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Praxisbericht 31 - ERCIS - European Research Center for ...

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Heinz Lothar Grob<br />

Jan vom Brocke<br />

Herausgeber<br />

Daniela Miederhoff, Manfred Holodynski, Kristof Haaser<br />

eLearn-Videoanalyse<br />

E-Learning basierte Videoanalyse von Unterricht und<br />

Diagnosekompetenz von Lehramtsstudierenden<br />

E-Learning<br />

<strong>Praxisbericht</strong>e<br />

<strong>Praxisbericht</strong> Nr. <strong>31</strong>


<strong>Praxisbericht</strong>e<br />

E-Learning<br />

<strong>ERCIS</strong> – <strong>European</strong> <strong>Research</strong> <strong>Center</strong> <strong>for</strong> In<strong>for</strong>mation Systems<br />

Hrsg.: Heinz Lothar Grob, Jan vom Brocke<br />

<strong>Praxisbericht</strong> <strong>31</strong><br />

„eLearn-Videoanalyse“<br />

E-Learning basierte Videoanalyse von<br />

Unterricht und Diagnosekompetenz von<br />

Lehramtsstudierenden<br />

Daniela Miederhoff, Manfred Holodynski, Kristof Haaser


0 •<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Einleitung ................................................................................................................................1<br />

2 Vorgehen.................................................................................................................................4<br />

2.1 Software INTERACT.....................................................................................................4<br />

2.2 Einsatz von Unterrichtsvideos in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden .............5<br />

2.3 Klassenführung von Lehrkräften...................................................................................6<br />

2.4 Seminarkonzept............................................................................................................7<br />

3 Projektergebnisse .................................................................................................................12<br />

3.1 Bisherige Ergebnisse..................................................................................................12<br />

3.2 Ausblick.......................................................................................................................16<br />

4 Erfolgsfaktoren ......................................................................................................................17


1 •<br />

1 Einleitung<br />

Lehrerinnen und Lehrer sollen Experten für das Unterrichten in Gruppen sein. Experten sind<br />

„Personen…, die komplexe berufliche An<strong>for</strong>derungen bewältigen, für die sie sowohl theoretisches<br />

(wissenschaftsbasiertes und akademisch vermitteltes) Wissen als auch praktische Erfahrungen<br />

haben sammeln müssen“ [Br01]. Nach dieser Minimaldefinition von Bromme können<br />

erfahrene Lehrerinnen und Lehrer demnach als Experten für das Unterrichten verstanden werden.<br />

Lehrerinnen und Lehrer als Experten unterscheiden sich gegenüber Anfängern (Lehramtsstudierenden<br />

und jungen Lehrkräften) u. a. auf vier Dimensionen: (a) Sie verfügen über ein umfangreicheres<br />

Wissen konkreter Unterrichtssituationen. (b) Sie kommen zu präziseren und zutreffenderen<br />

Diagnosen konkreter Unterrichtssituationen. (c) Sie verfügen über ein umfangreiches<br />

Repertoire an Problem lösenden Handlungsalternativen. (d) Sie zeichnen sich durch eine<br />

schnelle und angemessene Auswahl und Durchführung Problem lösender Handlungen aus<br />

[Br91].<br />

Sowohl die Definition von Bromme als auch die Unterschiede zwischen Experten und Anfängern<br />

legen nahe, dass die Vermittlung theoretischen Wissens in der universitären Ausbildung<br />

von Lehramtsstudierenden allein nicht ausreicht. Um Expertise zu gewinnen, müssen angehende<br />

Lehrerinnen und Lehrer auch praktische Erfahrungen mit konkreten Unterrichtssituationen<br />

sammeln und ihr theoretisches Wissen mit konkreten Unterrichtserfahrungen zu verknüpfen<br />

lernen.<br />

Im Rahmen der psychologischen Ausbildung von Lehramtsstudierenden sehen sich die Lehrenden<br />

mit der Heraus<strong>for</strong>derung konfrontiert, Expertise zu schaffen, ohne den Studierenden<br />

direkte Unterrichtserfahrungen ermöglichen zu können. Diese bleiben den Schulpraktika vorbehalten.<br />

Die computerbasierte Analyse von Videos realer Unterrichtssituationen hat sich als vielversprechender<br />

Weg herausgestellt, Lehramtsstudierende praxisnah zu schulen. Sie ermöglicht das<br />

wiederholte Betrachten und Auswerten konkreter Unterrichtssituationen und eine individualisierte<br />

Rückmeldung über den Lern<strong>for</strong>tschritt durch den Abgleich mit Expertenanalysen derselben.<br />

Auf diese Weise kann die videobasierte Unterrichtsanalyse dazu dienen, Wissen über konkrete<br />

Unterrichtsgeschehnisse zu vermitteln, eine zutreffende Diagnose von Unterrichtssituationen zu<br />

schulen und unterrichtliche Handlungsalternativen erfahrbar zu machen (Punkte a bis c). Die<br />

Nutzung von E-Learning kann so helfen, theoretisches psychologisch-pädagogisches Wissen<br />

mit technisch vermittelten praxisnahen Erfahrungen zu bereichern und zu verbinden.<br />

Im Projekt wurde die computerbasierte Videoanalyse von Unterrichtssequenzen in ein Seminarkonzept<br />

zur Ausbildung von Lehramtsstudierenden eingebunden. Dazu wird eine Campus-<br />

Lizenz der Software INTERACT der Mangold International GmbH eingesetzt. Sie erlaubt dem<br />

Anwender u. a. die einfache und strukturierte Analyse von Videomaterial unter einer frei wählbaren<br />

Fragestellung, den Vergleich der eigenen Analyse mit einer Expertenanalyse und die<br />

Auswertung der Analysedaten mit Hilfe statistischer und grafischer Auswertungsmittel.


2 •<br />

Unterricht kann unter verschiedenen psychologisch relevanten Aspekten analysiert werden. Ein<br />

wesentlicher Aspekt und ein wichtiger Kompetenzbereich von (angehenden) Lehrkräften ist die<br />

Klassenführung. Die Klassenführung bezeichnet Verhaltensstrategien und Fertigkeiten von<br />

Lehrkräften, die die Organisation des Unterrichtsablaufs betreffen. Sie schaffen Lerngelegenheiten,<br />

fördern eine gute Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler und verhindern Fehlverhalten<br />

im Unterricht [Ko06]. In zahlreichen Studien konnte die Bedeutung der Klassenführung für einen<br />

erfolgreichen Unterricht überzeugend bestätigt werden [He92; He + 02; He + 93; He + 97; Wa + 93].<br />

Im Rahmen des nachfolgend beschriebenen Projekts wurden von dem Psychologischen Institut<br />

V der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster im Wintersemester 2006/2007 erstmals<br />

zwei Hauptstudiumsseminare für Lehramtsstudierende unter dem Titel „Klassenführung<br />

und Unterrichtserfolg in der Primarstufe“ angeboten. In diesen Seminaren wird den Studierenden<br />

zunächst der wissenschaftliche Hintergrund – in unserem Falle Wissen über Klassenführung,<br />

Erfolgskriterien von Unterricht und Unterrichtsanalyse – durch Vorträge und Übungen<br />

vermittelt. Die Studierenden lernen dann den Umgang mit der Software INTERACT. Die Campus-Lizenz<br />

der Software erlaubt die gleichzeitige Arbeit an 20 Rechnern in einem CIP-Pool des<br />

Fachbereichs 07 – Psychologie und Sportwissenschaften. Ein Unterrichtsmitschnitt von ca. 20<br />

Minuten Länge dient als Lernvideo. Die Seminarteilnehmer nehmen die Analyse des videografierten<br />

Unterrichts hinsichtlich wesentlicher Dimensionen der Klassenführung in Zweiergruppen<br />

mit Unterstützung der Lehrenden vor. Sowohl die Analysen selbst als auch Fragen werden im<br />

Seminar besprochen. Weiterhin bekommen die Studierenden eine Expertenbeurteilung des<br />

Unterrichtsmitschnitts zur Verfügung gestellt. INTERACT erlaubt verschiedene Vergleiche zwischen<br />

den Studierendenanalysen und den Expertenanalysen. Jede Studierendengruppe erhält<br />

damit ein individualisiertes Feedback zu ihrem Lern<strong>for</strong>tschritt. Ein zweiter Unterrichtsmitschnitt<br />

wird selbständig von den Studierenden bearbeitet. Des Weiteren ermöglicht INTERACT u. a.<br />

eine verlaufsorientierte Auswertung der Unterrichtssituationen mit Hilfe von grafischen Veranschaulichungen,<br />

so dass das dynamische Interaktionsgeschehen zwischen Lehrkraft und SchülerInnen<br />

sichtbar gemacht und beurteilt werden kann.<br />

Auf diese Weise ist es möglich, Lehramtsstudierenden gezielt das er<strong>for</strong>derliche Expertenwissen<br />

und die Expertenerfahrungen bereits in der Hochschulausbildung zu vermitteln, und zwar in<br />

Bezug auf drei der eingangs beschriebenen vier Kompetenzdimensionen:<br />

• Die Theorievermittlung in Verbindung mit der Illustration und Analyse von Unterrichtsvideos<br />

erleichtert den Aufbau theoriegeleiteten Wissens über konkrete Unterrichtssituationen und<br />

ihre Dynamik.<br />

• Der Abgleich mit einer Expertenanalyse der jeweiligen Unterrichtssequenzen und die Möglichkeit<br />

einer individualisierten Rückmeldung schult die Diagnosekompetenz der Studierenden<br />

in Bezug auf konkrete Unterrichtssituationen.<br />

• Die Unterrichtshandlungen, die die Lehrkräfte in den jeweiligen Unterrichtssequenzen gewählt<br />

haben, können auf ihre Effektivität hin analysiert und mögliche Handlungsalternativen<br />

diskutiert werden, so dass sich Studierende auch ein Repertoire an Unterrichtshandlungen<br />

und ihrer Wirkungen aneignen können.<br />

Herkömmliche ausschließlich textbasierte Lehrveranstaltungen im Rahmen des Lehramtsstudiums<br />

können solche Kompetenzen nur unvollkommen entwickeln.


