Wohlbehagen Neben Hunger, Durst, Sexualität und ... - Designwissen
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Porzellanteile „Touch“<br />
Entwurf: speziell produktgestaltung<br />
(Sybille Fleckenstein, Jens Pohlmann,<br />
Thilo Schwer); Hersteller: KAHLA/<br />
Th üringen Porzellan GmbH,<br />
Kahla, 2004<br />
Materialinnovation kombiniert mit Funktionswert: Eine<br />
beflockte, samtige Oberfläche umhüllt glattes Porzellan <strong>und</strong><br />
macht Geschirr zu Handschmeichlern. Die für Porzellan<br />
ungewöhnliche, reizvolle textile Haptik besitzt neben dem<br />
reinen Dekorationswert auch einen praktischen Nutzen: Sie<br />
schützt die Hände vor heißen Becherwandungen –<br />
heutzutage oft ein Mangel bei henkellosen Kaffeebechern<br />
oder -schalen.<br />
<strong>Wohlbehagen</strong><br />
<strong>Neben</strong> <strong>Hunger</strong>, <strong>Durst</strong>, <strong>Sexualität</strong> <strong>und</strong> Schmerzvermeidung zählt auch das Streben nach „Behagen“<br />
zu den Triebkräften des Menschen. Intuitiv suchen wir nach Zuständen, die unser Organismus<br />
als angenehm empfindet <strong>und</strong> die uns wohl tun. Im Vordergr<strong>und</strong> stehen dabei intensive<br />
sinnliche Erlebnisse.<br />
Der Wunsch der Menschen nach Behaglichkeit ist<br />
ein starker Kaufreiz. Produktentwickler nutzen<br />
diese Begehrlichkeit gezielt aus <strong>und</strong> konzipieren<br />
Verwöhnprodukte für fast alle Lebensbereiche.<br />
Von weichen Materialien über organische Formen<br />
im Möbel- <strong>und</strong> Gebrauchsgerätebereich, romatherapiegestützten<br />
Körperpflegeprodukten bis hin zu<br />
zahlreichen Entspannungsgerätschaften, um nur<br />
ein kleines Spektrum zu nennen. Selbstverwöhnung<br />
im Eigenheim ist angesagt. Der Gr<strong>und</strong> hierfür<br />
scheint nahe zu liegen: Unsere von Stress <strong>und</strong><br />
Härte geprägte Alltagsrealität provoziert möglicherweise<br />
bei vielen den Wunsch, wenigstens im<br />
eigenen Lebensraum jegliche „Härte“ <strong>und</strong> „Kühle“<br />
zu vermeiden. Im Gegenzug umgeben sie sich mit<br />
einem wohligen, alles Ungemach absorbierenden<br />
„Wattebausch“ in Form von höhlenartig umfangenden<br />
Möbeln, weichen, warm anmutenden<br />
Oberflächen von Gebrauchsgeräten <strong>und</strong> Wohnaccessoires<br />
<strong>und</strong> einer von Licht <strong>und</strong> Duft geprägten<br />
Atmosphäre. Andere bevorzugen hingegen<br />
eher die Klarheit <strong>und</strong> „Leere“ nüchterner Räume<br />
<strong>und</strong> empfinden diese als behaglich. Menschen in einer für sie angenehmen Situation weisen eine<br />
entspannte Gesichtsmuskulatur auf, die bis hin zum genussvollen Schließen der Augen gehen<br />
kann. Der Atemdruck lässt nach, wir atmen tief aus, was ein „behagliches“ Seufzen erzeugen<br />
kann.<br />
„R<strong>und</strong>, glatt <strong>und</strong> warm“ kontra „eckig, rau <strong>und</strong> kalt“<br />
Ist es unser ureigener Instinkt, der uns r<strong>und</strong>e,<br />
weiche Formen beim Berühren meist als angenehmer<br />
empfinden lässt als spitze, kantige<br />
Formen? Denkbar wäre es, denn organische,<br />
„gut in der Hand liegende“ Formen weisen<br />
durch ihre Anschmiegsamkeit eine geringere<br />
Verletzungsgefahr auf, scharfkantige oder<br />
spitze Gegenstände müssen wir hingegen<br />
umsichtiger anfassen, um Verletzungen zu<br />
vermeiden. Babyspielzeug ist daher nie spitz<br />
<strong>und</strong> eckig, sondern eher r<strong>und</strong> <strong>und</strong> anschmiegsam.<br />
Und warum bevorzugen wir – wie Ver-<br />
Leuchtkissen „d°light Huggable“<br />
Entwurf <strong>und</strong> Hersteller: Diana Lin, Diana Lin Design<br />
LLC, Boulder, 2006<br />
Ein Leuchtkissen als sonnige Aufmunterung, nicht allein für trübe Tage. „d°light“ bedeutet zum einen „day light“ (Tageslicht), zum anderen<br />
