUS als beste Jugendtheaterproduktion Berlins nominiert war, erneut am <strong>GRIPS</strong> <strong>Theater</strong><br />
Regie. Er hat Schauspiel an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« studiert. Nach<br />
Engagements in Magdeburg, Braunschweig und am Deutschen <strong>Theater</strong> in Berlin kam er 2007 ins<br />
Ensemble des <strong>GRIPS</strong> <strong>Theater</strong>s<br />
6
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Szenenspiegel<br />
<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder<br />
Eine komödiantische Parabel von Martin Baltscheit<br />
Szene 1 / <strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder<br />
Drei Wölfe im Schnee. Sie gehen gegen den Wind.<br />
Mutter:<br />
Wir laufen nicht davon, wir gehen in die <strong>besseren</strong> Wälder.<br />
<strong>Die</strong> Mutter wird von einem Schuss niedergestreckt. Vater und Sohn Wolf hetzen weiter, der<br />
Vater malt dem Sohne die schönsten Bilder von der Welt in die sie flüchten möchten aus, um<br />
ihn ab<strong>zu</strong>lenken.<br />
Sohn:<br />
Vater:<br />
Sohn:<br />
<strong>Die</strong> Zukunft ist schön.<br />
Sie ist weiß wie Schnee und jeder kann sein Bild darauf malen.<br />
Ich male mir ein Bild mit Mama und Dir.<br />
Ein weiterer Schuss tötet den Vater, das Kind hetzt alleine weiter, bis es erschöpft<br />
<strong>zu</strong>sammenbricht.<br />
Szene 2 / Zwei Schafe<br />
Das weiße Schaf Frauke und der schwarze Bock Wanja genießen den Frühlingstag, der so<br />
überraschend und bezaubernd Schnee bringt. Doch plötzlich legt sich ein Schatten über die<br />
Stimmung, erinnert sie der herabfallende Schnee doch daran, dass normalerweise jetzt die<br />
Kinder geboren werden und sie immer noch keines haben. Sie wollen sterben.<br />
Szene 3 / Der kleine Wolf<br />
Frauke und Wanja sterben nicht, sie hören ein leises Jaulen. Zwischen ihnen liegt ein kleiner<br />
Wolf, der sie erzittern lässt: Was tun? Füttern? Töten?<br />
Frauke setzt sich durch, Wanja muss Gemüse bringen, der Wolf probiert, sie nähern sich an.<br />
Ein Jäger ruft dem Hirten <strong>zu</strong>, man habe zwei Wölfe erwischt. Wanja und Frauke treffen eine<br />
folgenreiche Entscheidung:<br />
Wanja:<br />
Jetzt machen wir ein Schaf aus ihm.<br />
7
Szene 4 / Spielplatz<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Ein Mutterschaf spielt mit ihrem Kleinen. Als Frauke mit ihrem Ferdinand erscheint, wird sie<br />
sofort von dem Mutterschaf ins Kreuzfeuer genommen: dass Frauke so plötzlich Mutter sei,<br />
wundert sie, wie groß und schwarz der Junge ist, vor allem aber beängstigen sie seine scharfen<br />
Zähne. Frauke kann alles knapp begründen. Das Mutterschaf verlässt samt Söhnchen den<br />
Spielplatz, da erscheint auch schon Opa. Er begrüßt ›Ferdi‹ und führt gleich ein paar Übungen<br />
mit ihm durch: Ferdi rezitiert freudig das Gedicht der Salate und erkennt per Geruch die Lage<br />
des Baumes, dessen Früchte er erriecht. Opa ist Stolz auf den Jungen, doch als der zeigt wie er<br />
über die Zäune springen kann, kippt die Situation:<br />
Opa Schaf:<br />
Ferdi! Wir Schafe springen nicht über Zäune.<br />
Schafe laufen nicht davon, deshalb leben sie so gut.<br />
Frauke erscheint mit Geburtstagskuchen rettet die Stimmung, man begrüßt sich und feiert<br />
Ferdis Geburtstag. <strong>Die</strong> Geschichte, wie Schafe auf die Welt kommen wird erzählt, da fragt<br />
Ferdinand plötzlich nach:<br />
Ferdinand<br />
Opa<br />
Ferdinand<br />
Opa<br />
Ferdinand<br />
Opa<br />
Warum wollte ich ein Schaf werden?<br />
Weil es kein besseres Lebewesen auf der ganzen Erde gibt.<br />
Warum kein Vogel?<br />
Wo<strong>zu</strong> soll der gut sein?<br />
Ich dachte, als Vogel könnte ich über Zäune fliegen.<br />
Schluss mit den Zäunen! (…) Es ist Tradition. Tradition heißt, wenn alles bleibt,<br />
wie es ist, muss sich nichts ändern.<br />
Szene 5 / Spielplatz - älter geworden<br />
Ferdinand trifft sich mit seinem besten Kumpel Beck, sie scherzen und ärgern die kleine<br />
Melanie, die sich aber doch ganz gut <strong>zu</strong> wehren weiß. Ferdinand ist fasziniert von ihrer naiven<br />
Klarheit. Er hat auch keine Lust mehr auf Ärgern, Prahlerei. <strong>Die</strong> Frage nach seiner Herkunft<br />
quält ihn <strong>zu</strong>nehmend. Er berichtet von einem wiederkehrenden Traum, in dem er als<br />
Schneeflocke aus dem Himmel fällt, dann Hunde bellen hört und einen Jäger, der ruft, ›wir<br />
haben sie erwischt‹.<br />
Szene 6 / Der Sieger<br />
Frauke hat es sich gemütlich gemacht, da stürzt Wanja überglücklich herein: Ferdinand hat den<br />
Sängerwettbewerb gewonnen und wird das ›Schafe Maria‹ singen dürfen. Wird er? Frauke<br />
zögert: Er ist, was keiner weiß, ein Wolf!<br />
Frauke<br />
Wanja<br />
Sie werden uns umbringen, wenn das rauskommt. Uns alle drei.<br />
Es wird sein Tag, ich werde ihm das nicht verbieten.<br />
Szene 7 / Das Lied<br />
Ferdinand singt und spielt das ›Schafe Maria‹ – wunderschön.<br />
8
Szene 8 / <strong>Die</strong> Schur<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Zwei Schafsscherer sprengen die Andacht. Melanie, Beck und Ferdinand bekommen Angst und<br />
verfallen in stereotype Bewegungsmuster. Ihr Fell wird ihnen genommen, nackt bleiben sie<br />
<strong>zu</strong>rück. Ferdinand zittert am meisten und bittet Beck ihn <strong>zu</strong> wärmen. Beck zögert, doch<br />
schließlich fallen sich die beiden Jungen in die Arme. Ferdinand atmet auf, Beck genießt die<br />
körperliche Wärme. Als Melanie sie anspricht, ist es besonders Beck peinlich, doch Melanie<br />
rettet den Moment, indem sie allen Schnaps anbietet. Melanie und Ferdinand verstehen sich<br />
ausnehmend gut, verlieben sich. Beck fühlt sich ausgeschlossen und verschwindet.<br />
Szene 9 / <strong>Die</strong> andere Seite<br />
Melanie überredet Ferdinand gegen dessen Widerstand mit ihr über den Zaun <strong>zu</strong> springen.<br />
Drüben erleben sie eine wilde Party mit allen möglichen Tieren. Ausgelassen und glücklich<br />
brechen sie den Heimweg an, da werden sie von einer Wölfin überrascht.<br />
Szene 10 / <strong>Die</strong> Wölfin<br />
Sie wollen fliehen, Ferdinand kann gerade noch Melanie über den Zaun helfen, muss dann aber<br />
kämpfen. Er hält Stand. <strong>Die</strong> Wölfin ist verwirrt, sie kämpfen bis <strong>zu</strong>r Erschöpfung.<br />
Wölfin<br />
Du … du bist kein Schaf. Du bist ein Wolf. Ein weißer Wolf.<br />
Szene 11 / Im Gefängnis<br />
Ferdinand liegt schlafend am Boden. Ein Bär und eine Gans unterhalten sich verwundert über<br />
einen Mord durch ein Schaf an einem Schaf.<br />
Breitrück, Schubert, Kordeck<br />
9
Szene 12 / Besuch von Mama und Papa<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Ferdinand begreift erst im Gespräch mit seinen Eltern, dass das Mordopfer Melanie und er der<br />
vermeintliche Täter sein soll. Frauke und Wanja glauben, im Sinne der Anklage, sich selbst<br />
schuldig fühlend, dass Ferdinand der Mörder ist.<br />
Szene 13 / Hofgang<br />
Bär und Gans sprechen Ferdinand Mut <strong>zu</strong> und geben Tipps, wie seine Unschuld auf<strong>zu</strong>klären<br />
wäre. Der Bär empfiehlt die Wölfin <strong>zu</strong> finden und dann <strong>zu</strong> töten aus Rache. <strong>Die</strong> Gans findet, das<br />
vom Töten nichts lebendig wird und es außerdem nicht Ferdis Natur sei.<br />
Bär<br />
Natur ist das was möglich ist.<br />
Ferdinand erkundigt nach den Delikten der beiden anderen. Der Bär sitzt wegen Honigraubes<br />
ein – doch kann er es nicht gewesen sein, ist er doch eine Biene. Zum Beweis fliegt er, dass er<br />
dabei nicht abhebe spiele keine Rolle. <strong>Die</strong> Gans wiederum fürchtet sich vor nichts und ist<br />
deshalb überzeugt ein Fuchs <strong>zu</strong> sein.<br />
<strong>Die</strong> beiden provozieren Ferdinand solange, bis er sich ganz unschäfisch, klar und deutlich<br />
wehrt. Er soll zeigen, ob er den Killerinstinkt hat, die Gans spielt das Opfer, sie provozieren<br />
wieder solange bis Ferdinand ihr das Genick bricht. – <strong>Die</strong> Gans aber hat auch das nur gespielt<br />
und will wissen, was er nun ist. Der Bär bestätigt: ›Ein Wolf, wie er im Buche steht.‹<br />
Szene 14 / Erinnerungen<br />
Von dieser Erfahrung überwältigt kommen Erinnerungen in Ferdinand hoch:<br />
Erinnerung 1: Er stapft mit seinen Wolfs-Eltern durch den Schnee.<br />
Erinnerung 2: Frauke und Wanja machen ein Schaf aus ihm.<br />
Erinnerung 3: Melanie begegnet ihm – doch sie ist tot.<br />
Erinnerung 4: Stimmen die Melanie gedenken.<br />
Der Boden wankt. Ferdinand ist verzweifelt und flüchtet.<br />
Szene 15 / Das Rudel<br />
<strong>Die</strong> junge Wölfin, die ihn jagte, Mascha, kommt mit Freund Jannis und alter Mutter. Sie teilen<br />
die letzten Reste. <strong>Die</strong> Situation ist trostlos.<br />
Ferdinand kommt. Er hat die Wölfe gesucht und gefunden, tritt hin<strong>zu</strong>. Ein Wildschwein habe er<br />
gesehen.<br />
Szene 16 / <strong>Die</strong> Jagd<br />
Man will es gemeinsam jagen, aber Jannis ist <strong>zu</strong> laut, das Schwein wird aufmerksam. Ferdinand<br />
beruhigt es durch ein ›Mäh‹. Sie können es hinterrücks erlegen.<br />
Sofort fressen alle. Ferdinand wird schlecht, er windet sich verzweifelt raus.<br />
Jannis und alte Mutter gehen gesättigt ab.<br />
10
Szene 17 / Mascha und Ferdinand<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Mascha fragt Ferdinand, warum er kein Fleisch esse. Sie interessiert sich für ihn, langsam wird<br />
klar, dass er aus der Welt kommt, in die sie unbedingt hinein möchte.<br />
Ferdinand hat die Wölfin gefunden und kann sie endlich fragen, ob sie Melanie getötet hat. Sie<br />
hat nicht.<br />
Ferdinand<br />
Mascha<br />
Ferdinand<br />
Mascha<br />
Wälder?<br />
Ich will, dass du mir zeigst wie ein Wolf lebt.<br />
Du bist fürs wölfische verloren.<br />
Warum?<br />
Wenn ich dir zeige, wie ein Wolf lebt, zeigst du mir dann die <strong>besseren</strong><br />
Szene 18 / Jagdinstinkt<br />
Mascha unterbricht jäh, als sie Beute wittert. Einen Bären und eine Gans. Sie geht in Deckung,<br />
Ferdinand bleibt halb verdeckt und sieht, wie der Bär kommt und mal muss – großes Geschäft.<br />
<strong>Die</strong> Gans begleitet ihn widerwillig. Beide ziehen wieder ab.<br />
Mascha fährt Ferdinand an, warum er nicht gejagt habe. Er erklärt, das das seine Freunde<br />
waren – Biene und Fuchs.<br />
Mascha zweifelt an seinem Verstand und erklärt ihm das Wölfischsein.<br />
Mascha<br />
Der Wolf liebt seine Freiheit, wundervoll ist es, das Wenige das man <strong>zu</strong> jagen<br />
kriegt, auch <strong>zu</strong> teilen.<br />
Wenn wir auf die Jagd gehen, dann um <strong>zu</strong> töten, das ist nicht böse gemeint,<br />
sondern Tradition. Tradition heißt, wenn alles bleibt wie es ist, muss sich nichts<br />
ändern! Hast du das verstanden, Wolf?<br />
Ferdinand erkennt die starren Grenzen auch dieser Welt und malt sich sein Wolfsein aus.<br />
Mascha stellt ihm Fragen <strong>zu</strong>m Leben in den <strong>besseren</strong> Wäldern. Zwei Suchende, die aber<br />
verschiedenes suchen, erleben eine innigen Begegnung.<br />
Szene 19 / Der Kampf<br />
In diesem Moment tauchen Jannis und die Alte Wölfin wieder auf. Ein Kampf auf Leben und<br />
Tod zwischen den jungen Männern entspinnt sich. Ferdinand gewinnt Oberhand, das<br />
Machtverhältnis ist geklärt, der Kampf ist für ihn beendet, er lässt von Jannis ab. Der streckt ihn<br />
hinterrücks nieder. <strong>Die</strong> Wölfe lassen ihn liegen und ziehen weiter. Nur Mascha bleibt noch<br />
einen Moment.<br />
11
Szene 20 / Letzte Worte – Neue Freunde<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Wanja und Frauke erinnern sich an den kleinen Ferdinand.<br />
Frauke<br />
Wanja<br />
Was hätten wir denn machen sollen, ihn erschlagen?<br />
Den Mord hat übrigens...<br />
Bär und Gans kommen des Weges und sehen Ferdinand. Sie beschließen hier eine Rast einlegen<br />
<strong>zu</strong> können und teilen sich die mitgebrachten Gänseleberbrote.<br />
Ferdinand erwacht, wundert sich sie hier wieder <strong>zu</strong> treffen und fragt wohin sie gehen.<br />
Bär<br />
Ferdinand<br />
Gans<br />
Asylantrag abgelehnt. Sie haben uns des Landes verwiesen, wir sind auf dem<br />
Weg nach Hause.<br />
Wo ist denn euer <strong>zu</strong> Hause?<br />
Ach mal hier, mal da…<br />
Sie essen weiter, teilen mit Ferdinand, packen weitere Dinge aus. Sie verändern den Ort im Hier<br />
und Jetzt.<br />
Wanja erinnert Ferdinand als Geschenk, dass sie kurzzeitig hatten. Frauke träumt von einer<br />
anderen Welt. Den Mord an Melanie hat pikanterweise ein Hütehund begangen und Beck<br />
wundert sich:<br />
Beck<br />
Ferd war mein bester Kumpel, ich hätte was gemerkt. Ein Wolf! Ferd war mehr<br />
Schaf als ich. Er war perfekt. Aber auf dieser Welt ist alles möglich. Warum soll<br />
ein Wolf kein Schaf sein?<br />
Es kommt doch nicht darauf an, wo du herkommst. Es kommt darauf an wo du<br />
hingehst und mit wem.<br />
12
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Kapitel 1:<br />
IDENTITÄT<br />
»Ich wollte ja nichts, als das <strong>zu</strong> leben versuchen, was von selber aus<br />
mir heraus wollte. Warum war das so schwer?«<br />
(Hermann Hesse in »Demian«)<br />
Hoffmann, Rummel, Breitrück<br />
13
Szenenausschnitte:<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Bär und Gans kommen, bemerken Ferdinand am Boden liegend<br />
Gans<br />
Bär<br />
Gans<br />
Na, wenn das nicht unser Wölfchen ist. Joi, den haben sie aber hübsch breit geklopft.<br />
Summ, summ, summ, ich fürchte es gibt ein paar böse Schafe hier draußen.<br />
Was machen wir? Warten wir, bis er von den Toten aufersteht? Oder lassen wir ihn<br />
liegen?<br />
Bär<br />
Gans<br />
Du weißt, ich hab ein gutes Herz. Sag du!<br />
Ich sag, wir sind den ganzen Tag gelaufen und bis nach Hause ist es noch weit. Wir<br />
machen Rast.<br />
Bär<br />
Einverstanden. Summdidumm. Komm wir essen was.<br />
Ferdinand wird wach.<br />
Gans<br />
Gans<br />
Ferdinand<br />
Gans<br />
Bär<br />
Ferdinand<br />
Bär<br />
Guten Abend, Killer. Na immer noch Wolf?<br />
Hunger?<br />
Was habt ihr?<br />
