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Braunschweigisches Jahrbuch 3. Folge, Bd 3 - Digitale Bibliothek ...

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Buchbinderei Lange i<br />

Iraunsmweig-Gliesmarode<br />

~L-______________ friede.saU .. 47 Ruf 303 38<br />

~.<br />

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<strong>Braunschweigisches</strong><br />

<strong>Jahrbuch</strong><br />

Dritte <strong>Folge</strong> / Band 3<br />

Cl?',]<br />

herausgegeben von der<br />

Braunschweigischen Landesstelle für Heimatforschung u. Heimatpflege<br />

in Zusammenarbeit mit dem<br />

Braunschweigischen Geschichtsverein, dem Braunschweigischen<br />

Landesverein für Heimatschutz, dem Braunschweiger Verein<br />

für Sippenforschung und dem Verein für Naturwissenschaft<br />

Braunschweig 1941/42<br />

Schriftleitung: Dr. Werner Flechsig -<br />

Georg-Wilhelm Schuchardt<br />

Verlag und Druck: E. Appelhans & Co .• sämtlich in Braunschweig


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Inhaltsverzeiihnis<br />

Prof. Karl Steinacker, Braunschweig:<br />

Italienische Studienfahrt eines Ostfalen und ihre Auswertung<br />

zur Zeit beginnender Barockgesinnung<br />

Sehe<br />

3<br />

A. Mühe, Seboldshausen:<br />

Dankelsheim, eine flur-<br />

und siedlungskundliche Untersuchung<br />

..<br />

121<br />

Chronik des Braunschweigischen Geschichtsvereins<br />

Buchbesprechungen . . . . . . . . . . . . . .<br />

147<br />

151


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.<br />

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~raunrd1wefg 1941/4.2<br />

'Verlag G. 3ppelbans &


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Smriftenreihe<br />

der Braunschweigischen Landesstelle<br />

für Heimatforschung u. Heimatpflege<br />

Bisher erschienen:<br />

<strong>Folge</strong> 1: Meyer, Die Kirchenbücher der Kirchengemeinden<br />

und Zivilstandsregister im Besitz des Braunschweigisehen<br />

Staatsarchivs zu W olfenhüttel und des Stadtarchivs<br />

zu Braunschweig (Vergriffen) RM 1.80<br />

Fol,e 2: Westermann, Die Landschaft der Peiner Tieflandsbucht,<br />

Allgemeine Züge eines niedersächsischen<br />

Raumes RM 1.50<br />

<strong>Folge</strong> 3: Sievers, 250 Jahre <strong>Braunschweigisches</strong> Staatstheater<br />

Halbleinen RM 7.50<br />

<strong>Braunschweigisches</strong> <strong>Jahrbuch</strong><br />

Dritte <strong>Folge</strong>, Band 1<br />

Dritte <strong>Folge</strong>, Band 2<br />

Dritte <strong>Folge</strong>, Band 3<br />

RM 2.40<br />

RM 2.40<br />

RM 2.40<br />

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Italienische Studienfahrt<br />

eines Ostfalen und ihre Auswertung<br />

zur Zeit beginnender Barockgesinnung<br />

von<br />

\ Karl Steinacker,<br />

Braunschweig.


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........ Ausreire<br />

_----I-Ieimt"eire<br />

Abb.l. Reiseweg Bartholds v. Gadens<br />

ted t. Zeichnung von Rudolf Fricke.


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Vorwort<br />

Weitläufig ließe sich das <strong>Folge</strong>nde bevorworten, um die Beschäftigung mit<br />

. einem scheinbar recht fernliegenden und spröden Stoffe zu begründen. Seine<br />

zeitraubende Erschließung, eingerechnet eine letzte dafür bestimmte Studienreise<br />

nach Italien bei Kriegsbeginn, ergab jedoch eine Fülle zumal im weitesten Sinne<br />

kulturgeschichtlicher Einblicke. Ist es gelungen, sie nahe zu bringen, so ist<br />

damit zugleich aufgezeigt, was in spannungsreicher Vergangenheit ein gebildeter,<br />

äußerlich mehr als innerlich bewegter Nordländer im Süden suchte, erfuhr und<br />

aus dem Ergebnis später in einem Manuskript der Wolfenbütteler <strong>Bibliothek</strong><br />

umständlich verarbeitete. Auf dieser nachgelassenen, bisher nicht ausgewerteten<br />

Arbeit beruht das <strong>Folge</strong>nde, das daher auch sachlich Neues bringt.<br />

Und schließlich lernen wir einen bodenständig geblieben~n Ostfalen schätzen,<br />

der, als er vor mehr als dreihundert Jahren die Augen geschlossen .hatle, im<br />

Sinne seiner Zeit als Humanist, zu dem sich zu formen sein Streben gewesen war,<br />

und als Christ, den er nie verleugnet hatte, auf seinem Grabstein die hellenisierenden<br />

Worte des Terenz hätte setzen lassen können: Nihil humani a me alienum<br />

puto"gleicherweise deutbar: allem Menschlichen bin ich aufgeschlossen gewesen,<br />

wie: der Unzulänglichkeit des Irdischen wußte ich mich zu unterwerfen.<br />

Die Zitate aus dem Texte des Reisenden werden möglichst buchstabengetreu<br />

übernommen, aber mit normalisierter Interpunktion. Denn auch ihre Schreibweise<br />

ist als Gesinnungsausdruck der Generationen zu beachten.<br />

Zu danken ist für stets bereitwilliges Entgegenkommen, trotz zwar vorübergehenden<br />

Diensterschwerungen durch den Kriegsausbruch, in Italien den Verwaltungen<br />

des deutschen kunsthistorischen Instituts, des Kupferstichkabinettes<br />

der Uffizien und der Nationalbibliothek zu Florenz, sowie des Kaiser-Wilhelm­<br />

Instituts für Kunstgeschichte zu Rom und des deutschen historischen Institutes<br />

ebenda, in Wolfenbüttel aber der Leitung der Herzog-August-<strong>Bibliothek</strong>, in<br />

Braunschweig der des Stadtarchivs für lange dauernde Inanspruchnahme besonders<br />

im Winter 1938/39.<br />

Daß der Braunschweigische Minister für Volksbildung die Arbeit unter die<br />

Veröffentlichung der Landesstelle für Heimatforschung und Heimatpflege hat<br />

aufnehmen lassen, ist mit um so größerer Dankbarkeit zu begrüßen, als der<br />

Stoff besonders geeignet ist, den ostfälischen Raum in wertvoller, national bedingter<br />

Anteilnahme zu zeigen am europäischen Geistesleben einer in ihren Erschütterungen<br />

der Gegenwart verwandten Vergangenheit.<br />

Braunschweig, 28. August 1941.<br />

Karl Steinacker.<br />

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/--, ----.<br />

'.<br />

Abb. 2. Wer n i ger 0 d e. Anbau von 1582_des Gadenstedtschen Hofes Schnakenburg


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E r s t e r A b s c h n 1 t t<br />

Weg und Eindrücke der Reise<br />

Abb. <strong>3.</strong> Wappen v. Gadenstedt.<br />

Zeichnung von Rudolf Fricke.<br />

Die geistige Unruhe des sechzehnten Jahrhunderts flaute gegen dessen Ende<br />

ab. Neue Ideen und Bedürfnisse amalgamierten sich mit überkommenem zur<br />

Kulturform des Barock. In diese Bewegung führt unser Stoff. Seine Deutung bewegt<br />

sich auf einem schmalen Grate zwischen zu viel und zu wenig, zwingt auch<br />

zu geschichtlichem Vorschauen und Zurückblicken. Zu seiner Stütze konnte aus<br />

der Fülle der wissenschaftlichen Literatur nur erwähnt werden, was unerläßlich<br />

war, um eben das erläuternd nahe zu bringen, was die Reise· unseres Gewährsmannes<br />

und die Form, in der er sie uns überliefert hat, bietet.<br />

Am 12. September 1587 des heutigen, gregorianischen Kalenders trat der<br />

siebenundzwanzigjährige Barthold von Gadenstedt eine Bildungsreise von Wernigerode<br />

aus nach Italien an, von der er erst in der zweiten Hälfte des August<br />

1589 zurückgekehrt ist. Er war Sproß eines alten (Abb. 3), nach dem stets in<br />

seinem Besitz befindlichen Stammgute Gadenstedt bei Peine genannten ostfälischen<br />

Adelsgeschlechtes. Sein Vater Dietrich 1) hatte außer diesem Stammsitze,<br />

damals ein herzoglich braunschweigisches Lehn 2) aber unter bischöflich<br />

hildesheimischer Landeshoheit, stattliches Lehngut auch der Grafen von Wernigerode<br />

an der Stadt Wernigerode selbst zu eigen und dazu erheiratet, war deshalb<br />

dort seßhaft gewesen und in langem Verwaltungsdienste der Grafen bei diesen<br />

zu besonderem Ansehen gekommen. Das übertrug sich auf den Sohn Barthold.<br />

Eben aus Italien zurück, nahm dieser im Gefolge des Grafen Wolf Ernst, Statthalters<br />

und als solcher ersten Beamten des Herzogs Heinrich Julius, teil an der<br />

Sendung nach Kopenhagen zu den diplomatischen Verhandlungen der Eheberedung<br />

des Herzogs mit der dänischen Königstochter Elisabeth im Herbst 1589.<br />

Inzwischen zweimal verheiratet, nur kurz mit der kränklichen Elisabeth von<br />

Uffeln, dann mit Margarethe von Dorstadt 3) und schließlich Erbe der Güter<br />

seines Vaters geworden, starb er gottergeben, gebrechlich und lebens satt im<br />

7<br />

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Jahre 1632 zu Wernigerode. In herzoglichem Dienste ist er wohl nur einmal und<br />

indirekt gewesen, just gelegentlich jener Fahrt nach Kopenhagen als Begleiter<br />

des Grafen von Wernigerode. In Wernigerode erinnert noch heute an die Gadenstedts<br />

ein verzierter Fachwerkbau . (Abb. 2) vom Jahre 1582 gegenüber der<br />

Kirche, in der die Familie eingepfarrt war. Barthold mag hier, wo er eine<br />

glückliche Jugend verlebt hat, zuletzt als Greis mit seinem Freunde, dem<br />

Pastor, erfahrungsreich und leidbelastet über den Lauf der Welt sich unterhalten<br />

haben.<br />

Barthold von Gadenstedt hatte als jüngster von fünf Brüdern eine ersichtlich<br />

recht gute humanistische Vorbildung erhalten. Im Jahre 1584 ist er in Helmstedt<br />

nachweisbar, vermutlich in Beziehung zur Universität. Seine Reise mochte<br />

den Zweck gehabt haben, ihm, dem noch Unverheirateten, im Sinne des juristischen<br />

Beamtenhumanismus seiner Zeit und der Pflege weltmännischer Kenntnisse<br />

und Formen einen letzten Schliff zu geben für etwaige Verwaltungsaufgaben<br />

im Dienste seiner Lehnsherren, der Herzöge oder Grafen. Tätigkeit im<br />

Dienste des Bischofs von Hildesheim, dem das Dorf Gadenstedt politisch unterstand,<br />

wäre schon wegen seiner streng protestantischen Gesinnung ausgeschlossen<br />

gewesen. Seine Reise kann gelten als eines der frühen Beispiele jener erst im<br />

17. Jahrhundert typisch gewordenen "Kavaliersfahrten durch die wichtigsten<br />

Kulturländer Europas. Für Gadenstedts nächsten Reisezweck standen planmäßig<br />

schwerlich noch die überwiegend wissenschaftlich-literarischen und juristischen<br />

Bildungsaufgaben der älteren Humanistengenerationen ganz im Vordergrunde,<br />

obgleich wir ihm in der Matrikel von drei Universitäten begegnen werden.<br />

Aber daß er die immerhin gesuchte Gelegenheit, seiner Wißbegierde auch im<br />

Hörsaale zu genügen, genutzt hat, darf man schließen schon aus seinen betonten<br />

Mitteilungen über studentische Einrichtungen und Beziehungen, obgleich wir über<br />

Vorlesungen nichts erfahren. Auch sollte sich zeigen, daß er nachträglich durch<br />

humanistisches Wissen gefesselter blieb, als er lange wohl sich selbst gesagt<br />

haben mochte, vielleicht nicht einmal zeitlebens sich ganz voraussetzungslos gestanden<br />

hat trotz tiefer und tätiger Neigung für dieses Wissen.<br />

Der letzte glänzende Vertreter jener älteren und eigentlichen Humanistengenerationen<br />

Deutschlands ist der im Jahre 1589 an die Universität Helmstedt<br />

berufene Caselius gewesen. Sie standen noch in engen Beziehungen zu den<br />

Universitäten Italiens. Gadenstedt gehörte einer Generation an, die bereits und in<br />

breiterer Schicht mehr in die Weite als in die Tiefe drängte, der nicht mehr wie<br />

noch Caselius und den diesem zeitweise gesellschafteten 4) niedersächsischen Junkern<br />

ö) ein Menschenalter früher Erwerbung humanistischen Wissens die Hauptsache<br />

gewesen war. Sie suchte geschmeidiger auf ausgedehnten Reisen internationalen<br />

Gesinnungen und Beziehungen nachzugehen, Gesinnungen, wie sie im<br />

Hinundher, im Fürundwider der gewaltigen Kulturkrise des 16. Jahrhunderts<br />

sich nun, als Barock gestaltet, durchzusetzen begannen mit der überwiegend<br />

widerspruchslosen Einfügung des Einzelnen in einen neuartig gestaffelten Organismus<br />

geistiger und politischer Macht, einer Macht, die den Verzicht der<br />

Vielen ausgleichend, in welligen Lenkern die Entfaltung persönlicher Anlagen<br />

bejahend sogar monumentalisierte. Zwar ist bei Gadenstedt von vornherein<br />

Interesse für den älteren, weniger zweckbetonten, individualistischeren<br />

Humanismus deutlich spürbar. Allein es schlägt auf der Reise selbst nicht<br />

durch. Da ist er durchaus ein Kind seiner Zeit, gibt sich gefühlsmäßig ihren<br />

Formungsinstinkten hin. Er beschränkt sich darauf, mit überlieferten humanistischen<br />

Mitteln Rechenschaft zu geben über das Land und seine Geschichte, das er<br />

bereist im Sinne einer Erweiterung seiner heimatlichen Gewohnheiten und<br />

Standeseindrücke zu allgemeinen, irgendwie auch praktisch verwertbaren Einsichten<br />

und Kenntnissen. Erst die erheblich später einsetzende Ausarbeitung<br />

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dieser Reiseergebnisse ist auffallend umfangreich von humanistischen Bildungselementen<br />

durchsetzt.<br />

Es wäre nun nicht ergiebig genug, de!1 erlebnismäßigen Niederschlag von<br />

Gadenstedts Reise bis Malta in allen Einzelheiten zu verfolgen. Wir begleiten<br />

ihn nur, soweit es nötig ist, um ihn in e~er Auswahl charakteristischer Eindrücke<br />

auf ihn als Niedersachsen wie als Träger von Bildungshedürfnissen seiner Zeit<br />

kennen zu lernen. Er hat seine Eindrücke erst im 17. Jahrhundert auf Grund<br />

eines vortrefflichen Gedächtnisses und ersichtlich auch ausführlicher Reisenotizen<br />

handschriftlich ausgearbeitet in einem bisher so gut wie unbekannt gebliebenen<br />

Foliobande von fast 700 eng beschriebenen SeitenG), der am roten Faden der Reise<br />

eine allgemeine, topographisch-historische Beschreibung Italiens bieten soll.<br />

Dieser mehr wissenschaftliche Zweck seiner Niederschrift, dem ihre bei weitem<br />

größte Seitenzahl dient, bedarf aber einer besonderen Betrachtung und Würdigung,<br />

auf ihn wird also im zunächst <strong>Folge</strong>nden noch nicht näher eingegangen.<br />

Zwar nicht so ausgeweitet wie die italienischen Wegstrecken zu einer Art<br />

kompendiöser Enzyklopädie des damals für einen humanistisch vorgebildeten<br />

Freund Italiens Wissenswerten, bietet doch auch die deutsche Wegstrecke und<br />

gerade sie Wertvolles zum Verständnis der Interessen und Erfahrungsanlässe<br />

Gadenstedts. Wir können daher nicht umhin, auch auf. sie einzugehen, aber<br />

in einem allgemeineren Sinne als bei der anschließenden Verfolgung seines<br />

italienischen Reiseweges. Bei diesem stellen wir die von Gadenstedt notierten<br />

auslandsdeutschen Beziehungen und zuständlichen Beobachtungen neben die sachlichen,<br />

topographischen und geschichtlichen Angaben. Ereänzungen zur Erläuterung<br />

seiner Art, im Auslande sich umzusehen und seiner besonderen Interessen<br />

wird der zweite und dritte Hauptteil dieser Arbeit bringen. Bis Padua erzählt<br />

Gadenstedt noch verhältnismäßig eingehend gelegentliche persönliche Reiseerlebnisse;<br />

dann wird er damit karger. Erst die Fahrten zwischen Neapel und<br />

Malta machen ihn in dieser Beziehung nochmals mitteilsamer. Das liegt mit an<br />

der lehrhaften Anlage des Manuskriptes, die den kultiviertesten Gegenden Italiens<br />

bevorzugt gilt. Wie derzeit üblich, reiste er ohne Ausnahme in Gesellschaft. Sie<br />

wechselte selbstverständlich. Aber auch in Italien, gleichviel ob unterwegs oder<br />

bei Daueraufenthalten, schloß er sich tunliehst deutschen Landsleuten an, auch<br />

katholischen. Denn lebenswichtige praktische Interessen ließen die konfessionellen<br />

gegenseitig in der Fremde in den Hintergrund treten.<br />

Am 12. September 1587 also, - wir datieren hier und im <strong>Folge</strong>nden stets<br />

nach dem heutigen Kalender, der damals in Deutschland noch nicht galt, aber<br />

bereits in großen Teilen Italiens, - es war nach dem alten Kalender ein Sonnabend,<br />

gelangte Gadenstedt nur bis Vienenburg, begleitet von seinem Bruder<br />

Burchard und . zwei Freunden. Bei Fritz von der Schulenburg wurde eingekehrt.<br />

Am Sonntag wurde Jakob von Steinberg auf der Bodenburg besucht, am Montag<br />

über Alfeld Wispenstein erreicht. Hier schloß sich Gadenstedts beharrlichster<br />

Reisegefährte Melchior von Steinberg an, während die Wernigeröder Freunde<br />

mit der "Kutsche" seines Bruders zurückreisten, nachdem man sich am Abend<br />

vorher zum Abschied im Freundeskreise noch "guete Räusche" angetrunken<br />

hatte. Von solchen Abschiedsräuschen werden wir noch mehrfach hören. Daß<br />

Gadenstedt Freund eines guten Tropfens' gewesen ist, verleugnet er auch sonst<br />

keineswegs und ist sich dieser deutschen Schwäche, die ihn jedoch im übermaß<br />

schwerlich beherrscht hat, durchaus bewußt.<br />

Von Wispenstein ging die Reise weiter "auf einer Braunschweigischen Miedkutschen,<br />

die wir bis nach Franckfurt ahm Meien gedingett", über Einbeck, wo<br />

man sich am Einbecker Bier "gar satt gedrunckenn", Adelebsen, Münden, Kassel,<br />

Fritzlar, Giessen, Friedberg. Am 22. September wird Frankfurt erreicht und im<br />

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goldenen Hirsch Quartier genommen. Es scheint, daß das Eigenschaftswort<br />

golden auf besondere Güte des Gasthauses hinweisen sollte 7). In Friedberg<br />

wurde vorher im goldenen Pfau eingekehrt, sonst nicht eben Mufig in solche<br />

vielleicht anspruchsvollen Herbergen, trotzdem wir seIten über schlechte Unterkunft<br />

,klagen, häufiger ihre Güte loben hören.<br />

Schon dieser erste Reiseabschnitt faßt Gadenstedts Beobachtungseifer erkennen.<br />

Er erwähnt, wie in der Regel auch später, den Wechsel der Territorien,<br />

läßt sich bei Adelebsen die Stelle zeigen, wo "Bodo von Adclebsen mit einem<br />

gaull viel klaffter hoch herunter gesturtzett", ohne Schaden zu nehmen. In<br />

Münden gefällt ihm das Schloß, ein Lustschiff des Herzogs und die bedachte<br />

hölzerne Werrabrücke, in der Jagdnetze aufbewahrt werden. In Kassel nennt<br />

er auch ein erst 1594 erbautes "Theatmm" 8), das er also auf der Reise noch<br />

nicht gesehen haben kann. Hier also schon sucht er seine Erinnerungen zu einem<br />

allgemeinen Bericht über die besuchten Orte zu erweitern. In der Kirche bemerkt<br />

er wie stets vornehmlich die Grabdenkmäler, zum al das eines Joachim von Steinberg,<br />

"welcher damals (NB. also zur Zeit der Reise) für wenig Jharenn bei dem<br />

Landgrafen zu hessen für einen Leibjungen gedienet, vonn einem sneider Im<br />

ballspiel mit einem dolche geworfenn, das er darahn gestorben. Der sneider<br />

Ist wieder gerichtett wordenn". Hier in Kassel zeigt sich auch schon das große<br />

Interesse Gadenstedts 'für Gartenanlagen. Er wendet stets Zeit und Mühe daran,<br />

die fürstlichen Lustgärten zu besichtigen rücksichtlich ihrer Anlage, Bebauung,<br />

Bepflanzung und der in ihnen gehaltenen seltenen Tiere. In Kassel war das<br />

Letztere ein Auerochse. - In der Herberge zu Kirchhain fand er ein Wappenfenster<br />

seines Bruders Christoph Wulf. Später, in der Herberge zu Seefeld<br />

oberhalb MittenwaIds, bemerkt er solche des Herzogs Erich des Jüngeren von<br />

Braunschweig-Kalenberg und seiner Begleiter. Er selbst wird gelegentlich von<br />

Wirten um sein Wappen gebeten, vornehmlich wohl zu dem Zwecke, daß der<br />

Wirt es zu einem Fensterschmuck verwerte. Es scheint diese Art von Wappenstiftungen<br />

eine derzeit allgemeine Sitte in Deutschland gewesen zu sein, auch<br />

der Franzose Montaigne berichtet 1580 davon, eine Reklame für die Herbergen<br />

und eine Art von Vorform der späteren Wappenverleihung an Hoflieferanten.<br />

Von Frankfurt, wo gerade Handelsmesse mit internationalem Treiben war<br />

und wir daher unter Anderem auch vernehmen, daß dort zur Messezeit "In der<br />

löblichen fechtkunst die Meister des langen schwerts gemacht werdenn", ging es<br />

nach sechstägiger Rast auf einem täglich verkehrenden Schiffe nach Mainz und<br />

auf einer anderen "Barken" nach Oppenheim. Von hier sollte mittels der "WormischeIl<br />

,Rolle" Worms erreicht werden, sie brach aber entzwei, "musten derwegenn<br />

vnser felis 9) vnd zeug ein Jeder selber tragenn, die dann zimlich schwer,<br />

vnd kam vns solchs, weill auch ein Regen einfiel, zimIich sauer ahn. Jedoch<br />

trafen wir zum glück ein ander Rolle ahn, die auch nach Worms mit etlichen<br />

leuten fharen wolltte, do wir dann dem fhurman so guete wort gaben vnd geldes<br />

genug, das ehr vnser zeug auf die rolle nham. Wir aber musten biß nach<br />

Worms zu fuese 'gheen, sein von Oppenheim 4 meilen, do wir Jegenmittag<br />

angekommen." Dieses ist der einzige erwähnte Unfall auf den Landstraßen der<br />

ganzen zweijährigen Reise. Am Nachmittage noch desselben 30. Septembers<br />

wurde mit der "Speirischen Rollen" Speier erreicht, und unterwegs fielen "erstlich<br />

die frischen Mandeln" an den Bäumen auf. In der "gulden kannen" wurde<br />

eingekehrt. Rollen waren derbere Wagen zu zeitweiliger (Messe) oder dauernder,<br />

regelmäßiger, omnibusartiger Personenbeförderung zwischen nicht allzuweit voneinander<br />

entfernten Orten 10) für jedermann und entsprechend preiswert.<br />

In Speier geht das Manuskript näher ein auf den "thum, ein herliehe grose<br />

und weitte kirch" und auf ihre Grabstätten. "Es ist auch woll zu sehen der<br />

ortt, do das kammergericht wird gehalten, Ist ein statlich pallatium. - Es<br />

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-liegen viel Studenten darselbst, sonderlich Juridicae facllltatis, 'wegen des keiserlichen<br />

Kammergerichts. Ist gleich woll theur zheren, wie wir dann etliche bekanntter<br />

darselbst gefunden, alß Andersen Strahlendorff, D. Brandes von Hildesheim<br />

11) und Albrecht Pauell ll ) von Braunschweig, welche vns .... zu gast<br />

gehabtt. vns guete geselschaft geleistet vnd reusche beygebrachtt."<br />

"Den 22. (NB. = 2. Oktober) sein wir auf der rolle nach Heidelberg gezogen",<br />

um dort sechs Tage im Hirschen zu bleiben und am 8. Oktober nach Speier<br />

zurilckzukehren. In Heidelberg wurden Universität und Schloß besichtigt, sowie<br />

Ausflüge nach dem Wolfsbrunnen und Ziegelhausen gemacht in Gesellschaft<br />

alter, in Heidelberg wohl als Studenten sich aufhaltender Bekannten, darunter<br />

Heinrich von Gittelde und Bernt von der Lancken, "der auch mit vns In ltaliam<br />

gezogenn", aber dort nicht wieder genannt wird. Mit ihnen luden sich die bei den<br />

Reisegenossen auch gegenseitig zu Gaste. Heinrich von Gittelde leistete ihnen<br />

noch weiter bis Augsburg Gesellschaft, und bis dahin hatte sich auch ein Edelmann<br />

Joseph Benjamin Thcler angeschlossen, ein Reiscgenosse von der Mainbarke<br />

her. In Speier baten am Michaelistage unsere beiden Gefährten ihrerseits<br />

ihre dortigen Bekannten zu einem guten Tropfen. Am folgenden Tage, dem<br />

10. Oktober, setzten sie, nunmehr zu fUnft, auf einer bis Augsburg gemieteten<br />

"Kutschen" ihren Weg fort. Am 12. Oktober übernachteten sie zu Stuttgart im<br />

Adler. Es wären, flicht Gadenstedt ein, "vnterwegens zu vns In geselschaft<br />

gekommen Ihrer 6 auf einer kutschen, welche sich für franzosen außgeben, aber<br />

den andern tag, weill wir auf Stuckartt zugezogen, sein sie wieder von vns gekommen,<br />

welchs vns lieb whar, denn Ihre geselschaft vns nicht gefallen wollte,<br />

auch die compagnia zu groß werden wollt."<br />

In Stuttgart wurde unter Führung des herzoglichen Rates Dr. Gertten, eines<br />

Bekannten Melchior von Steinbergs, der Lustgarten besichtigt. "Der hertzog ließ<br />

damals ein groses gebeude bauen zum Lusthaus, Wann es verfertigett, wird<br />

es ein gewaltig schoen gebeuede werden." Es war das der großartige und<br />

schmuckreiche, 1846 zerstörte Renaissancebau Georg Behrs. - Weiterhin wurde<br />

in Göppingen übernachtet und Ulm, hier im Wirtshause "zum Staall ein guete<br />

herberg", der von beiden Reisenden ihr "wapen verehrett" wurde. In Ulm<br />

wurde am 15. Oktober vormittags in der Eile eine Predigt angehört und der<br />

Organist zum Essen eingeladen; abends wurde noch der Fuggersche Ort Weißenhorn<br />

erreicht. Am nächsten Tage erlebte man eine bedrohliche Wegelagerei:<br />

"zwischen Weisenhorn vnd Semitzhausen (NB.=Ziemetshausen) haben wir etliche<br />

bubenn angetroffen, welche auf nichts gutes vor der kutsche ahm wege stunden<br />

.... Weill vnser aber fUnff, Ihre gleichwoll secsehe gewesenn, vnd vns<br />

auß dem wagen gemacht mit vnsern buxschen und wheren, vns desto baß aufen<br />

nhotfall zu entsetzen, sein sie von der strasen Ins holtz gewichenn .... wir<br />

aber sein vnsern weg glücklich vortgereisett. In der herberge ward vns gesagt,<br />

das es vnsicher dardurch zu reisenn. Dann weiH solche bubenn balt auß einer<br />

herschaft in die andere kommen konnen, treiben sie viel raubens vnd plünderns."<br />

Vom 17. bis zum 20. Oktober wurde in Augsburg "geherberget zum weisen<br />

lawenn, In welche herberg wir auf bitte des wirts vnser wapen verehrctt". Gadenstedt<br />

hatte also Zeit, sich allerlei zu betrachten.' Er spricht, abgesehen von den<br />

üblichen geschichtlichen Angaben, unter Anderem von der Fuggerei und von<br />

den Fugger. Er nennt diese "die hern furkarten". Auch interessiert ihn nicht<br />

wenig der "einlaß Turris Barlina, dadurch mann bei nacht, wenn die Thor verschlossen,<br />

in die stadt kommen kann", und zwar durch mehrere Sperren. Bei<br />

der letzten "wird' eine leuchte vnd schüssell heruntter gelasenn, darinn gibt man<br />

ein dranckgeltt, wird des vollents durchgelasen", Es scheint, als sei in dieser<br />

Angabe der Name des (Roten 7) Tores mit dem des Perlachturmes verwechselt<br />

worden. - Sechs Stübchen roten und sechs weißen Weines verehrte der Rat<br />

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unseren Reisenden, worauf diese schicklicher Weise den überbringer, einen Rats-­<br />

herrn, zu Mittag baten. Für die Weiterreise durch das Hochgebirge bis nach<br />

Venedig, einschließlich Nachtquartier und Verpflegung, vertrauten sie sich zwei<br />

~eiseunternehmern an, "mitt welchen die fremden pflegen nach Venedig zu<br />

reisen . . .. Sie haben vns stets In guete herbergen gefhurtt, •... das wir vns<br />

vber sie im geringsten nicht beklagenn." Damit wurden den Reisenden also alle<br />

Beförderungs- und Unterkunftssorgen abgenommen, eine bereits herkömmliche<br />

Erleichterung, die an moderne Gesellschaftsfahrten erinnert. Der Weg wurde zu<br />

Pferde in Eile durchmessen, täglich durchschnittlich etwa 57 Kilometer, Herbergen<br />

außerhalb größerer Orte wurden bevorzugt.<br />

Am 20. Oktober wurde Augsburg verlassen. Heinrich von Gittelde kehrte<br />

nach Speier zurück, "ein freiherr Albrecht von Limburg beneben praeceptore,<br />

Melchior genant!", schloß sich an. übernachtet wurde bis Venedig in Landsberg,<br />

Rottenbuch, Seefeld, Steinach, Beiser (Weiler bei Brixen), Bozen, Trient, Grigno<br />

(im Val Sugana), Castelfranco. Ankunft in Venedig über Treviso am 29. Oktober.<br />

Bis hierher, berechnet Gadenstedt, sei er von Wernigerode 156 1 / 2 deutsche<br />

Meilen unterwegs gewesen, von Augsburg 68 1 / 2 • Die eilige Durchquerung der<br />

Alpen ließ ihm nur wenig Zeit zuOrtsbesichtigungen, aber er nutzte jede Möglichkeit.<br />

Den Charakter bloßer Gelegenheitsmitteilungen hat denn auch sein<br />

Manuskript auf dieser Strecke, das überhaupt erst in Italien sich möglichst<br />

gleichmäßiger Stoffübermittelung befleißigt, auch wo die Anschauung gefehlt<br />

hat. Er ergänzte diese dann durch Entlehnungen aus der Literatur. Vom Eindruck<br />

des Hochgebirges als solchem erfahren wir nur anläßlich weniger Un-<br />

. wegsamkeiten.<br />

Dagegen berichtet Barthold von Gadenstedt über Schongau, wo "Im gulden<br />

stern" gerastet wurde und man "den ersten neuen wein gedrunckenn" hatte:<br />

"In diesem stetgenn werden allerlei musicalische Instrumente gemachtt, Insonderheitt<br />

werden die lautten, so darselbst gemacht werden, hoch gerhumett." Beim<br />

Eintritt in das Gebirge des Ammergaues wurde der erste Schnee beobachtet,<br />

sonst aber hätten die Reisegenossen "ln den gebirgten guete tractation vnd<br />

snabellweide, wie man sagt, gehabt, ahn kramatsvogelln, grosen grunenn forellen<br />

vnd smerlingen, auch guten wein, haben also gewunglich auf einen boesen,<br />

vnlustigen tag ein gueten abent bckommcn,." In einem Fenster der Herberge zum<br />

Adler in Seefeld entdeckt Gadenstedt die von uns schon erwähnten Wappen<br />

Herzog Erichs des Jüngeren von Braunschweig-Kalenberg und seines Gefolges.<br />

Dann weiß er von Kaiser Maxens Jagdabenteuer an der Martinswand bei Zirl<br />

zu erzählen und bei Innsbruck von Beziehungen zu Erzherzog Fcrdinand von<br />

Tirol und dessen Gattin Philippine WeIser, aber auch von der Rarität einer<br />

Drachenzunge im Stifte Wilten und einem Meilenstein des Kaisers Septimius<br />

Severus. Oben an der Brennerstraße bemerkt er einen großen Stein aufgerichtet,<br />

"darhan ein messingtaffel mit Gitterwerck verwhart" und einer Inschrift auf die<br />

Begegnung Rarls des Fünften gelegentlich der Rückkehr von seiner Kaiserkrönung<br />

in Bologna mit seinem Bruder und Nachfolger Ferdinand. Zwischen<br />

Sterzing und Brixen erfahren wir von einem Verkehrsscherze; dort nämlich sei<br />

"ein groser stein, dadurch ein Loch gemacht. Pflegen die kaufleutt oder vor,.<br />

überreisende, wenn sie welche bey sich haben vndt die gelegenheitt nicht wissen,<br />

dieselben zu vberreden, das ein Jeder, [so] diese strase zuuor nicht gezogen,<br />

muß durch diesen stein krichen. Wenn ehr In dem loche stecktt, thun sie Ihm<br />

allerlei schalckheitt, weltzenn fur beide löcher ein grosen stein, lasen Ihn etwas<br />

drin stecken, bis ehr sich mitt einem stuebchen wein auf den abent loesett.."<br />

Auch Gadenstcdt und seine Begleiter krochen hindurch. - Bei Salurn "zur rechten<br />

hand ligt ein 510ß ahm berge, zimIich gebauett, welchs von niemand kann bewhonet<br />

werden, sondern, wie für gewiß gesagtt, soll es tag vnd nacht viel ge-<br />

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spcnst drauf treibenn." Der Weg von Trient durch das Val Sugana bis an den<br />

Gebirgsrand gab anfangs durch Wegschwierigkeiten über den "Plattenberg",<br />

dann durch mehrfachen Grenzwechsel mit Sperrburgen zwischen Tirol und<br />

Venedig Anlaß zu Anmerkungen. In diesen Tagen schloß sich vorübergehend<br />

auch noch ein "herman herr von Goer, ein westfalischer freiherr, benehen seinem<br />

Praeceptore vnd 'diener" der Gesellschaft an. Zuletzt Treviso wird gerühmt<br />

wegen seines reinen Weizens, daher hier "das allerschonste, klareste weißbrott<br />

gebacken wird". Bekanntlich zeichnete sich bis zur Gegenwart das italienische<br />

Weißbrot entsprechend aus. Auch wären "die einwhoner fein höflich vnd bescheiden".<br />

Ersichtlich schimmert da die entlastende Freude durch, nach aller Unruhe<br />

und Beschwernis der Reise nun endlich nach 51 Tagen das Ziel, Italien,<br />

erreicht zu haben.<br />

Nach nur fünftägigem Aufenthalte in Venedig, der wohl hauptsächlich der<br />

Regelung ihrer Kassenverhältnisse, orientierenden Erkundigungen im fremdsprachigen<br />

Lande und Erholung von den Reisestrapazen gedient hat, kommen<br />

Gadenstedt und Steinberg am 30. Oktober in Padua an. Sie haben sich dort<br />

ganze acht Monate aufgehalten. Zwar erfährt man nicht, was sie dort im Besonderen<br />

festgehalten hat, aber den Rückhalt gab ihrer Beschäftigung die alte<br />

und berühmte, von Venedig tolerant gepflegte und entsprechend von Deutschen<br />

bevorzugte Universität (unten und Abb. 11). In ihrer Matrikel finden wir Beide als<br />

Rechtshörer, Legisten, am 6. November 1587 eingetragen 12), und aus Gadenstedts<br />

eigenen Angaben erfahren wir, daß er sich hier wie anderwärts in Italien<br />

Studentenkreisen angeschlossen und für die Lehranstalten interessiert hat. Das<br />

hing mit seinem humanistischen, des Lateins kundigen Bildungsstreben eng zusammen.<br />

Möglich, daß er sich sogar aus beruflichen Gründen in Padua hat<br />

immatrikulieren lassen, um juristische Vorlesungen zu hören. Hätte er sie indessen<br />

bevorzugt, so hätte er wohl nicht so ganz darüber geschwiegen. Die<br />

Universitäten Bologna, Padua und Pavia waren seit dem späteren Mittelalter<br />

gesuchte Lehrstätten des international gewordenen alten römischen Rechtes,<br />

des deutsch-kaiserlichen in der Auffassung der Reichsdeutschen. In dieser Bedeutung<br />

diente es im Laufe der Generationen zunehmend zur Zentralisierung<br />

der Rechtspflege und zugleich zur Erstarkung der landesherrlichen Autorität.<br />

Neben den humanistischen Studien und sogar vor ihnen machte eben das den<br />

Besuch italienischer Universitäten der von der Idee der Staatsgewalt zunehmend<br />

gefesselten Generation Gadenstedts noch anziehend. ~ Mit seinem heimatlichen<br />

Freunde Melchior von Stein berg stieg er zunächst im Wirtshause zum goldenen<br />

Stern ab, beide gaben sich dann auf einen Monat bei einem Italiener in<br />

Pflege. Sie quartierten sich für den ganzen Rest ihres Paduaner Aufenthaltes<br />

bei einer deutschen Wirtin, der "Mutter Annen", ein, wo bereits "der Edle<br />

vnndt Ehrentueste Sebastian v. Romrodtt, ein wolluerdientter vom Adell umb<br />

die teutsche Nation, seiner dischs vnd kammer" sich erfreute .. Auf Umgang mit<br />

deutschen Edelleuten hat Gadenstedt als Nutznießer ständischer Staats gliederung<br />

viel gegeben, doch ohne Einbuße an Aufgeschlossenheit für das Menschentum in<br />

jeder Erscheinungsform.<br />

In Padua schloß er sich einem Kreise gleichgesinnter deutscher Landsleute<br />

an, vermutlich Studenten, deren engere Gruppe zugleich seine Tischgenossen<br />

waren. Er weiß denn auch von der namentlich durch ihre alte Juristenfakultät<br />

berühmten Universität mitzuteilen: "Es wird zu Padua eine vornheme Universitet<br />

von den Venedigern gehalten, darzu gelarte pershonen In allerlei facu/teten bestalt,<br />

werden reichlich besoldet. Wan es nicht Im Sommerr vnd das die professoren<br />

nicht feirenn, sein stets vber 2000 Studenten darselbst, allerlei Nationen<br />

von Teutschen, Franzosen, Spaniern, Engelandern, Schotten, Polen u. s. w., wie<br />

dann [auch] eine Jede Natio1l Ihren eigenen c01lsiwrius hatt. Bey meiner Zeitt<br />

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,<br />

I<br />

,.<br />

Ist zum consiliario der teutschen Nation erwhelett worden Christoffel Hueneken,<br />

Itzo 13) Thumbdechand im hohen stiftt zu Magdeburgk. Es sein bey meiner zeit<br />

bey anderthalb hundertt Teutschen ahn freihern, vom adell und andere dar gewesen,<br />

denn die Teutschen sich gern darselbst erhalten, dieweiIl Padua ahn<br />

Teutschsland 14) grentzett, auch wegen Exercitien, dheren man darselbsts haben<br />

kann, alB von reitten, fechten, dantzen, musiclren auf allerlei Instrumenten, wo<br />

ein Jeder lust zu hatt. Darselbsts Ists auch zimlich wollfeill zu zheren vnd<br />

findet man darselbst gemeiniglich, wer lust darzu hatt, guete gesellschaftt."<br />

Bezüglich dieser Gesellschaft teilt Gadenstedt allerdings nur dann Namen<br />

aus dem Kreise seiner engeren deutschen Tischgenossen mit, wenn es ein Abschiedsgelage<br />

galt oder das übliche Geleit eines Scheidenden auf der ersten Wegstrecke.<br />

Aber auch durchreisende Landsleute wurden freundlich begrüßt. Meist<br />

sind es Personen protestantischer oder toleranter Gesinnung, wie ja der offizielle<br />

Vorsteher der deutschen Studentenschaft, der spätere Magdeburger Domdechant,<br />

selbst ein Lutheraner gewesen ist. überdies war religiöse Duldung bis zu einem<br />

gewissen Grade Gepflogenheit der venetianischen Staats leitung, zumal in bezug<br />

auf die ihr unterstehende Universität Paduas. Ähnlich verhielten sich andere<br />

weltliche Staaten Italiens, namentlich derzeit Toskana und Neapel. Die von<br />

Gadenstedt genannten Deutschen seines Paduaner Kreises sind überwiegend Angehörige<br />

des Nürnberger Patriziats oder des Adels von Franken, Obersachsen und<br />

Niedersachsen. Niedersächsischen Namens sind sicher Gebhard von Kneitlingen,<br />

Lippold von Meinersen, Hermann von Wersabe, alle zweifellos Lutheraner, die<br />

nur sich hüten mußten, als solche' sich zu geben. Dem Inquisitionstribunal in<br />

Rom war die stillschweigende Duldung ketzerischer Studenten in Padua durch<br />

Venedig bekannt und peinlich. 15 ) Von Deutschen seien noch genannt Esaias von<br />

Brandenstein, Wulf von Lüttichau, Caspar Flank, Eckhard Münster.<br />

So geht dann Gadenstedt auch näher ein auf die Begräbniskirche der Deutschen<br />

und ihren offiziellen Versammlungsort, Kirche und Kloster der Augustinereremiten.<br />

Bestattungsunterschied nach Bekenntnissen - damit hätten Protestanten<br />

überhaupt in keine Kirche gehört - konnte der Inquisition gegenüber gar<br />

nicht gemacht werden. Vermutlich wurde absichtlich nicht gezweifelt am orthodoxen<br />

Bekenntnis. lG ) Reste dieser Grabstätte und zugehöriger Denkmäler scheinen<br />

nicht erhalten. Wir sind auf schriftliche überlieferung angewiesen und vernehmen<br />

bei Gadenstedt: "In dieser kirchen haben die Teutschen oder die teutsche<br />

Nation 17) Ihr begrebniB. Vber der Teutschen begrebniß stehet ahn der wand<br />

ein zweiköpfigerr schwartzerr adeler In stein gehauenn", dazu eine längere Versinschrift<br />

von 1552,_ die von einem "Joanne Ribio Annoberano" - also einem<br />

Hannoveraner 18) - "poela el oralore" verfaßt worden sei. Wir hören weiter:<br />

"Untter dem adeler Ist ein vermauertes loch, darin die Teutschen begraben werdenn<br />

.... Es liegen etliche Teutschen In dieser kirchen begrabcnn, sonderlich Im<br />

creutzgang, die Epitaphia habenn." Nun folgt eine Reihe von Inschriften dieser<br />

Grabdenkmäler. Ein Niedersachse ist nicht darunter, wohl aber der Hamburger<br />

Patriziersohn Theodor Moller, gestorben 1563 im 29. Lebensjahre. Schließlich<br />

wird am Kreuzgange erwähnt ein "gemach, In welchem die Teutschen zusammen<br />

kommen Jn erwhelung eines neuen consiliarii oder neuen procuraloris; vnd<br />

wenn sonst was vorfeIlt daruon zu vnterreden, werden die Teutschen dahin bescheidenn."<br />

Wir werden entsprechenden Einrichtungen in Bologna - dort das<br />

ältere Vorbild der übrigen - und Siena wieder begegnen. In solchen seit<br />

alters dotierten und privilegierten nationalen Zusammenschlüssen der Studenten<br />

lag eine der fundamentalen Lebensvoraussetzungen der vom internationalen Besuche<br />

abhängigen Universitäten mittelalterlicher Entstehung.<br />

Nicht bei jenen Augustinereremiten, wohl aber im Kreuzgange der Kirche<br />

des heiligen Antonius von Padua trifft Gadenstedt unter einer ebenfalls großen<br />

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Anzahl von Grabdenkmälern Deutscher und Niederländer doch sogar das eines<br />

ostfälischen Junkers mit einer, selbstverständlich lateinischen, Inschrift des Inhaltes,<br />

das Epitaph sei dem deutschen Sachsen Heinrich von Cramm, der nach<br />

fast vollendetem Rechtsstudium zwanzigjährig 1545 gestorben sei, gesetzt von<br />

seinem Bruder Asche (=Ascanius) und seiner Schwester, während als Vorsteher,<br />

der Landsmannschaft, Nation, ein Barthold von Mandelsloh, also ebenfalls ein<br />

Niedersachse, angegeben wird. Die drei Geschwister waren Kinder des in der<br />

Grafschaft Wernigerode begüterten Asche des Älteren von Cramm 19). Der<br />

stattliche Grabstein des jüngeren, 1524 geborenen, 1567 gestorbenen Asche befindet<br />

sich in Wernigerode 20). Diese Familie hatte also nahe Beziehungen zu<br />

den Gadenstedts.<br />

So weiß Barthold von Gadenstedt über die Toten fast mehr mitzuteilen<br />

als über die Lebenden, mit denen er umgeht. Von italienischen Bekanntschaften<br />

hören wir gar nichts, Ganz können sie schwerlich gefehlt haben, schon darum<br />

nicht, weil er, bei aller gebotenen Vorsicht und soliden Grundsätzen weItaufgeschlossen<br />

und empfänglich, an Festen und Feiern, kirchlichen wie profanen, sich<br />

zu beteiligen gesucht hat. In Padua erzählt er unter anderem von den Festlichkeiten<br />

an läßlich der Wahl des Venetianischen Capitano der Stadt, Marino<br />

Grimani, zum Prokurator, das heißt Mitglied der obersten Regierungsgewalt der<br />

Serenissima Republica Venedigs, sowie vom Fastnachtstreiben. Dieses einleitend<br />

habe .. der Capitan vom heiligen christage ahn biß auf Fastnacht .... alle Sontage<br />

.... Jegen abent einen dantz auf seinem palLatio halten lasenn, ahn<br />

welchen ortt die vornemesten Gentildonne oder der vom adell weiberr zusammen<br />

kommen, mitt welchen von vier vhr abents biß vmb 10 vhr In die nacht<br />

gedar.tzett wird, mag ein Jeder dantzen, die vom adell welcher Nation die sein ....<br />

Nach verrichtetem dantz gibt der Capilan dem frauenzimmer eine statliche Collation<br />

von mancherlei confect." Kaum zweifelhaft, daß auch Gadenstedt als<br />

.. vom Adel deutscher Nation" aus eigener Anschauung schildert. Fastnacht selbst<br />

wurde mit .. Mascaraden oder Mummerei" gefeiert, aucb durch ein Stechen<br />

zu Pferde .. nach einem hoItzern Brustbilde, .. " welchs auf die aufgeschlagene<br />

schrancken gesetzett whar". .<br />

Aus eigener Kenntnis berichtet Gadenstedt ersichtlich über die Baulichkeiten,<br />

so etwa als Gast des Capitanos: .. Das palLatlum Capifani ist ein altformisches<br />

gebeude, da findett man viel altes gemheide, die thaten principum Carrariensium,<br />

die vor zeiten Paduam regiertt habenn", Er beachtet inbesondere die<br />

Kirchen Paduas, während er bei Orten, die er nur flüchtig besucht, sich<br />

mehr oder weniger, wenn nicht ganz, mit Kompilationen aus Büchern behilft.<br />

Mag nun eigene Anschauung vorliegen oder nicht, er referiert nur, auch insgemein<br />

über katholisch kirchliche Gebräuche. Beeindruckt hat ihn, daß am Feste<br />

der Verkündigung Mariens vor der Eremitenkirche ein .. gros er zulauf" sei, denn<br />

dann sei dort .. ein knabe, angekleidet wie S. Maria; kompt der EngeIl, bringett ihr<br />

die Botschaft, daß sie Jesum gebheren soll; kompt eine weise Taube, die<br />

sonderlich darzu gewhenet vndt abgerichtet, soll den heiligen Geist bedeutenn.<br />

Ein Priester darbeneben erzehlett die historiam von der endpfengnis Christi."<br />

Derartige Darstellungen waren derzeit wohl noch in der ganzen katholisch gebliebenen<br />

Christenheit üblich. Allein Wundern und Gnadenstätten gegenüber<br />

und ihren Ablässen entschlüpft Gadenstedt, dem beharrlichen Protestanten, gelegentlich<br />

ein skeptisches, wohl gar spöttisches Wort. So auch in Padua bezüglich<br />

der damals noch üblichen, auch in Niedersachsen noch nicht verschwundenen<br />

21) Dämonenaustreibungen in der Kirche des heiligen Antonius an<br />

dessen jährlichem, noch heute volkstümlichem Feiertage, dem 1<strong>3.</strong> Juni, oder in<br />

Hinblick auf die Heilkraft des Brunnens rüstiger Klosterbrüder bei Santa Justina<br />

gegen Unfruchtbarkeit. .<br />

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Der lange Aufenthalt in Padua wurde durch einen Ausflug nach Venedig<br />

verkürzt, wo auch schon auf der Einreise nach Italien einige Tage Halt gemacht<br />

worden war, und durch einen Besuch des Badeortes Abano mit seiner blühenden<br />

Umgebung in den euganeischen Bergen. Bei dieser Gelegenheit wird auch Vicenza<br />

berührt und eingekehrt "all capell russo, zum roten huett, Ist ein guete herberg.<br />

Auf dem shaal In dieser herberg stehen etliche teutsche ftirsten In teutscher<br />

kleidung abgemhalett, vntter andern hertzog Moritz curfurst zu Sacschenn, welcher<br />

in der slacht bei Siuershusen Ist erschossen anno 155<strong>3.</strong>" Sievershausen liegt<br />

unweit des Dorfes Gadenstedt. Ausführlicheres erfahren wir in Abano über die<br />

altberühmten Bäder, die wohl auch Petrarca für seine letzten Lebensjahre in<br />

diese Gegend mit gelockt haben mochten, über zwei Villen, und namentlich über<br />

das Grab von Gadenstedts Landsmann Detmar von Kißleben auf dem Peterskirchhofe<br />

zu Abano~ Dieser Detmar hatte einer derzeit insbesondere in den<br />

Grafschaften Wernigerode und Blankenburg begüterten, aus dem wüsten Dorfe<br />

Ktßleben im Kreise Helmstedt stammenden Adelsfamilie angehört. 22 ) Gadenstedt<br />

erwähnt auch dessen Bruder als Inhaber des halberstädtischen Lehngutes Mulmke,<br />

nördlich bei Heudeber, und laut Grabschrift dazu den Vater Andreas, der, schon<br />

neunzigjährig, das Grabmal bestellt habe mit Hilfe seines Verwandten Adrian 23)<br />

VOll Steinberg, der auch das Begräbnis besorgt habe zusammen mit Detmars<br />

Landsmann Johannes Brandes. Gadenstedt fand das steinerne Epitaph mit acht<br />

Ahnenwappen und langer lateinischer Inschrift vor, nach der Detmar von Kißleben<br />

"ex Saxonia" gestorben ist "die XV AUgllSti Anno salutis 1576 aetatis 23",<br />

also 1576, dreiundzwanzigjährig. Im gleichen Jahre ist er als Rechtshörer in der<br />

Universitäts-Matrikel Paduas eingetragen. 24 ) Sein Grab nahe der Kirchentür mit<br />

besonderem Inschriftstein habe umgeben ein "steiner[n] stakett (welchs stakett<br />

etwas verfalln aber Steinberg vnd Ich wieder verbessern lasenn), das das viehe<br />

nicht drauf laufen kann. Ist oben gentzlich vberwellertt, das der regen nicht<br />

leichtlicht darzu kommen kann." - Von den besuchten Villen gehörte eine<br />

einem Kardinal, vielleicht die auch noch heute vorhandene eines Bischofs von<br />

Padua, die andere, weit mannigfaltigere, "einem wolluersuchtenn kriegsobristen<br />

Antonius Plus". Sie wird so hinreichend eingehend geschildert, daß sie sich<br />

feststellen läßt als eine der heute noch bemerkenswertesten Villen zwischen<br />

Padua und Venedig, genannt II Ca/alo, die 1571 entstandene Schöpfung des<br />

Venetianischen Generals Plo Enea degli ObizzI 25 ). Beachtenswert, daß Gadenstedt<br />

zwar bereits mit Geschmack das bis heute wohl Beste erspürt hat, was der<br />

Villenreichtum der Euganeischen Berge bietet, sich aber nicht äußert über den<br />

Gegensatz zu Deutschland, wo derartige unbewehrte Landhäuser noch kaum gebräuchlich<br />

waren. In der Pfingstzeit des folgenden Jahres 1589 wieder in Padua,<br />

wurde er zufällig Zuschauer des pomphaften Begräbnisses des angesehenen<br />

Generals und Villenbesitzers aus alter Familie;<br />

Venedig wurde im Anschluß daran auf der Heimreise Ende Mai 1589 ebenfalls<br />

noch einmal aufgesucht, hauptsächlich um die Kosten für den langen Rückweg<br />

flüssig zu machen. Gadenstedts Angaben reichen zwar nicht aus, um seinen<br />

gesamten Zeitaufwand für Venedig zu berechnen, aber er war lange genug für<br />

eingehendere Beobachtungen und Besichtigungen auch dort. Am meisten haben<br />

ihn das Arsenal gefesselt und dessen mannigfaltige marinetechnische Werkstätten,<br />

wieder mit einem herzhaften Trunke verbunden, dann das Weihnachtshochamt<br />

in der Markuskirche mit ihn tief ergreifender Musik und anschließender<br />

Besichtigung des festlich ausgestellten Kirchenschatzes. Einen ähnlichen Ohrenschmauß<br />

bot ihm die Kirche S. Christophoro: "Da habe Ich eine brautt vnd<br />

breuttgam sheen zusammen geben, ward ein herliehe Musica tam vocalis qllam<br />

instrumentalis gehaltenn." Auch die Feier der jährlichen symbolischen Vermählung<br />

des Dogen mit dem Meere am Himmelfahrtstage Christi hat er mit lebhafter<br />

Teilnahme mitgemacht.<br />

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Hie und da unterbricht wohl eine sachgemäße Anekdote, vermutlich Vortragswürze<br />

der Ortsfilhrer, die trockene Aufzählung der Sehenswürdigkeiten. Das<br />

Symbol des Evangelisten Markus ist der geflilgelte Löwe mit seinem Evangeliumbuche.<br />

Er war zugleich Sinnbild der Staatsmacht Venedigs. "Man pflegtt,"<br />

so referiert dazu Gadenstedt, "zu fragenn, welchs der gröste, welchs der hoeheste<br />

vnd welchs der gelerteste S. Marcus In Venedig sei". Da sei denn das Löwenbild<br />

auf dem Markusturme der höchste, der größte "vber dem Arsenal (NB. über<br />

dessen Haupteingange) vnd Zeughaus, der gelarteste auf der seulen, darunter<br />

das halsgericht gehalten wird, denn dieser hatt kein buch in der Handtt, darumb<br />

ehr außgestuedirtt". Es ist das der Löwe auf einer der beiden Säulen der Piazetta.<br />

- Ein Ausflug durch die Lagune nach dem Vororte Murano galt üblicherweise<br />

hauptsächlich dessen Glasbläsereien. Angestaunt wird eine Orgel mit<br />

gläsernen Pfeifen, "eine Galeren mitt allen Zubehoerungenn, sher kunstlieh" und<br />

eine Festung mit Wällen, Basteien und Türmen, auseinandernehmbar. - An<br />

anderer Stelle erwähnt Gadenstedt auch die benachbarte Friedhofsinsel S. MicheIe,<br />

und zwar wegen ihrer im Jahre 1530 aus einem großen Legat der Margherita<br />

Miana errichteten schönen Capella EmiIiana. D:e Erblasserin sei, - und das<br />

scheint nur die Aufmerksamkeit auf diesen Raum gelenkt zu haben, eine "Cortisana"<br />

gewesen. Dabei ist zu bedenken, daß das Kurtisanenwesen Italiens, vorab<br />

Venedigs, derzeit wegen seiner aufdringlichen Zügellosigkeit eine europäische<br />

Merkwürdigkeit war, die jeden Reisenden zur Stellungnahme nötigte. Unternehmungslustige<br />

venetianische Dirnen brandschatzten, nach Gadenstedts Angabe,<br />

auch Padua an dessen hoch gefeiertem Santo feste. - Mitteilenswert ist<br />

ihm sogar, er habe "einen türkischen Ambassaten Inn einer welschen Herberge,<br />

der sich statlich hieltte", gesehen, und Sprungakrobaten, . zwei Mädchen, "eine<br />

von 19, die anderr von 17 Jharn, eines springers döchterr", die außerdem auf<br />

der Laute und Harfe mit Gesang musiziert hatten. Ihr fUnfzehnjahriger Bruder<br />

"sprange gewaltig woll, seinesgleichen hab Ich nicht gesheen", Derartige Beobachtungen<br />

aus dem öffentlichen Leben werden im Verlaufe der Reise nur<br />

ganz selten erwähnt.<br />

Dagegen versäumt Gadenstedt, als instinktiv der derzeit bereits in Italien zu<br />

vollem Durchbruch gekommenen höfischen Unterordnung zugeneigter welfischer<br />

Lehnsmann mit einem Zuschuß' ererbter, pflichtgemäßer Anhänglichkeit, nicht,<br />

den venetianischen Palast des drei Jahre früher, 1584, verstorbenen Her­<br />

ZOg3 Erich des Jilngeren von Braunschweig (Abb. 9) herauszustreichen: das<br />

Gebäude "passirt vnter den schonsten wohl mitt, ahn welchem Inn steinen gehauen<br />

[die] wortt stehen: Non nobis, Domine, non nobis"; und an der Brenta<br />

macht er aufmerksam auf ein SommerschloB des Herzogs. Im Juni 1589, auf<br />

der Rückreise,läßt er sich angelegen sein, in Pavia auch die Grabstätte dieses<br />

Welfen ehrerbietig aufzusuchen, für den überzeugten Protestanten eine auffällige<br />

Geste. In der mehr als zwei Jahrzehnte jüngeren endgültigen Niederschrift dieses<br />

Besuchs gibt sie sich als ein unverkennbares Zeichen des inzwischen auch im deutschen<br />

Norden durchgedrungenen barocken Subordinationsbedürfnisses. Denn der<br />

streng lutherisch erzogene Herzog Erich war schon 1545 zum Katholizismus<br />

zurückgetreten, hatte dann, sich und sein Land tief in Schulden stürzend. überwiegend<br />

im militärischen Dienste Kaiser Karls des Fünften und König Philipps<br />

dea Zweiten von Spanien in der Fremde gelebt, in zweiter Ehe seit 1576 verheiratet<br />

mit Dorothee von Lothringen. Als Besitzer der Herrschaften Lysfelden<br />

und Woerden in den damals spanischen Niederlanden hat er 1566 ein noch<br />

vorhandenes prunkvolles Kirchenfenster in Gouda gestiftet, Symbol seiner herrscherlichen<br />

Ansprüche, mit seinem repräsentativen Bildnisse. Es sieht fast aus,<br />

als wenn Gadenstedt vor diesem unruhigen und anspruchsvollen Fürsten, vielleicht<br />

auch wegen seines einigermaßen abenteuerlichen Lebens im Auslande,<br />

einigen Respekt gehabt hätte, wie er denn bereits, wie wir schon Seite 12 er-<br />

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fuhren, auf des Herzogs Fensterwappen in Seefeld geflissentlich hingewiesen<br />

hatte. Die treffliche Charakteristik des Herzogs in Neukirehs "Niedersächsischer<br />

Adclskultur" legt nahe, daß diese auffallende Neigung Gadenstedts mit alten<br />

kriegerischen Verbundenheiten des kalenbergischen Adels noch zusammenhing.<br />

- Die Grabstelle Herzog Erichs des Jüngeren befindet sich in der Kirche<br />

Canepr. nova zu Pavia. Gadenstedt geht weitläufig darauf ein: Es wäre dort "eine<br />

kleine CapelI, stoesett ahn die kirche ahn den grosen altar. Vntter dem hoehen<br />

altar liggtt begraben der durchleuchtige hochgeborene(r) furst vndtt herr Ericus<br />

von Gottes gnaden hertzog zu Braunschweig vndtt Luenenburgk hochloeblicher<br />

gedechtniß ....... daruon sonst (NB.""übrigens) zu lesen diese versehs (-Verse):<br />

Quod magts ltaliam pafria dilexit Ericus,<br />

Pro pafria tumulos Itala terra dedit.<br />

ltem:<br />

Papa fibi Papiaque fuit non pafria curae.<br />

Hinc procul a patria te tegil urbs Papia."<br />

Sollten diese gesucht alliterierenden Distichen wirklich in dem Grabraum gestanden<br />

haben, - Gadenstedt drückt sich nicht ganz deutlich aus - so können<br />

sie ihrem Sinne nach doch schwerlich zur Grabdekoration gedient haben. Hier<br />

ihre Verdeutschung:<br />

Erich zog Welschland einst vor seiner deutschen Heimat; dafür nun<br />

Türmt ihm statt dieser das Grab jetzt das italische Land.<br />

Dazu:<br />

Papst und Pavia vereint, nicht dem Vaterland, galt deine Neigung.<br />

Hier nun, vom Vaterland fern, deckt dich Pavia die Stadt. -<br />

Gadenstedt fährt fort: "In vorgenantter Capelle stehet ein sarck, In welchem<br />

sein vnechter Sohn soll begraben sein. Das braunschweigische wapen stehett<br />

6 mhall In dieser CapeIIe angenageltt; Ich halts dafür, das es dieselben sein,<br />

welche ahn der leiche, wie ehr begraben, sein angefasset gewesen. Inn dieser<br />

kirchen bey diesem kloster stehtt I[hrer] f[ürstlichen] G[naden] vnd dcrho<br />

gemhai von Lotringenn wapen oben In der kirchen fast ahn der gewelbe angeheftet<br />

vber I. f. g. stuell, do I. f. g. gestanden, wenn sie In der kirchen gewesenn.<br />

Ist sonst ein schoenes kirchlin. Der Münch (NB. zur Kirche gehörte ein<br />

Barnabitenkloster), welcher mir zwar auf grose bitte I. f. g. begrebniß zeigete,<br />

berichtete, das hertzog Erich diese kirche auf Ihrer furst. gnaden Vnkostung also<br />

laser. zurichten." - Die in Steinmanns Grabstätten der Fürsten des WeIfenhauses<br />

'Seite 207 abgedruckte eigentliche Grabschrift fehlt bei Gadenstedt. Nach<br />

ihr starb der "unechte" Sohn Namens Wilhelm im Jahre 1585. Seine Mutter<br />

war die Niederländerin Katharine von Weidam.<br />

Er und sein Freund Melchior von Steinberg verlassen am 2<strong>3.</strong>, Juni endlich'<br />

Padua, und zwar bis Bologna auf einer wie öfter eigens gemieteten "Kutsche",<br />

bis Rovigo begleitet von ihren "Dischgesellen .... alB herr Bartholome von Starnberg,<br />

der herr von Teltove, wulf von Brösigk, Caspar Flank, Luddewig von Krutsheim<br />

vnd Johann von Hatstein." Der T~gesbericht schließt, die Gesellschaft hätte<br />

- wie üblich, dürfen wir hinzusetzen - "zum Abscheide guete Reusche gewonnen".<br />

Am nächsten Tage geht es weiter nach Ferrara, eine normale Tagesreise,<br />

25 italienische Meilen, in Oberitalien derzeit Ober 40 Kilometer. 'Eingekehrt<br />

wurde "Al' Angelo, zum Engel, eine grase herberg". In Ferrara residierte noch<br />

der dortige Herzog aus dem Hause Este, nach dessen Tode 1597 das Herzogtum<br />

an den Kirchenstaat kam. Die frühen Morgenstunden werden übIicherweise zu<br />

Besichtigungen, hier zumal des Schlosses, benutzt. Gutes Anschauungs- und<br />

rasches, unverbildetes Auffassungsvermögen, durch AbbiIdungsfülle und Wissensbelastung<br />

noch nicht überbOrdet und abgc3tumpft, kommt unseren jungen Reisenden<br />

dabei zu Hilfe. FUhren lassen sie sich durch einen Trabanten der deut-<br />

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sehen Leibwache des Herzogs. Besonders interessiert sie, was zur zeitgemäßen<br />

repräsentativen Hofhaltung des Herzogs gehört. Mit Genugtuung bemerkt wird<br />

an einem im Umgange des Schloßhofes gemalten Stammbaume das Wappen<br />

der Herzöge von Braunschweig, die ja mit den Estes derselben Herkunft sind.<br />

Auch erwähnt Gadenstedt die seltsame Sitte erwachsener Mädchen, das rechte<br />

Auge mit einem schwarzen Samtläppchen zuzudecken, "welchs aber," so sagt<br />

er, "damals fast abgekommen, und lasen sich die Jungfrauen darselbst Jo so<br />

wenig vnd selten sheen als ahn andern ortten In Italia."<br />

Noch am gleichen Tage gegen Abend wurde Bologna erreicht und eingekehrt<br />

im Gasthause "zu S. Marco, kein besondere guete herberge,theur genug<br />

aber wenig fürs geltt". Jedoch nicht deshalb wird nur über zwei 'Nächte gerastet.<br />

sondern aus Besorgnis vor polizeilich-inquisitorischen Schwierigkeiten,<br />

die Gadenstedt durchweg im Kirchenstaate filrchtet. Schon in Padua teilt er<br />

mit, es sei dort "der Religion wegen ..... auch nicht so gar vnsicherr als zu<br />

Bononia vnd des Babsts stätten, wo (=falls) man sich nicht mhutwillig will<br />

In gefhar geben". In Bologna - Gadenstedt schreibt, wie seinerzeit durchweg gebräuchlich,<br />

die lateinische Namensform Bononia - in Bologna interessiert ihn<br />

wieder vor allem die Universität. Das derzeit noch sehr moderne Gebäude lobt<br />

er zwar, zieht ihm aber das Paduaner (Abb.ll) vor. Beide heute noch erhaltene<br />

Bauten stammen aus dem Beginn der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und<br />

zeigen im zweigeschossigen Hofumgange die strengen Formen der theoretisierenden<br />

Entlehnung antiker Bauweise. Auch sind beider Umgänge (Abb. 13)<br />

mit Schrifttafeln, Büsten und namentlich Wappen an Wand und Gewölbe geschmückt<br />

zur Erinnerung an Professoren und Studenten. Leider erwähnt Gadenstedt<br />

davon keine. Es wäre zu untersuchen, ob und welche davon zu seiner<br />

Zeit schon vorhanden gewesen sind. Auch auf nur eine der Professorenstatuen<br />

in dem noch heute unversehrten, prächtig vertäfelten Anatomie-<br />

. auditorium macht er aufmerkSam. Vielleicht fehlten dem neuen Raum die übrigen<br />

noch. Dagegen verbreitet er sich nun recht ausführlich über das Bedenkliche<br />

eines längeren Aufenthaltes von Ketzern: Die deutschen Studenten in Bologna<br />

seien ·meist katholisch, "weiIl es .... den Lutheranern oder die nicht Babistischs<br />

nicht rhatsam lange zu verharren. Daher nicht gar viel Teutsche darselbst<br />

vorhanden, welchs auch dahero komptt, dann kurtz vor meiner zeit der<br />

Gubernator des Babsts Gregorii X/li. (NB. reg. 1572-1585) darselbst einen<br />

vornhemen Teutschen hern gefenglich nächtlicher weile einziehen lasenn, von<br />

wegen ehr bey nacht seine where bey sich getragen (welchs sonst verboten gewesen).<br />

Desselbigen hern oder der Teutschen Nation hatt der Gubernator nicht<br />

verschonett, sondern dem hern drei Strapeda de corda, 3 rucke ahn dem seill<br />

ahm morgen vnd auff offentlichem marckte geben lasen." Diese Strafe sei "keine<br />

sonderliche kurtzweill; denn wer etwas verbricht, welchs bey dieser straffe verboten,<br />

wird mitt den henden zu ruckweiß ahn ein starck seill gespannett vnd von<br />

der hoehe heruntter gelasen (welcher strick In einer rulle leuft) so hastig vnd<br />

snell, als der strick laufen kann. Wann nhun die pershon balt zur erden, wirdt<br />

sleunig Ingehalten, daher dann demselben oftmals arme vnd andere glieder auß<br />

den gelencken gerissen werden, das sie gnug darhan wieder einzusetzen [haben],<br />

sonderlich wenn sie oft heruntter gelassenn werdenn." Es habe "derwegen die<br />

Teutsche Nation, was studiosi gewesen, sich zugleich mit einanderr aufgemacht<br />

vnd daruon gezogen, dafür der Babst etliche 100 Kronen geben, das es nicht<br />

geschehen. Der Gubernator Ist deswegen beim Babst In grose vngnade gekommen,<br />

seines Ampts sleunig entsetzett. Darüber ließ der Babst Gregorius X/I/.<br />

In der gantzen stadt pUblicirn, was deutscher Nation tar studiosi darwheren,<br />

solten die privUeg'a haben, wafen vnd wh eren zu tragen bey tag vnd nacht<br />

ohn Gefhar, kein Zinß oder vngeIt oder Zoll nicht bezhalen, vnd Ihnen soll In<br />

allem gueter Respect gehalten werdenn, der meinung, die Nation wieder zu be-<br />

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friedigenn. Wie sie dann auch Itzo viel Privilegla fur andern Nationen hatt.<br />

Sobalt der Teutschen Nation Pedell erfherett, das ein oder mher Teutschen zu<br />

Bononia ankommen, gheet ehr alsbalt In das wirdtshauß, bringet Ihnen der<br />

teutschen Nation matrikell, darein s:e Ihren nhamen schreiben, wird Ihm darjegen<br />

vmb die Gebhür ein bekentniß (NB. = Anerkenntnis), das ehr ein Teutscher,<br />

geben; [Dieser] Ist also, ob er schon darselbst nicht studieret, aller prlvilegia<br />

der Teutschen In des Babsts lande mit befre:ett." - Gadenstedt hat<br />

denn auch seinerseits sich samt seinem Freunde alsbald in die Matrikel eingetlagen,<br />

nach seiner eigenen Angabe am 26. Juni. 26 ) Er versäumt dazu nicht,<br />

darauf hinzuweisen, daß die deutsche Studentenschaft außerhalb der Stadt eine<br />

Villa "ex tisco nationis ahn sich gebrachtt" und sie filr 40 Kronen jährlich vermietet<br />

habe. An anderer Stelle erzählt er, wohl als Protestant ein wenig spitz,<br />

es sei das "PaLlatium Campagiorum ahn der strasen S. Mamolis vulgo peccata<br />

Germanorum (NB. = Sünde der Deutschen) genant, dieweill solcher pali ast gebauett<br />

ist von dem gelde, welchs auß Teutschsland gefhurt wordenn wegen<br />

ablaß Ihrer sünde, sonderlich vom Cardlnal Campegio".27) Angenehmsten Eindruck<br />

machte auf den Nordländer die unbefangene, sonst in Italien nicht immer<br />

übliche Höflichkeit der Damen des Patriziats: "Wann man bei dero wagen,<br />

In welchen sie spazieren fharen, ... den huet abzeugt, thun sie Im wagen mit<br />

neigen vnd händeküssen (wiewols ahn andern ortten auch wohl gescheen) hiewieder<br />

Reuerrentz."<br />

Zu . dem von uns nun schon mehrfach festgestellten und durchgehenden<br />

Interesse Gadenstedts für vaterländische Erinnerungen gehört es, daß er sich bei<br />

den Dominikanern außer um die Grabstätte König Enzios, des begabten natürlichen<br />

Sohnes Kaiser Friedrichs 11. in der Kirche, auch um die der deutschen<br />

Studenten im Klosterhofe (Abb. 12) bemüht. Was er über diese letzte zu sagen<br />

hat, ähnelt seinen Paduaner Mitteilungen. Es lautet: '"In dem Creutzgang dieses,<br />

klosters Ist ein gewelbe oder gemach, In welchem die teutsche nation zusammen<br />

komptt, wann sie etwas zu [ver-] handeln. Desgleichen haben die Teutschen<br />

Ihr Begräbniß In diesem creutzgang vnd stehet ein schwartzer adeler angcmhaltt<br />

mit folgenden Verschenn", - die wie bei Gadcnstedt meist, in seinem<br />

Manuskript auf eine gedruckte Quelle 28) zurückgehen. Wir erfahren dann weiter:<br />

"In dem Creutzgang liegen viel Teutsche begrabenn, vntter andernn Johannes<br />

Brandes", - und zwar, wie aus der ebenfalls mitgeteilten Grabschrift hervorgeht,<br />

