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<strong>Workshop</strong> 2<br />
Gendersensible Lehr- und Lerntheorien<br />
Kristina Binder, Dr. Lena Eckert<br />
Einleitung<br />
In diesem <strong>Workshop</strong> wurde zunächst ein Überblick zu den aktuellen Theorien aus<br />
den Bereichen der Geschlechterforschung und der Lehr- und Lernforschung<br />
gegeben sowie Anknüpfungspunkte zu den vorgestellten theoretischen Ansätzen<br />
aufgezeigt. Dabei wurden Aspekte einer genderorientierten Hochschuldidaktik in<br />
der Diskussion herausgearbeitet und der Begriff der gendersensiblen Didaktik<br />
erläutert.<br />
Mit einer interessanten Diskussion konnten verschiedene Standpunkte zu den<br />
Möglichkeiten, eine gendersensible Didaktik in die unterschiedlichen Disziplinen der<br />
Teilnehmer_innen zu implementieren, thematisiert werden. Festzuhalten bleibt,<br />
dass es einen großen Diskussionsbedarf gibt und den disziplinären Unterschieden in<br />
Bezug auf Gender und Didaktik bei der Entwicklung verschiedener Strategien eine<br />
entscheidende Funktion zukommt.<br />
Gender an der Hochschule<br />
Zum Einstieg in den Themenkatalog diente eine Vorstellung über die<br />
Zusammenfassung der derzeitigen Situation an deutschen Hochschulen, die den<br />
Bologna Prozess und die Modularisierung in den Kontext einer veränderten<br />
Hochschulpolitik stellt. Aufgrund der verkürzten Studienzeiten und des<br />
Prüfungsdrucks muss an den Hochschulen mehr Lerninhalt in kürzerer Zeit<br />
vermittelt werden. Eine Frage, die sich stellte ist: Wie können wir Fakten vermitteln<br />
und den Studierenden trotzdem ein selbstbestimmtes Lernen ermöglichen sowie<br />
dabei die Vielfältigkeit von Vorwissen verbunden mit den unterschiedlichsten<br />
Lernstilen und Lerntypen produktiv nutzen.<br />
Harvard als Beispiel<br />
Ein Beispiel, das diskutiert wurde, ist das neue System der Harvard Universität in<br />
dem in den Medizin- und Jurastudiengängen keine traditionellen Lehrformate wie<br />
1
Vorlesungen angeboten werden. Studierende dieser Studiengänge arbeiten<br />
ausschließlich an Fallbeispielen. Diese werden von Gruppen durchgängig durch das<br />
gesamte Studium bearbeitet. Die Teams, die hier gebildet werden, arbeiten<br />
selbstständig und lernen Arbeitsschritte und Ergebnissicherung gemeinsam zu<br />
planen und durchzuführen. Aufgrund der Kleingruppen innerhalb derer sich die<br />
Studierenden organisieren müssen, entstehen neue Dynamiken, die Studierenden<br />
ermöglichen, sich abseits von Rollenstereotypen zu verhalten und zu definieren.<br />
Dieser Systemwechsel zu einem selbstbestimmten Lernen wurde als gendersensible<br />
Form des Lehrens und Lernens an der Hochschule diskutiert. Interessanterweise<br />
erreichen Studierende, deren Studium von dieser Form des Lernens geprägt war<br />
bessere Abschlussergebnisse als Studierende, die ein traditionell geprägtes Studium<br />
mit Varianten des rezeptiven Lernens absolvierten. Einige der Teilnehmer_innen<br />
äußerten Zweifel in Bezug auf die Möglichkeiten bei der Umsetzung solcher Lehrund<br />
Lernformen, da die institutionellen Voraussetzungen für eine Umsetzung an<br />
deutschen Hochschulen nicht gegeben ist. Die verschiedenen Rahmenbedingungen<br />
wurden in diesem Kontext als ein bedeutsamer Aspekt angesprochen, Bezug<br />
genommen wurde hierbei beispielsweise auf die Verfügbarkeit und<br />
Raumgestaltung von Lehrräumen.<br />
Kompetenz- und personenzentrierte Ansätze<br />
Zitiert wurde in diesem Zusammenhang auch das Kompetenzenkonzept von Paolo<br />
Freie (Pädagogik der Unterdrückten). Dieses Konzept basiert auf der Annahme, dass<br />
in heterogenen Lerngruppen unterschiedliche Kompetenzen einfließen. Die<br />
Lernenden können sich eigenverantwortlich und mit ihrem Vorwissen einbringen,<br />