3 •<br />

Diese Art der computerunterstützten Videoanalyse mit Hilfe von INTERACT kann auf die Analyse<br />

weiterer Unterrichtsdimensionen im Rahmen der Lehramtsausbildung erweitert werden und<br />

damit insbesondere auch für die Fachdidaktik von großem Interesse und Nutzen sein. Ferner<br />

kann sie auf andere Studienfächer, bei denen es um die Analyse und Diagnose von Verhaltensweisen<br />

geht, ausgedehnt werden. Hier ist in erster Linie an die Psychologie und die Pädagogik<br />

gedacht, geht es auch dort um die Analyse und Diagnose menschlicher Verhaltensweisen.<br />

Aber auch die Ethologie kann bei der Analyse und Diagnose des Verhaltens von Tieren<br />

von einem solchen Vorgehen profitieren.<br />

Von daher birgt dieses Videoanalysesystem ein großes innovatives Potential für die weitere<br />

Professionalisierung der Lehre in großen Teilen der Humanwissenschaften, bei denen es auf<br />

Schulung der Analyse- und Diagnosekompetenz menschlicher Verhaltensweisen geht.


4 •<br />

2 Vorgehen<br />

2.1 Software INTERACT<br />

INTERACT (Version 7) ist eine Software der Mangold International GmbH zur Verhaltensbeobachtung<br />

und Videoanalyse (s. Abb. 1).<br />

Digitalisierte Videos können in beliebig lange, hierarchisch geordnete Zeiteinheiten (Szenen,<br />

Takes, Events) unterteilt werden. Die kleinsten Zeiteinheiten werden als Events bezeichnet. Sie<br />

lassen sich über eine Fernsteuerung punktgenau ansteuern, abspielen und beliebig häufig wiederholen.<br />

Die innerhalb eines Events beobachtbaren Verhaltensweisen werden in einem Kategoriensystem<br />

kodiert. Ein Kategoriensystem gibt vor, unter welchen Gesichtspunkten das videografierte<br />

Verhalten zu beobachten/zu bewerten ist. Es kann entsprechend einer frei wählbaren<br />

Fragestellung vom Anwender gestaltet werden. Um die Eingabe zu erleichtern, kann für jede Art<br />

von Verhaltensweise (Code) eine bestimmte Taste auf der Computertastatur belegt werden. In<br />

einem Kommentarfeld können freie Kommentare zum analysierten Event eingeben werden.<br />

Hier können beispielsweise eine Transkription der videografierten Sequenzen oder Beobachtungen<br />

eingegeben werden, die nicht über das Kategoriensystem erfasst werden.<br />

Abbildung 1: Screenshot aus INTERACT. Kodierung eines Videos anhand eines Kategoriensystems<br />

zur „Klassenführung“.<br />

Nach der Kodierung können die Beobachtungsdaten in INTERACT ausgewertet und grafisch<br />

veranschaulicht werden. So können Häufigkeiten der Codes innerhalb einer Kategorie als Tabelle<br />

oder in Form verschiedener Grafiken, wie Balkendiagrammen oder Kreisdiagrammen,<br />

ausgegeben werden. Ferner ist es möglich, eine verlaufsorientierte Auswertung der Beobachtungsdaten<br />

vorzunehmen. Das Programm kann sogenannte Interactiongraphs erstellen. Sie<br />

zeigen das Auftreten der Kodierungen über die Zeit. Abbildung 2 zeigt ein Beispiel für drei Kategorien<br />

der Klassenführung (Mitarbeit_absolut als Anzahl nicht-mitarbeitender Kinder, Unterrichtsaktivität<br />

und Gruppenmobilisierung der beobachteten Lehrkraft). Auf der Horizontalen ist


5 •<br />

die Unterrichtszeit abgetragen. Grüne Markierungen zeigen gelungene Sequenzen, gelbe mittelmäßige<br />

und rote Markierungen nicht gelungene Sequenzen. Die verschiedenen Blautöne<br />

markieren das unterschiedlich große Potenzial der beobachteten Unterrichtsaktivitäten für eine<br />

Beschäftigung der SchülerInnen.<br />

Abbildung 2: Screenshot aus INTERACT. Interactiongraph für drei Kategorien der Klassenführung.<br />

Des Weiteren können Beobachtungsdaten, die von verschiedenen Personen an demselben<br />

Video gemacht wurden, auf ihre Übereinstimmung verglichen werden. So erlaubt die Software<br />

u. a. den Vergleich der eigenen Analysedaten mit einer Expertenanalyse. Eine Expertenanalyse<br />

kann entstehen, indem thematisch versierte Personen im Vorfeld eine vollständige Kodierung<br />

des Videos vornehmen.<br />

2.2 Einsatz von Unterrichtsvideos in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden<br />

Nach Reusser [Re05] kommt Videos in der Ausbildung von (angehenden) Lehrerinnen und<br />

Lehrern eine große Bedeutung zu. Diese Einschätzung gründet auf einer Reflexion der Vorteile<br />

und Potenziale von Unterrichtsvideos:<br />

• Unterrichtsvideos bieten ein anschauliches, lebendiges und authentisches Abbild realen<br />

Unterrichts. Sie vermitteln einen Eindruck der Komplexität, Variabilität und Dynamik des unterrichtlichen<br />

Geschehens.<br />

• Sie machen das verbale und das nonverbale Verhalten von Lehrkräften aber auch Schülerinnen<br />

und Schülern in seiner Gänze erfahrbar.<br />

• Flüchtige Unterrichtssituationen können zeitlich versetzt, verlangsamt und wiederholt betrachtet<br />

werden. Die Auseinandersetzung mit den Unterrichtsprozessen kann ohne Handlungsdruck<br />

Schritt für Schritt geschehen.<br />

• Ein und dieselbe Unterrichtssituation kann unter verschiedenen Aspekten analysiert werden<br />

(z. B. didaktische Aufbereitung, Lehrer-Schüler-Interaktionen, Klassenführung der Lehrkraft).<br />

Darüber hinaus können auch wechselnde Realitätsausschnitte betrachtet werden (z. B. Lehrer-<br />

vs. Schülerverhalten).


6 •<br />

• Unterrichtsvideos bieten unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten. Sie können beispielsweise<br />

Demonstrationsmittel, Analysemittel oder Mittel für die Reflexion des eigenen Unterrichts<br />

sein.<br />

• Schließlich sind sie archivierbar.<br />

• Hinzugefügt werden kann, dass Unterrichtsvideos das tatsächliche Unterrichtsgeschehen<br />

von der Anschauung, der Analyse, der Reflexion etc. trennen. Sie machen damit Unterrichtsdemonstration,<br />

-analyse und -reflexion zeit- und ortsunabhängig von der tatsächlichen<br />

Unterrichtssituation.<br />

Unter diesem Blickwinkel scheint es nicht verwunderlich, dass videografierte Unterrichtssequenzen<br />

zunehmend und mit unterschiedlichen Zielsetzungen Anwendung in der Aus- und Weiterbildung<br />

von Lehrkräften finden [He + 04]. Bei der Nutzung von Unterrichtsvideos müssen Entscheidungen<br />

über das Wie? des Einsatzes getroffen werden. Sie beziehen sich auf vier Dimensionen:<br />

(a) das Format des Videos, (b) den Inhalt der Videos, (c) das Lernsetting und (d) die<br />

Ziele und Funktionen des Einsatzes [Kr + 05].<br />

Die zentrale Frage bei der Nutzung von Unterrichtsvideos bezieht sich auf die vierte Dimension<br />

„Was sind Ziele und Funktionen der Nutzung?“. Das Ziel des vorliegenden Projekts kann als<br />

„problemorientierte und fallbasierte Analyse von Unterrichtsvideos“ [Re05, S. 12] beschrieben<br />

werden. Dabei wird alltäglicher, nicht idealer Unterricht unter Aspekten unterrichtlicher Qualität<br />

beschrieben und analysiert. Der Austausch über die beobachteten Unterrichtsprozesse, Wirkungen<br />

von und Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Unterrichtsvariablen wird angeregt.<br />

Schließlich werden (alternative) Handlungsstrategien entwickelt. Angestrebt wird die tiefgehende<br />

und sorgfältige Auseinandersetzung mit Unterrichtsprozessen und ein differenziertes<br />

und bewegliches Wissen über die Beziehung von Unterrichtshandeln und Unterrichtsqualität.<br />