Mitglied einer Hildesheimcr Patrizierfamilie. Ende August 1939 besuchte<br />

ich Bologna, um dieser Grabstätte nachzugehen. In der Tat fanden sich im<br />

inneren Klosterhofe von S. Domenico ihre Reste, und daneben alte deutsche<br />

Erinnerungssteine. Auf der südlichen Wand an Stelle des neuerdings in einen<br />

mit Fenstern versehenen Wirtschaftskeller (Abb.12) umgewandelten Grabgewölbes<br />

lassen sich noch höchst dürftige Reste eines Freskogemäldes erkennen, drei<br />

menschliche Figuren, die mittlere thronend. und zwar über der anscheinend mutwillig<br />

zerkratzten, nur noch zu ahnenden Darstellung eines Adlers, doch wohl<br />

eines heraldischen. Dazu eine Steinplatte mit den Hexametern:<br />

Siste gradum, specta monumentum hoc, quaeso, viator,<br />

Quod pia, quud cultrix legum Germana juven/us<br />

Condidit, ut genti pa/eat chommune sepulcrum,<br />

Vt Germanorum manes post fata quiescant<br />

Sacra parentall capientes annua ritu. M. Dl.<br />

Zu deutsch:<br />

Wandrer, verweil' und beschau', ich bitte, dies Denkmal, errichtet<br />

Ihren Verstorbnen von deutscher, der Rechte beflissener Jugen'd,<br />

Daß im gemeinsamen Grabe, befreit von den Qualen der Erde,<br />

Jährlich nach Väter Gebrauch sie der heiligen Opfer genießen. 1501.<br />

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Gadenstedt und sein literarischer Gewährsmann 29) haben die Jahreszahl 1550,<br />

wohl nur ein Lesefehler von ihnen oder dem Setzer Schraders.<br />

Links durch ein Fenster von d:e ~ er Inschrift getrennt, befindet sich das leider<br />

nur mäßig erhaltene, etwa zwei Meter hohe Grabmal des Hildesheimers, das<br />

schönste der ganzen Gruppe (Abb. 4). In einem<br />

Gehäm:e aus weichem, daher durch Verwitterung<br />

angegriffenem Stein von den Formen der Früh~<br />

renaissance nimmt den größten, unteren Teil e:n ~~~~~~<br />

jetzt überwiegend leeres, gerahmtes Feld mit<br />

einem erheblich kleineren, aber ebenfalls leeren<br />

Wappenschilde ein. Letz:e Spuren lassen erken~<br />

nen, daß im Schilde das Wappenbild, rings um<br />

ihn der Helm mit Zubehör, Kleinod und Decken,<br />

einst vorhanden gewe3en war. Darüber das in<br />

vier Zeilen abgebrochene Dist:chon:<br />

Coelum animam Braruli, nomen Germania servat.<br />

Quod morta:e tuit, c!at;d:tur hoc tumulo.<br />

Zu deutsch:<br />

Wei:et im Himmel se:n Geist, lebt weiter sein<br />

Name in Deutschland,<br />

Liegt hier was sterblich an ihm, Brandus, in<br />

bergender Gruft.<br />

Ein mit steigendem Blattwerk geschmückter, 115 cm<br />

langer Pilaster jederseits trägt ein Gebälk mit<br />

Segmentgiebel, der die von unten nicht und viel~<br />

leicht überhaupt nicht mehr ganz lesbare grie~<br />

chische Inschrift umschließt:


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Rechte 1531, Gatte der braunschweigischen Patriziertochter Margarethe von<br />

Damm, war Sohn eines älteren Bruders von Henning. Im Jahre 1503 zu Bologna<br />

immatrikuliert, wurde er 1507 einer der bei den Vorsteher der Studentenvereinigung<br />

deutscher Nation 32), wird also zwischen diesen Jahren das Grabdenkmal<br />

besorgt haben. Immerhin hätte ihm vielleicht auch der lange, seit 1505, in Rom<br />

anhängige, erst im Jahre 1516 dort entschiedene eheliche Güterstreit seiner<br />

Schwester IIsebe 33), der die ganze Brandissehe Sippe in Mitleidenschaft zog,<br />

Anlaß gegeben, gelegentlich etwa einer Romreise in dieser Angelegenheit, in<br />

Bologna das Grabmal in Auftrag zu geben. - Im Jahre 1550 wurde noch ein<br />

dritter Hildesheimer Brandis in Bologna immatrikuliert 34), Christoffer, geboren<br />

1523, ein Halbbruder des 1500 verstorbenen Johann aus dessen Vaters dritter<br />

Ehe. Im Jahre 1554 promovierte er in Bologna zum Doktor der Rechte, lebte<br />

später wieder in Hildesheim, tätig auch im Rate der Stadt, und starb ,1584 35).<br />

Eine gründliche Untersuchung der deutschen Grabstätte zu San Domenico<br />

in Bologna und ihrer Denkmäler wurde bereits im Jahre 1887 von A. Luschin<br />

von Ebengreuth angestellt 36). Daraus ergibt sich, daß die auffällige Verstümmelung<br />

sämtlicherWappendarstellungen in Bologna zurückgeht auf die revolutionäre<br />

Barbarei der Franzosen, "welche nach Besetzung der Stadt (1796) und nach der<br />

Proklamierung der cisalpinisehen Republik die Beseitigung aller Wappen . .'..<br />

erzwangen." Dem ist also auch der Brandissche Grabstein und der 'Reichsadler<br />

der Nation zum Opfer gefallen. Unter den von diesem Forscher noch vorgefundenen<br />

20 zwiscQen 1469 und 1788 datierten Grabdenkmälern San Domenicos,<br />

davon 4 aus dem 15. und 8 aus dem 16. Jahrhundert, bezieht sich nur das<br />

Brandissche auf einen Niedersachsen. Natürlich haben durchaus nicht alle Verstorbenen<br />

Epitaphien bekommen, wie es scheint auch nicht der braunschweigische<br />

Edelmann Konrad von Steinberg, ein 'Verwandter von Gadenstedts Freunde<br />

MeIchior von Steinberg und namentlich Jakobs v. St. in Bodenburg, bei dem<br />

Gadenstedt für die zweite Nacht seiner Reise eingekehrt war. Laut Angabe der<br />

Matrikel 37 ) kam Konrad im Jahre 1500 zur Universität Bologna als moram<br />

trahens in Lechtenberg et Bodenboreh, zu Hause also auf zwei Burgen welfischer<br />

Lehnshoheit. Er wurde 1502 von der Stadtwache des Regierungsgebäudes, a lictoribus<br />

pal/atii, getötet vermutlich gelegentlich einer Rauferei, wie sie immer<br />

wieder vorkamen, auch zu Gadenstedts Zeit. So wurde im Jahre 1622 ein deutscher<br />

Student in Bologna erdolcht 38).<br />

Unser Reisepaar verließ Bologna am 27. Juni 1588 und kehrte schon am<br />

folgenden Abend zu Florenz im Albergo aUa corona ein. Der Ritt ging durch<br />

den Apenin über Scarperia, gerühmt wegen seiner Eisenarbeiten, Messer, Scheeren<br />

und dergleichen, davon denn auch den Reisenden üblicherweise Einiges aufgedrängt<br />

wurde. Zuletzt wurde noch einmal am Berghange in Pratolino Halt<br />

gemacht zur Besichtigung des dortigen großherzog lichen Parkes und Sommerschlosses,<br />

derzeit die modernste, erst seit 1568 entstandene derartige Anlage<br />

bei Florenz 39), Schöpfung des vielseitigen Baukünstlers Buontalenti. Gadenstedt<br />

sagt leider: "Dieweill d:eser gartte der schönste vnd vornemeste ist, welchen<br />

Ich In Italia gesehenn, auch woll zu finden Ist, sonderlich an wasserkünsten,<br />

will Ich solchen weitleuftigerr,. wie er In des durchleuchtigen vnd hochgebornen<br />

fursten vnd hern, hern Friederichen Hertzog zu Wirtemberg etc. Reisebuch, da<br />

Ihre furstliche gnaden nach Rhom auf das Jubelljhar Anna salutis 1600 solches<br />

anzusehen gezogenn, beschrieben ist 40 ), •••• gedencken." Eigener Augenschein G.s<br />

schimmert aber nicht selten und staunend durch das breit Mitgeteilte, das erfüllt<br />

ist VOll der allgemeinen Bewunderung dieser damals noch nicht einmal ganz fertigen,<br />

heute nur noch in wenigen Resten erhaltenen Parkanlage mit ihren reichlichen<br />

Wasserkünsten, Grotten, Vexierüberraschungen, figürlichen mechanischen<br />

Spielereien, Wasserorgeln, Labyrinth und dergleichen mehr. Gadenstedts Ent-<br />

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•<br />

husiasmus bei dieser Gelegenheit erscheint wie ein erstes, zwar unbeabsichtigtes,<br />

aber um so erfüllteres Bekenntnis zu der sich aus der geistigen Erregtheit des<br />

16. Jahrhunderts nunmehr gestaltenden, alle sozialen Schichten für zwei Jahrhunderte<br />

bindenden Barokgesinnung. Gadenstedts zweiter Aufenthalt in Florenz<br />

zehn Monate später wird uns dafür den deutlichsten Hinweis liefern.<br />

Dieses Mal wurde schon am 2. Juli Florenz wieder verlassen und über<br />

Pistoia, Lucca, Pisa drei Tage später - am 5. Juli, wie ausdrücklich angegeben<br />

wird - Siena erreicht. In Pistoia versäumte Gadenstedt nicht, auch das<br />

Krankenhaus zu besuchen, in Lucca fallen ihm Erscheinungen auf, die sich ergaben<br />

aus der politischen Unabhängigkeit der Stadt, der einzigen reinen Stadtrepublik<br />

MitteIital;ens, die als solche bis zum Jahre 1797 bestanden hat. Von Pisa<br />

aus wurde ein kurzer Abstecher nach Livorno gemacht, wo namentlich den<br />

Kriegsgaleeren mit türkischen Rudersklaven eine längere Betrachtung gilt, die<br />

aber großenteils abhängig ist von der Beschreibung der Reise Herzog Friedrichs<br />

von Württemberg, wie denn auch hier wie stets - nochmals sei darauf hingewiesen<br />

- umfangreiche topographische Beschreibungen, geschichtliche und<br />

wirtschaftliche Nachrichten mit eigenen Eindrücken nur durchsetzte Wiedergaben<br />

aus deI' Literatur der Zeit um 1600 sind.<br />

Bezüglich Sienas sagt Gadenstedt: ,;Ich whar zwar nicht willens, mich darselbst<br />

lange aufzuhaltenn, binn Ich doch wegen groser hitze, auch das Ich mich<br />

nicht gar woll gefhüelett, dar still gelegen biß auf den 27. septembris 41), aldar<br />

Ich mich bei Anthonies von der Streithorst, seinem praeceptor Frederico Dasypodio<br />

42) vnd Gottfricdt Barbyßdorff In Ihr Losament Jegen dem collegia (Abb.lO)<br />

vber eingedingett vndt miteinander spendirtt 43). Melchior v. Stein berg Ist auf<br />

Rhom gezogen vnd hernach wieder nach Padua."<br />

Gadenstedt trennt sich also hier einstweilen von seinem bisherigen Reisegefährten<br />

und findet Anschluß an drei Deutsche, die bereits anwesend sind und<br />

von denen zwei künftig in enge, für den einen verhängnisvolle Beziehung zum<br />

Lande Braunschweig treten sollten. Seltsame Begegnung in Siena! Anton von<br />

der Streithorst, damals etwa sechsundzwanzig Jahre alt und Besitzer des braunschweigischen<br />

Rittergutes Schliestedt, trat 1591 in den herzoglichen Dienst. Im<br />

Jahre 1616 zum obersten Statthalter Herzog Friedrich Ulrichs und Vorsitzenden<br />

seines geheimen Rates bestellt, wurde er der Führer des berüchtigten, 1622 gestUrzten<br />

Landdrostenregiments und starb 1625 zu Wolfenbüttel im Gefängnis 44).<br />

Der 1559 im Kurfürstentum Köln geborene Jurist Friedrich Dasypodius (5) - Gräcisierung<br />

eines deutschen Familiennamens, gelegentlich seiner Promotion in<br />

Basel heißt er Mollenhavius Westphalus - wurde wohl von Helmstedt aus,<br />

wo er studiert hat, Bildungsbegleiter Streithorsts für Italien und schon 1591 Professor<br />

in Helmstedt. Gadenstedt blieb mit diesen bei den ihm durch Geburt und<br />

Interessen heimatlich verbundenen jungen Leuten vielleicht bis Neapel in Gesellschaft<br />

- sein Manuskript widerspricht sich in diesem Punkte (Seite 247<br />

gegen 492) -, sicher aber auf der Rückreise von Siena über Florenz bis Padua.<br />

Zuletzt, am 1. Juli 1589, finden sich diese drei in Basel wieder. Auch Gottfried<br />

von Barbisdorf 46) treffen wir noch einmal in Gadenstedts Gesellschaft auf der •<br />

Rückreise in Florenz.<br />

Von Siena, wo er sich nun fast drei Monate aufhielt, berichtet Gadenstedt<br />

unter Anderem, außer seiner regelmäßigen Beschreibung der örtlichen Merkwürdigkeiten:<br />

"Es wird alhier .... eine vornheme Vnluersitet gehaltenn, vnd<br />

pflegen sich alhier sonderlich Im Sommer viel Teutsche aufzuhaltten, dann der<br />

großhertzog den Teutschen wollgcwogcnn, vnd der teutschen Nation viel privllegia<br />

mittgetheilett. So sein die Inwhoner der stad fremden Nationen wollgewogenn<br />

vnd stellen sich gantz freumllich, alB sonstenn fast ahn keinem ortt<br />

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•<br />

Jegen die Teutschen. Es ist auch In ltalia kein ortt, ahn welchem so reinliche<br />

Italianische sprache alB zu Senis, denn s:e sich der toseanisehen sprache, welche<br />

der ortten die beste, gebrauchen. Es ist auch darselbst Im Sommer eine frische<br />

gesunde luft, weil es etlichermasen bergicht ligtt 47). SonderEch hatt es darselbst<br />

schoen vnd freundlich weibervoJck. Bey meiner zeitt wharen darselbst bei<br />

15 freihern vnd 50 vom ade 11 teutscher Nation, wie auch sonst viel ander Teutsehen."<br />

Offenbar galt im Großherzogturn Toskana gegenüber ausländischen,<br />

insbesondere deutschen Studenten für den Universitätsbesuch ein ähnliches absichtliches<br />

Ruhenlassen der Frage nach dem Bekenntnis wie im Venetianischen.<br />

Das Universitätsgebäude, sagt Gadenstedt an einer anderen Stelle, sei e;n "vnfletig<br />

gebeuede", ein früheres Bürgerhaus, worin einige Stipendiaten Wohnung<br />

und Kost hätten gegen 70 Kronen für vier Jahre. Daß er diesem seitdem erheblich<br />

erweiterten und monumentalisierten Bau gegenüber gewohnt hat, erfuhren<br />

wir schon. Das muß an seiner heutigen Rückseite gewesen sein, die auf die Via<br />

Sallustio Bandini mündet, wo d:e ·Umgebung jetzt noch altertümlich-mannigfaltigen<br />

Charakter hat (Abb.15), während der heutigen Hauptfront gegenüber der<br />

stattlichste alte Wohnbau Sienas liegt,· der Palazzo Piccolomini.<br />

Ähnlich wie in Padua und Bologna waren auch der Versammlungsraum<br />

und die GrabsteIle der deutschen Studenten in Kloster und Kirche der Dominikaner,<br />

und dort treffen wir heute noch auf ihre Spuren. Sienas Hochschule konkurrierte<br />

schon im Mittelalter mit der von Padua und Bologna, die Ausländer<br />

wurden an ihr frühzeitig besonders bevorzugt. Etwa die Hälfte derselben bestand<br />

Ende des fünfzehnten Jahrhunderts aus Deutschen, deren Bcgräbnisstelle<br />

schon zu Anfang jenes Jahrhunderts die Dominikanerkirche gewesen war 48).<br />

Gadenstedt beschreibt sie 49) folgendermaßen: "Mitten In der kirchen S. Dominici<br />

ist ein loch (wie auch zu Padua all Eremitano .. .. ) darinn werden die Teutsehen<br />

gelegett, vnd wird solches loch hernachmals fest hin wieder wegen des<br />

geruchs zugemaurett. Da findet mann diß Destichon:<br />

lmpia mors rapuit quos huc Germania misit,<br />

Ei dedit [his] requiem religionis amor."<br />

Zu deutsch etwa:<br />

Herzloser Tod hat geraubt, was Deutschland bis hierher gesendet,<br />

Doch schenkte Ruhe in Gott jedem ein frommes Gemüt.<br />

Gedenkinschriften von Niedersachsen werden in der Handschrift nicht angeführt,<br />

dagegen derzeit hier vorhandene, heute nicht mehr nachweisbare Verse, von<br />

denen man meinte, sie seien "den Teutschen zum schimpf gesetzett, weiH sie gern<br />

drinckenn, Ist aber kein nhame darbei :<br />

Vina dedere neci Germanum; vina scpulchro<br />

Funde, sitim nondum tiniit atra dies."<br />

Zu deutsch:<br />

Wein gab dem Deutschen den Tod, drum spende hier Wein auch<br />

dem Grabe.<br />

Keineswegs löschte den Durst schon der entseelende Tag.<br />

Und in der Augustinerkirche las Gadenstedt das Doppeldistichon:<br />

24<br />

"Vina dabanl vitam, mortem mihi vina dedere;<br />

Sobrius auroram eernere non potui.<br />

Ossa merum sitiunt, vino consperge sepulchrum,<br />

Et caUce epoto, eare viator, abi.<br />

Va/ete potatores."


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Zu deutsch:<br />

Wein hat mir Leben gegeben, dem Trunke verdank' ich den Tod nun;<br />

Kein Tag leuchtete auf, welchen ich nilchtern begrüßt.<br />

Wein her schreit mein Gebein, '0 erbarme dich, lösche den<br />

Durst mir;<br />

Erst wenn der Becher geleert, Teuerster, wende dich fort.<br />

Lebt wohl, Trinkgenossen !<br />

Diese reichlichen Zitate lassen Gadenstedts humorvolles Verständnis für einen<br />

Trank italienischer Auslese erkennen, auch wenn er sich nicht selbst gelegentlich<br />

offenherzig zu einem guten Tropfen bekannt hätte. Von der Ausstattung der<br />

deutschen, der heiligen Barbara geweihten Begräbniskapelle zu kultischen<br />

Zwecken. besonders Totenfeiern, sagt Gadenstedt nur, es hätten "die Teutschenn<br />

ein schoenes leichduch vberr 100 Ducaten kostende .... In diese Kirchen verehrett,<br />

welchs tuch, wann ein Teutscher begraben soll werden, gebraucht wirdtt,<br />

vnd wird vber das sarck gedeckett. Es Ist gemacht von gulden stuck, darauf<br />

ein schwartzer Adeler von schwartzem Sammet mitt golde gestickett auf den<br />

fluegeln, auch sonsten." 50)<br />

Weiter schildert er, ausführlicher als an entsprechender Stelle in Padua:<br />

"Im creutzgang dieses klosters S. Dominici Ist e:n gemach, In weIchem die<br />

Teutschenn Ihre Zusammenkunft halten Inn erwhelung eines neuen consiliarii<br />

(NB. also Obmann und Verbindungsmann zum Rektorat) vnd wenn andere<br />

sacheml vorfallenn. Die zeit vber weil Ich zu Scniß gewesen, ward zum<br />

consiliario erwhelett Martinus ein freiherr von Starenberg (NB. vielleicht ein<br />

Mitgliec 1 der österreichischen, später fürstlichen Famflie Starhemberg), weil ehr<br />

aber balt darauf nhotwendig In Teutschsland ziehen muste, ward ahn seine<br />

stadt erwhelett Heinrich von Haßlang ein Be:erischer vom Adell zum consiliario."<br />

Dem stattlichen Zuzug deutscher Studenten nach Siena gerade zur Zeit Gadenstedts<br />

entspricht die beträchtliche Anzahl erhaltener Grabdenkmäler derselben<br />

Ep(lche in der deutscher Pflege anvertrauten Barbarakapelle, der mittleren am<br />

südlichen Querarm der Dominikanerkirche (Abb. 16). Noch heute ist sie ganz<br />

und gar studentischer Gedächtnisraum. Die volle Breite ihrer Rückwand bildet<br />

als anspruchsvoller Altarhintergrund ein für den 1595 zwanzigjährig verstorbenen<br />

Kaspar von Windischgrätz errichtetes Monument. Vor dem mit diesem<br />

verbundenen Altare liegt, an dieser Stelle erst seit dem Jahre 1632, auf dem<br />

Boden jene rechteckige, Anmerkung 49 beschriebene Marmorplatte mit dem<br />

Doppeladler in starkem Relief (Abb. 18). An den Seitenwänden der Kapelle befinden<br />

sich links vom Eintretenden elf, rechts acht ziemlich gleichartige Epitaphien<br />

mit Wappen großenteils in einem Gehäuse und über einer Inschrift<br />

(meistens auf Abb. 16 und 17), stilistische Fortbildungen vom Typ noch des<br />

Brandisschen in Bologna (Abb. 4, Seite 21), aber d:ese Sieneser in einer bemerkbaren,<br />

nur durch die Auftraggeber erklärlichen Anpassung italienischer<br />

Handwerker an deutschen Geschmack.<br />

Eine Durchsicht der mannigfachen' Aktenauszüge Luschin v. Ebengreuths<br />

ergibt in den Jahren 1571, 1581, 1582, 1585, 1591, 1602 Vermittelungen der deutschen<br />

NationsvQrsteher für die Hinterbliebenen zur Herstellung von Epitaphien.<br />

Im Jahre 1602 wurde gesagt, daß "das allergeringst under 24 Cronen khaum<br />

gemach~ wirdet. Die was stattliches haben wellen, muessen 30 oder 40 cronen<br />

spendiern." Von jenen sechs Möglichkeiten führten wohl nur die von 1582 und<br />

1586 zum Ziele. Im Jahre 1582 betraf die Besorgung das noch vorhandene Grabmal<br />

Gabricl Muffels aus Nürnberg (Abb. 17 Nr. 5 von links), und über das<br />

diesem links benachbarte des Hans Adam von MuckenthaI aus Ingolstadt<br />

(t 1585) erfahren wir, daß dafür 1586 38 Kronen bezahlt worden sind. Dementsprechend<br />

werden alle Epitaphien der Kapelle je 30 bis 40 Kronen gekostet<br />

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haben, mit Ausnahme des Altarhintergrundes (Abb.16) zu Ehren des steiermärkisehen<br />

Freiherrn Kaspar von Windischgrätz. Für diesen gaben die Eltern Kaspars<br />

die runde Summe von 1000 Kronen und lieferten einen Entwurf deutschen Geschmacks,<br />

reich ausgestattet mit Figuren und Ornament. Die Sieneser Kunsthanawerker<br />

erklärten, für den gebotenen Preis diesen Entwurf nicht ganz in<br />

Marmor, sondern teiIweis nur in Holz ausführen zu können. Der zu einem<br />

Italiener von internationalem Ruf gewordene Bildhauer flandrischer Herkunft,<br />

Giovanni da Bologna in Florenz, gutachtete bezüglich der deutschen Vorlage,<br />

"daß soliches Model und Fuerm (= Form) mit nichten ihrer (NB. der Bildhauer)<br />

Khunst gemäß, als viel mehr zu einem Gemähl teigIich (= tauglich) sei." Ein<br />

kunstgeschichtlich bemerkenswertes Urteil des bedeutenden Künstlers. Er selbst<br />

bot, vielleicht entgegenkommend als Landsmann der Nation deutscher Studenten,<br />

einen Entwurf, "so alle Prinzipalstuck des vorigen Models in sich begreift".<br />

Danach wäre das Denkmal, obschon ganz in Marmor, doch für 1000 Kronen<br />

herzustellen. Der deutsche Vorschlag würde, gemäß den Wünschen der Auftraggeber<br />

ganz in Marmor, mindestens 3000 Kronen kosten. Giovanni da Bulogna~<br />

Entwurf wird im September 1596 angenommen und der Künstler wird<br />

gebeten, da er selbst der Ausführung sicht nicht widmen könne, dafür einen<br />

tüchtigen Meister zu send~n. Das Denkmal wird also 1597 in der noch vorhandenen<br />

italienisch-internationalen Form entstanden sein. Wir werfen da just<br />

für die Zeit von Gadenstedts Aufenthalt in Italien einen wertvollen Blick auch<br />

auf die künstlerischen Wünsche der deutschen Studenten. Sie waren offenbar<br />

der Bedeutung damaliger, in ganz Europa zum unbedingten Vorbilde gewordener<br />

italienischer Kunst noch nicht inne geworden, hielten noch unbefangen an im<br />

Sinne jener Zeit rückständiger deutscher künstlerischer Ausdrucksweise fest, bemerkten<br />

als unerfahrene, für Wissen mehr als für Kunst empfängliche, vornehmlich<br />

lebenshungrige Jugend die Unterschiede noch gar nicht. Sie setzten daher<br />

bei den übrigen Denkmälern der Barbarakapelle, alle von ihrer Zierweise<br />

angernssen bescheidenem Umfange, ohne weiteres den heimischen Geschmack<br />

als selbstverständlich durch und können damit vollkommen in der italienischen<br />

Umgebung bestehen. Mit der größeren Aufgabe ihres Grabmalentwurfes als<br />

Altarhintergrund aber scheiterten sie. Denn wirklich hätte dieser aus Mangel<br />

an Monumentalität - eben den deutet Giovanni da Bolognas Urteil an - in<br />

die italienische Kirche nicht gepaßt. Wir fassen da einmal genau einen<br />

Moment, wo die Gegensätze italienischer und nordischer Kunstweise unvereinbar<br />

aufeinander prallen.<br />

Mehrere dieser. deutschen Studenten-Grabmäler in Siena beziehen sich auf<br />

Angehörige des schwäbischen und bayerischen Adels sowie des Nürnberger<br />

Patriziats. Niedersachsen sind nicht darunter 51). Die ältesten und meisten,<br />

fünfzehn, gehören in das letzte Viertel des sechzehnten Jahrhunderts, also in die<br />

Zeit Gadenstedts, veranschaulichen daher auch dessen an seine Umgebung gebundenen<br />

Geschmack. Die Abbildungen 16 und 17 stellen den größten Teil der<br />

Grabdenkmäler in der Barbarakapelle dar. Andere deutsche Epitaphien ihr gegenüber<br />

im Querarm der Kirche.<br />

Das erste, auf Abbildung 17 nicht ganz sichtbare Epitaph .der Reihe links<br />

vom Eintretenden bezieht sich auf einen Studenten, der sich, um das Mittelmeer<br />

näher kennen zu lernen, an der kriegerischen Fahrt einer toskanischen Galeere<br />

beteiligt hatte, im Jahre 1610 von einem türkischen Pfeile getötet und in Sardinien<br />

begraben wurde. An einer anderen Stelle der Kirche befindet sich das<br />

Denkmal eines in Siena 1625 an den <strong>Folge</strong>n einer ungestümen und daher von<br />

ihm unterbrochenen Galeerenfahrt nach Malta gestorbenen Kölners. Abenteuerlustige<br />

deutsche Studenten ließen sich gern zu solchen Fahrten verlocken. Auch<br />

Gadenstedt gehörte zu ihnen, wie wir noch des Näheren erfahren werden. Der<br />

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Inhaber des in der Reihe der Barbarakapelle nach rechts hin nun folgenden Epitaphs,<br />

ein Münchener, wurde 1586 bei einer Rauferei mit Handwerkern getötet.<br />

Aus den Akten hat v. Ebengreuth festgestellt, daß auch im Jahre 1580 ein Student,<br />

vermutlich ein Hamburger, an den <strong>Folge</strong>n einer nächtlichen Streiterei gestorben<br />

ist, Herausforderungen, wie sie sich mit den "Welschen", also ortsansässigen<br />

Italienern, offenbar recht häufig zutrugen. Ein anderer deutscher Student ging<br />

1582 ebenso zugrunde, ein dritter wurde 1607 getötet, "amazato in Siena". Daß in<br />

Bologna die Streitlust nicht schwächer war, wurde S. 22 gestreift; auch lassen<br />

es die S. 19 erwähnten, verletzten Ansprüche auf Waffentragen vermuten,<br />

und dasselbe gilt von Padua, dessen Fechtsport besonders berühmt war. Das<br />

dritte Grabmal, datiert 1588, gehörte einem Nürnberger Patrizier, ebenso das<br />

fünfte, wieder mit der Jahreszahl 1582. Das dazwischen erinnert an einen 1585<br />

verstorbenen Bayer, das sechste an einen 1577 verstorbenen Schwaben, hat also<br />

als das älteste Epitaph der Kapelle zu geiten. An der Wand gegenüber (Abb. 16)<br />

fällt die untere Reihe durch einen wenig abgewandelten Gehäusetypus für das<br />

Wappen auf. Sie gilt in den Jahren 1591 bis 1597 verstorbenen Studenten, darunter<br />

zwei Nürnberger Patriziersöhnen, einem Schwaben und einem Nordniederländer.<br />

Man sieht aus diesen Heimatgegenden, daß ein groBer Teil der in dieser<br />

katholischen Kapelle dem Gedächtnis Empfohlenen protestantischer Gesinnung<br />

gewesen ist, aber es nimmt nicht weiter wunder nach dem, was wir bereits Ober<br />

die in Padua und Siena geübte staatliche Toleranz gehört haben. Es kann auch<br />

den Dominikanern als geistlichen überwachern nicht nur dieser Kapelle, sondern<br />

auch des Versammlungslokals der deutschen Studenten, gleichwie als autorisierten<br />

Ketzerrichtern nicht unbekannt gewesen sein. Aber man schwieg dazu<br />

seitens beider Konfessionen. Die Totenfeiern geschahen, wie die Rechnungsbücher<br />

ausweisen, nach zwar unverbindlichem, aber selbstverständlich katholischem<br />

Brauche. Andererseits ließ sich der Orden ohne weiteres jenen aufwändigen<br />

Denkmalshintergrund für den Barbaraaltar gefallen, der dem Gedächtnis des<br />

jungen Sprößlings aus der Steiermark entstammendem Hochadel, Kaspar von<br />

Windischgrätz, von seiner Mutter nach dem schon erwähnten Entwurfe des gefeierten<br />

Florentiner Bildhauers Giovanni da Bologna gestiftet wurde. Diese Frau,<br />

eine geborene Gräfin von Schlick, war, wie v. Ebengreuth berichtet, eine eifrige<br />

Protestantin gleich vielen in späteren Glaubensnöten bedrängten Mitgliedern der<br />

Familie Windischgrätz.<br />

Aus Gadenstedts Reisebericht erfahren wir des Weiteren, daß die Dominikaner<br />

eine Zelle gezeigt hätten, die Luthern auf dem Wege nach Rom zum<br />

Aufenthalte gedient habe und worin es daher spuke, so daß niemand nachts darin<br />

aushalten könne. Sollte das vornehmlich an die Adresse der heimlichen Protestanten<br />

gerichtet gewesen sein? Gadenstedt wirft vorsichtig ein: "Wer weiß,<br />

obs whar Ist. Ich haltts dafür, daß es In odium Lutherl erdacht Ist von den<br />

gottlosen münchenn."<br />

Dieses ist eine der wenigen Stellen, wo Gadenstedt sich polemisch äußert<br />

gegenüber katholischen Eindrücken, und auch nur abwehrend, nicht angriffs weise.<br />

Ist er doch sogar Reliquien und Legenden gegenüber uneingestandener Weise geneigt<br />

zu einem gewissen Für-möglich-halten. Dagegen empört sich sein gutes<br />

musikalisches Ohr gelegentlich der Feier von Mariens Himmelfahrt im· Dome<br />

von Siena: Dreißig Trompeter hätten dabei mitgewirkt. "Wann die allmitteinan<br />

der In diese gewelbete kirchen kommen, gibt es e:n gethon, das man weder<br />

sehen noch hoerenn kann. Wann dann In der Messe die priester die Eleuation<br />

des Leibs des hern christi auf Ihre papistischs artt gebrauchen, wird darzu getrommelt<br />

vnd mit den Posaunen geblasenn, lest fast als wann wir dieser ortter<br />

In collationibus beim Drunck mochten blasen lasen: ,gebt dem keiserr den<br />

slafdrunck', alß wenn es zum dantzen gel tenn sollte. Solche andacht kham mir<br />

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gar lecherlich für." - Merkwürdig, wie wenig Verständnis hier Gadenstedt<br />

nach bereits zehnmonatIichem Aufenthalte in Italien für d;e landesübliche Lärmfreude<br />

hat; kulturgeschichtlich merkwürdiger die Erwähnung eines originellen<br />

deutschen, als Schlaftrunk des Kaisers bezeichneten Trinkbrauchs.<br />

Vom 26. zum 27. September raste!en in Siena auf der Durchreise nach Rom<br />

und Neapel der zurückgekehrte Melchior von Steinberg, "Herr Bartholome vonn<br />

Staren berg, Herr herman von Goer, Sieuerd von Steinberg, Christof hueneken, hans<br />

Jurge von Rumrodtt" aus Franken. Gadenstedt entschloß sich, ihnen zu folgen,<br />

aber erst am 2d., dazu der noch gebliebene Melchior von Steinberg, "conrad<br />

von der Hegge vndt Kresse, ein Nurnberger." Der Weg nach Rom war der üb!iche.<br />

übernachtet wurde unterwegs dreimal: In der Sonne, Al Sole zu Lucignano, in<br />

S. Lorenzo, dessen Rotwein gelobt wurde, und All Angelo, Im Engel zu Monte<br />

Rosa (heute Monterosi). Am 2. Oktober wurde Rom erreicht. Zwischenrasten<br />

waren zu Montefiascone in der Herberge All' Campana, Zur Glocke, um den derzeit<br />

bereits durch den legendarischen Est-Est-GrabsteIn ausgezeichneten Muskatellerwein<br />

zu kosten, und zur Mittagsrast in Viterbo w;eder in einem Wirtshause<br />

zur Glocke, wo denn schon die heute noch bewunderten Brunnen der<br />

malerischen alten Stadt gebührend beachtet wurden. Die vorletzte Tagereise bis<br />

Rom ging durch das damals wie heute mit herrlichen Kästen dicht bestandene<br />

Ciminische Waldgeb:rge und die letzte durch die gleich diesem und den Albanerbergen<br />

aus erloschenen Vulkanen bestehenden Sabatinischen Berge bis Baccano<br />

und von da, wie Gadenstedt erziihlt, "durch einen waltt, wiewoll fast abgehauenn,<br />

alda es vor zeiten sher vnsicher zu reisenn gewesenn wegen der banditen. Damals<br />

aber whar es gar sicherr durch anordnung des damals regierenden Babsts."<br />

Damals, das heißt zur Zeit der Reise, 1588, war das tatkräftige und strenge<br />

Pontifikat Sixtus des Fünften, MontaIto, das dem Banditenturne energIsch zu<br />

Leibe ging, hier durch das allerdings höchst unwirtschaftliche Mittel der Waldvernichtung.<br />

Lange hielt dieser Landfriede nicht an. Ein Tiroler Student, der<br />

1593 dieselbe Reise von Siena nach Rom machte, wurde samt andern seiner<br />

I Gesellschaft "unterwegen von den Pan?iten svalesiert und beraubet" 52).<br />

Auf der ganzen Strecke im eigentlichen Italien, von den Alpen bis nach<br />

Neapel, berichtet Gadenstedt übrigens nur noch zweimal von Straßenunsicherheit,<br />

allerdings sehr unmittelbarer, denn auf seinem Heimwege von Bergamo<br />

nach Mailand beim überqueren der Adda, dem 'Grenzflusse der Hoheitsgebiete<br />

VOll Venedig und MaiIand, vernehmen wir, es sei dort "sher gefherlich zu reisenn<br />

wegen der Banditen. Es Ist so ein gefherlicher ortt fast n;cht in gantz !talw.<br />

Es geht auch selten eine wochen hinn, das sie nicht einen angrif thun, denn sie<br />

können baltt aus einem Territorio Ins andere kommen." Wenig später hatte er<br />

noch einmal äußerst vorsichtig zu sein auch im Herzogtum Mailand auf dem<br />

Wege über den Comer See zum Splügen. Widrigen Windes wegen mußte er<br />

am See eine Strecke zu Fuß gehen, er habe aber wenigstens, so sagt er, "einen<br />

mann bekommen, der mein zeug getragen vnd Veliß (NB. = Felleisen). Wir<br />

habea müssen fortteilenn, weil es ahn diesem ortt sher gefherlich wegen der<br />

banditen, we!che offtermals in die sch:ffe fallen, sie blündern." In Deutschland<br />

berichtet er von einem solchen Abenteuer nur einmal, und zwar, wie wir bereits<br />

iCrfuhren, gelegentlich der Ausreise auf dem Wege von Ulm nach Augsburg.<br />

Man sieht aus diesen Fällen, daß derzeit auch in besser als der Kirchenstaat<br />

verwalteten Gegenden Landesgrenzen gar leicht Straßen unsicherheit zur <strong>Folge</strong><br />

hatten.<br />

In Rom wurde die Herberge A la Spada, zum Schwert, aufgesucht, um gemeinsam<br />

mit der von Siena vorausgee;lten deutschen Reisegruppe alsbald<br />

südwiirts weiter zu eilen. Gadenstedt erliiutert: "Wie wir das erste mhall nach<br />

Rhom kommen, auf der hinnreise, haben wir nicht viel besheen, sondern das<br />

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vornemeste,haben nhur einen tag still gelegenn ..... Sein derwegen den <strong>3.</strong> oetobris<br />

Jegen mittag aus Rhom gezogen." Hier ist unserem Reisenden eines der<br />

infolge der späten Verarbeitung seiner Erlebnisse und Eindrücke nicht seltenen<br />

Versehen unterlaufen. Denn mit dem von ihm ausdrücklich genannten Rasttage<br />

in Rom, der doch auch wohl praktisch nötig war, kann er erst am 4. Oktober<br />

wieder weiter gezogen sein.<br />

'<br />

Begreiflicherweise schimmert nun durch Gadenstedts nachträgliche gelehrte<br />

topographisch-historische Schilderung Roms, die nicht weniger als 163 Seiten<br />

seiner Handschrift einnimmt, nur gelegentlich noch der persönliche Eindruck<br />

des jetzt wie auf der Rückreise eilig Gesehenen durch. So z. B. schildert er<br />

den Besuch der Engelsburg wohl ganz nach eigenem Eindruck lebhaft, aber<br />

sachlich wenig ergiebig. Er beginnt, sehr ähnlich seinem Eintritt in das Arsenal<br />

Venedigs: "Wann man sich In dieser festung besehen will, spricht mann den<br />

Fenderich ahn, wie es bey m~iner zeitt Im gebrauch whar. Derselbe sucht<br />

beim obristen vmb verlaub ahn. Wann das verlaub verhanden, müsset Ihr<br />

euhre whehren ahm Thor lasen vnd wird euch ein Soldatt zugeordnett, der<br />

euch herumbfhuerett." - Ferner heißt es bei der recht ausführlichen Beschreibung<br />

des Laterans und seiner Heiligtümer: "Es Ist auch In dieser kirchen ein breitter<br />

stein auf 4 pfeilern erhaben, eines zimlichen mannes lenge hoch; sagen sie,<br />

solchs sey die hoehe vnd lenge vnsers hern Jesu christi, daruntter dann die außlendischen<br />

sich pflegen zu messenn, zu sehen, wie lang der herr Christus gewesen.<br />

Mann will sagen, keines menschen lenge soll recht zutreffenn. Vnser<br />

wharen acht In der compagnei, messeten vns auch, aber einer whar zu lang,<br />

der andere zu kurtz, das es mitt keinem eint raff. Der gedachte breitte stein,<br />

welcher auf diesen 4 pfeiler[n] ligtt, soll der stein sein, auf welchem die<br />

kriegsleutte vmb des hern christi kle~der das loß geworfen haben. Etliche sagen,<br />

es sei der stein, auf welchem die hoehen priester zu Jerusalem dem verrheter<br />

Juda die 30 silberlinge zugezhelett, wie ehr seinen hern verrhaten."<br />

Vernehmlich ist Selbstgesehenes auch bei der Besprechung der Peterskirche.<br />

Von dem Bau Kaiser Konstantins des Großen stand noch die vordere<br />

Hälfte des Langhauses und der Vorhof, Atrium oder Paradies genannt. Die<br />

Kuppel des Neubaues war noch nicht geschlossen. Von ihr erfahren, wir gar<br />

nichts. Dagegen hören wir, offenbar als Selbsterlebtes : "In dieser kirchen altem<br />

gebeuedc stehen 24 hoehe seulen, welche zu beiden seittenn vntter diß kostliche<br />

gebeude gesetzett sind, die last zu tragenn. Der Marmelstein h;erahn Ist mitt<br />

lebhaften, wunderbar lichen farben angestrichenn", ähnlich wie in S. Marco zu<br />

Venedig. aber unvergleichlicher. Dieser Bau schon sei der allgemeinen Meinung<br />

nach ,.allen Kirchen vnd Tempelln In der gantzen weId" vorzuziehen, "sonderlich<br />

aber das newe werck, welches, halt Ich 53), noch nicht außgebauett." Unter<br />

den Ausstattungsstücken wird die Pieta ausdrücklich als Werk Michelangelos genannt,<br />

"Ist sher künstlich gemacht, das man nicht anders vermeinett, alß wann<br />

Maria weinete vber Ihren doeten shon". Eines der wenigen und stets unergiebigen<br />

ästhetischen Urteile Gadenstedts zur bildenden Kunst, interessant<br />

allenfalls durch die abgestumpfte Bewertung nur nach der Naturnähe des Kunstwerkes,<br />

nicht anders als auch heute noch, dreieinhalb Jahrhunderte später, ein<br />

großer Teil des Publikums Kunstwerke zu beurteilen pflegt. Sind doch die Bildungselemente<br />

des sechzehnten Jahrhunderts in der Hauptsache auch noch die<br />

unsrigen. Der Naturalismus ist in der Tat bis an die Schwelle der Gegenwart<br />

unwidersprochen die nachmittelalterliche, mühsam errungene Ausdrucksform<br />

der bildenden Kunst gewesen, aber solange diese Kunst beseelt blieb, immer nur<br />

ihr Mittel, nie ihr Zweck. Topographisch lehrreich, wenn auch nicht neu, ist<br />

die Angabe des Standortes dieser Marmorarbeit Michelangelos, die "Capell S.<br />

Maril.l de Febribus"M), das war der östliche der damals dem Neubau der Peters-<br />

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kirche noch nicht gewichenen beiden spätantiken kaiserlichen Grabbauten an der<br />

Südseite der Basilika, zwei gleichartige Rotunden. (Mehr über diese S. 79 f.)<br />

Noch Unbekanntes bie~et uns an dieser Stelle Gadenstedt zur Geschichte des<br />

Grabes von Kaiser Otto H., dem 983 in Rom verstorbenen Niedersachsen 55).<br />

Da heißt es: "In dieser kirchen Ist auch begraben gewesenn Dtto secllndlls, der<br />

1<strong>3.</strong> teutsche Röemischekeiserr, In einem grabe von rotem Marmelstein. solches<br />

findet manrt Itzo auserhalb der kirchenn· auf der erden liegen, wird In wenig<br />

ehren gehalten, es wird genennet cloaca mendicorum (NB. = Abort der Bettler)<br />

..•. wiewoll etliche wollen, ehr sei nicht In der kirchen, sondern In den vorhoff<br />

S. Petrl Munsters, welchs das Paradies genennet wird, begraben, darselbstn man<br />

solchs noch Iiegenn siehett. Inn gantz 'ltaUa wird nicht ein solcher gros er roter<br />

Marmelstein gefunden, als dieser, ohn allein das dach, welchs zu Rauenna auf<br />

der kirchen S. Mariae rotund[l(j', dem Grabmale des Ostgotenkönigs Theoderich,<br />

liegt. Das Kaisergrab ist in der Tat im Paradiese der abgebrochenen Peterskirche<br />

gewesen (Abb.19). Was Gadenstedt gesehen hat, war der für Ottos Grab wiederbenutzte<br />

größte aller Sarkophagdeckel der Antike, aus rötlichem Porphyr. Sein<br />

Vergleich mit Ravenna entstammt der Literatur vom Ende des sechzehnten<br />

Jahrhunderts 56). Heute dient er In höchsten Ehren als Taufbecken der Peterskirche<br />

(Abb. 20). Vielleicht stammt er wirklich, wie die mittelalterliche Oberlieferung<br />

will, aus der unweit gelegenen Engelsburg, dem Grabmal Kaiser<br />

Hadrians, und gar von Hadrians Sarge selbst. Welch ein Wandel von den beiden<br />

Kaisergräbern über die verächtlichste der Nutzungen bis zur weihevollsten in<br />

St. Pe!er! Wahrlich eines der erschütterndsten Sinnbilder tragischer Nichtigkeit<br />

menschlichen Wähnens, wie Rom allein sie dem sinnenden Europäer bietet.<br />

Die Gebeine OUos 11. wurden bekanntlich wieder niedergelegt in einem zwar unförmigen,<br />

dem alten indessen ähnlichen, durch seine Größe ausgezeichneten<br />

Sarkophaggebilde der vatikanischen Grotten unter der Peterskirche. Ihre Umbettung<br />

geschah im Jahre 1610 wegen Nutzung des alten Vorhofgeländes für<br />

den Bau der heutigen Kirchenfront.<br />

In seinen weitläufigen topographischen Mitteilungen geht Gadenstedt gelegentlich<br />

der siebenten Hauptkirche Roms, S. Sebastiano an der Via Appia, auf<br />

die erst durch die Humanisten auch wissenschaftlich beachteten Katakomben ein:<br />

"Diesen ortt helt man In grosen ehren. Mann entsetzett sich, In das loch zu<br />

gheen. So darff man ohne licht auch nicht hienunter gheen, dann es zu bei den<br />

seitten krumme vmbgenge vnd verborgene Löcher, das man balt zu schaden<br />

kommen kontte. Mann sicht darein viel alte Marmelstein vndt alte altar." Danach<br />

scheint es, als berichtete er auch hier trotz der Kürze seines Aufenthaltes aus<br />

eigener Anschauung. Finden sich diese Katakomben doch im Jahre 1613 sogar in<br />

einem auf nur drei Tage 'berechneten Führungsschema durch Rom eingeschlossen<br />

57). Da Gadenstedts römischer Aufenthalt einschließlich der Rückreise<br />

vier Besichtigungstage erlaubt haben wird, so deckt sich das mit der üblichen<br />

Mindestrast von vier Tagen für Pilger, und 1594 haben einem vermutlich protestar.tischen<br />

Engländer, Fynes Morison, vier Tage zur Besichtigung genügt 58).<br />

Mehr über Eindrücke und mitgeteiltes Wissen von Rom wird im dritten Teile<br />

dieser Arbeit gegeben werden.<br />

Die Weiterreise von Rom noch Neapel ging den derzeit noch normalen<br />

Weg der Via Appia entlang, mit Nachtquartieren in Velletri, Piperno, Mola<br />

di Gaeta (Formia) und Capua. Am dritten Reisetage wurde die Grenze des Königreichs<br />

Neapel erreicht, gleich hinter Terracina (Abb. 21). Hier im Zoll haus ,,al<br />

portello .... müssen alle diejenigen, welche von Neapolis auf Rhom ziehen, Ihre<br />

lelise (NB. = valigia, Felleisen, Gepäck) ... aufmachen, vnd von den seidenwh<br />

aren, welche .•... noch vnuerarbeitett, muß man einen grosen, vnleidentlichen<br />

zoll geben. Auch wann einer mher alß 25 Cronen mitt sich fhurett, vnd<br />

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gefunden werden, wirdts Ihme von den Spanniern (NB. Neapel war spanisches<br />

Kronland) genommen ..... Aber demselben vorzukommenn, kann man mitt dem<br />

obristen zollschreiber zu Neapolis handlen. Der nimpt Jegent 2 oder 3 kroenen<br />

vncl verpitschiret die felise, so müssen sie einen ohne ansprach passiren lasen.<br />

Kann man alsdann mitt sich wegbringen, was man will In dem schein, als wann<br />

es zu Neapolis besichtigett. Man muß aber hiervon nicht vieH wortt machenn."<br />

- Wie wenig ändert sich doch das Wesen der Welt! Zollumgehungen hat es<br />

hie und da bis zur Gegenwart gegeben, Schutz von Fertigwaaren und Devisenschwierigkeiten<br />

- denn als etwas ähnliches hat doch wohl jene Beschränkung<br />

der Geldausfuhr zu gelten - sind auch nichts Neues.<br />

In Formia wurde der erste volle Zauber südlichen Klimas genossen. Gelobt<br />

wird die dortige "guete herberge am Mher liegende. Sommerszeit (NB. die war<br />

damals, Anfang des Oktober, dort für den Nordländer noch) moegen die geste<br />

In dem gartten essen vnter den Citronen- vnd pomerantzenbeumen, moeget sie<br />

khür: lieh abbrechenn, wie viel Ihr wollett, einander darmitt werfen vnd kurtzweiIl<br />

treiben, wie auch zu Terracina. Es hatt hier auch die allerbesten fischs,<br />

aldn Jederman, whem es gelustett, fischen mag. Von herlichkeitt vnd lustigkeit<br />

dieses ortts schreibt Martialis ...... und nun folgt eines der Zitate aus<br />

humanistisch antikis:erender BiIdungssphäre, von denen Gadenstedts Manuskript<br />

geradezu strotzt. Aber dieser plötzlich die Reisenden überraschende Rausch des<br />

Südens war unmittelbar. Denn bald darauf, hinter Capua, vernehmen wir, es<br />

sei "eben In der weinerndtte gewesenn. Ein Jeder Facllin oder Taglohner, wie<br />

slimm ehr auch Ist, die den wein abnhemen helfen oder sonst darzu hülfe thatt,<br />

gibt dem koenig von Spannla 2' Carlin vngefher 6 Mg. Darueber wird Ihnen<br />

vergonnett, das sie alle vorueber reisende, sie sein wer sie woln, weib oder<br />

manspershonen, weiIl die weinerndtte wherett, moegen anschre:en vnd anrufen,<br />

vnd sie schelten vnd vexiren mitt worten nach Ihrem gefallen. Hoeret man<br />

so ein schreien vnd rufen, das, wer den gebrauch -nicht wüste, man nicht weiß,<br />

wie man darhan Ist, oder wie mans verstehen soll. Die voruberrcisende schre:en,<br />

ruefen vnd scheltten sie wiederumb so sher, alß sie ,thun moegen, haben also<br />

, Ihre kurtzweiIl. Hoerett man, wer die sprache versthett, wunderliche possen."<br />

Vermutlich geht dieses Brauchtum zurück auf antike religiöse Vorstellungen<br />

zum Schutze der Traubenernte. Schädliche Dämonen vertreibt der Lärm.<br />

Zu Neapel wurde "eingekherett zum schwartzen Adeler, der Teutschen herberge<br />

bei Diederich Brittenbach". Dieser Wirt hat eine hervorragende Stellung<br />

in der Fremdenkolonie Neapels gehabt. Wiederholt erscheint er in den Registern<br />

der dortigen deutschen Nationalkirche 59) unter den Kirchenmeistcrn einer zusammen<br />

mit deren Gründung im Jahre 1587 organisierten Bruderschaft, und<br />

zwar schon 1589; 1598 als "Dietrich Braitbach Leuttenampt in der kgl. Teusch.<br />

Guardia", der Leibwache des spanischen Vizekönigs. Dieser hat er wohl schon<br />

beim Besuche Gadenstedts angehört, schwerlich nur als einfacher "Trabant".<br />

Denn sein damaliges Ansehen geht auch daraus hervor, daß als einziges Privatwappen<br />

das seinige sich auf der letzten Seite der sehr stattlichen königlichen<br />

BCEtätigungsurkunde der Bruderschaft aus dem Jahre 1595 befindet. Mitglieder<br />

der "Guardia" durften nebenher ein bürgediches Gewerbe treiben. Im Jahre<br />

1606 erscheint Breitenbach zuletzt in den Registern der Kirche.<br />

Gadenstedt zog es' bereits nach einer Woche weiter, hatte er doch noch<br />

mit einem zweiten Neapler Aufenthalte auf dem Rückwege zu rechnen. Immerhill<br />

mochte schon dieseWochenrast den jungen Leuten mit ihrer noch nicht durch<br />

zu viel Reflexion der Frische beraubten unmittelbaren Eindrucksfähigkeit genügt<br />

haben, sich hinreichend umzusehen. Sie widmeten sogar einen Tag dem<br />

Besuche von Pozzuoli, Bajä und den phlegräischen Feldern mit ihren vielen<br />

antiken überresten von Tempeln, Villen, Bädern, Gräbern und Nutzbauten. Für<br />

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die auch noch zahlreichen Bädergäste entstanden daher bereits gedruckte<br />

Führer (Abb. 5). Dagegen lockte der Vesuv noch nicht. Vesuv, meint Gadenstedt,<br />

sei äer alte Name dieses Vulkans, von den Leuten aber werde er nun<br />

Montc di Somma genannt. Heutzutage heißt so nur der Randrest des vorgeschichtlichen<br />

Kraters. Der Vesuv galt damals als seit sechzig Jahren ziemlich erloschen,<br />

seine Erforschung aber als äußerst vorwitzig, denn "vor langem soll<br />

ein Mann gangen sein, den originem .. , des feurs zu sehenn", aber er ist "nicht<br />

wieder gesehenn wordenn, vnd seithero hatt der berg kein feur mher von sich<br />

gegeben". Dagegen sei sein Bestand jetzt ein "kostlicher weinwacschs ....<br />

Vino Greco genand, wie auch sonst gantz fruchtbhar von allerhand sorten der<br />

Defcrittione di Pozzuolo e Juoghi conuicini.<br />

Abb. 5. Po Z Z U 01 i und die phI e g r ä i s ehe n Fe 1 der. Kartenbild aus Mazzellas<br />

Bäderbeschreibung von 1591.<br />

besten früchtte." Jener Weinname hängt wohl mit der Stadt Torre deZ Greco<br />

zusammen. Heute heißt der Vesuvwein wenigstens für die Fremden Lacrimä<br />

Christi, eine italienische Weinbezeichnung, die auch schon das sechzehnte Jahrhundert<br />

gekannt hat. Anbau griechischer Reben soll er seine Güte verdanken.<br />

In Neapel wurden Kirchen und Paläste betrachtet und gekennzeichnet, ohne<br />

daß die Sachbeschreibungen für unsern Zweck sehr Mitteilenswertes böten. Erwähnt<br />

wird aber auch z. B., daß im Nonnenkonvente von Santa Chiara erzogen<br />

wurde "die dochter Johan[s] de Austria von 13 Jharen. Sie hatt vom<br />

koenig In Spannia, wenn sie einen Titulatum freiett, 160000 Ducaten zum brauttschatz."<br />

Johann war der Bastardhalbbruder König Philipps Ir. von Spanien und<br />

bekannt als Sieger in der Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken. - Sachverständig<br />

wird auch der Marstall des Vizekönigs gewürdigt, denn das Pferdematerial<br />

war, wie Gadenstedt ausführt, schon damals vortrefflich und von weither,<br />

auch seitens deutscher Fürsten, begehrt. Im benachbarten Arsenal interessierten<br />

ihn vornehmlich zwei eben fertig gewordene Galeassen, welche<br />

"auf den frueling (NB. 1589) Inn Engeland wieder die koenigin geschickett<br />

werden" sollten, um also den schweren Mißerfolg der im Jahre 1588 England<br />

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bedrohenden spanischen Armada ausgleichen zu helfen. "Auf einer jedn Ga·<br />

leassen sein bey 300 geschütz, groß vnd klein, gewesen, vnd ein Jede mitt 500<br />

wherhaften mann besetzett. Sie sein auch beide, wie wir zu Venedig zeitung bekommen,<br />

ahm Tage Ascensionis Christi abgeschift vnd auf Engeland beneben<br />

24 Spanischen Ga/eren und 50 andern kriegsschiffen woll. besetzett, armirt vnd<br />

mitt prouiand woll versehen, zugesegeltt." In der Tat hat zwar Spanien an<br />

Vergeltung gegen England gedacht. Zu einem Flottenangriff aber ist es nicht<br />

mehr gekommen.<br />

Besucht werden ferner die mannigfaltigen Villen bei der Stadt, darunter die<br />

des Don Luis de Tolodo auf dem Pizzo Falcone wegen ihrer reichen Ausstattung<br />

mit Bildhauerarbeiten und Wasserkünsten. Gegen Abend wird der Korso<br />

. mitgemacht. Er ist nach italienischer Weise die tägliche Sammelstelle der guten<br />

I Gesellschaft vor dem Castellnuovo, wo dann eine Stunde lang "eine statIiche herliehe<br />

Musica gehalten wird." Auch andere Repräsentationsformen finden in<br />

Neapel wie überall zeitgemäße Beachtung. So das tägliche Aufziehen der Wache<br />

vor dem Palaste des Vizekönigs "ln einer feinen, lustigen ordnung mitt pfeifen<br />

vnd Trommelln wie sichs gebhuerett." Ferner des Vizekönigs Ehrengefolge von<br />

hundert Edelleuten beim Ausritt, und als Sicherheitswache "In die hundertt<br />

Teutsche Trabanten, die auf Ihn, wenn ehr außreitett, warten müssen, sein alle<br />

auf eine manier gekleidett," und haben auch vor seinen Gemächern Posten zu<br />

stehen. In anderer Weise repräsentativ, vor dem Gesetze Ehrfurcht heischend, ,<br />

wird ferner vor dem alten Castel Capuano, heute wie damals schon hauptsächlich<br />

Gerichtsgebäude, erwähnt "eine hoehe Marmelsteinseulenn. Darauf<br />

werden gesetzett die köpffe der Banditen drei Tage vnd ihre nhamen daruntter.<br />

DeBgleichen werden ahn diesen pfeiler gestellett die leutte, welchen vnmocglich,<br />

das sie Ihre schulden bezhalen konnen, müssen 3 stunde darhan stehenn, darnach<br />

werden sie des landes verwiesen. Ich habe Ihrer drei zu meiner zeitt<br />

darhan sehen stehen, sollenvornheme leutte gewesen sein." Dieser Justizpalast,<br />

auch schon von Gadenstedt La Vicaria genannt, einst Residenz Kaiser Friedrichs<br />

H., wurde 1540 unter Kaiser Karl V. Sitz der Gerichte. über seinem Hauptportal,<br />

(Abb. 22), neben dem einst jene Schand säule gestanden haben wird,<br />

befindet sich noch jetzt das stattliche Wappen Karls V., der doppelköpfige Reichsadler,<br />

und weiter oben jederseits sein Machtsymbol, die Säulen des Herkules<br />

mit dem Sinnspruche plus ultra, noch weiter.<br />

Es war zeitgemäßes und persönliches Interesse Gadenstedts, das wie anderwärts<br />

so auch in Neapel den Hospitälern und ähnlichen Anstalten galt. Er beschäftigt<br />

sich eingehend zumal mit der gerade in Neapel seit alters dringend gebotener.<br />

öffentlichen Pflege sittlich gefährdeter und verwahrloster Kinder, sowie<br />

mit den Heilstätten ansteckender Krankheiten, insbesondere der damals Europa<br />

überaus schwer heimsuchenden Syphilis. Auch ein Nonnenkloster bei der Kirche<br />

Santo Spirito rühmt er, weil darin "bei 400 Jungfrauen erhalten werden vnd<br />

auferzogen, welche mitt gewaltt von den eltern genommen werden, welche hurerey<br />

oder sonst ein boeses ergerlich leben fhueren, damitt sie bei ehren bleiben<br />

moegenn." Sind sie "manbhar", so werden sie "Jerlich In den pfingsten In der<br />

gantzen stad wollgezierett herumbgefhuerett. Ist nhun ein Junger gesell oder<br />

ehrlicher mann, der eine von denselben zur ehe begherett, so wird sie Ihm gegeben<br />

vnd zur mittgaft 100 Ducaten beneben ehrlicher kleidung."<br />

Gadenstedt besuchte auch die bekannten altchristlichen Katakomben im<br />

Tuffstein von S. Gennaro. Von ihrer Bedeutung hat er aber nur eine abwegige,<br />

volkstQmlich-legendarische Vorstellung, ähnlich der der mittelalterlichen Mirabilien<br />

bezüglich der antiken Baureste Roms. Denn er sagt: "Die kirche S. Genarello<br />

60) liget außwendig der stad. Bey dieser kirchen Ist ein loch oder hoele,<br />

vngefherlich eine welsche meilen lang, welchs voller begrebniß auf allen seiten,<br />

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vnd findet mann noch die begrebnisse voller Menschenknochen vndtt staub oder<br />

aschen. Mann sagtt, wie Carolus I mitt dem Corradino ein slachtt gehalten,<br />

sollen die erslagene, welche in dieser slachtt geblieben, darhin begraben sein."<br />

Nicht weniger gab Gadenstedt auch in Neapel acht auf deutsche, zumal<br />

seiner Zeit nahe Spuren. Ausführlich verbreitet er sich über das Schicksal des<br />

letzten Hohenstaufen Konradin und zitiert, gefolgt von vielle;cht eigener, äußerst<br />

unbeholfener übertragung in das Deutsche, ein möglicherweise einst an der<br />

Richtstätte Konradins in Neapel von se;nem Henker König Karl selbst geduldetes<br />

Erinnerungsdistichon, dessen politischer Inhalt Konradin als Adlerküken, den<br />

Anjou Karl als Löwen charakterisiert:<br />

"Asturis vngue Leo puL/um rapiens Aquilinum<br />

Hio deplumauit acephalumque dedit.<br />

Das Ist:<br />

Einem jungen adeler an dieser stadtt<br />

Der Iewe den kopff abgerissen hatt<br />

Mit falckens klauen. Merckett die thatt."<br />

Noch andere deutsche Grabstätten werden erwähnt, vornehmlich in der<br />

an Kunstwerken reichen Klosterkirche S. Maria di Monte Oliveto, unter deren<br />

siebenzig fast nur adeligen Mönchen viele Deutsche seien. Niedersächsische<br />

Beziehungen der erwähnten Bestatteten hat nur ein "Theodoricus ab Asohenberg,<br />

Nobilis Wesfphalus ef Ecclesiae Monasteriens:s ef Hildesheimensis Canonicus",<br />

gestorben 25 Jahre alt 1576.<br />

Genau betrachtet werden ferner in der Schlacht bei Mühldorf an der Eibe<br />

1547 vom Kaiser Karl dem Fünften, Könige von Spanien und Neapel eroberte<br />

Kanonen des besiegten Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Einige befanden<br />

sich im Castellnuovo, ihre größte mit dem Bildnis des Kurfürsten, dem<br />

protestantischen Wahlspruche "Verbum Domini manef in aeternum" und dem<br />

allgemeinen "halt mase In allen dingenn", andere im CasteIl S. Elmo, darunter<br />

die merkwürdigste mit Luthers Bildnis und den Reimen, laut Gadenstedts Orthographie:<br />

"Für ein Sengerr bin Ich gegossen<br />

Vnd gebrauch mein stimm vuerdrossenn.<br />

In Sacschen ward Ich woll beschossen (NB. so)<br />

Jegen den teufell vnd Babst genossen. .<br />

Goß mich Andreas Pitznitzen" 61).<br />

Auf seiner Rückreise begegnete Gadenstedt im Mailänder Kastell nochmals<br />

Beutekanonen aus der Niederlage Johann Friedrichs. Es waren ,,3 schoene stuck,<br />

so des Churfürsten von Sacschen gewesenn, liegen semptlich auf starken redern<br />

vntter einem bedeckten gange wegen des regens. Ein stuck vntter diesen Ist<br />

sher lang, scheust eine kuegell 130 u; schwer, darhan stehett:<br />

Ich heise smeiß Ins feltt,<br />

Dem Babst vnd Teufell bin nicht holtt.<br />

Ahn einem andern geschutz liesett mann vntter dem Churfürstlichen wapenn<br />

folgende verschs:<br />

Alle obrigkeitt Ist von Gott<br />

Zu hülf den menschen In der nhott<br />

Ahn der Teufell vnd Babistischs rott,<br />

Stiften nhur eitellt sund vnd Doett.<br />

Der Babst heist recht der wilde mann,<br />

der durch sein falschs vnd schelmischs thon<br />

All vnglück hatt gerichtett ahn,<br />

Das gott vnd menschs nicht leiden kann."<br />

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Als nur wenig mehr als neun Jahre später Herzog August· der JUngere von<br />

Braunschweig-Wolfenbüttel dasselbe Geschütz besichtigte, erfuhr er zwar noch<br />

den Sinn der Inschrift, "sam pt dem Babst, so neben dem Teufell gestanden",<br />

beides sei aber "durch Anstifftung e;neß Jesuiters außgekratzet worden" 62), -<br />

was immerhin begreiflich gewesen wäre.<br />

Ober den Grund der Reiseausdehnung bis Malta lesen wir, Gadenstedt sei<br />

"zwarr nicht wiIJens gewesen, weitter zu ziehenn, sein doch zur selbigen zeitt<br />

vier maltesischer Galeren zu Neapolis von Genua ankommen, auf dheren Galeren<br />

eine ein Teutscher vom adelI, Reinhartt vonn Orsbach genand, Capifan<br />

gewesen, .... ein feiner, sittsamer mann," jedenfalls ein Johanniterritter, der<br />

die vorgeschriebene Mittelmeerfahrt zur Einschüchterung der Türken als militärischer<br />

Schiffskommandant zu erledigen hatte. Diese Gelegenheit, sagt unser<br />

Reisender weiter, habe er benutzt zusammen mit Hans Jürgen von Romrodt,<br />

uns schon bekannt als einer seiner Reisegenossen von Siena her, mit Arnold von<br />

Hollen aus Danzig und "Hans Ludwig von Munsters Diener, der Curtze genantt,<br />

welcher viel geldes bei sich seinem Junckern In Malta zu bringen, der darselbsten<br />

lag vnd auf das geItt theet warten." So wurde denn die Fahrt nach Malta am<br />

14. Oktober 1588 auf Orsbachs Galeere angetreten, nachdem schon vier Tage<br />

vorher die übrigen deutschen Reiseteilnehmer über Rom, S:ena, Ancona nach<br />

Padua zurückgekehrt waren. Die Galeere gehörte zu einem Geschwader, auf<br />

dessen Führerschiff der Herrenmeister der deutschen Nation des maltesischen<br />

Johunniterordens sich befand, der Großbailli-Großprior Philipp von Riedescl­<br />

Camberg. Schlechtes Wetter nötigte, nach Rast in Pozzuoli und im Schutze<br />

Capris, noch einmal zur Umkehr nach Neapel.<br />

Erst am 17. Oktober Abends geht es weiter. In der Nähe des StromboIi<br />

zwingt eine Beschädigung des Mastbaumes zur Fahrt ohne Segel und zur Kursänderung.<br />

Bei Tagesanbruch kommt "der bergk Aethna Itziger zeitt Mont gibello<br />

genantt" in Sicht, und Mittags wird Messina angelaufen. Hier wird bekannt, daß<br />

man leichtlich, ohne Segel, auflauernden Türkenschiffen hätte in d:e Hände fallen<br />

können. Erst am Abend des 21. Oktobers geht das Geschwader wieder in See,<br />

Gadenstedt fand also Zeit, sich in Messina gründlich umzusehen. Er besucht<br />

Kirchen und Paläste, betrachtet das 1572 errichtete Erzstandbild Don Juan<br />

d/Austrias als Siegers in der Seeschlacht bei Lepanto gegen die TUrken, und bewundert<br />

den belebten Hafen. Wiederholt betont er: die Stadt liege "ahn einem<br />

lustigen ortt darselbst guetter wein vnd andere snabellweide -von wiItbrett,<br />

vogeln vnd anderm nach gelegenheitt des Jhars vnd der zeitt." Auf der Weiterfahrt<br />

über Catania und Augusta wird in Syrakus noch einmal kurz geankert.<br />

Nach wie vor läßt ihm seine Wißbegierde keine Ruhe. Er besucht unter anderem<br />

auch die Katakomben, aber wie in Neapel ohne daß er sie als teil weis altchristliche<br />

erkennen konnte, und rühmt wieder den dortigen Muskatellerwein. Von<br />

der Kirche Santa Lucia, der ersten Grabstätte dieser legendarischen Märtyrerin,<br />

weiß er zu melden, ihre irdischen Reste se:en zwar in Venedig, "aber alle Jhar<br />

ahm dage vnd fest S. Luciae soll Ihr leib In diesem grabe vorhanden sein. Wer<br />

so Ichs will gl eu ben, dhem stehett es frey." Dieses eine der wiederholten zwar<br />

skeptischen, aber vorsichtigen Wendungen gegenüber besonders wundersüchtigen<br />

Vorstellungen, die ihn inde3sen überall interessieren. Nie dagegen erlaubt er, der<br />

entschiedene Protestant, sich in seinem doch erst lange n-ach der Re:se völlig<br />

ausgearbeiteten Manuskript eine Stellungnahme gegenüber Dogmatischem und<br />

Kultus, also wohl nicht aus besorgter Zurückhaltung, sondern als Reiseergebnis<br />

aus Achtung, zwar schwerlich vor der katholischen Kirche als seiner Konfession<br />

bedrohlicher Organisation, aber vor dem Glauben ihrer Bekenner. Endl:ch am<br />

Abend des 25. Oktober, also nach neuntägiger Fahrt einschließlich ihrer Unterbrechungen,<br />

wird Malta erreicht.<br />

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Erst am folgenden Tage -konnte das Schiff verlassen werden. Als Entgelt<br />

fOr die üblicherweise freie Unterkunft und Verpflegung auf dem ritterlichen<br />

Schiffe hatte die deutsche Reisegesellschaft zwölf Kronen "dem obristen schifmann<br />

sowoll In küchen vnd keller verehrett.'~ Größe und kriegerische Ausstattung<br />

der Galeeren war erheblich. Sie führten in der Regel zweihundert<br />

Ruderer mit sich. über die Ruderknechte berichtet Gadenstedt gelegentlich<br />

seines Besuches von Livorno, dem Hafen des toskanischen Stephansordens, einer<br />

Nachbildung des 'Malteserordens zur Türkenabwehr: "Mich haU zwar Ihrer wie<br />

Ich mitL der Malthesischen galeren von Neapolis aus In Malta gezogen, ofttmals<br />

erbarmett, weil aber die sclauen auf denselben Galeren lautter Türcken vnd die<br />

TUrcken mitt den Christen auf Ihren Galeren nicht anders, sondern offtmals<br />

groeber vmbgheen, habe Ich gedacht wett vmb wett. Wan sie In gefhar sher<br />

starck arbeiten müssen, gheen etliche herumb, geben Ihnen etwas essig vnd<br />

baumöll, damit sie sich etwas laben moegen, vnd wirdt Ihnen der schweis<br />

mitt druckenen düchern abgewischett."<br />

In Malta wird ein Wirtshaus im alten Borgo bezogen, am großen Hafen<br />

gegenüber La Valetta, der erst seit 1566 "statlich gebaueten", damals also ganz<br />

modernen Residenzstadt des Großmeisters. Von La Valetta heißt es dazu, daß<br />

"sie damals stark darinn baueten", die Keller der neuen Häuser seien in den<br />

'Felsen gebrochen, "daher sie dann die steine, die s:e auß dem grunde nhemen,<br />

zu den oberen gebeuden gebrauchen." Der Gasthof wurde von einer Mohrin<br />

geleitet. wo aber "die Teutschen gemeiniglich pflegen zu herbergen". Frühere<br />

deutsche Reisebekannte trifft Gadenstedt wieder, darunter jenen Gottfried von<br />

Barbisdorf, zu dem er bereits in Siena gestoßen war und der uns auch noch einmal<br />

in Florenz begegnen wird. Diese hatten sich bereits drei Wochen in Malta<br />

aufgehalten, Gelegenheit zur Rückfahrt erwartend. Auch von Gadenstedts Reisegruppe<br />

hören wir, daß sie deshalb "fast ein monat in Malta still gelegenn." Indesserl<br />

scheinen diese Wartezeiten in der Regel recht unterhaltsam gewesen zu<br />

sein. Der über ganz Europa verbreitete Johanniterorden bot offenbar mit Geschick<br />

und unter Ignorierung von Konfessionsgegensätzen alles auf, sich und<br />

seine Zentrale Malta als Bollwerk gegen die gemeinsame Türkengefahr christlichw<br />

Besuchern unterschiedslos zu empfehlen, und seine OrganisatIon brachte<br />

es mit sich, daß Angehörige jeder Nation sich sozusagen zu Hause fühlen<br />

konnten. Denn die repräsentativen Hauptwürden des Ritterordens waren auf<br />

die Provinzialleiter von acht Nationen verteilt. So stand dem Großprior und<br />

Herrenmeister der deutschen Johanniter, der als Fürst des Deutschen Reiches im<br />

Breisgau zu Heitersheim residierte, das Ehrenamt des Großbailli, Aufsehers<br />

über die Festungswerke, zu. Damals bekleidete diese WUrde jener Philipp<br />

Riedesei von Camberg, Gadenstedt schon bekannt als Chef des Geschwaders,<br />

dem er sich anvertraut hatte, "ein vorsuchter, hochverständiger, gelartter<br />

auch lustiger herr, der vns allerlei freundschaft erzeigete." Auch er, wie Orsbach<br />

und andere mitreisende Ritter, befand sich vermutlich auf der militärischen<br />

Mittelmeerfahrt, dem "Curß", zu dem jeder Johanniter, wie Gadenstedt mitteilt,<br />

statutengemäß dreimal verpflichtet war. Eben das wird die Ursache gewesen<br />

sein der beträchtlichen Anzahl auch deutscher Malteser, mit denen Gadenstedt<br />

bekannt wurde. Er nahm teil an dem Abschiedsmahl, das der deutsc:le Großprior<br />

Riedesei von Camberg den Deutschen am 2. November gab, vor seiner<br />

Rückfahrt auf einer Fregatte nach Neapel, welche auch der vorausgeeilte Teil der<br />

Reisegenossen Gadenstedts zur Heimkehr benutzte; "wir aber haben auf ander<br />

gelegenheitt gewartett." Daß die deutschen Landsleute bei jener Gasterei üblicherweise<br />

"guete reusche miteinander getrunckenn", wundert uns um so weniger,<br />

als das nicht das einzige derartige Erlebnis in Malta war. Denn wir erfahren<br />

von einem Tagesausfluge der Reisegruppe in Gesellschaft mehrerer deutscher<br />

Johanniterritter nach den entfernteren Sehenswürdigkeiten der Insel, versehen<br />

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mit Eßwaren und Wein. Zuletzt ließ man sich nieder "In des großmeisters<br />

lustgartten al Boschetto". Er ist noch jetzt als öffentlicher Park vorhanden, damals<br />

mit einem "lusthauß" und "pommerantzenbeumen alß ein kle:ner wald .... ,<br />

do wir dann den rest des weins vnd der kalten küchen vollents verzherett, guctte<br />

reusche miteinander genommen, also das vnsereins theils auf den eseln (NB.<br />

den außer Mauleseln ortsüblichen Reittieren) kaum sitzen kontten. Sein den<br />

abent spätt wieder zu Malta angelangett."<br />

Auch der Großmeister, Kardinal Hugo de Loubenx Verdala, ein Gascogner,<br />

empfing die Reisegruppe um Gadenstedt gnädig, was dieser mit Genugtuung<br />

feststellt. In Anbetracht eines solchen somit ebenso belehrenden wie genußreichen<br />

Aufenthaltes in Malta ist es begreiflich, daß unser Manuskript in seiner<br />

gelehrten Absicht allerlei über Malta mitzuteilen weiß, auch über die Beziehungen<br />

des Apostels Paulus, der hier gestrandet ist, gleichwie über volkstümliche Anschauungen.<br />