spricht es sich im Englischen wie „delight“ (Vergnügen, Freude). Diana Lin: „Inspiration für meinen Entwurf war das Sonnenlicht. Für mich steht<br />
Sonnenlicht für Wärme, Fröhlichkeit, Freude, Munterkeit <strong>und</strong> das Leben an sich. Trotz alledem nehmen die Menschen die Sonne als etwas<br />
Selbstverständliches hin <strong>und</strong> vermissen sie erst, wenn sie sich rar macht. Mit meinem Konzept möchte ich einen Leuchtkörper gestalten, der<br />
das Wesen des Sonnenlichtes in einer Form einfängt, zu welcher die Menschen eine enge Beziehung aufbauen können. Das Ergebnis ist ein<br />
großartiges Produkt, es ist tatsächlich das perfekte Kissen, das man unbedingt knuddeln möchte. Und es legt einem gewissermaßen die Sonne<br />
direkt in die Arme. [...] Ich habe festgestellt, dass die Menschen mit dem Kissen auf eine Art interagieren, an die ich überhaupt nicht gedacht<br />
hatte. Wenn sie an den Kissen vorbeigehen, sehe ich, wie sie strahlende Augen bekommen <strong>und</strong> zu lächeln beginnen. Und wenn sie das Kissen<br />
in ihren Armen halten, sagen sie mir, dass sie sich glücklich <strong>und</strong> fröhlich fühlen. Ich denke, das ist die beste Bestätigung für mich, ein Produkt<br />
gestaltet zu haben, mit dem die Menschen auf vielerlei Art eine Verbindung eingehen können.“
suchsergebnisse gezeigt haben – „warm“ erscheinende Materialien <strong>und</strong> empfinden „kalte“ hingegen<br />
als unangenehm? Der Gr<strong>und</strong> könnte im „ökonomischen Denken“ unseres Organismus<br />
liegen: Kälte zwingt den Körper, eigene Energie zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur<br />
aufzuwenden. Der kalte Gegenstand in unserer Hand entzieht dem Körper Energie, der warme<br />
führt ihm Energie zu. Ein warmer Gegenstand belastet den energetischen Haushalt weniger als<br />
ein kalter. Möglicherweise liegt hier die Erklärung für die unbewusste <strong>und</strong> immer situationsabhängige<br />
Bevorzugung „warmer“ oder warm erscheinender Gegenstände. Denn sind wir erhitzt<br />
<strong>und</strong> der Körper benötigt dringend Abkühlung, bevorzugen wir einen „kalten“ Metallgriff gegenüber<br />
einem „warmen“. Auch ist das Empfinden von Temperaturen nicht allein an die messbare<br />
Temperatur von Gegenständen gekoppelt. Temperaturempfindungen lassen sich auf indirektem<br />
Weg hervorrufen durch Farben („warme“ Farbtöne), Wörter (feurig, eisig) oder Klänge (scharfe,<br />
klirrende Töne gegenüber harmonischen, dumpfen). Ein erfrischend-kühles Duschgel wird daher<br />
bevorzugt blau oder grün sein, ein entspannend-wärmender Badezusatz hingegen rot-orangetonig.<br />
Sinnliche Qualitäten von Produkten<br />
„Produkte, die unter die Haut gehen“ – der Slogan erscheint plausibel. Mit über zwei Quadratmetern<br />
Fläche ist die Haut das größte Sinnesorgan des Menschen. Ihre unzähligen Sinneszellen<br />
übermitteln dem Gehirn wichtige Informationen über unsere Umwelt <strong>und</strong> über die in direktem<br />
Kontakt mit uns befindlichen Gegenstände. Halten wir einen Gegenstand in unseren Händen<br />
oder berühren wir ihn, liefert uns der Tastsinn<br />
Informationen über ganz unterschiedliche Produkteigenschaften:<br />
Über die Form <strong>und</strong> Größe,<br />
über die Oberflächenbeschaffenheit sowie über<br />
Temperatur <strong>und</strong> Gewicht.<br />
Da die Hände mit ihren zahlreichen, dicht gefügten<br />
Sinneszellen unbestechliche Meister im haptischen<br />
Erk<strong>und</strong>en von Produkten sind, richten<br />
Produktentwickler bei der Gestaltung ein besonderes<br />
Augenmerk auf die „sinnlichen“ Qualitäten<br />
der zu entwickelnden Objekte. Gestaltungsdetails<br />
wie Form oder Oberfläche geben jedoch nicht<br />
allein Informationen über die „Hardware“ von<br />