was bewiesenermaßen den Lernprozess fördert. Weiterhin wurde vorgestellt und<br />
diskutiert über das Konzept der differentiellen Didaktik nach Peter Viebahn. Sein<br />
Modell der differentiellen Lernumweltgestaltung stellt in den Mittelpunkt ebenfalls<br />
die Studierenden mit ihren individuellen Lernvoraussetzungen. Nach diesem Modell<br />
basiert der Lernerfolg auf einer didaktischen Passung zwischen den individuellen<br />
Lernvoraussetzungen von Studierenden und der bereitgestellten Lernumwelt durch<br />
den Lehrenden mit dessen angebotenen Lernaktivitäten. Neben den kognitiven und<br />
motivationalen Dimensionen angeführt wurden die Sozialisationsbedingungen als<br />
ein pädagogisch relevanter Aspekt von Studierendenheterogenität. Die Sozialisation<br />
bedingt die im Alltag gelebte Praxis von Geschlechterrollen.<br />
Lernen gilt zudem als ein sozialer Prozess. Das gab Anlass zur Diskussion, ob es<br />
Lernende gibt, die sich ausschließlich Faktenwissen aneignen wollen. In<br />
Verknüpfung mit dem Affective Turn, der in der Genderforschung zu verzeichnen<br />
ist, muss davon ausgegangen werden, dass affektiv gelernt wird, d.h. Emotionen<br />
fördern den Lernprozess in besonderem Maße. Die Forschungsergebnisse auf dem<br />
Gebiet der neueren Gehirnforschung belegen, dass Emotionen das Lernen<br />
2
grundlegend beeinflussen. Diese Emotionen bedingen zudem, dass neue<br />
Lerninhalte besser behalten und in unser Vorwissen integriert werden. Da die<br />
konstruktivistische Didaktik davon ausgeht, dass jedes Individuum sein Wissen in<br />
einem eigenständigen Konstruktionsprozess erwirbt, kommt zunehmend dem<br />
Lernumfeld, der verwendeten Sprache und der Methodik neben den präsentierten<br />
Inhalten an Bedeutung zu. Zu thematisieren und zu integrieren gilt es die Kategorie<br />
Geschlecht/Gender in den hochschuldidaktischen Diskurs. Darüber hinaus geht es<br />
um die Auflösung der Dichotomie und der Anerkennung von Verschiedenheit bei<br />
Studierenden in den pädagogisch relevanten Bereichen. Bei Anwendung von<br />
genderorientierter Didaktik sind die Prozesse in der Lehr-Lern-Situation zielführend<br />
zu gestalten, indem eine individuelle Förderung von allen Studierenden<br />
anzustreben ist. Hierfür ist Bedingung, auf der methodischen Ebene eine Vielfalt an<br />
Lehr-Lernmethoden in die Praxis akademischer Lehre einzubeziehen, wie<br />
beispielsweise von offenen und kommunikativen Formen des Lehrens und Lernens.<br />
Menschen favorisieren nicht qua Geschlecht bestimmte Formen der<br />
Wissensvermittlung und des Lernens, sondern unterscheiden sich in ihrem<br />
Lernverhalten, ihren Lernerfahrungen und ihren Lernstilen. Damit diese<br />
individuellen Verhaltensformen Berücksichtigung finden, bedarf es der Anwendung<br />
vom komplexen Repertoire an Lern- und Sozialformen.<br />
Vom „doing gender“ zum „undoing gender“<br />
Die inhaltliche Darstellung des Vortrages zur Genderforschung thematisierte die<br />
neueren Theorien des Sozialkonstruktivismus, insbesondere der Theorien des<br />
„doing gender“ und „undoing gender“. Des Weiteren wurde auf<br />
Verkörperungstheorien (Embodiment Theory) und den Affektive Turn verwiesen.<br />
Hier wurde wiederum eine Verknüpfung zur konstruktivistischen Didaktik<br />
hergestellt. „Doing Gender“ ist immer ein Prozess, somit ist Gender nicht etwas was<br />
man ist oder hat, man tut es. Aus der Perspektive des sozialen Konstruktivismus<br />
wird in einem individuellen Konstruktionsprozess interaktiv, symbolisch und<br />
strukturell immer wieder Geschlecht neu hergestellt. Die Kategorie Geschlecht wird<br />
vom Individuum selbst konstruiert und kann wiederum auch von ihm dekonstruiert<br />
werden. In der Hochschule auf der Ebene der Interaktion bedeutet dies, sich täglich<br />