Gänseleberpastete, willst du?<br />
Sieben Kilo Honig gefällig?<br />
Ich denke ihr seid im Gefängnis.<br />
Asylantrag abgelehnt. Sie haben uns des Landes verwiesen, wir sind auf dem Weg nach<br />
Hause.<br />
Ferdinand<br />
Gans<br />
Wo ist denn euer <strong>zu</strong> Hause?<br />
Ach mal hier, mal da…<br />
*<br />
Beck<br />
So! Letzte Worte: Ferd war mein bester Kumpel, ich hätte was gemerkt. Ein Wolf! Ferd<br />
war mehr Schaf als ich. Er war perfekt. Aber auf dieser Welt ist alles möglich. Warum<br />
soll ein Schaf kein Wolf sein? Es kommt doch nicht darauf an, wo du herkommst. Es<br />
kommt darauf an wo du hingehst und mit wem.<br />
(Aus Szene 20)<br />
14
Identitätspoker<br />
von Lale Akgün<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Identität ist etwas Gutes, sie bedeutet nichts<br />
anderes als: Ich bringe mich auf einen<br />
Nenner! Aber Identität kann auch in blanken<br />
Extremismus abdriften, wenn sie von purer<br />
Vereinfachung (»ich bin Arzt«) in Chauvinismus<br />
umschlägt (»ich bin Arzt, und nur<br />
Ärzte sind gut.«)<br />
In diesem Moment vernachlässigt man<br />
tausend andere Stücke seines Identitätspuzzles.<br />
All das, was man auch ist - Frau,<br />
Mann, Angestellter, Golfspielerin, Autofahrer,<br />
Abiturientin -, wird unter den Teppich<br />
gekehrt. Jeder Mensch hat viele Identitäten<br />
<strong>zu</strong> bieten, multiple Identitäten. Einzelne<br />
Stücke können sich auch widersprechen:<br />
Man kann schwul sein und Muslim, obwohl<br />
der Koran Homosexualität ablehnt. Genauso<br />
wie man als Homo-sexueller auch gläubiger<br />
Katholik sein kann, obwohl auch das Alte<br />
Testament Homosexualität ablehnt und so<br />
mancher heutiger Bischof Schwule immer<br />
noch <strong>zu</strong>m Therapeuten schicken möchte,<br />
damit diese »gesunden«. Man kann auch<br />
gläubiger Christ sein, ohne irgendwas mit<br />
den evangelischen, katholischen und<br />
orthodoxen Kirchen am Hut <strong>zu</strong> haben.<br />
Der Identitätscocktail besteht aus mehr als<br />
einer Zutat.<br />
[...]<br />
Anders als die Bürger der vereinigten<br />
Staaten von Amerika haben sich die<br />
Deutschen ein Ideal von Einheit in die Köpfe<br />
gemeißelt. Blut, Kultur, Sprache und Religion<br />
– das »christliche Abendland« als Kitt für ein<br />
Land, das sich jahrhundertelang in den Religionskriegen<br />
zwischen Katholiken und<br />
Protestanten zerrieben hat. Nur wenige<br />
Nationen machen einen derartigen Fetisch<br />
um ihre Ausweise, nur wenige Industrieund<br />
<strong>Die</strong>nstleistungsstaaten verfallen in<br />
Hysterie wie die Deutschen, wenn es um die<br />
Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft<br />
geht. Nur wenige Landsleute gehen<br />
aber auch so hart mit sich ins Gericht, wie<br />
das die Deutschen tun. Identität ist also das<br />
Ergebnis der Suche nach einem Wertekonsens,<br />
der die Nation <strong>zu</strong>sammenschweißt.<br />
Aber was gehört denn nun <strong>zu</strong> einer<br />
»Leitkultur« Goethe, Schiller? Helmut <strong>Die</strong>tl<br />
und <strong>Die</strong>ter Bohlen? Alice Schwarzer? Fatih<br />
Akın etwa auch? Jogi Löw genauso wie<br />
Cacau?<br />
»Was ist deutsch?« fragt auch der ägyptische<br />
Autor Hamed Abdel- Samad: »Rilke<br />
und Goethe, Hitler und Göring. <strong>Die</strong> Ruinen<br />
und der Wiederaufbau. Das geteilte Deutschland<br />
und das der friedlichen Wiedervereinigung.<br />
Disziplin und Zielstrebigkeit,<br />
›Made in Germany‹ und natürlich die<br />
deutsche Fußballnationalmannschaft, die<br />
fast jedes Spiel gewann, obwohl sie nicht<br />
besonders attraktiv spielte.«<br />
Sollen alle in diesen Identitätspoker<br />
einsteigen? Wer hat das As im Ärmel, wer<br />
»hat mehr Leitkultur als andere?« Wer ist<br />
deutscher als die anderen? Und wer ist der<br />
deutscheste?<br />
Aus: Akgün, Lale (2010), Aufstand der Kopftuchmädchen. Deutsche<br />
Musliminnen wehren sich gegen den Islamismus, München<br />
15
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Das Prinzip Hoffnung<br />
von Ernst Bloch<br />
»Ich bin. Aber ich habe mich noch nicht.«<br />
»Wer sind wir? Wo kommen wir her?<br />
Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was<br />
erwartet uns? Viele fühlen sich nur als<br />
verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht<br />
warum und von was. <strong>Die</strong>ser ihr Zustand ist<br />
Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht.<br />
Einmal zog einer aus, das Fürchten <strong>zu</strong><br />
lernen. Das gelang in der eben vergangenen<br />
Zeit leichter und näher, diese Kunst ward<br />
entsetzlich beherrscht. Doch nun wird, die<br />
Urheber der Furcht abgerechnet, ein uns<br />
gemäßeres Gefühl fällig.<br />
Es kommt darauf an, das Hoffen <strong>zu</strong> lernen.<br />
Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins<br />
Gelingen verliebt statt ins Scheitern.« (Aus<br />
dem Vorwort)<br />
Aus: Bloch, Ernst (1959). Das Prinzip Hoffnung, Berlin<br />
Sieben Sekunden<br />
von Deniz Utlu<br />
Vielleicht sind es wirklich nur sieben Sekunden.<br />
Wir erblicken das Licht der Welt. Wir sind nackt.<br />
Nicht schwarz, nicht weiß, nicht Arbeiter, nicht Professor, nicht klug, nicht dumm.<br />
Kein Mig – ratio – ns – hintergrund. Wir sind. Sieben Sekunden lang sind wir. Sieben Sekunden<br />
stilles Sein, sieben Sekunden frei.<br />
Und dann.<br />
Ein Arzt hält uns in den Händen, eine Hebamme, ein Pfleger, eine Mutter. Man sieht uns an.<br />
Man spricht uns <strong>zu</strong>. Man reicht uns weiter.<br />
Der erste Blick schon, der uns trifft, die erste Berührung, erzählt eine Geschichte. Und der Fall<br />
beginnt.<br />
Es gab eine Zeit, eine kleine Zeit davor. Vor dem Fall. Wie fühlte sie sich an? Wie lange währte<br />
sie?<br />
Zwei Sekunden? Sieben? Einen Tag?<br />
Wie lange dauerte es, bis etwas normal wurde, bis etwas anders wurde?<br />
Man schult uns.<br />
Man schult uns um.<br />
Alles bekommt einen Namen, alles eine Zeit. Das dreißigste Jahr.<br />
Das vierzigste Jahr.<br />
Zäsuren in einem Leben.<br />
<strong>Die</strong> Serviette auf den Schoß legen beim Essen.<br />
Aus: Utlu, Deniz, Sezgin, Hilal (Hrsg.), 2011: Manifest der Vielen, Blumenbar, Berlin<br />
16
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Deutschsein- Wo bleibt der deutsche Traum?<br />
von Zafer Senocak<br />
Jede Einwanderungsgesellschaft braucht eine<br />
spezielle Zukunftsvision, die über ihre<br />
Selbstbeschreibung hinausgeht, die mehr<br />
sein muss als die Bewahrung bestehender<br />
Strukturen. <strong>Die</strong>se Vision kann als eine<br />
Gefährdung des eigenen Selbstverständnisses,<br />
aber auch als Chance wahrgenommen<br />
werden, dieses Eigene <strong>zu</strong> erweitern.<br />
Zunächst aber braucht die Gesellschaft einen<br />
Konsens über dieses Eigene. (…) Nach dem<br />
Fall der Mauer konzentrierte sich Deutschland<br />
auf die Einheit von Ost und West. <strong>Die</strong><br />
Lebenswirklichkeit von Nichtdeutschen, die<br />
auf deutschem Boden Wurzeln geschlagen<br />
hatten, trat in den Hintergrund und wurde<br />
jahrelang im Osten ganz anders wahrgenommen<br />
als im Westen. Über die deutsche Einheit<br />
diskutierten allein Deutsche miteinander.<br />
Stimmen von Migranten wurden nur<br />
im Zusammenhang mit fremdenfeindlichen<br />
und rassistischen Übergriffen wahrgenommen.<br />
So konstruierte sich die Wiedervereinigung<br />
als ein nationaler Prozess, bei dem<br />
es vor allem um die Rekonstruktion<br />
nationaler Identität ging. Das Zusammenwachsen<br />
ist jedoch ein widersprüchlicher<br />
Prozess, denn die Deutschen bilden keine<br />
homogene Erinnerungsgemeinschaft. Sie leben<br />
in der Erinnerungsvielfalt.<br />
Nie gab es in Deutschland mehr Freiheit als<br />
heute, nie gab es mehr Wohlstand. Und<br />
<strong>zu</strong>gleich gab es, mit Ausnahme der frühen<br />
1920er Jahre, den Jahren der Inflation und<br />
der Not, nie so viel Angst wie heute. Angst<br />
vor Überfremdung, Angst vor den Folgen der<br />
Globalisierung, Angst vor dem Islam. Wie ist<br />
diese Diskrepanz <strong>zu</strong> erklären? Brauchen die<br />
Deutschen vielleicht Angst<strong>zu</strong>stände, um sich<br />
selbst wahr<strong>zu</strong>nehmen?<br />
Aus: Senocak, Zafer (2011). Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift,<br />
Hamburg<br />
Schubert, Rummel, Kordeck<br />
17
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Demian – <strong>Die</strong> Geschichte einer Jugend<br />
von Hermann Hesse<br />
Ich wollte ja nichts, als das <strong>zu</strong> leben<br />
versuchen, was von selber aus mir heraus<br />
wollte. Warum war das so schwer? (…)<br />
Das Leben eines jeden Menschen ist ein Weg<br />
<strong>zu</strong> sich selber hin, der Versuch eines Weges,<br />
die Andeutung eines Pfades. Kein Mensch ist<br />
jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder<br />
strebt dennoch, es <strong>zu</strong> werden, einer dumpf,<br />
einer lichter, jeder wie er kann. Jeder trägt<br />
Reste von seiner Geburt, Schleim und Eierschalen<br />
einer Urwelt, bis <strong>zu</strong>m Ende mit sich<br />
hin. Mancher wird niemals Mensch bleibt<br />
Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise.<br />
Mancher ist oben Mensch und unten Fisch.<br />
Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem<br />
Menschen hin. Und allen sind die Herkünfte<br />
gemeinsam, die Mütter, wir alle kommen<br />
aus demselben Schlunde; aber jeder strebt,<br />
ein Versuch und Wurf aus den Tiefen,<br />
seinem eigenen Ziel <strong>zu</strong>. Wir können<br />
einander verstehen; aber deuten kann jeder<br />
nur sich selbst.<br />
Aus: Hesse, Hermann (1919). Demian. <strong>Die</strong> Geschichte einer Jugend,<br />
Berlin<br />
Kultur als Eisberg<br />
von Matthias Killian<br />
Sichtbarer Teil des Eisbergs:<br />
Sprache, Essen, Kleidung.....<br />
Nichtsichtbarer Teil:<br />
Unter der Oberfläche befindet sich ein nichtsofort-erkennbarer<br />
Teil:<br />
Kommunikationsstile, Überzeugungen, Verhaltensweisen,<br />
Werte und Wahrnehmungsmuster.<br />
Konsequenzen:<br />
Wir sind uns nur <strong>zu</strong> einem kleinen Teil<br />
bewusst, welcher mentalen Programmierung<br />
wir ausgesetzt sind.<br />
Wie wir uns dadurch von kulturell andersartig<br />
geprägten Menschen unterscheiden,<br />
hängt vom nicht-sichtbaren Teil ab.<br />
Zusammentreffen von Kulturen<br />
Treffen zwei Menschen aus verschiedenen<br />
Kulturen aufeinander, neigen sie da<strong>zu</strong>, das<br />
Verhalten ihres Gegenübers anhand ihrer<br />
eigenen Werte und Einstellungen <strong>zu</strong><br />
interpretieren.<br />
Ursache für Missverständnisse<br />
Sind sie sich stets bewusst, dass jedes ihrer<br />
Worte und jede ihrer Gesten von jemandem<br />
aus einem anderen Kulturkreis völlig anders<br />
interpretiert werden kann?<br />
Wir sehen:<br />
• unsere Umwelt<br />
• unsere Mitmenschen<br />
• uns selbst<br />
durch die Brille unserer eigenen kulturellen<br />
Prägung(en).<br />
Und so tun es auch unsere anderskulturellen<br />
Partner.<br />
Matthias Kilian ist Dozent am Zentrum für Interkulturelles<br />
Management an der Hochschule Bremen<br />
18
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Fragen und Übungen <strong>zu</strong>m Thema »Identität«<br />
• Was bedeutet für euch Identität?<br />
• Von was ist Identität geprägt?<br />
• Beschreibe Ferdinand. Was macht ihn aus?<br />
• Beschreibe Beck. Was ist er für ein Typ? Was für Träume hat er?<br />
• Wer sind Bär und Gans? Was ist das Besondere an ihnen?<br />
• Beschreibe Wanja und Frauke. Wie stellen sie sich ihr Leben vor?<br />
• Beschreibe Melanie. Was ist ihre Vorstellung vom Leben?<br />
• Beschreibe den Opa. Woran orientiert sich sein Leben?<br />
• Beschreibe Yannis. Was sind seine Wünsche im Leben?<br />
• Beschreibe Mascha. Wie stellt sie sich »die <strong>besseren</strong> Wälder» vor?<br />
• Beschreibe die Identität der Wölfe.<br />
• Beschreibe die Identität der Schafe.<br />
• Was unterscheidet die Wölfe und Schafe?<br />
• Was bedeutet Fremd sein?<br />
• Wo kann man Fremd sein?<br />
• An welchen Merkmalen macht Ihr Fremdheit aus?<br />
Breitrück, Rummel<br />
19
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Poesiealbum<br />
Gemeinsam wird mit den Jugendlichen ein<br />
Interviewbogen entworfen, angelehnt an die<br />
Poesiealben. <strong>Die</strong> gesammelten Fragen beantworten<br />
sich nun immer zwei Jugendliche.<br />
Hierfür haben sie ca. 15 Minuten Zeit.<br />
Anschließend werden die Bögen als Steckbriefe<br />
an die Wand gehängt.<br />
Ziele:<br />
• gegenseitig besser kennen lernen<br />
• überlegen welche Informationen über<br />
einen Menschen überhaupt von Bedeutung<br />
sind<br />
Stammbaum<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen bekommen einen großen<br />
Papierbogen auf den sie einen Stammbaum<br />
malen. Folgende Aspekte sollen <strong>zu</strong> sehen<br />
sein:<br />
Wurzeln: <strong>Die</strong> Herkunft. Sie stehen für die<br />
Vergangenheit.<br />
Der Stamm: Ist die Familie, wichtige<br />
Freunde. Er steht für die Gegenwart.<br />
Blätter: <strong>Die</strong>se stehen für die Zukunft und die<br />
Pläne für diese.<br />
Ziele:<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit eigener Lebenswelt<br />
und Umgebung<br />
Unser Alltag<br />
<strong>Die</strong> Gruppe findet sich in einem Kreis ein.<br />
Jede Person hat dabei die Möglichkeit den<br />
anderen <strong>zu</strong> sehen.<br />
<strong>Die</strong> Spielleitung fragt was die Jugendlichen<br />
am gestrigen Tag um 8.00 Uhr in der Frühe<br />
gemacht haben. <strong>Die</strong> Schüler haben die<br />
Aufgabe ihre Aktivität pantomimisch<br />
dar<strong>zu</strong>stellen. Alle gemeinsam gehen somit<br />
durch den Tag. Was geschieht nach der<br />
Schule? Welche Aktivität scheint besonders<br />
beliebt <strong>zu</strong> sein? Wo gibt es Gemeinsamkeiten,<br />
wo gibt es Unterschiede?<br />
Nachdem der Tag im JETZT endet, kann gegebenenfalls<br />
eine Reflektionsrunde das Spiel<br />
abschließen.<br />
Variation:<br />
Das pantomimische Spiel kann nun in Kleingruppen<br />