2.3 Klassenführung von Lehrkräften<br />

Jacob S. Kounin ging in den 1970er Jahren der Frage nach, ob die Art und Weise der Zurechtweisung<br />

einer Schülerin bzw. eines Schülers (d. h. das Ansprechen von Schülern bei mangelnder<br />

Mitarbeit und Fehlverhalten) einen Effekt auf das Schülerverhalten habe [Ko70]. Er konnte<br />

keine bedeutsamen Effekte feststellen. In einer offenen Analyse videografierten Unterrichts<br />

machte er jedoch die Entdeckung, dass es andere Lehrkraftverhaltensweisen gibt, die mit der<br />

Mitarbeit und dem Fehlverhalten der Schülerinnen und Schüler zusammenhängen. Kounin bezeichnet<br />

diese Verhaltensweisen als Dimensionen der Klassenführung.<br />

Durch eine weitere Studie, in der er den Unterricht von 49 ersten und zweiten Klassen in und<br />

um Detroit videografierte und auswertete, konnte er die Bedeutung dieser Klassenführungsdimensionen<br />

für das Schülerverhalten bzw. für einen störungsfreien Unterricht zeigen [Ko06].<br />

Die Klassenführungsdimensionen korrelierten positiv mit der Mitarbeit und negativ mit dem<br />

Fehlverhalten der Schüler – insbesondere in Übungsphasen. Tabelle 1 gibt einen Überblick<br />

über die Dimensionen.<br />

Weitere Studien konnten seitdem die Relevanz der Klassenführung für einen „guten“ Unterricht<br />

bestätigen [He92; He + 02; He + 93; He + 97; Wa + 93].


7 •<br />

Dimension<br />

Allgegenwärtigkeit<br />

Überlappung<br />

Reibungslosigkeit<br />

Schwung<br />

Beschäftigungsradius<br />

Gruppenmobilisierung<br />

Rechenschaftsprinzip<br />

Definition<br />

Die Lehrkraft ist über alle Vorgänge in ihrer Klasse in<strong>for</strong>miert und gibt ihren<br />

Schülern dies auch zu verstehen. Auf Störungen reagiert sie prompt, präzise<br />

und unter direkter Ansprache der/des störenden Schülerin/Schülers.<br />

Die Fähigkeit einer Lehrkraft, mehrere Unterrichtsprozesse zeitgleich zu managen,<br />

(z. B. ein Unterrichtsgespräch führen und parallel auf die Störung eines<br />

Schülers oder einer Schülerin reagieren).<br />

Die Lehrkraft gewährleistet durch ihre Verhaltensweisen den reibungslosen<br />

Ablauf der Unterrichtstätigkeiten, vermeidet Stillstand und Unterbrechungen des<br />

Aktivitätsflusses. Das Gegenteil bezeichnet die Sprunghaftigkeit.<br />

Die Lehrkraft vermeidet eine Lähmung und Zähigkeit im Unterrichtsprozess. Das<br />

Gegenteil wird durch den Begriff der Verzögerungen angezeigt (z. B. das Überproblematisieren<br />

von Schülerverhalten).<br />

Ausmaß der Teilnahme, das von (nicht aufgerufenen) Schülerinnen und Schülern<br />

zu jedem Zeitpunkt verlangt wird.<br />

Verhaltensweisen einer Lehrkraft, die darauf abzielen, (auch nicht aufgerufene)<br />

Schülerinnen und Schüler aufmerksam und „bei der Stange zu halten“.<br />

Aktivitäten der Lehrkraft, die von den Schülerinnen und Schülern Rechenschaft<br />

über ihre Lernaktivitäten verlangen. Die Lehrkraft zieht Erkundigungen über die<br />

Lernaktivitäten ein und gibt Rückmeldung.<br />

Tabelle 1: Klassenführungsdimensionen nach Kounin [Ko06].<br />

2.4 Seminarkonzept<br />

Das im Folgenden beschriebene Seminarkonzept ist zwar inhaltlich auf den Bereich „Klassenführung<br />

und Unterricht“ und auf Lehramtsstudierende ausgerichtet. In seiner organisatorischen<br />

und technischen Infrastruktur kann es aber auch für andere Seminarinhalte und andere Studienfächer<br />

benutzt werden, sofern es um die Analyse und Diagnose von videografierten Verhaltensdaten<br />

geht. Insofern handelt es sich nicht nur um ein singuläres Seminarkonzept, sondern<br />

um ein verallgemeinerbares Konzept für computergestützte Videoanalysen von menschlichen<br />

(und tierischen) Verhaltensweisen.<br />

Im Wintersemester 2006/2007 wurden erstmals zwei parallele Hauptstudiumsseminare („Klassenführung<br />

und Unterrichtserfolg in der Primarstufe“) angeboten, die auf der Videoanalyse von<br />

Unterrichtsmitschnitten mit Hilfe von INTERACT fußten. Die Seminare richteten sich vornehmlich<br />

an Lehramtsstudierende für den Primarstufenunterricht. Das Seminarkonzept wurde in Kooperation<br />

mit Prof. Jeanette Roos und Herrn Markus Schmitt von der Pädagogischen Hochschule<br />

(PH) Heidelberg entworfen.<br />

Im Vorfeld des Seminars mussten zahlreiche Vorbereitungen getroffen werden.


8 •<br />

(1) Digitalisierung von Unterrichtsvideos. Bestehendes Videomaterial wurde für die Arbeit mit<br />

INTERACT digitalisiert. Die zwei Filme umfassen je einen Unterrichtsmitschnitt von etwa 20<br />

Minuten Länge. Sie zeigen Ausschnitte aus dem Deutschunterricht von zwei unterschiedlichen<br />

Lehrkräften in der ersten Grundschulklasse.<br />

(2) Erstellung eines Kategoriensystems für die Verhaltensanalyse. Vier Lehrende des Psychologischen<br />

Instituts V der WWU Münster und der PH Heidelberg erstellten in INTERACT ein<br />

Kategoriensystem - für unseren Fall zu Klassenführungsdimensionen der Lehrkraft und zum<br />

Schülerverhalten. Ein solches Kategoriensystem gibt vor, unter welchen Gesichtspunkten das<br />

videografierte Verhalten der Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zu beobachten/zu bewerten<br />

ist. Neben den Klassenführungsdimensionen (s. Tabelle 1) wurden Kategorien zu Schülerverhaltensweisen<br />

(Mitarbeit und Fehlverhalten) und Unterrichtsaktivitäten aufgenommen. Die<br />

Klassenführungsdimensionen von Kounin [Ko06] wurden an einigen Stellen den eigenen Bedürfnissen<br />

angepasst. Das System enthält die folgenden Kategorien: Anzahl nichtmitarbeitender<br />

Schüler (Mitarbeit_absolut), Anzahl störender Schüler (Fehlverhalten), Unterrichtsaktivitäten,<br />

Allgegenwärtigkeit, Überlappung, Reibungslosigkeit, Schwung, Beschäftigungsradius,<br />

Gruppenmobilisierung und Rechenschaftsprinzip. Für jede Kategorie wurden Verhaltenscodes<br />

<strong>for</strong>muliert. Sie beschreiben die möglichen (Verhaltens-) Ausprägungen innerhalb<br />

einer Kategorie. Abbildung 3 zeigt einige Beispiele: Für die Kategorie Allgegenwärtigkeit sind<br />

vier Codes vorgesehen (Allgegenwärtigkeit, Objektfehler, Zeitfehler und unbeachtete Störung).<br />

Jede Kategorie und jeder Verhaltenscode wurde definiert. Die Definitionen bestimmen, in welchen<br />

Beobachtungsfällen ein bestimmter Code zu vergeben ist.<br />

Abbildung 3: Screenshot aus INTERACT. Anlegen eines Kategoriensystems.<br />

(3) Erstellung eines Expertenratings der verwendeten Unterrichtsvideos. Die Lehrenden aus<br />

Münster und Heidelberg kodierten die zwei videografierten Unterrichtssequenzen getrennt voneinander,<br />

klärten Widersprüche in den Kodierungen und besserten das Kategoriensystem nach.<br />

So entstanden ein System mit klar definierten Kategorien und Verhaltenscodes (s. Abb. 3) und<br />

übereinstimmende Expertenbeurteilungen der zwei Unterrichtssequenzen (s. Abb. 4). Darüber<br />

hinaus wurden Dateien erstellt, die die Tastaturbelegungen enthielten. In diesen ist für jeden<br />

Verhaltenscode festgelegt, welche Taste auf der Tastatur zu drücken ist, um den Code in<br />

INTERACT zu schreiben. Auch hierfür gibt Abbildung 3 ein Beispiel: Für den Code „Allg (= Allgegenwärtigkeit)“<br />

wurde die Taste „A“ festgelegt. Dies erleichtert die Kodierung der Videos, da<br />

für jeden Kodiereintrag nur eine einzelne Taste oder eine Tastenkombination aus max. zwei<br />

Zeichen zu betätigen ist. Es setzt jedoch gerade bei einem komplexen Kategoriensystem eine<br />

gute Planung voraus, da die Tastenbelegungen intuitiv eingängig sein müssen.