den traditionellen geschlechterdeterminierenden Handlungs- und<br />
Zuschreibungslogiken des „doing gender“ zu stellen, diese aufzudecken und zu<br />
dekonstruieren. Daraus determiniert sich die Fragestellung, in welcher Form<br />
Prozesse des „undoing gender“ im Alltag der Hochschullehre und in einzelnen<br />
Lehrveranstaltungen zu gestalten sind. Perspektivisch gilt es Situationen zu<br />
schaffen, in denen Gender nicht omnirelevant ist.<br />
Die Hierarchie innerhalb der Lehre, vor allem zwischen Lehrenden und Lernenden ist<br />
ein wichtiges Thema. Lehrende agieren auf einer Handlungsebene innerhalb derer<br />
3
sie den Lernenden, die zu diesem Zeitpunkt in einem Abhängigkeitsverhältnis zu<br />
ihnen stehen, die Möglichkeit zum Widerstand geben oder ihnen diesen<br />
verweigern. Zum Gegenstand der Diskussion wurde hier der Aspekt der<br />
Selbstreflexion der Lehrenden in jeder Situation. Wir sind alle immer Akteur_innen<br />
im Prozess des „doing gender“ und schreiben uns gegenseitig bestimmtes<br />
Verhalten im Hinblick auf Rollenstereotype zu und schränken uns damit in unseren<br />
Handlungsspielräumen gegenseitig ein. Die konstruktivistische Didaktik geht davon<br />
aus, dass Lernende das Gelernte selbst herstellen und dass Wissen in jedem Gehirn<br />
aktiv entsteht und nicht im übertragenen Sinne des Nürnberger Trichters oder des<br />
„banking systems“ von Paolo Freire erworben werden kann. Der Konstruktivismus<br />
und die Theorie des „undoing gender“ beschreiben somit zwei potenzvolle<br />
Konzepte, deren Freiräume den Lernenden einen verantwortungsvollen und<br />
reflektierten Umgang mit (Gender-)Wissen ermöglichen.<br />
Gibt es Lerntypen?<br />
Ein viel diskutiertes Thema waren zudem die unterschiedlichen Lerntypen.<br />
Insbesondere kam hier die Frage nach Kategorisierung der verschiedenen Lerntypen<br />
auf und damit verbunden die Frage ob dies sinnvoll ist oder ob dadurch wiederum<br />
Stereotypen hergestellt werden. Weiterhin gab es Gesprächsbedarf, ob Lernende<br />
nicht selbst herausfinden sollten, welche Lerntypen sie sind - abseits von Kategorien<br />
- und so ihre eigenen Lernstrategien entdecken und anwenden lernen. In Bezug auf<br />
die Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Lernen konnte<br />
festgehalten werden, dass weder Frauen noch Männer eine homogene Gruppe<br />
sind, sondern durch vielfältige andere Ordnungskategorien wie Alter, Milieu,<br />
Habitus, Ethnizität etc. verschieden in dieser Gesellschaft verortet sind. Demnach<br />
geht es weniger darum, Frauen (noch Männern) einen bestimmten Lerntypos<br />
zuzuschreiben, sondern die Lehre zu öffnen für die Diversität unterschiedlicher<br />
Ansprüche. Dies kann nur garantiert werden, so die Diskussion, indem Lehrende<br />
abseits von Rollenstereotypen denken und handeln (lassen).<br />
Epistemologie als Voraussetzung gendersensibler Didaktik<br />
Jede Disziplin ist in der Gesellschaft verortet und hat eine sozio-kulturelle und<br />
politische Geschichte, aus der sie entstanden ist. Alle Disziplinen können demnach<br />
nur davon profitieren, sich für die Lernenden in diesen Kontexten zu verorten und<br />
ihnen die Chance zu geben eine kritische, epistemologische Herangehensweise an<br />
ihr Fach zu entwickeln. Nur durch gesellschaftliche Verknüpfungen des<br />
anzueignenden Wissens erhalten Lernende die Möglichkeit, einen Bezug zum<br />
eigenen Leben und zur eigenen Realität herzustellen. Mithin bleibt festzustellen,<br />
dass generelle und allgemeine Handlungsanleitungen für die Umsetzung einer<br />
4
gendersensiblen Lehre nicht ohne Kontext zu erstellen sind, da die unterschiedlich<br />
geprägten Fachkulturen in besonderem Maße Berücksichtigung finden müssen.<br />
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