So die, daß die Meidung der Insel durch giftige Tiere auf den Schutz<br />

durch den heiligen Paulus als den Patron der Insel zurückgeführt würde, und<br />

daß daher auch Staub gewisser Steingcbilde von Natterzungenform - vielleicht<br />

Versteinerungen - ein Gegengift sei. Ich selbst, gesteht er, habe "derselben<br />

etliche mitt mir heraus gebrachtt." üblicherweise beachtete er das Hospital,<br />

sofern dessen Pflege der Orden satzungsgemäß vorzüglich sich angelegen sein<br />

ließ. In ihm wurden "die krancken auß silbern schüsseln vnd silbern bechern<br />

gedrenckett" (Abb. 23). Der Orden entstammte dem Pilgerhospital von St.<br />

Johann in Jerusalem. Der Krankensaal mit beiderseitigen Bettreihen entsprach<br />

der allgemein üblichen Anordnung, wie sie noch im Jahre 1937 der riesige Raum<br />

des reichen, unter Sixtus IV. um 1480 ,erbauten römischen Heiliggeisthospitals<br />

aufwies (siehe dazu S. 81). Auch Volkswirtschaftliches wird vorgebracht, wie daß<br />

die Insel über 20000 Einwohncr habe, die häufig mehr als 80 Jahre alt würden<br />

und durch Schönheit der Frauen sich auszeichneten. Diese, wohl ein islamitischer<br />

Nachklang, "kommen aber seltenn vntter die leutt, denn die menner sein fast<br />

argwhoenischs. Sonst findett man viel cortisanen vonn Italianern, Spanniern,<br />

Griechen, Mhoren, auch Maltheserinnen." Sehr möglich, daß d:ese nach Venetiap.ischem<br />

Vorbilde 68) in der internationalen Atmosphäre der Insel auch Kundschaftsdienste<br />

zu versehen hatten. "Die heuserr In den Dörffern sein durchaus<br />

slechtt vnd niedrig, etwas längelicht vnd mitt rhor bedeckett." Als Feuerungsmaterial<br />

wurden auf der holzarmen Insel "grose Diestelln" gebraucht.<br />

Dieselben vier Galeeren, die Gadenstedt recht komfortabel von Neapel nach<br />

Malta gebracht hatten, verließen am 22. November wieder La Valetta, aber nur,<br />

um in Sizilien zu überwintern. Er benutzte trotzdem mit den Gefährten der<br />

Herfahrt Orsbachs Geschwaderschiff nun auch zur Rückkehr. Hans Ludwig von<br />

Münster schloß sich an mit seinem Diener, dem Kurzen, der ihn mit dem ersehnten<br />

Reisegelde versehen hatte, und mit zwei in Malta gekauften, noch unerwachsenen<br />

Mohrensklaven. Der übermacht von sieben auflauernden türkischen Galeeren<br />

glücklich entgangen, läuft das Geschwader zu mehrtägigem Aufenthalte den<br />

Hafen von Syrakus an. Bald darauf folgt auch eine aus der Levante kommende<br />

Malteser Galeere, "der von den Türken recht übel mitgespielt worden war. Um<br />

nicht Zeit zu verlieren in der beginnenden unwirtlichen Winterszeit, wird nun<br />

von Gadenstedt und seinen· Gefährten ein kleines Küstenfahrzeug, eine Felucke,<br />

bis Messina gedingt, die als ein solches für jede Nacht zu landen hatte. Am<br />

28. November wird Messina angelaufen. Mit einer anderen, nun bis Neapel gemieteten<br />

Felucke wird nach gehöriger Verproviantierung am 30. November<br />

weiter gefahren, nachdem inzwischen auch das Malteser Geschwader Messina<br />

erreicht hatte und mit dessen deutschen Ordensrittern noch "ein stOndichen<br />

Valet getrunken" worden war. Ein geplanter Besuch von Palermo mußte unterbleiben,<br />

"sonderlich wo man mitt Feluken oder andern geringen schiffen fortt<br />

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will", die alle sich fast "stets einen bogenschuß vom lande" zu halten hatten<br />

wegen des ungestümen Meeres und der Türkengefahr. Eine Rast in der Herberge<br />

von Scufo am Meeresufer gibt Gelegenheit, des steil darüber liegenden Städtchens<br />

TaOlmina zu gedenken, seines von Plinius gelobten Weines und des Anbaues<br />

von Zuckerrohr. Die Meerenge von Messina, meint bereits Gadenstedt, sei vielleicht<br />

erst durch Erdbeben entstanden, ihre durch den Strudel der Charybdis bedrohte<br />

Durchfahrt werde "ahn der ecken Slcilia" nachts von einem Turme aus<br />

mit einer "leucht" gekennzeichnet.<br />

, Die Weiterfahrt an de~ Kaste Calabriens gestaltet sich recht böse. Gleich<br />

die erste nächtliche Rast, in Bagnara, läßt die Beschwerden dieser Fahrt ohne<br />

MaIteserhilfe kennen lernen. Es war "ein slimme herberge, wie fast In allen<br />

orter Inn Calabria do wir angelendet." Viel schlimmer aber wurde das Meer.<br />

Es habe Wellen gehabt "wie hoehe berge, haben ein solches brausen von sich<br />

geben. das einem solchs anzusehen gegrauett." Aber nicht nur darum mußte<br />

die Fahrt auf die Tageszeiten beschränkt werden. "Denn die nacht darselbst<br />

zu fharen Ist es sher gefherlich wegen der Tilrcken, die sich hinder den steinklippen,<br />

dherer viel sein," lauernd verbargen. Infolgedessen dauerte die Fahrt<br />

von Messina bis Neapel bei sehr unfreiwilligem längeren Aufenthalte in Scalea<br />

und Lacerota, zweien der sieben Rastorte, volle zwei Wochen. Immerhin hätten<br />

in S. Lucido "etliche von den fürnemesten ... vns geselschaft geleistett, haben<br />

einen calabrischen Dantz angefangenn, auch sonst andere", und so sei "die<br />

gantze nachtt, weill die herberge .... nicht besonders, also hindurch gebracht".<br />

Am 14. Dezember 1588 abends wird in Neapel angelegt und die Herberge<br />

Diedrich Breitenbachs wieder aufgesucht. Neue Verzögerung: Die Absicht,<br />

zu Weihnachten in Rom zu sein, läßt sich nicht ausführen, weil "wecschell vnd<br />

briefe vonn Venedig noch nicht darselbst." Die Weiterreise wird also auf den<br />

30. Dezember verschoben. Zwischendurch schrieb sich der zwanzigjährige Filrst<br />

Christi an von Anhalt, der inkognito angekommen war, älterer Bruder Ludwigs,<br />

des bekannten Grilnders der Fruchtbringenden Gesellschaft zur Förderung deutscher<br />

Sprache und Sitte (dazu S. 62 f.) mit seinem Decknamen auch in Gadenstedts<br />

Stammbuch, denn es sei "nicht Jederzeitt rhattsam, das ho ehe fürstliche<br />

pershonen, der augspurgischen Confession zugethan, offentlieh oder erkentIich<br />

dero ortter [be-] reisen wollen." Nun aber berichtet Gadenstedt von einer abermaligen,<br />

ganz üblen Reisestörung. Er sei nemlich im Dezember "den 27. zuuorn<br />

In ein hartes, hitziges fieber gantz gefherlich gefallen, das Ich mich fast des<br />

lebens erwogenn vnd begeben, welchs mich auch also abgemattet, das' Ich vor<br />

fastnacht (NB. Aschermittwoch war 1589 der 15. Februar) nicht können wieder<br />

auß dem bette kommen", so daß er erst am 8. März das Haus verlassen konnte.<br />

In seiner Gesellschaft war nur noch Hans Ludwig von Münster geblieben, da<br />

auch dessen beide Mohrenknaben sehr krank geworden waren. Für diese vier<br />

und dazu MOnsters Diener den Kurzen wurde nun nochmals eine Felucke bis<br />

Livorno gemietet, "denn es damals etwas vnsicher wegen der Religion, das<br />

wir auf Rhom zu ziehen vns nicht wagen durften, auch konten wir die mhoren,<br />

welche Junge knaben Jegent bei 12 Jharn, vnd vnser ander zeug besserr vnd<br />

bequemlicher auf dem wasser als zu lande vortbringenn."<br />

Am 19. März wird abgefahren. 'Aber die wieder ungünstige Jahreszeit zwang<br />

die Felucke schon an der Insel Procida bis zum 2<strong>3.</strong> März sich zu bergen. Dann<br />

ging es zunächst flotter weiter. Ein Felsenkreuz bei Gaeta, Wahrzeichen der Seefahrer,<br />

wird von dem Schiffer verehrt. Nach einem offenbar nur kurzen nächtlichen<br />

Halte in Terracina mußte man sich aber schon wieder am 24. März gegen Abend<br />

zwischen Anzio und der Tibermündung, weil "sich hin wieder eine grose vngestuem<br />

erhoben", filr unbestimmte Zeit bei dem Wachtturme S. Lorenzo an das<br />

Ufer flOchten. "Dieweill vns nhun das oft still liegen wegen des vnbestendigen<br />

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wetters endlich verdrossen", so entschlossen sich die bei den Reisenden, "sonderlich<br />

weill Ludewig v. münster zu Rhom noch nicht gewesenn", fortan über Land<br />

zu Pferde den Weg zu nehmen, während der Kurze mit den bei den Mohren..,<br />

jungem; und "mit all vnserm gerhätte" die Seefahrt bis Livorno fortzusetzen und<br />

in Florenz sich ihnen wieder anzuschließen hatte.<br />

Also wurde am 27. März, dem Montage nach Palmarum, aufgebrochen und<br />

Rom noch zur Mittagszeit erreicht. Einkehr wieder im Schwerte. Aber gerastet<br />

wurde nur zwei Nächte, "biß auf den mittwochenn vnd besehen, was von mir<br />

In der hinreise nicht geschehen kennen, wieuiel es auch wegen der marterwochenn,<br />

do dann sonderlich auf die Teutschen acht geben wird, ob sie catholischs<br />

oder nicht, geschehenn kontte." Es war also auch wieder ein nur sehr<br />

summarisches Nachholen. Grundlos war diese Angabe nicht. Ein Aufsehen erregender<br />

Fall war z. B. die Verhaftung des angesehenen Nürnberger Juristen<br />

Philipp Camerarius im Jahre 1565 in Rom durch die Inquisition noch unter<br />

Pius IV. gewesen. Aber auf Veranlassung namentlich des Kaisers war er alsbald<br />

wieder frei gelassen worden 64). Diese, wie wir hörten, von Gadenstedt immer<br />

wieder gehegten Besorgnisse vor der Inquisition waren aber wohl vorwiegend<br />

genährt durch die Erinnerung an den Inquisitionseifer des 1572 gestorbenen<br />

Papstes Pius V. und den gewaltsamen machtpolitischen Ungestüm Sixtus V.,<br />

mag dieser auch wesentlich der organisatorischen Gesundung des Kirchenstaates<br />

gegolten haben. Begreiflich ist daher auch in Hinblick auf die Besorgnisse der<br />

Inquisition über die Schonung von Ketzern durch Venedig (S. 18/19) die ängstliche<br />

Vorsicht der protestantischen Norddeutschen. Gadenstedt erläutert geradezu:<br />

"Zu Rhom Ist es für dieselben, die Ihres (NB. des römisch-katholischen) glaubens<br />

nicht sein, fast vnsicherr In den kirchen, sonderlich· des morgens wann die<br />

messen gehalten werden. Darumb so man die kirchen besehen will, Ist es ahm<br />

fueglichsten den nachmittag. Vnd sonderlich shee man sich vor für etlichen<br />

Teutschen, die nicht woll bekant. Denn dieselben drauf wartten: Wenn sie vernhemen,<br />

das Teutsche ankommen, geben sie sich In den herbergen ahn vnd erbieten<br />

sich, einen herumb zu fhuren In der stadt vnd derselben gelegenheitt [zu]<br />

zeigen. Dann solche sein die groesten Verrhätter, von der ·Inquisition darzu<br />

erkaufft, das sie die Lutheraner oder ketzerr, wie die Babisten vns nennen, verrhaten<br />

vnd sie zu fall bringen. Dann sie leichtIich ahn einem, wann man In<br />

die kirchen gheet, mercken, ob einer ghutt papistischs oder nicht In erzeigung<br />

der ehre Jegen die bilder." Mag das auch im allgemeinen übertrieben sein,<br />

so war doch Rücksicht gegen die Kultgebräuche billig zu erwarten. Vielleicht<br />

hat unter Sixtus des Fünften energischem Pontifikat eine gesteigerte Reizbarkeit<br />

gegen Ketzerei in der Masse der römischen Bevölkerung geherrscht, zumal der<br />

Fremdenzustrom an Zahl und Geld wohl noch nicht ausreichte, um gegen verdächtig<br />

Gesinnte duldsam zu machen. Mochte also auch Fremden gegenüber<br />

vorsichtig verfahren werden, so wurde doch noch im Jahre 1610 der niedersächsische<br />

Junker Ludolf Klencke in Rom wegen ketzerischer Äußerungen von<br />

der Inquisition in Gewahrsam genommen und durch geschickte persönliche Behandlung<br />

seitens des geistig hervorragenden, für die katholische Idee im Sinne<br />

der Gegenformation eifrig tätigen Jesuiten und Kardinals Bellarmin dem Katholizismus<br />

aufgeschlossen. Auf politischen Druck hin zwar nach Hause entlassen,<br />

von Rom jedoch ungelöst, konvertierte er vier Jahre später in der Heimat 65).<br />

So gingen Gadenstedt und Münster geflissentlich den Ostertagen in Rom<br />

aus dem Wege. Am Samstagabenderreichten sie wieder Siena und kehrten "In<br />

der herberge aUa posta" ein. Wiedersehen wurde Ostern bei Gottfried von Barbisdorf<br />

gefeiert. tags darauf "bei Theoderico Hessen vndt seinen dlsclpelln Wilhelm<br />

von kleidtt vndt Jurg vonn fucschen." Dienstags wurde weiter gezogen, am Mittwoch<br />

Florenz erreicht. Im Wirtshause zum Hut, Al Capello, wurden beide Ankömm-<br />

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linge bereits erwartet vom Kurzen mit den zwei Mohren und dem "Zeug", dem<br />

Reisegepäck. Es wurde nun "beneben anderen Teutschen vom ade)) eine behausung<br />

vff 2 monat gedingett", um die Hochzeit des Großherzogs Ferdinand<br />

von Toskana mit Christine von Lothringen (Abb. 10), Nichte der Witwe Herzog<br />

Erichs des Jüngeren von Braunschweig-Kalenberg (Abb.9), mitzumachen.<br />

Diese Hochzeit wurdE der eindrucksvolle und für uns kulturgeschichtlich<br />

aufschlußreichste Höhepunkt von Gadenstedts italienischem Aufenthalte. Er<br />

bietet den bei weitem wichtigsten Reflex kulturpolitischer Einflüsse auf sein zurückhaltendes<br />

Gemüt. Das Manuskript widmet ihm in einem besonderen Anhange<br />

nicht weniger als 24 eng beschriebene Folioseiten und davon 14 allein der<br />

Schilderung einer allerdings Epoche machenden Theateraufführung. Diese zwei<br />

Wochen dauernde Feier ließ die Fürsten ganz Europas merken auf die noch<br />

vorbildlichen Florentiner Darstellungen festlicher Repräsentation. In ihnen erscheint<br />

das Bedürfnis der anbrechenden Barockzeit nach Konzentrierung des<br />

Prachtaufwandes im Sinne höfischer Propaganda bereits wesentlich erfüllt. Es<br />

wurden demgemäß auch die sich steigernden ästhetJschen Ansprüche von Auge<br />

und Ohr mit unerhörter Raffinierthe:t gestillt. Gadenstedt war diesen Eindrücken<br />

vollständig hingegeben. Er erlebte sich ganz und gar als Zugehöriger des Anbruchs<br />

willkommener Blütezeit kräftiger Zusammenfassung staatlicher Macht<br />

auch mit freilich einseitig gesteigerten künstlerischen Mitteln in der Hand<br />

autoritär herrschender Fürsten. Er empfand seine eigene, sozial bevorzugte Stellung<br />

als Edelmann dabei von solcher Machtquelle aus getragen und verklärt.<br />

Der pomphafte Einzug der Großherzogin in Florenz - die Trauung hatte<br />

schon Wochen vorher in Blois durch Prokuration stattgefunden - geschah am<br />

Sonntag Cantate, dem 30. April 1589. Er führte über eine durch fünf Triumphböge!}<br />

voll beziehungsreicher Bildwerke und Musikchöre belebte und mit noch<br />

anderell Dekorationen reich geschmückte Feststraße zum Dom, wo eine Art<br />

von Krönung der jungen Frau inszeniert wurde. Zunächst hinter der Großherzogin<br />

ritt als nächste Blutsverwandte Ihre Vatersschwester, die Herzoginwitwe<br />

Dorothee von Braunschweig-Kalenberg zwischen Bruder und Schwager<br />

(Schwestergatte) des Großherzogs 66). Zur Domfeier, berichtet Gadenstedt, sei von<br />

Musikern. die Blumen werfend aus der Höhe als Engel herab geschwebt seien,<br />

eine Musik gemacht, von der "Jedermann bekennen muste", daß die Zuschauer<br />

"die tage Ihres lebens dergleichen liebliche muslcam nicht gehoerett." Abends<br />

sei auf vier Musikantentribünen vor dem Palazzo Vecchio, dem derzeitigen<br />

Residenzschlosse, ebenfalls musiziert, man habe aber vor Vivatschreien nichts<br />

davon hören können. Gleichzeitig Illumination und eine Art von Korso mit<br />

Zur-Schau-Stellung prächtigster Kostüme. Am 2. Mai, einem Dienstag, geschah<br />

die erste Vorstellung der sechs berühmt gewordenen, durch Akte einer Komödie<br />

getrennten sogenannten Intermedien. Sie waren der prunkhafteste künstlerische<br />

Effekt des Festes. Der vielseitige, begabte Florentiner Hofarchitekt Buontalenti<br />

hatte dazu einen schon von Cosimo, dem Vater des Großherzogs nicht neben,<br />

wie meist gesagt wird, sondern im Gebäude der Uffizien ostwärts (Abb. 14)<br />

- Gadenstedt sagt "vnter der galleria" - für Vorführungszwecke erbauten<br />

großen Saal von etwa 56 Metern Länge und 14 Metern Höhe hergerichtet, mit<br />

größtem Aufwand an Bühnentechnik und glanzvoller Dekoration der Zuschauerabteilung<br />

wie der Bühnenbilder 67). Unter den gedruckten gleichzeitigen Berichten<br />

beschreibt Bastiano de Rossi ihn am eingehendsten. Auch Gadenstedt bringt<br />

selbständige Angaben. Älterem Herkommen gemäß muß man sich die Bühne<br />

in diesem heute ganz verbauten Saale als für den besonderen Zweck konstruiert<br />

und nicht etwa als angrenzenden Raum vorstellen.<br />

'Nach der von Gadenstedt seinem sehr persönlichen Berichte vorangeschickten<br />

kürzeren Festbeschreibung in italienischer Sprache gehörte zu den Einleitungs-<br />

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feierlichkeiten der Hochzeit schon am 29.April auch die Eröffnung jener, dem<br />

Theatersaale nahen "Galleria" als Statuenmuseum. Es wird der oberste, laubenartige<br />

Korridor der Uffizien gewesen sein, der noch heute die Sammlung antiker<br />

Bildhauerwerke enthält. Gadenstedt selbst äußert sich über diese in seiner<br />

eigenen, deutschen Festschilderung nicht. Sein flotter italienischer Text ist ersichtlich<br />

Abschrift nach einem e:nheimischen, erfahrenen Beobachter. Leider ist es<br />

mir noch nicht gelungen, diesen festzustellen, auch nicht unter den zeitgenössischen<br />

Festveröffentlichungen, welche die Nazionalbibliothek zu Florenz besitzt,<br />

soweit sie mir freund liehst vorgelegt werden konnten. Wir werden uns bezüglich<br />

der Bühnenaufführung an Gadenstedts eigene Eindrücke halten 68 ), auf die<br />

sehr interessante Theatertechnik dagegen nicht eingehen, zumal Gadenstedt<br />

selbst vergebens versucht hat, dahinter zu kommen, "wie solches möcht regirt<br />

werdenn, aber es wh ar ernstlich verboten." Unter den zahlreichen Zuschauern<br />

- "viel 1000 pershonen" - zählt er "vber die hundertt Teutsche· ... welche vom<br />

Hauptmann der deustchen Leibwache, einem Herrn von Trautmannsdorff, dazu<br />

besolidere Eintrittsmarken erhalten hatten. Die Vorstellung dauerte üblicherweise<br />

sehr lange, sieben Stunden, und begann zwei Stunden vor Sonnenuntergang.<br />

Die Fenster wurden daher von vornherein verhängt. "Etliche tausent lichter"<br />

erhellen den Saal. Gespielt wird die Komödie La Pellegrina von Bargaglia 69),<br />

"ahn sich selber gar slechtt". wie unser Gewährsmann meint. Der Verfasser<br />

war vermutlich ein Sienese, wie denn auch die Schauspieler aus Siena waren, wohl<br />

nur dilettierende Mitglieder der literarischen Humanistengesellschaft der Intronati,<br />

eine bevorzugtere der Bildungsvereinigungen, wie sie seit langem Mode, in<br />

Siena aber vorzüglich beliebt waren 70).<br />

Aber diese Komödie war auch gar nicht das Wesentliche der Vorstellung;<br />

das waren vielmehr die Zwischenspiele, sechs sogenannte, vorhin bereits erwähnte<br />

Intermedien (Intermezzi). Seither und immer erfolgreicher aus bloßem<br />

Füllsel der Zwischenakte nun bereits zur Hauptsache geworden, verdrängen sie<br />

die Komödie alsbald vollends und werden zur Oper. Eben auf diesem Wege zur<br />

Oper bildet die Verselbständigung der Intermedien der zweifellos unbedeutenden<br />

Pellegrina, von deren Inhalte wir auch an anderen Stellen nichts erfahren, eine<br />

wichtige Etappe. Sie b:eten eine großartige Mischung von Bühnenausstattung,<br />

Musik, mimischer und tänzerischer Kunst, Gemeinschaftsarbeit des Conte Giov.<br />

dei Bardi für den Text, des Komponisten Caccini für die Musik und Bernardo<br />

Buontalentis für die Bühnenbilder und die komplizierte Maschinerie 71). Gadenstedt<br />

geht auf diese Voraussetzungen nicht ein, nur meint er, daß zur Bühnenbedienung<br />

wohl 300 Personen nötig gewesen seien. Um so rückhaltloser gibt<br />

er sich den unmittelbaren Eindrücken hin. S:e erscheinen ihm mit Recht "außbündig<br />

herlieh vnd dhenen, so solchs nicht gesehen, fast ungleublich."<br />

Das erste Intermedium 72) veranschaulicht die Harmonie der Sphären, dargestellt<br />

unter anderm durch die sieben antiken Planeten götter und den Thron<br />

der Necessitas, die nach Plato die diamantene WeItspindel, die Achse des<br />

WE:ltalls, hält (Abb. 7, S. 69). Spinnen und Weben gehört zu den Urvorstellungen<br />

des Werdens und Vergehens der sichtbaren Welt, bei den Germanen verkörpert<br />

durch die drei spinnenden Nornen als Schicksalsträgerinnen, ähnlich der antiken<br />

Allegorie der Necessitas, der Gebundenheit des Daseins im Sinne der Kausalität<br />

allen Geschehens. Gadenstedt sieht nach Entfernung eines roten, seidenen<br />

Vorhanges zunächst vor einem blauseidenen Hintergrunde eine lautenschlagende,<br />

in Seide gekleidete Sängerin als Göttin auf vergoldetem Stuhl in weißen Wolken<br />

herabschweben 73). Sie spielte und sang "so lieblich, das Jederman sagte, es<br />

where unmueglich, das eines menschen stimm so l:ebIich sein konne." Dann<br />

erst verschwindet auch der himmelblaue Hintergrunde und es erscheint eine<br />

Himmelsdekoration mit Göttern, al1egorischen Gestalten und Sinnbildern, dar-<br />

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gestellt durch Einzelsänger und Chöre, alles szenisch beweglich und farbig<br />

reich. Gadenstedt scheint die antikische Einkleidung und somit den Sinn der<br />

Allegorie gar nicht verstanden zu haben, wie es begreiflicherweise wohl den<br />

meisten Zuschauern ergangen ist. Ist doch noch heutzutage das Textverständnis<br />

eigentlicher Opern nicht immer leicht, und damals bestand durchweg die Neigung.<br />

die Inhalte der Schaustellungen mit humanistischer Gelehrsamkeit zu<br />

Qberladen. Um so erfreulicher schimmert durch Gadenstedts staunende Teilnahme<br />

der unmittelbare Eindruck der blendenden Bühnenvorgänge. Er sagt,<br />

es habe geschienen, als täte sich der Himmel auf, "In welchem vieH Musicanten<br />

gesehenn wie Engell bekleidet, mitt lichtern (denn d:e lichter dieß werck herlieh<br />

ziereten) vmbgeben, die sehr lieblich auf harfen, lauten, violen, posaunen vnd<br />

allerlei instrumenten musicirten" und sangen, "so das Gotfriedt vonn Berbisdorf,<br />

der bei mir saB, sagte, ehr hielts dafür, das es Im himmell auch also muste<br />

zugheen vnd gleichsam ein vorsmack where des freudenreichen Musiciren, das<br />

die heiligen Engell Im himmell thun." Fast an keiner Stelle seines Werkes schließt<br />

Gadenstedt sein Herz so enthusiastisch auf, und auch hier noch legt er seine<br />

Hingerissenheit einem andern in den Mund. Tief und schwer nimmt der ernsthafte<br />

Deutsche dieses italienische Spiel beweglich entlastender Einbildungskraft.<br />

Weiter sagt er, es seien fast hundert Musikanten gewesen, darunter als Gäste die<br />

besten ganz Italiens. Sie boten "schoene Madrigalen mitt etlichen stimmen auf<br />

sonderbhare choros gesetzett." Bei offener Bühne sei schließlich dle Dekoration<br />

(wohl mittels dreiseitiger Prismenkulissen, Telari) in eine Stadt verwandelt<br />

und der erste Akt der Komödie habe begonnen. Die Vorstellung scheint sich<br />

fast pausenlos, aber im Barocksinne um so gegensatzreicher abgespielt zu haben.<br />

Das zweite Intermedium brachte einen Streit der Musen und Pieriden<br />

(diese Töchter des Pieros von Emathia, bestraft durch Verwandlung), der göttlichen<br />

gegen die nur menschliche Musik. In einer Schlucht verwandelt Apollo die<br />

unterliegenden Pierostöchter in Vögel. Alsdann schloß eine Darstellung des<br />

Helikon effektvoll die Szene. Ihre Kostüme sollen von ausgesuchter farbiger<br />

Delikatesse gewesen sein. Den Sinn der Darstellungen scheint Gadenstedt wieder<br />

nicht ganz verstanden zu haben. Um so mehr beschäftigten sein Auge und<br />

Ohr die szenischen Wandlungen und die Musik.<br />

Das dritte Intermedium führte mit Chören von Delphiern Apollos Kampf<br />

mit dem Drachen Python vor, ein bevorzugtes Thema barocker Szenerieen und<br />

Maskenwagen. Der nach wie vor unvorbereitete und daher für die Idee verständnislose,<br />

aber auch kaum verständnisbedürftige Gadenstedt beschreibt dieses<br />

Ir:termedium folgendermaßen: Erschienen seien 'sechsunddreißig Musikanten als<br />

Tänzer. "In dem sie ahm besten gedantzett, Ist von vntten auß dem boden<br />

beraus ein scheuslieh greulich groses monstrum oder Thier In gestaltt wie ein<br />

groser drache herausgekommen, [hatte] feur außgespienn, hatte grose fittigen,<br />

mitt welchen es ein gros gethoene machte,heßliche klauen,_ " ... " Es habe die<br />

tanzenden Musiker verschlingen wollen, sei dann aber selbst erstpchen worden<br />

- von wem, Apollo, wird nicht gesagt - und in die Erde zurückgeworfen,<br />

woran sich ein Freudentanz geschlossen habe.<br />

Das vierte Intermedium begann, ersichtlich wie das erste, vor einem<br />

Zwischenvorhang mit Junos Fahrt durch die Lüfte auf einem von drei Drachen<br />

gezogenen goldenen Wagen. Sie habe "ein schoenes, liebliches stuck" gesungen<br />

und sei wohl von derselben Frau dargestellt gewesen wie die Göttin des ersten<br />

Intermediums. Dann zeigte sich in zwei Zonen die Hölle, oben Feuerdämonen<br />

in Wolken, im Abgrunde unten Luzifer mit Chören von Teufeln und Verdammten.<br />

Eine Magierin fuhr auf einem Drachengespann durch die Lüfte.<br />

Diese Szenerie mit ihren Schauer erregenden Maschineneffekten wurde vorbildlich.<br />

Von Gadenstedt hören wir, es seien dem "teufelI, schrecklich groß vnd<br />

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grausam gemacht, .... etliche kleine teufen" entsprungen und hätten getanzt,<br />

ebenso "etliche kleine Jungen vnd megdelin gar nackentt wie sie von mutterleib<br />

gekommen." Einige habe der Teufel verschlungen, andere in den Höllenabgrund<br />

geworfen. Dann seien 36 Musikanten gekommen, "gekleidet schrecklich w;e man<br />

die Furias internates mhalett, setzen sich vf stuele, die von dem boden herausgekommen,<br />

vnd musicirten 2 stucke, aber solche stucke wharen gantz kleglich,<br />

erbermlich vnd. melancholischs componirt. .. :. Dieses wh ar zwar ein kunstreiches<br />

Intermedium, aber darbeneben sher schrecklich anzusehenn."<br />

Das fünfte Intermedium stellte die wechselnden Abenteuer der Meerfahrt<br />

Arions dar, mit einer noch nicht dagewescnen praktikablen, von Scegöttern und<br />

Nymphen belebten Wasserdekoration. Den Arion sang und spielte der Florentiner<br />

Jacopo Peri, der zugleich als Komponist bahnbrechend für die Ausbildung<br />

. der Oper gewesen ist. Amphitrite trug opalisierende Schleiergewänder. Gadenstedt<br />

entging auch hier die Fabel der Vorführung gleichwie der Name des<br />

Ariordarstellers. Er sagt von diesem: in Verbindung mit dem Erscheinen eines<br />

vergoldeten Schiffes, besetzt mit Chören und Musikern, habe man "oben auf<br />

dem mastbaum ein stuck allein zu singen .... e:nen herliehen Tenor" gehört.<br />

Er "wuste auß der kunst zu rechter zeitt zu coloriren." Aufgetaucht sei sodann<br />

,;ein groß Delphin oder Mher schwein" (NB. = Schweinsfisch) ",. auf das "gedachter<br />

schiffman", eben jener Sänger als Arion, gesprungen und mit ihm im<br />

Meere verschwunden sei. "Intermedium mlraculosissimum", schließt Gadenstedt<br />

begeistert.<br />

Das sechste und letzte Intermedium ähnelte mit seiner Wolken dekoration<br />

dem ersten, und zwar wohl absichtlich, um den Ring zu schließen. Umgeben von<br />

deI) allegorischen Gestalten des Rhythmus und der Harmonie entschwebten unter<br />

Blütenregen dem Olymp mit seinen sichtbaren Göttern Apoll und Bacchus, um<br />

die musikalischen Künste den Menschen zu bringen. In Madrigalen war die gebotene<br />

Schlußhuldigung an das großherzogliehe Paar eingeflochten. Dabei in<br />

mannigfaltigen Kostümen das ganze, von Gadenstedt auf etwa 150 Köpfe geschätzte<br />

Personal an Sängern und Musikern. Offenbar entgeht Gadenstedt nochmals<br />

der allerdings dem Unvorbereiteten wieder schwerlich verständlich gewesene<br />

Sinn der Szene. Aber er bedauert das auch hier nicht, so ganz gibt er<br />

sich bis zuletzt dem Hören und Sehen hin. Er schließt, zuletzt seien mit<br />

50 Musikern vier Tänzer erschienen. Gespielt seien "etliche galiarden vnd welsche<br />

däntz, do dann diese vier dantzmeisters, so In gantz /taUa außerlesenn, Ihre bc-­<br />

hendigkeitt vnd Ihre kunst Im dantzen sehen liesen .•... " Darauf "haben<br />

die Musicanfen semptlich, die oben In dem himmell wie auch die In den dreien<br />

wolcken, deßgleichen die 50 aIIzugleich ahn [-gefangen] zu musiziren, 3 stuck<br />

oder madrigalen In etliche choros abgetheilett, so lieblich vnd herlieh, das soIchs<br />

nicht kann beschrieben werden." Es möchte jemand "viel meilen reisenn, es<br />

sollte Ihm nicht gereuenn, denn es fast Engelischs (also zu reden) alß menschslich<br />

werck anzusheen vnd anzuhoren."<br />

, Für dieses Lob beruft er sich auf alle deutschen Zuschauer, darunter auch<br />

ausdrücklich auf "Anthonies von der Streithorst 74), Itziger zeitt fürstlicher Braunschweigischer<br />

Geheimer Rhatt zu Wulfenbuttel", Also auch diesen Reisegenossen,<br />

erfahren wir an dieser Stelle nebenher, traf Gadenstedt noch einmal in Florenz,<br />

und aus der betonten Angabe der hohen dienstlichen Stellung dieses später übel·<br />

sich bewährenden Mannes, durch die Gadenstedts Respekt schimmert, läßt sich<br />

schließen, daß die letzte Redaktion des Textes auch dieser Stelle nicht vor<br />

1615 geschehen ist. Denn in diesem Jahre erst wurde das berüchtigte Geheimratskollegium<br />

Herzog Friedrich Ulrichs mit Anton von der Streit horst und vier<br />

anderen Räten eingerichtet. Im übrigen verrät d:e Hochzeitsschilderung von 1589<br />

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•<br />

durchweg den Niederschlag des unmittelbar Selbsterlebten. Sie ist erfüllt von<br />

der schrankenlosen Hingerissenheit Gadenstedts, gleichwie der Masse aller Zuschauer,<br />

wie dieses aus dem lebhaften zeitgenössiscnen Echo hervorgeht und<br />

es der Propagandaabsicht der so groß angelegten Hochzeitsfeier überhaupt<br />

entsprochen hat. Die Oper mit all ihrem Drum-und-dran, deren erstem Aufblühen<br />

Gadenstedt beizuwohnen vergönnt gewesen war, ist das eindrucksvollste<br />

Bindungsmittel der Barockkultur gewesen, um vorweg die oberen Schichten des im<br />

Laufe der letzten Generationen bedenklichster Zerfahrenheit anheimgegebenen<br />

sozialen Staatsaufbaues auch durch Kunstgenüsse wieder in seinen Bann zu<br />

ziehen, wie es auf rücksichtslosere und allgemeinere We;se durch militärische,<br />

kirchliche und zensorische Gebote und Verbote mit allen Volkskreisen geschah.<br />

Die Menge war vorbereitet, diesem neuen Gemeinschaftssinn geordneter<br />

Untertänigkeit Aller unter ein zwar dem Volksganzen ethisch verbindliches,<br />

aber -durch kein Gesetz verpflichtetes, erbliches Oberhaupt sich zu fügen. An<br />

die Stelle der geistigen und künstlerischen Ungebundenhe:t des Individualismus<br />

der humanistischen Blütezeit trat eine die seelische Freiheit zwar wieder einengende,<br />

aber auch ihrer Werte zersetzenden Entartung steuernde Zentralisierung<br />

alles kulturellen und politischen Lebens in der Person des Landesherrn. Das ist<br />

Schicksal und Aufgabe kultureller Höhepunkte des Abendlandes: Nach farbiger<br />

Morgendämmerung kurz und blendend aufhellender übergang ungebundeneren<br />

Denkens und künstlerischen Schaffens zu sein in ein langes, entspannendes N::tchleuchten<br />

für das seit Adams Fall zu peinvollem Begnügen verurteilte Geschlecht<br />

der Menschen. Zu Gadenstedts Zeit vergalt der Landesherr die unvermeidlich<br />

dazu nötige freiwillig-unfreiwillige Entsagung der Bildungsschicht mit der FOlIe<br />

einer einheitlichen, irgendwie auch die Gesamtheit seiner Untertanen beeindruckenden<br />

künstlerischen Schaustellung phantastischer Hoheit, der sich zu<br />

beugen Genuß wurde. Von den politisch aufgedrängten Fürstenhäusern Italiens,<br />

deren reichstes und ästhetisch gebiIdetstes das der Mediceer Großherzöge in<br />

Florenz gewesen ist, wurde nach spanischem Vorbilde diese Aufgabe frühze:tiger<br />

und konsequenter durchgeführt als von den deutschen Landesherrn. Deren<br />

ererbte Macht beruhte auf durchweg anerkannten alten Rechtsansprüchen. Sie<br />

begegneten konsequent daher erst nach dem Dreißigjährigen Kriege sozialer<br />

Auflösung und Erschöpfung mit allen Mitteln des Barockzeitalters.<br />

Gadenstedt mit seiner schlichten, bei aller Aufgeschlossenheit doch schwer<br />

beweglichen Mentalität gehörte in der Tat zu den wenigen Deutschen, die frühzeitig,<br />

ja v~rfrüht und um so widerstandsloser den verführerischen Zauber der<br />

anbrechenden Barockkultur erlebten, und er im höchsten Maße erst in Florenz<br />

auf der Rückkehr nach seiner norddeutschen, derzeit noch recht unbefangen<br />

konservativen, ja vom Süden aus gesehen stockenden Heimat. Aber er ging<br />

ein in diese neue Geistigkeit, ohne sich dessen recht bewußt zu werden, und<br />

unzureichend nur hat sie sich auch Jahrzehnte später in der letzten Redaktion<br />

seines Manuskriptes niedergeschlagen. Sie stellte sich ihm keineswegs als eine<br />

Aufgabe dar; dazu war er zu naiv und zu schwerfällig, durchaus der erdgebundene<br />

Sohn eines noch sich selbst genügenden Lebensraumes. 'Seine heimatlichen<br />

Kulturzustände und ihr Beharren, ihr Beharren auch im Luthertum,<br />

waren ihm gottgegeben. Wie er sich selbst durch seinen unerschütterlichen<br />

Glauben gerechtfertigt gewußt hat, so als gottgewollt doch auch die in Italien<br />

beobachteten anderen und insbesondere teilweis zukunftweisenden Formen staatlicher<br />

Ordnung und sozialen Aufbaus, diese mit ihrer in der Florentiner Hochzeitsfeier<br />

sozusagen gleichnisweise vorgeführten Verherrlichung absoluter fürstlicher<br />

Staatsmacht. Eben solch pyramidaler Aufbau gebändigter Gegensätze, die<br />

Staatsidee des BarockzeitaIters, gewährleistete ihm seine gehobene Stellung als<br />

Edelmann, Gentiluomo, Gentilhomme, ja verhieß ihr unerwartete, glanzvolle<br />

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Stärkung, wie er denn auch die katholische Kirche als Ordnungsrepräsentanten<br />

unschwer wird hingenommen haben.<br />

Somit waren vornehmlich diese Hochzeitseindrücke ein bereits typisches<br />

Barockerlebnis, gipfelnd in den geschilderten Intermedien einer Komödie. Diese<br />

Gipfelung geht auch daraus hervqr, daß sie noch zweimal wiederholt wurden,<br />

während die Komödie jedesmal eine neue war, also im Verhältnis zu jener nur<br />

noch auswechselbares Beiwerk. Aber das Fest war ausgedehnt genug, um auch<br />

mit anderen Schaustellungen und Ergötzlichkeiten das Unterhaltungsbedürfnis<br />

aller Volkskreise mehr oder weniger anspruchsvoll zu befriedigen. Der große<br />

Platz vor der Kreuzkirche, Santa Groce, diente zu Tierhatzen auch mit Löwen,<br />

zu Ringelrennen und sportlichen Spielen (Abb. 6), außerdem gab es Umzüge,<br />

Abb. 6. Florenz, Platz vor der Kirche Santa Croce, als Festspielstätte im<br />

17. Jahrhundert. Anonymer Stich.<br />

Bankette und feierliche Gottesdienste. Alles das machte Gadenstedt mit. Anschaulich<br />

berichtet er zum Beispiel, es seien "auch zwei leuen ahn einen oxschen<br />

gelasenn, wie auch ein groser bhere, haben aber dem oxschen nichts anhaben<br />

konnen, sondern der oxsche stieß sie vber ein haufen, do sie sich dann wieder<br />

In Ihre löcher begaben, wollten auch nichtt wieder heraus, ob sie auch darzu<br />

angereitzett wurden, das auch der großhertzog zornig ward, befhall man solltt<br />

die leuen erschiesenn. Aber auf bitte der brautt ward solehs wieder abgeschafft,<br />

. ' ..•. aber dem Oxschen ward nicht woll gelhonett:" Er wurde nemlich durch<br />

ihm angehängtes Feuerwerk verletzt und wütend, "wh ar zwar ein fein spectakell<br />

aber nicht für den oxschenn", der denn auch schließlich zusammenbrach. Gelegentlich<br />

einer Vorbereitung zum Ringelrennen bemerkte der hochaufgeschossene<br />

Herzog Vincenz von Mantua die gleichfalls lange Figur Gadenstedts und ließ<br />

ihn zu sich kommen, um ihre Größen zu vergleichen. Gadenstedt referiert voll<br />

Genugtuung: "Aber Ich whar Ihm vberlegen, wie ehr sich ahn mir hienauf<br />

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messete", wonach der Herzog hutabziehend sich entschuldigte, "Ich solts Ihm<br />

nicht für vbell halten, es where guetter meinung geschehen." In der <strong>Folge</strong> erfreute<br />

er sich dann noch gelegentlicher gnädiger Grüße dieses Herzogs, den er<br />

irrtümlich Friedrich nennt, ein Herrscher (t 1612) von ungemeiner Prachtentfaltung<br />

in seinem kleinen Lande.<br />

Ein unerhörtes, viel und lange bewUlldertes Schauspiel brachte zu guter letzt<br />

noch der Himmelfahrtstag Christi, der 11. Mai. Während der Abendmahlzeit<br />

der großherzoglichen Herrschaften im Pittipalast wurde dessen großer, auf drei<br />

Seiten von einem Arkadengange umgebener Hof unter Wasser gesetzt. Auf<br />

diesem. künstlichen See wurde alsdann eine Seeschlacht zwischen Kreuzfahrern<br />

und Türken vorgeführt mit vierzehn Schiffen, "schoenn bemhalett." Sie beschossen<br />

sich, so daß "die helfte der galercn oder schiflin sein vom feur verbrantt."<br />

Die andere Hälfte habe sodann eine Festung, ebenfalls nach gegenseitigem<br />

Beschießen, erobert, die davon "zersprungen, we:ll solche festung voll<br />

schosse (NB. = Schüsse) .... sampt den vbrigen ga!eren ..... mit einem solchen<br />

prassen vndtt schiesen, das man weder hoern noch vor dampf sheen kontt.' In<br />

mittels ausserhalb dem pallatio viel feurmörsers vnd groß geschutz abgeschossen<br />

worden, welchs diß werk nicht wenig gezierctt. Ist auch alsbaltt aller ortter<br />

luft gemacht, damitt der dampff vndt rauch von pulfer konnen wegziehenn. Vnd<br />

dieses wherete biß ahn den morgen, das der tag anbrach."<br />

Dieser Tag, Montag, der 12. Mai, mahnte denn aucb zur Weiterreise nach<br />

Deutschland. Noch an ihm verließen Streithorst und sein Hofmeister Dasypodius<br />

Florenz, am Dienstag folgte Gadenstedt und sein neuer Begleiter seit S:ena, ein<br />

Italiener, der ihm auf der Heimreise als Diener behilflich gewesen ist. Der Weg<br />

zunächst noch einmal nach Venedig, führte jetzt über Bologna, wo sich Streithorst<br />

nochmals anschloß, durch Mantua und Verona. Das Nachtquartier in Mantua<br />

wurde zu einer recht umfangreichen Besichtigung des ausgedehnten Residenzschlosses<br />

benutzt, wohl schon wegen des vorhin erzählten gelegentlichen Zusammentreffens<br />

mit dem Herzoge Vincenz. Unter anderem nennt Gadenstedt dort<br />

summarisch den Schatz, aus dem das antike Onyxgefäß in Braunschweig stammt,<br />

und Mantegna ("Matagna") als Maler berühmter Bilder, dessen heute in England<br />

befindlichen vortrefflichen Triumphzug Cäsars freilich nur in der Weise, es seien<br />

in diesem Schloß auch "etliche Triumph abgemhalett, wiewoll das mhalwerk<br />

etwas altt." Daneben fallen ihm auf ,,3 kachelofen, wie In Teutschsland, welche<br />

sonsten In Italia nicht gebreuchIich." Auch vom Palazzo deI Te, dem dicht<br />

neben der Stadt gelegenen Sommerschlosse, teilt er Einzelheiten mit, aus denen<br />

auf persönlichen Augenschein geschlossen werden darf. Zuletzt macht er auf<br />

die Herstellung und Ausfuhr seidener Strümpfe aufmerksam, die in Deutschland<br />

als Mantuanische Strümpfe geschätzt werden. Am 20. Mai, den Sonnabend vor<br />

Pfingsten, wird nochmals in Padua bei Mutter Annen für drei Wochen eingekehrt.<br />

Ein sechstägiger Ausflug nach Venedig diente hauptsächlich dazu, daß "wir<br />

... vnserr sachen bei vnsern kaufleutten richtig gemachtt, damitt wir wieder In<br />

Teutschland ziehen kontten."<br />

Am 4. Juni gab alsdann Gadenstedt in Padua seinen Absch:edsabend, zu dem<br />

er "Enno grafen In friss land vnd georg friederich grafen von hohenloe vnd andere<br />

vornheme vom adell zu gast gehabtt" hatte. Am 6. Juni verließ Streithorst mit<br />

Dasypodius Padua, am 11. auch Gadenstedt, alle drei mit der Verabredung des<br />

Wiedersehens in Basel. Wie wir schon wissen, erfolgte es auch pünktlich. Dem<br />

Strcithorst und seinem Begleiter, d:e über den Brenner und Augsburg zogen,<br />

hatte Gadenstedt seinen italienischen Diener mit seinem offenbar durch Erwerbungen<br />

schon seit Neapel stark angeschwollenen Reisegepäck und einem dafür<br />

angeschafften Pferde beigesellt. Seine eigene e:tige Weiterreise auf Mietpferden,<br />

deren Fährlichkeit uns schon Seite 28 bekannt geworden ist, ging über Verona, .<br />

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Peschiera und Bergamo nach Mailand. Diese Wegstrecke am Gardasee vorbei<br />

veranlaßte ihn hinzuweisen auf den Bericht seiner berühmten Landsmännin<br />

Roswitha von Gandersheim über die Taten ihres Zeitgenossen, des Kaisers<br />

Otto I. Es werden da ausführlich die Nöte der Königinwitwe der Lombardei<br />

Adelheid und deren daraus sich ergebende Heirat mit Otto geschildert.<br />

Während drei voller Rasttage in Mailand interessiert Gadenstedt besonders<br />

in bezug auf wirtschaftliche und organisatorische Einzelheiten auch hier das<br />

Findelhaus und Krankenhaus als das "gröste vnd vornemeste In gantz ltalia".<br />

Es ist der noch heute vorhandene bedeutende Bau Filaretes, damals bereits<br />

über hundert Jahre alt. Was das Manuskript von kurfürstlich sächsischen<br />

Kanonen im Kastell zu erzählen weiß, besprachen wir schon S. 34 f. Aus der Fülle<br />

des sonst über Mailand Mitgeteilten sei noch auf ein paar Beispiele persönlicher<br />

Eindrücke hingewiesen. So fand Gadenstedt den spanischen Vizekönig gleich<br />

• anderen Herrschern Italiens von einer deutschen Leibwache umgeben, und in<br />

dessen Palaste entging dem Auge des beharrlichen Lutheraners ein Bildnis vom<br />

Könige PhiIipp II. von Spanien nicht: "Sitzett auf einem koeniglichen stuel;<br />

vnter seinem stuel ligt eine bestia zertreten, darbei. Haeresis" geschrieben ist.<br />

Gelegentlich des von Kaiser Friedrich Barbarossa entleerten Sarkophages der<br />

heiligen drei Könige in Mailand - ihre Gebeine wurden dem Kölner Dome geschenkt<br />

und den noch vorhandenen kostbaren Schrein dafür stiftete der Welfe<br />

Kaiser Otto IV .- vernehmen wir eine burlesk anmutende Geschichte von e:nem<br />

Tam,chgeschäft, das eine Mailänder Äbtissin mit dem Kaiser hinsichtlich dieser<br />

Reliquien gemacht habe. Aber in bezug auf d:e Echtheit der Gebeine geht Gadenstedt<br />

noch über seine gewöhnliche zurückhaltende Skepsis hinaus: s;e "wird einem<br />

Jeden In sein vrtheill gestellett. Es sein mhererteils fabeln vnd monchegedichtt."<br />

Von Mailand aus, wo Gadenstedt in die "ire Re, zu den heiligen drei koenigenn,<br />

•... ein guctte vornheme herberge", eingekehrt war, machte er einen<br />

Ausflug nach Pavia unter Führung eine3 deutschen Trabanten der vizeköniglichen<br />

Leibwache "mitt nhamen Christoff, whar e;n gueter kerll". Sein warmes besonderes<br />

Eingehen auf das Grab Herzog Erichs des Jüngeren von Braunschweig<br />

in Pavia wurde bereits Se:te 18 besprochen. Dieses Interesse für den schließlich<br />

wurzellos verwälschten Welfen mag durch die eben erst erlebten Florentiner<br />

Eindrücke noch gesteigert und Gadenstedt vorübergehend zu einem zugleich reizvollen<br />

und warnenden Problem geworden sein. Die folgende Wegstrecke über<br />

Corno, Chiavenna und den Splügen, der am 24. Juni überschritten wurde, begleitete<br />

ihn ein Schweizer, nach Feldkirch in Vorarlberg gehender Bote. Als ihn<br />

auf dem Cornersee ungünstiger Wind teilweis zur Fußwanderung zwischen einer<br />

Herberge "ll Pago" und einem Dorfe "Latara", vorbei an der zerfallenen Festung<br />

"Nitza" 75) zwang, drohte ihm die Seite 28 bereits erwähnte Banditengefahr.<br />

In Chiavenna, Clauen, dessen Herberge im Gegensatze zum Splügen sehr gelobt<br />

wird, konnte kein Pferd mehr gedingt werden für den steilen Paßweg. Es fand<br />

sich aber ein "Soldatt", auch ein Trabant der Mailander Leibwache, bereit, mitzugehen<br />

und das Gepäck hinüber zu tragen. Er blieb dann noch bis Basel Gadcnstedts<br />

Begleiter. "Whar Ihm gedienett damitt, weiIl ehr freie Zherung vnd<br />

mir auch, das Ich geselschaft bei mir hatte." "In Clauen", heißt es weiter, "beginnet<br />

man wieder teutschs zu reden", auch sei er und der Feldkireher Bote von<br />

dort aus "zue fue3e vber das gebirgte nicht gangenn sondern spazicrett", so<br />

günstig war das Wetter. .<br />

Chur wurde am 25. Juni verlassen. Weiter ging es über den Walensee und<br />

den Zürich see. In Zürich wurde am 28. Juni für eine Nachtrast "eingekherct<br />

zum Stork, ein gar guete herberg .... den abent haben die hern der stadtt<br />

Zuerich mir 6 stubichen gar her lichen wein verehren lasen, sein 3 von den vor-<br />

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nemesten zu mir gekommen vnd mir gute geselschaft geleistett, wie sie dan den<br />

gebrauch halten, wenn fremde leutt In der stadtt anlangenn." Da klingt wohl<br />

Gadenstedts Behagen nach, die ganz selbständig zurückgelegte, teilwe:s recht beschwerliche<br />

Reisestrecke durch die Alpen hinter sich zu haben. Zur rechten Zeit<br />

wird nun Basel erreicht am 30. Juni, nach e;ner letzten übernachtung in der Sonne<br />

zu Brugg an der Aare. Wenig gefallen hat tagsvorher der Morgenritt von Zürich<br />

bis Baden, "sein 2 grose meilen, groß genug, hab bei 6 stunden darhan zu reitten<br />

gehabt, binn gleich woll nicht sachte ger:tten, wie dann die Schweitzerische meilen<br />

la!1g genug aber nicht breitt, wie man pflegtt zu sagen." Gadenstedt wird aber<br />

Mittags in Baden entschädigt durch den "Leuenn ein gar guete herberge", was<br />

freilich in dem damaligen Weltbade begreiflich ist. So hat denn auch sein<br />

Manuskript einiges Zuständliche über die Stadt mitzuteilen, gleichwie weiterhin<br />

geschichtliche Hinweise. Denn bei Brugg besuchte er Kloster Königsfelden<br />

mit seinen Erinnerungen an den hier durch seinen Neffen ermordeten deutschen •<br />

König Albrecht und den hier bestatteten Herzog Leopold von Oesterreich, der im<br />

Jahr 1386 bei Sempach gegen die Schweizer Eidgenossen Schlacht und Leben<br />

verloren hatte. Ein Bildnis Leopolds "mitt gefaItenen hendenn, langen haren<br />

vnd ohne bartt" habe die Beischrift gehabt, er sei erschlagen worden mit seiner<br />

Ritterschaft "auf dem sinen, von den sinen (NB. seinen abgefallenen Schweizern)<br />

In den sinen (NB. den Rittern) vnd vmb das sine."<br />

Zu Basel in der Herberge zur Krone erwartete Gadenstedt den Anton von<br />

der Streithorst mit Dasypodius, die denn auch verabredetermaßen am folgenden<br />

Tage, dem 1. Juli, eintrafen. Nun richtete man sich wieder nach dem alten, in<br />

Deutschland noch lange gültig bleibenden Kalender, der um zehn Tage hinter<br />

dem italienischen Papst Gregors des XIII. zurückblieb. Nach dem neuen,<br />

heute noch gültigen, datieren wir jedoch auch im <strong>Folge</strong>nden weiter. Gemeinsam<br />

gaben sich die Drei bei einem Buchdrucker ,,Hieronymus N." auf etwa vier<br />

Wochen in Kost. Dasypodius blieb bis in den September und promovierte zuletzt<br />

an der Baselcr Universität zum Dr. jurls 76). Gadenstedt hatte Zeit, sich<br />

in Muße von dem verhältnismäßig Wenigen an Ort und Stelle ~u unterrichten,<br />

was sein Manuskript, das karg und rasch dem Ende zucilt, an Topographischem<br />

und Historischem noch bringt, besonders einige Grabinschriften von Professoren,<br />

auch des Erasmus von Rotterdam, und von Buchdruckern. Ende Juli wurde<br />

wieder aufgebrochen und in Kürze mittels. einer Rheinfahrt Straßburg erreicht.<br />

In Straßburg wurde das Ende der großen Johannismesse mitgemacht.<br />

Gadenstedt sah sich nochmals fleißig um. Für das Münster mit seinem stolzen<br />

Turme verrät sein Bericht eine warme Empfänglichkeit, ohne vergleichenden<br />

Hinweis etwa auf anders geartete italienische Architektureindrücke. Ihm werden<br />

solche Gegensätze kaum zum Bewußtsein gekommen sein, auch fehlte seiner<br />

unsentimentalen Natur die Neigung zur Reflekt:on. Beachtenswert sind seine<br />

zwar nicht korrekten, aber baugeschichtIiches Interesse bekundenden Angaben<br />

über das Münster. Man erfährt, es sei im Jahre 1277 sein "schöner, wunderbharer<br />

Thurn angefangen worden zu bauenn, Ao 1303 verfertigett biß ahn den Helm<br />

In 28 Jharen durch Erdwin von Stein bach. Der hatt die viesirung gemacht vnd<br />

den ersten grund gelegett, vnd Ist sein gehülf gewesenn Johann Hiltz von Coln."<br />

Dann folgt eine Beschreibung des Turmaufbaues. Sie schließt: "Seines gleichen<br />

Ist nicht zu finden, darumb ehr vntter die 7 Wunderwerck der welt gerechnett<br />

wirdtt. Ich bin Ao 1589 oben biß In d:e spitze gewesen, vnd Ist grose gefhar<br />

so hoct. zu steigenn, sonderlich weill mann In fre:er luft hienauf steigenn muß.<br />

Mann kan sich gleichwoll ahn den außgehauenen steinen halten, das man nicht<br />

leichtlich fallen kann, wer sich etwas fursiehtt." Zu den bekannten Statuen der<br />

triumphierenden Kirche, Glaube, und der geknickten Synagoge, Gesetz, nennt er<br />

die seinerzeit dabei stehenden Worte: "M~tt christus blutt vberwinde Ich dich<br />

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- dasselbig blutt erblendett mich." Die Figur des Gesetzes trägt eine Binde<br />

vor den Augen. Auch das alte, 1793 revolutionärem Vertilgungsfanatismus zum<br />

Opfer gefallene angebliche Reiterstandbild König Rudolfs I. von Habsburg an<br />

der Münsterfront ist Gadenstedt nicht entgangen. - Gelegentlich der Johannismesse<br />

und ihres starken Zuflusses von Fremden pflegten zu deren Unterhaltung<br />

auch theatralische Vorführungen veranstaltet zu werden, namentlich humanistische<br />

Schulkomödien. Straßburg war damals deren eifrigste Pflegstätte.<br />

Gadenstedt kultivierte sie später gern in Wernigerode, sein Manuskript aber<br />

schweigt darüber.<br />

Doch auch an Tafelgenüssen fehlte es zu guterletzt in Straßburg nicht. ,,Auf<br />

des Amptmeisters stueben Ist es gar lustig, mag ein Jeder drauff gheen, wirdt<br />

Ihnen gar ghutlich angerichtett, so stattlich vnd hoch solehs Jemandt begherett,<br />

vnd mit gutem herliehen wein tractirtt vmb einen zimIichen (NB. = geziemenden,<br />

angemessenen) pfenning." - Sogar eine Gasterei wurde nochmals fällig. Es<br />

war Philipp von Quitzow, vermutlich ein Angehöriger der dem braunschweigischen<br />

Herzogshause in Wolfenbüttel sehr nahe stehenden Lehnsträger von<br />

. Wiedelah, der "darselbst stuodirte und vns gar woll tractirtt", - uns, das he:ßt<br />

jedenfalls Gadenstedt und Streithorst. Diese beiden, Streithorst wird nicht<br />

wieder erwähnt, werden auch den letzten Reiseabschnitt geme;nsam gemacht<br />

haben gleich nach Schluß der Handelsmesse, zu der "vieIl kaufleutte von weiten<br />

örten hinkommen vnd Ihren kaufhandeIl treiben, wie auch etliche kaufleutte<br />

auß der stadtt Braunschweig darselbst gewesenn, daruntter auch Rotger Horst,<br />

der mich den wexschell auf franckfurd ahn Mengershausen gemacht, vnd der<br />

von Franckfurtt auf Venedig vnd also vorthan auf Florentz, Neapolis, das Ich<br />

also ahn allen örten geltt haben kontte, welches mir sonderlich wie Ich zu<br />

Neapolis kranck lag, woll zu statten kham." - So erhalten wir am Reiseende<br />

auch noch einen kleinen Einblick in die Art der Geldvermittelung durch ein<br />

kreditstarkes braunschweigisches Geschäftshaus, und zugleich in die immer<br />

noch bedeutenden Handelsbeziehungen Braunschweigs.<br />

Und nun möge Barthold von Gadenstedt das letzte Wort baben, mit dem<br />

Hinweis, daß er versehentlich noch Juli sagt, wo auch nach dem alten Kalender<br />

bereits der August gemeint ist: "Nach gehaltener Messe haben wir vns bei die<br />

Braunschweigische kaufleutt auf ein kutschen gedingett, mitt Ihnen wieder zurück<br />

gezogenn vnd auf Speier, Wormbs, Francfurt ahm Meien, folgents vff<br />

Frißlar, dem Bischoff von Mentz gehoerig, vndt Cassel, Mundenn durchs land<br />

zue Brunsweig. Sein also glücklich Im Monatt Julio, whar der achte (NB.:<br />

18. August 1589 des neuen Kalenders), In der stadtt Brunsweig angelangett, do<br />

Ich 3 tag still gelegen, vollents hienaus nach Gadenstedt gefharn vnd mein<br />

Bruder Christoff Wulf von Gadensted gotseligern wieder nacb Werningrode gebrachtt,<br />

vnd meine liebe Mutter vnd Bruder gesund vnd woll zu paß wieder gefunden.<br />

Gott dem Hern sei lob vndtt danck gesagt, der gebe vorthan gluck,<br />

seinen segen, gesundheitt vnd alle wolfhartt des leibes, sonderlich aber der<br />

shelen. Amen."<br />

• • •<br />

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z w e 1 t e r A b s c h n<br />

.<br />

1 t t<br />

Vergleich<br />

mit zei~genössischen Reiseberichten<br />

Bis in den Beginn des 17. Jahrhunderts ist jeder Reisebericht, jeder Reiseeindruck<br />

von Besuchern Italiens interessant, sofern er irgend etwas Persönliches<br />

enthält. Denn das ist während des ganzen Mittelalters bindungsmäßig fast ausgeschlossen.<br />

Hafteten seine Menschen an den irdischen Dingen im Grunde nur<br />

gegen ihre wesentlich auf das Jenseits gerichteten überzeugungen, gegen ihren<br />

positiven Glauben an das Reich Gottes, das nicht von d:eser Welt ist, so lag erst<br />

recht den Wenigen, die Italien besuchten, auch wenn sie nicht Wallfahrer waren,<br />

nur das große Glaubenszentrum der abendländischen Christengemeinschaft am<br />

Herzen: Rom. Was sie, spärlich genug, berichten, bez;eht sich im Mittelalter<br />

hauptsächlich auf kirchliche Eindrücke, falls sie nicht etwa als Diplomaten<br />

oder Geschichtsschreiber sich sonderlich äußern. Ist das aber der Fall, so fehlt<br />

die Verwandlung des Geschehenen, Gehörten, Gesehenen in ein persönliches Erlebnis,<br />

oder dieses äußert sich nur unbewußt, elementar, sofern es nicht auch<br />

seinerseits religiösen Einschlag hat. Die Entlastungen und Erquickungen der<br />

Kirche, ihre Gnadenspenden jeglicher Art wurden einzig ersehnt und genossen.<br />

Für alles andere, das Italien den Augen und der geistigen Betrachtung bot,<br />

fehlte derzeit dem nordischen Besucher noch so gut wie ganz das Organ. Erst<br />

der Humanismus erweiterte auch ihm den Interessenkreis. In seinem Bann<br />

suchte er als Jüngling den wissenschaftlichen Unterricht der Universitäten; und<br />

Ortsüberlieferungen, zunächst vorwiegend antike, traten damit auch außerhalb<br />

Roms in den Gesichtskreis der Fremden. Immer mehr weltlichen Stoff eroberte<br />

sich nun ihr Wissensdrang im Süden wie in ihrer Heimat zurück, wenn auch<br />

noch, oft im dessen nicht mehr geständigen Gemüte des Abendländers bis<br />

hoch in die Neuzeit, unter der unantiken Voraussetzung der Minderwertigkeit des<br />

Diesseits gegenüber dem Jenseits. D:e Worte Christi an Martha, Lukas 10, 42:<br />

Eins ist Not, temperierten zunächst noch dämpfend das immer unwiderstehlichere<br />

Drängen in die Wirklichkeiten. So wurde Italien als kulturgesättigtes und eben<br />

darum studierenswertes Land für den Nordländer eine Quelle reichster Anregungen,<br />

nach dem Zerfall der einheitlichen Kirchlichkeit für den Protestanten<br />

zumal in verstärktem Maße durch das, was es dann neben und trotz dem<br />

Papsttum an Wissensstoff und Erbauung zu bieten hatte. Der Besucher hatte<br />

nunmehr zu wählen und zu sichten. Er kommt als Individuum, als immer<br />

kritischerer und sich entsprechend immer mehr isolierender Einzelmensch, keineswegs<br />

nur wie im Mittelalter als Te:Jhaber eines allgemein verbindlichen religiösen<br />

Bedürfnisses zur Befriedung seiner sündebelasteten Person.<br />

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Aber auch noch im 16. Jahrhundert hören wir nur Spärliches über diesen<br />

Wechsel der Haltung gegenüber den Verwertungen italienischer Eindrücke von<br />

den Besuchern selbst. Jahrzehntelang beschränkten pOlitische Unruhen und<br />

Gegenreformation das private Reisen in Italien. Auch das Mitteilungsbedürfnis<br />

über Sachliches hinaus entwickelte sich nur langsam. Veröffentlichungen von<br />

nur persönlichen Betrachtungen und Erlebnissen waren vollends noch ungewohnt,<br />

ja nich! einmal ungeHihrlich. Ganz vereinzelt werden e;nmal von Melanchthons<br />

Schwiegersohn; dem Brandenburger Humanisten Georg Sabinus italienische Reiseeindrücke<br />

aus dem Jahre 1533 sogar dichterisch geschildert. Reisetagebücher,<br />

an sich wohl schon nicht sehr häufig, gingen allmählich mit den anderen Familienpapieren<br />

zugrunde. Für Niedersachsen ist es daher eine große Seltenheit,<br />

daB sich doch noch aus dem 16. Jahrhundert eine obendrein sehr umfangreiche<br />

Mitteilung, eben die Barthold von Gadenstedts, erhalten hat, die umfassendere<br />

Kunde gibt von dem, was derzeit eine Durchschnittsbegabung - denn nur mit<br />

einer solchen haben wir es zu tun, und eine Wahl ist uns nicht geboten -, in<br />

Italien suchte und aus dem Gefundenen zu gestalten unternahm. Um diese<br />

Hinterlassenschaft Gadenstedts nun aber als Zeugnis der Bildungsbedürfnisse<br />

ihrer Zeit nach ihrer typischen wie persönlichen Bedeutung zu erfassen in bezug<br />

auf die Art des Reisens, Betrachtens und Stoffverwertens durch ihren Verfasser,<br />

zieher. wir aus andern noch vereinzelt erhaltenen Reiseberichten zwei bezüglich<br />

der Reisezeit wenig jüngere zum Vergle:ch etwas ausführlicher heran, einen sogar<br />

noch ungedruckten, überdies<br />

niedersächsischen, und e:nen ungewöhnlicherweise<br />

schon gleich nach der Reise veröffentlichten und daher auch in Gadenstedts<br />

nachträglicher Niederschrift reichlich verwerteten süddeutschen. Beide<br />

aber sind Ergebnisse einer fürstlichen Reiseunternehmung, die eben als solche<br />

wegweisende Geltung beanspruchen. Die damaligen Fürsten waren, wenn nicht<br />

durch Begabung, so doch durch ihre Stellung und ihre zu deren Gestaltung<br />

herangezogenen Untergebenen, die Führer in die neue, die barocke Geistigkeit.<br />

Diese beiden Reisenden sind der Niedersachse Herzog August der Jüngere von<br />

Braunschweig-Wolfenbüttel und der Herzog Friedrich von Württemberg .<br />

• • •<br />

Herzog August, geboren am 10. April 1579 als Sohn eines mit nur bescheidenem<br />

Gebiet an der Eibe abgefundenen Weifenfürsten, brach aus StraBburg<br />

im Elsaß am 6. Oktober 1598 nach Italien auf, elf Jahre später als Gadenstedt.<br />

Er blieb ebenfalls rund zwei Jahre unterwegs. Die Reise ging durch<br />

Augsburg und München über den Kesselberg und den Brenner nach Bassano<br />

und Padua, das am 5. November erreicht wurde. Auch er hielt sich die vier ersten<br />

Monate des Jahres 1599 in Padua auf, im Hochsommer drei und einen halben<br />

Monat in Lucca, wie Gadenstedt in Siena, und kam Mitte November bis nach<br />

Malta. Es ließe sich denken wegen dieser und anderer Parallelen, daß für<br />

die Fahrt des Herzogs Auskünfte zumal bei Gadenstedt eingezogen worden<br />

wären. Näher aber liegt wohl, daß die Gemeinsamkeiten auf Herkömmlichem<br />

beruhen. Herzog August war recht fern von Wernigerode, zu Dannenberg<br />

nahe der Eibe, in der bescheidenen Hofhaltung seines Vaters aufgewachsen. Persönliche<br />

Beziehung zur Familie oder Umgebung Gadenstedts ist auch nicht<br />

erkennbar. August wurde begleitet von einem "Gubernator", der Hofmeister<br />

und zugleich Reisebegleiter war vermutlich des Namens Bernhard Tege, der<br />

am 24. September 1598 sich ihm anschließt und am 1. Januar 1601 wieder entlassen<br />

wird. Augusts Reisenotizen - nur 38 Quartseiten 77) - beschränken sich<br />

als eigentliches Tagebuch von Anfang an auf wenige Tatsachenangaben, ja sie<br />

sind wesentlich nur ein Fahrtbericht, daher setzen sie dauernd aus während der<br />

la~gen Aufenthalte in Padua, Lucca und später eines über zweimonatigen in<br />

Verona. Auch verarmt das Tagebuch nach dem Verlassen Luccas bald über-<br />

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wiegend auf dürftige Orts- und Entfernungsangaben. Für die im Vergleich zu<br />

Gader.stedt bereits größere Geklärtheit des doch wesentlich jüngeren Herzogs ist<br />

charakteristisch, daß sein Reisebericht von vornherein auch in Deutschland nur<br />

nach dem Gregorianischen Kalender datiert ist.<br />

Der Herzog war beim Reisebeginn fast 19 1 /. Jahre alt (Abb. 8), und auch<br />

schon gefestigt im Bildungsmater:al seiner Zeit, dem seine humanistischen<br />

Neigungen entsprochen haben, wie er später als Grün'der, sachverständiger<br />

Pfleger und Nutznießer der Wolfenbütteler <strong>Bibliothek</strong> erw;esen hat. Nach Reisen<br />

auch durch England und Frankreich lebte er zwar geschäftig in der großen<br />

Welt, doch mit wachsenden Bücherschätzen festgehalten auf kleinem Erbe. Dann<br />

erst und nur als Landesherr zu Wolfenbüttel seit 1635 konnte er seine Persönlichkeit<br />

tätig ausweiten. Solange er das nicht war, fühlte er um so solidarischer<br />

mit Standesgenossen. Sie sind genötigt, ihre Stellung zu wahren, suchen Schutz<br />

in ihrer angeborenen Lebenssphäre und den sie tragenden Elementen des überlieferten,<br />

aber modernisierten Glaubens und Rechtes. War die Lockerung<br />

scheinbar· unwandelbarer Anschauungen wesentlich Angelegenheit der Bildungsund<br />

Herrschaftsschichten geblieben, vorweg in Italien, so waren diese Kreise nun<br />

auch noch stark genug, ihr wirksam zu steuern. 'Proletariat im Sinne des<br />

19. Jahrhunderts, das sich der Bewegung Erfolg verheißend hätte bemächtigen<br />

können, gab es nirgends. Irgendwie nahm aber jeder teil, soweit er einer Berufsorganisation<br />

angehörte. Ruhe und Stetigkeit suchte die bald erstarkende Staatsautorität<br />

zu verbürgen. Sie behütete, indem sie begrenzte, und nutzte dazu in<br />

erheblichem Umfange noch lebensfähige mittelalterliche Einrichtungen und Zustände.<br />

Man wollte sich geborgen fühlen in der anerzogenen Lebenssphäre und<br />

den seit den Erschütterungen geistigen Wirkens, diese in Deutschland zumal Ergebnisse<br />

der Reformaiton, wieder sich festigenden Schranken von Stellung und<br />

Bildung. Die staatliche und soziale Ordnung war au"! dem Wege nach neuer,<br />

zukunftsfroher Kräftigung, versprach seelischen und ökonomischen Halt. In<br />

solchem Gehege wurden die Jünglinge frühzeitig geistig reif, innerlich gestützt.<br />

'Nicht viel anders war das beim Edelmann als beim Herzoge.<br />

Darum unterscheiden sich auch Augusts Reisemitteilungen bezüglich der<br />

Gegenstände und Bewertungen nicht wesentlich von denen Gadenstedts. Beiden<br />

erscheint fast das Gleiche bemerkenswert, beide suchen in der Regel dieselben<br />

Bildungsgegenstände. Dieses Letzte mag größtenteils an herkömmlichen<br />

Besucherüberlieferungen durch Orts führer und Mitreisende liegen, wurzelt<br />

aber bei beiden in den Bedingtheiten ihrer geistigen Orientierung, ihrer Erziehung,<br />

ihrer Umwelt. Denken und Fühlen bei der ist, im Gegensatze zur<br />

nahen Vergangenheit und einer noch fern liegenden Zukunft, in zeitgemäß verändertem<br />

Umfange aufs neue durchgeschult und typisiert. Nur gelegentlich unterscheidbar<br />

sind abweichende Ne;gungen und Unterschiede der sozialen Stellung.<br />

Beim Herzoge schimmert ein größeres Interesse durch für bildende Kunst, der<br />

Edelmann läßt wohl einmal sein Gefühl eher zu Worte kommen als der zu<br />

größerer Zurückhaltung verpflichtete Fürst. Seelische Verschlossenheit ist ja<br />

überhaupt ein Symptom und Erbe des nach der, schier alle überlieferten Grundlagen<br />

geordneten Daseins problematisch machenden Kritik der Reformationsjahrzehnte,<br />

nach jeder Richtung hin mißtrauisch gewordenen 16. Jahrhunderts.<br />

Das zeigt sich auch gegenüber kirchlichen Einrichtungen. Zum Papsttum und<br />

seiner Hierarchie nimmt Herzog August so wenig Stellung wie Gadenstedt,<br />

und gegenüber Kultgebräuchen ist er noch schweigsamer. Er, der sich später<br />

in WolfenbOttel als stattlich regierender Landesherr se;nes lutherischen Bischofsamtes<br />

sorglich angenommen und selbst eine Evangelienharmonie verfaßt hat,<br />

verlil'rt die konfessionelle Zurückhaltung doch nur anfangs, gelegentlich eines<br />

Abstechers nach Mailand in Brescia am 1. Dezember 1598. Da läßt er seiner<br />

Feder in Erinnerung eines Gnadenbildes der Muttergottes entschlüpfen, daß<br />

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vor diesem "große Wunderzeichen geschehen sein sollen .... vnd haben die<br />