9 •<br />

Abbildung 4: Screenshot aus INTERACT. Expertenanalyse des ersten Videofilms.<br />

(4) Installation einer CIP-Pool-basierten Version von INTERACT. In einem CIP-Pool des Fachbereichs<br />

7 Psychologie und Sport der WWU Münster wurden 20 Rechner mit einer Campus-<br />

Lizenz der INTERACT-Software ausgestattet. Dieser Raum wurde als Seminarraum genutzt.<br />

Die Rechnerausstattung begrenzt die Teilnehmerzahl des Seminars auf 40 Studierende, die in<br />

Zweiergruppen an einem Rechner arbeiten können. An einen Dozentenrechner sind zudem ein<br />

Beamer und eine Audioanlage gekoppelt. So können PowerPoint-Präsentationen und Videomitschnitte<br />

vorgeführt werden. Außerdem ermöglicht dies eine Demonstration der Arbeit mit der<br />

INTERACT-Software. Um den Studierenden eine Arbeit mit INTERACT auch außerhalb der<br />

Seminarzeiten zu ermöglichen, wurde die Software zudem in zwei öffentlichen CIP-Pools installiert<br />

(ca. 20 Rechner). So wurde sichergestellt, dass eine Arbeit mit INTERACT für die Studierenden<br />

zu jeder Zeit möglich ist.<br />

(5) Installation einer technischen Infrastruktur. Ferner musste eine technische Infrastruktur geschaffen<br />

werden, um die Nutzung der INTERACT-Software innerhalb des Netzwerks des Fachbereichs<br />

7 zu ermöglichen. Es musste eine Lösung geschaffen werden, die mehreren Ansprüchen<br />

gleichermaßen gerecht wird. Alle Seminarteilnehmer müssen Zugriff auf Dateien haben,<br />

die ihnen für die Arbeit im Seminar zur Verfügung gestellt werden. Eigene Dateien (z. B. die<br />

Kodierungen der Videofilme) müssen von den Studierenden gespeichert werden. Diese sollten<br />

für andere Personen schreibgeschützt sein. Anderseits sollten die Lehrenden Leserechte für die<br />

Dateien besitzen, damit sie den Arbeits- und Lern<strong>for</strong>tschritt der Seminarteilnehmer beobachten<br />

können.<br />

In Zusammenarbeit mit dem IT-Support des Fachbereichs 7 wurde folgendes Modell ausgearbeitet:<br />

Die Lehrenden bekommen auf einem Netzlaufwerk Schreib- und Leserechte (Kurslaufwerk).<br />

Hier können den Studierenden Dateien zur Verfügung gestellt werden. Auf diesem Laufwerk<br />

haben die Studierenden nur Leserechte. Sie können sich benötigte Dateien kopieren, aber<br />

nicht verändern. Bei einem weiteren Netzlaufwerk sind die Rechte umgekehrt vergeben (Teilnehmerlaufwerk).<br />

Auf diesem Laufwerk haben Studierende Schreib- und Leserechte, die Lehrenden<br />

jedoch nur Leserechte. Für jeden Studierenden kann auf diesem Laufwerk ein persönlicher<br />

Ordner angelegt werden. In diesen können Dateien gespeichert werden und sind für andere<br />

einsehbar, aber nicht veränderbar.


10 •<br />

Seminarablauf<br />

Der Ablauf der ersten Veranstaltungen im Wintersemester 2006/2007 lässt sich anhand der<br />

folgenden sechs Phasen beschreiben.<br />

Phase 1: Wissensinput zum theoretischen Hintergrund. In dieser Phase wurde den Studierenden<br />

durch Vorträge und Übungen das notwendige Hintergrundwissen vermittelt, z. B. zu den<br />

Themen Klassenführung von Lehrkräften, wissenschaftliche Beobachtung, Erfolgskriterien von<br />

Unterricht und Unterrichtsanalyse.<br />

Phase 2: Erlernen und Anwenden des Kategoriensystems für die Verhaltensanalyse. Die Seminarteilnehmer<br />

lernten über mehrere Sitzungen verteilt das theoretische Gebäude hinter dem<br />

Kategoriensystem kennen. Themen waren das verbale und nonverbale Verhalten von Schülern,<br />

Unterrichtsaktivitäten als Einheiten des Unterrichts und die Dimensionen der Klassenführung<br />

nach Jacob S. Kounin [Ko06]. Bereits in diesem Stadium wurden für die Vermittlung des Themenbereichs<br />

„Klassenführung“ kurze videografierte Unterrichtssequenzen eingesetzt. Die Studierenden<br />

bekamen dadurch einen realistischen Eindruck, wie sich Klassenführung im Schulunterricht<br />

äußern kann und worin sich eine effektive von einer ineffektiven Klassenführung unterscheidet.<br />

Parallel konnten sie lernen, wie die theoretischen Konzepte in das Kategoriensystem<br />

umgesetzt wurden.<br />

Die Studierenden wurden in den Umgang mit der Software INTERACT eingeführt. Die Funktionen<br />

von INTERACT wurden von den Lehrenden zunächst demonstriert, dann konnten die Seminarteilnehmer<br />

diese am eigenen Rechner nachvollziehen und üben.<br />

Phase 3: Kodieren der Unterrichtssequenzen durch die Studierenden. In Zweiergruppen kodierten<br />

die Studierenden Schritt für Schritt das erste Video. Einen Teil der Kodierarbeit führten die<br />

Studierenden außerhalb der Seminarsitzungen aus. Dafür standen ihnen reservierte Zeiten im<br />

Seminarraum und die öffentlichen CIP-Pools des Fachbereichs zur Verfügung. Innerhalb jeder<br />

Seminarsitzung war Zeit dafür vorgesehen, die Kodierungen zu besprechen. Fragliche Unterrichtsszenen<br />

wurden im Seminar nochmals vorgeführt und diskutiert. Jede Seminarsitzung war<br />

demnach eine Abfolge von: (a) Theoriebaustein, (b) Kategoriensystem, (c) Kodieren des Videos<br />

mit INTERACT und (d) Besprechung der Kodierungen.<br />

Zu Ihrer Unterstützung erhielten die Studierenden zweimal je fünf Minuten der Expertenbeurteilung<br />

des Videos (insgesamt die ersten 10 von 17 Minuten). So konnten sie die eigenen Analysen<br />

mit der Expertenanalyse vergleichen und bei Abweichungen diese mit den Lehrenden und<br />

anderen Seminarteilnehmern besprechen und klären. Ziel für die Lehrenden war jedoch vielmehr,<br />

dass sich die Studierenden durch die Diskussion der Kodierungen einem übereinstimmenden<br />

Bewertungsmaßstab für die Beobachtungen nähern und ihre Beobachtungsgüte schulen.<br />

Durch eine Elaboration des Lerngegenstands kann zudem ein tieferes und beständigeres<br />

Wissen erzielt werden.<br />

Phase 4: Individualisierte Rückmeldungen der Beobachtungsgüte. Die Studierenden-<br />

Kodierungen des ersten Videos wurden von den Lehrenden hinsichtlich der Übereinstimmung<br />

mit der Expertenbeurteilung ausgewertet. 1 Jede Arbeitsgruppe erhielt daraufhin eine individuel-<br />

1 Die Studierenden erhalten nur zu den ersten 10 Minuten des Videos die Expertenkodierung. Die letzten 7 Minuten<br />

kodieren sie selbständig.


11 •<br />

le Rückmeldung über die Übereinstimmung ihrer Kodierungen mit der Expertenkodierung. Die<br />

Arbeitsgruppen waren aufge<strong>for</strong>dert, widersprüchliche Kodierungen zu entdecken, im Seminar<br />

zu klären und ggf. die eigenen Kodierungen zu überarbeiten.<br />

Etwa nach der Hälfte der Seminarzeit erhielten die Studierenden die zweite Videosequenz.<br />

Diese Unterrichtsaufzeichnung mussten sie in ihren Zweiergruppen selbständig kodieren.<br />

Phase 5: Auswertung der Unterrichtsvideos. Die Studierenden bekamen eine Einführung in die<br />

statistischen und grafischen Auswertungsfunktionen von INTERACT. Insbesondere die grafischen<br />

Auswertungsfunktionen des Interactionsgraphs ermöglichen es, die Dynamik des Unterrichtsverlaufs<br />

und die Wechselbeziehungen zwischen den kategorisierten Verhaltensweisen<br />

von Lehrkraft und SchülerInnen im Zeitverlauf zu veranschaulichen und damit der Analyse zugänglich<br />

zu machen (vgl. Abb. 2). Des Weiteren ist es möglich, an jeder beliebigen Stelle der<br />

Zeitverlaufsgrafik in das Unterrichtsvideo hineinzuspringen und sich die entsprechende Passage<br />

anzuschauen. Auf diese Weise ist ein kategoriengeleiteter, so<strong>for</strong>tiger Zugriff auf alle relevanten<br />

Unterrichtspassagen möglich, was die Güte und Tiefe der Auswertung deutlich verbessert.<br />

Unter Anleitung der Lehrenden wertete jede Arbeitsgruppe Ihre Beobachtungsdaten aus. Die<br />

folgenden Fragen verdeutlichen mögliche Auswertungsgesichtspunkte, die jeweils auf den Seminarinhalt<br />

zugeschnitten sind: Wie gut setzen die Lehrkräfte die Strategien der Klassenführung<br />

um? Gibt es offensichtliche Wechselwirkungen zwischen der Klassenführung einer Lehrkraft<br />

und dem Schülerverhalten (Mitarbeit und Fehlverhalten als Kennzeichen von Unterrichtserfolg)?<br />