weiterentwickelt werden. Dabei<br />
haben die Kleingruppen (3 bis 6 Personen)<br />
die Aufgabe ihre typischen Verhaltensweisen<br />
szenisch (alles ist erlaubt) aus<strong>zu</strong>arbeiten.<br />
Gibt es wesentliche Gemeinsamkeiten?<br />
Gibt es spezielle kulturelle Verhaltensweisen?<br />
Wichtig dabei ist, dass die Gruppen<br />
genügend Zeit beim selbständigen Ausarbeiten<br />
haben und die Vorstellung der »Arbeiten«<br />
einen würdigen Rahmen bekommen.<br />
Ziele:<br />
• Bewusst werden über eigene Lebensführung/Abläufe<br />
die sich verinnerlicht<br />
haben<br />
Szenenvorschlag:<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen überlegen sich in Kleingruppen<br />
Situationen in denen Menschen<br />
aufgrund ihrer Identität von der Umwelt<br />
starke Reaktionen entgegengebracht bekommen.<br />
<strong>Die</strong>se können positiv wie negativ sein.<br />
Sie haben nun 15 Minuten Zeit sich kleine<br />
Szenen einfallen <strong>zu</strong> lassen, in denen sie die<br />
Situationen präsentieren. Anschließend präsentieren<br />
die Gruppen sich ihre Szenen<br />
gegenseitig.<br />
Szenische Aufgabe:<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen werden in Gruppen geteilt<br />
und lesen gemeinsam die Szenenausschnitte,<br />
die am Anfang des Kapitels stehen. Sie<br />
erhalten die Aufgabe <strong>zu</strong> überlegen, was sie<br />
für Situationen mit Menschen hatten oder<br />
kennen, in denen jemand ein anderes Selbstbild<br />
von sich hatte, als die Umwelt.<br />
Sie bekommen ca. 10 min. sich hier<strong>zu</strong> kurze<br />
Szenen einfallen <strong>zu</strong> lassen. Anschließend<br />
werden diese präsentiert.<br />
20
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Kapitel 2:<br />
KULTURELLE VIELFALT<br />
»Ich muss das Andere im Anderen kennen und schätzen lernen, um<br />
das Andere in mir selbst besser <strong>zu</strong> verstehen.«<br />
(Adolf Muschg)<br />
Kordeck, Rummel, Schubert<br />
21
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Szenenausschnitt:<br />
Ferdinand Warum seid ihr hier?<br />
Bär<br />
Honigdieb. 7 Jahre für sieben Kilo. Justizirrtum.<br />
Ferdinand Du warst es nicht?<br />
Gans<br />
Er kann es nicht gewesen sein. Sie ihn dir an, das pelzige Fell, gelb schwarz gestreiftes Hemd,<br />
wie soll so einer Honig klauen, er ist eine Biene!<br />
Bär<br />
Unschuldig im Sinne der Anklage. Bssssssssssssssss.<br />
Ferdinand Er ist was?<br />
Bär<br />
Mir haben sie auch nicht geglaubt. Nur weil ich nicht fliegen kann, dabei kann ich fliegen, pass<br />
mal auf.<br />
Er zeigt es.<br />
Bär<br />
Bsssssssssssssss.<br />
Ferdinand Aber du fliegst nicht.<br />
Bär<br />
Klar fliege ich, ich hebe nur nicht ab − Wenn ich raus komm werd ich Imker, dann hab ich<br />
hundert Stöcke und mache sieben Kilo am Tag!<br />
[...]<br />
Ferdinand Und warum bist du hier?<br />
Gans<br />
Ich bin ein Fuchs.<br />
Ferdinand (lacht) Du siehst aber aus wie eine Gans.<br />
Gans<br />
Das haben die anderen Gänse auch gedacht.<br />
Jetzt lachen Gans und Bär.<br />
Ferdinand Aber du hast doch keine Gänse gefressen?<br />
Gans<br />
Gott bewahre, zähes Federvieh. Ich esse was mir schmeckt und bin was ich gebrauchen kann.<br />
Ich fürchte mich vor nichts. Und eine Gans, die sich nicht fürchten muss, ist ein Fuchs, oder?!<br />
Ferdinand Ihr spinnt! Du bist ein Bär, du eine Gans und nur weil ihrs nicht glauben wollt, wird keine<br />
Wahrheit draus. Du wirst niemals fliegen, fetter Bär! Und eine Gans wie du sollte nicht tun wie<br />
ein Fuchs, sonst gehst du eines Tages hin und sagst, Hallo meine Brüder und dann wirst du<br />
gefressen samt Federn und Flausen.<br />
Gans<br />
Na, du kennst dich ja aus im Fressgeschäft. Vielleicht hast du die Kleine doch auf dem Gewissen.<br />
Ferdinand Ich bin kein Wolf!<br />
Gans<br />
Probier es aus.<br />
Ferdinand Das kann man nicht.<br />
Bär<br />
Herrgott, du dummes Tier, sei was du willst, ein Stier, ein Schaf, ein heißer Furz im Arsch deiner<br />
Mutter, wenn es hilft die Fliegen aus der Küche <strong>zu</strong> vertreiben.<br />
22<br />
(Aus Szene 13)
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Allgemeine Erklärung <strong>zu</strong>r kulturellen Vielfalt<br />
Artikel 1 - Kulturelle Vielfalt: das<br />
gemeinsame Erbe der Menschheit<br />
Im Laufe von Zeit und Raum nimmt die<br />
Kultur verschiedene Formen an. <strong>Die</strong>se Vielfalt<br />
spiegelt sich wieder in der Einzigartigkeit<br />
und Vielfalt der Identit-äten, die die Gruppen<br />
und Gesellschaften kennzeichnen, aus denen<br />
die Menschheit besteht. Als Quelle des<br />
Austauschs, der Erneuerung und der Kreativität<br />
ist kulturelle Vielfalt für die<br />
Menschheit ebenso wichtig wie die biologische<br />
Vielfalt für die Natur. Aus dieser<br />
Sicht stellt sie das gemeinsame Erbe der<br />
Menschheit dar und sollte <strong>zu</strong>m Nutzen<br />
gegenwärtiger und künftiger Generationen<br />
anerkannt und bekräftigt werden.<br />
Artikel 3 - Kulturelle Vielfalt als<br />
Entwicklungsfaktor<br />
Kulturelle Vielfalt erweitert die Freiheitsspielräume<br />
jedes Einzelnen; sie ist eine der<br />
Wurzeln von Entwicklung, wobei diese nicht<br />
allein im Sinne des wirtschaftlichen Wachstums<br />
gefasst werden darf, sondern als Weg<br />
<strong>zu</strong> einer erfüllteren intellektuellen, emotionalen,<br />
moralischen und geistigen Existenz.<br />
Aus: <strong>Die</strong> Allgemeine Erklärung <strong>zu</strong>r kulturellen Vielfalt,<br />
verabschiedet von der 31. UNESCO-Generalkonferenz im November<br />
2001 in Paris<br />
Interkultur<br />
von Mark Terkessidis<br />
(...) Wo die Mittel <strong>zu</strong>r Reflexion fehlen, greift<br />
man auf die verbreiteten Wissensbestände<br />
<strong>zu</strong>rück, und die besagen in Deutschland: <strong>Die</strong><br />
Kinder mit Migrationshintergrund sind von<br />
vorneherein anders, selbst wenn sie ihr<br />
ganzes Leben in Deutschland verbracht<br />
haben. Das aber ist ein schwerer und<br />
folgenreicher Irrtum, da diese Herangehensweise<br />
die Kinder anders macht. (...) In<br />
Interviews, die ich mit Personen aus der<br />
sogenannten zweiten Generation über das<br />
Thema Rassismus geführt habe, meinte eine<br />
der Teilnehmerinnen rückblickend über ihre<br />
Kindheit: »Ich hab mich nie als Ausländerin<br />
gefühlt.« Bis <strong>zu</strong> einem gewissen Zeitpunkt.<br />
Bis <strong>zu</strong> dem Zeitpunkt nämlich, als sie <strong>zu</strong>m<br />
ersten Mal bemerkte, dass sie sich zwar<br />
selbst nicht als anders betrachtete, von<br />
vielen Mitmenschen jedoch so gesehen<br />
wurde. Dass dieses »erste Mal« ein<br />
scheinbar unbedeutendes Erlebnis sein<br />
kann, zeigt das Beispiel des kleinen Mehmet,<br />
der den Wettbewerb »Sicher durch den<br />
Straßenverkehr« gewonnen hatte. Er wurde<br />
daraufhin <strong>zu</strong> einem Empfang beim Bürgermeister<br />
geladen und war dort das einzige<br />
Kind mit Migrationshintergrund. Als der<br />
Bürgermeister fragte, woher er denn komme,<br />
da nannte Mehmet den Namen des Dorfes in<br />
der Nähe von Bielefeld, in dem er mit seinen<br />
Eltern wohnte, worauf der gesamte Saal in<br />
Lachen ausbrach. <strong>Die</strong> Anwesenden hatten<br />
erwartet, der Junge würde sich als »Ausländer«<br />
identifizieren und sagen: »Ich komme<br />
aus der Türkei.« Für Mehmet barg dieses<br />
Erlebnis eine initiale Erkenntnis – die Erkenntnis<br />
nämlich, dass er anders ist, dass er<br />
von woanders kommt und dass er nicht<br />
da<strong>zu</strong>gehört.»<br />
Aus: Terkessidis. Mark (2010): Interkultur, Berlin<br />
23
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Deutschland schafft mich ab<br />
von Hilal Sezgin<br />
Debatten, wie Thilo Sarrazin sie führt, haben<br />
mich als türkischstämmige Intellektuelle<br />
muslimifiziert. Was ist in diesem Land nur<br />
schief gelaufen?<br />
Und wieder stehen »muslimische Migranten«<br />
im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.<br />
<strong>Die</strong>ses Mal dank Thilo Sarrazin und seinem<br />
Buch Deutschland schafft sich ab. Allerdings<br />
ist er nicht der Erste, für den die Worte<br />
muslimisch und migrantisch offenbar dasselbe<br />
bezeichnen. Das geht schon seit Jahren<br />
so. Vielleicht gibt es in unseren neuen<br />
biometrischen Pässen bereits eine Rubrik dafür?<br />
Einmal Migrant, immer Migrant. Einmal<br />
Muslim, immer Fremder. Wie jeder weiß,<br />
bedeutet das unter anderem, bildungsfern<br />
und -faul <strong>zu</strong> sein. Als Mädchen bereits unters<br />
Kopftuch, dann in die Ehe gezwungen <strong>zu</strong><br />
werden. Muss ich mal nachdenken, ob das<br />
so stimmt. (…)<br />
In Frankfurt am Main bin ich geboren und<br />
teilweise auch aufgewachsen, nämlich<br />
zwischen dem Senckenberg-Naturkundemuseum<br />
mit seinen Dinosaurierskeletten,<br />
einem geheimnisumwobenen Skorpionkeller<br />
in der Myliusstraße und dem Springbrunnen<br />
auf dem Campus der Universität. Meine<br />
beiden Eltern sind nämlich Wissenschaftshistoriker<br />
mit Leib und Seele. Als ich klein<br />
war, übte mein Vater mit mir in der Küche<br />
anhand von Töpfen und Stühlen die<br />
Bewegungen des Planetensystems. Das<br />
gereichte mir später <strong>zu</strong>m Nachteil, als ich<br />
<strong>zu</strong>r Lehrerin sagte, auch unser Sonnensystem<br />
sei in Bewegung; offizielles Grundschulwissen<br />
besagte, die Sonne stünde fix.<br />
Meine Mutter wiederum schleppte mich in<br />
Museen, ohne Baedeker, dafür aber mit<br />
ihrem furchteinflößenden Gedächtnis im<br />
Gepäck. Wenn an den Wänden Bilder längst<br />
verstorbener Adliger hingen (Otto der<br />
24<br />
Furchtsame, Isabella die Hartherzige, oder<br />
wie sie alle hießen), begrüßte sie jeden von<br />
ihnen wie einen alten Bekannten. Auch sie<br />
sorgte in der Grundschule für Ärger, weil sie<br />
sich immer über die Farben der Schülertoiletten<br />
lustig machte: Rosa für die<br />
Mädchen, Hellblau für die Jungs. <strong>Die</strong>ses<br />
Apartheidsystem der Geschlechter war ihr<br />
ein Gräuel, ebenso wie meinem Vater, der<br />
mir, sobald ich nur einen Hammer halten<br />
konnte, sämtliche Inhalte seiner Werkbank<br />
überließ. Bildungsunwillig und patriarchal<br />
klingt das nicht.<br />
Ja, könnte Sarrazin da sagen, aber das sind<br />
halt einzelne Gegenbeispiele. <strong>Die</strong> gibt’s<br />
immer. Heißt nicht, dass die allgemeinen<br />
Aussagen komplett falsch sind… – Doch, das<br />
sind sie! An diesem Muslim-Diskurs, wie er<br />
von Sarrazin und zig anderen Protagonisten<br />
unserer Medienlandschaft geführt wird, ist<br />
alles falsch. Grundfalsch. Weil er für Millionen<br />
von Menschen wenige, grobe Rubriken<br />
entwirft – die bereits nach genau<br />
jenen Bildern und Vorurteilen modelliert<br />
sind, die bestätigt werden sollen. Migrant,<br />
Muslim, Deutscher, Fremder – dieser Diskurs<br />
trennt einzelne Bevölkerungsteile säuberlich<br />
voneinander, stellt sie einander gegenüber<br />
und hetzt sie sogar gegeneinander auf.<br />
<strong>Die</strong>ser Diskurs ist falsch, weil er keinen<br />
Raum lässt für das Eigenrecht gelebten<br />
Lebens und die bescheidene Erkenntnis aller<br />
empirisch arbeitenden Soziologen: Wirklich<br />
angemessen wäre nur eine Karte im<br />
Maßstab 1:1.<br />
Vielleicht reichen die wenigen Sätze über<br />
meine Jugend bereits, damit Sie mir glauben,<br />
dass meine Eltern und ich zwar Muslime<br />
sind – aber eben nicht von der schlimmen<br />
Sorte, die man ständig im Fernsehen sieht.<br />
Solche also, die kein Deutsch lernen wollen,
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Bomben gegen Andersgläubige einsetzen,<br />
Hartz IV abzocken und in ihrer Freizeit<br />
Zwangsverheiratung praktizieren. Wir also<br />
sind nicht »so«. Aber bitte glauben Sie mir<br />
auch etwas viel Wichtigeres: Ganz viele<br />
andere Muslime sind es eben auch nicht!<br />
Überhaupt würde ich die These wagen:<br />
Muslime sind beinahe normale Leute.<br />
Stärkere These: Individuen sogar! Mit unterschiedlichen<br />
Fähigkeiten und Berufen, mit<br />
Träumen und Ängsten… (…)<br />
Nach dem Sturz des Schahs sind viele<br />
intellektuelle Iraner vor dem Regime der<br />
Mullahs nach Deutschland geflohen. Viele<br />
politisch links stehende Türken und Kurden<br />
kamen hierher, weil sie von den politischideologischen<br />
Kämpfen in der Heimat fast<br />
zerrieben wurden. All diese Menschen, ihre<br />
Kinder und Kindeskinder gelten jetzt als<br />
Muslime. (…) Auch Sarrazin übrigens<br />
interessiert sich eigentlich nur für zwei<br />
Bevölkerungsgruppen: für die muslimischen<br />
Migranten und die gleichsam »echten«<br />
Deutschen, nämlich die ohne Migrationshintergrund.<br />
45 Prozent aller in Deutschland<br />
lebenden Muslime besitzen die deutsche<br />
Staatsbürgerschaft, sind also Deutsche. Wo<br />
sollen die hin? Gibt es im Kopf von Sarrazin<br />
und Konsorten keinen Platz für sie? Ist man<br />
denn entweder Muslim oder Deutscher? (…)<br />
Als Frau wird man nicht geboren, <strong>zu</strong>r Frau<br />
wird man gemacht, schrieb einst Simone de<br />
Beauvoir als Credo des Feminismus. Laut<br />
herkömmlicher islamischer Auffassung wird<br />
jeder Mensch als Muslim geboren. Meine<br />
Erfahrung ist allerdings anders: Auch <strong>zu</strong>m<br />
Muslim wird man gemacht. Egal, ob man<br />
will, egal, was man gelernt hat. Wenn man<br />
einen bestimmten Teint hat, eine »typische«<br />
Nase, einen »einschlägigen« Namen, Eltern<br />
aus einem der verdächtigen Länder. Von<br />
einem Prozess der Ethnisierung sprechen<br />
Soziologen: Eine ursprünglich religiöse<br />
Kategorie wird <strong>zu</strong>r ethnischen Beschreibung.<br />
Ich nenne es: Muslimifizierung. Manchmal<br />
begehe ich dabei den Fehler, von »den«<br />
Deutschen <strong>zu</strong> sprechen. Was natürlich falsch<br />
ist. Es gibt diese hingebungsvollen Lehrerinnen,<br />
die alle Kinder gleichermaßen unterstützen,<br />
es gibt Menschen, die seit Jahrzehnten<br />
in der interkulturellen Arbeit aktiv<br />
sind und die derzeitige Entwicklung so<br />