Leuthe auß Blindtheitt vieH dazu geschenckett."<br />

Einige Vergleiche des eigenhänd:gen herzoglichen Tagebuches mit Gadenstedts<br />

entsprechenden Äußerungen mögen alledas nun erläutern, denn die<br />

Hauptstationen des Reiseweges, auf den wir bei Herzog August im Einzelnen<br />

nicht einzugehen brauchen, haben beide Männer gemeinsam. Die übereinstimmungen<br />

fallen schon in Deutschland auf. In Augsburg gehört dazu ausführliches<br />

Eingehen auf den komplizierten Toreinlaß, das sich sogar auf das Trinkgeld<br />

erstreckt. Augusts Blick für Kunst und Kunstgewerbe erscheint aber dort<br />

in "deß Mare! Fuggerß sein schloß" schärfer, so für einen antiken Sarkophag<br />

mit einer Amazonenschlacht, aber auch für mehr künstliche als künstlerische<br />

Spielereien. Dasselbe Intcresse läßt sich erkennen beim Besuche des Fuggerschlosses<br />

in Kirchheim und namentlich der herzoglichen Kunst- und Raritätenkammer<br />

zu München. Am Brenner erwähnt auch er den Erinnerungsstein von<br />

1530 und vor Brixen jenen durchlochten Stein, "da die reysende zur kurtzweill<br />

durchkriechen". In Trient besuchten beide d:e Kirche des hl. Simeon, veranlaßt<br />

durch dessen verbreitete Legende, wonach er als kleines Kind "von den Juden<br />

Jämmerlich soll .... getodtet .... sein". Gläubiger ist Gadenstedt eingestellt<br />

und fügt daher auch die ganze überlieferung bei, "damitt der Jueden greuligkeitt<br />

gemerckett werde." Nur der Herzog dagegen nennt das Dorf "Persing" (Persen,<br />

Pergine), einen "Ban1llten Orth", und macht weiterhin aufmerksam auf die<br />

deutsche Enklave der Sette Communi südlich oberhalb des Val Sugana: "Ihren<br />

vrsprung wöllen sie von den "Gothen oder Schlesiern hernähmen." Recht Merkwürdiges<br />

hören wir auf der Weiterreise durch Italien über Vicenza, wo selbstverständlich<br />

August wie Gadenstedt auch die Basilica Palladiana und das<br />

Teatro Olimpico hervorheben: "al da eß gar diebisch vnd mörderisch Volck hatt,<br />

denn ein Sprichwortt von ihm außgangcn: Vicentini 0 sono ladri 0 sono assassini<br />

78). Man findet da vieH niedergerissene Heuser, an deren stadt eine Seule<br />

gesetzett, darann gehaven, waß die Herren' derselbigen heuser für mörderische<br />

thaten begangen, vnd Können dieselben nimmermehr wieder erbawett vnd<br />

bewohnett werden." Bei Gadenstedt klingt diese überlieferung noch eingeschränkter<br />

und entsprechend glaubwürdiger: In Vicenza sei eine Säule mit<br />

italienischer Inschrift von 1549 zu sehen, die sich bezöge auf das an ihrer<br />

Stelle einst vorhandene Haus eines "sceleratissimo Galeazzo di Roma", eines aus<br />

Rom gebürtigen Verbrecherhauptmanns (Galeazzo = Galeotto).<br />

über Padua zunächst hinaus wurde noch MaiIand .besucht, vorbei am<br />

Gardasee und über SaID, wobei der Herzog sich der Villa Catulls auf der Halbinsel<br />

Sirmione erinnerte. Gadenstedt dagegen gedenkt, wie wir Seite 47 angemerkt<br />

haben, heimatlicherer Beziehungen. Dessen Banditengefahr hatte aber<br />

auch August zu überstehen. Was des Herzogs karge Angaben über Kanonen und<br />

Gesang in Mailand bringen, führt unser Text schon Seite 35 und weiter 56 an.<br />

Auf einem Umwege von Venedig nach Padua besucht auch der Herzog die<br />

von ihm ebenfalls als solche nicht benannte Villa Cataio des Pio Enea degli<br />

Obizzi, in Ferrara fesselt ihn, den Welfen, natürlich der Stammbaum der Este.<br />

Mit Genugtuung stellt er auf ihm auch Heinrich Julius von Braunschweig "fest.<br />

Der Universität Bolognas sowie dem Dominikanerkloster mit der Bestattungsgruft<br />

der Deutschen und ihren Grabdenkmälern gönnt er ebenfalls einige Worte,<br />

für Pratolino zeigt er sich ähnlich begeistert wie Gadenstedt, und in Florenz<br />

geht er ausfilhrlicher als dieser auf die künstlerische Ausstattung der Medizeerpaläste<br />

ein, auf die Kunstkammer und die Antiken. 13eiden Niedersachsen entgeht<br />

dabei nicht die bekannte Florentiner Handschrift der Pandekten Justinians<br />

vom Jahre 1486, mit den eigenhändigen Beglaubigungen des Christophorus<br />

Landinus und Marsilius Ficinus. Da liegt wohl gemeinsame zeitgenössische Auf-<br />

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merksamkeit vor für das den derzeit in Umwandlung begriffenen Staatsaufbau<br />

stärkende römische Recht. Beider gelehrte Neigungen waren es wobl, die ebenda<br />

den Besuch der Laurentiusbibliothek veranlaßten, augenscheinlich aber seitens<br />

des doch erheblich jüngeren Herzogs sachlicher als seitens Gadenstedts. Am<br />

Tage der Abreise aus Florenz, dem 15. Juni 1599, wurde schließlich noch das<br />

·Haus des Bildhauers von europäischem Rufe, Giovannis da Bologna, besichtigt,<br />

auch das ein Zeichen gepflegten Kunstgeschmacks. Gadenstedt nennt diesen<br />

Künstler nur als Schöpfer des Reiterstandbildes vom Großherzoge Cosmus 1.,<br />

und zwar unselbständig mittels einer TextentIehnung aus der Beschreibung der<br />

Reise Friedrichs von Württemberg. Wir lernten ihn bereits S. 26 kennen als<br />

Umarbeiter eines deutschen Grabdenkmals. In Siena ersche:nt dem welfischen<br />

Herzoge gleicherweise Forrn und Pflasterung des "Campo", des großen altertümlichen<br />

Platzes vor dem Palazzo publico, ,wie e:n Jacobss MuschelI".<br />

Zu Rom herbergte August auf der Hinreise gleich Gadenstedt im Schwerte,<br />

auf der Rückreise aber "all urso", im Bären, dem heute ältesten, noch bestehenden<br />

Gasthofe der Stadt, nahe der Brücke Umberto Primo. In vier Tageswanderungen<br />

gewann er immerhin einen umfassenden Eindruck Roms. Sein<br />

knappes Tagebuch nennt in Stichworten alles Gesehene. Es umschließt auch<br />

heutzutage weniger beachtete Einzelheiten, wie die bedeutsame Bocca della<br />

verita in der Vorhalle von S. Maria in Cosmedin und die Kirche S. Giovanni<br />

decollato, "alda die Diebe begr~ben werden". Außerhalb der Aureliansmauer<br />

wurden das Capo di Bove (das Grab der Cecilia Metella) und die Tre fontane<br />

besucht, die legendarische Richtstätte des Apostels Paulus. Im römischen Stoffe<br />

der Handschrift Gadenstedts schimmern ja leider Einzeleindrücke nur recht<br />

unzusammenhangend noch durch. Vielleicht eben darum haben gerade sie einen<br />

zu Vergleichen weniger geeigneten Charakter. Denn alledas erwähnt auch er.<br />

über Neapel weiß der Herzog nach wie vor nur Weniges und Farbloses zu<br />

berichten. Immerhin zählt er gelegentlich eines Ausfluges nach den phlegrä:schen<br />

Feldern deren Merkwürdigkeiten in 36 numerierten Stichworten auf, die vermutlich<br />

auf ein Führungsschema zurückgehen. Wie wir später hören werden,<br />

bieten auch Gadenstedts gelehrte Ausführungen diesen topographischen Stoff<br />

in einer ähnlichen Aufreihung. Von Neapel bezugsweise von Vietri bis Siz:Jien<br />

und zurück benutzte der Herzog mit seinem Gubernator eine Felucke, die überfahrt<br />

nach Malta geschah auf einer Fregatte und die Rückkehr nach Sizilien auf<br />

einer Geleere. Augusts "Laus Deo" beim Wiedererre:chen Neapels erinnert an<br />

Gadenstedts Zusatz,. er sei "mitt Gottes hülff" dort wieder angelangt, beides<br />

Ausdrücke der Erleichterung nach der Jahreszeit und der Türkengefahr entsprechend<br />

unsicherer Seefahrt. Des Herzogs höchst spärliche Angaben auch über<br />

Malta, wo er Ende November und Anfang Dezember 1599 zwanzig Tage gerastet<br />

hat, beschränken sich auf die Mietung eines Kammerquartiers im Borgo,<br />

auf Eselsritte nach der Citta Vecchia, nach e:ner Erinnerungsgrotte an den hier<br />

schiffbrüchig gelandeten Apostel Paulus und an den Großmeisterlichen Lustgarten<br />

Boschetto. Zuletzt wird auch noch "besehen das Hospitall, al da man die<br />

Krancken auß silber Speisett, vnd die Ritter tragen ihnen auf das essen. Darnach<br />

il Serraglio, al da die Türggen alle narht werden hineingetrieben, weIche auf<br />

den Galeeren rudern", und schließlich werden "auf einem Französischen Schiffe<br />

2 Schaffe gesehen, mitt breyten Schwäntzen", also wohl sogenannte Fettschwanzschaafe.<br />

(Krankensaal des Malteser Hospitals Abb. 2<strong>3.</strong>)<br />

An der Küste Calabriens und Siziliens wurde gleichfalls der Anbau von<br />

Seide, Baumwolle und Zuckerrohr stichwortartig notiert. Ein mehrtägiger Aufenthalt<br />

in Messina wurde zu Besichtigungen von Bauten und dem Arsenal benutzt;<br />

auch die Statue Don Juan d' Austria's wird wieder erwähnt. "Außerhalb<br />

der stadt findet man ein schloß von brettern gebawett, welches die Riesen sollen<br />

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gebawet haben", und dann heißt es "Manie Aethnn, heutigß tagß Gibelo genandt,<br />

gesehen, darauf immer schnee liegtt". Während eines zwe:tägigen Aufenthaltes<br />

in "Syracusa Stadt, hoggi Saragosa" wurde in der Felucke genächtigt.<br />

"darnach besehen ettliche Grotten außen vor der Stadt, vnd ein Thealrum - von<br />

dem auffäIIigerweise Gadenstedt nichts berichtet - vnd andere rudera; in der<br />

Stadt zu besehen fons Arethusae." Nur einmal erscheint auch ein"gefehrlicher<br />

Orth wegen der Türcken"; es war "Capo passero, alda man eine torteza Jetzunder<br />

bawet", dieselbe Gegend, wo schon Gadenstedt auf seiner Rückfahrt Türkengefahr<br />

zu überstehen gehabt hatte. Einmal mußte gelegentlich des allnächtlichen·<br />

Landens an der Küste in einer Höhle, "grottd', geschlafen werden, bei<br />

Taormina, so scheint es, auch in einem "Weinkeller", als der wohl eine solche<br />

Höhle zu dienen hatte. Bei der Stadt "Lo pizzo" an Calabriens Küste wird angemerkt,<br />

es seien "alda 3 Galeen gewesen welche fast 300 Personen gefenklich<br />

aufgenommen, die gantz Calabriam den Türcken vbergeben wöllen, wegen<br />

grosses betrangeß (= Bedrängnis), so ihnen die Spanier (NB. als Herren des<br />

Königreichs Neapel) gethaen." Das ist einmal eine singuläre Angabe, sonst<br />

gleichen alle, nur in noch viel trockenerer Aufzählung, auch für diese süditalienische<br />

Reisestrecke denen Gadenstedts.<br />

Auf der Rückreise wird vom 1. Januar bis zum 2. Juni 1600 in Neapel geruht,<br />

ohne daß wir auch über die Beschäftigung, abgesehen von dürftigen Besichtigungsangaben,<br />

darunter der schon erwähnte Ritt durch die phlegräischen<br />

Felder sowie über Grabstätten Vergils, Sannazzaros und der Sanseverini, etwas<br />

erfahren. Dann wird das Reisetempo beschleunigt. Der zweite Aufenthalt in<br />

Rom beschränkt sich auf drei Nächte; in Florenz, dem auf der Hinreise nur eine<br />

Nacht gegönnt worden war, bleiben wenigstens deren lünf, für Verona, einschließlich<br />

eines nochmaligen Ausfluges nach Venedig, die Tage vom 25. Juni bis<br />

26. August 1600. Vorher, auf dem Wege von Modena nach Mantua, ergeht sich<br />

der Herzog unerwartet ausführlich über das "schön groß Kloster" S. Benedetto<br />

am Po mit Wiedergabe einer langen Reihe lateinischer Distichen zur Glaubensgeschichte.<br />

Diese reiche Benediktinerabtei, Grabstätte der Markgräfin MathiIde<br />

von Tuscien, war eine der gelehrtesten und besuchtesten von Oberitalien, auch<br />

ein beliebter Rastort von Rompilgern 79). In Mantua dagegen wird nur der<br />

Palazzo deI Te ("Al te") erwähnt wegen einer "Kammer" mit eigenartiger<br />

Akustik (NB. auf die heute noch hingewiesen wird). Auch Gadenstedt führt sie<br />

deswegen an und bezeichnender als "CameraJouis auch woll Camera dei giganti".<br />

Keiner von beiden aber bespricht die bedeutende künstlerische Austattung dieses<br />

Sommerschlosses auch nur mit einem Worte. Heute steht der in jenem Gemache<br />

von Giulio Romano gemalte Gigantensturz im Vordergrunde des Interesses.<br />

über Verona erfahren wir gelegentlich dieses ·langen zweiten Aufenthaltes<br />

gar nichts. Beim ersten vom 4. bis 8. Dezember 1598 war August auffallend<br />

mitteilsam und hinsichtlich der antiken Reste auch exakter als Gadenstedt. So<br />

erwähnt nur er den 1805 abgerissenen, aus Resten wiederhergestellten römischen<br />

Bogen der Gavier als "arcum von Vitruvio dem gewaltigen Bawmeister aufgerichtett".<br />

Dieser baugeschichtliche Hinweis ist insofern unrichtig, als dieser<br />

tüchtige, aber sonst unbekannte Baumeister Vitruvius Cordo gehießen hat, immerhin<br />

vielleicht ein Verwandter des aus Verona gebürtigen berühmten Architekturschriftstellers<br />

und Baumeisters des Kaisers Augustus Vitruvius Polio gewesen<br />

ist. Ebenfalls nur der Herzog kannte bereits den heute noch erhaltenen Giardino<br />

Giusti: "Besehen das pallatium Augustini Justi .... Bei d:esem pallatio ist<br />

ein schöner garten." Im übrigen notiert er zum 7. Dezember: "Auf den abendt<br />

gehörett die ordinari Musie inß Grafen Bevelacqua palazzo, daselbst alle vornehme<br />

Meyster in allerley Instrumenthen vnd auch Componisten, auf diesen tag<br />

alle wach pflegen zusammen [zu] kommen, vnd aufs allerbeste Instrumentalem<br />

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vnd vocalem Muslcam zu halten, auf vnkosten obgemeldten GrafenB, dem Jährlich<br />

ettwa ein 500 K[ronen]. darauf gehen. Im gemach seindt abcontrafehtett vielJe<br />

vornehme berumbte Musici et Musicae." Von einer gesellschaftlichen Beziehung<br />

zu dem Hause Bevilacqua ist im übrigen nicht die Rede. Der Herzog hat sich<br />

in reiferen Jahren selbst als Musikliebhaber anregend erw:esen, wie er denn<br />

scho!1 auf der Hinreise nach Italien in der Schloßkapelle zu Günzburg an der<br />

Donau ein kompliziertes "Positiff' angemerkt hatte und darauf im Mailänder<br />

Anr.unziatenkloster eine Nonne so schön hatte singen bören, daß es "fast vngläublich<br />

vnd nicht genugsam kan gesagt werden im Colleriren, wie dan<br />

auch im mordieren" (=triIlern). - Von Verona aus wurde am 26. August 1600<br />

möglichst direkt der Rückweg gesucht über Ala, Bozen, den Brenner, Partenkirchen.<br />

Donauwörth, Koburg, durch Thilringen, um den Ostrand des Harzes<br />

und durch Magdeburg. Schon am 20. September wurde Lilchow im väterlichen<br />

Herrschaftsbereich Herzog Augusts erreicht.<br />

Reisebekanntschaften werden im Gegensatze zu Gadenstedt nur ganz selten<br />

erwähnt. Vielleicht hat auch der Gubernator absichtlich Distanz gehalten. Wir<br />

erfahren immerhin, daß der Herzog am <strong>3.</strong> März 1600 mit einem Markgrafen<br />

in Neapel die Stadtgegend der Chiaia durchwandert hat, wohl derselbe Markgraf,<br />

dessen Ankunft und Abreise in Verona er am 10. und 12. Dezember 1600<br />

einträgt; ferner, daß er in Rom am 8. Juni 1600 "beym H. von Wirten berg gewesen"'<br />

sei. Gemeint ist da der im Jahre 1582 geborene Herzog Johann Friedrich<br />

von Württemberg 80). Auf der Rückreise in Thüringen wurde ein "Graff Ca rU<br />

von Schwartzburg" aufgesucht. Das ist der ganze im Reisetagebuch erwähnte<br />

,und dazu sehr flüchtige Verkehr. Augusts Notizbedürfnis beschränkt sich also in<br />

dieser Beziehung auf Standesgenossen. So sah er denn auch nur als unbeteiligter<br />

Zuschauer am 20. November 1598 in Mailand den festlichen Einzug der Braut<br />

König PhiIipps III. von Spanien, des durch einen Vizekönig vertretenen Herrn<br />

des Herzogtums MaiIand. Sie war eine Schwester des späteren Kaisers Ferdinand<br />

H. und wäre, bemerkt das Tagebuch, eingeritten unter einem "Baldachin,<br />

begleitet vom Kardinal Aldobrandini, der Brautmutter und dem Erzherzoge<br />

Albrecht "gantz stadtlich vnd mitt großem Pomp..... Den gantzen abendt<br />

6 stunden in die nacht hatt man hauffen liechter in allen gassen gebrennett, da·<br />

die Königlichen Diener zu thuen gehabtt haben." Es scheint, als sei eben diese<br />

Festlichkeit der Anlaß zu Augusts Abstecher nach Mailand just in diesen Tagen<br />

gewesen, wie denn auch Gadenstedt die Florentiner Hochzeit in seinem Reiseplane<br />

besonders berilcksichtigt hatte. Solche Anlässe zu landesherrlichen Schaustellungen<br />

wurden überall systematisch mit allen Mitteln der Kunst genutzt<br />

zur folgsamen Beeindruckung der entsprechend empfänglich gesinnten Zeitgenossen.<br />

Wie aber der Mailänder Brauteinzug doch nur recht bescheiden gewesen<br />

war gegenüber dem Florentiner, so mußte sich August auch in Florenz<br />

begnügen mit dem höfisch nur mühsam etwas zurechtgebogenen, dafür aber um<br />

so unmittelbarer volkstümlichem Johannisfeste am 1<strong>3.</strong> und 14. Juni 1599. Auch<br />

da noch weniger als in Mailand läBt sich dber eine Hingerissenheit irgend welcher,<br />

zumal ästhetischer Art, des Herzogs, wie sie doch Gadenstedt gelegentlich entschlüpft,<br />

erkennen. Zudem berichtet er weiter von keinerlei sonderlichen Festen<br />

oder Feiern.<br />

Zusammenfassend ist zu sagen: Dasjenige, was von Gadenstedt und Herzog<br />

Augus: an Sachen, Zuständen, Ereignissen und Menschen beachtet wurde, deckt<br />

sich im wesentlichen, eine Erscheinung, die bei Zeitgenossen annähernd gleicher<br />

Bildung und Begabung zwar nicht auffallend, immerhin aber noch gebundener<br />

ist als zu erwarten war. Denn auch das Wie der Betrachtungsweise ist bei den<br />

in hohem Grade gemeinsam, und das ist in diesem Umfange ein Unterscheidungsmerkmal<br />

gegenüber doch noch individualistischer eingestellten Leuten. Gleichwohl<br />

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•<br />

macht sich in dieser Bez:ehung ein Standesunterschied bemerkbar sowie eine gewisse<br />

Verschiedenheit des Temperaments und der Interessen. Gehört das Zurückhaltende.<br />

Abwartende, ja Lauernde und Mißtrauende zu den Kennzeichen seelischer<br />

Haltung des 16. Jahrhunderts überhaupt, - im Gegensatze zu der stürmischen<br />

Mitteilsamkeit der kurz vorhergehenden, an allem Herkommim rüttelnden<br />

Generationen, im Gegensatz auch zu dem zuletzt aufsteigenden, Widerspruch<br />

wie Zweifel gleicherweise nicht länger duldenden, die überlieferte Bildungsmasse<br />

umformend wieder festigenden Barockzeitalter, -<br />

ist dem so, so möchte<br />

des Herzogs gemessene Haltung zwar noch wesentlich der distanzierenden<br />

Mentalität des 16. Jahrhunderts angehören. Es ist dabei allerdings zu berückschtigen,<br />

daß hinter ihm, dem noch in letzter Ausbildung begriffenen Jünglinge,<br />

sein "Gubernator" stand, der vielle:cht seine sowohl angeborene wie anerzogene<br />

kühle Gesinnung noch zu unterstützen für gut gefunden haben mochte<br />

und damit auch die Neigung, das Reisetagebuch bündig und farblos zu halten,<br />

und daß es einem Fürsten aus anspruchsvollem Hause, wenn auch in bescheidener<br />

Stellung, gezieme, sich nicht einmal in seinen Gedanken gehen zu<br />

lassen. Es ist daher aus seinen Äußerungen das Zeitgebundene vom nur standesmäßigen,<br />

fürstlicher Zurückhaltung jederzeit grundsätzlich Eigentümlichen nicht<br />

deutlich unterscheidbar. Bei Gadenstedt ist das dagegen eher möglich und<br />

zumal im Vergleiche mit dem Herzoge. Denn erst dieser Vergleich erweist des<br />

anspruch loseren Edelmannes trotz allen Bindungen uneingeschränktere, unmittelbarere<br />

Aufgeschlossenheit und Mitteilsamkeit, erweist aber auch seinen etwas<br />

geringeren Grad an seelischer Disziplin und geistiger Schulung. Gadenstedt ist<br />

in der vorteilhaften Lage, daß er, bei allem Bewußtsein der Zugehörigkeit zu<br />

einem zwar gehobenen und Distanz haltenden Stande, doch nicht so sehr wie<br />

der Herzog auf entsprechende Ansprüche zu sehen brauchte. Hinzukommen<br />

mag, daß er, um acht wichtigste Lebensjahre reifer als dieser bei Antritt der<br />

Reise, den Gegensatz zwischen Begabung und Konvention bereits in einen erfahrur.gsmäßigen<br />

Ausgleich gebracht hatte, der dem erst zwanzigjährigen Herzoge<br />

naturgemäß noch fehlte. Damit hängt dann zusammen, daß das Wissen<br />

und der Bildungsumfang des durch höfische Erziehung bestimmten Herzogs<br />

ein wenig altklug erscheint gegenüber dem Wissensdurste Gadenstedts. Bei<br />

diesem spürt man, daß er noch ringt und strebt, einer mitgebrachten schwerfälligen<br />

humanistischen Schulung den neu erworbenen Wissensstoff zu amalgamieren.<br />

Das führt indes bereits auf sein wissenschaftliches Reiseergebnis, das hier<br />

noch nicht zu erörtern ist. Hingewiesen sei aber noch einmal auf die große<br />

instinktive Empfänglichkeit des Älteren für die werdenden Bindungen, denen<br />

die Zukunft, das heißt das Barockzeitalter, galt. Gadenstedt erahnt bereits die<br />

ausgreifende imponierende Geste des 17. Jahrhunderts, von der beim Herzoge,<br />

vielleicht auch wegen jugendlicherer Befangenheit, trotz zehn Jahre späterer<br />

Reisezeit, noch nichts zu spüren ist.<br />

• • •<br />

Reiste Herzog August, dem weder Jugend noch die wirtschaftliche Lage<br />

seines Vaters - das Herzogtum Braunschweig- Wolfenbüttel wurde erst<br />

1635 erworben - erheblichen Aufwand gestatteten, etwa nach Art eines wohlhabenden<br />

Reichsfreiherrn, so geht durch die kostspielige Reise des Herzogs<br />

Friedrich von Württemberg, der wir uns nun zuwenden, ein starker höfischer<br />

Zug sowohl hinsichtlich ihrer hastigen wie sehr bald auch geräuschvollen Art.<br />

Da sie, beschrieben von des Herzogs bekanntem Baumeister und Reisebegleiter<br />

Schickhardt, gedruckt vorliegt 81), so dürfen wir uns auch bei ihr möglichst<br />

kurz fassen, haben daneben aber zu berUcksichtigen, daß Verfasser und Reise­<br />

'Unt~nehmer verschiedene Personen sind.<br />

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Herzog Friedrich, geboren 1557, zunächst nur als Erbe der Frankreich benachbarten<br />

Württembergischen Nebenlinie von Mömpelgard aufgewachsen, war<br />

in seiner Bildung erheblich romanischen, insbesondere absolutistischen Einflüssen<br />

ausgesetzt gewesen. Im Stammlande zu Stuttgart im Jahre 1593 zur Regierung<br />

gekommen, suchte er Macht und Herrschaft nach französischem Vorbilde zu<br />

konzentrieren und wurde so in Deutschland der bewußte und rücksichtslose<br />

Vorkämpfer einer ausschließlich vom Herrscher abhängigen Staatsleitung. Das<br />

sind die gleichen machtpolitischen Instinkte, die in Italien, Florenz zumal, bereits<br />

Neues und Dauer Versprechendes geleistet hatten, deren inniges Verwachsensein<br />

mit der abendländischen Kultur im Barock sich ankündigte und von<br />

Gadenstedt schon in vollen Zügen eingesogen worden war. Nach den vorangegangenen<br />

Lockerungen aller formalen Unterlagen dauerhafter politischer,<br />

.sozialer und religiöser Zustände, galt es, wie durch die geistliche Gewalt der<br />

dafür neu geschaffenen Gesellschaft Jesu, so durch die weltlichen Landesherren,<br />

vorweg in Italien Autorität und kollektive staatliche Zucht wieder herzustellen.<br />

Die Mittel dazu sah der Herzog Friedrich vornehmlich mit französiscben Augen.<br />

Er unternahm seine kurze Italienreise überhaupt offenbar, um den eindrucksvollen<br />

Pomp der Eröffnung des Anno Santo 1600 durch den Papst in Rom zu<br />

erleben, eine Geste kirchlicher Beeindruckung durch die Glaubenspropaganda.<br />

Friedrich hat diese Feier seiner aktiv lebhaften und praktischen Natur nach<br />

freilich nur als MaChtfaktor gewertet. Glaubensfragen stand er, wie bereits<br />

mancher auch seiner Standesgenossen, ohne tiefere innere Anteilnahme gegenüber.<br />

Bei dem noch anspruchslosen und eifahrungsarmen Herzoge August waren<br />

ähnliche Anschauungen jedenfalls noch unentwickelt, und ein gläubiger evangelischer<br />

Christ ist er, auch übrigens eine anders geartete Natur, lebenslang geblieben.<br />

Humanistische Interessen, für den lerneifrigen jungen Welfen noch im<br />

Vordergrunde, dienen Friedrich vorwiegend als Herrschaftsmittel und für Organisationszwecke;<br />

auch in Italien spüren wir sie nur in der Peripherie seiner<br />

Umsicht. Seinen tüchtigen Baume:ster Heinrich Schickhardt (1558-1634) nahm<br />

er zu Studienzwecken zwar mit; der aber fand, trotz den Angaben in der Einleitung<br />

der Reisebeschreibung, zu ihnen weit weniger Gelegenheit als ein Jahr<br />

früher, als er auch in Italien gewesen war. Dagegen hat er den Auftrag frisch<br />

und verhältnismäßig vielseitig, ja originell durchgeführt, das Reisetagebuch für<br />

die öffentlichkeit auszuarbeiten. Eben aus diesem geht aber auch das besonders<br />

Eilige der Reise und das demgemäß vielfach OberWichliehe ihrer Eindrücke<br />

hervor. Ihre Form war Sache des Herzogs. Was an Beobachtungen mitgeteilt<br />

wird, entspricht dagegen überwiegend Schickhardts Bildungsinteressen. Der<br />

persönlichen Äußerungsweise des offenherzigen BaukünstIers gemäß ist wohl<br />

auch die unbefangene Mitteilsamkeit in bezug auf allerdings nicht gerade sehr<br />

ungewöhnliche Erlebnisse. .<br />

Die Reise begann - wir datieren wieder durchweg nach dem heutigen,<br />

Gregorianischen Kalender - am 2<strong>3.</strong> November 1599 in Stuttgart. Am 4. Dezember<br />

wird über Splügen Clauen (Chiavenna) erreicht, am 6. Dezember von<br />

Corno her bereits Mailand. Die Rückreise ging am 8. April 1600 von Venedig<br />

über den Brenner, Innsbruck, Füssen, Kempten, den Rhein abwärts bis Mömpelgard<br />

und von da über Straßburg nach Stuttgart, wo die Ankunft am 17. Mai<br />

erfolgte. Meist wurden zwei Mietskutschen und Postpferde benutzt, zuletzt dazu<br />

auch ein Packwagen, denn der Herzog reiste trotz seinem Inkognito - er nannte<br />

sich Junker Fritz von Sponeck - mit noch acht Begleitern, die fast alle als<br />

Edelleute auftraten. Die Gruppe sollte ,als eine Reisegesellschaft gleichgestellter<br />

Standesgenossen gelten. Wiederholt erzählt auch Schickhardt, wie Gadenstedt<br />

nur einmal bei Terracina, von Paß schwierigkeiten. Sie bezogen sich großenteils<br />

auf den Nachweis der Seuchenfreiheit, d:e durch Gutachten vorher passierter<br />

Städte nachgewiesen wurde, natürlich aber auch auf Gepäckdurchsuchung wegen<br />

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Zolls. In der Regel wurden damit verbundene Nöte durch die üblichen Trinkgelder<br />

überwunden. In Rom wurde der mit vier Begleitern um ein:ge Stunden<br />

vorausgeeilte Herzog "durch mittel einer guten Verehrung ohne sondere Verhinderung<br />

bald zu der Porten eingelassen. wir andere aber, d;e wir nicht lust<br />

viel zu verehren hatten, wurden lang vnter dem Thor auffgehaltcn, vnsere<br />

VäIlisser (NB. = Felleisen) unnd Sattel Täschen eröffnet."<br />

Erst in Mailand gönnte man sich eine kurze Rast über zwei Nächte. Etwas<br />

ausführlicher berichtet dort Schickhardt nur über den Bau und die treffliche<br />

Anlage des Ospedale Maggiore, das ja auch Gadenstedt und dem Herzoge August<br />

nicht wenig imponiert hatte, so daß jener dem Schickhardtschen Texte sogar<br />

Einiges wörtlich entlehnt hat. Im Kastell bemerken auch die Württemberger<br />

die drei Kanonen mit dem sächsischen Wappen. Nach Genua geht es über d;e<br />

Certosa, der ein kurzes Lob gespendet wird, und die Stätte der Schlacht von<br />

1525, deren Erinnerung, gewertet als Sieg eines deutschen Kaisers über einen<br />

französischen König, den Herzog Friedrich bcschäft:gt, durch Pavia. 'Hier wird<br />

nur die antike, als solche freilich nicht charakterisierte, auch nicht mit ihrem<br />

. volkstümlichen Namen, Regisole, genannte, 1796 zerstörte bronzene ·Reiterstatue<br />

erwähnt, die auch Gadenstedt beachtet hatte, sowie die Menge von derzeit<br />

noch vorhandenen "hohen Thürn (NB. = Türme) von gebackenen steinen".<br />

Zuletzt durch ·{]en Apennin wird eine Begleitung von sechs Soldaten als Schutz<br />

gegen die Räuber zugezogen. Unterwegs wird unwillig das übermütige Anzünden<br />

von Rohrzäunen durch einen der nächtlichen Kavalkade dienenden<br />

Fackelträger, den "Post jung, ein böser Bub", gerügt. Vor und in Genua imponieren<br />

dem Baumeister die stattlichen Villen und Paläste, er sieht sie zum Teil<br />

nur im Vorübereilen. Indessen wird in Genua doch vom 10. bis 15. Dezember<br />

gerastet und der Herzog läßt hier sein Gefolge, mit Ausnahme nur des Dieners<br />

von einem seiner Hof junker, nach Gefallen eines jeden in Samt und Seide<br />

kleiden. Dann wird noch beschleunigter weiter geeilt, früh morgens auch noch<br />

wiederholt mit Windlichtern, am 18. Dezember über Pisa, wo Schickhardt der<br />

ortsüblichen Meinung widerspricht, der Domturm sei absichtlich schief gebaut,<br />

und das auch bei den Bologneser Türmen nicht gelten läßt. Am 20. Dezember<br />

wird Siena "auH einer wolgepflasterten StraB, welches sonsten in ltaUa außerhalb<br />

deß Großhertzogen Landt nit viel gesehen würdt", verlassen. NaCh "grossem<br />

Regen vnnd Kitzbonen" wurden in der Glocke zu Montefiascone, ähnlich wie<br />

Gadenstedt hier und auch anderswo, "alle trefflich wal Tractirt, ohn angesehen,<br />

daß es vmb Weyhennacht gewesen, neben andern gute gebratene<br />

Lerchen. vnd den aller lieblichsten MuscatelIer, so wir auH der gantzen ra:ß getruncken,<br />

geben hat, gab auch bey ettlichen zimliche gute Reusch." Von Viterbo,<br />

"ein feine alte Statt, dem Cardinal Farnesio gehörig, hat drey schöne springende<br />

Bronnen" wird eben nur dieses mitgeteilt. Gadenstedt sah deren vier. Heute<br />

noch zieren sie die Stadt. Am 24. Dezember langt die Gesellschaft in Rom an.<br />

In Rom nimmt der Herzog mit zwei Begleitern im Bären Quartier, wie fünf<br />

und einen halben Monat spä~er auch Herzog August 82), das übrige Gefolge im<br />

Schwert, wo schon Gadenstedt eingekehrt war. Es scheinen also dieses die besten<br />

Herbergen Roms gewesen zu sein. Heute ist der Bär nur ein bescheidener Gasthof.<br />

Schon am folgenden Weihnachstage hatte der Herzog ein peinliches Erlebnis:<br />

seine Herberge wird durchsucht, angebliGh wegen eines Totschlages. Aber es<br />

sieht fast so aus, als habe man dem Herzoge mit seiner vielleicht auffälligen<br />

Begleitung in ungeschickter We;se nachspüren wollen. Denn andererseits war<br />

weger der Zugkraft des Anno Santo auch der Zuzug von Häretikern nicht mehr<br />

durchaus unwillkommen. Eir:e Bulle hatte die ganze Christenheit nach Rom<br />

eingeladen. Conversionen fanden statt und dem Herzoge Friedrich wurde ein besonderer<br />

Platz zur Teilnahme an der Eröffnungsfeier angewiesen 83). Aber er<br />

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blieb doch nur eine gute Woche in Rom. Am ·Vorabend des 25. Dezember hätte<br />

er wohl noch gerade sein vornehmliches Reiseziel, den Beginn des Jubeljahres<br />

durch Eröffnung der P-orta Santa von St. Peter zum gehörigen Termin erleben<br />

können, der am nächsten Tage der große Segen Urbi et Orbi durch den Papst<br />

zu folgen hatte. Wegen eines Gichtanfalles von Klemens VIII. wurde indessen<br />

der Beginn der Feier auf den 31. Dezember verschoben. Sie und anschließende<br />

Feier'l hat se!bstverständlich auch Schickhardts Beschreibung zu berilcksichtigen.<br />

Für die Stadtbesichtigungen hatte "ihre F. G. e:nen Gutscher, dieselbige alle<br />

Tage in der Statt Rom hin vnd wider zu führen, bestellen lassen, vnd haben<br />

nachfolgende Ort mit fleiß besichtiget", d:e nun Schickhardt in Kürze schildert.<br />

Am gesprächigsten wird er bei der Peterskirche. Ihre Kuppel, d:e zur Zeit<br />

Gadenstedts noch nicht vollendet war, ist fertig, der Rest des Langhauses der alten<br />

Basilika aber steht noch. Schickhardt urteilt, es sei "der Alte Baw, welchen<br />

Constantinu8 Magnus soll haben erbawen lassen, gegen den Newen zu rechen,<br />

ein schlecht vnnd vnansehenlich ding, hat gle:ch wol ettlich schöne Altär vnd<br />

zwo von Metall gegossene Porten ..... Der New Baw aber ... ist ..• auBwendig<br />

nach der rechten Kunst der Architectur an ThOren, Fenstern, 'Columnen vnd Gesimbsen,<br />

gantz schön vnnd zierlich geordnet, auff das allerfleiss:gste gehawen<br />

vnnd versetzt, hat fünff runder Thürn (NB. = Kuppeln), vnter welchen der Mittest<br />

am Höchsten ist. Inwendig diser Kirch seind die Seulen an den Wänden<br />

herumb (NB. = Pilaster) mit ihrem Fr:eß vnd allen Gesimbsen, deßgleichen<br />

ettliche Altär, sampt dem Boden der gantzen Kirch, von eytel gefarhtem<br />

Marmel, gantz fleissig gehawen, wol versetzt vnd sauber gebaliert. Die<br />

Gewölber vber sich seind auch gar kunstlich gemacht, viel vergült vnnd<br />

schön gemahIt, daran man. noch Täglichs arbeitett. Babst Gregorius der Dreyzehend<br />

vnd Bapst Paulus Farnesius der Dritt haben ihre Begräbnussen auch<br />

gantz künstlich von Marmel in diese Kirche machen lassen." Das ist, was<br />

Schickhardt nur über diesen Bau zu sagen weiß. Es mag zum erläuternden Vergleiche<br />

mit Gadenstedts Mitteilung (S. 29 f.) dienen. Diese ist vielseitiger, die<br />

des Baumeisters war sachverständig interess;erter, aber gleichmäßig unbeholfen.<br />

Scheinbar fassungslos mit stereotypen Eigenschaftsworten sich begnügend ist<br />

die Ausdrucksweise bei der. Und dabei ist Schickhardt ein Baumeister von Rang<br />

gewesen, Gadenstedt ein buchgelehrter Edelmann. Beide rangen dennoch mit<br />

dem Worte, um ihre persönlichen Empfindungen sachgemäß auszudrücken.<br />

Schickhardt hat es zwar erreicht, seine künstlerischen Vorstellungen als Architekt<br />

zu verwirklichen; Gadenstedt, doch ein humanistischer Schriftsteller, ist das<br />

Entsprechende mit seInen Gedanken nicht in ähnlichem Grade ,gelungen. Er ist<br />

als Literat unselbständig, ja formlos geblieben. Nur wo es sicht fügt, daß er<br />

einen unmittelbaren Eindruck, ein singuläres Erlebnis mitzuteilen hat, bekommt<br />

seine Ausdrucksweise Wärme und Farbe persönlicher Art. Indessen empfinden<br />

und nutzen beide Deutschen die belebende Wirkung der das Persönlichkeitsgefühl<br />

auch noch unter den neuen Einschnürungen des Jahrhunderts betonenden kilnst­<br />

Ierischen und kulturellen Leistungen des italienischen 16. Jahrhunderts. Demnach<br />

unterläßt der herzogliche Baubeamte Schickhardt nicht, zu erwähnen, der päpstliche<br />

Baumeister Domenico Fontana sei nach dem allgemeines Aufsehen hinterlassenden,<br />

technisch sehr schwierigen Versetzen des Neronischen Obelisken im<br />

Jahre 1586 auf seinen jetzigen Platz vor der Peterskirche zum Ritter geschlagen<br />

und mit einem stattlichen Einkommen begabt worden .<br />

. In den anschließenden, durchweg kurz gehaltenen Nachrichten Schickhardts<br />

sind die bautechnischen zwar die orIginellsten, indessen auch sie noch recht allgemein<br />

ausgedrückt. Unsere Aufgabe erlaubt nicht, uns damit näher zu beschäftigen.<br />

Ebenso haben wir über die Objekte der Besichtigungen kurz hinwegzugehen,<br />

soweit sich nicht zu Gadenstedts Beobachtungen Beziehungen ergeben.<br />

Was da mitgeteilt wird, sind in der Masse Reflexe der üblichen Fremdenführun-<br />

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\ .<br />

gen, denen sich ja schon Gadenstedt angeschlossen hatte, So hat sich denn<br />

auch Schickhardt von dem Führer seines Herzogs manches aufbinden lassen,<br />

zum Beispiel, daß die granitenen, monolithenen Säulenschäfte der Pantheonsvorhalle<br />

"wie man sagt von Stein gegossen" seien, und auch sein Herzog hat in<br />

der Lateranbasilika seine Körpergröße mit dem Maßstabe Christi verglichen, Vom<br />

Baptisterium Konstantins weiß er nur zu berichten, daß darin "der Bapst die<br />

Juden tauffet", Der für seine Zeit künstlerisch vorbildlichen Kirche iI Gesu<br />

widmet er nicht mehr als fünf Zeilen und behauptet fälschlich, sie sei seit 1585<br />

in fünf Jahren "künstlich vnd schön errichtet", Kritischer vielleicht, läßt Gadenstedt<br />

gerade diese Stelle in seiner sonst teilwe!s wörtlich Schickhardts Text entlehnten<br />

Beschreibung von Kirchen fort. Auf "kilnstlich", "schön" und "herrlich"<br />

beschränken sich wiederum die Bewertungen Schickhardts in den Räumen des<br />

Vatikans, worunter er besonders die <strong>Bibliothek</strong> und Michelangelos Sixtinische<br />

Decke nennt, Das Massiv der Engelsburg betrachtet er als Bauingenieur sachverständiger:<br />

"dem jetzigen Kriegswesen aber widerstand zu thun, wer es vii<br />

zu schwach".<br />

Damals stand noch beim Titusbogen der mittelalterliche sogenannte Turm<br />

Virgils (turris cartularia). Schickhardt ließ sich davon eine zu den mittel·<br />

alterlichen Mirabilienüberlieferungen gehörende Zaubergeschichte von dem zum<br />

verliebten Schwarzkünstler gewordenen Vergil erzählen, die ausführlicher Gadenstedt<br />

berichtet. Aber nur dieser nimmt, ohne sein Behagen an der lustigen<br />

Geschichte zu verleugnen, kritisch dazu Stellung und meint, sie sei "ein lecherlicher<br />

possen". Da bricht, lange Jahre nach der Reise, allerdings der überlegsame<br />

Humanist durch. Eingehender ist teilweise die Erwähnung großer Gärten Roms.<br />

Die des Quirinals mit dessenWasserspielereien hat Gadenstedt wie ja so manches<br />

von Schickhardt wörtlich übernommen, doch wohl stets in dem bedenklichen<br />

Gefühl, es nicht besser sagen zu können. Den Bautechniker allein aber interessierte<br />

dort ein Sessel zum Selbstfahren. Schickhardt bemüht sich im übrigen<br />

merklich um die antiken Denkmäler Roms, ohne doch Sonderliches darüber beizubringen.<br />

Die wichtigsten antiken Bauten nennt er, darunter auch Neros Domus<br />

aure':l mit ihren stukierten Gewölben, und zwar als Palast Hadrians, "an welchem<br />

ort noch ettliche schöne Gewölber zu sehen'" Weniger interessieren ihn antike<br />

Skulpturen. So hören wir vom Vatikan nur, es habe dort der "Bapst 'ein Lustgarten<br />

.... mit herrlichen Antiquitelen", darunter "der Lacoon" (so !), und bezüglich<br />

der Villa Medici auf dem Pincio werden wir damit abgespeist, es seien<br />

im Hofe "Antiquileten, davon zu erzehlen zu lang". Die Dioskuren vor dem<br />

Quirinal werden ohne Namen angeführt als "zween vberauß gros se 'Nackende<br />

Männer, deren jeder auff einem besonderen Postament ein springendt Pferd<br />

bey ihm hat". Sachverständig würdigt er die Schiffsmühlen auf dem Tiber, das<br />

Straßenpflaster von gebackenen oder anderen Steinen, "alles in angerürtem<br />

(NB. = betonartigem) Zeug, wie eine Mauer versetzt". Trotz den Wasserleitungen<br />

und ihren vielen schönen "Röhrbrunnen" würde das Tiberwasser als das gesundeste<br />

bevorzugt zum Trinken und Kochen. Zuletzt meint er, Männer und<br />

Weiber Roms seien meist lang, stark und gerade,<br />

Der Rückweg Herzog Friedrichs nach Deutschland wurde vermutlich am<br />

2. Januar 1600 angetreten und über Spoleto (4. Januar), Loreto, Ancona, Urbino,<br />

Ravenna zunächst nach Bologna gewählt. Ein Abstecher führte von da über<br />

Florenz und Lucca bis nach Livorno. In einem Apennincndorfe bei Serravallc,<br />

"Valchimara", hörten die Reisenden auch hier von dem früher durch Sixtus V.<br />

(1585-1590) unterdrückten Banditenwesen recht drastisch: "Deß Wirts Bruder<br />

in unser Herberg bekennet vns vngefragt, daß er selber siben Jähr lang mit den<br />

Banditen geritten, auch Drey Fürnehmer Capiteine ermorden heIffen, damit er<br />

vns gleichwol so gar hoch nicht erfrewet hat." Ganz so Grausliches, das immer-<br />

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hin von Aufschneiderei nicht frei gewesen sein wird, weiß Gadenstedt nicbt mitzuteilen.<br />

Allerdings hatte das Banditenunwesen unter Papst Klemens VIII.<br />

(1592-16C5) wieder beträchtlich zugenommen 8i). Sonst war begreiflicherweise<br />

gelegentlich dieses winterlichen Durche:lens wenig zu beoba'chten gewesen.<br />

Vom berühmten Herzogspalaste in Urbino zum Beisp:el heißt es daher nur, er<br />

sei "von aussen eines schlechten (NB. = schlich:en) Ansehens, hat aber inwendig<br />

viI schöne mit Tapecerey wol gezierte Gemach". In Bologna war man am<br />

16. Januar bei Regen und Schnee und raste~e drei volle Tage nach der beschwerlichen<br />

Reise. Gleich Gadenstedt trägt sich auch der Herzog Friedrich in die<br />

Universitätsmatrikel ein, wozu Schickhardt, anders als Gadenstedt, einiges nur<br />

Allgemeine auch über eine durch "besondere Newe Privileglis" gehobene Spannung<br />

mit deutschen Studenten zu sagen weiß. Der päpstliche Kardinallegat<br />

Montalto als oberster Regierungsleiter bemühte sich umsonst, den Herzog aus<br />

seinem Inkognito heraus zu locken und als Gast zu bewirten. Sollte das mit der<br />

Affäre im römischen Bärenwirtshause zusammenhingen? Jedenfalls war das<br />

Inkognito immer durchsichtiger, immer lässiger gehandhabt worden. Das letzte<br />

Nachtquartier vor Florenz wird am 21. Januar in der "Herberg bei Bratelino" bezogen,<br />

um das jener Zeit modernste Lustschloß der Medizeer auf einer Vorhöhe<br />

des Apennin nördlich von Fie ;ole, Pratolino, mit seinen mannigfaltigen Gartenanlagen<br />

ausgiebig zu besichtigen. Schickhardts lange Beschreibung dieser Villa<br />

hat Gadenstedt, wie \\;ir bereits wissen (Seite 22), fast unverändert übernommen.<br />

In Florenz blieb der Herzog bis zum 2<strong>3.</strong> Januar, er selbst in der Herberge<br />

zur Krone, wo auch Gadenstedt abgestiegen war, seine Begleitung im Schwarzen<br />

Adler. Auch hier wurde das Inkognito nicht mehr streng gewahrt. Schickhardt<br />

mit seinem scharfen Auge für technische Qualität lobt vorweg "schöne, weitte<br />

Gassen, welche alle rein unnd sauber gehalten werden, vnnd seind gemeinglich<br />

alle Häuser groß vnd hoch, von schönem saubern Steinwerck." Teilweis sehr<br />

rasch geht er dann wieder über Einzelheiten hinweg, dagegen berichtet er mit<br />

Stolz von einer persönlichen Begegnung mit dem berühmtesten Bildhauer se:ner<br />

Zeit, dessen Wohnhaus schon Herzog August besichtigt hatte und dessen Würdigung<br />

Gadenstedt dem Texte Schickhardts entlehnt hat. Schickhardts Begegnung<br />

war in der Kirche der Annunziata: "An dise Kirch hat der kunstreich BiIdhawer<br />

Johan de Bolonia ein schöne, wolgezierte Cape1l 85 ) auff se:nen kosten erbawen<br />

lassen, in welche er selbsten den Wolff Gansen 86) vnnd mich geführet, die ist<br />

in Warheit wol für ein Kunst Stück zu rhümen." Gadenstedt übernahm von<br />

Schickhardt in der Hauptsache hier d:e Schilderung des Pittipalastes und des<br />

Findelhauses (Ospedale degli Innocenti), sowie manches über den Palazzo<br />

Vecchio, damals noch die eigentliche Residenz des Großherzogs, vordem das<br />

Rathaus von Florenz. Gadenstedt, der überall sich für Krankenhäuser interessiert,<br />

bringt dagegen nichts über das damalige Florentiner Spital gegen die Franzosenkrankheit.<br />

Die Kranken hätten darin, stellt Schickhardt fest, - und ähnlich<br />

scheint der Eindruck aller Krankenhäuser auf unsere drei Reisenden gewesen zu<br />

sein, - "ihre eigene Doctores, Apotecker vnd Balbierer, auch gute Pflag vnd<br />

Wahrt. Wiewol nun alles darinnen souil müglich re:n vnd sauber gehalten<br />

würdt, so ist es doch ein erbärmlicher Jamer anzusehen, so in grosser Anzal<br />

finden sich die Krancken daselbst." Der geme:nsamen Beachtung unserer Gewährsmänner<br />

von Krankenhäusern, zumal bei Gadenstedt auffällig, hat offenbar<br />

gesteigerte Bewertung ihrer Zeit für sachgemäße Krankenpflege entsprochen. -<br />

Auch die Florentiner Zwinger mit seltenen wilden Tieren, die ja schon auf<br />

Gadenstedt großen Eindruck gemacht hatten, werden gewürdigt.<br />

Am letzten Abende seines Florentiner Aufenthaltes gab Herzog Friedrich ein.<br />

Abschiedsbankett, an dem unter anderen deutschen Reisenden des Hochadels<br />

auch der Fürst Ludwig von Anhalt teilnahm, derselbe, dessen Bruder Christian<br />

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Barthold von Gadenstedt in Neapel kennen gelernt hatte (s. S. 38). Erst 21 Jahre<br />

alt, zeigte Ludwig bereits tätiges Interesse für Bildungsaufgaben. Er wurde<br />

7 Monate spä!er Mitglied der Academia della Crusca in Florenz und gründete<br />

nach deren italienischem Vorbilde zur Pflege der in arger Verwilderung begriffenen<br />

deutschen Sprache im Jahre 1617 die erfolgreiche Fruchtbringende Gesellschaft<br />

87 ), deren willkommenes Mitglied später auch Herzog August von Wolfenbüttel<br />

wurde. - Die Weiterreise ging nach Pisa und Livorno, führte dann<br />

über Lucca, Pistoja und Prato durch den Apennin, wo wieder der Weg der Herreise<br />

über die Osteria nu ova bis Bologna benutzt wurde. In Pisa gab der<br />

Herzog vollends sein Inkognito auf und besuchte offiziell den dort residierenden<br />

Medizeischen Prinzen. In Livorno wurde er dazu vom Großherzoge selbst<br />

empfangen und nahm teil an einem ihm zu Ehren veranstalteten Flottenmanöver.<br />

Bei dieser Gelegenheit geht auch Schickhardt gleich Gadenstedt auf die großenteils<br />

aus Türkensklaven bestehenden Galeerenruderer näher ein und überdies auf<br />

ihre Fronarbeit als Maurer, deren die planmäßige Ausgestaltung Livornos als<br />

Haupthandelsstadt des Großherzogturns Toskana dringend bedurfte. Gadenstedts<br />

Text (vergl. S. 36) hat zwar übereinstimmungen mit Schickhardt, beruht<br />

aber durchaus auf eigenem Erlebnis. Der Rückweg durch den Apennin wurde<br />

wegen tiefen Schnees sehr beschwerlich. Vom 1. bis zum 4. Februar wurde<br />

der Reisetrupp infolgedessen in dem Gebirgsdorfe Loiano festgehalten, wo auch<br />

Herzog August ein Wirtshaus "Zur Kronen" erwähnt. Am übelsten scheint es<br />

im nächsten Nachtquartier, der "Hosteria nomi" gewesen zu se:n. Den Herzog<br />

ärgerten dazu "Polacken", aber er tröstete sich "mit dem lieblichen MuscatelIer<br />

als Schlaff trunk". Trotzdem bekam ihm diese winterliche Gebirgsdurchquerung<br />

übel, und es war nicht tröstlich, daß am folgenden Tage in Bologna ein "Bandit<br />

von der Osteria nuova gehenkt wurde. Dieser Tag, der 6. Februar, war auch<br />

schon wieder der der Weiterreise, nach nur einer übernachtung in Bologna,.<br />

Bei Regen und Schnee kam der Herzog am 7. Februar krank in Ferrara an.<br />

Hier mußte er deshalb seine Genesung abwarten und bis zum 2. März Eegen<br />

bleiben, und zwar in der uns durch Gadenstedt auch schon bekannten stattlichen<br />

Herberge Zum Engel. Das Herzogtum Ferrara war inzwischen (s. S. 18) an den<br />

Kirchcr:staat durch den Tod des Herzogs Alfons 11. als erledigtes Lehn gefallen.<br />

Der es nun verwaltende Kardinallegat bemühte sich auf Weisung Roms, jedoch<br />

vergeblich, dem leidenden Herzoge, dem sein Inkognito nichts mehr nutzte, Aufenthalt<br />

im Schlosse anzubieten, nötigte ihm aber immerhin allerhand W"hnbequemlichkeit<br />

auf, ein reiches Bett und Wein, auch gestattete er ihm Fleischkost<br />

in der Fastenzeit. Was Schickhardt über Sehenswürdigkeiten Ferraras beibringt,<br />

die er ja Muße hatte zu studieren, ist verhältnismäßig dürftig. Dazu<br />

erzählt er von Fastnachtsvergnügungen : "Kurtzweil mit Gutsehen", Maskeraden<br />

und Komödien, ohne freilich diese im Einzelnen zu nennen oder zu beschreiben.<br />

Auf zwei Schiffen "mit Stuben unnd Kammer", d:e der Herzog Vincenz von<br />

Mantua geschickt hatte und denen sich schließlich auch noch dessen Le;barzt zugesellte,<br />

wurde endlich auf Po und Mincio weiter gereist und in ~antua am<br />

4. März gelandet. Hier waren die Württemberger offiziell Gäste im Schl


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gehandelt hat, also um eine Art von Ausstattungsoper. Ihr Eindruck war offensichtlich<br />

ein ähnlich überwältigender, wie ihn im tiefsten Sinne Gadenstedt zu<br />

Florenz erlebt hatte. Herzog Vincenz war ein großzügiger Förderer des italienischen<br />

Opernwesens und als Gatte einer Medizeerin - in Florenz hatte ihn<br />

daher Gadenstedt auch kennen ge:ernt - bestrebt, es dem Florentiner Vorbilde<br />

gleich zu tun.<br />

Nur die bei den Herzöge, ohne Gefolge, besuchten in Mantua auch "der<br />

Alchimisten Laboratorium, in welchem meinem gnädigsten Fürsten vnd Herrn<br />

etwas seltzams verehrt worden." Schickhardt als Bauingenieur interessiert sich<br />

dagegen persönlich für. die noch heute sehr merkwürdige Mühlenbrücke mit<br />

damalf> dreizehn Mühlen, "auß welchen der Hertzog des jahrs 40000 Cronen<br />

Einkommens haben soll." Ausführlich geht er ferner ein auf das Residenzschloß.<br />

die sehr umfangreiche Reggia, ohne daß seine Angaben auch über die<br />

Kunstkammer 88) sich wesentlich von denen Gadenstedts unterschieden. ebensowenig<br />

die über den Palazzo deI Te vor der Stadt, wo auch Schickhardt erstaunt<br />

nur näher eingeht auf die sonderbare Akustik und nicht d:e Fresken des<br />

Gigantensaales. - Die Weiterreise, wieder bei Regen und Schnee, geschah über<br />

Verona, Vicenza und Padua.. Aus den wenigen und konventionellen Beobachtungen<br />

lugt doch auch hie und da der interessierte Architekt, und in<br />

Pad:n meinte der Herzog beim Besuche vom ,,Rhathauss", dem Palazzo della<br />

Ragione, daß "der. gewaltig vbermässig große Saal in disem Palatio dem<br />

schünen grossen Saal in dem newen Lusthauß im Fürstlichen Garten zu<br />

Stuttgarten an der gJ;össe, jedoch nicht an der schöne vmb ettwas wenig vbertreffen<br />

möchte", Er ließ ihn daher ausmessen, worauf auch Gadenstedt hinweist<br />

und die gewonnenen Maße übernimmt. Dies ist eine der ganz seltenen<br />

Stellen. wo unsere nordischen Reisenden eine Art von ästhetischer Kritik äußern,<br />

und hier sogar zugunsten eines in der Tat sehr gelungenen heimischen Bauwerkes.<br />

- Eine erwünschte Ergänzung zu Gadenstedts Bemerkungen über<br />

italienische Universitäten erhalten wir für das "Collegium" (Abb. 11) in Padua:<br />

"Dasselbig ist in d:e Vierung gebawen, hatte in der Mitt ein lustigen Hoff mit<br />

zweyen schönen Gängen vbereinander vmbgeben, hat kein andere wohnung<br />

dann allein für den Pedellen, sonst ist der gantz Baw zu Auditorien gerichtet,<br />

Ein Newer Professor hat ebendazumal sein Erste Lection darinnen geth?ln,<br />

welcher von den Studenten zum offtermalen außgepfeiffet, geklopfett vnnd<br />

gerauschet worden, wie FreundtIich er sie auch gebetten, sie wolten doch das<br />

Erste mal seiner verschonen." Derartige Szenen mag auch Gaden'stedt erlebt<br />

haben, teilt aber dergleichen nicht mit: Der Herzog Friedrich von Württemberg<br />

schrieb sich "auff der Teutschen Nation vntertheniges begeren mit eignen Händen<br />

in ihr Matrioul, vnnd liessen dem Wirth zum Stern das Wapen zur gedächtnuß<br />

mahlen", ebenso später dem deutschen Wirte in Mestre, bei dem er Oleinen<br />

Trunck gethan", dieselbe Erkenntlichkeit, der wir bereits bei Gadenstedt (S. 10)<br />

begegnet sind. Zur Tafel lud der Herzog einen Grafen Albrecht von Hanau und<br />

Gadenstedts Paduaner Hausgenossen "Sebastian von Rumrot, einen Teutschen<br />

vom Adel", der inzwischen eine mit der Universität in Beziehung stehende<br />

Lebensstellung gefunden haben mochte.<br />

Vom 18. März bis zum 8. April hielt man sich in Venedig auf. Schickhardts<br />

Mitteilungen über Einzelhe:ten fallen auch hier wieder durch ihren recht<br />

persönlichen Charakter, durch lebhafte Eindrucksfähigkeit auf, geben fast<br />

mehr Zuständliches als Gegenständliches. Indessen erfahren wir doch über das<br />

große deutsche Kaufhaus, den Fondaco dei Tedeschi ein paar hingeworfene<br />

bauliche Angaben, während Gadenstedt zu sagen weiß, es seien "ausen darhan<br />

22 kramladen" und im Innern "in die 200 Kammern oder losamenterr, die die<br />

Teutschen Inn haben vnd Ihren handeIl vnd wandeIl mit kaufen und verkaufen<br />

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treibenn." Näher geht Schickhardt auf die deutsche Nationalkirche S. Bartholomeo<br />

ein und erwähnt ihren Altar, "welchen der kunstreiche vnnd Hochberhümbte<br />

Maler Albrecht Dürer von Nürnberg gemahlet hat, würdt wegen<br />

der Kunst in sehr grossen Ehren vnnd Werth gehalten." Es ist dieses das sogenannte<br />

Rosenkranzfest. Bereits im Jahre 1606 wurde die Kaufmannschaft<br />

genötigt, es an den sammeleifrigen Kaiser Rudolf 11. nach Prag zu verkaufen.<br />

üblicherweise besuchte auch der Herzog die Glashütten Muranos, wo immer<br />

noch Festung und Orgel aus Glas zu bewundern waren, und auf dem Wege dahin<br />

die Capella EmiIiana der Friedhofskirche 5t. Micheie. Friedrich hatte sich zu<br />

Venedig mit drei Begleitern privatim einquartiert "bey Hieronymo Otten ....<br />

weIcher, ob er wol sonsten kein Wirth, sonder ein Vornehmer Mann eines ,grossen<br />

Vermögens ist, .... hat er Ihre Fürstliche Gnaden gutwillig aufzunemmen sich<br />

erbotten." Die deutsche Familie Ott stammte aus Innsbruck oder Augsburg und<br />

war im Dienste der Fugger hochgekommen. Im Jahre 1600 und· öfter war<br />

Hieronymus einer der bei den Vorsteher der deutschen Kaufmannschaft Venedigs<br />

89). Auf der Weiterreise nach Treviso wurde auch in der Villa des Hieronymus<br />

eingekehrt. Dieser wie sein Bruder Marx wurde mit einer "schönen güldenen<br />

Ketten sampt anhangendem ihrer F. Gn. Bildtnuß, in Gold vnnd Edelgestein<br />

gefaßt", zum Abschied beschenkt, ebenso ein venetian:scher Komponist<br />

und der mantuanische Hofarzt. Nach einem abschließenden offiz:ellen Besuche<br />

beim Dogen wurde über Treviso, Bassano, Trient und den Brenner Deutschland<br />

wieder erreicht.<br />

Wir erweitern nun Seite 56/7 Gesagtes. Die Gleichartigkeit des Sehens und<br />

des Interesses ist bei den drei durchgesprochenen Re:scberichten zwar eine große,<br />

aber doch nicht ungewöhnlich infolge der konventionellen Schranken, in welche<br />

auch diese Kulturphase ihre Menschen gezwungen und ihren Individuen nicht<br />

nur erheblich weniger Freiheit der persönlichen Äußerung erlaubt hatte, als etwa<br />

die Generationen um das Jahr 1800 genossen, ihnen aber doch die gläub:ge<br />

Selbstverständlichkeit mittelalterlicher seelischer Einhegung nicht wieder verschaffen<br />

konnte. Ist für die ganz ungebundenen Meinungsäußerungen der letzten<br />

Vergangenheit seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ein immer schrilleres<br />

Durcheinander charakteristisch, - das allerdings, wenn man wfII, konventionell<br />

ebenfalls genannt werden kann, - so zeigt die Epoche Gadenstedts in ihren<br />

kulturellen Bestrebungen nach der voraufgegangenen Fessellosigkeit der Geister<br />

wieder ein gedämpftes, ja dumpfes Unisono, dem freilich ausgleichend und entsprechend<br />

kontrastreich ein um so lauter und derber erscheinendes, ganz unrationalistisches<br />

Triebleben d:e Wage hält. Unmerklich fast ist dieses in dem<br />

Tagebuche des Herzogs August. Erwllrmender schon schimmert es durcb bei<br />

Gader.stedt; herrschend fast tritt es uns in der Reise der Württcmberger entgegen.<br />

Es ist der Machttrieb, der zwar stets unbändig sich regt, aber damals<br />

konzentriert und daher um so eindrucksvoller wirksam war, wo 'ihm das Be-<br />

• dürfnis nach neuen Konsolidierungen, neuen soz:alen und staatlichen Ordnungen<br />

anspornend entgegenkam. Seinem Zauber hatte Gadenstedt zumal in Florenz<br />

sich hingegeben. Den Württemberger erfüllte er. von vornherein. Wir wissen<br />

das zwar ohne weiteres aus der Geschichte des Herzogs. Der Machthunger<br />

erscheint aber auch unverkennbar im Zweck und Rhythmus seiner neise. Die<br />

Eröffnung des Jubeljahres 1600 in Rom in knapp bemessener Reisespanne noch<br />

rechtzeitig zu erleben, und zwar durch einen Fürsten, der, an sich konfess:onell<br />

indifferent, doch eine tatkräftige Rolle unter den protestantischen deutschen<br />

Reichsständen gespielt hat, das hat ZW3r zeitgemäß an sich etwas gleich sehr<br />

unverbindlich Individuelles w:e Gebieteri~ches. Der Herzog zeigt sich so aber<br />

auch in der Art, wie er seine Stellung zur Geltung bringt, und zwar nicht nur<br />

entgegenkommend wie in Toskana, Mantua und Venedig, sondern auch abwehrend<br />

gegenüber dem Werben der Kurie in Bologna und Ferrara. 'Denn deren<br />

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Klugheit war die religionspolitische Gegnerschaft Friedrichs schwerlich unbekannt<br />

geblieben, wenn diese auch erst nach seinem Tode ihr Ziel in der protestantischen<br />

Union erreicht hat. Er durfte sich diese Haltung im Kirchenstaate<br />

erlauben. Gegen die von Gadenstedt zwölf Jahre früher noch so gefürchtete<br />

Inquisition war er allein schon durch seine Stellung als deutscher ReichsfOrst<br />

gefeit, ganz abgesehen davon, daß bereits die Zeit begann, wo protestantische<br />

Rombesucher erhöhten Ansehens gar nicht ungern aus kirchlichen Propagandagründen<br />

gesehen wurden. Herzog August, von Haus aus überzeugter Lutheraner,<br />

ließ Jahrzehnte später von Wolfenbüttel aus Beziehungen anknüpfen, die im<br />

Jahre 1651 zur Bekanntschaft des Helmstedter Professors der Theologie, Friedrich<br />

Ulrich Calixt, Gesinnungsnachfolgers seines versöhnlichen Vaters Georg Calixt,<br />

mit dem bekannten gelehrten Jesuitenpater Aihanasius Kircher in Rom gefOhrt<br />

hat. Schon ein Jahr früher war Herzog Johann Friedrich von Hannover in Rom<br />

unter Mitwirkung des konvertierten römischen Geistlichen Lukas Holste aus<br />

Hamburg katholisch geworden. Kircher hat denn auch Herzog Augusts jüngsten<br />

Sohn Ferdinand Albrecht auf dessen Italienreise in Rom 1663 lehrend und<br />

deutend begleitet und ihm wohl den einstündigen Besuch beim Papste Alexander<br />

VII., Chigi, vermittelt. Laut eigener Schilderung Ferdinand Albrechts "war<br />

der Wunderliche (NB. = Name des Herzogs als Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft)<br />

bey dem Pabst Alexandro Vll. und dessen Vetter Cardinal Patron<br />

Flavio Guisi (NB. Flavio Chigi war der Cardinalnepot) heimlich zur verhör, weil<br />

ohne Ruhm des Wunderlichen Herr Vatter der Befreyende (NB. = Name Herzog<br />

Augusts in der Fruchtbringenden Gesellschaft) von Ihnen hoch gehalten ward 90),<br />

wie Er dann in einem verdeckten Umbgang mit dem Pabst übel: eine Stunde<br />

spatziren gangen und von vielen wichtigen Sachen so geist als Weltlichen mit<br />

Ihme geredet, und ließ er (NB. der Papst) sich von unterschiedlichen Glaubenssachen<br />

sehr gutte Evangelisch heraus;" 91) das wäre denn vielleicht ein freilich<br />

erfolgloser Versuch gewesen, dem von Natur krankhaft eigensinnigen jungen<br />

Welfen den übertritt zu erleichtern. Welch eine Veränderung seit den fast verstohlenen<br />

Rombesuchen Gadenstedts und auch noch des Herzogs August!<br />

Dem absoluten Herrschaftsanspruche der Fürsten der Barockzeit steht das<br />

Abhängigkeitsgefühl der Bevölkerung, der Untertanen, wie sie nun heißen, gegenüber.<br />

Bei Schickhardt, dem herzoglichen Beamten, sind die dementsprechenden<br />

Ausdrücke unbedingter Ergebenheit bereits völlig entwickelt. Aber auch Gadenstedt<br />

gebraucht sie geflissentlich, was um so bemerkenswerter ist, als den<br />

niedersächsischen Adel noch bis in das 17. Jahrhundert ein starkes Selbstgefühl<br />

ausgezeichnet hat 92). Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die endgültige<br />

Redaktion der Gadenstedtschen Handschrift erst dem zweiten Jahrzehnt<br />

des 17. Jahrhunderts angehört, sein gesamter Ton beruht aber doch auf Empfindungen,<br />

die sich schon in Italien ausgelöst hatten. Eben da erkennen wir<br />

den neuen Halt, den das Ende schon des 16. Jahrhunderts nach schweren Krisen<br />

in Italien erreichte, den politischen, kulturellen und künstlerischen, barocken<br />

Absolutismus .als Ergebnis neuen Drängens nach undiskutablen, unbezweifelten<br />

Erlebnisformen, wie sie das Mittelalter in seinen autoritären Glaubensnormen<br />

besessen hatte, und die nun, freilich stark profaniert, eine Regeneration erfuhren.<br />

Die Epoche der humanistischen Verjüngung bis in das 16. Jahrhundert,<br />

auf der Grundlage antiker Vorstellungen, erscheint solchen alt-neuen<br />

Zuständen gegenüber fast nur wie ein Intermezzo, freilich auch ein Schöpfungsakt<br />

von schier beispielloser Wirkung. Ihr überwind er mehr noch als ihr Erbe<br />

ist das Zeitalter des Barock. Die übersteigerungssucht barocker Kultur gegenüber<br />

jeder überlieferung erscheint dabei freilich wie eine Maske nicht mehr<br />

ganz aufrichtiger überzeugungen. Der Machthunger beherrscht Glauben und<br />

Wissen. Der Jesuitenorden dient ihm in bei den Richtungen. Aber wie sich die<br />

Wissenschaft nun erst der Natur zu bemächtigen und sie dem Menschen ge,..<br />

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fügig zu machen sucht, drängt sie zugleich den in seiner Selbstverständlichkeit ,<br />

bereits erschütterten Glauben mehr und mehr bei Seite, trotz dem ungeheuren<br />

intellektuellen und künstlerischen Aufwande der Kirche. Als Gadenstedt Italien<br />

bereiste, war er freilich noch zu jung, um sich von dem geheimen Grauen<br />

Rechenschaft zu geben, das auch hinter dem lauten und glänzenden Scheine der<br />

neuen, mehr überredenden als überzeugenden Barockgesinnung lauerte, drohender<br />

lauerte als im übrigen hinter jedem wie auch immer gestalteten Menschenwerke.<br />

Ganz ahnungslos ist aber auch er als früher Zeitgenosse des Barock nicht<br />

geblieben, und im Alter - wir kommen darauf zurück -, hat gerade seine im<br />

Grunde ehrliche,· der Theatralik fremde Natur noch damit gerungen .<br />

• • •<br />

Eine letzte Steigerung barocken Zeremonialwesens läßt die Reise des Bamberger<br />

Fürstbischofs Joh. Gottfried von Aschhausen als kaiserlichen Gesandten<br />

nach Rom im Jahre 1612 gelegentlich des 'Regierungsantritts 'von Kaiser Matthias<br />

erkennen. Trotzdem sie also ziemlich ein Menschenalter später als Gadenstedts<br />

italienischer Aufenthalt vor sich gegangen ist, zeigt sie doch noch dieselbe Art<br />

des Reisens, der Betrachtung und der Interessen, oder vielleicht besser gesagt<br />

zeigt Gadenstedt schon die ihrige. Dieses freilich mit dem Unterschiede, daß<br />

Gadenstedt der Trieb nach Belehrung und humanistischer Weiterbildung nach<br />

Italien gedrängt hat, den Fürstbischof aber eine hochoffizielle Aufgabe, die mit<br />

effektvollstem Aufwande durchzuführen war. über sie liegt daher auch eine<br />

gleichzeitige sozusagen amtliche Beschreibung vor 93), Der BiIdungsstoff Italiens<br />

. galt dem Gesandten neben seinem Auftrage nur mehr als Zeitvertreib. Dennoch<br />

sind der Gemeinsamkeiten recht viele mit Gadenstedts Mitteilungen, noch mehr<br />

erklärlicherweise mit der Romfahrt Herzog Friedrichs. Wurde doch dem Fürstbischofe<br />

in Mantua sogar ebenfalls eine, auch wieder unbenannte, Komödie vorgeführt:<br />

"Die wegen der kunst lichen exhibirten intermedien nit genugsam zu beschreiben,<br />

wie sonderlich in der letzten zweierley musicanten und 12 däntzer<br />

mit vielen andern gleichsamb in den wolckhen unnd lufft frei herschwebenden<br />

personen gesehen word.en." So setzten solche Aufführungen, doch wohl für<br />

italienische Verhältnisse keineswegs mehr konkurrenzloser Art, aucb noch drei·<br />

undzwanzig Jahre nach der unvergleichlichen Vorführung gelegentlich der Florentiner<br />

Hochzeit deutsche Gemüter in größtes Erstaunen. Der Gesandtschaftsreisebericht<br />

enthält auch eine kurze, nur über drei Tage sich erstreckende Führungsdisposition<br />

durch Rom 9.1). Sie läßt erkennen, daß auch Gadenstedt während<br />

seiner wenigen Rasttage mittels eines kundigen Führers das seine Zeitgenossen<br />

in Rom vornehmlich Interessierende hatte besichtigen können.<br />

Nun ist aber der Bamberger Reisebericht keineswegs Aufzeichnung des<br />

Bischofs selbst, obgleich dieser ein Tagebuch geführt haben soll, sondern augenscheinlich<br />

aus seiner Kanzlei hervorgegangen. Er hat also insofern einen dem<br />

Württemberger ähnlichen offiziellen Charakter und entsprechenden Abstand von<br />