Wie schneiden die beiden videografierten Lehrkräfte im Vergleich ab?<br />

Phase 6: Fallpräsentationen und Fallberichte als Produkte der studentischen Seminararbeit.<br />

Studierende, die einen Leistungsnachweis erbringen wollten, stellten Ihre Analyseergebnisse in<br />

Präsentationen vor. Dazu gehörte die anschauliche Aufbereitung ihrer Analysen und Interpretationen.<br />

Des Weiteren verfassten sie einen Bericht über ihre Analysen. Dieser hatte die Form<br />

einer Fallstudie und behandelte – in dem vorliegenden Seminar – die Wechselwirkungen zwischen<br />

Klassenführung und Unterrichtserfolg (bzw. Schülerverhalten) am Beispiel der zwei videografierten<br />

Lehrkräfte.<br />

Ziel des Seminarverlaufs. Das Durchlaufen der geschilderten Phasen sollte folgende Ergebnisse<br />

erbringen. Die Studierenden erlangen theoretisches Wissen über Klassenführung als einen<br />

wichtigen Kompetenzbereich von Lehrkräften. Durch die Videoanalyse erfahren sie zudem unterschiedliche<br />

konkrete Unterrichtssituationen. Sie lernen, verschiedene Unterrichtssituationen<br />

hinsichtlich ihrer klassenführungsrelevanten Aspekte zuverlässig und zutreffend einzuschätzen.<br />

Hierbei richtet sich der Blick der Studierenden aufgrund unterschiedlicher Analyseaspekte sowohl<br />

auf den einzelnen Schüler, als auch auf die Klasse als Ganzes und auf die Lehrkraft. Sie<br />

erkennen Wechselwirkungen zwischen der Klassenführung einer Lehrkraft und dem Schülerverhalten.<br />

Sie lernen, gelungene von weniger gelungener Klassenführung zu unterscheiden und<br />

leiten daraus Strategien für den Umgang mit unterrichtlichen (Problem-) Situationen ab.


12 •<br />

3 Projektergebnisse<br />

3.1 Bisherige Ergebnisse<br />

Projektergebnisse lassen sich unter technisch-organisatorischen wie unter inhaltlichen Gesichtspunkten<br />

betrachten.<br />

Technisch-organisatorische Ergebnisse. Die große Heraus<strong>for</strong>derung bei der Implementation<br />

von Lernsoftware für die Nutzung in Seminaren besteht darin, das Equipment gleichzeitig für<br />

eine große Gruppe zur Verfügung zu stellen. Die Nutzung der Software muss dabei in einer<br />

Reibungslosigkeit und Qualität ablaufen, wie dies bei einem kom<strong>for</strong>tablen Einzelplatzsystem der<br />

Fall ist. Dieses Ziel ist in bester Weise erreicht worden. Die Campus Lizenz der INTERACT-<br />

Software konnte erfolgreich auf etwa 40 Rechnern implementiert werden. Das Programm läuft<br />

vollkommen stabil und die Nutzung ist genauso kom<strong>for</strong>tabel wie bei einer Einzelplatzlizenz. Ein<br />

CIP-Pool mit etwa 20 Rechnern kann als Seminarraum genutzt werden, so dass die Studierenden<br />

während der Seminarsitzungen in Zweiergruppen mit INTERACT arbeiten können. Etwa<br />

weitere 20 Rechner stehen in den öffentlichen CIP-Pools des Fachbereichs 7 Psychologie und<br />

Sport für die Nutzung von INTERACT zur Verfügung. Die Lösung für die Verwaltung der 30<br />

Lizenzen der Software stellte sich als ideal heraus. Die Lizenz ist auf einem zentralen Server<br />

hinterlegt. Bei jedem Programmstart, unabhängig davon, an welchem speziellen Rechner der<br />

Nutzer sitzt, wird die Lizenz vom Server abgerufen und lässt bis zu 30 gleichzeitige Zugriffe zu.<br />

Durch die Installation der Software in den öffentlichen CIP-Pools können Studierende ihre Zeiten<br />

für die Arbeit mit INTERACT flexibel einteilen und vor allem auch im Selbststudium nutzen.<br />

Sie sind nicht auf die begrenzten Seminarzeiten beschränkt. Eine Nutzung der Software in den<br />

öffentlichen CIP-Pools ist innerhalb der Gebäudeöffnungszeiten zwischen 08:00 und 22:00 Uhr<br />

möglich. Damit die Studierenden auch in den öffentlichen CIP-Pools ungestört arbeiten können,<br />

stehen Ihnen Kopfhörer zur Ausleihe zur Verfügung.<br />

Die Gestaltung der technischen Infrastruktur ist optimal, um sowohl den Bedürfnissen der Lehrenden<br />

als auch der Studierenden entgegenzukommen. Auf einem Kurslaufwerk werden den<br />

Studierenden alle Dateien, die sie für die Arbeit im und außerhalb des Seminars benötigen, zur<br />

Verfügung gestellt – darunter die Videodateien, notwendige INTERACT-Dateien und Dokumente<br />

mit Anleitungen für die Arbeit mit INTERACT. Auf einem Teilnehmerlaufwerk erhält jeder<br />

Seminarteilnehmer einen eigenen Ordner. Für diesen hat der Teilnehmer selbst Schreibrechte.<br />

Die Lehrenden dagegen haben nur Leserechte. Für die Arbeit in Zweigruppen geben die Studierenden<br />

jeder Gruppe die Ordner für ihren jeweiligen Partner frei. In diesen Ordnern können<br />

die Studierenden alle Dateien, die sie im Laufe des Seminars erstellen, speichern.<br />

Dieses Vorgehen hat eine Reihe von Vorteilen. Sie beziehen sich insbesondere auf die Anleitung<br />

und Organisation des Selbststudiums der Studierenden und die Möglichkeit individualisierter<br />

Rückmeldungen, wie sie sonst nur in Seminaren von Kleingruppengröße möglich wäre.<br />

• Alle Seminarteilnehmer können auf die Videodateien zugreifen. Eine externe Speicherung<br />

auf CD-Rom oder DVD kann entfallen. Die Ressourcen erlauben einen gleichzeitigen Zugriff<br />

von allen Rechnern des CIP-Pools auf ein und dieselbe Videodatei.


13 •<br />

• Durch die Nutzung der Netzlaufwerke erübrigt sich jeglicher Datentransfer. Die Studierenden<br />

können von jedem Rechner der drei mit INTERACT ausgestatteten CIP-Pools (und prinzipiell<br />

von jedem Rechner im WWU-Netz) auf ihre persönlichen Dateien und die Kursdateien<br />

zugreifen.<br />

• Auf der anderen Seite können die Lehrenden (nach Ankündigung) jederzeit auf die Dateien<br />

der Studierenden zugreifen und sich über den Stand und den Fortschritt der Arbeit der Studierenden<br />

in<strong>for</strong>mieren, ohne dass ein Transfer der Dateien per Email oder externe Speichermedien<br />

notwendig wird.<br />

• Darüber hinaus müssen sich Lehrende und Studierende keine Gedanken über die Sicherung<br />

der Daten machen. Sie sind in die regelmäßigen Netzwerk-Backups eingeschlossen.<br />

Die Fortschritte des vorliegend beschriebenen Projekts werden innerhalb eines Internetauftritts<br />

laufend dokumentiert (URL: http://wwwpsy.uni-muenster.de/Psychologie.inst5/AEHolodynski/<br />

klassenzimmer/klassenzimmer_index.html, Stand: Februar 2007). Die Projektbeschreibung<br />

dient als In<strong>for</strong>mation für Studierende, andere Lehrende, aber auch Forscher, die sich über Möglichkeiten<br />

der Videoanalyse generell in<strong>for</strong>mieren möchten.<br />

Inhaltliche Ergebnisse. Unter einem inhaltlichen Blickwinkel ist zunächst zu berichten, dass im<br />

Wintersemester 2006/2007 mehr als 50 Lehramtsstudierende eines der zwei parallelen Seminare<br />

erfolgreich abgeschlossen haben. Diese Studierenden haben im Verlauf des Seminars die<br />

zwei Videos vollständig kodiert und ausgewertet. Ein Teil dieser Studierenden musste zu den<br />

Analyseergebnissen eine Hausarbeit bzw. einen Bericht als Teil einer schriftlichen Präsentation<br />

verfassen. Diese lagen zu dem Zeitpunkt, zu dem der vorliegende Bericht verfasst wurde, noch<br />

nicht vor. Es ist daher bisher keine Aussage zu der Qualität der schriftlichen Ausarbeitungen<br />

möglich. Einige Studierende haben jedoch ihre Analyseergebnisse in Form eines Referats vorgestellt.<br />

In den Ergebnispräsentationen durch die Studierenden zeigte sich, dass diese durch die Teilnahme<br />

am Seminar ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Klassenführung und<br />

Unterrichtserfolg gewonnen haben. Sie analysierten die zwei Unterrichtsequenzen beispielsweise<br />

unter folgenden Gesichtspunkten:<br />

• Inwiefern realisieren die videografierten Lehrkräfte eine gelungene Klassenführung?<br />

• Wie lassen sich Phasen guter Mitarbeit/geringen Fehlverhaltens bzw. Phasen mit schlechterem<br />

Schülerverhalten durch die Klassenführung der Lehrkräfte erklären?<br />

• Welche Wechselwirkungen lassen sich zwischen der realisierten Klassenführung einer Lehrkraft<br />

und dem Verhalten der Schülerinnen und Schüler insgesamt finden?<br />

• Welche Empfehlungen könnten gegenüber den videografierten Lehrkräften ausgesprochen<br />

werden, um die Klassenführung zu verbessern?