fassungslos betrachten wie ich. Es gibt »die«<br />
Deutschen so wenig wie es »die« Muslime<br />
gibt. Das Problem ist: Für eine steigende<br />
Zahl anderer Deutscher sind Muslime nie<br />
Teil des gemeinsamen Wir, sondern immer<br />
die anderen. »Sie« machen »uns« <strong>zu</strong><br />
»denen«.<br />
Und tatsächlich, ob »wir« dies ursprünglich<br />
wollten oder nicht, wir rücken enger <strong>zu</strong>sammen.<br />
Auf Facebook chatten wir darüber, wie<br />
sehr uns die Islam-Debatte auf die Nerven<br />
geht. Sobald drei, vier türkischstämmige<br />
Ingenieure, Ärzte und Rechtsanwälte <strong>zu</strong>sammen<br />
in einem Raum sind, werden sie<br />
anfangen, einander von ihren Auswanderungsfantasien<br />
<strong>zu</strong> erzählen. »Ja, früher«,<br />
heißt es meistens, »da konnte man noch ins<br />
multikulturelle Holland. Jetzt wählen die<br />
Holländer Geert Wilders.« In Österreich<br />
wurden die Rechten mit 17 Prozent in den<br />
Nationalrat gewählt. In Frankreich wirft<br />
Sarkozy <strong>zu</strong>nächst die Burka-Trägerinnen,<br />
jetzt auch die Roma den Stammtischen <strong>zu</strong>m<br />
Fraß vor und regt an, bestimmten straffällig<br />
gewordenen Immigranten ihre französische<br />
Staatsbürgerschaft <strong>zu</strong> entziehen. Auswandern<br />
– gerne. Aber wohin? Man muss<br />
bedenken, dass solche Auswanderungsgespräche<br />
unter Akademikern geführt werden,<br />
also Menschen mit Beruf und Bildung, die<br />
sich ausdrücken und ihren Teil von<br />
Anerkennung erkämpfen können. Ich mag<br />
mir kaum vorstellen, wie sich Muslimifizierung<br />
für eine Gruppe testosteronbefeuerter<br />
Jugendlicher mit der Berufsprognose<br />
Langzeitarbeitslosigkeit anfühlt. Was haben<br />
sie, woran können sie sich festhalten?<br />
Denn tatsächlich geht es um Anerkennung<br />
und um das Vorenthalten derselben. Nicht<br />
nur um Anerkennung für eine einzelne<br />
25
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Leistung, sondern um die Anerkennung als<br />
Subjekt eines eigenen Lebens. Als eine<br />
Person, die arbeitet, lebt, liebt, denkt; die<br />
Pläne hat, die sie verwirklichen will, und<br />
Überzeugungen, die ihr etwas bedeuten. In<br />
einer modernen Demokratie sind wir alle<br />
Gleiche unter Gleichen – in dem Wissen,<br />
dass jeder sein eigener, besonderer, den<br />
anderen weder über- noch untergeordneter<br />
kleiner Kosmos ist. In abstrakter Hinsicht<br />
sind wir alle gleichermaßen dafür <strong>zu</strong><br />
respektieren, dass wir in konkreter Hinsicht<br />
besonders sind. Jeder von uns. Es ist für das<br />
Selbstverständnis eines modernen Menschen<br />
zentral, nicht nur Exemplar einer<br />
sozialen Kategorie <strong>zu</strong> sein, sondern<br />
Individuum – und von anderen auch als<br />
solches wahrgenommen <strong>zu</strong> werden. <strong>Die</strong>se<br />
Art von Anerkennung ist fürs Soziale so<br />
lebens-wichtig wie die Luft <strong>zu</strong>m Atmen, und<br />
Entwicklungen wie die Muslimifizierung<br />
drohen sie ab<strong>zu</strong>schnüren.<br />
Dass dennoch die Frage der muslimischen<br />
Religions<strong>zu</strong>gehörigkeit fast schon <strong>zu</strong>r<br />
öffentlichen Obsession geworden ist, verdankt<br />
sich <strong>zu</strong> einem Teil jenem Identitätsgeschwätz,<br />
das viele Leute als Multikulturalismus<br />
missverstehen. Angeblich fußt Multikulturalismus<br />
auf kulturellen Identitäten,<br />
doch das ist Unfug. Multikulturalismus ist<br />
das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher<br />
Herkunft unter gleichberechtigten<br />
Bedingungen. Identität ist eine<br />
Schablone, die man Menschen aufdrückt,<br />
mit denen man sich nicht von Mensch <strong>zu</strong><br />
Mensch unterhalten will. Stattdessen glaubt<br />
man über deren »Kultur« ja bereits so viel <strong>zu</strong><br />
wissen oder hat noch so viele interessierte<br />
Fragen! <strong>Die</strong> Antworten soll dann jemand<br />
liefern, der die entsprechende »kulturelle<br />
Identität« besitzt. Doch nicht jeder, der einen<br />
arabischen Namen trägt, kann aus dem<br />
Stand den Koran rezitieren oder interpretieren,<br />
ebenso wenig wie sich die neue<br />
Kollegin ostasiatischer Abstammung automatisch<br />
für den Reiskocher in der Kantine interessiert.<br />
Zum Teil handelt es sich also auch einfach<br />
um blanken Rassismus. (…)<br />
Denn, um die Geschichte meiner Jugend <strong>zu</strong><br />
Ende <strong>zu</strong> erzählen: Nach meinem katholischen<br />
Abitur studierte ich Philosophie in<br />
Frankfurt. (…)<br />
<strong>Die</strong> Diskussionen, in die ich heute verwickelt<br />
werde, handeln nicht von der Postmoderne<br />
oder von Hegels Rechtsphilosophie. (…) In<br />
der Bibliothek des philosophischen Instituts<br />
stand ein fünfbändiges Werk <strong>zu</strong>r Bedeutung<br />
des Verbs »sein« in sämtlichen bekannten<br />
Sprachen. Solch feine Differenzierungen<br />
lernten wir. Heute bin ich damit beschäftigt,<br />
falsche Koranzitate ab<strong>zu</strong>wehren und mich<br />
vom Terrorismus <strong>zu</strong> distanzieren. Ich »bin«<br />
schließlich Muslimin. Obwohl ich hier<br />
geboren und aufgewachsen bin, »bin« ich<br />
muslimische Migrantin. Ich frage mich, ab<br />
wann da etwas schiefgegangen ist und wie<br />
man es wieder hinbiegen kann.<br />
Der ganze Artikel ist nach<strong>zu</strong>lesen unter:<br />
http://www.zeit.de/2010/36/Muslimifizierung?page=3<br />
26
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Interview mit Ibrahim Kanalan von Jugendliche ohne<br />
Grenzen (JOG)<br />
Das Interview führte Jan Heidel<br />
Ibrahim, du bist von »Jugendlichen ohne Grenzen», erzähl uns mal wer ihr genau seid<br />
und was eure Ziele sind?<br />
»Jugendliche ohne Grenzen», ist eine Initiative von jungen Flüchtlingen, aber auch von<br />
Menschen die keinen Fluchthintergrund haben, sich aber trotzdem auch für Menschen und<br />
Kinderrechte einsetzen. Wir wollten den Fokus auf Deutschland legen, hier bei uns Zuhause<br />
gibt es die Menschenrechte und wir wollen darauf aufmerksam machen, dass vor unserer<br />
Haustür die geltenden Menschenrechte noch nicht vollends eingehalten werden.<br />
<strong>Die</strong> Initiative in dieser Form wurde Ende 2005 in Karlsruhe mit Hilfe des Flüchtlingsrates, dem<br />
<strong>GRIPS</strong> <strong>Theater</strong> und dem Beratungs- und Betreuungszentrum (BBZ), anlässlich der<br />
Gegenkonferenz <strong>zu</strong>r Innenministerkonferenz offiziell gegründet. Zuvor gab es in Berlin bereits<br />
eine kleine Gruppierung von jungen Flüchtlingen, die sich für eine Ausbildungserlaubnis und<br />
das Recht auf ein Studium für Flüchtlinge eingesetzt hatte.<br />
Euer Name »Jugendliche ohne Grenzen« suggeriert, dass Jugendliche ohne Grenzen leben<br />
wollen, auf welche Grenzen stoßen die Jugendlichen in ihrem Leben?<br />
Eigentlich hat der Name Jugendliche ohne Grenzen viele verschiedene Bedeutungen.<br />
Eine wichtige Grenze ist sicherlich <strong>zu</strong>nächst die fehlende Sprachförderung für Flüchtlinge und<br />
der Zugang <strong>zu</strong>r Bildung für Flüchtlinge. Faktisch gibt es auch keine Möglichkeit eine Ausbildung<br />
nach der Schule <strong>zu</strong> beginnen, ganz <strong>zu</strong> schweigen vom studieren. Des weiteren schränkt die<br />
Residenzpflicht, das heißt du darfst deinen Landkreis oder Wohnort nicht verlassen, die<br />
Bewegungsfreiheit deutlich ein. Ohne Aufenthaltsgenehmigung bekommst du geringere<br />
Sozialleistungen, die meist aus Essenspaketen bestehen und <strong>zu</strong>sätzlich 40 Euro Taschengeld pro<br />
Monat. Das wichtigste ist aber die fehlende Sicherheit, die Perspektivlosigkeit und ein<br />
Bleiberecht.<br />
Weitere Grenzen sind die von der Gesellschaft ausgehende Diskriminierung und Rassismus. Es<br />
wird immer gesagt, dass Flüchtlinge dem Staat auf der Tasche liegen und Arbeitsplätze weg<br />
nehmen usw. (Was in Deutschland durch das Gesetz unmöglich ist. Anm. d. Redaktion)<br />
Auch wenn du später ein Aufenthaltsrecht bekommen hast, gehörst du immer noch nicht da<strong>zu</strong>.<br />
Von der Gesellschaft bekommt der Mensch immer wieder die Botschaft auf den Weg<br />
mitgegeben, du bist nicht einer von »uns» - wer diese »uns» auch sein mag. <strong>Die</strong>sen Grenzen<br />
begegnest du eigentlich tagtäglich.<br />
Was könnte einer der Reaktionen auf solche eine Grenze sein?<br />
Sich dagegen <strong>zu</strong>r Wehr <strong>zu</strong> setzten, dagegen <strong>zu</strong> kämpfen, Widerstand <strong>zu</strong> leisten. <strong>Die</strong>ser Kampf<br />
kann Vielfältig sein, sei es auf politischer, juristischer oder sozialer Ebene, in der Gesellschaft,<br />
Wissenschaft, Kunst oder auch Sport usw.<br />
Natürlich gibt es auch Menschen die nichts machen. Nicht kämpfen, sich <strong>zu</strong>rückziehen, oder<br />
sich mit den Zäunen arrangieren. <strong>Die</strong> haben kein Interesse für einen politischen Kampf, werden<br />
entpolitisiert und entidealisiert. Sie versuchen alles <strong>zu</strong> vergessen und tun so als ob diese Zäune<br />
<strong>zu</strong>m Leben da<strong>zu</strong>gehören, natürlich wären. Vielleicht fehlt ihnen auch die Kraft um diese Hürden<br />
<strong>zu</strong> überwinden.<br />
27
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Kannst du eine Situation von einem von Abschiebung bedrohten Menschen schildern?<br />
Ein Mensch, ob Kind oder Erwachsener der hier in Deutschland keinen sicheren<br />
Aufenthaltsstatus hat, weiß nicht was mit ihm passieren wird, er kann seine Zukunft nicht<br />
planen. Zweitens hast du nicht nur die Zukunftslosigkeit, sondern auch akut die Angst, dass du<br />
ständig, <strong>zu</strong>r jeder Zeit abgeschoben werden kannst. Es kommt oft vor, dass die Polizei am<br />
frühen Morgen um vier Uhr, fünf Uhr die Häuser stürmen, Kinder, Eltern alle mitnehmen, ohne<br />
dass diese irgendetwas mitnehmen können. Du kannst jederzeit abgeholt und dann<br />
abgeschoben werden - das macht krank!<br />
Wie kann sich solch eine akute »Abschiebesituation» auf die Persönlichkeit auswirken?<br />
Ich war selbst in einer Situation in der ich nicht wusste, ob ich hier bleiben kann, oder<br />
abgeschoben werde. Je nachdem wie lange dies dauert, ob dieser Mensch Unterstüt<strong>zu</strong>ng von<br />
seinen Mitmenschen hat und wie seine Persönlichkeit ist, hat es unterschiedliche<br />
Auswirkungen. Unsicherheit, Ängstlichkeit, du hältst dich eher <strong>zu</strong>rück, du magst nicht über<br />
<strong>zu</strong>künftiges reden, eigentlich möchtest du nichts machen, aber dies ist nicht die Lösung,<br />
sondern verschlimmert die Situation eher. Du zerstörst dich selbst. Bei manchen Menschen<br />
dauert der Zustand abgeschoben werden <strong>zu</strong> können länger, sie leben in Flüchtlingslagern,<br />
haben keinen Kontakt <strong>zu</strong> anderen Menschen, dürfen keine Schule besuchen oder eine<br />
Ausbildung machen, sie sind Perspektivlos. <strong>Die</strong>s kann da<strong>zu</strong> führen, dass sie abnehmen, dass sie<br />
sich <strong>zu</strong>rückziehen und bei manchen Menschen führt es da<strong>zu</strong>, dass sie versuchen sich<br />
um<strong>zu</strong>bringen.<br />
Grundsätzlich haben die meisten Jugendlichen psychische Probleme, einer stärker, der andere<br />
schwächer.<br />
Der Kampf für das Bleiberecht ist für viele der betroffenen Jugendlichen auch eine Befreiung,<br />
Bestärkung oder eine Art von »Therapie».<br />
Viele eurer Aktionen machen auf Grenzen aufmerksam, welche für die meisten Bürger<br />
gar nicht sichtbar sind, kannst du einige nennen?<br />
Viele wissen nicht, dass <strong>zu</strong>m Beispiel Jugendliche die in den Ferien arbeiten gehen wollen, dies<br />
aber nicht dürfen. Eine andere relevante Grenze ist sicherlich, dass die Residenzpflicht einen<br />
Urlaub unmöglich macht. Es ist einfach nicht erlaubt.<br />
Ein Mitaktivist sagte einmal: <strong>Die</strong>s hier ist ein Gefängnis ohne Gitter. Zwischen Berlin und<br />
Brandenburg, gibt es keine Grenze, für die Betroffenen aber schon. Das ist für Flüchtlinge so, als<br />
ob die Grenzen von 1989 noch da sind.<br />
Wie könnte ein Leben ohne Grenzen aussehen? Könnte das überhaupt funktionieren?<br />
Es könnte durchaus ein Leben ohne Grenzen möglich sein – wenn alle mitmachen, dass ist nicht<br />
utopisch. Wir müssen nur daran glauben, um wesentliche Grenzen <strong>zu</strong> überschreiten. Zum<br />
Beispiel, dass jeder überall hingehen darf. Das alle Menschen alle Rechte haben.<br />
Bestimmte Grundregeln und Freiheiten gibt es in jeder Kultur, Religion und Gesellschaft, wie<br />
das Recht auf Leben, das Recht auf Nahrung, das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf<br />
freie Meinungsäußerung usw. Im Grunde kann man diese Regeln auf alle Kulturen ausweiten.<br />
Wir müssen schauen wie diese umgesetzt werden können und dürfen nicht davon ausgehen,<br />
dass alle Kulturen die gleiche Auslegung dieser Rechte haben. Wichtig ist, dass es nicht Werte<br />
einer einzigen Kultur sind, die den anderen aufgezwungen werden.<br />
28
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Wie darf man euch unterstützen?<br />
Infos findet man grundsätzlich auf der Homepage: jogspace.net.<br />
Dort stehen die aktuellsten Nachrichten und Aktionen. Außerdem hilft es uns sehr, wenn die<br />
Unterschriftkampagnen unterstützt werden. Öffentlichkeitswirksame Aktionen bei akuter<br />
Abschiebungsgefahr sind wichtig. Auf unserer Homepage stehen Termine von<br />
Demonstrationen, oder anderen Aktionen. Beispielsweise auch etwas über die<br />
Bildungskampagne.<br />
Was beinhaltet die »Bildungskampagne» und weshalb braucht es diese?<br />
Wie schon gesagt, es gibt viele Probleme, Hürden, Diskriminierungen für junge Menschen. Vor<br />
allem im Bereich der Bildung. Unsere Kampagne versucht die Öffentlichkeit auf diese Probleme<br />
aufmerksam <strong>zu</strong> machen und Gespräche mit Politikern <strong>zu</strong> führen. Wir fordern Zugang <strong>zu</strong>r<br />
Bildung für alle Menschen. Auch Flüchtlinge brauchen einen gleichberechtigten Zugang <strong>zu</strong>r<br />