Gadenstedts und Herzog Augusts Aufzeichnungen. Seine Mitteilsamkeit ergibt<br />

sich aus den mannigfaltigen Erlebnissen der bunten Zusammensetzung des<br />

fOrstbischöflichen Gefolges und aus dem kaiserlichen Reisezweck. In Rom wird<br />

uns daher der zeremoniöse Pomp barocker Darstellungskunst weitläuftig nahe<br />

gebracht, nicht weniger aber die großenteils' entsprechend formenreiche Geschäftsgebarung,<br />

der kein gleichwertiger Inhalt entsprach. Der Fürstbischof<br />

befleißigte sich neben seiner politischen Aufgabe als Reichsfürst eines ostensiblen<br />

Kirchenbesuches als hoher katholischer Prälat. Er zelebrierte in jeder der sieben<br />

Hauptkirchen eine Messe und besichtigte die angesehensten Reliquien, oft mit<br />

seinem ganzen Gefolge. Würdevoll zur Schau getragene Devotion wurde bei<br />

Geistlichen und Laien ein wesentliches Element barocker Kulturgesinnung. Dies<br />

war das erkältende, rationelle Element der nachrcformatorischen Religiosität,<br />

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welches den mittelalterlichen Besuchern der Kirchen, Stationen und Gnadenstatten<br />

Roms noch fremd geblieben war. Um so begreiflicher ist es, daß gerade auf d:ese<br />

geweihten Orte sich die wenigen vorreformatorischenBerichte von Rombesuchern<br />

beschränken, insbesondere von Pilgern, zu deren kirchlicher Orientierung die<br />

kurzen Romführer des ausgehenden Mittelalters, die Mirabil:a Urbis Romae, gedruckt<br />

worden sind. Eine gewisse Sonderstellung nur unter diesen einseitigen<br />

Nachrichten bilden die gleichfalls auf Rom beschränkten, glaubensfrohen Reiseeindrücke<br />

des Nürnbergers Nikolaus Muffel 95), weil auch sein Reisezweck<br />

ein sehr offizieller, wenn auch keineswegs unKirchlicher gewesen war. Denn er<br />

hatte im Jahre 1452 im Auftrage der Stadt Nürnberg die von dieser gehüteten<br />

Reichskleinodien nach Rom zu geleiten zur Krönung Ka:ser Friedrichs III., der<br />

letzten in Rom vollzogenen. Davon berichtet er indessen nichts, beschre:bt vielmehr<br />

nur ausführlich und aus eigener Anschauung als vö1lig legenderifrommer,<br />

mittelalterlicher Christ die Kirchen Roms und ihre von ihm neid voll bestaunten,<br />

aber auch schon ganz materiell zur Sündenentlastung eingeschätzten Gnadenmittel.<br />

Er ist ein noch reflexionsloser, durch ke:nerlei Widersprüche und Nebenabsichten<br />

unsicher gewordener G:äubiger, schrankenlos sachlich hingegeben, noch<br />

ohne andere ihm mitteilungs wert erscheinende Bedürfnisse ästhetischen Sehens<br />

und intellektuellen Wissens. Ausschließ:ich k:rchliche Devotionalien sind ihm der<br />

Mitteilung wichtig genug, trotz manchen gewiß interessanten Reiseergebnissen,<br />

für die sein Manuskript hinreichend Seiten hatte; sie blieben leer. Rascher erst<br />

seit der Gegenreformation entwickelten sich Ergründungsdurst und Kritik, aber<br />

auch kirchliche und weltliche Propaganda zu Elementen der Reisevoraussetzungen<br />

oder Reiscergebnisse der Nordländer, nun durchweg humanistisch unterbaut. .<br />

Unbeschadet davon werden "freilich weiterhin von Geistlichen und Laien<br />

Pilgerfahrten rein erbaulicher Art durch Italien bis Rom ausgef.~hrt. begreiflicherweise<br />

auch weiterhin fast ohne bemerkenswerten literarischen Niederschlag.<br />

Ihrem Zwecke gemäß hielten sie fest an der mittelalterlichen Tradition kurzfristiger<br />

Reisedauer. Denn sie waren auf ihrem Wege und für einen nur dreitägig(;!1<br />

Aufenthalt in Rom auf Gratisverpflegung und kostenlose Unterkunft<br />

angewiesen, es blieb also keine Muße zu distanzierender. Betrachtung. Eine Ausnahme<br />

bildete die erst 1925 veröffentlichte Pilgerreise des bayerischen Geistlichen<br />

Jakob Rabus zum Jubeljahr 1575 nach Rom 96), der allerdings selbständig auftrat<br />

und mit Geldmitteln für längere Reisedauer versehen war. Sie steht zeitlich<br />

der Reise Gadenstedts nahe und ist ihr daher trotz der konfessionellen Kluft<br />

innerlich verwandt. Denn auch Gadenstedt gibt eine ausführliche Beschreibung<br />

von Gnadenstätten, und Rabus hält nicht nur diese für erwähnenswert. Die Beschreibungen<br />

dieses Priesters sind, seiner guten humanistischen Bildung entsprechend,<br />

im Gegensatze zu den der Absicht nach verwandten, aber sich im<br />

engsten Glaubenskreise haltenden Angaben Muffels, durchsetzt von geschichtlichen<br />

Bemerkungen und Gelegenheitsbeobachtungen. ·Er benutzt, auch darin Gadenstedt<br />

in der Form ähnlich, die gedruckte Literatur, so daß ,gle;cherweise bei ihm das<br />

Entlehnte nicht immer vom Selbstgesehenen unterschieden werden kann. Das<br />

war gemeinsame Literatengewohnheit jener Ze;t. Als ein besonderer Ton durchklingt<br />

seine Darstellung, daß er aufwuchs als Sohn eines protestantiscben Geistlichen<br />

in Straßburg und in Ulm, aber zwanzigjährig übertrat und durch Canisius<br />

und die Ingolstädter Jesuiten weiter geleitet wurde. D:e Parallelen zu Gadenstedt<br />

reichen bei alledem nicht aus, um auf einen Vergleich hier näher einzugehen.<br />

Wenn gegenüber auch diesem wie den anderen Berichten der des<br />

Herzogs August mager und leer ist, so läBt sich das, frühere Auslegungen zusamrr.enfassehd,<br />

auch deuten als sozusagen befangene Verhaltenheit, gemeinsames<br />

Ergebnis einer gewissen natürlichen Anlage wie jugendlicher Unreife und<br />

bedachtsamer Erziehung. Die völlige Verhaltenheit des noch mittelalterlichen<br />

Nürnbergers in bezug auf sich und allen nicht kirchlichen Stoff war unbefangen,<br />

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absichtslos, selbstverständliche <strong>Folge</strong> einer neich durchaus von der überwältigen~<br />

den Weisung Roms auf das Seelenheil beherrschten Gesinnung. Die Hingabe<br />

Muffels an dessen Heilsgüter aber äußert sich entsprechend offenherzig, schranken~<br />

los. Der Württemberger Herzog noch weniger als Gadenstedt und August konnte<br />

dafür noch Teilnahme aufbringen. Der Württemberger dagegen als aufgeklärter<br />

Politiker war allerdings, wie auch sein Reisebericht noch eben durchschimmern<br />

läßt und seine Persönlichkeit an sich nahe legt, für d:e gegenreformatorischen<br />

Geste~ Roms als Machtmittel von Grund aus aufgeschlossen .<br />

• • •<br />

Abb. 7. F 1 0 ren z. erstes Bühnenbild zur Mediceerhochzeit 1589<br />

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D r 1 t t e r A h 8 c h 11 1 t t<br />

Ergebnis<br />

der Reise B. von Gadenstedt's<br />

Bisher haben wir den Weg Gadenstedts verfolgt und, andere Reisende vergleichsweise<br />

heranziehend, herauszustellen versucht, was ihn beeindruckt hat vornehmlich<br />

als Nieuersachsen und als Zeitgenossen der einsetzenden Barockkultur.<br />

- Es war die Zeit dringender Sichtung und Zusammenfassung, freilich auch not-_<br />

wendig gewaltsamer Durchknetung des von Humanismus und Reformation<br />

erarbeiteten, die überlieferten Gestaltungen geistigen und materiellen Lebens<br />

sprengenden nachmittelalterlichen Kulturstoffes. Gadenstedt als Zeitgenosse dieser<br />

Bewegung bemerkte in ihr vorwiegend das Wohltätige: die Rettung von Staat,<br />

Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst aus drohender Anarchie in neue, Pflege und<br />

Halt verbürgende Ordnungen. Sie waren in letzten, ihm verborgen bleibenden<br />

Voraussetzungen, unter formender Mitwirkung des spanisch geschulten Ordens<br />

der Gesellschaft Jesu, überwiegend weltlicher, darum auch rascher wandlungsfähiger<br />

Art gegenüber der geistlichen des derzeit bereits mehr als tausendjährigen<br />

Mittelalters. Gadenstedt hatte während seines volle zwanzig Monate<br />

umfassenden Aufenthaltes in Italien Gelegenheit und Muße gehabt, sich umzusehen<br />

und das Gesehene sich innerlich anzue:gnen. Fleißig und größtenteils<br />

unbefangen hat er sich dem unterzogen. Was 1st nun aus dieser Fülle von neuen<br />

Erfahrungen und Wissensstoffen geworden? Wie und zu welchem Zweck hat<br />

er sie verarbeitet in seinem späteren Manuskript?<br />

Wesentliches konnten wir bereits feststellen durch Vergleich mit den der<br />

seinigen noch zeitgenössischen sowie in Absicht und Auffassung ähnlichen Reisen<br />

der Herzöge August von Braunschweig und Friedrich von Württemberg. Die<br />

übereinstimmungen der geistigen Haltung und des Bclehrungsbedürfnisses sind<br />

bei diesen drei Reisenden so groß, daß typisches, konventionelles Sehen die<br />

individuelle Auseinandersetzung mit dem Geschauten und Erfahrenen überwiegt.<br />

Es ist in dieser Form, keineswegs im Inhalte, gegenüber der kritischer<br />

auf sich selbst angewiesenen Stellung von Angehörigen individualistischer<br />

Epochen, den Führern des 15. und aller Schichten des 19. Jahrhunderts, mittelalterlicher<br />

Gebundenheit und der Reserviertheit des 17. Jahrhunderts wieder und<br />

scho:} näher. Geht man daher mit den Forderungen des 19. Jahrhunderts an die<br />

Bewertung von kulturellen Leistungen nach dem Maßstabe ihrer individuellen<br />

Eigenart heran, so würde man denen der Zeit Gadenstedts ·nicht gerecht. In<br />

ihnen ist das Typische den individuellen Äußerungen in der Regel wesentlich<br />

gleichwertig. Unter solchen Voraussetzungen ist im folgenden Gadenstedt, der<br />

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Reisende und dann der Verfasser eines dickleibigen Werkes, das seinen Kern,<br />

den Reisebericht, fast zugedeckt hat, als gelehrter Ausgestalter seines Reiseergebnisses<br />

zu untersuchen und zu bewerten; als Verfasser also - wir konstatieren<br />

das schon vorwcg - eines für seine Zcit typischen, auf der Basis seiner<br />

Reise aufgebauten Werkes humanistisch-historischer Richtung, einer Topographie<br />

Italiens sozusagen mit hauptsächlich geschichtlichem Material.<br />

Wir müssen uns vorab daran erinnern, daß das Manuskript 695, mit<br />

dem nur äußerlich angehängten Nachtrage über die Fahrt nach Dänemark<br />

698 numerierte Seiten einheitlicher Handschrift und Textform hat, einst etwa 700.<br />

wegen irrtümlicher Paginierung und 2 entfernter Seiten. In ihm erscheint auf<br />

Seite 331, als zur Zeit lebend, der 1612 erwählte, 1619 gestorbene Kaiser Matthias,<br />

"Regirt ahn Itzo", und der im gleichen Jahre zur Reg:erung gekommene<br />

Doge Marcantonio Memmo schon auf Seite 100 des Manuskriptes, obendrein<br />

mit dem Zusatze: "welcher ahnitzo ahm 1615 lJahr] Im regimend Ist". Memmo<br />

starb am 30. Oktober desselben Jahres. Um diese Zeit, erst 1615, ist also diese<br />

TextsteIle geschrieben. Die folgendcn Dogen bis einschließlich des Wahljahres<br />

1625 (im Texte irrtümlich 1624) von Giovanni Cornaro sind am Seitenrande nachträglich<br />

beigefügt. Nachgetragen sind auch der Papst Gregor XV., erwählt<br />

1621 und Urbans VIII. Regierungsantritt 162<strong>3.</strong> Danach hat also Gadenstedt bis<br />

mindestens 1625 seinem Texte gelegentliche Nachträge zugefügt, ihm selbst aber<br />

um 1615 13 ) und wenig später die vorliegende Fassung gegeben.<br />

Die zugrunde liegenden Reiseeindrücke gehen mit ihren sorgfältigen, vereinzelt<br />

vielleicht nur durch einen Schreibfehler irrenden Datierungen ohne Zweifel<br />

auf tagebuchartige Aufzeichnungen zurück. Wahrscheinlich sind sie schon bald<br />

nach der Heimkehr aus der noch frischen Erinnerung ergänzt worden. Denn es ist<br />

anzunehmen, daß die mitgebrachten Anregungen ihn nicht mehr in Ruhe gelassen<br />

haben. Er suchte seine erworbenen Einsichten nach allen Seiten durch<br />

Lektüre einschlägiger Bücher zu vertiefen. So wuchs ihm der Stoff gemach<br />

aus zu dem vorliegenden Werk, offenbar ohne in ihm den erstrebten Abschluß<br />

gefunden zu haben. Denn dieses "Endziel wäre eine von Reisenotizen und zerstückten<br />

Erinnerungen völlig losgelöste Arbeit über Italien gewesen. "Erreicht<br />

wurde aber nur ein eigentümliches Mischprodukt. Der rote Faden des Reisewege:,<br />

wird festgehalten. Ihm gliedern sich mehr oder weniger eingehende. Mitteilur.gen<br />

über die Lage, die Geschichte und den gegenWärtigen, insbesondere<br />

topographischen Zustand der besuchten Orte an. Allgemeinere geographische<br />

und auch staatengeschichtIiche Angaben sind dagegcn vereinzclt. Nur anhangsweise<br />

sind zum Schluß den so besprochenen Gegenden auf nur 46 Folioseiten<br />

viel kürzere Angaben über Orte mehr oder weniger abseits vom italienischen<br />

Reisewege wissenseifriger Besucher hinzugefügt. Sie bilden zwei Gruppen, einmal<br />

die der, wie ausdrücklich hervorgehoben wird, von Rom aus insbesondere von<br />

Pilgern bevorzugten Rückwegstrecke über Spoleto, Loreto, Ancona, Ravenna<br />

nach Venedig. Lobend wird da eingegangen auf die Majolikatöpfereien Faenzas,<br />

unter Bezugnahme auf Angaben Leandro Albertis, und auf den vielgerühmten<br />

WC!'lIfahrtsort Loreto, wo hingewiesen wird auf den PiIgertraktat des Horatius<br />

Tarsellinus in der zu Münster 1603 gedruckten Verdeutschung durch Bernhard<br />

Hugen. Von unseren drei Berichterstattern benutzte diese Strecke Herzog<br />

Friedrich, und auch dieser nur bis Bologna. Ihr wird als zweite Gruppe eine<br />

Auswahl von 14 meist oberitalienischen Städten ergänzend angefügt, darunter<br />

Turin und Genua.<br />

Daraus wäre zu schließen, daß Gadenstedt bis zuletzt die Idee vorgeschwebt<br />

habe, ein allgemeines Auskunftsbuch über Italien, das zugleich als Reisevorbereitung<br />

hätte dienen können, zu schreiben. Etwas Ähnliches, ihm auch<br />

Bekanntes, hatte der gelehrte Dominikaner Leandro Alberti in Bologna bereits<br />

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in der Mitte des 16. Jahrhunderts veröffentlicht, allerdings in gröBerer Beschränkung<br />

zwar nicht des Umfanges, so doch des durchaus beherrschten<br />

Stoffes. Ausdrücklich für Reisezwecke, zunächst für Rombesucher des Jubeljahres<br />

1600, diente das von Gadenstedt für seine Ausarbeitung benutzte itinerarium<br />

Italiae, Wegweiser durch Itaten, von dem Antwerpener Bürgermeister<br />

Franciscus Schottus, ein Buch, das zum ersten Male mehr den Charakter eines<br />

Reisehandbuches als eines Pilgerführers hatte. Wir werden auf beide Veröffentlichungen<br />

zurückkommen. Demgegenüber deutet das nachträgliche Heranziehen<br />

von außerhalb der normalen deutschen Reisewege nach Rom und Neapel liegenden<br />

Orten auf Unschlüssigkeiten bis zuletzt. Das Manuskript ist ohne klare Zweckbestimmung<br />

geblieben, hat den Charakter einer fleißigen, in ihrer ganzen Haltung<br />

unfertigen Dilettantenarbeit n:cht abstreifen können. Aber eben als eine solche,<br />

als Produkt gelehriger und gelehrter Mußestunden eines niedersächsischen Landjunkers<br />

ist sie uns wertvoll.<br />

Gadenstedts Schilderung geht auf diejenigen von ihm durchreisten Orte<br />

näher ein, welche eine greifbare Geschichte bo~en,<br />

und falls er in ihnen Nachtquartier<br />

nahm, jedoch oft auch sonst ist selbständig Beobachtetes bemerkbar. Das<br />

Schema der Stadtbeschreibungen beginnt mit der Lage, geht meist auf eine<br />

Namenserklärung ein und dann auf einige seiner Zeit insbesondere deutschen<br />

Hurr.anistenkreisen wissenswerte geschichtliche Tatsachen, also mit einer gewissen<br />

Bevorzugung solcher der vorchristlichen und der deutsch-römischen<br />

Kaiserzeit. Als Hauptstück kommen dann die topographischen Angaben, vornehmlich<br />

mit Aufzählung der Kirchen und ihrer Merkwürdigkeiten, der Paläste<br />

und was sonst an Bauten oder anderen auffälligen Kulturerscheinungen, zuweilell<br />

auch an Naturmerkwürdigkeiten, vorhanden ist. Von der Bedeutung der<br />

Städte hängt daher der sie betreffende Textumfang ab. Er richtet sich keineswegs<br />

nach der Dauer des Aufenthaltes. Für Padua sind zum Beispiel 26 Seiten nötig<br />

gewesen, für Venedig 75, für Bologna 23, Florenz 20 ohne die besonders behandelte<br />

Hochzeitsfeier von 1589, Pisa 10, Siena 13, Rom trotz dem höchstens<br />

viertägigen Aufenthalte 163, Neapel mit Umgegend 69, Syrakus 2, Malta in<br />

einem besonderen Anhange 20.<br />

Betrachten wir daraufhin die Beschreibung der vier wichtigsten Städte<br />

genauer, eine Ergänzung bietend für den vorweg von uns gebrachten Reisebericht,<br />

der die wissenschaftliche Aufgabe des Manuskriptes nur eben zu streifen hatte,<br />

aber schon die von Gadenstedt fleißig notierten heimatlichen Beziehungen herausgehoben<br />

hat. Nachzuholen hätten wir nun, auf welche Weise er sich an sc:ne<br />

zeitgenössische Literatur anschließt und sie auswertet. Dabei wird es nötig sein,<br />

erweiternd und ergänzend andere Eindrücke der Reise nachzuholen und auf<br />

deren persönlichen Charakter hinzuweisen .<br />

• • •<br />

über Ve ne d i g s Geschichte wird gleich anfangs kurz hinweggegangen: darüber<br />

"kann man vntter andern lesen Marcllm Antontum SabelLicum, Blondium,<br />

desgleichen den monnich fratrem Leandrum Alberlum In beschreibung des<br />

gantzen welschlandes". Sabellicus ist der bekannte, 1436-1506 lebende venetianische<br />

Humanist Marcanton:o Coccio aus Vicovaro bei Rom, nach Venedig<br />

entwichen 1469. Unter seinen zahlreichen Schriften gehören die Rerum Venelarum<br />

hisloriae und De Venelae urbis s:tu libri 1/1 hierher. Mit Blondus ist der<br />

kritisch bahnbrechende, 1463 in Rom verstorbene Flavio Biondo aus Forli gemeint<br />

wegen seines Werkes ltaUa illlls(rala. Wichtig ist er zumaI als erster<br />

sachlich bemühter Topograph Roms. - Weiterhin bringt Gadenstedt Angaben<br />

Ober Lage, Umfang, schönes Äußere, reiche Bewohnerschaft, internationales Treiben.<br />

Auch da wieder wird auf Literatur hingewiesen: "Wie fest vnd vnüberwind-<br />

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lieh diese statt von Natur Ist beide zu wasser vnd lande besiche tractatum Donatl<br />

Gianoti von der venedisehen reg:erung gesprechsweise gestellett, welcher dann<br />

dieses vnd anders von dieser stadtt weitleuftig thutt beschreibenn." Das ist ein<br />

Werk des 1572 verstorbenen Florentiner Sekretärs Donatus Gianotti: D:alogo della<br />

Republica di Venetia. - Daran schI:eßt sich der fast 20 Seiten lange Abschnitt "Von<br />

den vornemesten Kirchen und Klöstern Inwendig vnd außwendig der stadtt."<br />

Nach Erledigung der wichtigsten davon werden d:e übrigen nach den sechs<br />

Stadtteilen, Sestieren, behandelt samt Statistiken fiber ihre Anzahl und die von<br />

Spitälern, Kirchtürmen, "heiligen Cörpern" (wichtigeren Reliquien), Orgeln,<br />

Plätzen, Palästen, Brücken, Brunnen, Denkmälern und dergleichen, "secundum<br />

Megiserum", einem aus Stuttgart gebürtigen Geschichtsschreiber. "Diß sein also<br />

die vornemesten kirchen und klöster Inn vnd vmb der stad Venedig, darinn viel<br />

vornhemer leutte hegraben, dherer Epltaphia vnd grabschrift besiche Laurentium<br />

Scraderum tal. 220 usque tal. 312." Auf diese und andere Quellenhinweise werden<br />

wir später zusammenhängend einzugehen haben. - Nun folgt bei Gadenstedt<br />

ein Hinweis auf d:e sechs reichen Bruderschaften, "scuole", und ihre stattlichen<br />

Versammlungshäuser, darauf was "Von den vornemesten Pallatiis In Venedig<br />

vnd was sonst vornhemlich zu sehenn", beginnend mit dem Dogenpalast, dabei<br />

eine allein 20 Seiten lange Dogenliste, endigend mit dem Arsenal und wieder<br />

einigen statistischen Angaben.<br />

Den Beschluß macht ein Bericht "von den<br />

4 festen vnd pancketen, so der hertzog von Venedig Jerlichen halten muß", nämlich<br />

am Weihnachtstage, am Markustage (25. April), zu Himmelfahrt und am<br />

Tage der Heiligen Vitus und seines Erziehers Modestus (15. Juni). Das erste<br />

und das dritte hat Gadenstedt miterlebt .<br />

• • •<br />

Die erhebliche selbständige Züge aufzeigende Schilderung von F I 0 ren z beginnt<br />

in der üblichen Weise mit Nachrichten über Ursprung, Lage, Namen, Umfang,<br />

Einwohnerzahl und einigem Geschichtlichen, dazu gesellt sich ein auf den<br />

Ursprung von Florenz bezfiglicher Textabschnitt aus des Florentiners Faz:o degli<br />

Ubcrti (1270-1356) noch halb mittelalterlichen, mit Legenden und Sentenzen durchsetzte<br />

m geschichtlichen Lehrgedicht Dittamondo, dem Gadenstedt mit Vorliebe<br />

Ortscharakterisierungen entlehnt. über den Pazziaufstand vom Jahre 1478 bringt<br />

er Einiges nach Angelo Poliziano. Zur Stadtgschichte weist er ,im fibrigen darauf<br />

hin. es habe "einer mitt nhamen Nicolaus Machauellus (NB. = Machiavelli)<br />

secretarius Florentinus ein besonder buchlin In Italianischer sprach außgheen<br />

lasen, welchs woll zu lesenn." Es folgen die Beschreibungen von Kirchen, wobei<br />

auch Brunelleschis und Giottos gedacht wird, sowie Grabschriften bekannter<br />

Leute, auch des Humanistenkreises, außerdem ein Hinweis auf das seltsame<br />

damalige Wahrzeichen von Florenz an der Außenseite der Taufkirche. das phallischer<br />

Form ähnliche offizielle Längenmaß der Stadt. Wahrzeichen, stets sonderbarer<br />

Art, spielten im Wanderwesen seit alters eine Rolle. Gadenstedt erwähnt<br />

sie nur 'gelegentlich, und hier unterläßt er daneben nicht, unter anderen Kunstwerken<br />

dieser schönsten Taufkirche Italiens ihre drei Bronzetüren (mit der Paradiesespforte)<br />

und ihren Meister zu preisen: "Mann will sagen, sie sein gemacht<br />

nach der formen alB die Thueren, welche der koenig Salomon zu Jerusalem für<br />

den Tempell hatt bauen lasenn, daher auch etliche fürgebenn, sie sein von Jerusalem<br />

nach Florentz gebrachtt, aber es Ist glaublicher secundum Leandrll1n<br />

[Alberti], das sie zu Florentz gemacht sein durch den weittberümpten Laurentium<br />

eionem (NB. = Ghiberti) Florentinum, welcher 50 Jhar drueber soll<br />

gemacht habenn. Diese kirche Ist vor zeitten dem gott Marti dedlcirt gewesenn,<br />

Itzo aber Johanni Babtistae, welcher der Florentiner Patron." So dann wird das<br />

Grabdenkmal in dieser Kirche filr Baldassare Cossa mit einigen Worten fiber ihn<br />

als abgesetzten Papst besprochen. Eine abermalige Entlehnung von dem Bap-<br />

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tisterium und dem benachbarten Glockenturm der Kathedrale geltenden Versen<br />

Fazios beendigt die ungewöhnlich ausgedehnte Besprechung dieses Gebäudes.<br />

Im Ganzen wurden zwölf Florentiner Kirchen der Berücksichtigung für hinreichend<br />

gehalten mit dem Zusatz, "dieses sein fast die vornemesten." Es sind<br />

also nur 12 unter, wie Gadenstedt registriert, 32 Pfarrkirchen, 44 Klöstern, 6 Hospitälern<br />

und 6 <strong>Bibliothek</strong>en. Davon werden S. Jacopo in Campo Carbolini und<br />

S. Benedetto heute wenig beachtet, wie denn auch Gadenstedt diese und andere<br />

Kirchen nur wegen einiger Grabinschriften erwähnt. Bei Santa Croce beschränkt<br />

sich der Text darauf zu sagen, ihr Inneres sei "etwas altformischs, sonst Ists<br />

ein gewaltige grose kirche.<br />

Wann man hieneinkompt siehet mann 2 tafeln<br />

herlieh vnd künstlich gemhalett. Alhir ligt begraben Leonardus Aretinus (NB. =<br />

Leonardo Bruni, t 1444, der bekannte Florentiner Kanzler), /fem Georgius Marsupinus<br />

(NB. Amtsnachfolger des vorigen, t 1453), ciu!lis pontificiique Juris consultus."<br />

Ausführlicher wird eingegangen aul S. Lorenzo mit den Gräbern der<br />

Medizeer. Einzelne Kunstwerke werden als solche nicht genannt. Dagegen interessierten<br />

Gadenstedt in der Annunziata d:e leider im 18. Jahrhundert entfernten<br />

wächsernen Votivbildnisse: "In dIeser kirchenn hengen etliche Bäbste, keiser, koenige<br />

vndt anderer vornhemer pershonenn ahn weibern vndt Mennern von wax<br />

gemachtt, welche Inn Ihren noeten die Jungfraue mariam (welche da gezeigett<br />

wird vnd S. Lucas soll gemhalt habenn) haben angeruefenn vnd angebeten, vnd<br />

durch sie .. .. sein errettet worden."<br />

Im nächsten, zwar erheblich durch nachwirkende persönliche Eindrücke belebten,<br />

dennoch wesentliche Anleihen aus Herzog Friedrichs Reise enthaltenden<br />

Abschnitte "von den vornemesten pallatiis In Florentz vnd was sonsten zu<br />

sehenn" nimmt den größ:en Raum ein der damals als Sitz der Landesherren<br />

eingerichtete und daher "pal/atium des Großhertzogen" genannte Palazzo Vecchio<br />

der ehemaligen städtischen Verwaltung. Auch auf sein Inneres wird eingegangen.<br />

"Von ausen aus Ist dieses pal/atium etwas alt anzusehenn, aber Inwendig pass iren<br />

die gemecher, sonderlich dortt, welcher Noua stanza (NB. = neu es Zimmer) genantt<br />

wirdt. . . . . Jegenn diesem pal/aUo vberr (NB. nemIich in der Loggia dei<br />

Lanzi) Ist die teutsche guardia", und auf der mit Standbildern geschmückten<br />

Loggia, das heißt "oben, daruntter diese bilder stehen, hatt der Großhertzog einen<br />

lustgarten vnd wasserwerck hien auf das hoehe gebeude richten lasenn, das es<br />

zu uerwundern." Er hält gelegentlich "aldar tafell. von wegen der gueten khuelen<br />

lum:' - "In dieser Jegent Ist auch des hertzogen kunstkalnmer, die Galleria<br />

genar.dtt." Und nun wird viel ausführlicher auf deren Inhalt eingegangen, als<br />

auf die reiche Ausstattung von Kirchen, denn hIer überwältigt unseren Besucher<br />

die Fülle der Kostbarkeiten als Ausdruck und Symbol der neuen, zeitgemäßen<br />

MachtfülIe des Selbstherrschers. Allerdings wiederholt der Text wieder ganz<br />

überwiegend die DarsteIlung Schickhardts. SIe bewegt sich in AlIgemeinheiten<br />

und mochte eben darum der Erinnerung Gadenstedts entsprechen. Doch stößt<br />

man zwischendurch auf eigene SteIlungnahme: "Alhie Ist auch philippi Melanthonls<br />

(so!) abcontrafeiung vndt bildniB, dessen Ich mich ahn dhem ortt<br />

nicht vermutens"; und wenn aus der Sammlung antiker Skulpturen nur eine<br />

Gruppe herausgegriffen wird, "gleich zu fodderst ligt von Marmelstein ein wild<br />

schwein, bey welchem ein Jäger mitt einem spies stehett, alB begherte ehrs zu<br />

fangenn, Ist gar künstlich gemacht", so glaubt man dahinter den Kenner wild­<br />

. reicher Harzwälder zu spüren. Gemeint ist wohl eine Darstellung Meleagers.<br />

Nirgends kommt Gadenstedt zu differenzierten Urteilen über Werke bildender<br />

Kunst, auch kaum der Architektur. Seine vorhin mitgeteilte Bemerkung über<br />

das Altmodische der Gotik von Santa Croce ist eine Ausnahme. Da fehlt es ihm<br />

fast durchweg an Unterscheidungsbedürfnis; mindestens hat er, der musikalisch<br />

feinfühlige Mann, eine etwa vorhandene ästhetische Anlage dieser Richtung in den<br />

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zeitbedingten Schranken auch in Italien schwerlich weiter entwickelt. Er unterscheidet<br />

sich darin nur gradmäßig, keineswegs grundsätzlich von den Äußerungen<br />

des Architekten Schickhardt. Immerhin ist bei diesem das Sonderinteresse des<br />

Baufachmannes mannigfach, wie wir schon erfuhren, zu spüren, so allgemein<br />

seine seltenen bauästhetischen Angaben - Urteile kann man sie nicht nennen, -<br />

flush bleiben. Mitschuldig an dieser oft so unbeholfenen Ausdrucksweise, wenn<br />

nicht gar Stellungnahme beider Schriftsteller mag der Mangel an Schmiegsamkeit<br />

der damaligen deutschen Sprache sein. S:e war humanistischerseits vernachlässigt<br />

und verbogen, barocken Äußerlichkeiten ausgeliefert ohne Zucht und<br />

Maß, war ungelenk und spröde. Gadenstedts Text ist dafür in jeder Beziehung<br />

aufschlußreich. Dazu ist seine Orthographie geradezu beispiellos willkürlich,<br />

voll barocker Konsonanntenhäufungen und anderer Formlosigkeiten. Wäre aber<br />

jene Ausdruckslosigkeit ästl}etischer Bewertungen etwa nur eine sprachliche<br />

Hilflosigkeit, so deckt sie sich mindestens zufällig mit der auch schon in Italien<br />

verbreiteten spanischen Stauung seelischer Regungen, einer Parallelerscheinung<br />

zu der gezwungenen Haltung manieristischer Kunstwerke.<br />

Es wäre unter allen Umständen falsch, in solchem Versagen nur verlegenen<br />

Bildungsmangel oder gar eine Barbarei gegenüber italienischer Kunstpflege sehen<br />

zu wollen. Keiner unserer drei in Parallele gesetzten deutschen Besucher Italiens<br />

läßt in dieser Beziehung ein Gefühl für Minderwertigkeit ihrer heimatlichen<br />

Kultur erkennen. Eher hat man den Eindruck einer gewissen Gleichgültigkeit<br />

gegenüber gleichzeitigen italienischen Leistungen aus der Annahme wohl von<br />

deren Anderssein, aber nicht Bessersein. Gadenstedt ließ sich zwar willig im<br />

humanistischen Sinne wissenschaftlich durch Italien belehren, ließ sich, im Zusammenhange,<br />

wie wir schon wissen, mit allerdings ästhetischen Erlebnissen,<br />

politisch durch fortschrittlichere Territorialverfassungen bestimmen, fühlte sich<br />

jedoch bei aller unbefangenen Hingabe an das Anderssein der Fremde im Ganzen<br />

den Italienern gegenüber als gleichberechtigt und gleichgesinnt. Daß Derartiges<br />

möglich war trotz der humanistischen Abhängigkeit von der antiken Vergangenheit<br />

Italiens, lag darin, daß diese durchaus nicht im lebendigen Zusammenhange<br />

mit der Gegenwart gesehen zu werden brauchte. Ein so radikaler Humanist und<br />

gewandter Lateiner, wie Nikodemus Frischlin, der zeitweilige braunschweigische<br />

Schul rektor, bekannte im Jahre 1585 mit seinem dramatischen Lehrgedicht<br />

Julius redivivus auf Huttens Spuren mutwillig, die Deutschen seien jetzt politisch<br />

der Römer, das heißt der Italiener Herren und ihnen kulturell ebenbürtig.<br />

Denn Deutschland verdanke die Welt so das Schießpulver wie die Buchdruckerkunst.<br />

Herzog Friedrich von Württemberg durchreiste Italien unter der deutlichen<br />

Voraussetzung, zwar dort durch Sehen und Hören ermuntert zu werden, aber<br />

so, wie man in der Fremde immer innerlich wachsen kann. Es kam ihm auf<br />

Anregungen an, Eigenes bestimmter zu gestalten. Italienischer Sonderart stand<br />

er selbständig gegenüber.<br />

Gadenstedt hatte für solchen Halt hauptSächlich seinen Protestantismus.<br />

Der Gegenreformation, die damals ihre größte Energie entfaltete, stand er verständnislos<br />

gegenüber; eben darum aber auch ihrer Kunst des ausgehenden<br />

Manierismus und beginnenden Barock. Daß er überdies für deren naturalistische<br />

Raffiniertheiten kein Organ besaß, für sie zu gesund und derb war, ist gewiß<br />

kein bedauerlicher Mangel an Kultiviertheit. Entwickelten doch gerade damals<br />

aus der künstlerischen überkultur Italiens Niederlander und der Frankfurter<br />

Adam Elsheimer die sinnvoll stilisierte, heroische Landschaft im Gegensatz zu<br />

der vertieften Naturverbundenheit holländischer Landschafter. übrigens steht<br />

Gadenstedt mit seinem geringen Äußerungsbedürfnis für bildende Kunst keineswegs<br />

allein. Nicht nur Schickhardt teilte es in erheblichem Umfange. Auch<br />

Montaigne 97), alle Besucher Italiens seiner Zeit an Schärfe und Originalität des<br />

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Urteils überragend, beachtete die Kunst seiner Zeit, 1580/81, kaum. Auf<br />

völlige Teilnahmlosigke:t aus solchem Schweigen zu schließen, wäre indessen<br />

voreilig. Es läßt sich schon dadurch erklären, daß d:e Kunst ihrer Gegenwart den<br />

damaligen Reisenden noch als etwas so Selbstverständliches ersch:en, daß an<br />

ihr die Teilnahme in der Regel noch reflexionslos war. Jedenfalls äußerte sich<br />

diese seitens der Deutschen auf musikalischem Gebiete um so lebhafter. Wenn<br />

die Deutschen, darunter Gadenstedt, sich der neuen, zur Oper führenden musikalischen<br />

Theaterkunst der Italiener hemmungslos hingaben, so war das e:ne<br />

Aufgeschlossenheit, die durchaus auf dem Wege der europäischen Musik lag.<br />

Michael Prätorius, nur elf Jahre jünger als Gadenstedt, wirkte in dessen Nähe<br />

als Kapellmeister in Wolfenbüttel. An Musikkultur fehlte es also damals auch<br />

in Deutschland, zumal in Niedersachsen, mit nichten. Daß aber gleichzeitig in<br />

Italien die zunächst zukunftsreichste musikalische Form, die Oper, im Entstehen<br />

war, lag nicht am deutschen Versagen, sondern an den nur in Italien vorhandenen<br />

Vorbedingungen, die insbesondere protestantischen Ländern fehlen mußten, eben<br />

auch aus positiven kulturellen Gegebenheiten, die zunächst andere Aufgaben<br />

stellten. Kurzum, unsere Reisenden hatten Grund, sich den Italienern ebenbürtig<br />

zu fühlen. Kulturgebrechen, die auch sie quälten und für die s:e Abhilfe suchten,<br />

waren Europa gemeinsam. Wirklich für Jahrzehnte in die Hinterhand kam<br />

Deutschland erst durch den Dreißigjährigen Kr:eg, infolge der deutschen schwerfälligen<br />

Gründlichkeit und der wälschen, insbesondere französischen Wendigkeit.<br />

Weit kürzer als Gadenstedts Mitteilungen über den Palazzo Vecch:o in<br />

Florenz sind nun die über den Pittipalast und den Boboligarten, sind aber<br />

weniger abhllngig von Schickhardt. Unter den arideren Palästen we:ß Gadenstedt<br />

von dem der Strozzi nur zu sagen, er sei "ein gewaltIges gebeude, darbei<br />

abzunhemen, was Petrus strozzlus für ein gewaltiger Mann gewesenn, das ehr<br />

sich wieder den hertzogen aufgeworfenn, der meinung, sich zum hertzogen zu<br />

machenn. Dergleichen pallatia hatt er noch mher In der stad gehabtt." Wie<br />

anderwärts wird als etwas imposant Fremdländisches ferner das Florentiner<br />

Findelhaus, Ospedale degli Innocenti, gewürd:gt, freilich im engsten Anschluß an<br />

Schickhardt. An läßlich der Kennzeichnung von v:er Marktplätzen entnimmt er<br />

der Reisebeschreibung Herzog Friedrichs nur, was diese über die erst 1594 aufgestellte<br />

Statue des Großherzogs Cosimo I. von Giovanni da Bologna und über<br />

diesen Künstler bringt. Der große Platz 'vor Santa Croce, sagt ·Gadenstedt, sei<br />

"pusselplatz genennet, darauf die Florentinischen Gentilhuomhi pflegen die borra<br />

zu laufenn, welchs eine lustige kurtzweill. Auch sonsten spectacula drauf gehalten<br />

werdenn" (Abb.6, S.45), wie er selbst gelegentlich der Hochzeit 1589 erlebt<br />

hatte. Gadenstedts persönlicher Liebhaberei entsprach wohl h:er wie in Neapel<br />

ein Besuch des landesherrlichen Marstalles. Er enthal!e "bey 300 schoener außerlesener<br />

hengst vnd p·ferde. 1n diesem stall wh ar ein kleines pferdl:n, hatte<br />

einen schoenen langen breitten schwantz. Wenn man demselben einen hensehen<br />

(= Handschuh) oder snupduch vorwarff, lief es hinn, vnd hoeIte es wieder<br />

wie ein' schießhund." Aber auch "ein stachelschwein, auch ein Indianischer Bock<br />

Item 2 Camhen" (= Kameele) seien zu sehen gewesen und benachbart eine Einrichtung<br />

zum Ringelrennen sowie "e:n ortt ahn welchem die wilden Thiere verwharett<br />

sein", mit Löwen, Bären, Tiger, Luchs, Leopard, der kann "In 3 oder<br />

4 sprungen einen hasen erhaschen". Schickhardt äußert sich entsprechend über<br />

diese Gehege wilder und auswärtiger Tiere. Sie waren längst eine Liebhaberei<br />

fürstlicher Hofhaltungen auch in Deutschland geworden. Gadenstedt lagen sie<br />

zudem als Kind des noch von Bären und Wölfen bevölkerten Harzes nahe. -<br />

Mit der kurzen Charakterisierung der vier Arnobrücken samt der Siegessäule auf<br />

die Eroberung Sienas, "genennet La colonna della giusticia" schließt die BeschreibunE<br />

von Florenz.<br />

• • •<br />

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Die Menge des für Rom zu verarbeitenden Stoffes, ein Sechstel des gesamten<br />

Umfanges der Handschrift, fUgt sich nur urivollkommen in Gadenstedts<br />

geläufiges Einteilungsschema. Er beginnt mit einem Kataloge der Päpste, der<br />

allein 58 Seiten filllt, und zwar will er darin "der Bäbste leben kilrtzlich, Ihre<br />

nhamen, In welchem Jhar ein Jeder zum Regimentt kommen vnd wie lange ein<br />

Jederr regirt hatt, erzhelen", und "will von S. Petro, welchen die Catholischen<br />

für den ersten Babst halten, anfangenn, welchs aberr, wenn man der Itzigcn<br />

Bäbste zustand, macht, pracht und herligkeitt ansiehett vnd darjegen S. Petrl<br />

vni anderer ersten Bäbste [NB. etwa zu ergänzen: einfaches Leben] betrachtett,<br />

Ihrer meinung gentzlich zuwieder."Dcmnach leitet die Beschäftigung mit Rom<br />

ein Protest des überzeugten Häretikers ein, e:n Protest, der sicb freilich in Glaubensangelegenheiten<br />

nicht so schroff wiederholt, vielmehr sich bei verwandten<br />

Einwänden beschränkt auf Organisationsformen und Äußerlichkeiten insbesondere<br />

der Devotion. Dagegen läßt gerade die Schilderung Roms mit ihrem willigen Eingehen<br />

auf seine kirchlichen Gnadenmittel und den reichen GIaubensapparat der<br />

sieben Hauptkirchen erkennen, daß Gadenstedt den grundsätzlichen Gegensatz in<br />

der GlaubenshaItung der getrennten christlichen Konfessionen nicht einmal tief<br />

empfindet, jedenfalls bekennt er ihn an keiner Stelle seines Werkes. - An den<br />

Päpstekatalog schließt sich ein ähnlicher, aber nur 10 Seiten umfassender der<br />

antiken und deutsch-römischen Kaiser.<br />

'Nun erst setzt die topographische Erörterung ein mit Lobpreisungen der<br />

ewigen Stadt meist aus antiken Schriftstellern, mit dem Problem ihrer Benennung<br />

und mit ihrer Lage. Die Lage bildet den übergang zu einer kurzen<br />

Besprechung mehr als Beschreibung eines jeden der sieben Hügel in engem Anschluß<br />

an Leandro Alberti, vorwiegend auf Grund antiker überl:eferung und<br />

wiede~ gern auf Namensdeutungen eingehend. Nur hie und da fällt ein Streiflicht<br />

auch auf den Zustand zur Zeit des Besuches, und dann zum Teil selbständig.<br />

So heißt es vom Kapitolsplatze, da "siehet mann viel groser leutte Statuas auß<br />

steinen gehauen liegen, aber sein mhererteils zerbrochen vnd zerslagenn, das<br />

mann nicht erkennen kan, was es gewesen." Auf den Raum, das Reiterbild Kaiser<br />

Mark Aurels, die anliegenden Paläste und die Kirche Araceli geht die Schilderung<br />

gegell das Ende des Textes ilber Rom ein. Da wird unter anderem, zum Teil<br />

etwas läppisch, hingewiesen auf einen großen Marmorkopf, dessen "heupt<br />

eines Mannes lenge vbertrift, darbe i abzunhemen, was es für e:n groses biltniß,<br />

vnd wie groß das corpus gewesenn. "Mann Ist zue meiner Zeitt vorhabens gewesen,<br />

solchs wieder aufzurichten; obs nhun geschehen, Ist mir vnbewust."<br />

Gemeint ist wohl der riesige, heute im Hofe des Konservatorenpalastes aufgestelle<br />

Kopf Konstantins des Großen.<br />

Den Aventin scheint Gadenstedt nicht selbst besucht zu haben, denn er behavptet,<br />

der umfangreiche Hagel sei "Itziger Ze:tt woll gebauett von statlichen<br />

pallatiis vnd kirchen." Aber nur Kirchen und ihr Zubehör haben damals wenigstens<br />

Teile seines Gartengeländes bedeckt.<br />

Zur humanistischen Kenntnis antiker überlieferungen und ihrer typischen<br />

Verwertung auch durch Gadenstedt nun beispielsweise e:nige seiner Angaben<br />

über den Quirinalhügel, derzeit Monte Cavallo genannt. Dort sah er zwar d:e<br />

beiden ihm diesen Namen gebenden Dioskurenkolosse, ohne sie freilich so zu<br />

nennen. Auch waren sie "Itzo aber heruntter gefallen vnd zerbrochenn, für<br />

welchen pferden gestanden zwei nackende menschen die pferde beim Zaum<br />

haltende. vnd zu den fuesen des einen pferdes sein die wortt gestanden opus<br />

praxitelLis, vntter des andern pferdes fuesen diese wort opus Fidiae. Diese<br />

pferde sein nach Rhom gefhueret worden vom koenige Tiridate, der Armenier<br />

koenige. Bey meiner Zeitt Iiß Babst Sixtus Quintus diese pferde wieder aufrichten<br />

aufs schönste, wh ar aber noch nicht allerdings fertig." Bis dahin waren<br />

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sie in den Trümmern der benachbarten Konstantinsthermen. Die angebliche<br />

'Schenkung der Steinkolosse durch Tiridates war den Humanisten geläufig.<br />

Manche waren auch der Meinung, diese die antiken Schutzpatrone Roms Castor<br />

und Pollux veranschaulichenden Rossebändiger stellten Alexander den Großen<br />

mit seinem Rosse Bukephalos dar und seien von Konstantin dem Großen für<br />

seinen an dieser Stelle errichteten Thermenpalast aus Alexandrien überführt<br />

worden 98). Daß sie zu diesen Bädern gehört haben, ist richtig. Ihre neue Aufstellung<br />

hat Gadenstedt vielleicht erst bei seinem zweiten Rombesuche beobachten<br />

können.<br />

Verhältnismäßig umständlich verweilt er beim Quirinalhügel auf der derblegend<br />

arisch ausgeschmückten überlieferung von dem an ihm gelegenen uralten<br />

Tempel der römischen Fruchtbarkeits- und Frühlings-Göttin Flora. Beispielsweise<br />

sei in diesem Falle einmal hingewiesen auf den Weg, der von diesem<br />

Heiligtum eines gesunden bodenständigen FrühlingskuItes über entwurzelte<br />

Großstädter zu seiner nachantiken gänzlichen Verzerrung geführt hat mittels<br />

einer der vielen typischen Wandlungen sich selbst überlassener überlieferung ..<br />

Gadenstedt erzählt: "Nicht weitt von dannen (NB., den Kolossen der Dioskuren)<br />

Ist ein ortt genandtt Circus Florae, darselbsten vor zeiten die tesla Floralia sein<br />

gehalten worden. Ahn diesem ortt sein .... viel vnzUchtige sachen mitt Dantzen<br />

vnd andern geberden getrieben, dann das Roemische volck solchs haben wollen,<br />

daher dann jedermann zuliß vndtt solchem spectakell zusah. Des gedenckett<br />

Martialis . •.. , Diese Flora Ist die vornemeste Cortigiana oder auf ghutt Teutschs<br />

die groeseste Huer In Rhom gewesenn, hat durch solches leben ein grosen Reichthumb<br />

erlangett, welche, nachdhem sie gestorben, hatt sie das Roemische volck<br />

zum erben Ihrer erworbenen guetter gemacht, daher die Romaner Ihr zum gedechtniß<br />

solchen ortt haben gebauett vnd geordnett, solches fest vnd spiell zu<br />

halten." - Da ist denn zunächst bemerkenswert, daß Gadenstedt sich zwar für<br />

diese Angaben auf eine - nur diese - ihrer von den Humanisten bevorzugten<br />

antiken Quellen, auf Martial bezieht, aber ohne Kritik. Ein anderer, ebenfalls<br />

noch dem ersten Jahrhundert angehörender beliebter Gewährsmann war Valerius<br />

Maximus. Seltener wurde Ovid verwertet, der doch in seinen Fasten auch die<br />

Floraspiele heranzieht, so gut wie gar nicht Tacitus, dessen Knappheit besonders<br />

eindrucksvoll an den wahren Kern der entstellten überlieferung herangeführt<br />

hätte. Die topographische Verwirrung bestand darin, daß es zwei Floratempel<br />

gegeben hatte, einen älteren, eben den am Quirinalhügel, einen jüngeren an der<br />

Nordecke des Aventin 99), daß aber die Humanisten nur jenen berücksichtigten<br />

und von vornherein auf ihn übertrugen, was die Alten von dem jüngeren zu<br />

melden wußten. Denn nur bei diesem Tempel fanden die überlieferten Spiele<br />

statt. und zwar in dem ihm benachbarten Circus Maximus. Tacitus sagt 100),<br />

Augustus habe Tempel gestiftet beim Circus Maximus, und ebenda einen Tempel<br />

der Flora. In bezug auf diesen war es freilich nur eine Erneuerung, der Florakult<br />

an dieser Stelle war erst um das Jahr 240 vor Christus nach Befragen<br />

der sibyllischen Bücher eingerichtet worden, war also nicht autochthon wie der<br />

am Quirinal. Vielleicht gerade darum war er anpassungsfähiger an zeitgemäßere,<br />

oberflächlichere aber glänzendere Feierformen. Diese Frühlingsfeste, Florealien,<br />

fanden daher im angrenzenden Circus Maximus statt, dem denkbar günstigsten<br />

Festplatze. Am Quirinal, wo man früher wohl Circusreste vermutet hatte, haben<br />

sich in Wirklichkeit keine gefunden, unbeschadet dessen, daß auch bei dem hier<br />

zu suchenden uralten Floraheiligtume anspruchslosere KuItfeiern gehalten sein<br />

werden. Von einem Circus an dieser Stelle sprechen mit Bestimmtheit nur die<br />

viel mißbrauchten Regionenverzeichnisse des Sextus Rufus und des Publius<br />

Victor. Beide aber sind Fälschungen des 15. Jahrhunderts, die Jahrhunderte<br />

lang, und also auch für Gadenstedt, der alten Topographie Roms zur Grundlage<br />

dienten. Die popuHiren Flora feiern im größten Cirkus Roms waren aller-<br />

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dings wohl schon frühzeitig recht leichtfertiger Art. In der Kaiserzeit wurden<br />

sie von der Halbwelt, die buchstäblich im Cirkus zu Hause war, nach Möglichkeit<br />

ausgenutzt.<br />

Nur ein Reflex dieses Circustreibens ist die von den Humanisten im Sinne<br />

antiker Literatenbosheit verbreitete alberne Fabel von der Stiftung der Florafeiern<br />

zu Ehren der erfolgreichsten römischen Hausiererin mit körperlichen Reizen. Ihre<br />

von Gadenstedt wiedergegebene Form findet sich teilweis in derselben Wortfolge<br />

auch in Bernardo Gamuccis zuerst 1565 erschienenen Antichita della cittn di Roma,<br />

andere Auflage in Oktav von 1588 auf Blatt 129/130. Dieses Buch von mäßigem<br />

Umfange hätte unseren Reisenden sehr wohl in Italien begleitet haben können.<br />

Erwähnt scheint er es nicht zu haben, diese Mitteilung mag also auch irgendeinem<br />

anderen mehr oder weniger zeitgenössischen Schriftsteller entlehnt sein,<br />

ebenso wie seinerseits Gamucci, der selbst sein Werk eine Kompilation nennt 101).<br />

Das Gefühl für geistiges Eigentum war noch nicht exakt entwickelt. Man<br />

schrieb oft noch in aller Unbefangenheit voneinander ab. - Mit einer gewissen<br />

Absichtlichkeit mag Gadenstedt diese fUr ihn unwidersprechlichen Angaben mißbilligend<br />

notiert haben. Denn er beschäftigt sich wiederholt mit dem zu seiner<br />

Zeit in Italien sehr aufdringlichem Treiben der Cortigiane. "Es mag auch ihm<br />

gelegentlich verführerisch nahe gekommen sein, aber er tadelt es aufrichtig, wie<br />

nicht nur aus seinen derben Zusätzen eben an dieser Stelle deutlich hervorgeht.<br />

Sagt er doch andererseits am Ende seiner Ausführungen über Rom lobend: "Die<br />

weiber In dieser stad sein schön, halten sich aber grauitetisch's, nicht leichtfertig,<br />

befleisen sich der zucht vnd erbarkeitt." Zwar ist auch dieses Urteil wieder eine<br />

Entlehnung, - in Lorenz Schraders Monumentorum !taUae libri qua/uor von<br />

1592, Blatt 114 ist es auch zu lesen, - immerhin aber macht er es sich zu eigen<br />

und erweist damit HochscMtzung gesitteten Anstandes.<br />

An die sieben Hügel Roms reiht Gadenstedt folgerecht die des rechten Tiberufer<strong>3.</strong><br />

Da passiert ihm freilich das Mißgeschick, auch den Pincio mit der Kirche<br />

Trinita dei Monti dorthin zu verlegen. Der Monte Vaticano gibt ihm Veranlassung,<br />

auf die Residenz der Päpste und namentlich auf die vatikanischen<br />

Gärten und ihre Antiken einzugehen, wahrscheinlicher ein Auszug aus des<br />

Schottus Itinerarium Italiae (vom Jahre 1600) Seite 190/91 als aus dessen Quelle.<br />

Daran schließt sich, nur über vier Seiten, ein auch hergebrachtem Sc.hema<br />

gemäßer Abschnitt "Von den Thoren der stad auch vornemesten strasen Inwendig<br />

vnd außwendig der stad Rhorn". Dann kommen die über 44 Seiten sich erstreckenden,<br />

das Schema und teilweis auch die Angaben des Schottus übernehmenden<br />

Ausführungen "Von den kirchenn, kloestern, Hospitaln vnd Capellen<br />

der stadtt Rhom". Vorweg werden die sieben Hauptkirchen besprochen. über<br />

die Peterskirche haben wir schon S. 29 f. Einiges gehört. Am längsten hält sich da<br />

der Text auf mit einem Lieblingsthema der Topographen, der Beschreibung des<br />

Fundes der Leichen zweier Töchter Stilichos und Frauen des Kaisers Honorius,<br />

Maria und Thermantia, "Im Jhar 1543 als man zu Rhom ahn S. Pe/ri Munster<br />

bauen wollte". Sie waren, wohl erhalten und reich geschmückt. Es scheint, dan.<br />

Gadenstedt bezugsweise seine Quelle, die hier nicht Schottus ist, zwei Fundberichte<br />

durcheinandergeworfen hat. Denn der wichtigste, noch handschriftlich<br />

vorhandene und gleichzeitige Bericht 102) über den Fund von 1543 spricht nur<br />

von einer Leiche, der der Kaiserin Maria, und zwar in der Kapelle der heiligen<br />

PetronilIa. Das war die westliche der bei den schon Seite 30 berücksichtigten spätantiken<br />

Rotunden. Kaiser Honorius hatte sie einst für sich und seine Angehörigen<br />

in der Hut des Apostelfürsten errichten lassen. Im Jahre 1543 mußte<br />

das stämmige Gebäude den Fundamenten des südlichen Querarmes der neuen<br />

Peterskirche weichen. In der Tat ist aber ebenfalls Thermantia hier beigesetzt<br />

worden. Kostbarer und reichlicher Leichenschmuck wurde 1543 gefunden, aber<br />

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nicht konserviert. Die KurIe hat ihn alsbald zu Gelde machen müssen. Gadenstedts<br />

naturnaher Forschungseifer beschäftigte sich ersichtlich gern mit diesem geheimr.isvollen<br />

Grabschatz, der ,,1118 Jhar vntter der erden gelegenn". Er teilte<br />

daher auch die volkstümliche Neugier für d:e bereits gut hundert Jahre vor<br />

seinem Rombesuch, 1485, in bestaunter Erhaltung und Schönheit an der Via<br />

Appia gefundene, als Ciceros Tochter Tullia angesprochene anitke Leiche !C3).<br />

Sie wurde sogleich im Hofe des Konservatorenpalastes öffentlich ausgestellt,<br />

bald aber vom Papste aus kirchlichen Bedenken dem Zudrange gewaltsam entzogen.<br />

Aber es ist Legende, daß er sie habe "In die Tyber werfen lasenn', wie<br />

Gadenstedt seiner Quelle nachspricht, als die We:terreise nach Neapel ihn über<br />

die Via Appia führte.<br />

Der Beschreibung auch noch einiger Ausstattungsstücke der Peterskirche<br />

und ihres Vorhofes reiht sich d:e Erwähnung der Porta santa an: "Zur rechten<br />

Hand wann man will In die kirchen gheen", schwarz mit weißem Kreuz. Trotz<br />

hier bemerkbarer eigener Anschauung wird als Türinschrift angegeben "aperuit<br />

et clausit 1525". Sie gehört einem älteren Zustande an und weist wieder auf<br />

Entlehnung. Denn das letzte Jubeljahr war damals 1575 gewesen. Eine Entlehnung<br />

ist natürlich auch die nun angefügte Jange Beschre:bung "wie die<br />

heilige pfortte vom Babst erofnett wirdt, wenn das Juebelljahr einfeIlt." Wer<br />

noch mehr wissen will, möge lesen das "dractetellin titulirt Grundlicher vnd<br />

warhaftiger berichtt, was Im vergangenen 1600, so man das Jubel Jhar genennett,<br />

zu Rhom In eröfnung der gulden pfortten zugetragen, und beschrieben<br />

von Conrado Leven, zu Coln gedruckett." Es folgen dann unter anderem noch<br />

Angaben von Heiligtümern, von Papstgrabmälern, der von uns schon Seite 30<br />

besprochene selbständige Bericht über das Grab Kaiser Ottos 11. und schließlich<br />

eine Schilderung der von Gadenstedt am Peter- und Paulstage nicht miterlebten<br />

jährlichen Zeremonie symbolischer Lehnsgebühr Neapels an den Papst mittels<br />

feierliche~: Hingabe e;nes Zelters und eines Wecnsels über 12000 Kronen durch<br />

den Botschafter des Königs ,von Neapel.<br />

, Viel kürzer behandelt Gadenstedt die anderen Hauptkirchen, der Reihe nach<br />

St. Paul vor den Mauern, den Lateran, dessen Reliquienschatz und geheilIgte Erinnerungsstücke<br />

er sorgfältig aufzählt, weiter Santa Croce, S. Lorenzo fuori,<br />

Santa Maria Maggiore und bei ihr noch einmal die neue Strada felice, Sixtus' V.<br />

berühmte Straßenanlage zur Stadterweiterung. Nach Erledigung der siebenten<br />

Hauptkirche, San Sebastiano draußen an der Via Appia, wo er, wie wir schon<br />

Seite 30 erfuhren, auf die Katakomben eingeht, he:ßt es bezüglich der einschlägigen<br />

Literatur: "Von die3en vnd andern kirchenn Vide Onllphrium Panvininum,<br />

Attilium' Serranum vnd andere." Davon wird wohl des Augustinereremiten<br />

von Verona Onuphrius Panvini'us im Jahre 1570 zuerst erschienenes,<br />

heute noch wichtiges Werk 104) De praecipuis urbls Romae sancllorlbus basilicis,<br />

über die sieben Hauptkirchen Roms, die Quelle namentlich für Einzelangaben<br />

gewesen sein. Darauf weist auch Schottus hin, während des Serranus zum<br />

Jubeljahre 1575 erschienenes Buch De septem urbis eccleslis nach Schudt trotz<br />

großem Aufwande an Gelehrsamkeit keine wirklich bedeutsamen Mitteilungen<br />

enthält. Immerhin ist es zum Jubeljahre 1600 nochmals erschienen.<br />

Die übrigen Kirchen werden in alphabetischer Reihenfolge auf gut zwanzig<br />

Seiten überwiegend summarisch behandelt. Zugrunde lIegt die alphabetische<br />

Aufzählung von Lorenz Schrader mit 311 Kirchen, auf die w:ederholt hingewiesen<br />

wird, und der sich auch Schottus ausdrücklich anschi:eßt. Gadenstedt läßt dazwischen<br />

gelegentlich gewohnheitsgemäß e:gene Beobachtung erkennen. So zum<br />

Beispiel se;en bei der Abtei Tre Fontane in der Campagna die Quellen an' den<br />

Stellen entstanden, wo der Kopf des Apostels Paulus nach dessen Enthauptung<br />

drei Mal aufsprang, "Itzo lustig eingefasset, bei Jedem ein kupffers pfenlin<br />

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hengende daraus man drinckett. Darbei eine tafell hengett, darhan geschrieben:'<br />

wer aus diesem brunnen drinckett, der erlanget die seligkeitt. Darhin dann die<br />

Romaner des morgens frue hinauß barfues laufen vnd alles nüchtern drinckenn."<br />

Auch die Schilderung des mosaikgeschmückten Mausoleums der Constantia,<br />

Tochter Kaiser Konstantins, später verwandelt in die Kirche Santa Costanza,<br />

geht in einer Weise über die literarischen Quellen Gadenstedts hinaus, daß man<br />

auf ihren Besuch zu schließen hat: Diese Kirche sei "von Alexandro llf. consecrirt<br />

worden Sanctae Gonstantille, eine dochter des keisers Gonstantini, wie man<br />

solches vber der Thuer der kirchen sheen kann, do sie in einem kupffern Sarck<br />

begraben Iigtt." Hier hat den allzu eiligen Besucher der allzu flüchtige Augenschein<br />

getauscht. Der heute im Vatikan aufbewahrte, damals in der Nische<br />

gegenüber dem Eingange stehende Sarkophag besteht aus einigermaßen kupferfarbenem<br />

Porphyr. Im übrigen unterscheidet sich das aufmerksame Interesse<br />

Gadenstedts für diesen originellen Bau auffällig von seinen sonst meist konventionell<br />

farblosen Äußerungen. Er wagt sogar eine berechtigte versteckte<br />

KritiI{ an Schraders immerhin vorsichtiger Mitteilung, daß wegen der Darstellung<br />

von kelternden Putten am Sarkophage der Bau für das Grabmal des Bacchus<br />

gehalten würde. Für einen ursprünglichen Bacchustempel hält Gadenstedt den<br />

Rundbau eben nicht, obgleich er nur die Kelterputten der Mosaiken, nicht die<br />

des Sarkophags in Erinnerung behalten zu haben scheint: "Diß begrebniß S. Gonstanzae<br />

nennen etliche sepulchrum Bachii, aber es Ist falschs." Die letzten<br />

. acht Worte sind zwar übersetzt aus dem Lateinischen des Schottus. Bei diesem<br />

• fehlt aber Gadenstedts BegrOndung, jene Erklärer ließen sich täuschen durch die<br />

einem Weinblatt ähnliche Grundrißform des Gebäudes und seine Dekoration.<br />

Wenn trotzdem diese Begründung entlehnt sein mag, so hat sie Gadenstedt doch<br />

überlegt zu seiner eigenen gcmacht. - Bei der deutschen Nationalkirche Santa<br />

Maria deli' Anima beschränkt sich der Text auf die allerdings recht umfangreiche<br />

Aufzählung von Bestattungen, hier wie in der Regel Lorenz Schraders Inschriftenkodex<br />

entnommen. Daher fehlt bei bei den der braunschweigische Pfarrer,<br />

Rektor des Hospizes und Mitgründer des jetzigen Kirchgebäudes, Dietrich von<br />

Eynem t 1529 105).<br />

Unter den Spitälern finden besondere Beachtung das von Santo Spirito und<br />

das des Camposanto Teutonico, des uralten Friedhofes der Deutschen, dicht<br />

unter der ihn stcil überragenden Riesenkuppel der Peterskirche. Den Besuch<br />

jenes großen, heute noch erhaltenen Hospitals zum Heiligen Geiste hat sich<br />

Gadenstedt trotz der Knappheit der Zeit aus seinem besonderen Sachinteresse<br />

auch in Rom nicht versagt. Denn er erzählt als selbst beobachtet: "So Ihr hinein<br />

gheett, so sehet Ihr gerade hinaus, da bei der seiten In die 300 bette stehenn, die<br />

alle neben einander mitt Ihren schönen vmbhengenn, die Bhetspunden gefurnist,<br />

Jedem seinen Nachtrock vnd pantoffeln vnd was dergleichen darzu gehorett,<br />

beim Jeden bette. So balt ein krancker hinein komptt sitzet ehr sich nieder,<br />

biß die Doctores Balbiren vnd apotekers die krancken des Hospitals verschenn<br />

haben. Darnach kommen die Doctores, besichtigen den kranekenn, nhemen Ihn<br />

ein, verschaffenn Ihm bette, geben einem Jeden ein frisches hemmat ahn den<br />

leib. Seine kleider verwharet man Ihm, biß ehr stirbett oder gesund wird. Vnd<br />

wann einer von der kranckheitt aufkompt vnd zu passe, verschaft man Ihn<br />

ahn andern ortt auf 14 tage oder mher, biß ehr vollents zun kreften komptt [und]<br />

ghet, essen vnd drincken. In diesem Spittall sein vb er 30 diener, die nhur auf<br />

die krancken wartten, wann sie etwas bedürffen; mussen tag vnd nacht auf sie<br />

wartten. In der Mitten des Hospitals Ist ein schoener altar vnd Tabernacull,<br />

do den krancken alle morgen die Messe gelesen wirdt." Diese Art von Krankenpflege<br />

scheint in der Hauptsache typisch für Italien gewesen zu sein, wie Gadenstedts<br />

Beobachtungen anderen Orts und auch der Malteser Krankensaal ·,Abb. 23<br />

erkennen lassen.<br />

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Das Spital des deutschen Campo Santo galt mehr den Pilgern. Von seinem<br />

Friedhof heißtes: "Ahn diesem ortte wird gezeigett ein ortt mitt einem viereckigten<br />

Murlin umbfassett. In demselben soll auch derselben Erden sein, so v{)n Jerusalcm<br />

gebracht, als In den 4 Glockenspeisen seulen, so In der kirche S. Laterani (NB. so!)<br />

vor dem hoehen altar stehen," Auch andere Friedhöfe Italiens rühmten sich<br />

solcher Erde. Von ihrer Wirkung heißt es weiter: "So man einen Bilgerr darselbst,<br />

der ein Römer ist ,hinbegrebett, der kann nicht verwesenn. Was aber<br />

andere Nationen sein, die verwesenn In 24 stunden, welchs noch teglich der<br />

augenschein gibtt vnd zu sehen sein soll." Falls die Mitteilung auf persönlicher<br />

Besichtigung beruht und also noch dem 16. Jahrhundert angehört, enthielte sie<br />

wohl die älteste überlieferung der Herkunft dieser Erde aus Jerusalem. Aber<br />

auch ohne das kann sie dafür gelten. Denn der gründlichste Kenner dieses Friedhofes,<br />

Anton de Waal, berichtet 106), daß diese Legende erst seit dem Ja-hre 1627<br />

sich nachweisen lasse.<br />

über die damals und früher vorhandenen Brücken des Tiber und Anio (Teverone)<br />

wird nichts Sonderliches vorgebracht. Ebenso hält sich die Auskunft über<br />

die Aquädukte, alten. Thermen, Triumphbögen, Ziersäulen und Obelisken an das<br />

in der humanistischen Literatur überlieferte, auch der Einteilung nach. - Unter<br />

der überschrift "Was sonst zu sehenn oder denckwürdig" sind Nachrichten vereinigt<br />

über den Kerker Tullianum am Forum, über die sittenpolizeiIichen Aufgaben<br />

der Statuen Pasquino und Marforio, über die große maskenartige Marmorscheibe<br />

der Bocca della Verita an der Kirche Santa Maria in Cosmedin, über<br />

den Scherbenberg, Monte Testaccio. Was dazu Sagenhaftes oder Tatsächliches<br />

im Einzelnen vorgebracht wird, entstammt der Literatur und kehrt zum Beispiel<br />

andeutungsweise und vorsichtiger in dem streng kirchlich eingestenten Reisebuche<br />

des Schottus wieder. Gadenstedt hat sich durch ihn nicht beirren lassen.<br />

über den Pasquino läßt er sich sehr offenherzig aus: "Pw;quino Ist ein biltniß<br />

ohn kopff vnd arme, Ist nicht weitt von der behausunge ALfonsi Caraftae cardiflalis.<br />

Ahn dieses bilde slagen die Römer possen vnd smeheschriften, darauß<br />

offenbhar wirdtt, was für schimfliche laster durch die gantze stad getriehen<br />

werden, so woll von fürsten, adelichen, Matronen vnd anderer, welchs oftmals<br />

vielen zue groser schand vnd NachtheilI gereichett. Dann solche schriften schonen<br />

keines nhamen oder standes. Es werden auch der Babst vnd cardinalenn<br />

schande, die sie treiben, vnd Ihre heimligkeitt ahn diesem orUe angeslagen<br />

vnd pubLicirt, vnd wenn alhier ein solches famos scriptum oder pasquill wird<br />

angeslagen, findet man gemeiniglich bei dem vorgedachten biItniß mar/orio die<br />

andwortt darauf vnd wiederlegunge. Laufen oftmals kurtzweilige bossen mitt<br />

vntterr. Bey diesem biltniß Pasquino Ist zu lesenn: OLiuerii Carattae beneficio hic<br />

sum, Ao salutis MDl." Diese Inschrift wird wieder Lorenz Schraders Verzeichnis<br />

entnommen worden sein, der sie unter den Blatt 214 bis 218 zusammengestellten<br />

Haus- und Garteninschriften bringt.<br />

Und nun der immerhin noch zehn Folioseiten umfassende Bericht "Von<br />

den vornemesten PaLLatiis In Rhorn", Er beginnt mit dem Vatikan. Seiner<br />

<strong>Bibliothek</strong> und der Schatzkammer, "darinn man schwerlich kommen kann",<br />

widmet er bevorzugte Aufmerksamkeit, jener schon wegen des Haftens an<br />

Anschaulichem, wohl auf Grund eigener Beobachtungen. Gadenstedts gelehrte<br />

Liebhabereien mögen ihn dazu veranlaßt haben. Mit Schottus, der sich auf<br />

Panvinius bezieht, haben seine Angaben nicbts Gemeinsames, trotz Schotts<br />

auffallend umständlichem Eingehen auf die Geschichte, die Organisation und die<br />

Vorsteher der <strong>Bibliothek</strong>. Dagegen ist Einiges der Württemberger Reise entnommen.<br />

Bezüglich der Inschriften wird gewohnter Weise auf Schrader verwie!:ien.<br />

Man kann sich des Eindrucks persönlichen Betrachtens nicht erwehren,<br />

liest man: "Es werden auch des Terentii Comoedien, mitt eigner hand ge-<br />

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schrieben 107), gezeigett. Item Indianische bücher auf rinden, aber in welchen<br />

keine buchstaben sondern nhur Figuren." Dieses sind Bilderschriften aus<br />

dem atztekischen Mexiko. Der Text fährt fort: Mann ieiget auch gewaltige<br />

schoene bücherr, alle In Sammitt eingebundenn mitt gulden vnd silbern<br />

clasuren, mitt kunst lichen Figuren bemhalett; sein der abgegangenen Bäbste<br />

betbücher gewesenn. . . . .. In etlichen kasten sein zu finden herlige geschriebene<br />

bucherr, dergleichen nicht zu sehenn, Insonderheitt darin mitt klarem Ducalen<br />

golde geschriebenn, welches alß erhaben vnd gegossen werck scheinett." Damit<br />

sind mittelalterliche Miniaturen gemeint. Die vatikanische <strong>Bibliothek</strong> habe zuletzt<br />

"Sixlus V ponl. max. vermherett vnd höchlich gezierett vnd was sich bey seiner<br />

lebezeit zugetragenn, In dem gemach, weIchs ehr zur Bibliotlzeca zugerichtet,<br />

mhalen lassenn." Dieses Gemach ist der heutige große, zweischiffige Schauraum<br />

der <strong>Bibliothek</strong>, ein erst im Mai 1589 beendigter Saalbau, der daher zur Zeit<br />

der römischen Aufenthalte Gadenstedts schwerlich schon benutzbar gewesen war.<br />

Es mögen aber die Bücherschätze in ihrem früheren Aufbewahrungsorte entsprechend<br />

gezeigt worden sein.<br />

Ein durch Spiegelung hergestelltes Vexierbild fesselt im Vatikan wie in der<br />

Villa Medici. Auch diese hat Gadenstedt dem Charakter seiner Schilderung zufolge<br />

selbst durchwandert: Das "Pallatillm des großhertzogen von Florentz ....<br />

stehett auf dem berge S. Trinitatis .... Wenn Ihr hieneinkomptt werdet Ihr<br />

erstlich gefhurtt In einen shaall, darin zu sehen gewaltige Quaderstuck von<br />

steinen. Vor dem fenster Ist ein rhorkestlin (NB. = Becken einer Wasserleitung,<br />

hier mit Springbrunnen), von vntten herauf In die hoehe gerichtett, In welchem<br />

man die hende waschen kann. Darselbst auf dem gänglin man fast die gantze<br />

stadt Rhomvbersehen kann. Bey dhelll shaall sein bei 16 Zimmerr, dar man<br />

stets auß einem In das ander sehenn kann, wenn die Thüren offenn sein." Das<br />

ist schon das Barockbedürfnis nach imposanten Zimmerfluchten, nach Bewegung<br />

• in das Ungemessene. Der Text geht weiter: "Die (Zimmer) sein dermasen mitt<br />

kostlichen Tapezereien von gewircketem golde vnd silbern stucken die wende<br />

damitt behengtt, das sich derselben kein keiser oder Babst schemen soltt. Vnd<br />

wie die wende behengett, also haben die bette Ihre vmbhenge vndt deckenn.<br />

Auch die Zimmer mitt gewaltigen steinen dischenn vcrsehenn, vnd aufs kostligst<br />

mitt perlen Mutter vnd sonst kunstlich eingelegett. Auch in den gemechern gewaltige<br />

kunstliehe Statuae vnd auch contra/elen." Deutlich spürt man, wie<br />

unser Berichterstatter sich der Verstrickung in die Machtpropaganda willig überläßt.<br />