14 •<br />

Die Abbildungen 5, 6 und 7 zeigen Ausschnitte aus einer Präsentation der Analyseergebnisse<br />

durch eine Studierende. Die Studierende hat innerhalb ein und desselben Videos und anhand<br />

der Grafiktools aus INTERACT zwei äquivalente Unterrichtsaktivitäten (Klassendemonstrationen)<br />

hinsichtlich des Schülerverhaltens gegenübergestellt. Unterschiede in dem erreichten Niveau<br />

der Mitarbeit und des Fehlverhaltens werden durch die gelungene bzw. weniger gelungene<br />

Klassenführung der Lehrkraft erklärt. Die Erklärungen zeugen von einem guten Verständnis<br />

der Zusammenhänge zwischen der realisierten Klassenführung durch die Lehrkraft und dem<br />

Schülerverhalten.<br />

Auswertung der Mitarbeit in der ersten<br />

Klassendemonstration<br />

Fazit:<br />

- ausreichender Schwung<br />

während der Klassendemonstration<br />

- gute Gruppenmobilisierung<br />

- alle Schüler sind beschäftigt<br />

- Lehrerin gibt den Schülern<br />

Rechenschaft über ihre erbrachten<br />

Leistungen<br />

Abbildung 5: Ausschnitt 1 aus einer Präsentation der Analyseergebnisse durch Studierende.<br />

Auswertung der geringen Mitarbeit<br />

während der 2. Klassendemonstration<br />

Fazit:<br />

- fehlende Allgegenwärtigkeit der<br />

Lehrerin<br />

- fehlende Überlappung der<br />

gleichzeitig verlaufenden<br />

Sachverhalte<br />

- fehlende Beschäftigung der<br />

Kinder<br />

- zu wenig Schwung während der<br />

Klassendemonstration<br />

Abbildung 6: Ausschnitt 2 aus einer Präsentation der Analyseergebnisse durch Studierende.


15 •<br />

Fazit<br />

- Realisierung einer guten Mitarbeit, durch…<br />

einen auf die Kinder abgestimmten Schwung,<br />

einen hohen Beschäftigungsradius und<br />

eine gute Gruppenmobilisierung.<br />

- Die Allgegenwärtigkeit ist vermutlich ebenfalls dafür geeignet, die<br />

Mitarbeit seitens der Schüler zu verbessern. Sie wird jedoch von der<br />

Lehrkraft insgesamt zu wenig realisiert.<br />

Abbildung 7: Ausschnitt 3 aus einer Präsentation der Analyseergebnisse durch Studierende.<br />

Aus Sicht der Lehrenden kann festgehalten werden, dass der Einsatz der Software INTERACT<br />

und die videobasierte Analyse von Unterricht ein wertvolles Konzept für die psychologische<br />

Ausbildung von Lehramtsstudierenden darstellt. Sie ermöglicht, die vornehmlich theoretische<br />

Ausbildung an der Universität auf unterrichtsnahe Beobachtungen und Erfahrungen zu beziehen<br />

und auf diese Weise die Theorie-Praxis-Kluft erfolgreich zu überbrücken. Sie hilft, der Heraus<strong>for</strong>derung<br />

gerecht zu werden, angehenden Lehrkräften wissenschaftliche Konzepte der<br />

Unterrichtsanalyse in anwendungsbezogener Weise zu vermitteln, ohne im Feld „Schule“ selbst<br />

ausbilden zu können. Durch die Kodierung der videografierten Unterrichtssequenzen haben<br />

sich die Studierenden intensiv mit realen Unterrichtssituationen auseinander gesetzt. Sie haben<br />

Unterrichtsgeschehnisse und Unterrichtshandlungen der videografierten Lehrkräfte diagnostiziert<br />

und bewertet. Mittels der Vergleiche der eigenen Videoanalysen mit den Expertenanalysen<br />

und dem Austausch im Seminar haben sie Ihre diagnostische Kompetenz verbessert. Insbesondere<br />

in den Präsentationen der Analyseergebnisse (und den schriftlichen Berichten) haben<br />

sie sich nicht nur mit effektivem oder weniger effektivem unterrichtlichen Handeln von Lehrkräften<br />

beschäftigt, sondern haben auch Handlungsalternativen für die analysierten Unterrichtssituationen<br />

entworfen (siehe Punkte a bis c, Abschnitt 1)<br />

Ausgabe von Examensarbeiten an Lehramtsstudierende. Sechs Studierende haben das vorgestellte<br />

Konzept der videobasierten Unterrichtsanalyse in Ihre Examensarbeit aufgenommen. Sie<br />

haben im Wintersemester 06/07 das vorgestellte Seminar besucht, um die notwendigen Hintergründe<br />

zu lernen. Jede Examenskandidatin hat parallel zum Seminar selbstständig eine Unterrichtssequenz<br />

mit INTERACT analysiert und die Beobachtungsdaten ausgewertet. Die Examensarbeiten<br />

haben die Form einer Fallstudie über die Wechselwirkung zwischen Klassenführung<br />

und Schülerverhalten im Primarstufenunterricht.


16 •<br />

3.2 Ausblick<br />

Durch die Durchführung der ersten zwei Veranstaltungen im Wintersemester 2006/2007 konnten<br />

erste Erfahrungen in dieser bislang einmaligen Form der computergestützten Videoanalyse<br />

von Unterricht im Rahmen von Lehrveranstaltungen gesammelt werden. Weiterhin wurden die<br />

Seminarteilnehmer zu mehreren Zeitpunkten zu ihren Erwartungen an das Seminar, ihren Bewertungen<br />

der Veranstaltung und zu Verbesserungsmöglichkeiten befragt. Die gewonnenen<br />

(vornehmlich qualitativen) Daten werden als Ansatzpunkte für eine Optimierung des Konzepts<br />

genutzt. Verbesserungen fließen in die Veranstaltungsplanung für das Sommersemester 2007<br />

ein.<br />

Parallel zu den Veranstaltungen im Wintersemester 2006/2007 wurde geeignetes Seminarmaterial<br />

erstellt. Dazu gehörten die Auswahl von Literatur zum wissenschaftlichen Hintergrund, das<br />

Erstellen von Anleitungen für die Arbeit mit INTERACT und die Gestaltung von Vorträgen zu<br />

den Seminarinhalten in PowerPoint. Ferner wurden Videodateien erzeugt. Sie zeigen kurze<br />

Unterrichtssequenzen und dienen als Beispiele, wie sich Klassenführung von Lehrkräften im<br />

realen Unterricht darstellt. Schließlich wurden Testfragen <strong>for</strong>muliert, über die das Verständnis<br />

der Seminarinhalte überprüft werden kann. Dieses Material wird den Seminarteilnehmern im<br />

Sommersemester 2007 auf der Lernplatt<strong>for</strong>m OpenUSS zur Verfügung gestellt. Sie soll vornehmlich<br />

der Verbreitung des Seminarmaterials dienen. Darüber hinaus soll sie jedoch auch die<br />

Kommunikation der Studierenden untereinander und die Kommunikation zwischen Studierenden<br />

und Lehrenden erleichtern.<br />

Mittelfristig soll das Konzept der videobasierten Unterrichtsanalyse über den Themenbereich<br />

Klassenführung hinaus auch auf andere relevante Inhalte ausgedehnt werden.


17 •<br />

4 Erfolgsfaktoren<br />

Im Rückblick auf den Projektverlauf lässt sich festhalten, dass insbesondere die Phase des<br />

Projektstarts (letztes Drittel des Jahres 2006) mit einem großen personalen wie zeitlichen Aufwand<br />

verbunden war. In dieser Phase waren zwei Lehrende und wissenschaftliche bzw. studentische<br />

Hilfskräfte des Instituts V der WWU Münster zeitlich intensiv in die Projektarbeit eingebunden.<br />

Sie wurden durch die Arbeit von zwei Lehrenden der PH Heidelberg unterstützt.<br />

Dieser Aufwand resultierte vornehmlich aus organisatorischen Tätigkeiten, sowohl im Vorlauf<br />

zum eigentlichen Seminarstart als auch parallel zum Seminarverlauf. Auf der anderen Seite ist<br />

zu berücksichtigen, dass dieser Aufwand nur einmal zu betreiben ist. Wird die Veranstaltung in<br />

nachfolgenden Semestern durchgeführt, kann zu einem großen Teil auf diese Vorarbeiten zurückgegriffen<br />

werden.<br />

Erarbeitung des Seminarkonzepts. Viel Zeit musste auf die Ausarbeitung eines Seminarkonzepts<br />

verwandt werden, in das sich die Verwendung der INTERACT-Software sinnvoll eingliedert.<br />