Bildung, <strong>zu</strong>r Ausbildung und Arbeit.<br />
Zudem müssen sich die Lebenslagen der Flüchtlinge verbessern, deshalb fordern wir, dass die<br />
Lager abgeschafft werden, die Residenzpflicht wegfällt und gleiche soziale Förderung.<br />
Natürlich ist dies unser Schwerpunkt, aber grundsätzlich geht es um Gleichbehandlung aller<br />
diskriminierten und marginalisierten Gruppen und Menschen, dass diese an Bildung teilhaben<br />
können. Eine Schule für alle, ohne Segregation, in der alle miteinander lernen dürfen. Aber<br />
auch ein Studium für alle und nicht nur für diejenigen die sich es leisten können. Bafög für alle<br />
und die Abschaffung der Studiengebühren.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
Mehr Informationen finden Sie unter: www.jogspace.net<br />
29
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Heimat – Wir suchen noch<br />
von Katrin Göring-Eckardt<br />
Heimat sei eine Utopie, sagte Ernst Bloch<br />
und mit ihm Bernhard Schlink. Der<br />
marxistische Philosoph Georg Luckács hat<br />
die Situation des Menschen in der Welt<br />
sogar als »transzendentale Obdachlosigkeit»<br />
bezeichnet. Und in eine ganz ähnliche<br />
Richtung zielt Roger Willemsen, wenn er<br />
schreibt: »Wir sind alle Heimatvertriebene.«<br />
Hinter all diesen schönen Formulierungen<br />
steht eine philosophische Betrachtungsweise:<br />
Heimat versteht sich für den<br />
Menschen nicht von selbst, er muss sie – im<br />
Gegensatz <strong>zu</strong>m Tier, das immer schon eine<br />
Umwelt hat, in die es passt und hineingehört<br />
– erst suchen und schaffen. Das ist alles<br />
richtig, aus einer philosophischen und<br />
anthropologischen Sicht.<br />
Gleichzeitig ist Heimat etwas völlig<br />
Selbstverständliches. Würde ich die<br />
Menschen fragen »Was ist Ihre Heimat?«,<br />
wer würde wohl antworten, sie wüsste<br />
nicht, wo ihre Heimat ist, er sei eigentlich<br />
heimatlos, man fühle sich verloren in der<br />
Welt und sei noch auf der Suche ... Nein, wir<br />
bekämen Antworten wie: »Heimat, das ist<br />
der Ort, wo ich meine Freunde habe.« Oder<br />
Sätze wie: »Heimat ist für mich der Geruch<br />
des Pflaumenkuchens meiner Mutter«. Oder<br />
einfach: »Heimat ist, wo ich mich wohl<br />
fühle, wo man mich kennt, wo ich sein kann<br />
wie ich bin.« Dabei ist es nicht egal, ob<br />
jemand auf dem Dorf oder in der Stadt<br />
aufwächst. Es ist nicht gleichgültig, mit<br />
welchen Menschen er oder sie Begegnungen<br />
hatte, es ist von Belang, welche Bücher im<br />
Regal standen, ob die Kirchenglocken <strong>zu</strong><br />
hören waren oder der Muezzin rief. Heimat<br />
ist so auch immer ein Ort des Dafür- oder<br />
Dagegenseins. Es ist der Ort, an dem wir<br />
wurden, wer wir sind oder es ist der<br />
fehlende Ort, an dem wir nicht werden<br />
konnten, wer wir werden wollten. Dabei ist<br />
Heimat eben selbstverständlich da. So<br />
selbstverständlich, dass wir sie nicht einmal<br />
mögen müssen.<br />
In seinem Essay »Wie viel Heimat braucht<br />
der Mensch?« hat Jean Améry die Offenheit<br />
des Heimatgefühls <strong>zu</strong>m Ausdruck gebracht:<br />
»In der Heimat leben heißt, dass sich von<br />
uns das schon Bekannte in geringfü gigen<br />
Varianten wieder und wieder ereignet. Das<br />
kann <strong>zu</strong>r Verödung und <strong>zu</strong>m geistigen<br />
Verwelken im Provinzialismus fü hren,<br />
wenn man nur die Heimat kennt und sonst<br />
nichts. Hat man aber keine Heimat, verfällt<br />
man der Orientierungslosigkeit, Verstörung,<br />
Zerfahrenheit.«<br />
<strong>Die</strong> genannten Beispiele und Themen zeigen,<br />
dass Heimat nicht nur ein privates Gefühl ist,<br />
sondern entscheidende politische Fragen<br />
aufwirft: Wie wollen wir leben? Was<br />
bedeutet gutes Leben für uns? Wie muss<br />
unsere Umwelt beschaffen sein, damit wir<br />
uns wohl und <strong>zu</strong>hause fühlen? Welche<br />
Institutionen wollen wir bewahren, welche<br />
auf jeden Fall abschaffen? Das sind Fragen,<br />
die durch die Globalisierung noch dringlicher<br />
geworden sind. Denn wir alle wissen,<br />
dass diese Globalisierung mit massiv<br />
gestiegenen Anforderungen an die individuelle<br />
Flexibilität und Mobilität einhergeht.<br />
Selbst die »heimatlichste« Heimat, das Dorf<br />
in der Provinz, ist also mehr als nur ein Ort<br />
der Stabilität und der Selbstvergewisserung.<br />
Heimat hat einen Erlebniswert: Es ist ein Ort,<br />
wo andere Menschen sind, die man sich so<br />
nicht aussuchen konnte. Ein Ort, der sich<br />
verändert. Ein Ort, wo Differenz und Vielfalt<br />
erfahrbar sind. Der gängige Vorbehalt gegen<br />
den Begriff Heimat, dass er geschlossen sei,<br />
abgedichtet gegen andere Kulturen, stimmt<br />
30
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
demnach nicht so ganz. Denn die Erfahrung<br />
von Differenz und Abweichung, des »Wildfremden«,<br />
gehört <strong>zu</strong>r Heimat da<strong>zu</strong>.<br />
Deshalb ist auch der ideologische Gegensatz<br />
»Heimat« versus »multikulturelle Gesellschaft«<br />
aus meiner Sicht ein falscher. Er<br />
wurde auch nur von denen aufgemacht, die<br />
ihre Heimat offenbar nicht so schön fanden,<br />
dass sie Lust auf viel Hin<strong>zu</strong>ziehende gehabt<br />
hätten. Denn dass ich starke Heimatgefühle<br />
habe, heißt ja nicht, dass ich andere aus<br />
meiner Heimat ausschließe. Gemeinsam<br />
kann dann etwas Neues aus dem Ort gestaltet<br />
werden, ohne Altes <strong>zu</strong> verdammen.<br />
Mit anderen Worten: Heimatgefühl und<br />
Weltoffenheit sind keine Widersprü che.<br />
Jede »Blut und Boden«-Ideologie ist schlicht<br />
Rassismus und hat mit positiven<br />
Heimatgefü hlen nichts <strong>zu</strong> tun. Und in einer<br />
multi-kulturellen und multireligiö sen<br />
Heimat <strong>zu</strong> leben, ist erst einmal mehr, als in<br />
der Gleichförmigkeit und Enge von<br />
ausschließlich Ähnlichem.<br />
Der Fußball, gibt da ein gutes Beispiel: Selbst<br />
wenn elf Ausländer in der Startelf stehen,<br />
feiern die Fans der Mannschaft den Verein<br />
immer noch als »ihren« Verein, der <strong>zu</strong> ihrer<br />
Stadt gehört. Energie Cottbus ist auch ohne<br />
einen heimischen Spieler Energie Cottbus,<br />
für Real Madrid, Arsenal London oder<br />
Schalke 04 gilt das genauso. Für einen<br />
Schalke-Spieler aus Brasilien ist Schalke<br />
Heimat. Und Brasilien ist auch Heimat. <strong>Die</strong><br />
Heimat ist eben längst multi- kulturell<br />
geworden, und wo dies nicht <strong>zu</strong>gelassen<br />
wird, droht tatsächlich öde Verblödung. In<br />
der multikulturellen Heimat soll jeder auf die<br />
jeweilige Scholle aufspringen können, wie<br />
der Eisbär auch mal von einer Scholle <strong>zu</strong>r<br />
anderen hüpft. Damit will ich keineswegs<br />
sagen, dass die multi-kulturelle Gesellschaft<br />
ohne Konflikte ist und Migration, wenn sie<br />
erzwungen ist, nicht für viele Menschen sehr<br />
viel Leid bedeuten kann.<br />
Was ich sagen will ist, dass der positive<br />
Be<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>m eigenen Lebensort eine<br />
Gesellschaft offener und lebendiger machen<br />
kann. [...]<br />
Aus: Deutscher Kulturrat:<br />
http://www.kulturrat.de/detail.php?detail=1681&rubrik=88<br />
Rummel, Schubert, Kordeck<br />
31
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Kulturelle Orientierung<br />
vom Institut für Interkulturelle Kompetenz und Didaktik<br />
Was ist unter dem Konstrukt »kulturelle<br />
Orientierung« genau <strong>zu</strong> verstehen? »Orientierung«<br />
meint das räumliche Sich-<br />
Zurechtfinden. Ein Mensch weiß, an<br />
welchem Ort er sich befindet und wie die<br />
Umwelt um ihn herum beschaffen ist. Er<br />
nutzt Orientierungshilfen wie einen Kompass<br />
oder Landkarten.<br />
»Kulturelle Orientierung« überträgt diese<br />
Vorstellung auf einen kulturellen Raum.<br />
Menschen orientieren sich dabei an einem<br />
einzigen oder an mehreren Be<strong>zu</strong>gssystemen.<br />
Eine Person kann beispielsweise gleichzeitig<br />
Europäer, Christ, Lehrer, Bürger der Bundesrepublik<br />
Deutschland und Schwabe sein. [...]<br />
Kulturelle Orientierung(en) sind relativ<br />
Unterschieden werden muss, inwieweit<br />
Denkweisen, Einstellungen und Verhalten<br />
von Menschen gemeinsamen Gesetzen<br />
unterworfen oder kulturell geprägt sind. <strong>Die</strong><br />
verschiedenen kulturellen Orientierungen<br />
lassen sich durch Kategorien erfassen,<br />
welche in Hinblick auf kulturspezifische<br />
Merkmale <strong>zu</strong> interpretieren sind. So muss<br />
beispielsweise der europäisch-christlich<br />
geprägte Individualismus vom hinduistisch<br />
geprägten unterschieden werden. Erst<br />
empirische Untersuchungen mit geeigneten<br />
Methoden erlauben Aussagen darüber, wie<br />
häufig diese Orientierungen sind und<br />
welchen Einfluss sie auf das Verhalten von<br />
Menschen in bestimmten Kontexten haben.<br />
<strong>Die</strong>se Untersuchungen richten sich gegen<br />
Stimmen, die bestimmten Bevölkerungsgruppen<br />
einheitliche kulturelle Orientierungen<br />
<strong>zu</strong>schreiben (»Nationalcharakter«),<br />
ohne diese in Be<strong>zu</strong>g auf ihre Häufigkeit und<br />
Verbreitung <strong>zu</strong> relativieren. <strong>Die</strong>se konstruierten<br />
Selbst- und Fremdbilder können<br />
als Stereotype lange Zeit bestehen.<br />
Indikatoren kultureller Orientierung<br />
Folgende Kategorien sind Beispiele für<br />
Indikatoren, mit denen kulturelle<br />
Orientierungen erfasst werden können:<br />
• Einstellung <strong>zu</strong>r Umwelt<br />
• Umgang mit Zeit<br />
• (In-)Akzeptanz von Hierarchie und<br />
Ungleichheit<br />
• (Nicht-)Trennung von Privatsphäre und<br />
öffentlichem Raum<br />
• (In)direkte Kommunikation<br />
• (Nicht)äußerung eigener Emotionen<br />
• Blick- und Körperkontakt<br />
• Umgang mit Regeln<br />
• Dominante und latente kulturelle<br />
Orientierung(en)<br />
32
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Menschen sind hinsichtlich ihrer kulturellen<br />
Orientierungen nicht festgelegt. Sie können<br />
sich an unterschiedlichen Be<strong>zu</strong>gssystemen<br />
orientieren. <strong>Die</strong> Orientierungen können sich<br />
im Laufe des Lebens verändern. Durch den<br />
Beruf gewinnen Menschen professionelle<br />
Orientierung. Räumliche Orientierung kann<br />
sich durch Um<strong>zu</strong>g an einen anderen Ort<br />
ändern und generationsspezifische Orientierungen<br />
wandeln sich im Laufe des Lebens.<br />
Zudem können Menschen ihre kulturellen<br />
Orientierung(en) in verschiedenen Lebensbereichen<br />
unterschiedlich <strong>zu</strong>m Ausdruck<br />
bringen. Personen, die im Beruf sehr hierarchisch<br />
orientiert sind, legen vielleicht<br />
innerhalb der Familie mehr Wert auf gleichberechtigte<br />
Strukturen. Ebenso vermeiden<br />
manche Menschen im beruflichen Bereich<br />
Wettbewerbssituationen, wohingegen sie im<br />
Sport sehr wettbewerbsorientiert sind. So<br />
können Menschen ihre kulturellen Orientierungen<br />
aber auch der Rolle entsprechend<br />
unterschiedlich ausdrücken.<br />
Aus: Institut für Interkulturelle Kompetenz und Didaktik.<br />
http://www.ikud.de/Kulturelle-Orientierung.html<br />
Rummel, Hoffmann, Kordeck<br />
33
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Personenbezogene Interkulturalitätsstrategien<br />
Auf einer individuellen Ebene beziehen sich<br />
Interkulturalitätsstrategien auf das von einer<br />
Person gewünschte Verhältnis <strong>zu</strong> einer<br />
fremden Kultur und die damit<br />
einhergehenden Verhaltensformen. Man<br />
spricht in diesem Zusammenhang auch von<br />
der Akkulturationsorientierung.<br />
Nach BERRY lassen sich vier verschiedene<br />
Typen der Akkulturationsorientierung (oder<br />
Interkulturalitäts-strategien) unterscheiden,<br />
je nachdem, wie eine Person die Elemente<br />
ihrer Herkunftskultur und die der neuen<br />
Kultur bewertet.<br />
Typen der Akkulturation<br />
Assimilation:<br />
Praktiken der Herkunftskultur werden abgelehnt.<br />
Eine Person dieses Typs wendet sich<br />
der neuen Kultur <strong>zu</strong> und ist bestrebt, deren<br />
Verhaltens- und Lebensweisen <strong>zu</strong> übernehmen<br />
und sich an die neue Umwelt so<br />
weit als möglich an<strong>zu</strong>passen.<br />
Segregation:<br />
Praktiken und Produkte der neuen Kultur<br />
werden abgelehnt. Es werden die Praktiken<br />
und Produkte der Herkunftskultur beibehalten.<br />
Ein »Segregierer« bewegt sich vornehmlich<br />
im Kreis seiner Landsleute und reduziert<br />
Kontakte <strong>zu</strong> Mitgliedern der neuen Kultur<br />
auf ein Minimum.<br />
Marginalisierung:<br />
Ablehnung gegenüber der Gastgeberkultur<br />
als auch der Herkunftskultur. Personen<br />
dieses Typs sitzen gewissermassen »zwischen<br />
den Stühlen« Durch die Abgren<strong>zu</strong>ng von<br />
beiden kulturellen Systemen ist ihr Verhalten<br />
zwangsläufig stark individualisiert.<br />
Integration:<br />
Praktiken der Herkunftskultur als auch der<br />
neuen Kultur werden positiv bewertet.<br />
Personen dieses Typs sind willens und in der<br />
Lage, Praktiken beider Kulturen in ihr Verhaltensrepertoire<br />
<strong>zu</strong> übernehmen. Im täglichen<br />
Leben setzen »Integrierer« diejenigen<br />
Verhaltensweisen ein, die ihnen für die<br />
jeweilige Situation geeignet erscheinen.<br />
Aus: Scheitza, Alexander / Otten Matthias / Keller, Andreas (2002):<br />
Interkulturelle Kompetenz. Brandenburg<br />
34
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Fragen und Übungen <strong>zu</strong>m Thema »Kulturelle Vielfalt«<br />
• Was bedeutet für euch Kultur?<br />
• Wie würdet ihr die Kultur der Wölfe beschreiben?<br />
• Wie würdet ihr die Kultur der Schafe beschreiben?<br />
• Wo kommt Kultur eurer Meinung nach her und wer gestaltet sie?<br />
• Was macht eure/deine Kultur aus? Wo hat sie Einfluss im Alltag?<br />
• Von was bist du in deinem Leben/Verhalten geprägt?<br />
• Was für Kulturen kommen in deinem Leben <strong>zu</strong>sammen. Wie läuft das Miteinander ab?<br />