Denn auch im Vatikan erfaßte ihn eine Art von Betäubung gegenüber der<br />

Fülle und Mannigfaltigkeit aufgehäufter Schätze angesichts der dahinter stehenden<br />

päpstlichen Autorität. Als weltliche Mittel der Bildung wie der Politik sind<br />

sie ihm ebenso sympathisch, wie er ihnen gegenüber als Ausdrucksmitteln der<br />

Kirche mehr instinktiv befangen als bewußt ablehnend sich verhält. Vielleicht<br />

hatte er absichtlich die Besuche von Kirchen verkürzt zugunsten ihm weniger<br />

bedenklich aber ebenso anziehend dünkender profaner Sehenswürdigkeiten. Entsprechend<br />

ließe sich der schon Seite 29 herangezogene Besuch der Engelsburg<br />

deuten, denn auch er hat im üblichen knappen Führungsplane keinen Platz.<br />

Im übrigen: auch Herzog August hat die Engelsburg am 8. Juni 1600 besichtigt,<br />

Herzog Friedrich jedoch ist schwerlich· darin gewesen, er läßt sie nur ganz<br />

obenhin erwähnen. Dagegen haben beide Fürsten trotz ihrem kurzfristigen<br />

römischen Aufenthalt den Vatikan und die Villa Medici durchwandert. In Friedrichs<br />

Reisebeschreibung wird nichtsdestoweniger die Villa Medici dürftiger und<br />

anders behandelt als durch Gadenstedt. Schottus, dessen viertägige Stadt-<br />

. besichtigung ein Auszug von Jacques Boissards 1597 erschienener mehrbändiger<br />

Topographie Roms ist, nennt die Villa Medici überhaupt nicht, obgleich für<br />

BoisEarc1 die privaten Antikensammlungen die Hauptsache waren. So möchten<br />

auffallende Einzelbeobachtungen unter den spärlichen Angaben über den päpst-<br />

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lichen, ganz neuen Palast auf dem Quirinal und den Palazzo LionclIi ebenfalls<br />

auf Besichtigung ihres Inneren deuten. Im Quirinal: "In einem shaall Ist ein<br />

sesselI, In dhem sich ·einer der darauf sitzett selber also sitzendt In dem shaall<br />

wohin ehr will herumb fhuren kann;" im Palast der Lionelli: "ein runder dischs.<br />

So man will, kann mann einen heimlich damitt spritzcnn durch heimliche ol'tter,<br />

auch das der disehs rund mitt Ihnen vmbgheett, das die, so darhan sitzenn, Im<br />

kopff allee trumlicht vnd dueselicht werden, wissen nicht, wie Ihnen geschihet."<br />

Kirche, Platz und Paläste des Kapitolhügels lassen es ihrerseits nicht an<br />

Literaturabhängigkeit fehlen. Die Deutung der beiden Herrscherstatuen der<br />

Brüstung des Kapitolplatzes auf "Constantinus" und "Maximianus", sowie der<br />

erzenen Reiterfigur als "des Römischen keisers Marei Aurelii Antonini biltniß,<br />

wiewoll etliche sagen, es sei Lueii Veri, etliche Septimii Severi biItniß" findet<br />

sich ebenso bei Schottus-Boissard. Sehr dürftig und legendenhaft in der Art der<br />

mittelalterlichen Memorabilien sind noch die Angaben über das Forum. "Wann<br />

man von dem Capitolio hinab gheet, kompt man ahn ein ortt ca[mJpo vachino<br />

genand, da vor zeiten eine brucke vom capitolio hienueber gangen In das pallatio<br />

maggiore (NB. = Palatin). Zum wharzeichen der brucken stehen noch 3 seulen<br />

(NB., die des Kastortempels). Bey solchen 3 seulen Ist der ortt, ahn welchem<br />

Mareus Curtius sich mitt einem pferde In ein greuliches loch gesturtzett." Nach<br />

Wiedergabe der klassischen überlieferung dieser Sage von dem Opfertode dieses<br />

Heroen für sein Vaterland fügt Gadenstedt das sinntöt~nde Führermärchen an:<br />

Als Bedingung seines Opfertodes sei ihm zugestanden worden, "das ehr ein<br />

Jhar sein lust vnd willen vollbringen moche mitt den Jungfrauen oder wo ehr<br />

lust vnd liebe zu habe· In der stadtt, sie sei wer sie wolle."<br />

Was die Handschrift über die römischen Gärten bringt, ist bezüglich des<br />

Quirinalpalastes ganz der Reise des Herzogs von Württemberg entnommen, zur<br />

Hälfte auch das über den Garten der Villa Medici. Die Angaben über den mit<br />

antiken Skulpturen· ausgestatteten Garten dcs Kardinals Carpi auf dem Quirinal .<br />

finden sich ebenso bei Schottus-Boissard, einschließlich des Vergleichs mit dem<br />

berühmten Garten der Herzöge von Toledo in Neapel, den Gadenstedt später<br />

ebenfalls schätzen lernte. Dasselbe gilt von den wenigen W ortcn übcr die Villa<br />

Cesi beim Petersplatze und den Garten der Villa Farnesina, deren Casino überhaupt<br />

nicht gewürdigt wird.<br />

Erfährt man aus aIIedem die Abhängigkeit Gadenstedts von seiner zeitgenössischen<br />

Literatur, so ergibt sich zugleich, daß in der Auswahl der Entlehnungen<br />

und in ihrer Behandlung Selbständigkeit sich äußert, ganz abgeschen<br />

von den mancherlei eigenen Zutaten, denen wir überall begegnen und die wir im<br />

ersten Teile unserer Betrachtungen in den Vordergrund gestellt haben. Das ist<br />

nicht zu vergessen, wenn wir nunmehr auf seinen die Topographie Roms abschließenden,<br />

systematischen Quellennachweis eingehen. Daß der größte Teil<br />

seines Manuskriptes Kompilation sei, erklärt er selbst vorweg: "Vnd so viel von<br />

der weitberuemeten stad Rhom, welche billig lux orbis et terrarum, Cflput totius<br />

mundi genennett." Es hätte können "viel mher auß den scribenten colligirt<br />

werden." Als Ersatz gebe er daher das folgende Verzeichnis von "aue tores vnd<br />

scriptores". Es erstreckt sich über volle drei Folioseiten und ist eine etwas nachlässige,<br />

wenig verkürzte Abschrift aus Schotts Itinerarium Italiae. Daher sind<br />

keineswegs alle diese Schriftsteller Quellen seiner Kompilation. Die sich als<br />

solche und als wohl wichtigste haben nachweisen lasssen, werden weiterhin von<br />

uns im Einzelnen betrachtet werden. Die Liste ist recht umfassend bezüglich<br />

der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur um das Jahr 1600 und ist daher<br />

eingeteilt in 35 verschiedene Stoffgruppcn. Der Zahl nach überwiegen bei<br />

weitem Bücher humanistischer AItertumsergründung. Diese beschaftigen sich<br />

mit Bauten, Skulpturen, Münzen, staatlichen Einrichtungen, den Konsuln und·<br />

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Kaisern, auch den römisch-deutschen, samt deren Kupferstichbildnissen und ihren<br />

Künstlern. Eine der letzten Gruppen weckt unsere besondere Aufmerksamkeit:<br />

"Der Christen begrebniB vnd Epitaphfa beschrieben Laurentius Scraderus Saxo In<br />

vier büchern; Nathan Chytraeus in delitiis" lOH). Es sind das Grabinschriften<br />

meist neuerer Zeit, nicht etwa altchristliche. Wir kommen darauf zurück. Die<br />

nicht viel größere Gruppe der Papstgeschichte beginnt bei Schottus: Ponliticllm<br />

Romanorum Vitae aBarthol. Platina conscrlptae, el Panuinio Papyrio Massone,<br />

. sed eaute legendae. Gadenstedt sagt: "Der Bäbste lebentt: Bartholomeus Platina,<br />

Panllinius Massone saluo mitt bedacht zu lesen, wie die papistenn wollen (NB.<br />

Schotts caute legendae), weiIl sie alB selbst catholici der Bäbste lebend ohne<br />

heuchelei beschrieben." Platina, gestorben 1481, hat als gänzlich ungeistIicher,<br />

ja gelegentlich rebellischer italienischer Humanist Kritik, selbst gewollte Bosheiten<br />

nicht vermieden; der gelehrte Mönch Onuphrius Panvinius, - denn dieser<br />

ist gemeint, -<br />

gestorben 1568 und also Zeitgenosse des Tridentiner Konzils, Fortsetzer<br />

von Platinas Papstgeschichte, verlor, vielleicht nur als übereifriger Stoffsammler,<br />

zuweilen den Halt. Die Kirche hat jenen geduldet, dieser ist ihr wohl<br />

nie verdächtig geworden.<br />

Diesen Literaturangaben sind schließlich noch einige Lorenz Schraders Werk<br />

entnommene sachliche Notizen angehängt. Sie beginnen mit der von uns schon<br />

Seite 79 erwähnten guten Führung der Frauen Roms, die wir uns allerdings<br />

innerhalb nach außen abgeschlossener Familienkreise zu denken haben, da sie<br />

allen Grund hatten, auf der Hut zu sein. Dann kommen Statistiken, nach Publius<br />

Victor über antike Bauten, ferner über bronzene Kirchentüren, das Hofpersonal<br />

der Päpste und über italienische Weine. Der Gewährsmann Schrader fügt der<br />

Statistik Victors über die Bauten des alten Rom elegant hinzu: "Quorum omnium<br />

numerum et status si Gonteralur Gum extantiblls, Romam in ipsa Roma vix<br />

invenies. Ea rerum hllmanarum esl fragilitas et vicissillldo." Schon Schotts Itinerar<br />

verändert das etwas ins Plumpere. Gadenstedt überträgt schwerfällig: "Itziger<br />

zeitt sein solche gebeuede vnd altes Rhom nicht mher alßo Im stande, das macht<br />

Rerum hll1nanarum tragllitas ef vicissitudo", macht der menschlichen Dinge Gebrechlichkeit<br />

und Wechsel.<br />

Die Weinliste am Ende des Romberichtes war dem Germanen wohl unerläßlir;.h.<br />

Schraders niederländischer Gefolgsmann Schottus übernimmt sie sogar mit<br />

30 Nummern noch vollständiger. Gadenstedt meint: "Ahn guetem wein Ist In<br />

Rhom vberfluesig zu finden, alß .... ", und nun folgen mit einigen Auslassungen<br />

die Sorten mit Angabe ihrer Qualität, abschließend mit dem Hinweis auf die<br />

literarischen Urteile dreier sachverständigen Ärzte Italiens. Leider ist Schraders<br />

auf Blatt 115 gebrachte Angabe unterdrückt. Auf Gadenstedts Trinklust vortrefflich<br />

passend, lautet sie übersetzt: Die Beamten des Papstes "und die ganze<br />

Kurie trinken mit den Römern vorzügliche und nicht zu verachtende Weine. Denn<br />

was davon nach Rom eingeführt wird, ist von solcher Art und so mannigfaltig,<br />

daß ich zumal als Deutscher die Pflicht habe es anzumerken, weil meine deutschen<br />

Landsleute an seiner Güte und der temperamentvollen italienischen Liebesleidenschaft<br />

("ltalildi/ Veneris Gupiditale") vorzüglich sich erfreuen. Auch Schott,<br />

stets bedachtsam, läßt die letzte, ziemlich krause Angabe fort, ist aber unbefangen<br />

genug, wenigstens den ersten, die Kurie nennenden Satz zu übernehmen .<br />

• • •<br />

über Ne a p e I und seine nächste Umgegend berichtet Gadenstedt auf siebenzig<br />

Folioseiten. Langer, unerwünschter Aufenthalt hatte ihm dort zu gründlichen<br />

Eindrücken Gelegenheit gegeben. Trotzdem lä"ßt auch diese Beschreibung niCht<br />

überall klar unterscheiden zwischen übernommenem und Eigenem. Dem üblichen<br />

Schema entsprechend beginnt der Text mit einer Auseinandersetzung über den<br />

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sagenhaften ursprünglichen Namen Neapels, Parthenope. Er übernimmt dazu<br />

ein Zitat Leandro Albertis in dessen Descrittione di tutta Italia aus dem historischen<br />

Lehrgedichte des im Jahre 101 verstorbenen Römers Cajus SiIius Italicus<br />

über den zweiten punischen Krieg. Die Vorliebe Gadenstedts und seiner Zeit<br />

für Geschichte in poetischem Gewande gehört zu ihrer typischen Neigung für<br />

feierliches Sich-darstellen. Auch bei Syrakus und sonst wird "SilillS poeta" mit<br />

Versen herangezogen. Das anmutige Zitat über die erste Benennung der Stadt<br />

Neapel möge in der übersetzung Bothes beispielsweise eine Vorstellung geben<br />

von solcher Schätzung:<br />

"Eine Sirene gab ihr den unvergeßlichen Namen<br />

"Einst, Achelous Tochter, Parthenope, deren Gesänge<br />

Lange das Meer beherrschten, den unglückseligen Schiffern,<br />

Die hernahten zum Strand, ein süßes Verderben bereitend."<br />

Weiter sagt Gadenstedt: "Ehe ich aber mit beschreibung der stadtt Neapolis<br />

fortfhare, will Ich erstlich kurtzlich In gemein etwas vom koenigreich Neapolis<br />

vnd mherertheils auß den Delitiis Neapolitmzis Hieroni11li Megiseri meldung thun."<br />

Das beansprucht 17 Seiten. Daran schließen sich, analog der Behandlung Roms,<br />

Kataloge der Erzbischöfe, Könige und Vizekönige Neapels, diese bis auf "Johann<br />

de lllnioa Graf von Miranda " .. dieser hatt bei meiner Zeitt Anno 1588 vnd<br />

1589" regiert. Von 244, Kirchen und von Hospitälern folgen ausgewählte mit<br />

14 Seiten, Paläste einschließlich der Festungen, des Arsenals, des Hafens, der<br />

Märkte, des Wenigen über den Vesuv und Anderes mit 10 Seiten, alles durchsetzt<br />

mit Gelegenheitsanmerkungen. So erfahren wir nebenher, vor einem Altare<br />

des Domes "soll begraben liegen der Mann, weIcher erstlich den Vinum Graecllm,'<br />

der besten wein einen In Italia, gelegett vnd gepflantzett." Ebenda bestattet sei<br />

der "koenig In Frankreich, der dem könige Conraaino aus Schwabenn auf des<br />

Babsts anhetzen .... das heupt abslagenn lasenn." Gemeint ist König Karl I.<br />

von Neapel, ein Bruder König Ludwigs IX. von Frankreich. Im Dom wird unter<br />

anderem wie an der Taufkirche zu Florenz eine 'Bildhauerarbeit "den fremden<br />

zum wharzeichen gezeigett, das sie In dieser Kirchen gewesenn sein." Es unterscheidet<br />

sich hinsichtlich der Zweideutigkeit nicht von dem Florentiner. Auch<br />

des jährlichen Blutwunders der Reliquie des heiligen Neapolitaner Stadt patrons<br />

Januarius wird gedacht.<br />

Auffallend liebevoll wird auf die nicht große, doch damals schon inhaltsreiche<br />

Kirche Monte Oliveto eingegangen. Vielleicht hat Gadenstedt in ihrer<br />

Nähe gewohnt und sie gelegentlich als Genesender ohne Anstrengung wiederholt<br />

besucht. über diese Kirche und ihren Konvent wurde bereits S. 34 Einiges mitgeteilt.<br />

Selbst die Grabstätte des neapolitanischen Juristen und Basilianerabtes<br />

Alexander ab Alexandro, gestorben 1523, wird erwähnt unter Berufung auf<br />

Leandro Alberti 109). Dieser, ungemein sparsam mit Angaben über Innenausstattungen,<br />

nennt Blatt 165 seiner Descrittione den Abt als Rechtskundigen, der das<br />

ausgezeichnete Werk der Genialium dierum verfaßt habe, "quella dotta opera,<br />

Ger.ialium dierum, di gran dottrina et eccellenza". Dieses Lob muß Gadenstedt<br />

imponiert haben. Es galt einem in Humanistenkreisen geschätzten Buche, das ihm<br />

wohl bekannt geworden war, schwerlich aber von ihm gelesen sein mochte. Heute<br />

wird der Abt nur noch beachtet wegen seines in jenen Dies geniales mit Erlebnissen<br />

begründeten Glaubens an Teufel, Dämonen und Totenerscheinungen, ein<br />

auch anderen Humanisten trotz ihrem verhehlten rationalistischen Heidentum<br />

keineswegs fremder Zug zum Jenseitigen, dem Gadenstedts evangelische Gläubigkeit<br />

mit merkwürdiger Scheu, aber ohne entschlossene Ablehnung sich möglichst<br />

fern gehalten hat. Teilnehmender wird als ein letzter vorreformatorischer Zeitgenosse<br />

Alessandros Alberti gewesen sein. Als Angehöriger des inquisitorischen<br />

Dominikanerordens, überdies in Bologna, hatte er freilich größere Disziplin zu<br />

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wahren, soweit nicht der Dämonenglaube, durch Jahrtausende erhalten, zum hergebrachten<br />

Unterbau auch der Kirche gehörte. Dem Abschnitt über die Kirchen<br />

angehängt sind im Verhältnis zu Gadenstedts sonstigem Interesse für wissenschaftliche<br />

Anstalten nur magere Angaben über die <strong>Bibliothek</strong>en und die Universität<br />

Neapels. Von dieser sagt er: "Die professoren zwar haben guete besoldungen,<br />

lesen aber wenig".<br />

Glaubten wir, am Beispiele der Kirche Monte Oliveto durch die kompilatorische<br />

Masse des über so manche Kirche reichlich Mitgeteilten eigene Eindrücke<br />

bemerkenswert lebhaft schimmern zu sehen, so geht es uns nicht anders bei der<br />

Schilderung der Profanbauten Neapels, obgleich es auch da an Herübernahmen<br />

aus Schraders Inschriftenwerke nicht fehlt. So decken sich die von uns schon<br />

Seite 34 angeführten Mitteilungen über die kurfüstlich. sächsischen Geschütze mit<br />

denen Schraders. Aber Gadenstedts persönlicher Besuch wenigstens des Castelnuovo<br />

am Meere, wo sich einige dieser Geschütze befanden, ergibt sich zweifellos<br />

aus seiner Beschreibung. Die anderen standen auf der Höhe im CasteIl<br />

S. Elmo. Und da erzählt Gadenstedt wieder einmal eine seiner volkstümlichen<br />

Anekdoten: Weil nemlich von diesem Fort aus "die andern festungen wie auch<br />

die gantze stad zu beschiesen vnd zu zwingen sein", so wäre es auch genannt<br />

"La briglia, das Ist des pferdes Zaum". Denn Kaiser Karl V. habe, als er aus<br />

Afrika nach Neapel gekommen sei, "ahn den heusern viel weiserr Roß ohne<br />

Zaum gemhalet gesehenn" als Symbol der freiheiten Neapels, worauf er diesem<br />

Roß mit dem CasteIl S. Elmo einen Zaum habe anlegen wollen. - Kaum vermittelt<br />

folgt nun die über fünf Seiten sich erstreckende Erzählung der Katastrophe<br />

Konradins (dazu S. 34), einschließlich der Sizilianischen Vesper vom<br />

Jahre 1282, nicht 1281, wie Gadenstedt datiert.<br />

Den nach Form wie Inhalt vom Bisherigen recht verschiedenen Abschluß<br />

der Schilderung Neapels bildet, "was auserhalb der stadtt zu sheen, sonderlich<br />

vmb Pozzllolo, Baia vnd undere darselbst gelegenheitt." Es sind die westlich<br />

Neapels vom Posilipp bis Cumä sich erstreckenden phlegräischen Felder, die<br />

Gadenstedt vornehmlich beschäftigt haben, ihre üppigen antiken Erinnerungen,<br />

die ihn als Humanisten auf das Lebhafteste fesselten. Hier gehen daher auch<br />

wieder eigene Beobachtungen sowie Lektüre antiker und humanistischer Schriftsteller<br />

neben einander her, ohne so ineinander überzufließen, wie etwa in Rom.<br />

Deutlich scheint durch die Abfolge seiner Beschreibung wie durch Einzelheiten<br />

sein persönlicher Tagesbesuch unter Führung eines ortskundigen Cicerone. Er<br />

gliedert seine Schilderung in 35 numerierte Abschnitte, wie das ähnlich mit demselben<br />

Stoffe Scipione Mazzella getan hatte in seinem illustrierten, zuerst 1591<br />

erschienenen handlichen "Bäderführer": Silo et antichita della citta di Pozzuolo<br />

e dei suo amenissimo Distretto (daraus Abb.5, S.32). Gadenstedt verarbeitet den<br />

Stoff gründlich. Der Hauptteil jenes Büchleins von 224 Seiten bespricht in 30<br />

numeriertcn Abschnitten die Altertümer, ein eigener lateinischer Anhang: Opuscllium<br />

de balneis PUfeoiorll1ll, Baiarum et Plthecusarum, zerlegt seinen nur die<br />

Bäder berücksichtigenden Stoff in 41 numerierte Teile und ist in seinem Hauptstück<br />

Neuauflage eines Werkes des Neapolitaner Ar4tes Johannes Elisius: De<br />

balneis totius Campaniae et Aenariae Insutae, schon aus der Mitte des 15. Jahrhunderts.<br />

Gruppiert sind also diese Bäder um Pozzuoli, Bajae und die Insel Ischia.<br />

Daß die Besichtigung mit Reittieren geschah, gleichwie daß sie einen ganzen Tag<br />

beanspruchte, läßt Gadenstedt gelegentlich erkennen, und es scheint nicht, daß<br />

er das zerklüftete vulkanische Gelände, dessen heiße Quellen damals auffälliger<br />

als heute zu Heilzwecken benutzt wurden, ein zweites· Mal besichtigt habe.<br />

Er beginnt seine Wanderung mit der Kirche Santa Maria dei Parto auf der<br />

Mergellina am Abhange des Posilipp. Sie birgt das mit Skulpturen ausschließlich<br />

heidnischen Inhalts geschmückte Grabmal des im Jahre 1530 gestorbenen<br />

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humanistischen Dichters Jacopo Sannazaro. Gadenstedt fällt das auf und er<br />

schon erwähnt die bis in die Gegenwart kirchlicherseits gepflegte Deutung<br />

der Figuren eines Apollo und einer Athene als Daniel (richtiger David) und<br />

Judith, "weil die Münche der heidnischen Gotterr nhamen nicht leiden wollen."<br />

Daß die Geistlichen einer christlichen Kirche eine begreifliche Berechtigung dazu<br />

hatten. scheint dem humanistischen Protestanten nicht Eanz eingeleuchtet zu<br />

haben. In den phlegräischen Feldern standen für unsern auf überlieferungen des<br />

Altertums erpichten Humanisten selbstverständlich nicht die landschaftlich-vulkanischen<br />

Eigentümlichkeiten im Vordergrunde, sondern die antiken TrUmmer<br />

und Erinnerungsstätten, diese überwiegend willkOrliehe Kombinationen von<br />

Schriftstellerüberlieferungen mit Ruinen. FOr Besuch und Deutung war man<br />

angewiesen auf die Umsicht und die Kenntnisse des Führers. Sie scheinen in<br />

diesem Falle gut gewesen zu sein. - Verbunden mit den antiquarischen Interessen<br />

war die damals sehr unmittelbare Liebhaberei für die noch viel benutzten<br />

natürlichen Gelegenheiten vulkanischen Ursprungs zum heißen Baden und<br />

Schwitzen in Wasser und Dunst. Heute konzentriert sich der Thermalbetrieb<br />

auf den modernen Badepalast im Kessel des inzwischen trocken gelegten Lago<br />

d' Agnano. Gadenstedt weiß entsprechend zu melden: "Es ligt zu Puzzolo stets<br />

viel volcks, das darselbst, wenn sie mitt kranckheitt behaftet, baden, auch viel<br />

für die lange weile die da baden vnd sich erfrischen."<br />

Durch den langen antiken Tunnel, die Grotta deI Posilippo, wurde das klassische<br />

Gefilde erreicht. Das technische Meisterwerk des Tunnels wird gewürdigt,<br />

die Sage der Mitwirkung Vergils als eines Schwarzkünstlers wird kritisch angeführt<br />

und die Erleichterung des Verkehrs im ·dunkeln Innern durch mitgenommene<br />

Fackeln erläutert. Dann wird der See von Agnano mit der Hundsgrotte<br />

erreicht, seine und seiner Quellen und Ausdünstungen Eigenart wird beschrieben.<br />

Gadenstedt "muß alhier einer Papistischen Legenda gedencken",<br />

nämlich der leicht humoristisch gefärbten Begegnung des heiligen Germanus mit<br />

dem bereits verstorbenen Bischof Paschasius. Er fand dessen Seele "In der hitze<br />

stehen, den badeleuten ahn knechtsgestalt dienende" zur Strafe für eine kirchliche<br />

Sünde. Der Heilige habe ihn darauf von Gott losgebeten. Ausdrücklich<br />

Leandro Alberti 110) entnimmt er die Angabe, man sähe jeden Frühling<br />

"viel slangen von den gebirgten herunttr krichen. Die verwickelnn sich In einander<br />

vnd sturtzen sich haufenweiß In den shee, werden auch hernach nimmermher<br />

gesehenn, wie dann solches die herumbwhonenden bezeugenn." Selbständige<br />

Beobachtung Gadenstedts ist wohl der Zusatz: "Die leutte pflegen flax<br />

hienein zu legen, denselben zu rotenn. Wann derselbe wenig zeitt darin gelegen,<br />

Ist ehr weich vnd roetig." Das ist eine der wenigen Stellen, wo seine ererbte<br />

Verbundenheit mit wirtschaftlicher Bodennutzung unmittelbar sich äußert.<br />

Der halberloschene Krater der Solfatara so dann, das Forum Vulcani der<br />

Angaben Gadenstedts, wird untersucht, weiter das Amphitheater des antiken<br />

Puteoli, "ein altes Amphitheatrum oder spielhauß, wird von den einwhonern<br />

oollegium oder schola Virgilis genand, Ist aber verfallen." Dann Pozzuoli selbst<br />

mit seinen durch literarische Hinweise und Zitate nicht weniger als das übrige<br />

Gelände erhärteten Beziehungen zur römischen Kaiserzeit, zum Apostel Patilus,<br />

dazu mit seinen Spuren des verheerenden Erdbebens von 1538, und mit seiner<br />

Herstellung modernen Trinkgeschirrs. Auch der Dom, früher ein Augustustempel,<br />

wird als solcher wie als Kirche besichtigt, angebliche Gebeine von Riesen<br />

werden in ihr angestaunt und dazu lateinische Verse zitiert des aus Neapel gebürtigen,<br />

1498 verstorbenen bedeutenden Humanisten Pomponius Lätus. Manche<br />

TextsteIlen und die Verse wieder bei Leandro Alberti sowie in Mazzellas<br />

Führer 111). Weiter, vorbei am Krater des erst im Jahre 1538 entstandenen, das<br />

Gelände umgestaltenden und daher auch entsprechend erläuterten Monte Nuovo<br />

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Durch den Arco felice, im Text Arcus Triumphalis, den über die Straße<br />

hochgeführten Bogen Kaiser Domitians, gelangt der Reisende nach der Ruinen-<br />

stätte Cumäs, die indessen nur Anlaß gibt, sich mit der Sybille zu beschäftigen.<br />

Dann wird südwärts zum Capo di Miseno eingeschwenkt. Hier und darauf in<br />

Bajä fesseln wieder die damals noch sehr eindrucksvollen und vielgestaltigen<br />

Ruinen von mannigfaltigen antiken Bauten meist aus der besten römischen<br />

Kaiserzeit, voll von auch im Text nachhallenden literarischen Reminiscenzen<br />

an Lucullus, Cicero, Augustus, Tiberius, Nero und dessen Muttermord der Agrippina.<br />

Das Interesse an den warmen Bädern wird auf dem Rückwege hinter<br />

Baja wieder lebhaft bei den Bagni di Tritolo, heute meist Bagni di Nerone,<br />

Bäder Neros genannt, verbunden mit einer Reihe ähnlicher Anlagen, jedes Bad,<br />

heute so gut wie unbeachtet, mit eigenem Kennworte. Petrarca, PIinius sogar<br />

ürii:l Fäzio, dieser mit Versen aus seiner Dittamondo, dieselben, die auch Alherti<br />

anführt, werden zum Lobe einer Gruppe von "warmen schweisbedern" bemüht.<br />

Sie fehlen bei Mazzella. Anschließend wird noch einmal eine von Mazzella<br />

o<br />

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geht es zum Averner See. Das Manuskript verweilt weitläufig an den historischen<br />

und legendarischen Beziehungen seiner Umgebung, gläubig oder kritisch.<br />

So heißt es etwa vom Monte Gauro, dem höchsten Kraterrande der phlegräischen<br />

Felder: "Sonst wird genarrett, das In diesem berge ein groser schatz vorhanden,<br />

der dahin gezaubertt", wonach oft gesucht wäre. "Sonst soll sich viel gespenst<br />

vnd Teufelswerck ahn diesem berge vernhemen lasen." Das Bedenken dem<br />

Schatz gegenüber hält sich bei dem Gespenste zurück, ebenso wie früher bei der<br />

Begegnung mit dem Gespensterschlosse Salurn in Südtirol.<br />

Beim Avernersee wird nicht nur die antike, von VergiI kraftvoll ausgestaltete<br />

überlieferung des dortigen Eingangs zur Unterwelt berührt, sondern auch ihre<br />

christliche Umwandlung in den Hölleneingang, den Christus gesprengt habe nach<br />

seinem Kreuzestode. "Ahn diesem orttc, do die bäder Tipargolae gewesen, Ist<br />

ein berg, wirdtt genantt Monie Christi" 112), vielleicht die Höhe des Monte Grillo<br />

zwischen dem See und Cumä.Auch das steht in Mazzellas Bäderführer von<br />

1591 samt lateinischen Versen der mittelaJterlichen Dichter Alcadinus und<br />

Eustachius. Die Angabe geht schon auf Elisius zurück, der bei Mazzella Anhang<br />

Seite 28 sagt, dieser - heute unbekannte - Mons Christi habe die Bäder von<br />

Tripergola überragt. Vielleicht ist auch er mit deren Untergang~ 01538 verschwunden.<br />

Sein Name hätte immerhin auf eine andere Höhe am Avernersee<br />

übertragen worden sein können. Gadenstedt meint dazu, Mazzellas vorsichtige<br />

Zurilckhaltung teilend, allerdings ohne dessen geflissentlich beigefügtes Glaubensbekenntnis<br />

als Katholik: Ob Christus "ahn diesen ortt oder anderswo auß der helle<br />

gekommen, Ist nicht für gewiß zu setzen. Darumb In diesen vnd andern verborgenen<br />

sachen mann billig sagen mag mitt dem heiligen Augustino: Quapropfer melius<br />

volo dubitare de occultis quam litigare de incertis", lieber will ich zweifeln<br />

am Verborgenen als streiten über Ungewisses; und aus Eigenem fügt Gadenstedt<br />

hinzu: "Nec dicere audeo, quod nescio", noch wage ich zu behaupten, was ich<br />

nicht weiß. "Mann Iieset zwar beim Augustino: Portas ef/ringet Averni", er zerbrach<br />

die Pforte des Avernus, der Hölle. Bereits rationalistisch aber lehnt der<br />

Neapolitaner Mazzella, und innerlich mit ihm Gadenstedt, die Ortslegende ab, weil<br />

weder Christi Wesenheit, noch die aus dem Limbus befreiten Seelen Bergklüfte<br />

zum Ausgang oder Eingange nötig hätten, denn sie seien körperlos, "spirlti", und<br />

die Berge könnten nur Körpern hinderlich sein, Körpern gewöhnlicher Menschen,<br />

"corpi dico non gloriosi". Klar also wäre, daß man es hier nur mit Redereien<br />

des Volkes zu tun habe. Man sicht, wie nur mühsam von den Vertretern bei der<br />

Konfessionen ein bedenkliches Betasten und Befragen dogmatischer Geheimnisse<br />

vermieden wird. Die gewaltsam bezwungene Unruhe des Barock über den<br />

Restaurierungsversuchen unerschütterlicher Gläubigkeit kündigt sich an.<br />

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angeführte, recht anekdotisch anmutende Geschichtsepisode mitgeteilt: Die Professoren<br />

der im Mittelalter berühmten Medizinischen Fakultät der Universität<br />

im nahen Salerno hätte die Heilkraft der Bäder von Bajä-Tritolo, "dherer bei<br />

hundertt- soln gewesenn sein, .... verdrossen, denn sie des wegen kein geld verdienett.<br />

Daher sie sich aufgemacht vnd dahin geschiffett, vnd haben die verzeichnis<br />

vnd merckzeichen, darbei man eines Jedes bades tugent vnd krafft<br />

erkennen konnen, weggenommen vnd Ins mheer geworfenn." Auf der Rückfahrt<br />

aber seien sie dafür bei Capri "vntergegangen vnd ersoffenn". Dieser Erzählung<br />

mag immerhin ärgerliche Scheelsucht Salernos gegen Neapol-Pozzuoli<br />

zugrunde gelegen haben.<br />

Kein anderer Abschnitt des Manuskriptes ist, trotz frischer, das unmittelbare<br />

Reiseerlebnis noch nachwirken lassender Wegschilderung, derart reichlich<br />

mit Hinweisen auf antike und humanistische Literatur sowie mit GedichtsteIlen<br />

aus ihr versehen, wie dieser über die Phlegräischen Felder. Anschließend an<br />

seinen zwar wohl nur eintägigen, aber intensiven Besuch dieses nächst Rom von<br />

antiken Resten und Erinnerungen am meisten durchsetzten, von späteren Kulturschichten<br />

am wenigsten überdeckten Geländes holte der Humanist Gadenstedt<br />

nach, was ihm selbst in Rom über den christlichen Eindrücken nicht zu<br />

einem vollen Erlebnis geworden war: die in berückender Landschaft belebte<br />

Vorstellung einer im barocken Sinne in das Heroische gesteigerten Größe römischer<br />

Lebensweise. Es ließe sich daher an herausgegriffenen Textteilen und<br />

Äußerungen besonders prägnant Gadenstedts Methode der literarischen Verarbeitung<br />

seiner Eindrücke erweisen. Wir fassen zusammen: Seine Angaben verteilen<br />

sich, den Ruinen und der vulkanischen Natur der üppigen Gegend entsprechend,<br />

vornehmlich auf die römische Vergangenheit und ihre Sagen, sowie<br />

auf die immer noch gern genutzten Heilbäder. Zugrunde liegt das uns inzwischen<br />

als Stoffquelle hinreichend bekannt gewordene ortskundige Büchlein des<br />

Neapolitaners Mazzella. Zwar nur vereinzelt als Gewährsmann genannt, wird<br />

sein Tatsachenmaterial doch durchweg verwertet, mehrfach mit unmittelbarer<br />

Anlehnung an seinen Text. Auch die überaus zahlreichen, für das humanistischhistorische<br />

Interesse unerlaßlichen Beziehungen auf ortskundige antike Scnriftstcller<br />

gehen denen Mazellas parallel. Man trifft auf Plutarch, Lukrez, VergiI,<br />

Horaz, Plinius, Tacitus, Juvenal, MartiaI. Durchaus nur dem Anhang von Mazzellas<br />

Bäderführer entnommen sind auffallend von Gadenstedt bevorzugte Proben<br />

aus dichterischen Lobgedichten auf die Bäder Bajä-Pozzuolis von italienischen<br />

Medizinern, über die Mazzella selbst zudem biographische Daten beibringt. Daraus<br />

wird am häufigsten herangezogen der um das Jahr 1200 in Salerno als<br />

Professor wirkende, von den deutschen Kaisern Heinrich VI. und Friedrich 11. geschätzh~<br />

Alcadinus. Ihm reiht sich der Neapolitaner Eustachius Materanus an,<br />

der Ende des 1<strong>3.</strong> Jahrhunderts gelebt hat, und als Dritter Franciscus Lomhardus,<br />

zuletzt Kanonikus am Dome Neapels und beteiligt am Tridentiner Konzil, also<br />

schon ein Zeitgenosse Gadenstedts. Neben solchen mit dem Topographen MazzeIIa<br />

verbundenen Autoren wird der sonst so gern herangezogene Schottus nicht<br />

erwähnt, schwerlich auch benutzt, obgleich sein Itinerar die Wegstrecke bis<br />

Neapel und dieses selbst, entnommen einem Werke des 1604 verstorbenen<br />

Niederländers Stephanus Pighius, mit einschließt. Gelegentliche übereinstimmungen<br />

seines Textes mit Gadenstedt mögen auf dessen Gewährsmann oder dahinter<br />

liegende Quellen zurück zu führen sein. Die sonst für das Manuskript so wichtigen<br />

'Schriftsteller Alberti und Schrader werden nur vereinzelt auf diesem Vorgelände<br />

Neapels genannt, beider Werke sind aber wohl zweifellos, auch Schraders<br />

Inschriftenkorpus, zur Ergänzung \vie zur Kontrolle ausgiebig herangezogen.<br />

Ganz unergiebig ist Mcgiserus geblieben, der Verfasser von für Teile des Textes<br />

über Venedig, Neapel und Malta umfangreich benutzten Büchern .<br />

• • •<br />

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Indessen gerade diese drei zuletzt genannten Autoren fordern noch unsere<br />

besOl:dere Aufmerksamkeit. Denn es ist unnötig, zu den vielen, bereits herausgegriffenen<br />

Namen von Gadenstedt beachteter SchriftstelJer auch noch den Rest<br />

nur gelegentlicher, sei es antiker, sei es humanistischer Namensnennungen anzuführen.<br />

überwiegend sind sie verbunden mit TextsteIlen, die zeitgenössischen<br />

Humanisten entlehnt sind. Und auch, daß die Erwähnung angeblicher steinerner<br />

"Natternzungen" Maltas Gadenstedt zu dem Hinweis veranlaßte auf des bahnbrechenden,<br />

1565 gestorbenen Schweizer Naturforschers Konrad Gesner An.gaben<br />

über Schutzmittel gegen Schlangengift, möge hier nur als ein Zeichen vielseitiger<br />

Interessiertheit, auch vielleicht eines gewissen Prunkens mit Gelehrsamkeit und<br />

somit zur Charaktcrisierung unseres Manuskriptes nebenbei noch angemerkt sein.<br />

Im Hinblick auf die Arbeitsmethode Gadenstedts haben wir dagegen zum<br />

Verständnis seiner eigenen Leistung eben die Schriftsteller hervorzuheben, die<br />

nicht nur seine bevorzugten Quellen gewesen sind, sondern ihn auch zur Nachahmung,<br />

ja zu konkurrierender überbietung gereizt haben mögen: Schrader, Franciscus<br />

Schottus, Nathan Chyträus, Megiserus und Alberti. Vier davon gehörten<br />

dem damaligen deutschen Reiche an, nur Alberti war ein Italiener. Es läge nahe<br />

anzur.ehmen, daß die leichtere Erreichbarkeit deutscher Veröffentlichungen der<br />

Grund davon gewesen wäre. Indessen ist zu bedenken, daß auch italienische Herausgeber<br />

des für Gadenstedts Text nötigen Stoffes frühzeitig in deutschen Nachdrucken<br />

vorgelegt wurden. Zum Beispiel wurde des Onuphrius Panvinius<br />

heute noch aufschlußreiches, 1570 zuerst veröffentlichtes Werk De praecipuis<br />

urbis Romae sanclioribus basilicis, über die wichtigsten kirchlichen Gebäude<br />

Roms, 1584 in Köln nachgedruckt; im Jahre 1600 erschien zu Frankfurt am Main<br />

ein umfangreiches, dem humanistischen Jesuiten Andreas Schottus, Bruder des<br />

Franziskus, gewidmetes und von ihm veranlaßtes Sammelwerk !taliae illuslratae,<br />

seu rerum urbiumque Italicarum scrip tores varii, das unter anderem teilweis oder<br />

vollständig die von Gadenstedt benutzten Spezial arbeiten des vorhin ausführlich<br />

von uns berücksichtigten Neapolitaners Mazzella und des im Jahre 1506 verstorbenen<br />

venetianischen Geschichtsschreibers Sabellicus enthält. Des in Metz<br />

1601 verstorbenen Johann Jakob Boissards aus Besanc;on vielgliederiges Monumental<br />

werk Rommwe urbis topographia erschien sogar als Originalausgabe zuerst<br />

1597 bis 1602 in Frankfurt am Main, mit Kupfern und auf Kosten des tüchtigen<br />

Stechers Theodor de Bry. Es dient auf topographischer Basis der Antikenkunde<br />

und ist wieder ein Sammelwerk. Denn es fügt den umfangreichen<br />

eigenen, von Aldrovandis Arbeit über Roms Statuenbestand zumal des Privatbesitzes<br />

abhängigen Beiträgen Abdrücke bei der einschlägigen antiquarischen<br />

Werke des Panvinius, - nicht dessen Kirchenveröffentlichung - und des von<br />

Gadenstedt zwar nicht genannten, ihm aber schwerlich, da er Boissard mehrfach<br />

zitiert, unbekannt gebliebenen Darstellers der antiken Topographie Roms,<br />

des Mailänders Johannes Bartholomäus Marlianus .<br />

• • •<br />

Der wichtigste jener an Gadenstedts Text quellenmäßig beteiligten Humanisten,<br />

- Humanisten, sofern sie mit ihren Stoffen gemaß antikischer Schulung<br />

allgemein Menschliches zu erfassen suchten, ist uns Schrader, und nicht nur<br />

darum, weil er Gadenstedts Landsmann gewesen ist. - Doktor Lorenz Schrader<br />

113), ostfälisch-niedersächsischer Zugehörigkeit, wurde im Jahre 1538 in<br />

Halberstadt geboren. Er wurde erst fürstlicher Rat des Bischofs Johann von<br />

Osnabrück, Grafen von Hoya, der von 1555 bis 1573 regierte, dann von dessen<br />

unkatholisch, wenn nicht gar protestantisch gesinntem Nachfolger Heinrich,<br />

Herzog von Sachsen-Lauen burg, für dessen Wahl Schraders Einfluß ausschlaggebend<br />

gewesen war, und der vorher schon postulierter Erzbischof von Bremen<br />

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geworden war. Aucb an der im Jahre 1585 folgenden Wahl des noch entschiedener,<br />

abcr erst nach Erwerb des Osnabrücker Bischofssitzes zum Luthertume<br />

sich bekennenden Grafen Bernhard von Waldeck war Schrader fördernd<br />

beteiligt. Trotzdem blieb sein Verhältnis unklar sowohl zu diesem wie zu<br />

dessen von vornherein protestantischem, bis 1623 regierendem Nachfolger Herzog<br />

Philipp Sigismund von Braunschweig, zugleich· Bischof von Verden, Bruder<br />

des Herzogs Heinrich Julius, postulierten Bischofs von Halberstadt. Vielleicht ist<br />

Schraders eigene konfessioneIle Haltung Zeit seines Lebens schwankend gewesen.<br />

Erst 1606 ist er gestorben, vermutlich in Osnabrück, wo er im Jahre<br />

1572 vom Bischofe für treue Dienste, auch bei auswärtigen Gesandtschaften, ein<br />

Grur.dstück zum Hausbau erhalten hatte 114), dem 1594 auch ein Gutshof gefolgt<br />

ist. Einen während wiederholter Reisen mehrjährigen Aufenthalt in<br />

Italien und Rom, teil weis in landesherrlich-bischöflichem Auftrage, hat er für<br />

sein Werk über Italien verwertet. Das ihm vorgeworfene Erhandeln, vieIIeicht<br />

auch Verhandeln kirchlicher Pfründen war derzeit nichts Ungewöhnliches und<br />

zur standesgemäßen Existenz schwerlich zu vermeiden. ZweifeIIos hat er<br />

diplomatisches Geschick und praktischen Blick besessen. Seinen bischöflichen<br />

Landesherren ist er daher von erheblichem Nutzen gewesen, Bei alledem ist<br />

das geschichtliche Nachbild seiner Tätigkeit und seines Charakters undeutlich, ja<br />

zweideutig geblieben 115) und bedürfte der nachprüfenden Klärung. Uns aber<br />

interessiert hier etwas nicht Umstrittenes, weil Unbeachtetes, die Beschäftigung<br />

seiner humanistischen Neigungen. Sie ist gegenüber seiner praktischen Tätigkeit<br />

als Vertreter fürstlicher Herrschaftsansprüche geradezu in Vergessenheit geraten,<br />

die Allgemeine deutsche Biographie erwähnt sie nicht.<br />

Denn es ließ sich nicht finden, daß der welterfahrene Rat der Bischöfe und<br />

der gelehrte Autor des nun von uns näher zu betrachtenden \Verkes, vermutlich<br />

seiner einzigen wissenschaftlichen Veröffentlichung, als dieselbe Person ernstlich<br />

gewürdigt worden ist. Das Buch mit durchweg latcinischem Text ist be-<br />

. titeIt: Monumeniorum /laUae, quae hoc nos/ro saeculo ei a Christianis posita<br />

sunt, libri quattuor, editi a Laurentio Schradero Halberstadien. Saxone; HelmaestadU<br />

1592. Es soll demnach wesentlich ein Verzeichnis christlicher Erinnerungsstätten<br />

mit Bevorzugung des letzten - sechzehnten - Jahrhunderts sein. Konsequent<br />

ist das nicht durchgeführt. Der Folioband enthält nicht weni.ger als 410<br />

numerierte Blätter. Jedes seiner vier Bücher beginnt mit einer Widmung an einen<br />

nordwestdeutschen Landesherrn. Sie ist selbstverständlich als Empfehlung zu<br />

werten, Vor dem ersten Buche gilt sie dem Herzoge Johann Adolf von Holstein,<br />

postuliertem Erzbischofe Bremens, Nachfolger Heinrichs von Lauenburg seit 1585<br />

bis 1596. Das zweite Buch gilt dem Herzoge Heinrich Julius von Braunschweig,'<br />

postuliertem Bischofe von Halberstadt, das dritte dessen Bruder und Schraders<br />

Landesherrn Philipp Sigismund, erwähltem Bischofe von Osnabrück, das vierte<br />

dem Grafen Simon zur Lippe. Die aus dem September 1592 datierte Widmung<br />

des ersten Teiles gibt einige Auskunft über den Gang von Schraders italienischen<br />

Studien. Er sei vor 36 Jahren, also 1556, achtzehnjährig 116 ) zu Studienzwecken,<br />

studiorum causa, zuerst nach Italien gegangen, sei dort drei Jahre auf seine<br />

Kosten geblieben, habe Land und Städte durchwandert und viele bemerkenswerte<br />

Inschriften gesammelt 117). Zurückgekehrt, sei er zur Veröffentlichung dieses<br />

reichen historischen Stoffes ermuntert worden durch Philipp Melanchthon,<br />

Joachim Camerarius, 'den bedeutenden humanistischen Professor in Tübingen<br />

und Leipzig, Vater des Seite 39 erwähnten Philipp Camerarius, durch Johannes<br />

Sturm, den Straßburger Humanisten und vorbildlichen protestantischen Schulreformer,<br />

und durch Georg Fabricius, Rektor der Meißener Fürstenschule. Dieser<br />

spielte eine besondere Rolle unter den Besuchern Italiens zum vorwiegenden<br />

Zwecke gelehrter humanistischer Studien. Vom Jahre 1539 bis 1543 hielt er sich<br />

dort auf, zumal in Padua und RomJ In lateinischen Versen hat er das Er-<br />

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gebnis niedergelegt, vier Teile umfassend: ltinerum fiber unu.


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sprechend längeren Aufenthalt zum Besuche der Universitäten. Angeschlossen<br />

ist auf nur <strong>3.</strong> Blättern ein "iter ciroa Romam", nämlich die römische Campagna<br />

einschließlich Ostias, Frascati-Tusculums, Palcstrinas, Tivolis, Subiacos und<br />

Farfas. Den beiden letzten Klöstern geIten nur je 4 Zeilen, in Tivoli sind nur das<br />

Kastell, mit 4 Inschriften, und eine Brückeninschrift berücksichtigt, die übrigen<br />

Ortsangaben sind ohne Inschriften geblieben außer der des Narses bezüglich<br />

einer Erneuerung der Brücke für die Via Salaria über den Anio.<br />

Das zweite Buch beschäftigt sich Blatt 107 bis 219 mit Rom, dann bis Blatt<br />

260 mit dem Wege von dort nach Neapel und zurück nach Rom. Die Ausführungen<br />

über Rom beginnen wieder mit orientierenden allgemeinen Angaben<br />

und Statistiken über Lage, Ausdehnung, EinteiIung, Art der Bebauung und deren<br />

Zwecke. Auch die kirchlich wichtigsten Katakomben S. Agnese, S. Pancratio,<br />

S. Sebastiano und Priscilla sind unter Berufung auf den Kirchenvater Hieronymus<br />

nicht vergessen. Es ist das ein übersichtliches, auf die ersten neun Blätter knapp<br />

zusammengedrängtes Verzeichnis alles derzeit \Vissenswerten sowohl über den<br />

sichtbaren Bildungsstoff des antiken wie christlichen Rom, als über seine Verwaltung<br />

sowie den Beamtenstab und Hofstaat des Papstes. Da erfährt man<br />

ferner, daß eine der päpstlichen <strong>Bibliothek</strong>en werktäglich zwei Stunden geöffnet<br />

ist, und die von uns schon angeführten Angaben über die Frauen und Weine<br />

Roms. Inhaltlich mag nicht allzuviel Neues darin vorkommen. Schrader selbst<br />

zählt am Schluß zeitgenössische literarische Quellen und Kupferstichveröffentlichungen<br />

zur Ortskunde auf. Sie kehren zum Teil, wie wir schon wissen, in Gadenstedts<br />

Manuskript auf Seite 411 ff. wieder. Dort aber sind sie, verbunden mit<br />

einer systematischen Reihe anderer Nachweise aus Schotts Itinerar übernommen,<br />

wo Seite 122 bis 134 das ganze topographische Register Schraders nachgedruckt<br />

worden ist 118). - Nun erst, aber der planmäßigen örtlichen Aufreihung des<br />

Stoffes entsprechend, kommt das Verzeichnis von Inschriften tragenden Bauten,<br />

kleinere Kirchen auch ohne Inschriften. Es. beansprucht 99 Blätter, davon die<br />

Kirchen allein in alphabetischer <strong>Folge</strong> 6<strong>3.</strong> Wieder wurde dieses Verzeichnis nicht<br />

nur von Schott übernommen, sondern auch Gadenstedts Text zugrunde gelegt.<br />

Den Schluß des großen Abschnittes über Rom macht eine kirchliche Geste mit<br />

einem devoten lateinischen Gedicht des recht gesinnungslosen, 1498 gestorbenen<br />

Humanisten Pomponius Laetus über die Stationskirchen Roms.<br />

Der Weg von Rom über die Via Appia nach Neapel ist bis Linternum (Villa<br />

Literno) auf zwei Blättern erledigt und bringt keine Inschriften. Ohne Zwischenorte<br />

folgt sogleich Neapel. Die Dürftigkeit des verarbeiteten Stoffes schwindet<br />

auch in Neapel nicht. Dieser großen Stadt sind 31 Blätter gewidmet. Schon in<br />

ihrer allgemeinen Beschreibung werden wir über die sächsischen Geschütze unterrichtet.<br />

Alsdann werden auf immerhin 22 Blättern Inschriften aus Kirchen gebracht,<br />

auf die Kirchen selbst aber wtrd nur ganz spärlich eingegangen mit Ausnahme<br />

der Kirche Santa Maria deI Carmine mit dem Grabe Konradins, dem Geschichtliches<br />

über die Normannen und Hohenstaufen Unteritaliens beigefügt ist.<br />

Davon ist Gadenstedts freilich in anderem Zusammenhange gebrachte geschichtliche<br />

Auseinandersetzung über denselben Stoff schwerlich unabhängig. Sechs<br />

Blätter bieten alsdann Inschriften von weltlichen Bauten, aus Gärten und Sammlungen.<br />

Die letzten vier Neapel geltenden Blätter beschreiben d-ie phlegräischen<br />

Felder. Auch da werden, ähnlich wie bei Mazzella und Gadenstedt, 37 einzelne<br />

Heilbäder angegeben und vom Monte Nuovo behauptet, daß er noch rauche 119),<br />

was bei Schraders Besichtigung, nur etwa 20 Jahre nach der Entstehung dieses<br />

Kraters, immerhin glaublich ist, andererseits eine Verwechselung mit der Solfatara<br />

nicht ausschließt. - Der Rückweg nach Rom geht über Capua nach Gaeta<br />

und von da zu Wasser nach Anzio. Er beansprucht 3 Blätter mit nur wenigen<br />

Inschriften;<br />

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Das dritte Buch mit nicht mehr als 54 Blättern geht der Pilgerstraße nach<br />

über Otricoli, Narni, Spoleto zur Santa Casa von Loreto und weiter von Ancona<br />

der Küste entlang über Ravenna bis Venedig. Für Venedig selbst bleiben<br />

30 Blätter. Der Ertrag an Inschriften ist nicht so mäßig wie in Latium ohne<br />

Rom und in Unteritalien.<br />

Das vierte Buch mit 89 Blättern führt von Venedig über Vicenza, Verona,<br />

Brescia, Bergamo und Pavia nach Mailand, weiter in großem Bogen über<br />

Turin und Savona nach Genua, dann sildlich des Po durch Alessandria, Piacenza,<br />

Parma, Modena Faenza wieder an das Adriatische Meer bei Cesena. Hier liegt<br />

schwerlich eine beschrittene Wegstrecke zugrunde, sondern das Bedilrfnis nach<br />

einiger Vollständigkeit wenigstens filr OberitaIien. Größere Orte sind mit 1 bis<br />

5 Blättern bedacht, Verona bringt es auf 6, Genua auf 7, Mailand auch nur auf 9,<br />

Mantua dagegen auf 10. Streben nach wirklich ertragreichem Erfassen von Inschriftenmaterial<br />

ist also nicht vorhanden. Die geringe Ausbeute MtaiIands ist besonders<br />

auffallend.<br />

Angehängt sind schließlich auf 2 Blättern eine Reihe lateinischer und<br />

italienischer Sinnsprüche zum Ruhme der Städte und zur weit kritischeren<br />

sumrr.arischen Charakterisierung ihrer Einwohner, Männer wie Frauen. Schrader<br />

will freilich die Verantwortung dafür nicht tragen, nennt aber auch seine<br />

Quelle nicht. Er sagt: "Mir ist unbekannt, ob mein Gewährsmann dabei an das<br />

gegenwärtige oder ein älteres Jahrhundert denkt" 120). Diese Sammlung von einst<br />

wohl recht verbreiteten Kennzeichnungen bildet den Schluß auch von Gadenstedts<br />

Manuskript. Einiges ist gleichfalls von Schott in die unpaginierte Einleitung seines<br />

Filhrers sowie Seite 450 aufgenommenen, und es wird 'filr die den Städten<br />

geltenden lateinischen Hexameter der Engländer Thomas Edwardus als Verfasser<br />

genannt, was Gadenstedt weitergibt.<br />

So sehen wir nun auch, wie abhängig Gadenstedt selbst im systematischen<br />

Aufb,au seiner Arbeit von seinem heimatlichen Vorgänger Schrader gewesen<br />

ist. Bekannt geworden war uns bereits die übernahme von Einzelheiten und die<br />

Anpassung an Schraders Inschriftenauslese. Schrader finden wir desgleichen<br />

unter den flinf Autoren, aus denen Schott, wie er in der Inhaltsangabe seines<br />

Führers angibt, seinen Text in der Hauptsache zusammengesetzt hat. Dieser nennt<br />

ihn daher in der langen Widmung an den Jesuiten und Kardinal Bellarmin, den<br />

ebenso feinsinnigen wie gewandten und beharrlichen Wortfilhrer der Gegenreformation,<br />

er nennt ihn, trotzdem Schrader zu seinem literarischen Unternehmen<br />

ausschließlich durch bedeutende deutsche Protestanten ermuntert worden war.<br />

Wie unvermeidlicherweise Schraders dienstliche Wirksamkeit etwas Schillerndes<br />

gehabt hat, schwankend zwischen den katholischen und lutherischen Ansprüchen<br />

auf die Bistümer Osnabrück und Münster, gleichwie auf das Erzbistum<br />

Bremen, so ließe sich wohl allzu bedachtsame Schmiegsamkeit auch aus seinem<br />

großen Druckwerke herauslesen. Formal sachlich, wie es ist, steht inhaltlich<br />

ein vorbehaltloses Heranziehen kirchlicher und päpstlicher Einrichtungen doch<br />

in einem gewissen Widerspruche zu den Widmungen an durchweg protestantische<br />

Landesherrn. Da ist Gadcnstedt offener und wenn man will charakterfester,<br />

obgleich auch er in seiner Heimat wegen seines Stammgutes Gadenstedt<br />

im Hoheitsgebiete des katholisch gebliebenen Bistums Hildesheim von den<br />

konfessionellen Gegensätzen politisch erfaßt wurde.<br />

Im Ganzen übertrifft Gadenstedts Werk das Schradersehe erheblich an<br />

Fülle des Inhaltes. Wurde es angeregt durch dieses, so hat es doch an dessen<br />

strenge Beschränkung auf sachliche Mitteilungen sich nicht gehalten. Bei Schrader<br />

klingt nirgends eine persönliche Reiseerinnerung auch nur an. Sein Buch will<br />

ausschließlich Stoffsammlung sein an Hand der Herzählung von Wegstationen<br />

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durch Italien. Das ist wissenschaftlicher Instinkt, der vom Subjektiven fernhält.<br />

Gadenstedt trennt sich nicht von seinen persönlichen Reiseerinnerungen, macht<br />

sie jedoch nicht zur Hauptsache. Hauptsache soll das zusammengehäufte Material<br />

an geographischen, topographischen und historischen Tatsächlichkeiten sein.<br />

Aber auch das wird häufig durchsetzt mit Gelegenheitsbemerkungen und subjektiven<br />

Bewertungen, gleichfalls nicht seIten Reiseergebnissen, die ihm an der<br />

Durchführung zeitgemäßer gleichwie zeitgebundener Exaktheit hindern. Diese<br />

Zwiespältigkeit ist letzten Endes der Grund, warum kein druckreifes Werk entstehen<br />

konnte, vielleicht gar nicht sollte. Andererseits hat eben dieses Ergebnis<br />

ihm seine besondere Bedeutung verschafft. Während Schraders wissenschaftliche<br />

Leistung als solche völlig veraltet ist, nur als wichtige Etappe auf dem<br />

Entwickelungswege der Geschichtsschreibung gegenwärtig zu beachten ist, bietet<br />

Gadenstedts persönlicher Unterton und Einschlag Werte rein menschlicher Art,<br />

die sich frisch erhalten. Sein Dilettantismus, wiII man den "Mangel an einheitlicher<br />

Haltung so nennen, rettet seine Arbeit vor einem letzten Vergessen, sichert<br />

ihr als geschichtlicher Erkenn,tnisqUE;lle zwar bescheidenen, indessen unmittelbarsten<br />

Grades dauernde Beachtung. Sie zumal rechtfertigt die vorliegende, in<br />

ihrer Umständlichkeit unerläßliche. erste Auseinandersetzung mit einer bisher<br />

ungewürdigten geistesgeschichtlichen HinterlassensChaft.<br />

Es war notwendig, ausführlich in unserem Zusammenhange auf Lorenz<br />

Schrader nicht nur als Anreger für Gadenstedts Schilderungen hinzuweisen, sondern<br />

zumal als niedersächsische,n Bahnbrecher einer über die römisch-antiquarisch<br />

eingestellten Humanisten hinaus auf die Neuzeit erweiterten Denkmalforschung,<br />

war sie doch eine Angelegenheit von europäischer Bedeutung. Schrader<br />

war als Schriftsteller in seiner Heimat vergessen worden. Einem Italiener<br />

war es neuerdings vorbehalten, in einer populären Veröffentlichung höchst ehrenvoll<br />

auf ihn hinzuweisen, UT,d zwar ausgerechnet mittels eines Vergleiches mit<br />

Montaigne. Denn eine von Giuseppe Biadego verfaßte kunstgeschichtliche Monographie<br />

über Verona beginnt1 21 ): Montaigne, ein großer Schriftsteller und skep- ,<br />

tischer Naturphilosoph, habe im Jahre 1580 Italien besucht, aber für Veronas<br />

Kunst- und Kulturdenkmale keinen Sinn gehabt. Dagegen habe der ebenso wißbegierige<br />

wie gelehrte und anspruchslose Schrader, ein Deutscher aus Sachsen,<br />

24 Jahre früher Italien weit und breit bereist und darüber ein stoffreiches, heute<br />

äußerst seltenes Buch erscheinen lassen. "Darin habe er mit kurzen Hinweisen<br />

sowohl der reichen Landesprodukte Veronas und seiner Landschaft einschließlich<br />

des Monte Baldo gedacht, wie seiner Geschichte und seiner Kunstdenkmäler, und<br />

so auch bei San Zeno des legendarischen Endes vom Ostgotenkönige Dietrich<br />

von Bern. Aber Schrader sei keiner jener modernen deutschen Schriftsteller gewesen,<br />

welche in Verona die völkischen Voraussetzungen für eine deutsche Stadt<br />

gefunden hätten, trotzdem gerade er für die mittelalterlichen und jüngeren Erinnerungsstücke<br />

dieselbe einsichtige Schätzung gehabt habe, wie für die antiken<br />

122). -<br />

So müssen wir uns fast beschämen lassen durch diese Würdigung<br />

Schraders seitens eines Italieners, der einen uns als humanistischen Schriftsteller<br />

unbekannt gewordenen Landsmann so unbefangen über die Jahrhunderte heranzieht,<br />

sogar auf Kosten der internationalen Berühmtheit Montaignes. Daß dabei<br />

eine als politische Abwehr inzwischen nicht mehr mögliche Absicht des Italieners<br />

mit unterläuft, tut nichts zur Sache .<br />

• • •<br />

Die Abhängigkeit des Schotts ehen Itinerars und Jubeljahrführers von<br />

Schrader und seine teils durch diesen vermittelte, teils direkte Beziehung zu<br />

Gadenstedt ist bereits ausreichend zur Geltung gekommen. Schotts Führer, die<br />

im Jahre 1600 bei Plantin-Moretus zu Antwerpen in der bekannten musterhaften<br />

Druckausstattung dieser Firma herausgegebenen" ltineraril ltaliae rerumque Ro-<br />

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manarum libri ires, drei Bücher eines italienischen Wegweisers und römischer<br />

Angelegenheiten, sind zwar durchweg Kompilation, aber in solch geschickter<br />

Auswahl bei großem Umfange trotz bequemstem Taschenformat, daß das Buch<br />

in neuen Auflagen zum verbreitetsten Reiseführer bis in das 18. Jahrhundert<br />

geworden ist 123).<br />

Franciscus Schottus, geboren 1548 in Antwerpen und dort<br />

in angesehener Stellung als Ratsherr und auch als Bürgermeister, gestorben 1622,<br />

war, als Sild niederländer Untertan des Königs von Spanien, jeder Ketzerei unverdächtig.<br />

Für sein Buch hat er überdies die kirchliche Druckerlaubnis eingeholt.<br />

In der langen Widmung an Bellarmin (zu diesem Seite 39) betont er<br />

geschickt, daß sein Bruder, der Jesuitenpater Andreas Schottus, dem Kardinal<br />

kein Unbekannter sei. Trotzdem ist Lorenz Schrader einer seiner Gewährsmänner,<br />

ein Zeichen, daß dessen vier Bücher italienischer Denkmäler sachlich<br />

auch als unverdächtig galten.<br />

• • •<br />

Dem großen Werke Lorenz Schraders folgte in Deutschland alsbald ein dem<br />

Stoffe nach ähnliches, lateinisch geschriebenes Buch, des Nathan Chyträus mitteleuropäisches<br />

Inschriftenwerk Varionum in Europa itinerum Deliciae, seu ex<br />

variis manuscriptis selectiora tantum inseriptionum maxime reeentium Monumenta,<br />

quibus passim in ltalin ef Germania .. , Gallia, Anglia cf Polonia eie.<br />

templa, .•. palatin, ... portae, ... obelisei, .•.• propugnaeula, •.. pontes, ...<br />

villae, ... thermae, '" statuae, ... sepuldra ete. eonspieua sunt. Omnia nuper<br />

colleeia el digesta a Nathane Chytraeo. Merkwürdige, eonspieua, Inschriften<br />

aller möglichen Hinterlassenschaft aus Menschenhand, sonderlich neuere, inseriptionum<br />

maxime recentium Monumenta sind also da aus dem Raume<br />

zwischen Mittelmeer und Ostsee, England und Polen zusammen gefaßt, ausdrücklich<br />

als Auszug aus anderen Werken 124). Daß er gleich dem wichtigsten Teile<br />

von Schraders Arbeit vornehmlich neueren Inschriften gilt, ist auffällig. Die vom<br />

September 1593 datierte Vorrede ist· genau ein Jahr jünger als die erste Wid-<br />

, mung Schradcrs. In ihr sagt Chyträus, ihn habe erst nach Abschluß seiner Sammlung<br />

verschiedener Inschriften - "cum hane inseriptionum variarum eolleetionem<br />

absolvissem"-Schraders Veröffentlichung erreicht. Er habe aus dieser daher<br />

nur wenig noch seinem eigenen Gemenge (farragini) hinzufügen können. Viel<br />

verdanke er dem Tagebuche des Mecklenburgers Joachimus Bassevitius, seinem<br />

Führer in Florenz, wo er als Jüngling solcher Inschriften eifriger Betrachter<br />

(huius modi monumentorum qJtA.o&{J)Q6~) gewesen sei. Da erfahren wir zwar<br />

von eigenem Sichumsehen in Italien, nicht aber von selbständigen Notizen.<br />

Das ist um so auffälliger, als Nathan Chyträus, geboren 1543 in der Pfalz, ein<br />

tüchtiger, 1565 bis 1567 auch durch größere Reisen gebildeter Humanist gewesen<br />

ist. Er lehrte als solcher erst an der Rostocker Universität, seit September<br />

1593 bis zu seinem Tode 1598 als Rektor am Ratsgymnasium Bremens 125). Eine<br />

pusönliche Beziehung zu Schrader lag also schwerlich vor, als Chyträus dort,<br />

erst im September 1593, seßhaft wurde.<br />

Seine Vorrede schiebt denn auch Schraders Buch, im Gegensatz zu dem<br />

Danke für Förderung durch Bassewitz, merklich beiseite, sogar allem Anscheine<br />

nach mehr, als sachlich angebracht gewesen sein mochte. Die Seiten 1 bis<br />

278 bringen die "ltalica et quidem primo Monumenta Romana", nur eben Inschriften<br />

Italiens, vorweg Roms auf 47 Seiten, ohne historische oder topographische<br />

Bemerkungen. Die Städte und innerhalb Roms die örtlichkeiten sind<br />

recht regellos durcheinander geworfen, selbst die Zusammengehörigkeit von<br />

Inschriften desselben Baues ist, nicht immer festgehalten. Der erheblich kleinere<br />

Umfang des Werkes erweist schon allein, daß weit weniger Inschriften vorhanden<br />

sind, als bei Schrader und die Auswahl scheint nicht viel andere zu<br />

bringen. Es ist unnötig, für unseren Zweck in eine nähere Vergleichung beider<br />

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Arbeiten daraufhin einzugehen, was jede der anderen gegenüber Eigenes bringt,<br />

was das jüngere Buch vom älteren im einzelnen übernommen haben könnte<br />

und was beide gemeinsam älteren Quellen verdanken. Zweifellos ist Schraders<br />

Werk das bei weitem selbständigere, vielseitigere, geordnetere und entsprechend<br />

nutzbarere. Da nun noch in Schotts Reiseführer nur die Bücher von Schrader<br />

und Chyträus als Quellen für nachantike, christliche Inschriften zitiert werden,<br />

aber Entlehnungen, überdies ausgiebig, nur aus Schrader vorkommen, und da<br />

auch Gadenstedt als solche Quellen nur diese beiden Autoren kennt, so bleibt<br />

eben doch Schrader allein das Verdienst, zuerst neues historisches Inschriftenmaterial<br />

planmäßig erschlossen zu haben. Auf Chyträus beruft sich Gadenstedt<br />

nur ganz gelegentlich, zu Padua in bezug auf den dorther stammenden,<br />

in Paris lehrenden, 1323 gestorbenen Augustinereremiten Albertus, und in Bologna<br />

bezüglich des heiligen Dominikus .<br />

• • •<br />

Weniger Beziehungen zu Schrader bietend und wohl eben darum viel<br />

mehr als Chyträus von Gadenstedt berücksichtigt ist der vierte seiner nordischen<br />

Gewährsmänner, Megiscrus, und zwar als Spezialschriftsteller über Venedig,<br />

Neapel und Malta. Hieronymus Megiserus 126), ebenso tüchtig als Schulmann<br />

wie als humanistischer Gelehrter und Verfasser von 36 Druckschriften geschichtlichen,<br />

erdkundlichen, sprachlichen und dichterischen Inhalts, - darunter die<br />

erste deutsche Ausgabe der Reisen Marco Polos, und die erste türkische Grammatik,<br />

- wurde in Stuttgart 1553 geboren. In Tübingen war er Lieblingsschüler<br />

des Nikodemus Frischlin. 1582 hielt er sich in Padua auf zum Studium der<br />

Rechte und wieder 1584 bis 1588 als Präzeptor von Edelleuten der Ostmark,<br />

zuletzt auch als <strong>Bibliothek</strong>ar der Rechtshörer deutscher Nation. 1588/89 durchreiste<br />

cr Italien bis Malta. Dann bis 1598 in der Ostmark tätig, seit 1592 als<br />

Rektor des landschaftlichen evangelischen Gymnasiums in Klagenfurt, vertrieb<br />

ihn von dort die Gegenreformation. Auch England und die Niederlande hat er<br />

besucht. Im Jahre 1602 war er zu Frankfurt am Main ansässig, dann in<br />

Leipzig Geschichtsprofessor. Gestorben ist er 1618 auf einer Reise zu Linz an<br />

der Donau. So spiegelt sein wechselreiches Leben vollkommen die Unruhe<br />

der Zeit und strebsamer Humanisten mit weltbürgerlichen Anschauungen verhältnismäßige<br />

LosgeIöstheit von der Scholle. Ein fester Charakter, ein unternehmur.gslustiger<br />

Schriftsteller, der auch seine Reisen für die Allgemeinheit<br />

sachverständlich und nützlich auszuwerten verstanden hat, steht Megiserus mit<br />

scinen italienischen Stoffen dem Streben, nicht der Leistung Gadenstedts nahe,<br />

steht ihm aber fern mit seinem lebenslangen Umhergetriebensein.<br />

Drei Werke des Megiserus kommen da in Betracht: ,,Respublica Venetorum.<br />

Das ist Wahrhafftige ... Beschreibung der ... Stadt Venedig ... auch von der<br />

Venediger Macht, schönen Ordnungen vnd wolbestellten Regiment ... Alles aus<br />

Italianischer in hoch Teutsche Sprach mit fleiß vbersetzt. Franckfort am Mayen<br />

... 1616." Von Gadenstedt wurde wohl nur seine erste, kürzere Auflage von<br />

1602 genutzt. Es ist das eine Parallelveröffentlichung zu dem 1610 erschienenen<br />

"Parculisus Deliciarum, das ist .. , Beschreibung der .,. Stadt Venedig ...",<br />

enthält eine Topographie mit Statistik nach Sestieren, Stadtteilen, sowie eine<br />

Beschreibung der Regierungsweise, alles übersetzung des in Gesprächsform gekleideten<br />

libro della Republica di Venezia von dem 1572 gestorbenen Florentiner<br />

Staatssekretär Donatus Gianotti. - Das zweite Werk, "Deliciae Neapolitanae,<br />

Das ist: AußführIiche Beschreibung des ... Königreichs ... Auch der Hauptstadt<br />

Neapolis ... Alles zum theil aus eigner erfahrung, zum theil aber aus glaubwirdigen<br />

Scribenten ... mit Kupfferstücken gezierett", Leipzig 1610. Als Anhang:<br />

"lnscriptiones NeapolUanne, Das ist Verzeichnis allerhand Antiquiteten, Monumenten,<br />

Epitaphien und überschrifften ... Neapels". Da Megiserus nach dem<br />

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Jahre 1589 schwerlich Italien wieder gesehen hat, so ist dieser nicht paginierte<br />

Nachtrag wohl erst durch Schrader und auch Chyträus angeregt. - Im Jahre<br />

1600 erschien drittens dazu in Leipzig, 2. Auflage 1610, eine Beschreibung der<br />

Insel Malta mit Sprach proben, auch sie mit Kupfern. - Megiserus hat in diesen<br />

Werken, soweit sie nicht Eigenes enthalten, aus der Masse des überlieferten und<br />

von den Schriftstellern immer wieder mehr oder weniger abgewandelt Wiederholten<br />

das Wissenswerteste und praktisch Unterrichtende herausgeholt, und eben<br />

dieses hat Gadcnstedt, für Venedig und Neapel namentlich die mehr statistischen<br />

Daten und chronologischen Verzeichnisse, übernommen, aber auch etwa die Angaben<br />

über den Anbau des Zuckerrohres in Sizilien, über die Geschichte des Johanniterordens<br />

auf Malta, wie er denn überhaupt des Megiserus Buch über Malta<br />

als Quelle nennt. Er tut das sogar gelegentlich seiner Schilderung der Aufnahmezeremonien<br />

eines Malteserritters, obschon er betont sie zu geben, "wie<br />

mirs von einem gueten freunde mittgetheilett worden".<br />

An etwas Besonderes ist dabei zu erinnern. Gadenstedt und Megiserus werden<br />

sich im Winter 1588 in Padua kennen gelernt haben, schwerlich aber sind<br />

sie sich später im Süden Italiens wieder begegnet. Gadenstedt schweigt darüber<br />

ganz, was er gewiß bei dem Ansehen Megisers nicht täte, wenn er als<br />

Universitätsbesucher gesellschaftliche Fühlung mit ihm bekommen hätte. Auch<br />

als <strong>Bibliothek</strong>ar der deutschen studentischen Landsmannschaft Paduas wird<br />