Aufbauend war das Seminarmaterial zu gestalten. Zeitintensiv war hierbei die Produktion<br />

desjenigen Materials, das für die Arbeit in INTERACT benötigt wird. Hierzu zählen die Aufbereitung<br />

bestehenden Videomaterials, die Entwicklung eines praktikablen und adäquaten Kategoriensystems<br />

und dessen Anlage in INTERACT. Mit dem Ziel, eine Expertenbeurteilung der videografierten<br />

Unterrichtssequenzen zu gewinnen, kodierten die Lehrende der WWU und der<br />

PH Heidelberg die Videos getrennt voneinander. Abweichungen in den Kodierungen mussten<br />

besprochen werden, bis eine übereinstimmende Analyse der Videos erzielt wurde. Die Absprachen<br />

führten zu mehrfachen Überarbeitungen des ursprünglichen Kategoriensystems. Es mussten<br />

weitere unterschiedliche Dateitypen für die Arbeit mit INTERACT vorbereitet werden. Außerdem<br />

waren Anleitungen für die Arbeit mit INTERACT zu erarbeiten, damit Studierende auch<br />

außerhalb der Seminarzeiten und ohne Unterstützung der Lehrenden mit der Software arbeiten<br />

konnten.<br />

Implementation der Software. Die Verwendung der Campus-Lizenz der INTERACT-Software<br />

verlangt – wie jede Campuslizenzinstallation – eine Reihe organisatorischer Anstrengungen.<br />

Die Installation der Software an insgesamt 40 Rechnern in den CIP-Pools des Fachbereichs 7<br />

gestaltete sich langwieriger und komplizierter als erwartet. Unvorhersehbare Probleme ergaben<br />

sich, da die Software zunächst nicht vollständig kompatibel mit der Konfiguration der Rechner<br />

innerhalb des Netzwerks des Fachbereichs war. Beispielsweise besteht in INTERACT die Voreinstellung,<br />

dass Programm-Dateien auf C: geschrieben werden. Dieses Laufwerk ist bei den<br />

Rechnern des Fachbereichs jedoch für Benutzter gesperrt. An diesen Ort kann nur geschrieben<br />

werden, wenn Administratorrechte vorliegen. Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, musste<br />

der IT-Support kreative Lösungen entwickeln.<br />

Bereitstellung einer rechnergestützten Infrastruktur für jeden Seminarteilnehmer. Um die Nutzung<br />

der Software innerhalb eines Netzwerks zu ermöglichen, musste darüber hinaus eine effiziente<br />

technische Infrastruktur geschaffen werden. Drei wichtige Erkenntnisse lassen sich aus<br />

dem Dargestellten gewinnen: (a) Die Installation der Software wurde erst im Monat des Seminarstarts<br />

(Oktober 2006) vorgenommen. Bei Verwendung einer neuen Software, insbesondere<br />

wenn das Programm in ein Netzwerk einzubinden ist, ist dafür jedoch ein größerer zeitlicher<br />

Puffer einzuplanen. (b) Die Phase des Projektstarts verlangt von den Projekt- und den IT-<br />

Verantwortlichen ein großes Engagement und eine detaillierte Planung, um alle Voraussetzungen<br />

zu schaffen, damit eine Software innerhalb eines Netzwerks für die Studierenden problemlos<br />

nutzbar ist. (c) Das Gelingen hängt zudem maßgeblich von einem effektiven Zusammen-


18 •<br />

spiel der Projektverantwortlichen und dem IT-Support ab. Im Falle des vorgestellten Projekts<br />

war eine hervorragende Zusammenarbeit gegeben. Sie stellte sicher, dass die zeitliche Projektplanung<br />

trotz der skizzierten Probleme eingehalten werden konnte.<br />

Betreuungsaufwand für die Studierenden. Aus den Erfahrungen mit dem Seminarablauf kann<br />

eine weitere Voraussetzung für das Gelingen eines solchen Seminars extrahiert werden. Nicht<br />

allen Studierenden fällt die Bedienung einer neuen Software leicht. Deshalb ist eine intensive<br />

Betreuung der Studierenden sowohl während der Seminarzeiten als auch außerhalb notwendig.<br />

Während der Seminarzeiten verwenden die Teilnehmer einen Großteil ihrer Zeit darauf, die<br />

Videos selbständig zu kodieren. Dabei unterscheiden sich Arbeitsweise und –tempo der Studierenden<br />

zum Teil erheblich. Fragen oder Unklarheiten können daher nicht immer im Plenum<br />

geklärt werden, sondern er<strong>for</strong>dern eine individuelle Betreuung. Es stellte sich als gewinnbringend<br />

heraus, dass während der Seminarzeiten im Wintersemester durchgängig zwei bis maximal<br />

drei Personen zur Betreuung zur Verfügung standen. Außerhalb der Seminarzeiten war<br />

mindestens eine Ansprechperson für die Studierenden zu erreichen.<br />

Rückmeldungen der Studierenden. Die Seminarteilnehmer im WS 06/07 wurden zu mehreren<br />

Zeitpunkten zu ihren Erwartungen an das Seminar, ihren Bewertungen der Veranstaltung und<br />

zu Verbesserungsmöglichkeiten befragt. Diese Rückmeldungen können für die Veranstaltungen<br />

im Sommersemester 2007 (und auch für ähnliche Veranstaltungen im Lehramtsstudium) gewinnbringend<br />

genutzt werden: Positiv merkten viele Studierende an, dass ihnen dieses Vorgehen<br />

eine bislang nicht erlebte Verständnistiefe und Detailliertheit in der Analyse von Unterrichtssituationen<br />

ermöglicht habe. Ihnen sei erst durch die Videoanalyse klar geworden, wie<br />

komplex das Unterrichtsgeschehen sei und welche hohen An<strong>for</strong>derungen an die Klassenführung<br />

einer Lehrkraft gestellt werden.<br />

Das Seminar hat die Studierenden motiviert, das eigene Klassenführungsverhalten zu trainieren.<br />

Entsprechend wünschten sie zusätzlich konkrete Tipps für ihr eigenes Unterrichtshandeln<br />

und entsprechende Übungen. Dies kann ein Seminar, das auf der videobasierten Analyse von<br />

Unterricht fußt, allerdings nicht zusätzlich leisten. Der Differenz zwischen Erwartungen der Studierenden<br />

und den Möglichkeiten des Seminars kann hier nur mit Transparenz begegnet werden.<br />

Es ist zu Beginn des Seminars bzw. in der Seminarankündigung deutlich zu machen, was<br />

das Seminar leisten will (das Erfahrbarmachen konkreter Unterrichtssituationen, Schulung der<br />

diagnostischen Kompetenz und die Entwicklung von Handlungsalternativen) und was es nicht<br />

leisten kann (das Üben von effektiven Unterrichtshandlungen).<br />

Darüber hinaus stellte das Seminar große An<strong>for</strong>derungen an das Engagement der Studierenden.<br />

Sie gaben zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten im Seminarverlauf an, im Durchschnitt 3<br />

Stunden zusätzlich für das Seminar aufzuwenden. In der Erfahrung der Lehrenden ist ein Verzicht<br />

auf Leistungen der Studierenden auch außerhalb des Seminars zumindest innerhalb dieses<br />

Konzepts nicht möglich und auch nicht wünschenswert. Für das Sommersemester 2007<br />

wurden jedoch Veränderungen des Seminarplans vorgenommen, die die zusätzlich aufzuwendende<br />

Zeit für die Teilnehmer reduziert (z. B. eine Reduktion der Videozeit, die von den Seminarteilnehmern<br />

selbst analysiert werden muss).


Den Rückmeldungen der Seminarteilnehmer ließ sich zudem entnehmen, dass sie eine stärkere<br />

Verzahnung von Analyse, Auswertung und Diskussion wünschen. Im Wintersemester 2006/<br />

2007 fanden die Analyse der Videos, die Diskussion der beobachteten Unterrichtsgeschehnisse<br />

und –handlungen der Lehrkräfte und schließlich die Auswertung der Analysedaten eher zeitlich<br />

nacheinander statt. In den nachfolgenden Veranstaltungen wird die Analyse der Videos in kleinere<br />

Einheiten geteilt und direkt mit Diskussionen und Auswertungen verbunden.<br />

19 •


20 •<br />

Literaturverzeichnis<br />

[Br91] Bromme, R.: Der Lehrer als Experte: Zur Psychologie des professionellen Wissens,<br />

Bern 1991.<br />

[Br + 01] Bromme, R.; Rambow, R.: Experten-Laien-Kommunikation als Gegenstand der Expertise<strong>for</strong>schung:<br />

Für eine Erweiterung des psychologischen Bildes vom Experten. In (Silbereisen,<br />

R. K. Hrsg.): Bericht über den 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für<br />

Psychologie in Jena, Lengerich 2001, S. 541-550.<br />

[He92] Helmke, A.: Unterrichtsqualität und Unterrichtseffekte - Ergebnisse der Münchner<br />

Studie. In: „Der Mathematikunterricht“ 1992, 38 (5), S. 40-58.<br />

[He + 04] Helmke, A.; Helmke, T.: Videobasierte Unterrichtsreflexion. In: „Seminar“ 2004, 10 (4),<br />

S. 48-66.<br />

[He + 02] Helmke, A.; Jäger, S. R.; Balzer, L.; Hosenfeld, I.; Ridder, A.; Schrader, F.-W.:<br />