• Was bedeutet für dich Heimat? Wodurch zeichnet sie sich aus?<br />
• Wovor fliehen die Wölfe im Stück?<br />
• Was können Motivationen für eine Flucht bei Menschen eurer Meinung nach sein?<br />
Rummel, Breitrück<br />
35
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Ich bin Statistik<br />
Für alles und jeden gibt es Statistiken. In<br />
dieser Aufgabe suchen die Jugendlichen<br />
verschiedene Statistiken in denen sie sich<br />
wieder finden. Dabei könnte die Internetseite<br />
des statistischen Bundesamtes hilfreich<br />
sein:<br />
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/<br />
Nachdem die Jugendlichen verschiedene<br />
Statistiken gefunden haben, können diese<br />
gemeinsam ausgewertet werden. Es geht<br />
darum heraus<strong>zu</strong>finden, <strong>zu</strong> welchen Gruppen<br />
Menschen <strong>zu</strong>geordnet werden können. Nun<br />
kann die Klasse eigene Statistiken entwerfen.<br />
Statistiken über Herkunft, Religion, Lieblingsessen,<br />
politische Richtung etc. Fragen<br />
können für die Statistik sein:<br />
Wie viele Brillenträger haben wir in der<br />
Klasse?<br />
Wie viele Frauen/ Männer sind in der<br />
Klasse?<br />
Abschließend wird überlegt was die verschiedenen<br />
Zuordnungen über die Klasse<br />
aussagen und wie viel diese überhaupt<br />
zählen.<br />
Ziele:<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit der Zuschreibung<br />
von Attributen<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit der von Außen<br />
festgelegten Kategorisierung von Menschen<br />
Kulturelle Symbole<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen überlegen gemeinsam in<br />
der Diskussion was kulturelle Symbole sind.<br />
Anschließend haben sie die Aufgabe kulturelle<br />
Symbole bei sich Zuhause ab <strong>zu</strong> fotografieren,<br />
ab<strong>zu</strong>malen, mit<strong>zu</strong>bringen oder<br />
textlich <strong>zu</strong> beschreiben. Dabei ist wichtig,<br />
dass die Spielleitung den Begriff kulturelle<br />
Symbole erläutert.<br />
Bei der Auswertung, können die gesammelten<br />
Werke ggf. in religiöse, kulinarische<br />
oder gesellschaftliche Symbole<br />
aufgeteilt werden.<br />
Ziele:<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit kulturellen<br />
Symbolen und ihrer Wichtigkeit<br />
Variation:<br />
Als weiterführende Übung kann sich das<br />
Erkennen und Wahrnehmen von kulturellen<br />
Symbolen auf weitere Bereiche der Lebenswelt<br />
der Jugendlichen ausweiten. <strong>Die</strong> Gruppe<br />
wird in Kleingruppen unterteilt (ca. 4 Personen)<br />
und mit einem Fotoapparat bzw. den<br />
Handykameras ausgestattet. Sie haben die<br />
Aufgabe, kulturelle Symbole bzw. was die<br />
Jugendlichen darunter verstehen, ab <strong>zu</strong> fotografieren.<br />
Da<strong>zu</strong> und Ausgestoßen<br />
Eine Person verlässt den Raum mit der<br />
Aufgabe beim Eintreten in den Klassenraum<br />
Kontakt <strong>zu</strong> den MitschülerInnen <strong>zu</strong> finden.<br />
<strong>Die</strong> restlichen Jugendlichen sprechen sich<br />
nachdem die Person den Raum verlassen hat<br />
ab, dass sie Augenkontakt meiden. Zusätzlich<br />
wenden sie sich ab, wenn die Person<br />
versucht in Kontakt mit der Gruppe <strong>zu</strong><br />
treten. Nach einigen Minuten sollte das »Experiment»<br />
unterbrochen werden. »Wie hat<br />
sich dies angefühlt?«<br />
Eine weitere Person verlässt den Klassenraum.<br />
<strong>Die</strong> Aufgabe der restlichen Jugendlichen<br />
ändert sich, indem sie nun versuchen<br />
Augenkontakt <strong>zu</strong> der hereinkommenden Person<br />
auf<strong>zu</strong>bauen. <strong>Die</strong> Klasse verhält sich still<br />
und lächelt die Person ausschließlich an.<br />
»Wie hat sich dies angefühlt?«<br />
Anschließend wird darüber diskutiert wie es<br />
ist ausgestoßen <strong>zu</strong> werden, oder da<strong>zu</strong><strong>zu</strong>gehören.<br />
Ziele:<br />
• Wie fühlt sich Ausgren<strong>zu</strong>ng an?<br />
• Wie fühlt sich Wohlwollen an?<br />
36
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Tierisch gut!<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen überlegen welches Tier sie<br />
wohl wären. <strong>Die</strong>s und eine Begründung wird<br />
auf ein geheimes Papier notiert. Danach<br />
versucht die Klasse heraus<strong>zu</strong>finden, welches<br />
Tier gut <strong>zu</strong> jedem Einzelnen passt und<br />
begründet dies. Hinterher wird verglichen.<br />
Wie schätzt sich ein Jugendlicher selbst ein<br />
und wie sehen es die anderen in der Klasse?<br />
Gab es Gemeinsamkeiten? Worin liegen die<br />
Unterschiede begründet?<br />
Ziele:<br />
• Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />
schärfen<br />
Szenische Aufgabe:<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen werden in Gruppen<br />
eingeteilt und lesen gemeinsam die Szene,<br />
die am Anfang des Kapitels steht. Nun<br />
überlegen sie, welche Vorstellungen<br />
beispielsweise über die deutsche Kultur<br />
existieren und was sie selber als prägnant<br />
für diese erachten. In Kleingruppen haben<br />
sie nun die Aufgabe Szenen <strong>zu</strong> diesen<br />
herrschenden Bildern <strong>zu</strong> erarbeiten.<br />
Anschließend kann darüber diskutiert<br />
werden woher bestimmte Bilder kommen<br />
und wieweit diese <strong>zu</strong>treffen.<br />
Szenenvorschlag:<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen überlegen sich in Kleingruppen<br />
von 3 bis 5 Personen Szenen <strong>zu</strong><br />
einer von ihnen kreierten Kultur.<br />
Folgende Fragestellungen sollen dabei<br />
bedacht und schriftlich fixiert werden:<br />
• Welche Regeln gelten dort?<br />
• Welche Traditionen werden hochgestellt<br />
und wie ist die Lebenseinstellung der<br />
Menschen?<br />
• Wo kann man die Regeln, Traditionen,<br />
Lebenseinstellungen erkennen?<br />
Anschließend überlegen sie sich Szenen, in<br />
denen die Kultur präsentiert wird.<br />
<strong>Die</strong> Gruppen zeigen sich abschließend ihre<br />
Ergebnisse. Zum Abschluss kann darüber<br />
diskutiert werden, was eine Kultur<br />
ausmacht.<br />
37
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Meine Welten<br />
<strong>Die</strong> unten angehängte Kopiervorlage wird an die Jugendlichen verteilt. Es wird kurz gemeinsam<br />
überlegt, in welchen Welten / Gruppen man sich im Alltag bewegt. Dann überlegen die<br />
Jugendlichen für sich, welchen Gruppen sie sich <strong>zu</strong>gehörig fühlen und schreiben diese<br />
unterschiedlichen »Welten« in die Kreise. Je näher der jeweilige Kreis dem »ICH« ist, desto<br />
stärker das Zugehörigkeitsgefühl. Natürlich können noch weitere Kreise da<strong>zu</strong> kommen.<br />
Ziel:<br />
• sich der eigenen Lebenswelt bewusst werden<br />
• überlegen, was für einen persönlich wirklich zählt<br />
ICH<br />
38
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Kapitel 3:<br />
Werte, Welten, Traditionen<br />
»Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit <strong>zu</strong>gleich als<br />
Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«<br />
(Immanuel Kant)<br />
Schubert, Rummel, Kordeck<br />
39
Szenenausschnitte:<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Ferdinand Warum wollte ich ein Schaf werden?<br />
Opa<br />
Weil es kein besseres Lebewesen auf der ganzen Erde gibt.<br />
Ferdinand Warum kein Vogel?<br />
Opa Schaf Wo<strong>zu</strong> soll der gut sein?<br />
Ferdinand Ich dachte, als Vogel könnte ich über alle Zäune fliegen.<br />
Opa Schaf Schluss mit den Zäunen, hier kommt mein Geschenk.<br />
Der Opa holt eine kleine Kiste aus seiner Jackentasche hervor.<br />
Opa Schaf Es hat schon meinem Großvater gehört. Es ist Tradition. Tradition heißt, wenn alles bleibt wie es<br />
ist, muss sich nichts ändern! Wir Schafe lieben das. Bitteschön.<br />
*<br />
(Aus Szene 4)<br />
Mascha<br />
Der Wolf liebt seine Freiheit, warm ist der Schoss der Familie, wundervoll ist es, das Wenige das<br />
man <strong>zu</strong> jagen kriegt, auch <strong>zu</strong> teilen. Wir machen aus der Not eine Tugend, weil wir aus eigener<br />
Kraft überleben, unsere Ausdauer ist ein Zaun, der uns bewahrt vor dem Hungertod, unsere<br />
Härte ist die Wolle, die uns durch Schnee und Eis bringt, Kampf und Streit ist unser Sport, der<br />
uns nicht altern lässt. Wenn wir auf die Jagd gehen, dann um <strong>zu</strong> töten, das ist nicht böse<br />
gemeint, sondern Tradition. Tradition heißt, wenn alles bleibt wie es ist, muss sich nichts<br />
ändern! Hast du das verstanden, Wolf?<br />
(Aus Szene 18)<br />
40
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Vier Spiele mit der Vergangenheit - oder verlorene<br />
Schlüssel oder mehr desselben<br />
von Paul Watzlawick<br />
Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener<br />
und sucht und sucht. Ein Polizist<br />
kommt daher, fragt ihn, was er verloren<br />
habe, und der Mann antwortet: »Meinen<br />
Schlüssel.« Nun suchen beide. Schließlich<br />
will der Polizist wissen, ob der Mann sicher<br />
ist, den Schlüssel gerade hier verloren <strong>zu</strong><br />
haben, und jener antwortet: »Nein, nicht<br />
hier, sondern dort hinten – aber dort ist es<br />
viel <strong>zu</strong> finster.« Finden Sie das absurd?<br />
Wenn ja, suchen auch Sie am falschen Ort.<br />
Der Vorteil ist nämlich, dass eine solche<br />
Suche <strong>zu</strong> nichts führt, außer mehr desselben,<br />
nämlich nichts.<br />
Hinter diesen beiden einfachen Wörtern,<br />
mehr desselben, verbirgt sich eines der erfolgreichsten<br />
und wirkungsvollsten Katastrophenrezepte.<br />
(…)<br />
<strong>Die</strong>ses vierte Spiel (beruht) auf dem sturen<br />
festhalten an Anpassungen und Lösungen,<br />
die irgendwann einmal durchaus ausreichend,<br />
erfolgreich oder vielleicht sogar die<br />
einzig möglichen gewesen waren. Das<br />
Problem mit jeder derartigen Anpassung an<br />
gegebene Umstände ist nur, dass letztere<br />
sich mit der Zeit ändern. Und hier setzt das<br />
Spiel an. Einerseits ist es klar, dass sich kein<br />
Lebewesen der Umwelt gegenüber planlos -<br />
das heißt, heute so und morgen ganz anders<br />
- verhalten kann. <strong>Die</strong> lebenswichtige Notwendigkeit<br />
der Anpassung führt unweigerlich<br />
<strong>zu</strong>r Ausbildung bestimmter Verhaltensmuster,<br />
deren Zweck idealerweise ein möglichst<br />
erfolgreiches und leidensfreies Überleben<br />
wäre. Aus Gründen, die den Verhaltensforschern<br />
noch recht schleierhaft<br />
sind, neigen aber andererseits Tiere wie<br />
Menschen da<strong>zu</strong>, diese jeweils bestmöglichen<br />
Anpassungen als die auf ewig einzig möglichen<br />
<strong>zu</strong> betrachten. Das führt <strong>zu</strong> einer<br />
zweifachen Blindheit: erstens dafür, dass im<br />
Laufe der Zeit die betreffende Anpassung<br />
eben nicht mehr die bestmögliche ist, und<br />
zweitens dafür, dass es neben ihr schon<br />
immer eine ganze Reihe anderer Lösungen<br />
gegeben hat oder <strong>zu</strong>mindest nun gibt.<br />
Aus: Watzlawick, Paul (1983). Anleitung <strong>zu</strong>m Unglücklichsein,<br />
München<br />
41
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Gesellschaft ohne Baldachin<br />
Über die Labilität von Ordnungskonstruktionen<br />
von Hans Soeffner<br />
Gefestigte Verhaltensgewohnheiten, die im<br />
Verlauf ihrer Überlieferung sowohl ritualisiert<br />
als auch symbolisiert werden, gewinnen<br />
schließlich eine neue Qualität, die es<br />
ihnen ermöglicht, wechselnde Einflüsse und<br />
Veränderungen <strong>zu</strong> überstehen: durch ihre<br />
feste Form und Bekanntheit werden sie<br />
leicht über-tragbar und transportierbar. Sie<br />
dienen als Typen, Schablonen, Modell und<br />
Material <strong>zu</strong>r Bewältigung des Neuen nach<br />
alten Mustern: <strong>Die</strong> Invarianz bestimmter Erfahrungen,<br />
Ideen und sogar Wahrnehmungen<br />
einerseits und die Invarianz institutionalisierter<br />
Verhaltensgewohnheiten andererseits<br />
bedingen sich gegenseitig.<br />
Breitrück, Hoffmann, Kordeck, Rummel<br />
<strong>Die</strong> Pointe dieser Wechselbeziehung besteht<br />
darin, dass ritualisierte Verhaltensgewohnheiten<br />
uns der Mühe entheben, improvisierend<br />
auf Neues <strong>zu</strong> reagieren oder neue<br />
Motive bilden <strong>zu</strong> müssen. Es scheint so <strong>zu</strong><br />
sein, »dass ein solches praktisches Gewohnheitsverhalten<br />
beim Menschen an der Stelle<br />
steht, wo wir beim Tier die Instinktreaktion<br />
finden«. Innerhalb des Repertoires kommunikativer<br />
Darstellungsformen nehmen ritualisierte<br />
Verhaltensgewohnheiten damit<br />
eine bedeutsame Stellung ein. Sie gehören <strong>zu</strong><br />
den Materialien sowohl sozialer Organisation<br />
als auch kollektiv organisierter Interaktions<strong>zu</strong>sammenhänge.<br />
<strong>Die</strong> evolutionären und historischen Übergänge<br />
von leicht <strong>zu</strong> überschauenden sozialen<br />
Organisationsformen wie Clans, Sippen,<br />
Stämmen und kleinen Gemeinschaften<br />
<strong>zu</strong> Stadtkulturen, Nationen und Großgesellschaften<br />
haben nicht nur den Umgang,<br />
sondern auch die Bedeutung und das Wissen<br />
um die Bedeutung kollektiv geteilter Verhaltensrituale<br />
verändert. Während kleinere<br />
Gesellschaftsformationen sich gewöhnlich –<br />
aufgrund einer unmittelbar in der Face–to–<br />
face Kommunikation stattfindenden sozialen<br />
Kontrolle – durch einen außerordentlich<br />
bewussten kollektiven Umgang mit Verhaltensritualen<br />
auszeichnen, scheinen komplexere<br />
Gesellschaften auf den ersten Blick<br />
Rituale und rituell geprägtes Verhalten eher<br />
ab<strong>zu</strong>bauen.<br />
Sobald man jedoch das alltägliche Leben<br />
von Mitgliedern jener sogenannten »komplexen<br />
Massengesellschaften« beobachtet,<br />
findet man schnell heraus, in welch hohem<br />
Maße das Zusammenleben in diesen<br />
Gesellschaften von »Interaktionsritualen«<br />
42
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