Megiserus von Gadenstedt nicht genannt. Vermutlich hat jener zu Padua in<br />

anderem Kreise verl{ehrt als dieser, den überdies seine gesellschaftliche Umgebung<br />

absorbieren mochte. Megiserus war damals trotz seinen 35 Jahren noch Hofmeister<br />

adeliger Studenten aus Ostdeutschland, die mit engeren Heimatgenossen zusammen<br />

gehalten haben werden. Später erst wurde er als namhafter Gelehrter<br />

bekannt. Es ergibt sich ohne weiteres, daß ihn als solchen wie als überzeugten<br />

Lutheraner Gadenstedt dann hat schätzen lernen .<br />

• • •<br />

Mit einigen Sätzen wäre nochmals Leandro Albertis zu gedenken, des gelehrten<br />

Dominikaners und zuletzt Generalinquisitors in Bologna. Freilich ist er<br />

nur in einem besonderen Sinne mit jenen 4 außeritalienischen Anregern und Vorläufern<br />

Gadenstedts zu vergleichen. Er zeichnet sich vor ihnen aus durch größere<br />

Reife sowohl hinsichtlich der Beherrschung seines Stoffes wie der Form, trotz<br />

dem großen Umfange seiner Descrittione di tutta lfalfa. Sie lag schon im Jahre<br />

1537 druckfertig vor und erlebte nach Albertis 1552 eingetretenem Tode zahlreiche<br />

Abdrucke und eine Erweiterung auf die Inseln, in Köln dazu schon 1566<br />

eine lateinische übersetzung von 815 Folioseiten. Da Gadenstedt das Werk<br />

lateinisch zu zitieren pflegt, ist anzunehmen, daß ihm diese übersetzung als die<br />

buchhändlerisch leichter erreichbare vorgelegen 'hat 127). Der vielseitige Inhalt<br />

dieser "Beschreibung ganz Italiens" ist im Untertitel angedeutet: Ursprung und<br />

Obrigkeit von Städten und Festungen mit deren alten und modernen Namen,<br />

Volkssitten, landschaftliche Eigenarten (conditioni), die die Länder auszeichnenden<br />

Leute, die Berge, Seen, Flüsse, Quellen und Naturmerkwürdigkeiten. Alles das<br />

sollte auch Gadenstedts Werk enthalten. Aber was ihm mehr oder weniger<br />

zusammenhanglos bleibt, unvermittelter nebeneinander, fließt bei Alberti fast<br />

zu schwach gegliedert in einem breiten Strome fort, bleibt aber leicht und<br />

unterhaltsam lesbar trotz der Fülle mitgeteilten Wissens. Der italienische Mönch<br />

war in der Lage, was er wollte zu Fuß oder zu Esel ohne besondere Aufwendungen<br />

selbst aufzusuchen. Humanistische Geschichtsinteressen für die überlieferungen<br />

der Antike und der neueren Zeit überwiegen die anderen Gesichtspunkte<br />

des umfangreichen Programms, für den noch vorrcformatorisch eingestellten<br />

Mönch bemerkenswert, auf Kosten insbesondere des Mittelalters und<br />

hagiographischer Belange. Alberti ist der teilweis konsequente Fortsetzer und<br />

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Ausgestalter des zuerst von Flavio Biondo da Forli in seiner ltaUa illus/rata 1453<br />

gegebenen Vorbildes geschichtskundiger Geländebeschreibung. Nicht selten setzt<br />

er sich kritisch mit diesem Epoche machenden Vorgänger auseinander. Auch<br />

Gadenstedt zieht Biondo gelegentlich heran, mehr wohl aus hergebrachtem<br />

humanistischen Respekt als aus wirklicher Kennerschaft. Einen ähnlichen Achtungsabstand<br />

mag er von Leandro Alberti gehabt haben.<br />

Die unruhige, wenn rpan will barocke Form von Gadenstedts Text steht<br />

der sozusagen klassischen Haltung Albertis recht fremd gegenüber. Gadenstedt<br />

hat sich mit der Herübernahme von Tatsachen und Zitaten aus Alberti begnügt.<br />

Von den vier anderen ihm nahe stehenden und soeben besprochenen, fern von<br />

literarisch-italienischer Schulung schriftstellernden Humanisten hat ihn dagegen<br />

Manches zur Nacheiferung gereizt: Unmittelbar seitens Schraders oder durch<br />

dessen Mittelsmann Schottus die zwar kluftreiche, aber deutliche Gliederung,<br />

von Schrader dazu und von Mcgiserus, in weit geringerem Grade von Chyträus,<br />

der Inhalt. Sein Manuskript ist bei alledem formlos geblieben, überlastet mit<br />

Stoff verschiedenster Art. Reiseschilderungen und Reiseerlebnisse gehen nicht<br />

recht ein in die nach Umfang und Material weit anspruchsvolleren Mitteilungen<br />

humanistischer Gelehrsamkeit. Nicht mehr hat Gadenstedt von Schotts Urbanität,<br />

seiner gewandten Verwertung und Verteilung - die modisch-barocke,<br />

umständliche Aufmachung immer in Rechnung gezogen - kirchlich orthodoxer<br />

und heidnisch humanistischer Themen zu einem schier harmonischen Ganzen,<br />

zu einem devoten und doch zugleich für die klassischen Reste und überlieferungen<br />

Italiens aufgeschlossenen Führer gebildeter Jubiläumsbesucher Roms.<br />

Gadenstedt blieb stecken einerseits zwischen der gelehrten Formlosigkeit eines<br />

Chyträus sowie der sachverständigen, mehr monographischen Stoffzusammenraffung<br />

des Megiserus, beide Männer Berufshumanisten, und andererseits den<br />

unbekümmert selbstsicher, sozusagen als Außenseiter, ihre besondere Aufgabe<br />

lösenden, humanistisch ebenfalls" durchgebildeten Verwaltungsbeamten Loren"':c-'-~'"<br />

Schradel' und Franz Schott. I- ~<br />

• .. • -ci ~<br />

Gadenstedts Lebensweg trägt gerade mit diesen beiden Männem einige ver ~ §<br />

wandte Züge. Wir hörten anfangs, daß er als jüngster von fünf Söhnen eines Cö ~<br />

begüterten Edelmannes wenig Aussicht auf eine umfangreiche Gutsverwaltun~<br />

gehabt hat und daher vermutlich einer Verwendung in landesherrlichen Diensten<br />

wenn auch lässig zustrebte. Seine allgemeine "Bildung hätte ihn dazu geeignet<br />

gemacht. Schließlich hat ihm doch wohl die nötige unbekümmerte Unternehmungslust<br />

gefehlt. Nach seiner Rückkehr aus Italien hockte er zeitlebens in<br />

Wernigerode, der kleinen, zwar geistig angeregten," aber wirtschaftlich berscheidenen<br />

und isolierten, politisch eingeengten Residenz eines gräflichen Landesherrn<br />

ohne wirksame Machtmittel. Weit mehr Anregungen und Förderungen<br />

hätte er im nahen Wolfenbüttel oder in Helmstedt erfahren. Hatte doch der<br />

Wernigeroder Graf selbst vorübergehend in Wolfenbüttel die höchste herzogliche<br />

Dienststelle inne gehabt. Daß Gadenstedt beide Orte auch nach seiner Rückkehr<br />

aus dem Süden häufig aufgesucht hat, ist selbstverständlich anzunehmen. Denn<br />

zu ihnen und Braunschweig blieben ihm Verbindungen, nicht nur jene vom Spätsommer<br />

1589 als Begleiter seines Grafen, wovon bereits Seite 8 die Rede war.<br />

In der damals weltoffen aufstrebenden, beziehungsreichen herzoglichen Residenzstadt<br />

Wolfenbüttel, mit ihren fortschrittlichen, bereits barocken Ansprüchen und<br />

Forderungen, kam sein italienischer, von ihm mit Hochachtung erwähnter<br />

Reisegenosse Anton von der Streithorst (vergl. Seite 23) gar bald zu hoher<br />

amtlicher Stellung. Lange füllte dieser sie pflichtmäßig aus, ehe er der Verführung<br />

übergroßen Einflusses auf den seit 1613 regierenden schwachen Herzog<br />

Friedrich UIrich erlag und seine dienstliche Machtfülle verhängnisvoll mißbrauchte.<br />

Es hätte für Gadenstedt nahe gelegen, durch diese persönlichen Be-<br />

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/<br />

ziehungen in Wolfcnbüttel zu Amt und Würden zu kommen. Er hat es vermieden.<br />

Und sollte er, der tätige Musikfreund, nicht die Bekanntschaft der her-<br />

, zoglichen Kapellmeister in Wolfenbüttel gesucht haben, seines wenig älteren<br />

tüchtigen Zeitgenossen Thomas Mancinus und dessen hervorragenden, 1621 verstorbenen<br />

Nachfolgers Michael Prätorius? Andererseits werden ihn seine humanistischen<br />

Studien veranlaßt haben, die leicht erreichbare, zukunftsreiche<br />

Helmstedter Universität zu nutzen, und in Braunschweig wohnten Verwandte.<br />

Der Jurist Friedrich Dasypodius, Reisebegleiter Antons von der Streithorst<br />

in Italien (siehe Seite 23) und dort von Gadenstedt geflissentlich genannt, war<br />

in Helmstedt vom Jahre 1591 bis zu seinem frühzeitigen Tode 1599, er wurde<br />

nur 40 Jahre alt, ein angesehener, erfolgreicher Professor, Rat und Advokat in<br />

bestimmten Hofgerichtssachen 128). Daß Gadenstedt mit ihm im Austausch von<br />

Erinnerungen und Gedanken geblieben ist, mtissen wir voraussetzen, nicht<br />

weniger aber auch, daß er durch oder ohne dessen Vermittelung zu Caselius<br />

in Beziehung gekommen ist, später vielleicht auch noch mit dem gescheuten<br />

und viel beachteten, konfessionelle Verständigung erstrebenden Theologen Georg<br />

Calixt. Caselius, geboren 1533, seit 1590 bis zu seinem Tode 1613 Professor in der<br />

philosophischen Fakultät Helmstedts, gehört zu den letzten, allem Menschlichen<br />

aufgeschlossenen Humanisten derzeit europäischen Rufs. Abgeklärte<br />

tolerante Gesinnung, in mancher Beziehung nicht unähnlich der seines großen<br />

reichsdeutschen Vorgängers Erasmus von Rotterdam, machte ihn zu einem<br />

. Führer bildungseifriger Jugend. Daß Gadenstedt mit seinem Wissensdurste ihn<br />

gemieden hätte, ist um so weniger anzunehmen, als auch Caselius seine wissenschaftliche<br />

Ausbildung in Italien von 1560 bis 1563 vertieft hatte, zu Bologna<br />

vorwiegend mit juristischen Studien, zu Florenz mit klassischer Philologie beschäftigt.<br />

Einen zweiten italienischen Aufenthalt in den Jahren 1565 bis 1567<br />

benutzte er, um in Pisa zum Doktor der Rechte zu promoviCl'cn. Es hätte in<br />

seiner erprobten Gesinnung gelegen, dem strebsamen Junker entgegen zu kommen,<br />

und dieser hätte sich an der Seite seines so hochgebildeten Standesgenossen<br />

- denn auch Caselius legte Wert auf sein eigenes Herkommen aus ererbtem<br />

Adel - in angemessenster Gesellschaft fühlen können. - Und noch eine dritte<br />

Möglichkeit von Interessenverknüpfung mit Helmstedt dürfen wir nicht übersehen.<br />

Lorenz Schrader hat sein großes Werk in Helmstedt bei dem Universitätsbuchdrucker<br />

"Jacobus Lucius Transsylvanus" drucken lassen." Auch bei Schrader, "<br />

dem geborenen Halberstädter, dürfen wir daher wissenschaftliche Zusammenhänge<br />

mit der Juliusuniversität für nahe liegend halten, die dann wieder für<br />

Gadensted t bestimmend sein konnten. Selbst ohne das ließe sich an persönliche,<br />

nachbarlicher Verbundenheit der Städte Halberstadt und Wernigerode entstammende<br />

Beziehungen zwischen Gadenstedt und Schrader denken, wobei denn auch<br />

das ungewöhnlich häufige Zitieren von SchradersNamen in Gadenstedts Manuskript<br />

beachtsam wäre, während doch in Humanistenkreisen mit literarischen<br />

Entlehnungen wenig rilcksichtsvoll umgegangen wurde infolge des noch unentwickelten<br />

Anspruchs auf individuelles geistiges Eigentum.<br />

Indessen erfahren wir von alle diesen möglichen geistigen Anregungen<br />

Gadenstedts aus seiner heimatlichen Nachbarschaft nichts Gewisses, und die<br />

Vermutung besteht zu Recht, daß er sie je länger je mehr vernachlässigt hat.<br />

Lag das an seiner seelischen Sprödigkeit, die ihn in häuslichen Schranken zu<br />

skrupelhafter Bedenklichkeit nötigte? Er lebte in einer Zeit des elementaren<br />

Drängens nach neuer, gewaltsamer Festigung längst in der Stille zersetzter und<br />

schonungslos aufgelöster kultureller und poiitischer überlieferungen. In Florenz<br />

schon hatte es für ihn Wochen gegeben (verg!. Seite 40 und 44), wo' ihm<br />

dieser Umbildungszwang bereits in vorbildlicher Fähigkeit zur Neugestaltung<br />

offenbar geworden war. Aber den vollen Sieg dieser Bewegung für das ganze<br />

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Abendland brachte erst der nur für Deutschland verheerende Dreißigjährige<br />

Krieg. Er wetterleuchtete nach Gadenstedts Heimkehr aus Italicn immer bedrohlichcr.<br />

Vielleicht hatte der Intellekt des in der Ferne Belehrten ernstlich<br />

versucht, von diesen schreckhaften Zeichen den Blick abzukehren durch Vertiefen<br />

in die hergebrachte, nun aber sich wandelnde humanistische, an der Antike genährte,<br />

freilich dem Jenseits abgewandte Lebensanschauung. Sein' Manuskript<br />

wäre dann wohl gar als eine Äußerung zunehmender Abwehr anzusehen. Sein<br />

Gemüt aber blieb dem christlichen Zwielicht protestantischer Färbung zugewandt.<br />

Es scheint nicht, daß er eine Brücke zwischen bei den geistig-seelischen<br />

Haltungen gefunden hätte; er hat sie wohl nicht einmal gesucht. In Italien<br />

gab er sich der Diesseitigkeit des Daseins hin, soweit das seine gewissenhafte<br />

Natur nur irgend zuließ. Der Katholizismus als Kultus war ihm, dem Lutheraner,<br />

mehr unheimlich als zuwider. Die mannigfaltigen, keineswegs nur privaten<br />

Gewalttätigkeiten seiner Zeitgenossen, die gegenüber dem aussichtsreichen Streben<br />

nach straffer Zusammenfassung der Staats autorität besonders kraß wirkten, hat<br />

er nicht als selbstverständlich hingenommen. Hatte ihn doch heispielsweise<br />

das freilich schon seiner Vergangenheit angehörende Bologneser Beispiel (Seite<br />

19) erheblich beeindruckt.<br />

Aber Gadenstedt erlaubt sich nirgends eine eigentliche Kritik an den Zuständen,<br />

weder den weltlichen noch den kirchlichen. Als Barockmensch wird<br />

er, eingedenk der menschlichen Unzulänglichkeiten, der Despotie der öffentlichen<br />

Meinung ebenso vorsichtig ausgewichen sein, wie es Galilei, der größte, streng'<br />

sachlich denkende Naturforscher Italiens, versucht hat, als er im Todesjahre<br />

Gadenstedts, 1632, in seinem berühmten Buche Dialogo mittels der Form einer<br />

Unterhaltung mehrerer Personen das Problem des der damaligen Kirchenlehre<br />

und damit dem allgemeinen Glauben widerstreitenden Kopernikanischen Sonnensystems<br />

erörterte. Diese derzeit filr verantwortungsvolle Untersuchungen bevorzugte<br />

Gesprächsform gestattete, in scheinbar objektiver Weise das Für und Wider<br />

eines Problems zu Worte kommen zu lassen, ohne unvorsichtig Partei zu<br />

nehmen. Wer sehr geschickt war, konnte dabei die 'von ihm vertretene Wahrheit<br />

einer kirchlichen oder wissenschaftlichen Ketzerei eindrucksvoll bekannt machen,<br />

ohne dabei persönlich Gefahr zu laufen. Galilei war bekanntlich nicht geschickt<br />

genug und büßte das mit einem Inquisitionsverfahren, das ihn zum formalen<br />

Abschwören seiner wissenschaftlichen überzeugung zwang.<br />

So hätte denn Gadenstedts Sichbegnügen mit dem stillen Leben in Wernigerode<br />

auch ein Sichbergen vor der Dämonie seiner Zeit gewesen sein können.<br />

Aber man geht da wohl zu weit -in der Problematik seines schlichten Wesens.<br />

Das Wenige, was wir wissen von seinem Wernigeröder Leben, hat Eduard Jacobs<br />

in den Veröffentlichungen des Harzvereins mitgeteilt 129). Gelegentlich haben wir<br />

davon schon Gebrauch gemacht. Erst im Jahre 1594 hat Gadenstedt seine erste<br />

Ehe geschlossen, eine zweite 1598. Aus beiden besaß er Kinder. Er wird als<br />

ein "bescheidener, gottesfürchtiger Mann" geschildert. Dabei verließ ihn aber,<br />

wie unser Studium seines na


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zwungen, seinen ganzen Besitz, darunter seinen Wohnsitz in Wernigerode, die<br />

Schnaken burg, zu verpfänden und war noch 1618 damit belastet 130). Schon die<br />

erheblichen Kosten der langen Reise Bartholds werden die Leistungsfähigkeit<br />

der Familie stark in Anspruch genommen haben. Er selbst war schwerlich<br />

ein Verschwender, wie denn auch sein Vater einen soliden Ruf hinterlassen hat.<br />

Kurzum, mit seiner ganzen Sippe blieb auch Barthold von Gadenstedt an<br />

der Scholle haften, ebenso genötigt vielleicht wie absichtlich, und ohne seinen<br />

Neigungen, gelehrten wie ästhetischen, ganz zu entsagen. Jahrzehntelang beschäftigte<br />

ihn die Verarbeitung seines Reisestoffes, und er blieb bemüht, in<br />

Wernigerode mit Gleichgesinnten sich zusammen zu tun, um bildend auf die<br />

Allgemeinheit zu wirken. Wir hören nicht nur von einer musikalischen Vereinigung,<br />

der er angehörte, sondern besitzen auch die von ihm verfaßte und<br />

etwas erweiterte, 1605 gedruckte übersetzung einer lateinischen, im Jahre 1580<br />

vermutlich zuerst veröffentlichten Schulkomödie "Tobias" des damals sehr geschätzten<br />

Harlemer Rektors Cornelis Schonäus. Die übersetzung zwar "bietet<br />

wenig Eigenes, teilweise gehen die Zusätze auf Wickram zurück" 131 ), sie ist<br />

indessen ein Zeichen, daß er kein schulmäßig doktrinärer Späthumanist war,<br />

daß ihm das Spiel nicht nur sprachliches Bildungsmaterial der Lateinschule<br />

war, sondern nutzbar auch für die des Lateins nicht kundige Bürgerschaft 1:12).<br />

Er selbst spielte 1593 mit in einem Stücke "David und Goliath". Für diesen protestantisch<br />

durchsetzten, wenn man will spießbürgerlichen Humanismus fehlte<br />

es ihm in Wernigerode nicht an Genossen mit einem entschiedenen Verlangen,<br />

über die Stadtmauer hinüber zu schauen.<br />

Da war in erster Linie der 1576 in Elbingerode geborene, als Wernigeröder<br />

Oberprediger 1654 gestorbene Magister Johann Fortmann, gekrönter Dichter, Geschichtsfreund<br />

und Büchersammler. Gadenstedt stand er nahe zumal als gleichgesinnter<br />

Geistlicher und Hausnachbar, auch hat er ihm eine warmherzige<br />

Leichenpredigt gehalten. Da war ferner der aus Wernigerode gebürtige Drübecker<br />

Pfarrer Balthasar Voigt (VoidillS)133). Er hat sich, bereits ein Greis, im<br />

Jahre 1619 als Verfasser der Schulkomödie "Josephlls" (der Sohn Jakobs)<br />

einen guten Namen gemacht, denn sie zeichnet sich durch für ihren Zweck bemerkenswerte<br />

dichterische Qualität aus, ist "merkwürdiger, kräftiger und ursprünglicher<br />

als Gadenstedts ToMus." In der Universitätsstadt Helmstedt aber<br />

war schon im Jahr 1600 aus seiner Feder erschienen: ,;Der Catechismus "Reimund<br />

Gesangsweise", ein typisches Erzeugnis also der begrifflich moralisierenden<br />

und theologisierenden Poeterei jener Zeit, aus deren allzuengen heimatlichen<br />

Banden unseren Reisenden schließlich auch Italien nicht herausgerissen hatte.<br />

Ausweiterndere religiöse und dichterische Gesinnungen nährte der Norden und<br />

insbesondere Niedersachsen damals ungern. Den überragenden, kecken und<br />

sprachgewandten neulateinischen Komödiendichter Nikodemus Frischlin, einen<br />

WOrttemberger, hielt ein Schulamt in der Stadt Braunschweig 1588/89 nur<br />

18 Monate fest, und ebenda wurde 1606 nach siebenjähriger Tätigkeit der innigvolkstümliche<br />

Mystiker Johann Arnd, ein Harzer Kind, aus seinem Pfarramte<br />

wieder hinausgedrängt. Von irgendwelchen Beziehungen Gadenstedts zu bei den<br />

verlautet nichts.<br />

Wichtiger für die Untersuchung der literarischen Voraussetzungen von<br />

Gadenstedts Manuskript ist ein anderer Hinweis. Der Graf Wolfgang Ernst, seit<br />

dem Jahre 1587 im alleinigen Besitze der Grafschaft Wernigerode, war ein<br />

tätiger und sachverständiger Förderer humanistischer und theologischer Studien.<br />

Als solcher wurde er Gründer der auch für die Harzgeschichtsforschung so überaus<br />

wichtigen, später fürstlichen <strong>Bibliothek</strong>. Er brachte sie bereits auf viertausend<br />

Bände, für jene Zeit eine stattliche Zahl, und ließ sie durch Fortmann<br />

betreuen. Sie wurde nach des Grafen Tode im Jahre 1606 in die Sylvestrikirche<br />

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geschafft unter die unmittelbare Obhut Fortmanns. Der Sylvestrikirche gegenüber<br />

wohnte aber auch Gadenstedt (Abb.2, S.6). Fraglos hat er diese <strong>Bibliothek</strong> daher<br />

fleißig benutzen können; hören wir doch, daß der Graf Agenten für Büchereinkauf<br />

in Leipzig und Frankfurt am Main an der Hand gehabt hat. Gadenstedt<br />

mag mitgewirkt haben, daß unter ihren Ankäufen historis'che und topographische<br />

Werke über Italien nicht gefehlt haben. Mehr noch: Die geistigen Neigungen<br />

Wolfgang Ernsts und seines Vasallen waren so verwandt, daß wir ein enges<br />

Verhältnis zwischen beiden Männernanzunehmen haben. Der Graf war etwa<br />

vierzehn Jahre älter als Barthold von Gadenstedt, auf dessen gelehrte Interessen<br />

er daher einen maßgeblichen Einfluß gehabt haben kann. Stand doch Bartholds<br />

im Jahre 1586 gestorbener Vater Dietrich, der uns auch seinerseits als ein Mann<br />

von geistigen und geistlichen Interessen geschildert wird 134), vier Jahrzehnte<br />

lang in leitender Stellung im Dienste des Grafenhauses. Es ist w,ahrscheinlich,<br />

daß gleichartige geistige Neigungen des Grafen und Bartholds von Gadenstedt<br />

mitgewirkt haben, diesen in Wernigerode' festzuhaiten, denn in ein eigentliches<br />

Dienstverhältnis wie sein Vater ist er zu den Grafen nicht getreten, und die<br />

Verwaltung der Familiengüter fiel ihm erst im Jahre 1619 in vollem Umfange<br />

zu, als auch der letzte seiner Brüder gestorben war.<br />

In dieser von konservativer Gesinnung getragenen, anspruchslosen Umgebung<br />

Gadenstedts blieb das überlieferte humanistische Bildungsideal nur<br />

wenig berührt von den Umgestaltungen, die ihm als der ältesten Ursache langer<br />

Wirren wieder seit dem Ausgange des 16. Jahrhunderts mehr noch aus der<br />

Fremde als aus dem Drange deutscher Lande aufgenötigt wurden. Aus Italien,<br />

Frankreich, den Niederlanden zogen sie heran, von den Kirchen genährt, von<br />

den weltlichen Regierungen verwertet, die Künste. verpflichtend, die Wissenschaft<br />

zur Vorsicht nötigend. Der alte Brand wurde wieder neu geschürt, nun aber<br />

von den bevorrechtigten, zur Selbstbesinnung gekommenen Autoritäten. Sie gingen<br />

aus der mühsamen Verteidigung zum Angriff ,über, nachdem inzwischen im<br />

größten Teile des alten deutschen Reiches die Erschütterungen der Reformation<br />

einigermaßen zur Ruhe gekommen waren und nur noch unter der Asche<br />

glimmte, was sie entzündet hatte. Aber 'die Glut blieb bereit, in neue Flammen<br />

auszubrechen. Denn überall fehlte der Gleichmut des einsichtigen Gewährenlassens<br />

und Sich-fügenwollens, fehlte die gesamt-europäisch-christliche Verbindlichkeit<br />

des Mittelalters. Wie weit entfernt man im Grunde selbstverständlich<br />

auch in Wernigerode von der Voraussetzungslosigkeit des ideenreichen, aber<br />

selbstmörderischen und absterbenden Individualismus der bereits hundert Jahre<br />

zurückliegenden Hochblüte des Humanismus geblieben war, wie verständnisunfähig<br />

noch gegenüber dem milden Weltsinne eines Caselius, das wird grell<br />

dadurch beleuchtet, daß auch Graf Wolfgang Ernst der Zauberei Verdächtige<br />

verfolgen und im Jahre 1597 drei Hexen gleichzeitig dem Scheiterhaufen überliefern<br />

ließ.<br />

Wie stellte sich Gadenstedt dazu? Resignierte er gegenüber der Unbelehrbarkeit<br />

elementarer Lebensinstinkte, die nie und nirgends sich dauernd leiten<br />

lassen, denn ihre schöpferische Bestimmung ist der Streit? Hatte doch gerade<br />

der humanistische, menschheitsoffene Individualismus den Kampf aller gegen<br />

alle berufen, hatte die Grundfeste der Gemeinschaftsorganisation unterhöhlt, hatte<br />

den Trieb zum Vernichten und Befehlen begünstigt, trotz dem Optimismus seiner<br />

menschenfreundlichsten Vertreter. Eindrucksvoller, augenfälliger als in Deutschland<br />

hatte Gadenstedt in Italien zeitgemäßen Ausdruck kulturerhaltender Gemeinschaftsbindungen<br />

kennen gelernt und bestaunt. Daß er sie beständig geschätzt<br />

hat, erweist sein späteres reibungsloses Sicheinfügen in die geistige Stille<br />

Wernigerodes. Aber von vornherein wird ihm ein letztes seelisches Bedürfnis<br />

umformender Auseinandersetzung mit dem humanistischen Bildungsindividualis-<br />

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mus gefehlt haben oder konnte in ihm, dem in Standes interessen bereits Erwachsenen,<br />

nicht mehr zur Reife kommen, als er, getrieben von zwar noch<br />

jugendlicher Unternehmungslust, Italien besuchte. Zur letzten inneren Freiheit<br />

hat auch Italien, wie wir inzwischen festgestellt haben, seinen Ausweitungsdrang<br />

nicht gebracht. Nur Spuren eines Ringens danach sind in seinem Manuskript<br />

unmittelbar zu erkennen, andere sind zu erschließen. Wie ein dichter<br />

Schleier liegt darüber die zeitgebundene Zurückhaltung unbefangener eigener<br />

Meinungen. Strebsam ging er mit der neuen Zeit, Abstand erkennt man nicht.<br />

Die KuIturgesinnung um das Jahr 1600 hielt, die Ermattenden und Enttäuschten<br />

wieder in den Schranken ihrer Konfession und ihres Berufes. Den<br />

Gelehrten nötigte sie zur Beschäftigung mit beziehungslosem Wissen, dem die<br />

Inhalte zu entschwinden drohten, das aber Ersatz in der nun einsetzenden, lange<br />

noch für politisch unverdächtig gehaltenen systematischen Pflege der Naturwissenschaften<br />

fand. Diesen scheint freilich Gadenstedt fern geblieben zu sein.<br />

Der im Reiche der literarischen Phantasie mühsam sich weiter erhaltende Individualismus<br />

humanistischer Abstammung klammerte sich an ein Spiel mit Form<br />

und Stoff, den bildenden Künsten brachte er aus Italien den oft bis zum Kon- .<br />

vulsivischen gesteigerten Manierismus, der im Norden bürgerlich-unterhaltsamer<br />

in der Dekorationsweise des FlorisstiIes sich kundtat. Aus diesem entwickelte<br />

vornehmlich Niedersachsen die harten urid derben Beschlagwerkformen zumal der<br />

Weserschlösser und in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die 'in<br />

krauser Bewegtheit schwelgenden saftigen Gebilde des Ohrmuschel stils, der an<br />

der Wolfenbütteler Marienkirche einen Höhepunkt erreicht hat. Eben auch als<br />

teilhaftig an solchen gestaltenden WiJlkürlichkeiten ist Gadenstedts Manuskript<br />

aufschlußreich, ganz abgesehen von seinem Material an sachlichen Mitteilungen<br />

und aufgehäufter Gelehrsamkeit. Am ÄuBerlichsten ist das deutlich in der Sucht<br />

nach Konsonantenhäufungen der Schreibweise, desgleichen im schwerfällig gewundenen<br />

Ringen mit dem Worte. Denn das ist doch wohl eine Art von sozusagen<br />

latenter barocker Kraftstauung, wie sie sich unbefangener und ungehemmter<br />

gleichzeitig im Ohrmuschelstil ergab, der protestantischen, eigenwilligen,<br />

gern im Kleinlichen sich verlierenden norddeutscben Vorform des<br />

künstlerischen Hochbarock. Ebenso darf die unruhige Gliederung und überfülle<br />

des Stoffes von Gadenstedts Werk gleichwie die daraus sich ergehende Zersplitterung<br />

als ein allerdings durchaus unbeherrschtes Symptom dieses allen<br />

geistigen Regungen damals irgend wie eigenen verschlungenen Suchens und Haftens<br />

gewertet werden. In Deutschland trat die Klärung erst nach der Mitte des<br />

17. Jahrhunderts ein und erreichte hier für die bildende Kunst einen europäischen<br />

Gipfel der nun überwiegend weltlichen Machtrepräsentation. Leibniz bildete<br />

dazu die intellektuelle Ergänzung. Denn seine These von der vorhandenen<br />

als der besten der möglichen Welten ist, so gesehen, eine Verherrlichung des<br />

durchorganisierten absolutistischen ürdnungsstaates.<br />

Barthold von Gadenstedt hatte, wie wir gesehen haben, die ersten, mit den<br />

raffiniertesten Mitteln italienischen Kunstverständnisses sinnfällig gewordenen<br />

und durchschlagenden Wirkungen derzeit vorbildlich mit sich selbst ins Reine<br />

gekommener Macht- und Ordnungsgebote erlebt. In Neapel und Mailand beeindruckte<br />

ihn die stramme spanische Herrschaft mit ihrem Gepränge, die überhaupt<br />

älteste monarchisch-absolutistische Regierungform des nachmittelalterlichen<br />

Europas. In Florenz bewunderte er die ästhetischen Machmittel, im Venetianischen<br />

beobachtete er die geschickteste Anwendung lang erprobter Regierungstechnik<br />

und nutzte zugleich ihre kühle Toleranz. Aber alle das blieb hauptSächlich<br />

haften in der Gefühlssphäre. Seine beschauliche Natur wurde dadurch nicht<br />

vorwärts getrieben. Immerhin kann auch nur mit einigem Vorbehalt gesagt<br />

werden, die überwiegend starre, wenig persönlich durchw1l.rmte Ausdrucks-<br />

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weise seines Manuskriptes und seine scheinbar gelassene Zurückgezogenheit in<br />

Wernigerode seien vorwiegend eine Temperamentäußerung gewesen, unterstützt<br />

dazu durch wirtschaftliche Gründe. Als Maske wurde eine reservierte Haltung<br />

seinen aktiveren Zeitgenossen fast aufgezwungen. Die vollendetsten nachklassischen<br />

Bildnisse des 16. Jahrhunderts, durchweg Leute in gehobenen Stellungen<br />

darstellend, schon von der Hand Holbeins, später des Florentiners Bronzino<br />

und Anderer, zeigen oft eine eigentümliche, zuweilen seelenlos anmutende<br />

Zurückhaltung des Ausdrucks, darüber hinaus etwas Abwartendes, ja Lauerndes,<br />

- Widerschein der religiösen, sozialen und politischen Unsicherheit ihrer<br />

völlig aus den hergebrachten mittelalterlichen Geleisen geratenen Zeit, mehr also<br />

als den anerzogenen Standesanstand gehobener sozialer Schichten, den ja auch<br />

Gadenstect't von Kindesbeinen an mitgebracht hatte.<br />

überschaut man somit alles, was sich ertasten läßt aus Gadenstedts Manuskript<br />

und vermuten läßt aus seinem Leben, so bleibt doch als letzter Eindruck,<br />

daß seiner gehemmten Regsamkeit eine gewisse Schwere und Dumpfheit<br />

der individuellen Anlage zugrunde gelegen hat. Ihr hat er sich zu entwinden<br />

versucht mehr durch in seiner sozialen Lebensform ungewöhnliches wissen-<br />

. schaftliches Streben als durch wirklich tatkräftiges Aussichherausgehen. Der<br />

barocke Zwiespalt zwischen dem erhaltenden aber beengenden Gemeinschaftsbedürfnis,<br />

ohne das keine Gesellschaft, kein Staat bestehen kann, und dem nur<br />

nQch sich selbst verantwortlichen, vom Zwange konventioneller Bindungen befreiten<br />

Einzelnen lastete auf Gadenstedt. Seine Neigung zum Humanismus, sein<br />

Luthertum, das mit der Rechtfertigung allein durch den Glauben das Individuum<br />

isoliert Gott gegenüber stellt, durchkreuzte sich mit der Erfahrung des 16. Jahrhunderts<br />

von den durch den ungehemmten Individualismus heraufbeschworenen<br />

gesellschaftlichen und politischen Gefahren. Er empfand das wohl, wußte es<br />

aber nicht, blieb daher in diesen Gegensätzen befangen, wo doch eben die jesuitisch<br />

geleitete Gegenreformation aus dem von der mittelalterlichen Kirche getragenen<br />

universalen Gemeinschaftsgefühl das Möglichste zu retten suchte, freilich<br />

auch nur mittels eines flauen Kompromisses mit dem Humanismus. War<br />

doch humanistisches Ideal verjüngende Wiederkehr bedingungsloser Menschlichkeit<br />

aus verzerrt gewordenen mittelalterlichen Bindungen und Verstiegenheiten,<br />

ein Ergebnis der nur literarischen Hinterlassenschaft der Antike, die allerdings<br />

das Menschliche uneingeschränkt zu würdigen sucht. Fern aber steht<br />

ihrer unbefangenen ideellen Haltung die Unmenschlichkeit auch der antiken<br />

wirklichen Taten und Zustände. Dessen wurde man inne. Damit verlor der<br />

Humanismus seine jugendliche Stoßkraft. Er spaltete sich in vertieftes und<br />

sachlicheres Studium aller antiken Hinterlassenschaft und eine von ihr sich<br />

lösende Hoffnung auf Besserung der menschlichen Zustände durch wissenschaftliche<br />

Forschung und Einsicht. Diese im Grunde durchaus unkirchliche Hoffnung<br />

mochte Gadenstedt freilich nicht ganz aufgeben. Aber der entstehende Zwiespalt<br />

berührte auch ihn und trug dazu bei, ihn vollends vom individualistischen<br />

Gesinnungsenthusiasmus zum antiquarisch-historischen Sachinteresse zu<br />

drängen, das von vornherein dem nordischen Humanismus am besten lag und<br />

das in der regen Beteiligung Deutscher an der Verbreitung und Erweiterung<br />

antiker Altertumskunde sich äußerte. Ein großer Teil der Quellen von Gadenstedts<br />

Wissen hat uns das bereits nahe gebracht. Auch so gesehen aber rang er<br />

sich nicht zur völligen Beherrschung des humanistischen Stoffes durch, blieb<br />

vielfach abhängig von den in Deutschland bis in das 17. Jahrhundert nachgeschleppten<br />

Erbresten mittelalterlicher Auffassung der Antike, die weder das<br />

Artgebundene noch das Individuelle, das Einmalige in den großen Personen und<br />

Ereignissen sah. Daher seine Vorliebe für Zitate, welche Inhalte der antiken überlieferung<br />

in Form von Sentenzen und Denksprüchen wiedergeben, sie zu Idealeigensc.haften<br />

und exemplarischen Typen aus dem besonderen Falle zu ab-<br />

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strahieren suchen. Wird doch des spätmittelaIterlichen Florentiner Reimchronisten<br />

Fazio degli Uberti Werk Dittamondo, für Italien bereits ein Vertreter wissenschaftlichen<br />

Zurückbleibcns, von Gadenstedt noch bevorzugt zitiert.<br />

Wird man daher Gadenstedts lange Reise auch als eine Art von innerem<br />

Befreiungsversuche gelten lassen, so bat sie ihn doch nicht erlösen können von<br />

dem Gesetz, nach dem er angetreten. Dieses letzte Versagen seiner Natur gegenüber<br />

zähen Wünschen offenbart schon aus dem Jahre 1584 sein als Stammbucheintragung<br />

erhaltener Wahlspruch: "Alles nach Gottes Willen". Ist daher<br />

sein Ringen mit sich selbst auch ohne das im Innersten vielleicht erwartete<br />

Ergebnis geblieben, so hat ihn um so mehr das im Leben erfahrene und durch<br />

gelehrtes Studium erlesene Sichdurchsetzen Anderer beschäftigt und zur Beruhigung<br />

gebracht. Diese Einkehr, dazu zuletzt noch die Schrecken des Dreißigjährigen<br />

Krieges, werden seine Religiosität zu der Tiefe entwickelt haben, von<br />

der sein jüngerer Freund und Nachbar, der Pastor Fortmann, so se blicht wie<br />

eindringlich in der Grabrede auf ihn zu erzählen wußte 135). Und dieses Bedürfnis<br />

aus der Weite humanistischen Strebens in die Tiefe inniger Gottesgemeinschaft,<br />

das Faustische des nachmittelalterlichen Menschen, ist das Beste<br />

an Barthold von Gadenstedt. Für sein äußeres Leben hat er in Italien vielleicht<br />

mehr verloren als gewonnen, für sein inneres Leben aber fand er einen Rückhalt.<br />

Als ein echter Deutscher, - mag sein als ein "reiner Tor", - ging er hin, als derselbe<br />

aber kam er auch zurück, ein schwerblütiger Ostfale, beharrlich in<br />

Ehrfurcht vor den Wundern der Welt, demütig vor ihrem Gestalter, recht so,<br />

wie sein später heimatlicher Landsmann Wilhelm Raabe die besonnte Resigniertheit<br />

des Hungerpastors schildert:<br />

Nun ist'sgeschehen; -<br />

Aus allen Räumen<br />

Hab' ich gewonnen<br />

'Ein holdes Träumen.<br />

Nun sind umschlossen<br />

Im engsten Ringe,<br />

Im stillsten Herzen<br />

Weltweite Dinge .<br />

• • •<br />

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Anmerkungen<br />

1) Cber ihn und seine Familie: Zeitschrift des IIarzvereins f. Gesch. u. A. XXXVII,<br />

1904, S. 192 ff. - Reste des reichen hölzernen Grabdenkmals von Dietrich, t 1586, mit kleinen,<br />

knieend betenden Figuren von ihm und seiner Familie, darunter auch Barthold, im Wernigeröder<br />

Museum. Dürftige Abbildung dieser Figuren in den Bau- und Kunstdenkmälern der Grafschaft<br />

\Vernigerode, 1913, S. 225. Barthold ist unter ihnen leider nicht sicher zu identifizieren,<br />

ein zuverlässiges Bildnis von ihm ist auch sonst nicht nachzuweisen.<br />

2) Das herzogliche Lehngut der Familie zu dieser Zeit verzeichnet bei G. H. Müller: Das<br />

Lehns- und Landesaufgebot unter Heinrich Julius, 1905, S. 302. -, Zur Beisetzung Herzog<br />

August d. J. am 11. Dezember 1666 in Wolfenbüttel leisteten zwei Herren von Gadenstedt Ehrendienste,<br />

Christoph Dietrich und Barthold Heinrich; laut Druck des zur Lesung von den Kanzeln<br />

am 12. Dezember bestimmten herzogliehen Leben~laufcs, mit angefügter Beschreibung der<br />

Leichenfeier, Seite 27.<br />

S) Zeitschrift des Harzvereins f. Gesch. u. A., XXII, S. 241.<br />

4) Erwlihnt bei A. NeukirclI: Niedersächsische Adelskultur der Renaissance, Seite 129.<br />

Auch für das vorliegende, dazu eine Art von Ergänzung bietende Thema höchst aufscblußreicher<br />

Hauptteil der Adelsschlösser Niedersachscns, Veröffentlichung der Historischen Kommission<br />

für Hannover usw. 1939.<br />

0) Matrikelmäßig nachweisbar sind damals: Danicl v. d. Schulenburg 1558 in Padua, dann,<br />

in Bologna, besuchte auch Madrid, Paris, die Niederlande und kehrte erst nach neun Jahreri<br />

zurück; Lcvin v. d. Schulenburg in Padua 1553, in Bologna 1554; Werner v. d. Schulenbllrg<br />

in Bologna 1561, in Padua 1563; Achatz v. Veltl1eim in Padua 1558, in Bologna 1559; Joh.<br />

Heinrich v. Veltheim in Padua 1553, in Bologna 1554. - Verg!. Knod, Deutsche Studenten<br />

in Bologna (1289-1562), 1899, S. 509 f. und 593 f. Ehenda S. 237 auch die entsprechenden<br />

Daten über Studienaufenthalte von Caselius 1560-1567 in Bologna, Florenz, Ferrara, Pisa.<br />

In Pisa promovierte er 1566 zum juris IItriusque Doctor.<br />

6) Erwähnt: Zeitschrift des Harzvereins f. Gesch. u. Altcrtumsk., XXXVII, S. 194. Neukirch<br />

a. a. 0., S. 249, Anm. 4. - Der den Hcisestoff verarbeitcnde Teil des l\Ianuskriptes zählt<br />

695 Seiten. Angehängt sind noch 3 Seiten der unvollständig erhaltenen Beschreibung einer Gesandsehaftsreise<br />

nach Kopenhagen in der I1ciratsangelegcnheit des Herzogs Heinrich Julius mit<br />

der dänischen Königstochter Elisaheth.<br />

7) Verg!. J. Kachel: Herherge und Gastwirtsehart in Deutschland bis zum 17. Jahrh., 1924, S. 135.<br />

8) Erbaut von dem Theaterfreunde und Förderer der englischen Komödianten in Deutschland,<br />

Landgraf ~Ioritz von Hessen, nicht Wilhelm, wie Gadenstedt angibt.<br />

9) Gleich Felleisen, entlehnt aus dem \Välschcn valigia, valise.<br />

10) Abhildung eines solchen Fultrwerks zur Personenbeförderung auf dem Titelblatt von<br />

Wickrams Rollwagenbüchlein 1555.<br />

11) Wohl Angehörige der Hildesltcimcr Patrizier Brandis und der BraunsehweigcrvonPawe!.<br />

12) Freundliche Mitteilung \'on Dr. Fritz Weigle, Rom, Deutsches historisches Institut.<br />

13) Das heißt zur Zeit der Niederschrift auf Seite 162 des Manuskriptes. Thumbdechaml<br />

wurde von Gadenstedt nachträglich verbessert aus Thumbherr. Laut gütiger Mitteilung des<br />

Magdeburger Staatsarchivdirektors ~röllenberg wurde Christoph von IIünicke 'am 31. X. 1615<br />

Dechant des lutherischen Magdeburger Domkapitels und starb als solcher am 25. III. 1641.<br />

Im Jahre 1615 also ist wohl auch diese Seite des Manuskriptes geschrieben (unbeschadet<br />

etwaiger älterer Konzepte), gleichwie sein vorhergehender Text, wie aus der Seite 71 herangezogenen<br />

Bemerkung auf Seite 100 des Manuskriptes hervorgeht.<br />

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14) Stets RO geschriehen.<br />

15) Dekrete der römischen Inquisition de ultramontanis haereticis praecipue Paduae<br />

commorantibus von 1595 zitiert in L. v. Pastors Geschichte der Päpste, Band XI, S. 467.<br />

16) In Venedig wurde nachweislich bis Endc dcs 17. Jahrhundcrts nach dem Bekenntnis<br />

verstorbener Deutschen nicht gdorRcht. Sie wurden, Kaufleute und anllere, in ihrer Nationalkirche<br />

S. Bartholomeo begrahen. Vergl. H. Simonsfeld, Der Fondaeo dei Tedeschi in Venedig,<br />

1887, <strong>Bd</strong>. 11, S. 247 f.<br />

17) Hier wie meist im engeren Sinne Bezeichnung der landsmannsehaftlichen Studentenkorporation,<br />

der aber aueh Polen angehörten.<br />

18) Nach Knod: Deutsche Studenten in Bologna 1289-1562, Berlin 1899, S. 450 ging er<br />

1543 als "professor poetices" nach Marburg, 1554 war er, Joannes Reim ex ducatu Brum·<br />

vicensi, als Gesandter des Grafen Joh. v. I1oya, erwählten Bischofs von Osnahrück, in Rom,<br />

schrieb dort 1555 ein Spottgedicht auf den Papst, 1556 treffen wir ihn ah loann"s Ridzius<br />

Annoveren.~is iuris utrisque doctor in der Universitätsmatrikel Bolognas (Acta Nationis Germaqicae<br />

Universitatis Bononiensis, herausgegeben von Friedländer und Malagola 1887, S. 335).<br />

Auf der Heimreise wurde er in Augsburg als französischcr Spion verhaftct, spätcr war er in<br />

fürstlichen Diensten, 1573 denen Herzog Erichs d. J. von Braunschweig. Als "cancellarius<br />

Brunsvicensis" erscheint lohannes Richius Saxo aber schon 1552 in Padua, ja als "consiliarius<br />

Erici ducis" also im Dienste noch Erichs d. Ä., 1539 in Wittenberg. - Die von ihm verfaßte<br />

poetische Grabstätteninschrift wurde schon 1592 von Lorenz Schrader veröffentlicht. Dbcr<br />

diesen siehe weiterhin.<br />

19) Dber diesen: Zeitschrift des Harzvereins f. Gesch" u. A. XXII, S. 237 H.; seine Söhne<br />

Heinrich und Asche S. 237.<br />

20) Abbildung in den Bau- ulld KUllstdenkmälern der Grafschaft Wernigerode, 1913,<br />

S. 170.<br />

21) Verordnung des Herzogs Heinrich Julius von 1593; Woltereck, Kurtzer Begrif Braunschweig-Wolfenbüttelscher<br />

Landesordnungen, 1750, Seite 31.<br />

22) Festschrift des HarzvereillS f. Geschichte u. A., 1892, S. 92.<br />

23) Der Vorname Adrian kam damals in der Wispensteiner Linie der Steinbergs mehrfach<br />

vor; der Grabbesorger A. v. St. mul~ ein naher Verwandter IVIclchiors gewesen sein; G. H. Müller,<br />

Das Lehns- und Landesaufgebot unter Heinrich Julius, 1905, S. 441.'<br />

24) Dankenswerte Angabe von Dr. Fritz \Vcigle, Rom, Deutsches historisches Institut.<br />

26) Ausführliches, mit Abbildungen, über 11 Cataio, seincn Erbauer und seine späteren Besitzer,<br />

die Herzöge von Modena, bei Bruno Brunelli e Adolfo Callegari in: Ville dcl Brenta e<br />

degli Euganci (1931), Nr. XXVII. Gadenstcdt gibt den Namen der Villa nicht an.<br />

,26) In der Tat enthält die Matrikel beider Eintragung um 26. .Juni, laut freundlicher<br />

Auskunft von Dr. F. Weigle, Rom, Deutsches historisches Institut.<br />

27) Dieser Palast lag wohl auf der heute Via d'Azeglio genannten Straße. Sie mündet auf<br />

das einst Porta S. Mamolo genannte Tor, vor dem eine mittelalterliche Begräbniskirche der<br />

Deutschen sieh befand. - Cardinal C., wohl Lorenzo, Bisehof von Bologna, ereiert 1517. Er<br />

war eifrig, auch als Legat in Deutschland, für Gesundung der alten Kirche tätig.<br />

28) Lorenz Schrader; siehe <strong>3.</strong> Teil.<br />

29) L. Schrader; siehe weiterhin <strong>3.</strong> Teil.<br />

80) Stammtafel der Familie Brandis, für sie veröffentlicht 1935. - L. Hänsellllllnn:<br />

Henning Brandis' Diarium, S. 38, 158.<br />

31) Friedländer und l\Ialagola: Acta Nationis Germanicae Universitatis Bononiensis, 1887,<br />

S. 247.<br />

82) A. a. 0., S. 263, 268 und 259. - Höchst wahrscheinlich hat er in Bologna auch promoviert.<br />

Akten über derzeitige Promotionen in Bologna fehlen.<br />

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83) Hänselmann: Henning Brandis' Diarium, 1896, S. VII f., XII, XV.


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94) Acta Nationis Germanicac a. a. 0., S. 332.<br />

85) Buhlers: Joachim Brandis des Jüngeren Diarium, 1903, S. 89, 109, 187, 209.<br />

86) Grabstätten deutscher Studenten in Italien; in: l\litteilungen der k. k. Central-Commission<br />

für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, XIII. Jahrg.<br />

N. F. Wicn 1887. - Auch als S. A., 40, 45 S. - Behandclt werdcn nur dic Städte Bologna 'und<br />

Siena, in Padua fehlte es an IVlatcrial, wohl auch in andcren Orten.<br />

37) Acta Nationis Germanicae, a. a. 0., S. 257.<br />

38) v. Ebengreuth, a. a. O.<br />

89) M. L. Gothein, Geschichte der Gartenkunst, I, S. 298 ff., mit Abb. des Planes. Im<br />

19. Jahrhundert wurde die Anlage ihrer Fülle von Grotten, Figurcn, \Vusserkünsten, dic eie<br />

berühmt ,und einzigartig gemacht hatte, beraubt. Dcr Weimarer C. H. J(agemann) hat sie 1780<br />

in seinen "Briefen über Italien" II, S. 202-212 noch schildern können.<br />

40) Bcschreibung Einer Uaiß, Welche der ..•• Herr Friderich Hertzog zu Württemberg ••••<br />

Tm Jahre 1599 .... in Italiam gethan .... durch Heinrich Schickhart .... 160<strong>3.</strong><br />

41) Gemäß dem ~päteren Reisebericht 29. Sept. - Mit Mclchior v. Stdnberg G. als Rechtshörer<br />

immatrikuliert schon am <strong>3.</strong> Juli 1588 laut freundlicher Mitteilung von Dr. Fritz Weigle,<br />

Rom, Deutsches historisches Institut. Die kleine Unstimmigkeit der Daten können wir übergchcn.<br />

42) Beide als Rechtshörer der Vni'iersität Siena immatrikuliert bereits am 2<strong>3.</strong> Juni 1587,<br />

vorher, 1586, in Pisa am 11. Novembcr. Auch diese Angahen werdcn Herrn Dr. F. Weigle<br />

verdankt.<br />

43) Spendiert = gemeinsam verrechnet.<br />

44) Allgemeine Deutsche Biographie, xxxn, S. 569-572 (P. Zimmermann).<br />

45) P. Zimmermann: Album Acadcmiae Helmstadiensis, I, Seite 396.<br />

(6) Kein Niedersachse.<br />

47) 405 m hoch.<br />

48) Chledowski, Sicna, II, S. HO.<br />

49) Diese GrabsteIle war nicht mehr das ursprüngliche Grahgewölbe der Barbarakapelle<br />

Abb. 16. Von dicsem sagt Gadenstedt nichts. Das ihm erwähncnswerte wurde erst im Jahre<br />

1575 eingerichtet, während in dcn Jahren vorher dic Kapcllc wieder gründlich instand gcsctzt<br />

und ausgeschmückt worden war. Schon 1570 erhielt sie, wie eine Inschrift Ichrt und Luschin<br />

von Ebengreuth in seiner Abhandlung (die wir bereits für Bologna benutzen konntcn und für<br />

Sicna auch einige Abbildungen nach Zeichnungen hat) nachwcist, dcn Abb. 18 in schräger ·übersicht<br />

gegebenen rechteckigen \Vappenstcin von 77 cm Höhe und 66 em Breite mit dem deutschen<br />

Doppeladler samt Bindenschild und Krone des Hauses Osterreich sowie der Inschl'iIt<br />

unter dem Adler pie instaurata Ao 1570. Das Knpellenfenster bekam im Jahre 1573 zwei nicht<br />

mehr vorhandene Adler. - Von dem alls drei PlaUen, darunter ebenfalls einer mit dem<br />

zweiköpfigen Adler, bestehenden Versehluß der neuen Gruft "mitten in der Kirchen", wie<br />

Gndenstedt richtig angibt, ist nichts mehr vorhanden.<br />

60) v. Ebengreuth führt aus den Jahren der Neuausstattung der Barbnrakapelle nur Rechnungcn<br />

aus 1576 und 1577 mit Zahlungen für Stoffe an. Das von Gadenstcdt bewunderte<br />

Tuch ist nicht dabei erkennbar.<br />

51) Eine genaue Beschreibung der 27 insgesamt in der Kirche noch vorhandenen Grabdenkmäler,<br />

sowie mangels zusammenfassendcr Archivycl'öffcntlichungen wertvolle Aktcnauszüge<br />

über die Anordnung der Grahmäler und ihrer Inlwber in Luschin v. Ebengrcuths Grabstätten<br />

deutscher Studenten in Italien. • •<br />

62) Rechnungsbücher der deutschen Nation an dcr Universität Sienas bei v. Ebengrcuths<br />

Grabstätten deutschcr Studcnten in Italien. - S,'alesiercn = dcs Gepäcks berauben.<br />

63) Sachgemäße Einschränkung Gadenstet.lts zur Zeit der endgültigen Fassung seines<br />

Manuskriptes. Die Vollendung des Neubaues der Pcterskirehe wurde erst 1615 in der Hauptsache<br />

abgeschlossen.<br />

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64) Tempio di S. Maria deHa {ebre auf Alfaranos Plan, z. B. neuerdings bei Tardini:<br />

Basilica Vaticana e Borghi, Fig. 5.<br />

55) Dazu C. M. Kaufmann: Das Kuisergrab in den vatikanischen Grotten, insbesondere<br />

S. 16, Anm. 27, wo auch gleichwie in dem S. 17 f. abgedruckten Bericht über die "aperitio"<br />

des Sarkophags von Otto 11. im Jahre 1610 auf die Vernachlässigung der GrabsteUe und den<br />

ruinösen Zustand ihres Deckels zwar hingewiesen wird, ohne jedoch die von Gadenstedt mitgeteilte<br />

liiußerste Entwürdigung zu erwähnen.<br />

56) Er findet sich auch bei Boissard und Schottus, denen wir im dritten Abschnitte wieder<br />

begegnen werden.<br />

57) Fürstbischofs Joh. Gottfried v. AschhuUllen Gesandtschuftsreise nach Italien und Uom<br />

1612/13; Bibliothck des Litcrarischen Vereins in Stuttgart, CLV. Tübingen 1881.<br />

68) L. Schudt, Le Guide di Roma, 1930, S. 143 und 168 .•<br />

59) M. Toll: Die dcutsche Nationalkirche S. Maria deU' Anima in Neapel; Freihurg<br />

i. B. 1909, S. 24. - Toll ist die Eigenschaft Hreitenbachs als Herbergslciter unbekannt' geblieben.<br />

60) Klein Gennaro, vermutlich zum Unterschiedc von der Cathedrale S. Gennaro mittcn<br />

in der Stadt.<br />

61) Vielleicht ist dieser Gießername schon auf der Kanone. verdorben gewesen, verschrieben<br />

oder nicht richtig gclesen. In Dresden schcint er unbekannt zu ·sein.<br />

62) Herzog Augusts Ephemerides sive Diarium, 18. XI. 1598. - 42. 19 Mscrptor. der<br />

Herzog-August-Bihliothek in Wolfenbütte!. Wir kommen im 2. Teile auf dieses Buch zurück.<br />

63) Nach A. v. Hübncr, Sixtus V, Leipzig 1871, 1 S. 87/98 hätten die Kurtisanen zu<br />

Venedig im Dienste der Geheimpolizei gestanden.<br />

e,) L. v. Pastor, Geschichte der Päpste, VII, S. 53<strong>3.</strong><br />

65) F. Koldewey: Die Jesuiten und das Herzogtum Braunschweig, 1889, S. 13 ff. -<br />

Noch Bellarmin, gestorben 1621, trat in scinen polemischen Schriften im Sinne mittelalterlicher<br />

Universalität der Kirche für härteste Strafen, selbst den Tod, gegen Ketzer ein. Verg!.<br />

E. Timpe: Die kirchenpolitischen Ansichten und Bestrebungen des Kardinals Bellarmin, insbe80ndere<br />

Seite 17-18, 127, 129 in Sdraleks Kirchenge8ch. Abhandlungen, III, Breslau 1905.<br />

- Auch an den Untersuchungen gegen Galilei war Bellarmin von amt~wegen seit 1611 beteiligt.<br />

66) Gadenstedt sagt irrtümlich Vi r gin i 0 (statt Pietro) und Cesare; richtig ist dagegen<br />

diese Angabe mit dem Datum des Einzuges in dem von ihm auch gebrachten gedrängteren<br />

italienischen Paralleltext.<br />

61) Der in den SanI hineingcbnute Dühnenraum ist viellei';ht wiedergegeben in oer<br />

ganz flüchtig hingeworfenen, dem Buontalenti zugeschriebenen Zeichnung Nr. 2306 des<br />

Kupferstichkabinetts der Uffizien: Uber den Saal selbst: B. de Rossi, deserizione delI' Apparato<br />

•.•• 1589, S. 5 ff.; v. Rewnont, Geschichte Toscanas, I, S. 580; Gurlitt, Geschicbte des<br />

Darockstils in Italien, S. 246; H. Tintelnot, Barocktheater und barocke Kunst, 1939, S. 25.<br />

- Der Saal grenzte an die Piazza deI Grano, jetzt ein Teil der Via dei CasteUani. Vielleicht<br />

gehörten zu ihm verbaute Fensterreste in der Ostwand ,der Uffizien (Abb. 14). Herzog<br />

August von Braunschwcig-Wolfenbüttel konnte 1599 aus' dem Raume der Antikensammlung<br />

"inß Theatrum hinein sehen, da die Comoedien gehalten werden"; Handschrift 42. 19.<br />

Mscrptor. der Herzog-August-<strong>Bibliothek</strong> in Wolfenbüttel. - Siehe auch H. Willieh im<br />

Sitzungsberichte der kunstwissenschaftlichen Gesellschaft in München vom 16. II. 1922;<br />

l\1ünchener <strong>Jahrbuch</strong> der bildenden Kunst 1923, S. 162 f.<br />

68) Sie umfassen allein rücksichtlich der Intermedien sicben Seiten seines Manuskriptes<br />

• gegenüber nur anderthalb Seiten seines entlehnten italienischen Textes.<br />

69) Dottore Girolamo BargagIi. Vergi. A. W nrburg, Gesammelte Schriften, Bo. I, S. 259 ff.:<br />

J. Costumi TeatraIi per gli intermezzi deI 1589.<br />

10) Chledowski, Siena, II, S. 15<strong>3.</strong><br />

71) B. de Rossi: Deserizione deli'· Apparato degli Intermedii ..•.. 1589. S. 5 ff. - Tintelnot,<br />

a. a. 0., S. 28 H.<br />

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72) So nach Gadenstedt. Wo er vergagt, schließt sich unsere Deutung der Vorführungen<br />

der au~ zeitgenössischen Berichten gewonnenen Beschreibung Tintelnots (a. a. 0., S. 30-32)<br />

an, stets unter Beifügung charakteristischer Beobachtungen Gadenstedts. - Bei Tintelnot Abbildungen<br />

einiger Bühnenbilder nach gleichzeitigen Darstellungen. Das des <strong>3.</strong> Intermediums,<br />

ohne als solches angegeben zu sein, auch in Gregors verbreiteter Weltgeschichte des The-'<br />

aters, Abb. 143 vor S .• 367.<br />

n) Ähnlich bei Simone Cavallino: Raccolta di tutte le solenissime feste ..... 1589, S. <strong>3.</strong><br />

H) Dr. Fritz Weigle, Rom, Deutsches historisches Institut, teilt freundlichst mit, daß<br />

Streithorst und Dasypodius am 1. I\Iai 1589 in Bologna immatrikuliert worden sind und<br />

bereits am 4. Juni in Padua.' Aber auch diese letzte Eintragung galt nicht dem Kollegienbesuch,<br />

denn nach Gadenstedt verließen beide Padua bereits am 6. Juni, um heimzukehren.<br />

75) Vielleicht Nesso zwischen Como und Bellaggio. Die Ortsnamen der Handschrift beruhen<br />

hier wie gelegentlich auch sonst auf nur dialektischem Hörensagen, sind daher mit<br />

den zugänglichen Hilfsmitteln nicht festzustellen.<br />

78) Album Academiae Helmstadiensis, I, Seite 396.<br />

77) Handschrift der Herzog-August-Rihliothek in Wolfenbüttel, 42. 19. Mscrptor: Ephemerides<br />

sive Diarium, Blatt 4 bis 22. Vollständige Wiedergahe dieses Teils wäre kulturgeschichtlich<br />

wohl erwünscht. - Die Handschrift enthält 60 Blätter und reicht von 1594-1635.<br />

78) = Die Vicentiner sind Diebe oder Mörder. - Gedenkinschrift auch bei Schrader.<br />

79) Beschreibung eines Besuches im Jubeljahre 1575 in: Rom, eine Münchener Pilgerfahrt<br />

••• von Jakob Rabus, herausgegeben von K. Schottenloher, München 1925, S. 7-10.<br />

Die große Kirche ist ein eigenartiges Werk Giulio Romanos (t 1546).<br />

80) Nur dieser kann es sein, ein Sohn des Herzogs Friedrich, der Rom schon am<br />

Beginn des Jahres 1600 verlassen hatte. Joh. Friedrich war am 21. IV. 1600 in Begleitung<br />

eines "Lehrmeisters" und eines "Hofmeisters" gleichfalls nach Italien geschickt worden. -<br />

Vergl. Friedrich Sattler, Geschichte Württembergs, 1772, V, S. 232.<br />

Sl) Be~chreibullg einer Raiß, welche ••. Friederich Hertzog zu Württemberg '•.. 1599<br />

• .. in Italiam gethan .•• Durch Hcinrich Schickhart von Herrenberg, Ihrer Fürstlichen<br />

Gnaden Bawmeister '" 160<strong>3.</strong> - Quartband von 106 Blättern. Auch unter besonderem Titel<br />

vereinigt mit der "Badenfahrt" des Herzogs, die schon 1592 von Mömpelgard nach England<br />

und Niederdeutschland gegangen war.<br />

82) Auch Montaigne, dessen Journal de voyage zu den wichtigsten italienischen Reiseberichten<br />

gehört, hatte den Bären am 30. Nm'. 1580 aufgesucht. Ver;;!. die Kritik seiner<br />

Beschreibung Roms in v. Pastors Geschichte dcr Päpste, IX, S. 785 ff.<br />

88) v. Pastor, Geschichte der Päpste, XI, S. 505, 507, 510.<br />

84) M. Brosch, Geschichte des Kirchenstaates, 1880, I, S. 308 f.<br />

85) In welcher der Erbauer, Giovanni da Bologna aus Douai, auch begraben wurde.<br />

86) Einer der fünf adeligcn Bcglcitcr dcs Herzogs.<br />

87) F. W. Barthold: Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft. Berlin 1848.<br />

H. M. Schultz: Die Bestrebungen der Sprachgesellschaften im XVII. Jahrh.; Göttingen 1888. -<br />

Lud",ig von Anhalt hinterließ eine erst 1716 veröffentlichte, gereimte Beschreibung seiner<br />

Reisen. Auch er stieg zuerst in der goldenen Krone ab, wo er über W auzen klagte, Die gereimte<br />

Beschreibung der Reisen ist zwar mitteilsam, aber erst 50 Jabre später ve~faßt. Kurzer<br />

Inhalt bei Barthold S. 30-34, mehr bei Ziehen, Das Reisegedicht des Fürsten Ludwig von Anhalt,<br />

in: Festgabe für Ebrard, 1920 S. 51-74. Auch hier noch wenig differenziertes Haften<br />

an hergebrachtem Stoff, z. B. Krankenhäusern, oft wohl nur durch Führer vermittelt.<br />

88) Aus ihr stammt, wie schon S. 46 erwlihnt, das bekannte, 1630 bei der Plünderung<br />

Mantuas verschleppte antike Onyxgefäß des Herzog-Anton-Ulrich-Museums zu Braunschweig.<br />

Woder Gadenstedt noch Schickhardt führen es gesondert an.<br />

89) H. Simonsfeld: Der Fondaeo dei Tedeschi in Venedig, I, S. 435, II, S. 173, 209f.<br />

&0) Es hing das wohl mit den Bestrcbungen der Calixtinischen Richtung der IIelmstedter<br />

Universität zusammen, die konfessionellen Gegensätze zu mildern.<br />

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91) Aus Ferdinand Albrechts ausführlicher Reisebeschreibung in seiner Veröffentlichung:<br />

Wunderliche Begebnüssen ... Bevern 1678, S. 107 und 121. Dieses Werk zeigt die Barockeigenart<br />

in stellenweise grotesker Steigerung. Darübcr vicllcicht künftig mehr.<br />

92) Dazu: A. Neukireh, Niedersächsiche AdeIskultur der Renaissance; Textband, 2. Hälfte<br />

der Renaissanceschlösscr Niedersachsens, Verlag der Historischen Kommission, Hannover 1939.<br />

9S) Chr. Häuttle: Des Bamberger Fürstbischofs Johann Gottfried von Aschhausen Gesandtschaftsreise<br />

nach Italien und Rom 1612 und 161<strong>3.</strong> Gedruckt für den Literarischen Verein<br />

in Stuttgart 1881. - Es ist dieses die erste Veröffentlichung des in drei Handschriften erhaltenen<br />

Textes.<br />

94) Für diese Zeit, wo Rom bereits mit vielen und bedeutenden Neubauten durchsetzt<br />

worden war, bemerkenswert kurz. Ältere Führungsanweisungen und noch Schakerlays Gllida<br />

Romana von 1557 (Schudt, Le Gllide di Roma, S. 29 und 198) konnten sich leichter auf drei<br />

Tage beschränken.<br />

95) Veröffentlicht als 128. Publikation des Litterarischen Vereins in Stuttgart: N. Muffels<br />

Beschreibungen der Stadt Rom. Muffels aufrichtiger, aber ganz am ,'uISerlichstcn haftender<br />

Religiosität widerspricht es nicht, daß er als oberster Losunger, Inhaber dcr höchstcn Amtsstelle<br />

Nürnbergs, im Jahre 1469 wegen schweren Dienstvergehens hingCJ'ichtet wurde.<br />

96) Anmerkung 79. - Rabus ist in der Literatur bekannt geworden durch Johann Fischarts<br />

geg(;11 ihn geri


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http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042371<br />

1U) Mitteilungen des Vereins filr Geschichte und Landeskunde "on Oenabrilck, Band<br />

XXXIV, 1909, S. 33<strong>3.</strong><br />

115) L. v. Pastor, Geschichte der Päpste, Band IX, Seite 623 nennt ihn von seinem Standpunkte<br />

aus geradezu "der alte Ränkeschmied Lorenz Sehrnder".<br />

116) Er ist also um 1538 geboren und nicht schon um 1530, wie die Allgemeine Deutsche<br />

Biographie sagt. Ein Sohn starb in Halberstadt, ein Enkel war Bürgermeister in Braunschweig.<br />

117) ••• et eum ... flagrantique studio visendi eius (sc. Italiae) urbes, provinciam ferme<br />

totam peragrassem, multas praeclaras inseriptiones promiscue hine inde eollegi et quae conspicienda<br />

venirent, ubivis singulariter observavi.<br />

118) Sehottus, der auch das weiterhin erwähnte Kirchenverzeichnis Schraders übernimmt,<br />

wird nur wegen dieses Verzeichnisses bei L. Schudt, Le Guide di Roma, S. 169 zitiert,<br />

Schrader dagegen in diesem äußerst brauchbaren Ubersichtswerke überhaupt nicht genannt.<br />

Dagegen wird- dort auf Albertis Descrittione mit einer Ausgabe von 1568 hingewiesen.<br />

119) "Mons NOVU9 Puteolanus. Hic mons adhuc fumum plurimis Iods emittit."<br />

120) "Nescio, an de hoc, an de prisco saeculo autor loquatur."<br />

121) Italia artistica, diretta da Corrado Ricci. Nr. 45: Verona, da Giuseppe Biadego.<br />

BI ed. Bergamo 1928. Das Werk ist populär-allgemein gehalten.<br />

122) Seite 2: "Ma 10 Schrader non era un precursore di quei moderni scrittori tedeschi,<br />

ehe vogliono trovare in Verona gli elementi etnici d'una citt?! germanica." Dazu als Zitat aus<br />

Schrader: "Verona antiquorum aedificiorum post Romam multa et praelara habet vestigia".<br />

123) L. Schudt, Le 'Guide di Roma, 1930, S. 169. Der von uns benutzte Text ist der<br />

lateinische der 1. AusgaLe von 1600. Das Buch ist für den zur "Romanität" neigenden nordischen<br />

Humanismus bezeichnend. Uber nationale Färbungen belehrt 1937 Rüdigers "Wesen und<br />

Wandlung des Humanismus". Der den Humanismus zutiefst tragende Drang nach dem schlechthin<br />

Humanen, dem "rein Menschlichen" des Klassizismus, steht überall dahinter.<br />

tU) Uns liegt die II 1., 1606 erschienene Auflage vor, ein Oktavband von 16 + 653 Seiten.<br />

125) Allgemeine Deutsche Biographie, Band IV, S. 254-256 (Fromm).<br />

126) Allgemeine Deutsche Biographie, Band XXI, S. 183 f. (Th. Elze).<br />

127) linserer Betrachtung liegt die italienische Ausgabe des venetianiscben Verlegers<br />

Bonelli von 1553 zugrunde mit 464 eng bedruckten Quartblättern und langem Ortsregister.<br />

12M) Vergi. P. Zimmermann: Album Aeademiae Helmstadiensis, Band I, 1926, S. 396 f.<br />

129) Insbesondere: Zeitschrift des Harzvereins für Gesehir.hte und Altertumskunde, XXXVII,<br />