Gegenständen, sondern sie fungieren immer<br />
auch als „Zeichen“ für abstrakte Produkteigenschaften.<br />
Beispielsweise lassen uns Formen wie<br />
spitz/kantig oder r<strong>und</strong>/weich unbewusst bestimmte<br />
Eigenschaften assoziieren, das gleiche<br />
gilt für Oberflächenwirkungen. Eine glatte, metallische<br />
Oberfläche verbanden Testpersonen mit<br />
Begriffen wie Modernität, Eleganz, Komfort <strong>und</strong><br />
Wellness-Stimulator „Braintingle®“<br />
Vertrieb: Trendwell, Datteln, 2003<br />
Sieht aus wie ein Schneebesen aus der Asiaküche,<br />
dient aber der behaglichen Kopfmassage. Dabei soll<br />
es zu einer erhöhten Freisetzung von Endorphinen<br />
kommen. Das Gänsehaut erzeugende Kratzen auf<br />
dem Kopf empfindet jedoch nicht jeder als<br />
angenehm, <strong>und</strong> viele erschauern im negativen<br />
Sinn.<br />
Lebendigkeit, eine raue Metalloberfläche hingegen<br />
mit Langweiligkeit, Traditionalität, Hässlichkeit<br />
<strong>und</strong> Unbehagen. Besitzt ein Produkt eine gewisse<br />
„Schwere“, assoziieren wir hohe Qualität <strong>und</strong><br />
Solidität; daher würde auch niemand Bier, Wein<br />
oder gar Sekt in leichten Plastikflaschen anbieten –<br />
selbst wenn die produktionstechnische Vorgaben<br />
oder der Reifeprozess es zuließen. Geringes Gewicht<br />
deutet Materialersparnis an, ein leichtgewichtiges Elektrogerät würden wir beispielsweise als<br />
„billig“ einstufen <strong>und</strong> ihm keine Langlebigkeit zusprechen. Schweren Produkten vertrauen wir<br />
diesbezüglich leichter.
Wellmania! – glücksverheißende Produkte überall<br />
Unzählige Wellness-Produkte überströmen heutzutage den Markt. Doch sorgen sie tatsächlich<br />
für unser <strong>Wohlbehagen</strong>? Zweifelsohne können diese Produkte die subjektiv wahrgenommene<br />
Lebensqualität erhöhen. Dies basiert vermutlich allein schon auf der Tatsache, dass wir uns Zeit<br />
für uns nehmen, beispielsweise für ein entspannendes Bad, einen beruhigenden Tee, eine verwöhnende<br />
Körpermassage. Ob die Produkte an sich durch ihre Inhaltsstoffe wesentlich zur Erhöhung<br />
des messbaren, physischen <strong>Wohlbehagen</strong>s beitragen, sei offen gelassen. Wahrscheinlich<br />
fühlten wir uns mit „normalen“ Pflegeprodukten oder gewöhnlichen Tees ohne Ruhe <strong>und</strong> Ausgewogenheit<br />
verheißende Namen genauso entspannt. Der wohltuenden „Selbstverwöhnung“<br />
ebnen Wellness-Produkte jedoch leichter den Weg als normale Produkte. Sie sind suggestiver<br />
durch Namen <strong>und</strong> aufwändige Verpackung, womit sie uns das Gefühl des Außergewöhnlichen<br />
<strong>und</strong> von Luxus vermitteln, <strong>und</strong> sie sind teuer. Teuer bezahlten Luxus konsumieren wir jedoch<br />
nicht auf die Schnelle, hierfür nehmen wir uns bewusst Zeit. Auch ist unser Unterbewusstsein –<br />
da „teuer“ gleichgesetzt wird mit „gut“ – von Anbeginn offener für eine positive Bewertungen<br />
der Produkte <strong>und</strong> wir meinen daher tatsächlich, die Haut ist weicher, der Körper entspannter.<br />
Allein durch die Tatsache, dass wir uns Luxus gönnen <strong>und</strong> uns selbst belohnen, steigt das <strong>Wohlbehagen</strong>.<br />
Die Inhaltsstoffe der Produkte, insbesondere Düfte aus dem Bereich der Aromatherapie,<br />
unterstützen <strong>und</strong> verstärken dieses Gefühl möglicherweise, aber alleine sorgen sie sicherlich<br />
nicht für die Entstehung von <strong>Wohlbehagen</strong>. Wer stark angespannt <strong>und</strong> nicht offen für Entspannung<br />
ist, dem nützt auch der beste Aromatherapie-Badezusatz mit dem Namen „Momente der<br />
Ruhe“ nur wenig.<br />
© Badisches Landesmuseum Karlsruhe<br />
Textauszug aus: Design+Emotion. Produkte, die Gefühle wecken. AK Karlsruhe 2008, S. 89f. <strong>und</strong> 103; Text: Heidrun Jecht