durchsetzt ist. Allerdings: Von einem bewusst<br />
kontrollierten und kultivierten Umgang<br />
mit jenen Ritualen kann hier kaum<br />
mehr die Rede sein. Sie werden nun eher<br />
implizit eingesetzt, und das Wissen um ihren<br />
Einsatz gerät selten in den Blick des<br />
Bewusstseins.<br />
Obwohl also ritualisierte Verhaltensgewohnheiten<br />
– wenn auch weniger auffällig – unser<br />
alltägliches Leben durchgliedern, gehört es<br />
fast schon <strong>zu</strong>m guten Ton gegenwärtiger<br />
soziologischer Abhandlungen, <strong>zu</strong> behaupten,<br />
wir lebten in einer komplexen diffusen,<br />
flüchtigen, wenig strukturierten, im großen<br />
wie im kleinen »unübersichtlichen« Welt –<br />
verglichen natürlich mit der sogenannten<br />
»einfachen« Welt vergangener und/oder<br />
einfacher Gesellschaften. Vergleiche dieser<br />
Art sind nicht nur grobschlächtig und<br />
ungenau. Sie erklären nichts, und es gerät<br />
aus dem Blick, wodurch sich der »neue«<br />
Umgang mit Ritualen vom »alten«<br />
unterscheidet.<br />
Dabei ist eines offensichtlich: Der Übergang<br />
von kleinen, überschaubar gegliederten, <strong>zu</strong><br />
komplexen Gesellschaften ist – gleichzeitig –<br />
der Übergang von sozialer Interaktion und<br />
Organisation »erster Hand« im dauerhaften,<br />
unmittelbaren Zusammenleben <strong>zu</strong> einer<br />
sozialen Second-hand-Organisation und<br />
Interaktion, in der die Interaktionspartner<br />
häufig wechseln, außerhalb der Primärgruppe<br />
kaum mehr genauer gekannt werden<br />
und in vielen Fällen (aufgrund weitgehend<br />
anonymisierter Kommunikation wie im<br />
Umgang mit Behörden, Presse, Medien, etc.)<br />
einander überhaupt nicht mehr face-to-face<br />
begegnen: <strong>Die</strong> Organisation der Rituale muss<br />
sich nun - sofern diese, was sie ja tun, fortbestehen<br />
– selbst tragen können, während<br />
sie im ersten Fall von allen Beteiligten unmittelbar<br />
kontrolliert und aufrecht erhalten<br />
wird. Im ersten Fall formiert und tradiert die<br />
Gemeinschaft die Rituale, wodurch sie sich<br />
selbst stabilisiert. Im zweiten Fall etabliert<br />
der Gebrauch von Interaktionsritualen den<br />
Möglichkeitshorizont für den Aufbau temporärer<br />
Interaktionsgemeinschaften, indem<br />
von allen Beteiligten ein eher impliziter und<br />
anonymisierter Ordnungs<strong>zu</strong>sammenhang für<br />
soziales Handeln aufrechterhalten wird.<br />
In eben dieser ständigen Symbolisierungsarbeit,<br />
in der permanenten Set<strong>zu</strong>ng von<br />
Bedeutungs- und Werkakzenten bringen sich<br />
Wirkungsweise und Resultat der kulturellen<br />
Einstellung und Perspektivik <strong>zu</strong>m Ausdruck.<br />
Allerdings, sie verleihen uns selbst und<br />
unserer Welt nicht lediglich Sinn, repräsentieren<br />
nicht lediglich unseren Versuch,<br />
uns durch einen Schutzschild von Bedeutungen<br />
und Erklärungen gegen Zufälligkeit<br />
und Chaos ab<strong>zu</strong>sichern: sie »veredeln«<br />
und überhöhen tendenziell jeden Zug<br />
unseres Lebens – sie sichern das Geflecht der<br />
Bedeutungen <strong>zu</strong>sätzlich durch einen Werkakzent<br />
ab: Kultur als menschliche Einstellung<br />
ist Frömmigkeit gegenüber den Mitmenschen<br />
und Dingen. Sie ist diesseits der<br />
großen Religionen die konkrete, täglich<br />
praktizierbare Menschenreligion – so etwas<br />
wie die unentwegte Anstrengung, unsere<br />
Zufälligkeit und Endlichkeit in der Zeit <strong>zu</strong><br />
transzendieren. Da Kultur – in diesem Sinne<br />
– elementarer Bestandteil unserer selbst ist<br />
und wir ihr nicht entfliehen können, bleibt<br />
uns auch dann, wenn wir sie wegen ihrer<br />
Täuschungsanfälligkeit und ihres existenziellen<br />
Pathos belächeln, schließlich doch nichts<br />
anderes übrig, als sie mit mehr oder weniger<br />
großem Bedauern <strong>zu</strong> begrüßen.<br />
Aus: Soeffner, Hans-Georg (2000): Gesellschaft ohne Baldachin.<br />
Über die Labilität von Ordnungskonstruktionen, Weilerswist<br />
43
Von Werten und Welten<br />
von Klaus Biesenbach<br />
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
(...) Vor der Aktualität religiöser Markierungen,<br />
territorialer Konflikte und Diskrepanzen<br />
in der Auffassung von menschlichem<br />
Zusammenleben, von der persönlichen<br />
Betroffenheit, Verantwortung und Entscheidungsfreiheit<br />
des Einzelnen (...) geht es um<br />
Motivationen und Ideale, Regeln und<br />
Pflichten,<br />
Rechte und Freiheiten des Einzelnen, des<br />
Individuums, das sich als Bü rger einer<br />
globalisierten Welt verstehen und sich mit<br />
der politischen und gesamtgesellschaftlichen<br />
Dimension seines Handelns auseinander<br />
setzen muss. Was kann der Einzelne tun,<br />
wenn er sein Verhalten am Maßstab globaler<br />
Auswirkung und Verantwortung messen<br />
können soll? (...)<br />
Ein Deutscher verbraucht 100-mal so viel<br />
fossile Energie wie ein Bewohner Äthiopiens<br />
– kann sein Verhalten in diesem Sinne als<br />
<strong>Die</strong>bstahl angesehen werden? Ein Europäer,<br />
dessen Leben durch Intensivmedizin<br />
verlängert wird oder der Medikamente<br />
gegen Aids bekommt, kann nicht davon<br />
ausgehen, dass diese Behandlung auch fü r<br />
einen Bewohner Zentral- und Sü damerikas<br />
möglich wäre – ist diese Hinnahme dann<br />
unterlassene Hilfeleistung oder sogar<br />
vorsätzliche Tötung? (...)<br />
Religiöse, politische, philosophische, weltanschauliche<br />
Ideale scheinen für die meisten<br />
Menschen gegenü ber Lust- und Zielfaktoren<br />
<strong>zu</strong> verblassen, während der »pursuit of<br />
happiness«, der Fluss von »Milch und<br />
Honig« für den Einzelnen in der scheinbar<br />
dominierenden westlichen Version des<br />
freien Kapitalismus als höchstes Ideal des<br />
freien Menschen betrachtet wird.<br />
Aus: Biesenbach, Klaus (2004): <strong>Die</strong> zehn Gebote des Deutschen<br />
Hygiene Museums, Dresden<br />
Breitrück<br />
44
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Weck mich auf<br />
von Samy Deluxe<br />
Wir leben in `nem Land, in dem mehr Schranken<br />
stehn als es Wege gibt,<br />
mehr Mauern als Brücken gibt, Stimmung is negativ,<br />
und die Alten fragen warum rauch ich täglich Weed,<br />
warum sind ich und meine ganze Generation so<br />
depressiv,<br />
wir sind jeden Tag umgeben von lebenden Toten,<br />
umgeben von Schildern die uns sagen: Betreten<br />
verboten!<br />
umgeben von Skinheads, die Türken und Afrikanern<br />
das Leben nehmen,<br />
während Bullen daneben stehn, um Problemen aus<br />
dem Weg <strong>zu</strong> gehen<br />
umgeben von Ja-Sagern, die alles nur nachlabern,<br />
den kaltes dunkles Blut pumpt durch die Schlagadern<br />
umgeben von Kinderschändern, die grad mal<br />
Bewährung kriegen,<br />
genauso wie die scheiß Nazis deren Opfer unter der<br />
Erde liegen.<br />
Hat dieses Land wirklich nich mehr <strong>zu</strong> bieten<br />
als ein paar Millionen Arschgesichter mit ner Fresse<br />
voller Hämoriden,<br />
die meinen dies Land sehr <strong>zu</strong> lieben, doch sind nich<br />
sehr <strong>zu</strong>frieden,<br />
passt <strong>zu</strong> eurem Frust oder warum seid ihr hier<br />
geblieben?<br />
Ich muss mich von euch ganzen Schlappschwänzen<br />
abgrenzen,<br />
all den ganzen Hackfressen, die mich jeden Tag<br />
stressen,<br />
sind die gleichen Leute an der Spitze die sich<br />
sattessen,<br />
und Minderheiten werden <strong>zu</strong> Mehrheiten und<br />
trotzdem vergessen!<br />
Hook:<br />
Weck mich bitte auf aus diesem Alptraum,<br />
Menschen sehn vor lauter Bäumen den Wald kaum,<br />
Man versucht uns ständig ein<strong>zu</strong>reden,<br />
dass es noch möglich wär hier frei <strong>zu</strong> leben,<br />
Weck mich bitte auf aus diesem Alptraum,<br />
Menschen sehn vor lauter Bäumen den Wald kaum,<br />
Ich und Du und Er und Sie und Es sind besser dran<br />
wenn wir uns selber helfen<br />
Der Traum ist aus<br />
von Rio Reiser<br />
Ich hab geträumt, der Winter wär vorbei<br />
Du warst hier und wir waren frei.<br />
Und die Morgensonne schien.<br />
Es gab keine Angst und nichts <strong>zu</strong> verlier´n,<br />
Es war Friede bei den Menschen und unter den<br />
Tier´n.<br />
Das war das Paradies.<br />
Der Traum ist aus.<br />
Der Traum ist aus.<br />
Aber ich werde alles<br />
geben, daß er Wirklichkeit<br />
wird.<br />
Ich hab geträumt, der Krieg wär vorbei.<br />
Du warst hier, und wir waren frei.<br />
Und die Morgensonnen schien.<br />
Alle Türen waren offen, die<br />
Gefängnisse war´n leer.<br />
Es gab keine Waffen und keine Kriege mehr.<br />
Das war das Paradies.<br />
Gibt es ein Land auf der Erde,<br />
Wo dieser Traum Wirklichkeit ist?<br />
Ich weiß es wirklich nicht.<br />
Ich weiß nur eins und da bin ich mir sicher:<br />
<strong>Die</strong>ses Land ist es nicht.<br />
<strong>Die</strong>ses Land ist es nicht.<br />
Der Traum ist ein Traum <strong>zu</strong> dieser Zeit.<br />
Doch nicht mehr lange, mach dich bereit.<br />
Für den Kampf um´s Paradies.<br />
Wir hab´n nichts <strong>zu</strong> verlier´n außer unser Angst<br />
Es ist uns´re Zukunft, unser Land.<br />
Gib mir deine Liebe, gib mir deine Hand.<br />
TIP: <strong>Die</strong> Jugendlichen können Musik mitbringen, die sich mit den stückrelevanten Themen ihrer Meinung nach<br />
auseinandersetzen.<br />
45
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
<strong>Die</strong> vier Archmedischen Punkte<br />
Kleine Neujahrs-Ansprache vor jungen Leuten<br />
von Erich Kästner<br />
In den Wochen vor und nach der Jahreswende<br />
pflegt es Ansprachen <strong>zu</strong> schneien. Sie<br />
senken sich sanft, mild und wattig auf die<br />
rauhe Wirklichkeit, bis diese einer<br />
wärmstens empfohlenen, über<strong>zu</strong>ckerten und<br />
ozonreichen Winterlandschaft gleicht. Doch<br />
mit dem Schnee, wie dicht er auch fällt, hat<br />
es seine eigene Bewandtnis – er schmilzt.<br />
Und die Wirklichkeit sieht nach der<br />
Schmelze, mitten im schönsten Matsch, noch<br />
schlimmer aus als vor dem großen<br />
Schneetreiben und Ansprachengestöber. (…)<br />
Rund heraus: das alte Jahr war keine<br />
ausgesprochene Postkartenschönheit, beileibe<br />
nicht. Und das neue? Wir wollen’s abwarten.<br />
Wollen wir’s abwarten? Nein. Wir<br />
wollen es nicht abwarten! Wir wollen nicht<br />
auf gut Glück und auf gut Wetter warten,<br />
nicht auf den Zufall und den Himmel harren,<br />
nicht auf die politische Konstellation und die<br />
historische Entwicklung hoffen, nicht auf die<br />
Weisheit der Regierungen, die Intelligenz der<br />
Parteivorstände und die Unfehlbarkeit aller<br />
übrigen Büros. Wenn Millionen Menschen<br />
nicht nur neben-, sondern miteinander leben<br />
wollen, kommt es aufs Verhalten der<br />
Millionen, kommt es auf jeden und jede an,<br />
nicht auf die Instanzen. Das klingt wie ein<br />
Gemeinplatz, und es ist einer. Wir müssen<br />
unseren Teil Verantwortung für das, was<br />
geschieht, und für das, was unterbleibt, aus<br />
der öffentlichen Hand in die eigenen Hände<br />
<strong>zu</strong>rücknehmen (…) Wenn Unrecht geschieht,<br />
wenn Not herrscht, wenn Dummheit waltet,<br />
wenn Hass gesät wird, wenn Muckertum<br />
sich breit macht, wenn Hilfe verweigert wird<br />
– stets ist jeder einzelne <strong>zu</strong>r Abhilfe mit aufgerufen,<br />
nicht nur die jeweils »<strong>zu</strong>ständige«<br />
Stelle. Jeder ist mitverantwortlich für das,<br />
was geschieht, und für das, was unterbleibt.<br />
Und jeder von uns und euch – auch und gerade<br />
von euch – muss es spüren, wann die<br />
Mitverantwortung neben ihn tritt und<br />
schweigend wartet. Wartet, dass er handle,<br />
helfe, spreche, sich weigere oder empöre, je<br />
nachdem. Fühlt er es nicht, so muss er’s<br />
fühlen lernen. Beim einzelnen liegt die große<br />
Entscheidung.<br />
Aber wie kann man es lernen? Steht man<br />
nicht mit seinem Bündel Verantwortung wie<br />
in einem Wald bei Nacht? Ohne Licht und<br />
Weg, ohne Laterne, Uhr und Kompass? (...)<br />
Archimedes suchte, für die physikalische<br />
Welt, den einen festen Punkt, von dem aus<br />
er sich’s <strong>zu</strong>traute, sie aus den Angeln <strong>zu</strong><br />
heben. <strong>Die</strong> soziale, moralische und politische<br />
Welt, die Welt der Menschen nicht aus den<br />
Angeln, sondern in die rechten Angeln<br />
hinein<strong>zu</strong>heben, dafür gibt es in jedem von<br />
uns mehr als einen archimedischen Punkt.<br />
Vier dieser Punkte möchte ich aufzählen.<br />
Punkt 1: Jeder Mensch höre auf sein<br />
Gewissen! Das ist möglich. Denn er besitzt<br />
eines. <strong>Die</strong>se Uhr kann man aus Versehen<br />
verlieren oder mutwillig zertrampeln. <strong>Die</strong>se<br />
Uhr mag leiser oder lauter ticken – sie geht<br />
stets richtig. Nur wir gehen manchmal<br />
verkehrt.<br />
46
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Punkt 2: Jeder Mensch suche sich Vorbilder!<br />
Das ist möglich. Denn es existieren welche.<br />
Und es ist unwichtig, ob es sich dabei um<br />
einen großen toten Dichter, um Mahatma<br />
hat, wovor wir zögerten. Das Vorbild ist ein<br />
Kompass, der sich nicht irrt und uns Weg<br />
und Ziel weist.<br />
Punkt 3: Jeder Mensch gedenke immer seiner<br />
Kindheit! Das ist möglich. Denn er hat ein<br />
Gedächtnis. <strong>Die</strong> Kindheit ist das stille, reine<br />
Licht, das aus der eigenen Vergangenheit<br />
tröstlich in die Gegenwart und Zukunft<br />
hinüberleuchtet. Sich der Kindheit wahrhaft<br />
<strong>zu</strong> erinnern, das heißt: plötzlich und ohne<br />
langes Überlegen wieder wissen, was echt<br />
und falsch, was gut und böse ist. <strong>Die</strong><br />
meisten vergessen ihre Kindheit wie einen<br />
Schirm und lassen sie irgendwo in der<br />
Vergangenheit stehen. Und doch können<br />
nicht vierzig, fünfzig Jahre des Lernens und<br />
Erfahrens den seelischen Feingehalt des<br />
Gandhi oder um Onkel Fritz aus<br />
Braunschweig handelt, wenn es nur ein<br />
Mensch ist, der im gegebenen Augenblick<br />
ohne Wimper<strong>zu</strong>cken das gesagt und getan<br />