MARKUS, Mathematik-Gesamterhebung Rheinland-Pfalz: Kompetenzen, Unterrichtsmerkmale,<br />

Schulkontext, Kurzbericht. Mainz, Ministerium für Bildung, Frauen<br />

und Jugend 2002.<br />

[He + 93] Helmke, A.; Renkl, A.: Unaufmerksamkeit in Grundschulklassen: Problem der Klasse<br />

oder des Lehrers? In: „Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische<br />

Psychologie“ 1993, 25 (3), S. 185-205.<br />

[He + 97] Helmke, A.; Weinert, F. E.: Unterrichtsqualität und Leistungsentwicklung: Ergebnisse<br />

aus dem SCHOLASTIK-Projekt. In (Helmke, A.; Weinert, F. E. Hrsg.): Entwicklung im<br />

Grundschulalter, Weinheim 1997, S. 241-258.<br />

[Ko70] Kounin, J. S.: Discipline and group management in classrooms, New York 1970.<br />

[Ko06] Kounin, J. S.: Techniken der Klassenführung. Münster 2006.<br />

[Kr + 05] Krammer, K.; Reusser, K.: Unterrichtsvideos als Medium der Aus- und Weiterbildung<br />

von Lehrpersonen. In: Beiträge zur Lehrerbildung 2005, 23 (1), S. 35-50.<br />

[Re05] Reusser, K.: Situiertes Lernen mit Unterrichtsvideos. In: Journal für LehrerInnenbildung<br />

2005, 5 (2), S. 8-18.<br />

[Wa + 93] Wang, M. C.; Haertel, G. D.; Walberg, H. J.: Toward a knowledge base <strong>for</strong> school<br />

learning. In: “Review of Educational <strong>Research</strong>”, 1993, 63 (3), S. 249-294.


21 •


22 •<br />

E-Learning <strong>Praxisbericht</strong>e<br />

Hrsg.: Heinz Lothar Grob, Jan vom Brocke<br />

Nr. 1<br />

Nr. 2<br />

Nr. 3<br />

Thomas, M., Eckenbach, T., Fey, P., Thiemann, G., Fortbildung zum In<strong>for</strong>matikunterricht<br />

durch Telelearning (FIT), Münster 2006.<br />

Gebauer, J., Lichtenberger, A., Digitale Diathek Münster – Bilddatenbank am Institut<br />

für Klassische Archäologie und Frühchristliche Archäologie der WWU Münster, Münster<br />

2006.<br />

Scheerer, H., Marek, M., Tjettmers, S., EW-Learning – Systematische Unterstützung<br />

von erziehungswissenschaftlichen Einführungsvorlesungen durch ein Learning-<br />

Management-System, Münster 2006.<br />

Nr. 4 Freitag, K., TAG – Tutorium zur Alten Geschichte, Münster 2006.<br />

Nr. 5<br />

Nr. 6<br />

Nr. 7<br />

Nr. 8<br />

Blöbaum, B., Brückerhoff, B., Nölleke, D., Nuernbergk, C., O-Kurs interaktiv und Propädeutik<br />

Kommunikationswissenschaft – Konzeption und Umsetzung eines<br />

E-Learning-Angebotes am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität,<br />

Münster, Münster 2006.<br />

Mäsch, G., Fallwerk – Interaktive, multimediale und praxisnahe Lernsoftware für Juristen,<br />

Münster 2006.<br />

Zeisberg, I., Jander, P., Denz, C., Erstellung einer Videodatenbank und eines Webinterfaces<br />

– E-Learning in experimenteller Physik, Münster 2006.<br />

Busse, B., Realisierung einer virtuellen Lernumgebung als Einführung in die Englische<br />

Sprachwissenschaft – Introduction to English Linguistics Online (IELO), Münster 2006.<br />

Nr. 9 Reinhard F., unter Mitarbeit von Auditor, O., Müller, E. und Springob, S., Koinonia –<br />

Eine praktisch-theologische Wissensallmende, Münster 2006.<br />

Nr. 10<br />

Nr. 11<br />

Nr. 12<br />

Nr. 13<br />

Nr. 14<br />

Reepmeyer, J.-A., LPLUS-Integration – Entwicklung eines Rahmens für den Einsatz<br />

eines computergestützten Prüfungssystems, Münster 2006.<br />

Hartz, T., Ückert, F., Vertretungslernen – International substitute E-Learning, Münster<br />

2006.<br />

Pohlmann, P., Lernsoftware zum Zivilprozessrecht – Erkenntnisverfahren, Münster<br />

2006.<br />

Schumacher, F., IntegraX – Integration XML-basierter E-Learning-Materialien zur Linguistik<br />

in ein „Learning Management System“, Münster 2006.<br />

Arweiler, A., DAEDALUS - Interaktives Lernen mithilfe von Hypertextstrukturen in der<br />

Klassischen Philologie, Münster 2006.


23 •<br />

Nr. 15<br />

Nr. 16<br />

Büdding, H., Wetzorke P., Behr, J., Einstieg in e-Science @ University – Einstieg in<br />

„E-Computer-Science@University", Vorkurs In<strong>for</strong>matik für StudienanfängerInnen,<br />

Münster 2006.<br />

Weinheimer, C., Wessels, J. P., E-lectronics - Signal and Data Analysis, Münster<br />

2006.<br />

Nr. 18 Wolffgang, H.-M., Dallimore, C., Kafeero, E., Wolffgang, R., World Customs Review -<br />

Erstellung eines eJournals, Münster 2006.<br />

Nr. 19<br />

Büdding, H., Wetzorke, P., Knüwer, S., Mobile Learning und Qualitätsentwicklung an<br />

Schulen - Planung, Realisierung und Evaluation eines E-Learning-Pilotprojektes im<br />

Rahmen eines Seminars, Münster 2006.<br />

Nr. 20 Casper, M., Die Verbesserung der Visualisierung von Vorlesungsfolien, Münster 2006.<br />

Nr. 21<br />

Nr. 22<br />

Riedemann, C., Dupke, S., Knieper, C., Stepp Nicolai, K., Scherer, F., Espeter, M.,<br />

Brox, C., Kuhn, W., IKLEL - Interaktive Kartographie-Lektionen für E-Learning, Münster<br />

2006.<br />

Reepmeyer, J.-A., Elektronisch grafisch fragen – Erschließung neuer Möglichkeiten<br />

zur Fragestellung in einem computergestützten Prüfungssystem, Münster 2007.<br />

Nr. 23 Müller, S, Peters, H., C-Klausur: Konjunktur und Beschäftigung, Münster 2007.<br />

Nr. 24<br />

Nr. 25<br />

Nr. 26<br />

Nr. 27<br />

Nr. 28<br />

Nr. 29<br />

Nr. 30<br />

Nr. <strong>31</strong><br />

Arweiler, A., DAEDALUS II – Methoden- und Themenmodule zum hyperlinkgestützten<br />

Lernen in der Latein. Philologie, Münster 2007.<br />

Hüttemann, T., Thielsch, M. T., Förster, N., Nagel, K., Bommert, H., Diagnostik-Online<br />

– E-Learning in der psychologischen Diagnostikausbildung, Münster 2007.<br />

Gebauer, J., Lichtenberger, A., Digitale Diathek Münster – Die Etablierung der Bilddatenbank<br />

am Institut für Klassische Archäologie und Frühchristliche Archäologie der<br />

WWU, Münster 2007.<br />

Walter, O. B., Holling, H., Bestimmung optimaler Stichprobengrößen in HERBIE,<br />

Münster 2007.<br />

Stöcker, A., Interaktive Lehr- und Lernplatt<strong>for</strong>m der Literaturwissenschaften – Einführung<br />

in die hispanistische Literaturwissenschaft Online (EHILIO), Münster 2007.<br />

Blöbaum, B., Donk, A., Gehrau, V., Einführung I & Methoden-Interaktiv – E-Learning<br />

in der Kommunikationswissenschaft, Münster 2007.<br />

Hallmann, J., Rüther, H., Tomasek, T., Einführungsvorlesung – EDV Unterstützung<br />

der Vorlesung „Einführung in die Literaturwissenschaft“, Münster 2007.<br />

Miederhoff, D., Holodynski, M., Haaser, K., eLearn-Videoanalyse – E-Learning basierte<br />

Videoanalyse von Unterricht und Diagnosekompetenz von Lehramtsstudierenden,<br />

Münster 2007.


24 •<br />

AutorInnen<br />

Prof. Dr. Manfred Holodynski, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Fachbereich Psychologie<br />

und Sportwissenschaft, Psychologisches Institut V.<br />

Dipl.-Psych. Daniela Miederhoff, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Fachbereich Psychologie<br />

und Sportwissenschaft, Psychologisches Institut V.<br />

Dipl.-Psych. Kristof Haaser, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Fachbereich Psychologie<br />

und Sportwissenschaft, Psychologisches Institut V.


<strong>ERCIS</strong><br />

E-Learning-Kompetenzzentrum<br />

<strong>ERCIS</strong> – <strong>European</strong> <strong>Research</strong> <strong>Center</strong> <strong>for</strong> In<strong>for</strong>mation Systems<br />

Universität Münster<br />

Leonardo-Campus 3 48149 Münster Germany<br />

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