ersten Jahrzehnts aufwiegen. <strong>Die</strong> Kindheit ist<br />
unser Leuchtturm.<br />
Punkt 4: Jeder Mensch erwerbe sich Humor!<br />
Das ist nicht unmöglich. Denn immer und<br />
überall ist es einigen gelungen. Der Humor<br />
rückt den Augenblick an die richtige Stelle.<br />
Er lehrt uns die wahre Größenordnung und<br />
die gültige Perspektive. Er macht die Erde <strong>zu</strong><br />
einem kleinen Stern, die Weltgeschichte <strong>zu</strong><br />
einem Atem<strong>zu</strong>g und uns selber bescheiden.<br />
Das ist viel.<br />
Bevor man das Erb- und Erzübel, die<br />
Eitelkeit, nicht totgelacht hat, kann man<br />
nicht beginnen, das <strong>zu</strong> werden, was man ist:<br />
ein Mensch.<br />
Aus: Kästner, Erich (1952). <strong>Die</strong> kleine Freiheit, Zürich<br />
47
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Fragen und Übungen <strong>zu</strong>m Thema<br />
»Werte, Welten, Traditionen«<br />
• Beschreibt die Schafswelt. Was ist besonders<br />
auffallend in ihr?<br />
• Beschreibt die Wolfswelt. Was ist besonders<br />
auffallend in ihr?<br />
• Wie stellen sich die Wölfe »die <strong>besseren</strong><br />
Wälder» vor?<br />
• Wie stellen sich die Schafe die Wolfswelt<br />
vor?<br />
• Welche Regeln gibt es in der Schafswelt?<br />
• Welche Regeln gibt es in der Wolfswelt?<br />
• Welche Traditionen haben die Schafe?<br />
• Welche Traditionen haben die Wölfe?<br />
• Welche Werte vertreten eurer Meinung<br />
nach Bär und Gans?<br />
• Welche Traditionen spielen in eurem<br />
Leben eine Rolle?<br />
• Woher kommen eurer Meinung nach<br />
Traditionen?<br />
• Warum brauchen die Schafe den Zaun?<br />
• Wann und warum hört Ferdinand auf<br />
über Zäune <strong>zu</strong> springen?<br />
• Wie nehmen die Wölfe den Zaun wahr?<br />
• Wie nehmen die Schafe den Zaun wahr?<br />
• Welche Zäune, im Sinne von Grenzen,<br />
kennt ihr aus eurem Leben?<br />
• Weshalb gibt es Zäune?<br />
• Wie zeigen sich für euch Zäune?<br />
• Woher kommen Zäune?<br />
• Wer stellt die Zäune eurer Meinung nach<br />
auf?<br />
• Welche Art der Grenzüberschreitung gibt<br />
es?<br />
• Setzt ihr euch selber Zäune? Wenn ja,<br />
welche?<br />
• »Feigheit ist eine Tugend […] das haben<br />
die Hirten erfunden.«<br />
Wie lässt sich dieser Satz im Kontext des<br />
gesellschaftlichen Lebens umformulieren?<br />
• Gibt es in eurem Leben Hirten? Wenn ja,<br />
welche und warum sind sie es?<br />
• Welche Traditionen spielen in eurem<br />
Leben eine wichtige Rolle?<br />
Meine Werte<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen sollen jeder für sich alleine,<br />
eine Wertehierachie mit fünf Werten<br />
erstellen, die ihnen am wichtigsten sind.<br />
Nachdem jeder für sich alleine fünf Werte<br />
festgelegt hat, kommen nun Gruppen von 4-<br />
6 Jugendlichen <strong>zu</strong>sammen. Gemeinsam<br />
müssen sie sich nun auf drei Werte einigen<br />
die ihnen am wichtigsten sind. Hierfür<br />
sollten ca. 10 – 15 Minuten Zeit gelassen<br />
werden.<br />
• Echtheit<br />
• Hilfsbereitschaft<br />
• Zuverlässigkeit<br />
• Eigenverantwortung<br />
• Selbstverwirklichung<br />
• Nächstenliebe<br />
• Solidarität<br />
• Gerechtigkeit<br />
• Selbstbestimmung<br />
• Disziplin<br />
• Pünktlichkeit<br />
• Glaube<br />
• Ehre<br />
• Ehrlichkeit<br />
• Fleiß<br />
• Ordnung<br />
• Freiheit<br />
• Sicherheit<br />
• Toleranz<br />
Ziele:<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit eigenen Werten<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit anderen und<br />
ihrer Weltsicht und Werten<br />
48
»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Grenzen<br />
In der Gruppe wird diskutiert welche<br />
Grenzen es für Menschen gibt. Anschließend<br />
bekommen die Jugendlichen die Aufgabe<br />
für sie vorhandene Grenzen mit dem<br />
Fotoapparat fest<strong>zu</strong>halten und diese mit in<br />
den Unterricht <strong>zu</strong> bringen. Anstelle einer<br />
Kamera kann auch das Handy genutzt<br />
werden, oder die Orte werden erst einmal<br />
nur aufgeschrieben. Beim gemeinsamen<br />
betrachten der Bilder kann nun darüber<br />
gesprochen werden, welche Arten von<br />
Grenzen es gibt und was der Unterschied<br />
zwischen selbst gesetzten und von außen<br />
vorgegebenen Grenzen ist. Desweiteren wird<br />
überlegt, wie man mit diesen umgehen<br />
kann, oder welche Möglichkeiten es gibt, sie<br />
<strong>zu</strong> verändern.<br />
Variation:<br />
Es wird überlegt, ob es auch gute Grenzen<br />
gibt und wenn ja welche. Worin unterscheiden<br />
sie sich <strong>zu</strong> anderen Grenzen?<br />
Ziele:<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit Grenzen<br />
• Strategien <strong>zu</strong>r Überwindung von Grenzen<br />
überlegen<br />
Machtspiel<br />
Zwei Jugendliche gehen vor die Tür und<br />
überlegen sich mindestens fünf Befehle, die<br />
sie den anderen gleich vorgeben. Während<br />
sich die zwei Jugendliche draußen<br />
überlegen, welche Befehle sie verwenden<br />
wollen, teilt die Spielleitung den anderen<br />
mit, dass sie immer drei Befehle ohne<br />
Murren ausführen, aber den vierten und<br />
fünften nicht mehr.<br />
Ein Jugendlicher wird nun hereingebeten. Er<br />
führt seine Befehle aus und die anderen<br />
»gehorchen» ihm. Beim dritten Befehl<br />
machen sie einfach nicht mehr mit. Danach<br />
wird der Befehlende aufgeklärt und die<br />
andere Person kommt herein und spricht<br />
ihre Befehle.<br />
Hinterher werden die zwei Befehlenden<br />
gefragt, wie es sich angefühlt hat Befehle<br />
aus<strong>zu</strong>sprechen, wenn diese ausgeführt<br />
werden bzw. wie es ist, wenn sie nicht mehr<br />
ausgeführt werden. Auch die Gruppe wird<br />
befragt wie es ist, Befehle aus<strong>zu</strong>führen oder<br />
Befehle ab<strong>zu</strong>lehnen.<br />
Ziele:<br />
• Zusammenhalt in einer Gruppe<br />
• Gemeinsames Wehren gegen Unrecht<br />
• Spüren wie es sich anfühlt Macht <strong>zu</strong><br />
haben und wie es ist, wenn andere nicht<br />
mehr auf einen hören<br />
• Gruppendynamik<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit Möglichkeiten<br />
sich gegen Befehle <strong>zu</strong> wehren<br />
• Stärkung der persönlichen Möglichkeiten,<br />
sich <strong>zu</strong> wehren<br />
<strong>Die</strong> zehn Gebote<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen haben die Aufgabe, für ihre<br />
»Weide« Regeln bzw. Richtlinien <strong>zu</strong> finden<br />
und jeweils 10 Gebote fest<strong>zu</strong>halten. Nach ca.<br />
20 Minuten präsentieren sie sich gegenseitig<br />
ihre Gebote und erläutern diese. <strong>Die</strong>s kann<br />
auch spielerisch geschehen.<br />
Ziele:<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit persönlichen<br />
Werten und Regeln<br />
Szenenvorschlag:<br />
1. <strong>Die</strong> Jugendlichen überlegen sich in Kleingruppen<br />
Szenen in denen Grenzen überschritten<br />
werden. <strong>Die</strong>se präsentieren sie sich<br />
nach einigen Minuten gegenseitig. Anschließend<br />
überlegen sie sich <strong>zu</strong> jeder Szene<br />
eine Lösung, wie die persönlichen Grenzen<br />
geschützt werden können.<br />
2. <strong>Die</strong> Jugendlichen überlegen sich Szenen in<br />
denen äußere Grenzen eine Rolle spielen<br />
(durch den Staat, Religion, etc.).<br />
3. <strong>Die</strong> Jugendliche überlegen sich Szenen bei<br />
denen innere Grenzen eine Rolle spielen.<br />
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»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Nachdem die Szenen präsentiert wurden,<br />
wird über das Gesehene gesprochen. <strong>Die</strong>s<br />
kann ein guter Einstieg für ein Gespräch<br />
über persönlich bekannte Grenzen sein.<br />
Aufgabe:<br />
Gemeinsam wird überlegt, ob es in verschiedenen<br />
Kulturen dieselben Werte /Traditionen<br />
gibt, obwohl die Kulturen auf den<br />
ersten Blick sehr unterschiedlich sind.<br />
Szenisch können Unterschiede und<br />
Gemeinsamkeiten gezeigt werden.<br />
Vier-Ecken Spiel<br />
<strong>Die</strong> Gruppenleitung stellt Fragen und die<br />
Jugendlichen ordnen sich den jeweiligen<br />
Antworten <strong>zu</strong>. Es gibt immer vier Antwortmöglichkeiten.<br />
Jede Zimmerecke steht für<br />
eine Antwort.<br />
Auch bei dieser Übung stellt sich die Frage<br />
nach Gemeinsamkeiten und Individualität.<br />
Mögliche Fragen:<br />
In welchen Imbiss geht ihr am liebsten?<br />
a) Döner<br />
b) Currywurst<br />
c) Asia-Imbiss<br />
d) Pizza<br />
»Es kommt doch nicht darauf an, wo du<br />
herkommst. Es kommt darauf an, wo du hin<br />
gehst und mit wem.»<br />
a) <strong>Die</strong>sem Zitat stimme ich voll <strong>zu</strong><br />
b) Ich weiß gar nicht wo ich herkomme<br />
c) Hab´ ich noch nie drüber nachgedacht<br />
d)Da wo ich herkomme, ist was ich bin<br />
Wie oft warst du schon in einem anderen<br />
Land?<br />
a) Noch nie<br />
b) Einmal<br />
c) Mehr als dreimal<br />
d) Öfter als fünfmal<br />
Wie verbringst du deinen Urlaub?<br />
a) All inklusive – im Clubhotel<br />
b) Back to nature – irgendwo in der Pampa<br />
mit Zelt und Isomatte<br />
c) American Sightseeing – ganz viel in kurzer<br />
Zeit sehen<br />
d) Sommer vom Balkon – Berlin ist das Beste<br />
»Tradition heißt: wenn alles bleibt wie´s ist,<br />
muss sich nichts ändern»<br />
a) Genau so soll es sein!<br />
b) No way! Viva la Revolucion!<br />
c) Puhh, kein Plan...<br />
d) Änderungen schon, aber nicht bei allem...<br />
»Wir springen nicht über Zäune. Wir laufen<br />
nicht davon, deshalb leben wir so gut, wir<br />
sind treu und feige»<br />
a) Dem Zitat stimme ich voll <strong>zu</strong>, määh!<br />
b) Zäune sind da<strong>zu</strong> da um sie <strong>zu</strong><br />
überqueren.<br />
c) Was soll daran schlecht sein, in Zäunen<br />
<strong>zu</strong> leben?<br />
d) Welche Zäune, also ich sehe gar keine.<br />
Wie wichtig ist euch eure kulturelle<br />
Herkunft?<br />
a) Kulturelle was...?!<br />
b) Nicht ganz so wichtig,<br />
c) Wichtig<br />
c) Für mich zählt nur mein Glaube<br />
Nach dieser Aufgabenstellung bietet sich ein<br />
Reflexionskreis an.<br />
WICHTIG: <strong>Die</strong> Jugendlichen sollen sich<br />
schnell entscheiden und nicht <strong>zu</strong> lange Zeit<br />
<strong>zu</strong>m Nachdenken haben, damit die Antworten<br />
aus dem Bauch kommen.<br />
Ziele:<br />
• Positionierung<br />
• Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit unterschiedlichen<br />
Vorlieben und Ansichten<br />
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»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Literatur- und Filmtipps<br />
Literatur<br />
• Akgün, Lale (2010): Aufstand der Kopftuchmädchen. Deutsche Musliminnen wehren sich gegen den<br />
Islamismus, München<br />
• Bauer, Patrick (2011). Parallelklasse. Ahmed, ich und die anderen - <strong>Die</strong> Lüge von der Chancengleichheit,<br />
München<br />
• Benedict, Ruth (1963). Urformen der Kultur, Hamburg<br />
• Biesenbach, Klaus (2004). <strong>Die</strong> zehn Gebote. Eine Kunstausstellung des Deutschen Hygiene Museums, Dresden<br />
• Dorn, Thea/ Wagner, Richard (2011). <strong>Die</strong> deutsche Seele, München<br />
• Erlbruch, Wolf (2008). <strong>Die</strong> große Frage, Wuppertal<br />
• Hesse, Hermann (1919). Demian. <strong>Die</strong> Geschichte einer Jugend, Berlin<br />
• Kästner, Erich (1952). <strong>Die</strong> kleine Freiheit, Zürich<br />
• Scheitza, Alexander/Otten, Matthias/ Keller, Andreas (2002): Interkulturelle Kompetenz, Brandenburg<br />
• Sezgin, Hilal (Hrsg.) (2011): Manifest der Vielen, Blumenbar, Berlin<br />
• Soeffner, Hans-Georg (2000): Gesellschaft ohne Baldachin. Über die Labilität von Ordnungskonstruktionen,<br />
Weilerwirst-Metternich<br />
• Spiegelmann, Art (2005): Maus - <strong>Die</strong> Geschichte eines Überlebenden, Frankfurt am Main<br />
• Spiegelmann, Art (2008): <strong>Die</strong> vollständige Maus, Frankfurt am Main<br />
• Safran Foer, Jonathan (2010): Tiere Essen, München<br />
• Swann, Leonie (2005): Glennkill, München<br />
• Swann, Leonie (2010): Garou, München<br />
• Terkessidis. Mark (2010): Interkultur, Berlin<br />
• Tan, Shaun (2008): Eric, Hamburg<br />
• Tan, Shaun (2011): Ein neues Land, Hamburg<br />
• Watzlawick, Paul (1983). Anleitung <strong>zu</strong>m Unglücklichsein, München<br />
Filme:<br />
La Zona (2009): Rodrigo Pla<br />
Der fantastische Mr. Fox (2009) – Anderson,Wes<br />
Bardem Biutiful – Inarritu (2010), Alejandro Gonzales<br />
Hinweis:<br />
Auf unserer Homepage finden Sie unter Schule&Co. einen Link <strong>zu</strong>:<br />
Kleine Tipps <strong>zu</strong>m <strong>Theater</strong>spielen im Klassenzimmer<br />
<strong>Die</strong>se Zusammenstellung gibt Ihnen einige Tipps für das <strong>Theater</strong>spielen mit Ihrer Klasse.<br />
Links:<br />
Antidiskriminierungsstelle<br />
http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/Home/home_node.html<br />
Deutscher Kulturrat<br />
http://www.kulturrat.de/<br />
Martin Baltscheit<br />
www.baltscheit.de<br />
Transkulturelles Portal<br />
http://www.transkulturelles-portal.com/<br />
UNESCO<br />
http://www.unesco.de/kulturelle-vielfalt.html<br />
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»<strong>Die</strong> <strong>besseren</strong> Wälder«<br />
Dank<br />
Frau Krzeszower und der Projektgruppe KULTUR – IDENTITÄT – VIELFALT der Sophie Scholl<br />
Oberschule, Frau Hentschel und ihrer achten Klasse der Kurt Schwitters Oberschule für die<br />
thematische Auseinanderset<strong>zu</strong>ng in Gesprächen, darstellerischen Workshops und Probenbesuchen<br />
sowie Ibrahim Kanalan von Jugendliche ohne Grenzen.<br />
Impressum<br />
<strong>GRIPS</strong> <strong>Theater</strong> GmbH<br />
Altonaer Straße 22<br />
10557 Berlin<br />
Künstlerischer Leiter: Stefan Fischer-Fels<br />
Geschäftsführer: Volker Ludwig<br />
www.grips-theater.de<br />
Redaktion: Laura Klatt, Kirstin Hess,<br />
Jan Heidel<br />
Fotos: David Baltzer/bildbuehne.de<br />
Gestaltung: Stefanie Kaluza<br />
Art Direktion: anschlaege.de<br />
Zeichnungen: Thekla Priebst / anschlaege.de<br />
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