1904, Seite 192-196, mit Hinweis auf andere Erwähnungen.<br />

130) }


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Personen verzeichnis<br />

v. Adelebsen, Dodo 10<br />

Adelheid, Kai~erin 47<br />

Alberti, Leandro 71 f. 7<strong>3.</strong> 77. 86. 88. 89. 90.<br />

91. 99 f.<br />

Albertus, Mönch 98<br />

Albrecht, Erzherzog 56<br />

Alcadlnu~ 89. 90.<br />

Aldobrandlni, Kardinal 56<br />

Aldrovandi, Ulisse 91<br />

Alexander ab Alexandro 86<br />

v. Anhalt, Fürsten<br />

Christian 38. 62<br />

Ludwig 38. 62 f. Anm. 87<br />

Anne, Wirtin 1<strong>3.</strong> 46.<br />

Antonius ab Alexandro Anm. 109<br />

Arnd, Johann 103<br />

v. Aschcnberg, Dietrich 34<br />

v. Aschhausen, Joh. Gottfried, Fürstbischof 67<br />

Augustin 89·<br />

d'Austria, Don Juan 32. 35. 54<br />

v. Barbisllorf, Gottfried 2<strong>3.</strong> 36. 39. 42<br />

dei Bardi, conte Giovanni 41<br />

Bargagli, Girodamo 41<br />

v. Bassewit7., Joachim 97<br />

Bellarrnin, Kardinal 39. 95. 97. Anm. 65<br />

v. Bern, Dietrich, siehe Theoderich<br />

Beroaldo, Filippo 21<br />

Biadr.go, Giuscppe 96<br />

Bevilaequa, conte 55<br />

Biondo, Flavio 72. 99<br />

Boissard, Jean Jacques 8<strong>3.</strong> 84:. 91. Anm. 56<br />

Bologna, Giovanni da 26. 54. 62. 76<br />

Bothe, F. H. 86<br />

v. Brandenstein, Esaias 14<br />

Brandes, Johann 16<br />

Brandisl<br />

Christoph 22<br />

Henning. 21 '<br />

Johann (t 1500) 20 f.<br />

Johann (t 1531) 21 f.<br />

Margarethe, geb. v. Damm 22<br />

Doetor B. 11<br />

v. Draunschweig, Wilhelm 18<br />

zu Braunschweig und Lüneburg, Herzöge:<br />

August 35. 51-57. 58. 59. 6<strong>3.</strong> 65.<br />

66. 68. 8<strong>3.</strong> Anm. 67<br />

Dorolhee geb. Herzogin von Lothringen<br />

17. 18. 40<br />

Erich I. (d. 11.) Anm. 18<br />

Erieh n. (d. j.) 10. 12. 17 f. 40. 47<br />

Ferdinand Albrecht I. 66. Anm. 91<br />

Friedrich Ulrich 2<strong>3.</strong> 4<strong>3.</strong> 100<br />

Heinrich Julius 7. 92. 93<br />

Johann Friedrich 66<br />

Philipp Sigismund 92<br />

Breitenbach, Dietrich 31. 38<br />

~. Bremen, Erzbischof Joh. Adolf 92<br />

v. Brüsigk, Wulf 18<br />

de Bry, Theodor 91<br />

Brunt'lIeschi, Baumeister 73<br />

Brul1i, Leonnrdo 74<br />

ßuontalenti 22. 40. 41. Anm. 67<br />

Cacdni 41<br />

CaUxt,<br />

Friedrich Ulrieh 66<br />

Georg 66. 101<br />

Camerarlus,<br />

Joachim 92<br />

Philipp 39. 92<br />

Carnpegio, Lorenzo 20<br />

Canisil1!l, Jesuit 68<br />

Caraffa,<br />

Alfonso 82<br />

Olh'ero 82<br />

Carpi, Kardinal 84<br />

Casclius 8. 9<strong>3.</strong> 101. 104. Anm. 5<br />

Chigi, Flnvio 66<br />

Ch,·träus, Nathan 85. 91. 971.<br />

Coitstantia, Kaisertoehter 81<br />

Cossa, Baldassare 73<br />

v. Cramm,<br />

Asche d. ältere 15<br />

Asche d. jüngere 15<br />

Heinrich 15<br />

Christoph, Trabant 47<br />

Dasypodius, Friedrich 2<strong>3.</strong> 46. 48. 101. Anm. 7'l<br />

Dhrnar, Andreas 93<br />

Dominiku~, Heiliger 98<br />

Dürer 65. 93<br />

Edwardus, Thomas 95<br />

Elisius, Johanncs 87. 89<br />

Elsheimer, Adam 75<br />

Enzio, König von Sardinien 20<br />

Erasmlls von Uotterdam 48. 101<br />

Eustachlu8 l\Iateranus 90<br />

v. Eynem, Dietrich 81<br />

Fabricius, Georg 92<br />

Farnese, Kardinal 59<br />

Fazio degli Uberti 73 f. 89. 107<br />

Ferdinand, Erzherzog 12<br />

v. Ferrara, Alphons H., Herzog 18<br />

Ficil1o, Marsilio 53<br />

Filnrete 47<br />

Fi~chart, Johsnn Anm. 96<br />

}'Iank, Kaspar 14. 18<br />

Fontana, Domenico 60<br />

Fortmann, Johal1n 10<strong>3.</strong> 104. 107<br />

Franclscus Lombardus 90<br />

Frischlin, Nikodemus 75. 98. 103<br />

v. Fuchs, Georg 39<br />

Fugger, MllrkuB 53<br />

116


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v. Gadenstedt:<br />

Barthold 7 f. 45. 51. 60. 65. 66.<br />

70-76. 77-85-90. 100-107<br />

Burchard 9. 49<br />

Christoph Wulf 10. 49<br />

Dietrich 7. 104<br />

Elisabeth, geb. v. Uffeln 7<br />

Johann 102<br />

Margarethe geb. v. Dorstadt 7<br />

Dttilie geb. v. Bülzingsleben, Mutter<br />

Bartholds 49<br />

Galilel 102. Anm. 65<br />

Gamuecl, Bernardo 79<br />

Gans, Wolf 62<br />

Germanus, Heiliger 88<br />

Gesner, Konrad 91<br />

Glanottl, Donato 7<strong>3.</strong> 98<br />

Glotto 73<br />

v. Glttelde, Heinrich 11. 12<br />

Giusti, conte Agostino 55<br />

v. Goer, Freiherr Hermann 1<strong>3.</strong> 28<br />

Grimani, Marino 15<br />

v. Hasslang, Heinrich 25<br />

von lIatstein, Johann 18<br />

v. d. Ht'gge, Konrad 28<br />

Hesse. Dietrich 39<br />

v. Hessen, Landgraf Moria (Wilhelm) Anm.8<br />

Hieronymus, Buchdrucker 48<br />

v. lIohenlohe. Graf Georg Friedricli 46<br />

v. Hollen, Arnold 35<br />

Holste, Lukas 66<br />

Horaz 90<br />

Hor~t, Röttger 49<br />

v. Hoya, Graf Johann 91<br />

Hllgen, Bernhard 71<br />

Hüll:': von Köln, Johann 48<br />

v. nßnlcke. Christoph 14. 28. Anm. 13<br />

Hutten 75<br />

Jaeobs, Eduard 102<br />

Jagemann, C. H. Anm. 39<br />

Juvenal 90<br />

Kaiser, Deutsche, und Königel<br />

Albrecht 48<br />

Ferdinand I. 12<br />

Ferdinand Ir. 56<br />

Friedrich I. 47<br />

Friedrich 11. 3<strong>3.</strong> 90<br />

Friedrich UI. 68<br />

Heinrich VI. 90<br />

Karl V. 12. 17. 3<strong>3.</strong> 34<br />

Maximilian I. 12<br />

Dtto I. 47<br />

Dtto H. 30<br />

Duo IV. 47<br />

Budolf I. 49<br />

Budolf II. 65<br />

Kaiser, Römische:<br />

Augustus 78<br />

IJadrian 30<br />

Honorius 79<br />

Konstanlin d. Gr. 29. 60. 77. 78<br />

Mark Aurel 83<br />

Nero 89<br />

Septimius Severus 12<br />

Kircher, Athanasius 66<br />

v. Kissleben,<br />

Andreas 16<br />

Detmar 16<br />

Klencke, Luuolf 39<br />

v. Kneitlingen, Gebhard 14<br />

Konradln 34. 86. 94<br />

v. Kreidt (KreidI7), Wilhelm 39<br />

Kress 28<br />

v. Krulsheim,· Ludwig 18<br />

der Kurze, Diener 35. 37. 38. 39. 40<br />

v. d. Lancken, Bernt 11<br />

Landlno, Cristoloro 53<br />

Leopold, Erzherzog 48<br />

Leven, Konrad 80<br />

v. Llmburg, Albrecht 12<br />

zur Lippe, Graf Simon 92<br />

Ludus, Jakob 101<br />

Lukre21 90<br />

LUlher 27. 34<br />

v. LOttichau, Wulf 14<br />

Machiavelli 73<br />

Manclnus, Thomas 101<br />

v. Mandelsloh, Barthold 15<br />

[\Iantegna 46<br />

v. Mantua, Herzog Vincenz 45. 46. 63 f.<br />

Marcus CurtiuB 84<br />

Margarelhe, Erzherzogin 56<br />

Maria, Kaiserin 79<br />

Marlianl, Bartolommeo 91<br />

Marsuppini, Carlo 74<br />

Martial 31. 78. 90<br />

Malhilde, Markgräfin 55<br />

Mazzella, Scipione 87. 88. 89. 90. 91. 94<br />

Meglscrus, Hieronymus7<strong>3.</strong> 86. 90. 91. 98 f.<br />

100<br />

v. Meinersen, Lil'l'0ld 14<br />

Melanchthon 51. 74. 92<br />

Melchior, Hofmeister 12<br />

Mengershausen 49<br />

Miana, Margherita 17<br />

Michelangelo 29. 61<br />

Montaigne 10. 75. 96. Anm. 82<br />

Montalto, Kardinal 62<br />

Morlson, Fynes 30<br />

v. Muckenthai, Hans Adam 25<br />

Muffel,<br />

Gabriel 25<br />

Nikolaus 68. Anm. 95<br />

v. MOnster,<br />

Eckhard 14<br />

Hans Ludwig 14. 35. 37. 38. 39.<br />

Narses 94<br />

v. Neapel, König Karl I. 34. 86<br />

Neukireh, Albert 18<br />

Dblzzi, Pio Enea 16. 53<br />

v. Orsbach, Reinhard 35. 36. 37<br />

v. Osnabrück, Bischöfe,<br />

Johann v. Hoya 91<br />

Heinrich v. Lauenburg 91<br />

Bernhard v. Waldeck 92<br />

Philipp Sigismund 92<br />

.OUe,<br />

Hicronymus 65<br />

Markus 65<br />

O\id 78<br />

117


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Pnnvinio, Onofrio 80. 82. 85. 91<br />

Päpste,<br />

Alexander VI!. 66<br />

Gregor XIII. 19. 60<br />

Clemens VIII. 60. 62<br />

Paul III. 60<br />

Pius IV. 39<br />

Pius V. 39<br />

Sixtus IV. 37<br />

Sixtus V. 28. 39. 77. 83<br />

Paschasius, Bischof 88<br />

Paulus 37. 88<br />

v. Pawel, Albrecht 11<br />

Petrarca 16. 89<br />

Pt'utinger, Konrad 93<br />

Phigius, Stephanus 90<br />

Pirkheimer, WiIIibald 93<br />

Plantin-Moretus 96<br />

Platina (Sacchi) 85<br />

PUnius der Altere 38. 89. 90<br />

Pllltareh 90<br />

Poliziano, Angelo 73<br />

Pomponills Laetus 88. 94<br />

Prätorius, Michael 76. 101<br />

Publius Victor 78. 85<br />

v. Quitzow, Philipp 49<br />

Rabus, Jakob 68. Anm. 96<br />

Reich (Ribius), Johann 14. Anm. 18<br />

v. Riedesel-Kamberg, Philipp 35. 36<br />

Romano, Giulio 55<br />

v. Romrodt,<br />

Hans Jürgen 28. 35<br />

Sebastian 1<strong>3.</strong> 64<br />

de Rossi, Bastiano 40<br />

Roswitha von Gandersheim 47<br />

SahelJicus (Coccio) 72. 91<br />

Sabinus, Georg 51<br />

v. Sachsen, Kurfürsten,<br />

Johann Friedrich 34<br />

Moritz 16<br />

v. Sachsen-Lallenbllrg, Herzog Heinrich 91. 92<br />

Sannazzaro. 55. 88<br />

Sanseverini, 3 Gebrüder 55<br />

Schickhardt, Heinrich 57. 58. 60 H.<br />

Schonälls, Cornelis 103<br />

Schottu.'l,<br />

Andreas 91. 97<br />

Frnnziscus 79. 80. 82. 8<strong>3.</strong> 84.l!5.<br />

91. 94. 95. 96 f. 98. 100. Anm. 56<br />

Schrader, Lorenz 7<strong>3.</strong> 79. 80. 81. 82. 85. 90.<br />

91-96. 97. 98. 100. 101<br />

v. d. Sehulenburg,<br />

Daniel Anm. 5<br />

Fritz 9<br />

Levin Anm. 5<br />

Werner Anm. 5<br />

v. Sehwarzburg, Graf Karl 56<br />

Serranus, Attilius 80<br />

Sextus Rufus 78<br />

Silius Italieus 86<br />

• •<br />

v. Spanien, Köniae:<br />

. Philipp 11. 17. 32. 47<br />

Philipp II!. 56<br />

v. Starenberg (Starhemberg7) Freiherrn,<br />

Bartholomeus 18. 28<br />

Martin 25<br />

von Steinbach, Erwin 48<br />

v. Steinberg,<br />

Adrian 16<br />

Jakoh 9. 22<br />

Joachim 10<br />

Konrad 22<br />

Melchior 9. 11. 1<strong>3.</strong> 18. 22. ~. 28<br />

Sieverd 28<br />

Stilieho 79<br />

Strnhlendorf, Anders 11<br />

v. d. Streit horst, Anton 2<strong>3.</strong> 4<strong>3.</strong> 46. 48. 49.<br />

100<br />

Strozzi, Pietro 76<br />

Sturm, Johann 92. 93 .<br />

Tacitus 78. 90<br />

Tarsellinus, Horatius 71<br />

Teg.~, Bernhard 51<br />

v. TeItove 18 .<br />

TerenJl 82<br />

Theler, Joseph Benj. 11<br />

Theoderieh, Gotenkönig 30. 96<br />

Thermantia, Kaiserin 79<br />

Tiridates 77 f.<br />

de Toledo, Don Luis 33<br />

v. Toskana, Großherzöge:<br />

Cosimo I. 40. 54. 76<br />

Christine, Herzog. v. Lothringen 40<br />

Ferdinand I. 40. 6<strong>3.</strong> 83<br />

v. Trautmnnnsilorf 41<br />

TuIlla, 80<br />

Valerlus Maximus 78<br />

Vergil 55. 61. 88. 89. 90<br />

Vitruvius, •<br />

Cordo 55<br />

Pollio 55<br />

v. WeIdam, Katharine 18<br />

Verdala de LouLenx, Hugo 37<br />

Voigt, Bnlthasar 103<br />

v. Waldeck, Graf Bernhard 92<br />

WeIser, Philippine 12<br />

v. Wernigerode, Graf Wolfgang Ernst 10<strong>3.</strong><br />

104<br />

v. Wersabe, Hermann 14<br />

Wickrnm, Jörg 10<strong>3.</strong> Anm. 10<br />

Winckelmann, Otto 21<br />

v. Windisrhgrätz, Freiherr:<br />

Kaspar 25. 27<br />

dessen Mutter, geh. v. Schlick 27<br />

v. Württemberg, Herzöge: .<br />

Friedrich 22. 2<strong>3.</strong> 57-65. 75. 83<br />

Johann Friedrich 56<br />

de Znnica, Graf Juan 86<br />

•<br />

118


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Ortsverzeichnis<br />

Abano 16<br />

Addebsen 9. 10<br />

Ala 56<br />

Alessandria 95<br />

Alfeld 9<br />

Altenrode bei Wemigerode 101<br />

Ancona 35. 61. 71. 95<br />

Antwerpen 97<br />

Anzio 38. 94<br />

Augsburg 11 f. 51. 5<strong>3.</strong> 65<br />

Augusta 35<br />

A verner See 89<br />

Baceano 28<br />

Baden in der Schweiz 48.<br />

Bagnara 38<br />

Bajl 31. 87. 89<br />

Basel 2<strong>3.</strong> 48<br />

Bassano 51. 65<br />

Beiser 12<br />

Bergamo 28. 47. 95<br />

Blols 40<br />

Bodenburg. Kreis Hildesheim 22<br />

Bologna !9-22. 46. 5<strong>3.</strong> 62. 9<strong>3.</strong> 98. 99. 101.<br />

Bozcn 12. 56<br />

Braunschweig 49. 103<br />

Bremen 97<br />

Brenner 12. 51. 5<strong>3.</strong> 56. 58. 65<br />

Brescla 52 f. 95<br />

Brixen 12. 53<br />

Brugg 48<br />

Capri 35<br />

Capua 30. 31. 94<br />

Castelfranco 12<br />

Catania 35<br />

Cesena 95<br />

Chiavenna 47. 58<br />

Chur 47<br />

Citta Veechla auf Malta 54<br />

Corno 47. 58<br />

Cumä 89<br />

Dannenberg 51<br />

Donauwllrth 56<br />

Drfibcck 103<br />

Einbeck 9<br />

Elblngerode 103<br />

Faenza 71. 95<br />

Fada 94<br />

Feldkireh in Vorarlberg 47<br />

Ferrara 18 f. 5<strong>3.</strong> 6<strong>3.</strong> 93<br />

Florenz 22 f. 39-46. 53 f. 55. 56. 62 f.<br />

73-76. 9<strong>3.</strong> 97. 101<br />

Formia 30. 31<br />

Frascati 94<br />

Frankfurt a. M. 9. 10. 49<br />

Fricdberg 9. 10<br />

Frltzlar 9. 49<br />

Füssen 58<br />

Gadenstedt 7. 49<br />

Gaeta 38. 94<br />

Genua 59. 71. 95<br />

Giessen 9<br />

Göppiugen 11<br />

Gouda 17<br />

Grigno 12<br />

Günzburg 56<br />

Halberstadt 91. 101<br />

lIamburg 66<br />

Heidelberg 11<br />

Hdmstedt 8. 100. 101. 103<br />

Hildesheim 21 f.<br />

11 Catnio 16. 53<br />

Innsbruck 12. 58. 65<br />

Ischia 87<br />

Kassel 9. 10. 49<br />

Kempten 58<br />

Kesselberg 51<br />

Kirchhain 10<br />

Kirehheim 53<br />

Klagenfurt 98<br />

Klllligsfelden 48<br />

Kopenhagen 7<br />

Lacerota 38<br />

Lago d'Agnano 88<br />

Landsberg 12<br />

Latara 47<br />

Leipzig 98<br />

Lichtenberg, Kreis Wolfnebüttel 22<br />

Linz 98<br />

Livorno 2<strong>3.</strong> 36. 38. 39. 63<br />

Loiano 63<br />

1.0 Pizzo 55<br />

Loreto 61. 71. 95<br />

Lueca 2<strong>3.</strong> 51. 6<strong>3.</strong> 93<br />

Lüchow 56<br />

Ludgnano 28<br />

Magdeburg 56<br />

Mailand 28. 34. 47. 5<strong>3.</strong> 56. 58. 59. 95<br />

Malnz 10<br />

I<br />

Malta 26. 35-37. 51. 54. ·98. 99<br />

Mantua 46. 55. 63 f. 67. 95<br />

Me~sina 35. 37<br />

Me.tre 64<br />

Miseno 89 •<br />

Modena 95<br />

Mola di Gaeta 30<br />

119


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Mömpelgard 58<br />

!\fonle ßaldo 96<br />

Montefiaseone 28. 59<br />

Monte NlIovo 88. 94<br />

I\f onterosi 28<br />

Mühldorf a. d. EIbe 34<br />

München 51. 53<br />

Münden 9. 10. 49<br />

Murano 17. 65<br />

Narni 95<br />

Neapel 31-35. 38. 54. 55. 56. 85-90. 94. 98<br />

Nioa 47<br />

Oppenheim 10<br />

Osnabrüek 92<br />

Osteria Nuova 63<br />

Ostia 94<br />

Otrieoli 95<br />

Padua 13-15. 16. 18. 19. 2<strong>3.</strong> 27. 46. 51.<br />

92. 9<strong>3.</strong> 98. 99<br />

Palermo 37<br />

Palestrina 94<br />

Paris 98<br />

Parma" 95<br />

Partcnkirehen 56<br />

Passero, Kap 55<br />

Pavia 17f. 47. 59. 95<br />

Pergine 53<br />

Pesehiera 47<br />

Piacenza 95<br />

Piperno 30<br />

Pisa 2<strong>3.</strong> 59. 6<strong>3.</strong> 9<strong>3.</strong> 101<br />

Pistoia 2<strong>3.</strong> 63<br />

Plattcnberg 13<br />

Posilipp 87<br />

Pozzuoli 31. 35. 87. 88<br />

Prato 63<br />

Pratolino 22. 5<strong>3.</strong> 62<br />

Procida 38<br />

Ravenna 30. 61. 71. 95<br />

Rom 28-30. 38. 39. 54. 55. 59. 60 f. 67 f.<br />

77-85. 92. 94. 97<br />

Rostock 97<br />

Rottenbueh 12<br />

RO"igo 18<br />

Salerno 90<br />

Salurn 12. 89<br />

Salo 53<br />

San ßcnedetto 55<br />

San Lorenzo, Stadt 28<br />

San Lorenzo, Wachtturm 38<br />

San Luddo 38<br />

• •<br />

Savona 95<br />

Sralca 38<br />

SehIiestedt 23<br />

Sehongau 12 •<br />

Seufo 38<br />

Seefeld 11. 12<br />

Serravalle 61<br />

Siena 23-28. 39. 41. 51. 54. 59. 93<br />

Sievershauscn 16<br />

Solfatara 88. 94<br />

Speier 10 f. 49<br />

Splfigen 47. 58<br />

Spoleto 61. 71. 95<br />

SteinBeh 12<br />

Sterzing 12<br />

Stral;bllrg 48 f. 51. 58<br />

Stromboli 35<br />

Stuttgart 11. 58. 98<br />

Subiaco 94<br />

Syrakus 35. 37. 55. 86 .<br />

Taormina 38. 55<br />

Terracina 30 f. 38.<br />

Tivoli 94<br />

Treviso 12. 1<strong>3.</strong> 65<br />

Trient 12. 1<strong>3.</strong> 5<strong>3.</strong> 65. 93<br />

Tripergola 89<br />

Tfibingen .52. 98<br />

Tllrin 71. 95<br />

Ulm 11<br />

Urbino 62<br />

Valetta 36<br />

Velletri 30<br />

Venedig 12. 1<strong>3.</strong> 16 f. 39. 46. 58. 64 f. 71.<br />

72f. 95. 98<br />

V crona 46. 55. 64. 95. 96<br />

Vesuv 32. 85<br />

Vieenza 16. 5<strong>3.</strong> 64. 95<br />

Vienenburg 9<br />

Vietri 54<br />

Viterbo 28. 59. 93<br />

Weißenhorn 11<br />

Wernigerode 7 f. 49. 100. 101. 103 f.<br />

Wiedelah 49<br />

Wilten 12<br />

Wispenstein 9<br />

Wolfenbüttel 52. 76. 100 f.<br />

Worms 10. 49<br />

Ziegclhallsen 11<br />

Ziemetshausen 11<br />

llrl 12<br />

Zürich 47 f.<br />

•<br />

120<br />

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..


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Bildteil'


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Verzeichnis der Abbildungen<br />

1. Rdscwrg Bartholds von Ga(!cnstcdt. Zeidlnun~<br />

von Budolf J.'rieke. (Textseite 4)<br />

2. \"l'rnigrrode, Anbull von 1:;S:! d('R Gndcnstcdtschcn<br />

Hofc.; Sehnnkcnbul·g. Das Fllchwcrkgcrüst<br />

trägt die dcrzcit 11m nördlidlcn<br />

I1l1rzrandc bcvorzugtcn urtülIllichen Hosettcnvcrzicrllnl!cn.<br />

Sic sind äußcrstcr Gegew;ntz<br />

zu itnlicnischer Schmuckweisc<br />

(siehc dic Abbildungen dcr Tafcln), cntsprechcnd<br />

dem Alldcrsscin südliindischer<br />

Cci~tigkcit, mit tlcr Gadcnstcdt als Humanist<br />

sich auseinandcr zu sctzcn hattc. -<br />

Aus eier Festschrift eies Hnrzvereins für<br />

Geseh. u. Altcrtumsk. 18 c J<strong>3.</strong> - (Tcxts. 6)<br />

<strong>3.</strong> \Vappen von Glldcnstcdt. Zeichnung vOll<br />

Budol f Frkkc. (Tcxtseitc 7)<br />

4. lIologna, Grabmal des Joh. Branelis in S.<br />

Domcnico. Zeichnung von H. Fricke l1Iu'l1<br />

Aufnahmen dcs Vcrfassers. (Tcxtscite 21)<br />

5. Pozzuo!i und dic phlegriiischcn Felder.<br />

llildknrte aus :\Iazzcllas BäderLeschrcibul1g<br />

von 1591. (Tcxtscite 32).<br />

6. Florenz, l'lntz vor Sunta Croce als FcstspielRtiitle.<br />

Stich eies 17. Jahrh, (Texts. 45).<br />

7. I.'lorenz, erstcs Bühncnbild der musika­<br />

Iisch-dramatischcn Zwischenspielc, Intcrme,lien,<br />

zur :\Iedicecrhochzeit 1589 in Florcnz.<br />

Kupferstich VOll Agostino Carracei,<br />

B. 121. (Textseitc 69).<br />

8. AII~lIst cl. .J., IIerzog ,'on ßruunschweig­<br />

\\'olfenhütlcl, ~iebcnz("hnjiihrig als Tübillgcr<br />

Stlldcnt unel Hektor der Cniversitiit.<br />

Holzschllitt aus Cellius, Imagilles professorum<br />

Tubillgcnsium, Tubingllc 1596.<br />

9. Eridt 11.. J., Herzog von ßr/lunschweig­<br />

Knlenlwrg, Stein


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Abb.8. August cl. J., Herzog von Braunsebweig 1596<br />

Abb. 9. Erich d. J" LIerzog von ßraunschweig<br />

Abb. 10. ehr i s li n e, Großherzogin von Toscana


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Abb.ll. P"d ua, Univcrsit;it, Hof von ]552<br />

bb. 12. Bol 0 g na, Domiuikancrkrcuzllang mit deutschen Grahmälcrn


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Abb.1<strong>3.</strong> BoJogn a, Hofumgang der Universität Abb. 14. F 10 ren z, Fensterwand des Theaters von 1589<br />

ALb. 15. Sie n a , Wohnstätte B. v. Gadenstcdts<br />

Ahb. 16. Sicna. deutsche Kapellc in S. DOl11cIJicQ


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Abb. 17. Sie n a, Deutscbe Grabden kmäler in S. Domenico<br />

Abb. 18. Sie n a, Stein platte mit altem Heiebsadler in S. DomeuicQ


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Abb. 19. R 0111. Vorhof der alten Peters kirche. im Hintergrunde rechts Sarkophag OUos II.<br />

Abb.20. Rom . Taufschale aus Porphyr in (Ier Peterskirebe. einst Deckel vom Sarkophag Kaiser Ottos H.


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Abb. 2J. Te r r a ci n a, Ein tritt der Via Appia naeh Süditalien. 1588 Zollstäue<br />

Abb. 22. N ea p el, Castell Capuano mit dem Wappen Karls V Ahh. 2<strong>3.</strong> Mal ta. Kran kcnpflege um 1600


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D anke lsheim,'<br />

. eine flur- und siedlungskundliche<br />

Untersuchung<br />

von<br />

A. Mühe,<br />

Seholdshausen.


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• I ,<br />

JJrllnsbausen.<br />

'1 11<br />

1168<br />

Grundriß des Herrenhofes Brunshausen von 1768.<br />

122<br />

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I.<br />

Dankelsheim, Kapelldorf in der Heberbörde des Amtes Gandersheim, ein Ort<br />

von (1933) 395 Einwohnern, bietet jetzt weder in Anlage des Dorfes noch der<br />

Flur etwas Besonderes. Dennoch hat es in beiderlei Beziehung, wenn man die<br />

Urkunden und überlieferungen zurückverfolgt, so viel des Besonderen und Eigentümlichen,<br />

daß sich eine Untersuchung lohnt und Aufschlüsse zu geben vermag,<br />

die wohl zur Förderung der Erkenntnis von Siedlung und Flur in unserer engeren<br />

Heimat beitragen ~önnen.<br />

Im Orte selbst geht die Sage, daß das Dorf aus mehreren Siedlungen:<br />

Klingenhagen, Aschen und Ludolfshausen entstanden sei. Zu unruhigen Zeiten<br />

hätten sich die Einwohner der betreffenden Orte an neuer Stelle angebaut, und<br />

als das neue Dorf stand, Gott gedankt fOrs neue Heim, daher der Name Dankelsheim.<br />

Was ist nun Wahres an dieser Sage? Offenbar, daß die erwähnten<br />

Wüstungen, von denen Ludolfshausen und Adestessen in der Geschichte der<br />

Gegend mehrfach genannt werden, tatsächlich in Dankelsheim aufgegangen<br />

sind. Keineswegs aber ist dieser Ort erst dadurch entstanden; denn er wird bereits<br />

1129 urkundlich erwähnt, als jene n"ch nicht eingegangen waren, und die<br />

Namensform auf -heim (eines Dankolf) weist auf noch frühere Zeit, bestimmt<br />

vor 800 zurück. Dankelsheim ist also wahrscheinlich der ältere Ort, gewiß aber<br />

nicht jünger, als die in ihm aufgegangenen Wüstungen. Trotzdem liegt der Sage<br />

etwas Tatsächliches zugrunde, indem zwar nicht bei dem Aufgehen eines dieser<br />

Orte in Dankelsheim, sondern bereits früher eine Verlegung dieses Dorfes von<br />

seiner ursprünglichen Stelle stattfand, wie später dargelegt werden wird.<br />

Im folgenden soll nun die Zusammensetzung des heutigen Ortes und seiner<br />

Feldmark näher untersucht 'und nach Möglichkeit geklärt werden. Zu diesem<br />

Zwecke betrachten wir die einzelnen Teile Dankelsheims nach folgenden Gesichtspunkten:<br />

Feldmark, rechtliche Verhältnisse, Lage der Siedlung und der<br />

Höfe darin, kirchliche Zugehörigkeit. Als Grundlage dabei dient uns neben den<br />

sonstigen unten angeführten Quellen vor allem die Karte der Dorf-, Flur- und<br />

Wiesenbeschreibung von 1757. Für unsere Untersuchung ist es dabei wichtig,<br />

daß die Vermessung nichts am vorherigen Zustande der Flur änderte.<br />

Bevor wir diese betrachten, sei zum besseren Verständnis noch über die<br />

kirchlichen Verhältnisse Dankelsheims das <strong>Folge</strong>nde kurz vorausgeschickt: Das<br />

Erbregister des Amtes Gandersheim von 1524, das also noch die Zustände der<br />

vorreformatorischen Zeit wiedergibt, sagt über· die kirchliche Versorgung der<br />

Einwohner: "Eins teils gehoren Zw Wetteborn und sechs Zw Brunshausen in die<br />

Kirche und liggen uf dem Velde XXXV morg. landes die gehören zu Wetteborn<br />

ins Gothawß." Damit ist die Zugehörigkeit des ursprünglichen Dorfes Dankelsheim<br />

und des Klingenhagens zu Wetteborn außer Zweifel.<br />

Jene sechs Höfe, die schon damals nach Brunshausen gehörten, sind die<br />

nach der "Gründlichen Nachricht" (Stift Gand. X 35) "vor 200 Jahren dran<br />

(an das "alte Dorf", d. V.) gerückte 6 Ludolfische Ackerhöfe." Auch nach ihr<br />

gehörten diese nebst dem Teichmüller zur Brunshäusischen Kirche. Ludolfshausen<br />

123<br />

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aber sowohl wie das darin aufgegangene Adestessen hatten Kapellen. Die des<br />

ersteren wurde It. Meiervertrag des Klosters Clus mit dem Ritter Guncelin von<br />

Gittelde 1323 wieder erbaut, war also verfallen und gehörte dem genannten<br />

Kloster. Dieses hatte auch mit Einwilligung Brunshausens 1297 in Adestessen<br />

eine Kapelle errichtet. Beide gehörten also Clus.<br />

Wie kommen nun aber die Ludolfshäusischen Höfe kirchlich an Brunshausen<br />

1 Darüber gibt die Bitte des Pfarrers Jodocus Molmann zu Gehrenrode,<br />

eines ehemaligen Mönches des Klosters Clus, daß ihm diese 6 Höfe zugewiesen<br />

werden möchten, Auskunft (Repert. 29 Clus, Brunshausen pp. 8). Jener schreibt<br />

nämlich 1577: "Daß daß Closter in dem Durffe Dankkelleuessen sechs haußsitzende<br />

menner hette welche für etzlichen Jaren heffen gehoret in der kirchen<br />

zu der Clausen sampt ohren frauhwe gesinde vnd kindern vnd alldar midt<br />

Gottes Wordt vndt sacramenten sein versorget Welches den die Alten patres in<br />

den Closter Zu letz solche mohi vnd arbeitt nicht hetten wollen dragen be sonder<br />

midt der Dmia zw Brunzhausen gehandelt vnd auch vordracht gemachet daß<br />

die obengenannten sechs Menner muchten dorch ehre Cappellanen mit Gottes<br />

Wordt vnd Sacramente versorget werden darfür sei dem Closter Bruntzhausen<br />

heffen etzlich landt gedahn welches genannt wirdt die scholerkamp."<br />

Dieser Vertrag muß vor 1524 geschlossen sein, wie das Erbregister ausweist,<br />

bevor Ludolfshausen als Ort einging, was wohl erst in der Stiftsfehde geschah.<br />

Dies würde nämlich sowohl mit der Angabe der "Gründlichen Nachricht"<br />

wie auch Harenbergs stimmen, die jenes Ereignis etwa 200 Jahre vor ihrer<br />

Zeit verlegen. Da sowohl Dankelsheim, Clus und Brunshausen wie die Heberbörde<br />

überhaupt damals mit Plünderung und Brand schwer heimgesucht wurden,<br />

laßt sich ein Eingehen und Zusammenlegen Ludolfshausens mit Dankelsheim<br />

wohl denken. Jener Vertrag wurde vielleicht 1512 geschlossen, weil Clus in<br />

diesem Jahre durch Tausch den Zehnten von 6 Morgen auf dem "Scholrekamp"<br />

von Brunshausen erwarb. Dabei wird die Lage dieses Ackers bezeichnet als<br />

"der gegen Nortludelvessen bei den 11 Ackern des Closters Clus gelegen ist."<br />

Nach dem corp. bon. der "Clauskirche" (1746) wurden die Wetteborner 1698, die<br />

Brunsbauser Höfe von Dankelsheim 1709 zur Clus eingepfarrt, so daß die ganze<br />

Gemeinde seitdem dort (jetzt Heckcnbeck!) vereinigt ist.<br />

Nach vorstehender Darlegung der kirchlichen Verhältnisse kehren wir nun<br />

zur Betrachtung der Dankelsheimer Flur zurück. Schon ein flüchtiger überblick<br />

zeigt uns, daß in ihr drei gesonderte Dreifelderwirtschaften enthalten sind. Die<br />

südliche von ihnen umfaßt die 1. und 2. Wanne des Winterfeldes, die 4. und 9.<br />

des Sommerfeldes und die 4., 5. (6.) und 7. des Brachfeldes, sie wird durch<br />

das "Lah" deutlich von der übrigen Feldmark getrennt. Die mittlere setzt sich<br />

aus den Wannen 3 und 4 des Winterfeldes, 3 und 5 des Sommerfeldes und 1, 2<br />

und 3 des Brachfeldes zusammen und wird durch die Fortsetzung der "Twete",<br />

den Ascher Sütter und den Hainsiek von dem Rest der Flur geschieden. Ganz<br />

auffällig ist, daß vom Süden der Feldmark nach Norden zu im allgemeinen die<br />

einzelnen Ackerpläne von großer Ausdehnung mehr und mehr zu schmalen<br />

Streifen zusammenschrumpfen.<br />

Wenden wir uns zunächst der südlichen Dreifelderwirtschaft zu! Sie wird<br />

durch den großen Anger das "Lah" und den Marksteich deutlich von der übrigen<br />

Feldmark getrennt (im N.), im Osten durch die Awe, im Süden durch das<br />

Orthai (richtiger Mordal) und die Flur von Brunshausen und im Westen von dem<br />

Knick gegen das Clusholz begrenzt. Aus Lage, Güte und Besitzverhäitnissen<br />

ergibt sich dabei, daß die 6. Wanne Brachfeldes als späteres Rottland zu betrachten<br />

ist, ebenso die Pläne 18-21 der 4. Wanne Winterfeldes, so daß ursprünglich<br />

das Lah hier zum Holze durchging und südliche und mittlere Flur<br />

völlig trennte.<br />

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Diese erstere zeigt nun eine ganz besondere, bei den Fluren unserer Dörfer<br />

sehr seltene Einteilung. Sie besteht nämlich aus drei sehr großen Kämpen zu<br />

etwa je 90 Morgen Sommer- und Winterfeld und 60 Morgen Brachfeld, westlich<br />

und südlich aber in den UbIichen schmalen Streifen bzw. kleinen Kämpen Bauernland.<br />

Ursprünglich dürfte die 7. Wanne Brachfeldes und die dabeiliegende kleine<br />

Dreifelderwirtschaft von Nr. ass. 25 (Cammermeierland!) zur 4. Wanne Brachfeldes<br />

gehört haben. Das ist daraus zu schließen, das einmal erst mit diesem<br />

Lande die gleiche Größe - etwas über 90 Morgen - für das Brachfeld erreicht<br />

wird, andererseits die 7. Wanne Brachfeldes unter 11 Plänen keinen oder doch<br />

nur einen eines Ludolfshäuser Hofes aufweist. Als einziges Gewann der Feldmark<br />

enthält sie ausschließlich Erbenzinsland, ist also erst später abgetrennt und<br />

planmäßig aUfgeteilt. Aus der ganzen Form des Gewanns aber geht hervor,<br />

daß es sich nicht um Rodeland handelt. Die außergewöhnliche Größe der drei<br />

Kämpe beweist, daß sie altes Herrenland sind, wie denn ja auch diese Äcker noch<br />

heute den Flurnamen "das Herrenfeld" führen; 1757 hieß es daneben auch "Ludolsfeld".<br />

Südlich von dem Teil, der zur 9. Wanne Sommerfeldes gehört, lagen<br />

damals die "Herren-" und daneben die "Lundischen Wiesen". Diese bezeichnen<br />

die Lage des eingegangenen Dorfes, als dessen Feldmark der durch die erwähnten<br />

Flurnamen gekennzeichnete Südteil der' Dankelsheimer Flur zu betrachten<br />

ist, nämlich Ludolfshausens.<br />

Zweifellos geht der Ursprung dieses Orte~ auf die Familie der Ludolfinger<br />

zurück. Hier hatte der Gründer Gandcrshcims einen seiner Herrensitze nach<br />

Art der fränkischen Curtes, nur eine Viertelstunde von der ersten Stätte des<br />

Klosters, Brunshausen, entfernt. Sowohl an dieser wie an Ludolfshausen vorbei<br />

führte die "reystrate" (1512), der alte \Veg von Northeim über Gandersheim nach<br />

Hildesheim. "Die Gandersheimer Heerstraße ist als die eigentliche Fortsetzung<br />

der Leinestraße auch ihrem Alter nach, anzusehen. Es ist die Straße zu den<br />

alten Kulturzentren im östlichen Sachsen, Gandersheim und Hildesheim."l) "Damals<br />

(856) waren also die bei den (sich in Gandersheim kreuzenden, d. V.)<br />

Straßen schon vorhanden," 2) sie gehen mithin in sächsische Zeit und früher<br />

zurück. In den Sachsenkriegen hat sowohl die nord-südliche wie die westliche<br />

Verbindung Rhein-EIbe eine Rolle gespielt. Nach Rübel gelang Karl d. Gr. die<br />

Unterwerfung der Sachsen nur dadurch, daß er "ganz systematisch die Straßen<br />

ins Sachsen land hinein mit befestigten Höfen besetzt hatte, um jederzeit, auch im<br />

Herbst, mit gar nicht großem Heere in das Land vorzudringen und Unruhen und<br />

Aufstände niederzuschlagen. Im Vertrauen auf die Verpflegungs- und festen Lagerstationen,<br />

die er überall vorfand, konnte er mit wenigen tausend Reitern eine<br />

solche Unternehmung machen."3) Solche Königshöfe lagen an unserer Straße<br />

in GNtingen, Nörten und Kalefeld, und als "Herrenhöfe aus karolingischer Zeit,<br />

die den königlichen curtes nachgebildet" 4) waren, haben wir Northeim, Brunshausen,<br />

Lamspringe und Dethfurt (Archidiakonat!) anzusehen. Alle diese Orte<br />

liegen etwa 10 km auseinander, also für jene Zeit wohl einen halben Tagemarsch.<br />

Für unsere Arbeit interessiert uns natürlich vor allem Brunshausen. Die<br />

Ludolfinger scheinen - wie der sächsische Adel durchweg - zeitig ihren Frieden<br />

mit der Frankenmacht geschlossen und so ihren wohl vorher schon beträchtlichen<br />

Grurdbesitz noch bedeutend vermehrt zu haben. Vielleicht verlegten sie z. Zt.<br />

der Kämpfe ihren Hauptsitz von Altgandersheim, wo ihr Herrenhof nachgewiesen<br />

wurde,!'» nach dem von einem Gliede ihrer Familie begründeten und nach ihm<br />

benannten Brunshausen, das ganz in der Art fränkischer Salhöfe eingerichtet<br />

wurde. Das bezeugt nicht nur der Augenschein bei der heutigen Domäne, sondern<br />

auch der Grundriß von 1768 wie die Abbildung bei Merian. Danach besteht der<br />

Hof aus zwei Teilen, einem kleineren auf steiler Anhöhe gelegen und einem<br />

125


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größeren zwischen diesem, der Gande, einem kleinen Zufluß derselben, und der<br />

Straße. Er zeigt also die typische Zweiteilung in curtis und curticula, wie sie<br />

uns die Ausgrabungen Schuchhardts und die Forschungen Rübels darstellen. Der<br />

Bergvorsprung zur Gande, auf dem die Curtis liegt, ist offenbar an verschiedenen<br />

Stellen noch künstlich abgeböscht und auf dem Merianschen Stiche mit einer<br />

Mauer befestigt, die unterhalb zwischen Straße und Mühlgraben sich erstreckende<br />

curticula ist mit einem Knick eingefriedigt. Vielleicht war das noch so wie bei<br />

der ursprünglichen Befestigung; denn nach Schuchhardt hatte wohl die curtis,<br />

"wo irgend Steinmaterial im Gelände ansteht" (S. 64) eine Mauer, bei der<br />

curticula aber pflegte die Umwehrung "einfacher zu sein, immer ohne Mauer";<br />

Erdwall mit Palisaden, Knick oder Flechtzaun, ja, oft nur einen solchen. Bei<br />

der Befestigung verstanden sich die Franken vortrefflich auf "die Verwendung<br />

der Wasserläufe - der natürlichen, ... der sumpfigen Wiesen ..•, wie auch gelegentlich<br />

der künstlich in die Gräben geleiteten Bäche." 6) (S. Abb. Seite 122.)<br />

. Das tritt bei Brunshausen besonders stark hervor. Von der Gande abgeleitet<br />

begrenzt der Mühlgraben, an dem die für fränkische Herrenhöfe so oft<br />

bezeugte MUhle liegt, die Ostseite, der am Clusberge entspringende kleine Wasserlauf<br />

die Südseite der gesamten Anlage. Zwischen Gande und Mühlgraben sowie<br />

südlich des genannten Wasserlaufs dehnen sich feuchte Wiesen aus, ja die Mühle<br />

war durch einen langgestreckten .Teich noch besonders geschützt.<br />

"Die ältesten curtes" hatten "speziell militärischen Charakter".7) Königshöfe<br />

sind Wohnburgen, in denen Grafen (hier die Ludolfinger! d. V.) oder Königsbauern<br />

sitzen und Vorräte wie Lagerraum für ein durchmarschierendes Heer<br />

bereit haltcn".8) Und solche Befestigung war an der Stelle Brunshausens allerdings<br />

sehr nötig, sie deckt den Engpaß nach der Heberbörde, der militärisch<br />

noch im Siebenjährigen Kriege eine Rolle spielte. "Bei wachsender Sicherheit<br />

und Vermehrung der curtes traten dieselben mehr als Wirtschaftshöfe in den<br />

villae in Erscheinung",9) sie- verloren also mehr und mehr ihren militärischen<br />

Charakter, und so konnte Ludolf ohne Bedenken Brunshausen zum Familienkloster<br />

bestimmen, zumal er sich in dem nur eine Viertelstunde nördlich davon<br />

gelegenen Ludolfshausen einen neuen Herrensitz geschaffen hatte, ebenfalls an<br />

der Heerstraße und auf einem HUgel gelegen. Brunshausen war mithin eine<br />

nach fränkischem Muster eingerichtete curtis mit Herrenwohnung, Ställen, Vorratsräumen<br />

und einer kleinen Kirche, welch letztere es auch zum Sitze eines<br />

Klosters besonders geeignet machte. Am Fuße innerhalb der curticula sprudelt<br />

je eine starke und schöne Süßwasser- und Solquelle.<br />

Auch Ludolfshausen wird ganz die Einrichtung der fränkischen Salböfe gehabt<br />

haben; und ein Herrengut ist der Ort im wesentlichen immer geblieben.<br />

1007 wird er als NortIiudolveshusi neben dem westlich der Stadt Gandersheim<br />

liegenden (Süd-)Liudolveshusi als im Besitz des Stiftes befindlich erwähnt.<br />

120 Jahre später erhielt das neugegründete Kloster Clus 3 Hufen, die vom Stifte<br />

bisher ver lehnt waren. Nach und nach wird es die gesamte Flur erworben<br />

haben, und 1311 hat es die curia nach Meierrecht Siegfried von Dorstadt ausgetan,<br />

dem 1322-1333 die von Gittelde, dann 1344 die von OIdershausen in der<br />

Pacht (nicht Lehen!) folgten. 1430 nannte sich ein Cl user Mönch Berthold Ludolfessen,<br />

wohl zufolge damaliger Gewohnheit der Kleriker nach seinem Geburtsort,<br />

der also noch bestand und auch noch 1512 als North Ludolvissen erwähnt<br />

wird.<br />

•<br />

Wann das Dorf wüst wurde, ist nicht genau festzustellen; jedenfalls stimmt<br />

die Angabe Harenbergs (S. 1641), daß dies erst gegen das Ende des 16. Jahrhunderts<br />

geschehen sei, nicht; denn weder das Erbregister von 1524 noch das<br />

von 1580 erwähnen ihn noch, ja, bereits im erstgenannten sind die Ludolfshäuser<br />

Höfe Zubehör Dankelsheims. Vielleicht ist es in der Stiftsfehde, in der<br />

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ja alle Nachbarorte: Dankelsheim, Clus, Brunshausen usw. geplündert und z. T.<br />

zerstört wurden, untergegangen; obwohl das von dem ganz nahe hausenden<br />

und als Cluser Mönch finanziell daran interessierten Bodo nicht überliefert<br />

wird. Harenberg sagt im Gegensatz zu seiner oben erwähnten Äußerung (S. 4):<br />

"Tandem per bellorum incendia Liudolveshusani incolae ad paucos fuerunt<br />

redacti et in pagum proximum Dankelsheim demigrarunt". Die wenigen, nach<br />

allen überlieferungen sechs, Bauern zogen also nach Dankelsheim.<br />

Welche·der heutigen Dankelsheimer Höfe waren aber diese sechs? Die<br />

"Gründliche Nachricht (Stift Gand. X, 35) von den Kirchen und Kapellen im<br />

Ambte Gandersheim", die um die Mitte des 18. Jahrhunderts verfaßt wurde,<br />

sagt: "Dankelsheim wurde sonst in das alte Dorf und die vor 200 Jahren dran<br />

gerückte 6 Ludolfische Ackerhöfe eingeteilet. Ludolvesheim war daneben vorzeiten<br />

ein kleines Dorf so eingegangen ist. Die Einwohner der 6 Ackerhöfe<br />

gehörten sonst mit dem Teichmüller von S. Marcus Teiche zur Brunshäusischen<br />

Kirche. Zu Anfang dieses SecuIi sind die 6 Ackerleute nach der Claus Kirche gegangen."<br />

Es geht hieraus hervor, daß die sechs Höfe - von lauter Ackerhöfen<br />

kann keine Rede sein, da soviel im Dorfe gar nicht vorhanden sind und auch<br />

die Flur von Ludolfshausen keine entsprechende Länderei aufweist - einen<br />

besonderen Ortsteil bildeten, der als das "Neue Dorf" im Gegensatz zum eigentlichen<br />

Dankelsheim damals unterschieden wurde.<br />

Der etwa zur gleichen Zeit entstandene Feldriß der Dorf-, Flur- und Wiesenbeschreibung<br />

von 1757 müßte ihn eigentlich ausweisen. Nun sehen wir auf ihm<br />

freilich im NW. des Haufendorfs eine Straße mit sechs Kleinkothöfen (Nr. ass.<br />

20-25) angebaut, die gar leicht zur Annahme verführt, daß hier die "Ludolfischen<br />

Ackerhöfe" zu suchen sind. Allein das "corp. bon der Clauskirche" von<br />

1750 und die Kirchenbücher von Heckenbeck weisen aus, daß darunter die Höfe<br />

Nr. ass. 33, 34, 1, 2, 3 und 25, also (bis auf Nr. 25) der Südteil des Dorfes bis<br />

zur Kirche, zu verstehen ist. Wenigstens gehörten diese Höfe bis 1709 zu der<br />

Brunshäusischen Kirche. Ludolfshausen hatte auch eine Kapelle (1313 verfallen<br />

!), die ebenso wie das benachbarte Adestessen ursprünglich nach Brunshausen,<br />

später nach Glus gehörte.<br />

Unmöglich können trotz der kirchlichen Zusammengehörigkeit die erwähnten<br />

sechs Höfe die ursprünglichen Ludolfshäuser sein, das geht aus der Verteilung<br />

des Landes auf jener Feldmark hervor, die folgende Tabelle nachweist: (Siehe<br />

Anlage I!)<br />

Danach haben von den sogen. "Ludolfischen Ackerhöfen" nur Nr. ass. 3 und<br />

25 ihr Land ganz auf dieser Feldmark, die in Frage kommenden wirklichen Ackerhöfe<br />

nur sehr geringen Besitz, nämlich Nr. 1-4 1 / 2 Mg., Nr. 33 - 2 Mg., Nr. 34<br />

- 4 1 / 2 Mg., Nr. ass. 2 auffälligerweise gar keinen. Sie sind mithin auch keine<br />

ursprünglichen Ludolfhäuser Höfe, sondern Nr. 34, 33 und 1 - wie später nachgewiesen<br />

werden wird - Adestesser, Nr. ass. 2 aber ein Dankelsheimer.<br />

Dennoch sind die drei erstgenannten später solche gewesen, nämlich nach dem<br />

Wüstwerden von Adestessen; das schließe ich daraus, daß in der Lundischen<br />

Wiese, die mit größter Wahrscheinlichkeit die DorfsteIle ist und deren Teilungen<br />

darin die Hofstätten bezeichnen, Nr. 2, 3 und 4 den genannten Höfen gehören.<br />

7, Hund 9 halte ich für die Stelle der curia, die andern drei filr die der übrigen<br />

Ludolfshäuser Höfe. Alle diese Teilungen gehörten 1757 Altgandersheimern<br />

Höfen, die sie, wie die Pläne 4-8 der 9. Wanne Sommerfeldes, erhalten hatten, .<br />

"weil ihr voriges Land in dem großen Teich mit genommen" (DFg. pag. 119).<br />

Es fragt sich nun, welches neben den drei Meierhöfen die andern drei Ludolfshäuser<br />

Stellen sind. Ohne Zweifel die Großkötherei Nr. ass. 3, die im<br />

neuen Dorfe liegt, ihr Land ausschließlich auf der Flur der Wüstung hatte und<br />

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kirchlich nach Brunshausen gehörte. Sehr zweifelhaft ist mir dagegen die Zugehörigkeit<br />

bei Nr. ass. 25, deren Acker freilich ebenfalls ganz dort liegt, aber<br />

auffälligerweise in einer Dreifelderwirtschaft, die augenscheinlich aus der<br />

4. Wanne des Brachfeldes herausgeschnitten ist. Und zwar muß dies, da es<br />

sich um den erst spät eingerichteten Krug handelt und die Grundherrschaft dem<br />

Landesherrn zusteht, eine erst nach übergang des Landes der curia von Clus<br />

an den Herzog gegründete Stelle sein. Das Land ist denn auch weder Erbnoch<br />

richtiges Meier-, sondern Pachtland und wird als "Cammer-Meyerland"<br />

bezeichnet! Kommt also Nr. ass. 25 nicht als ursprünglich Ludolfhäuser Hof<br />

in Betracht, so haben wir die beiden Kleinkötereien Nr. ass. 32 und 23 als solche<br />

anzusehen. Die erste hat von 14 3 / 4 Mg. Gesamtbesitz 10 1 / 2 auf Ludolfshäuser<br />

Flur, 3 1 / 2 (Plan 33 d. 5. S. F.) im Rodeland und nur 3/ 4 (7. Wi. F.) auf Dankelsheimer<br />

Feldmark; die andere hat von 112/ 3 Mg. nur 3/ 4 Mg. in der 7. Wi. F.<br />

Nr. ass. 32 liegt dazu am neuen Dorfe, Nr. 23 freilich sehr abseits. Ich erkläre<br />

mir die Lage und kirchliche Zugehörigkeit zu Wetteborn damit, daß Ackerhof<br />

Nr. ass. 2 ursprünglich den ganzen Raum der HofsteIlen 32, 31, 29, 28 einn::thm.<br />

Von ihm wurde zuerst die Stelle Nr. 28 als Wetteborner Kirchenhof Winzenburger<br />

Hoheit beim Eingehen Klingenhagens abgetrennt. Bei Anlage des neuen<br />

Dorfe5' tauschte dann der Hof die SteHe mit dem Ludolfshäuser Hofe 32, zugleich<br />

wohl auch die kirchliche Zugehörigkeit zu Wetteborn mit der zu Brunshausen.<br />

Daß er aber bestimmt ursprünglich ein Dankelsheimer Hof war, bezeugt<br />

die Lage seines Landes ausschließlich in dieser Feldmark.<br />

Ludolfshausen bestand mithin aus:<br />

1. Der curia mit 235 1 / 2 (Ludolfsfeld) + 18 (Cammer-<br />

Meyerland) + 14 1 / 2 (7. Br. F.) =<br />

2. Der späteren Großköterei Nr. ass. 3 =<br />

<strong>3.</strong> Der Kleinköterei Nr. ass. 32 =<br />

4. Der Kleinköterei Nr. ass. 23 =<br />

5. Der Teichmühle, die allein vom Orte bestehen blieb =<br />

6. Der Kapelle, deren Besitz das im Gemenge liegende<br />

Der Ort<br />

217 5 / 6 Mg. Land<br />

32 " "<br />

10 1 / 2 " "<br />

10 11 / 12 " "<br />

17 1 / 2 " "<br />

Clusland ist =<br />

"<br />

Dazu kommen noch 32 1 / 4 Mg. bäuerlichen Landes, die z. T. den drei Adestesser<br />

Höfen (7 1 / 2 Mg.) gehörten, z. T. an andere Dankelsheimer gekommen sind, davon<br />

5 Mg. wohl im Austausch der Höfe 23 und 32. Möglicherweise steckt hierin<br />

aber das Land eines eingegangenen Hofes. Doch ist auch ebensogut denkbar,<br />

daß diese Morgen, die ja meist Erbland waren, von den Höfen veräußert<br />

worden sind. Als Beispiel für häufigen Wechsel im letzten Jahrhundert vor<br />

1757 diene, daß Nr. ass. 3 von 1580-1716 immer 22 Morgen hatte, im letzteren<br />

Jahre aber 5 Mg. dazu erwarb und, trotzdem von Plan 1 der 4. Wanne des<br />

Sommerfeldes 1 Mg. an einen Verwandten H. Jürgen Ackermann (Nr. ass. 28) abgetreten<br />

wurde, doch 1757 vor der Vermessung sogar 32 Mg. besaß. Die Ludolfshäuser<br />

Flur umfaßte mithin 409 3 / 4 Mg. Ackerland, von welchen das Herrenfeld<br />

mit 3 1 / 2 Mg. Auswärtiger = 245 1 / 3 Mg., das Cammer-Meyerland mit 18 Mg.,<br />

die Teichmühle mit 17 1 / 2 Mg. und Kloster Clus (Kapelle) mit 28 3 / 4 Mg., zusammen<br />

309 7 / 12 Mg. zehntfrei waren, natürlich nur, da das Land früher dem<br />

Kloster Clus, das den Zehnt über die lOOlfs Mg. Bauernland zog, gehörte. An<br />

Wiesen lagen auf LudoIfshäuser Feldmark die Herren-, die Lundische, die<br />

Kirch- und Teichwiese, zusammen 35 Mg., an Ängern das Orthai, das große<br />

und kleine Bornlah, d. h. 27 Mg.<br />

480 Morgen.<br />

Mithin betrug die Flur der Wüstung rund<br />

Außer den oben angeführten Höfen gehörte auch die Schäferei Nr. ass. 35<br />

kirchlich nach Brunshausen. Nach der Dorf-, Flur- und Wiesenbeschreibung<br />

war sie der 4. Teil der großen herrschaftlichen Schäferei von Oyershausen und<br />

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WecJemer Heide<br />

Ohlenrocler<br />

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Dankelsheim 9-<br />

Nach der F/urkart,<br />

an C.ch Geitel<br />

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sollte als solche 500 Schafe halten. 1524 und 1580 hatte das Dorf Dankelsheim<br />

keine Schäferei. Die Herzöge werden bei dem etwa gleichzeitigen Erwerb der<br />

beiden Herrenhöfe jene große Schäferei in Oyershausen eingerichtet haben, die<br />

dann die Hude durch das ganze Amt Gandersheim bis zur Ablösung hatte. Aus<br />

praktischen Gründen wurde um 1600 die LudoIfshäuser wieder davon abgetrennt<br />

und nach Dankelsheim verlegt, "wegen des Ludolphs-Feldes", sagt die<br />

Dorf-, Flur- und Wiesen beschreibung. Der Schafmeister und die Schäferknechte<br />

wurden, wie einst ihre Vorgänger auf dem Herrenhofe Ludolfshausen, kirchlich<br />

Brunshausen zugewiesen.<br />

Wenn wir die Ergebnisse unserer Untersuchung kurz zusammenfassen, so<br />

lauten sie:<br />

1. (Nord-)Ludolfshausen, eine Gründung und Sitz der Familie der Ludolfinger,<br />

ist auch als Gandersheimer uncL Cluser Besitz bis zum Eingehen im<br />

wesentlichen immer ein Herrenhof geblieben.<br />

2. Seine Feldmark umfaßte den Sild teil der heutigen Dankelsheimer bis<br />

zum Lah; insgesamt etwa 480 Mg. Das Ackerland (1757 = 40g 1 / 3 Mg.) lag zu<br />

gut zwei Drittel in drei sehr großen Herrenkämpen, zu ein Drittel in Bauerland.<br />

<strong>3.</strong> Die Stelle der Wüstung ist in den "Lundischen Wiesen" zu suchen,<br />

deren Teilungen die Lage des Herrenhofes und der zugehörigen Bauernstellen<br />

festhalten.<br />

4. Das Dorf bestand neben der curia mit Kapelle, Mühle und Schäferei<br />

ursprünglich nur aus 3 oder 4 Lathöfen; nach Eingehen Adestessens kamen die<br />

3 dortigen Ackerhöfe hinzu.<br />

5. Es wird nach mehrseitigen Nachrichten erst in der Stiftsfehde eingegangen<br />

sein. Das Herrenland kam an die Herzöge, die Bauern zogen nach<br />

Dankelsheim, wo sie den Südteil des Dorfes bildeten.<br />

6. Neben den Adestesser Höfen 33, 34, 1 sind Nr. 3, 23 und 32 als ursprüngliche<br />

Ludolfshäuser Höfe' anzusehen, nicht aber Nr. 2, der seine SteIle und<br />

Kirchenzugehörigkeit mit 32 tauschte. Nr. 25 ist anscheinend erst nach dem<br />

Wüstwerden von den Herzögen gegründet und für 23 nach Brunshausen eingepfarrt.<br />

Die zweite in Dankelsheim aufgegangene Wüstung ist Adestessen, das in den<br />

Urkunden des Klosters Clus häufiger erwähnt wird, so 1222, 1297, 1237, 1238,<br />

1258, 1429, 1459. Die Namensform "Heim des Adisto" zeigt, daß es sich ebenfalls<br />

um eine ältere. Siedlung handelt. Von Gandersheim kam das ganze Dorf bald<br />

nach Entstehung von Clus an dieses Kloster, ebenso 1238 die eine Hälfte des<br />

Zehnten vom Bischof von Hildesheim, 1258 die andere von den Herren von<br />

Gandersheim, also beträchtlich früher als der Dankelsheimer Zehnte. Mit Adenstedt<br />

im Amte Winzenburg ist das Dorf nicht zu verwechseln, unser Ort wird ausdrücklich<br />

als bei Dankelsheim (1238 und 1549) beurkundet. über seine genaue<br />

Lage siehe unten!<br />

Die Feldmark der Wüstung ist auf der Karte von 1757 sehr leicht zu erkennen.<br />

Sie erstreckt sich nördlich vom Lah bis zu der Linie Hainsiek-Grenze<br />

zwischen altem und neuem Dorfe in Dankelsheim und der Verlängerung der<br />

Twete zum Ascher Sütter und umfaßt die <strong>3.</strong> und 4. Wanne des Winterfeldes,<br />

<strong>3.</strong> und 5. des Sommerfeldes und 1., 2. und <strong>3.</strong> des Brachfeldes. Es gehen davon<br />

freilich ab Plan 15-22 der 4. Wanne des Winterfeldes, Plan 30-39 der 5. Wanne<br />

des Sommerfeldes und Pläne 18-20 der <strong>3.</strong> Wanne des Brachfeldes, die offenbar<br />

mittelalterliches Rodeland sind. Das geht nicht nur aus ihrer Lage am Rande<br />

11.<br />

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der Feldmark, am Holz und Anger, als Trennstücke der zugehörigen Wannen,<br />

sondern auch aus' den Besitzverhältnissen hervor. indem sich in ihnen kein<br />

einziger Plan der eigentlichen Adestesser Höfe befindet.<br />

Als solche sind die Ackerhöfe Nr. ass. 33, 34 und 1 anzusehen, die vom<br />

gesamten Ackerland der bezeichneten Flur, nämlich 293 Mg., den weitaus<br />

größten Teil mit 272 Mg. besaßen, die übrigen 21 Mg. verteilten ,sich auf<br />

8 Dankelsheimer Höfe. Von diesen hatte 12 1 / 2 Mg. in zwei größeren Stücken der<br />

Ackerhof Nr. 2.<br />

Beide, nur durch den Holzweg getrennt, sind sehr nasses,<br />

schlechtes Land und führen den Namen "In Ru/e", sind wohl erst nach Verlegung<br />

dieses Hofes zwischen die Ludolfshäuser durch Rodung gewonnen. Außer<br />

ihm hatte nur noch Nr. ass. 14 drei Morgen, zwei Kothöfe einen und vier noch<br />

weniger; es handelt sich also hier um Stücke, die unter dem Besitz der Adestesser<br />

Höfe geradezu verschwinden. Die beiden zur Flur gehörigen Wiesen, Gehrund<br />

Ascher Wiese, befanden sich bis auf eine kleine Teilung von 114 Mg. in der<br />

letzteren ausschließlich in den Händen von Nr. ass. 33, 34 und 1.<br />

Weil die überlieferung noch heüte die Stelle der Höfe sowohl in der<br />

Ascher Wiese angibt, als deren Lage auch auf der Ludolfshäuser Dorfstätte<br />

nach obigen Ausführungen klar ist und die Quellen die drei Adestesser Höfe als<br />

Ludolfshäuser bezeichnen, so kann es sich nur um eine Umsiedlung der Höfe<br />

von Adestessen nach Ludolfshausen und später 'Dankelsheim handeln, nicht um<br />

eine Neuverteilung der Flur des wüstgewordenen Adestessen an ursprünglich<br />

Ludofshäuser Höfe. Daß diese Zwischenzeit der Adestesser Höfe in Ludolfshausen<br />

nur von verhältnismäßig kurzer Dauer gewesen sein kann, bezeugt einmal<br />

die Tatsache, daß sie auf der Ludolfhäuser Flur nur geringen Besitz, nämlich<br />

10 1 12 Mg .• erwerben konnten, andererseits die, daß heute noch die Höfe im Dorfe<br />

als Adestesser bekannt sind .<br />

. Da der Ort eine Kapelle besaß, deren Einrichtung von Brunshausen, dem<br />

also Adestessen anfangs kirchlich zugehörte, der Clus im Jahre 1297 erlaubt<br />

wurde. so halte ich den 1/ 4 -Morgenplan der Ascher' Wiese für den Platz derselben,<br />

die zerstreuten Morgen aber für ihre Ausstattung; denn diese Wiese gibt<br />

mit ihren Teilungen ganz klar die Stelle der Wilstung und ihrer Höfe an. Sie<br />

lag danach an der heutigen Straße von Altgandershcim nach Dankelsheim etwa<br />

in der Mitte zwischen der Bahnüberführung und letzterem Ort rechts vom Wege<br />

an dem kleinen Bache, der dort die Wiesen durchfließt. Dieser Weg führte<br />

deshalb auch den Namen Ascher Weg, und die Flurnamen Ascher Wiese, Weg<br />

und Sütter zeigen neben der zugehörigen Dreifelderwirtschaft die Stätte von<br />

Ort und Flur des eingegangenen Dorfes Adestessen oder Aschen.<br />

Es muß im 14. Jahrhundert wüst geworden sein, da es in diesem gar nicht,<br />

spater und nur zweimal sein Zehnt erwähnt wird. Wie bereits oben ausgeführt,<br />

müssen die drei Bauern des Weilers zunächst nach Ludolfshausen gezogen und<br />

von dort nach etwa 100 Jahren mit dem Eingehen auch dieses Dorfes nach<br />

Dankelsheim übergesiedelt sein. Aus dem oben über die Lage seiner 'DorfsteIle<br />

Gesagten geht hervor, daß die Vermutung Steinackers über die Identität von<br />

Adestessen mit dem "Niedern Dorfe" nö. von Dankelsheim nicht zutreffend<br />

sein kann (Vgl. B. u. K. V, S. 6). Weiter unten wird über diese alte Dorfstiitte<br />

Näheres ausgeführt werden.<br />

Die Ergebnisse des zweiten Abschnittes dieser Arbeit würden somit sein:<br />

1. Der geschichtlich bezeugte Weiler Adestessen lag zwischen Nordludolfshausen<br />

und Dankelsheim. Sein Grundherr war nach den Ludolfingern und, Stift<br />

Gandersheim das Kloster Clus.<br />

2. Seine Flur bildet den mittleren Teil der Dankelsheimer Feldmark und<br />

umfaßte etwa 400 Morgen, nämlich die <strong>3.</strong> und 4. Wanne des Winterfeldes, die<br />

<strong>3.</strong> und 5. des Sommerfeldes, die 1., 2. und <strong>3.</strong> des Brachfeldes.<br />

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<strong>3.</strong> Das Dorf (Namensformen : Adestense 1222, Athestesseym 1297, Adestessen<br />

1258, Addensen 1429, Adesten 1549, Atschen 1706, Aschen 1757 und. heute) war<br />

nur ein Weiler von 3 Ackerhöfen; seit 1297 hatte es eine Kapelle. Kirchlich ge·<br />

hörte es erst nach Brunshausen, später nach elus.<br />

4. Die DorfsteIle liegt an der Straße (dem alten Ascher Wege) etwa in<br />

der Mitte zwischen der Bahnüberführung und Dankelsheim in der Ascher Wiese,<br />

deren Teilungen von 1757 nach der Tradition die HofsteIlen angeben.<br />

5. Wahrscheinlich ging das Dörflein, wie so viele andere, im 14. Jahr·<br />

hundert ein. Die drei Bauern zogen zunächst nach Ludolfshausen und beim<br />

Wilstwerden dieses Ortes etwa 100-150 Jahre später nach Dankelsheim, wo<br />

sie (Nr. ass. 33, 34 und 1) mit den Ludolfshäuser Höfen das "Neue Dorf"<br />

bildeten.<br />

III.'<br />

Der Rest der Dankelsheimer Feldmark bildet die dritte geschlossene Drei·<br />

felderwirtschaft der Flur vor der Separation mit den Gewannen 1., 2., 6. und 8.<br />

des Sommerfeldes, 5.-10. des Winterfeldes, 8.-1<strong>3.</strong> des Brachfeldes. Trotzdem<br />

haben wir es hier mit der Flur zweier Siedlungen zu tun, nämlich außer der<br />

Dankelsheims 'mit der von Klingenhagen. Diese letzte Wüstung ist zW


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gestattet werden, da die Kirche damals 35 Mg. auf der Feldmark besaß. Der<br />

Besitz der. drei Kötereien schwankt sehr, außer ihren 11 Mg. von Wetteborn<br />

hatten sie von der auf der Flur reichlich vorhandenen Erbenzinsländerci bald<br />

mehr, bald weniger unterm Pfluge. .<br />

In den Grenzgewannen gegen Wetteborn-Ohlenrode, also an der Landesgrenze<br />

gegen Stift Hildesheim, und zwar in der 11. und 12. Wanne Brachfeldes<br />

und 7. und 8. Wanne Winterfeldes lagen im Gemenge mit Dankclsheimer und<br />

Hägerlande 50 1 / 4 Mg., die Ohlenroder 'Bauern gehörten, an St. Godehardi in<br />

Hildesheim zehnteten und alle öffentlichen Lasten und Zinse ebenfalls ins<br />

Hildesheimische gaben. Wie erklären sich diese Verhältnisse im nördlichen Teile<br />

der Dankelsheimer Flur? Eines ist gewiß: Ursprünglich kann das Dorf DankeIsheim<br />

nicht an seiner heutigen Stelle gelegen haben, auch wenn man das Neue<br />

Dorf davon abrechnet; denn es hätte unmittelbar die Adestesser Grenze berührt,<br />

und solche Randlage ist unwahrscheinlich.<br />

Wo aber ist die alte Dorfstelle zu suchen? Erinnern wir uns, daß wir die<br />

für Ludolfshausen und Adestessen in den gleichnamigen Wiesen fanden, so<br />

deutet der Name "Die Dankelsheimer Wiese" auf die frühere DorfsteIle dieses<br />

Ortes. Das würde durch den unmittelbar westlich anliegenden Anger "Auf dem<br />

Nehren Dorf" bestätigt. Statt Nehrendorf findet sich auf dem Grundriß des<br />

Dorfes im Original der DFg. von 1757 die Lesart "Nirgenddorf". Der Verfasser<br />

übersetzt Nehrendorf hier also nicht mit "Niederdorf", sondern ebenso wie<br />

Schambach (S. 114), also ein nirgend oder nicht mehr vorhandenes Dort. Dieser<br />

über 6 Mg. große Anger (jetzt Wiese) und die daran stoßenden Teile der Dankelsheimer<br />

Wiese sind die Stätte des alten Dankelsheims. Der von diesem Orte nach<br />

Adestessen führende Weg ist auf der Flurkarte von 1757 noch in seinen Anfängen<br />

bei beiden DorfsteIlen vorhanden; weil er schräg durch die 1. und<br />

<strong>3.</strong> Wanne des Sommerfeldes führte, hieß er "Schratweg".<br />

Als Feldmark dieser natürlich nur kleinen Siedlung wären die 1. und<br />

2. Wanne des Sommerfeldes, letztere bis zum Ascher SOtter, die 6., 9. und 10.<br />

des Winterfeldes und die 5. des Winterfeldes samt den späteren DorfsteIlen<br />

Klingenhagen und Dankclsheim anzusehen. Der Namensform nach gehen Dankelsheim<br />

und Adestessen (= Heim eines Dankolf bzw. Adisto) wohl auf vorsächsische<br />

Zeit' zurück.<br />

Westlich der Flur beider Dörfer und auch Ludolfhausens zog sich noch<br />

nach 1000 ein großes Wald- und Weidegebiet am Holze entlang, in welchem,<br />

ebenso wie in der nordöstlich gelegenen Wederner Heide, die benachbarten<br />

Orte Huderecht hatten, so von der Nordgrenze der Flur bis zur Bekkebreite<br />

westlich des Dorfes, also in der ganzen NW.-Feldmark. Nach 1100 setzte dann<br />

bekanntlich eine neue Rodeperiode ein; vielfach wurden Ansiedler aus Flandern<br />

herbeigerufen, um alles noch irgend brauchbare Land urbar zu machen .. Stift<br />

Hildesheirn ging damit voran, und Rustenbach hat ausführlich dargelegt, wie<br />

die fremden Siedler, natürlich unter Beteiligung Einheimischer, in den Wesergebieten<br />

eine ganze Reihe solcher "Hagensiedlungen" anlegten. Doch auch in<br />

unserer Gegend wurden von Hildesheim teils ganze Dörfer nach diesem System<br />

eingerichtet (Sack, Langenholzen, Rolfshagen), teils bei bereits vorhandenen<br />

Orten solche angefügt. Auch Gandersheim (Meynshausen, Weddehagen, Heberhagen)<br />

und die Winzenburger Grafen (Hasekenhausen, jetzt Winzenburg) haben .<br />

nach dem gegebenen Beispiel Häger angesetzt. Wahrscheinlich ist auch der<br />

Klingenhagen bei Dankelsheim, eine Siedlung von 6 bzw. 7 Kothöfen, durch<br />

dieses derzeit mächtige Grafengeschlecht angelegt worden, und zwar unmittelbar<br />

neben dem alten Dankelsheim am Bache entlang aUf der Stelle, die noch<br />

heute "Im Klingenhagen" heißt. Das ist daraus zu schließen, daß diese Häger<br />

bis zur westfälischen Zeit hägerische Abgaben und Dienste nach Winzenburg<br />

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leisten mußten und vor das Hägergericht daselbst gehörten, freilich auch vor<br />

das des Klosters St. Michael zu Everode, aber wohl nur, weil Winzenburg<br />

nach dem Aussterben der Grafen (1158) an das Bistum fiel.<br />

Die im Klingenhagen angesetzten und mit den üblichen Hägerrechten ausgestatteten<br />

Kolonisten sollten jenes oben erwähnte Wald- und Weidegebiet<br />

urbar machen. Aus örtlichen Gründen ging dies nicht in der Form, wie es sonst<br />

vielfach bei Hagendörfern geschah, nämlich in Waldhufen. Das schlossen schon<br />

der verfügbare Raum und die Geländeverhältnisse aus, vor allem aber die<br />

Rechte, welche die vorgenannten Dörfer im Rodegebiet hatten. Die Dankelsheimer<br />

werden sich auf Grund derselben sogleich mit an der Rodearbeit im zunächst<br />

angegriffenen Gebiet (später 8. und 9. Wanne Brachfeldes und 6. und<br />

7. Brachfeldes vom Bornsiek bis zum Hain- oder "Hagen"siek) beteiligt haben.<br />

So kam es, daß sie mit den Hägern dort durchaus im Gemenge liegen. Da das<br />

neugewonnene Land der Dankelsheimer wie vielfach das in den alten Gewannen<br />

Erbenzinsland war, so war ein Austausch mit den Hägern nicht erschwert, so<br />

daß diese auch mit der Zeit in die alte Flur hineinkamen. Der ganze geschilderte<br />

Vorgang muß sich vor dem Wüstwerden Adestessens abgespielt haben,<br />

da auf dessen Flur, die ja durchweg Meierland war, 1757 nur 3 ganz kleine<br />

Stücke Hägerlandes erscheinen,· die Feldmark aJso fast ganz frei davon war.<br />

Als dann der Rest der Koppelhude vom Bornsiek bis zur Grenze, wohl<br />

meistens W illd (Holzlinnen, Im Eichholz !) gerodet wurde, erhoben auch die<br />

Ohlenroder ihre Ansprüche. Sie erscheinen, 21 Mann stark, in der <strong>Folge</strong> neben<br />

den Dankelsheimern und Hägern in den Gewannen 11-13 des Brachfeldes und<br />

7 und 8 des Winterfeldes mit insgesamt 50 1 / 4 Mg., die durchaus im Gemenge<br />

liegen, aber in jeder Beziehung: Zehnten, Zinsen, Abgaben nach Ohlenrode gehören.<br />

Die Berechtigung der Ohlenroder und Wetteborner, die Feld- oder Brachweide<br />

auf dem gesamten Gebiet bis zum Hainsiek auszuüben, ist schon 1706<br />

und 1757 auf die Angerweide in den Grenzängcrn von der Welle bis zum<br />

Krummen Siek beschränkt.<br />

Diese eigentümliche Lage von Länderei im Gemenge verschiedener Landeshoheit<br />

führte, wie wir später sehen werden, zu mancherlei Grenzstreitigkeiten.<br />

über jene Rodetätigkeit ist uns auch eine urkundliche Nachricht erhalten. In<br />

einer solchen von 1329 ist die Rede von "quodam proventus eOt redditus novalium<br />

agrorum, qui vulgari nomine vocuntur Bredela et Epeltere", also<br />

von Rodeäckern, welche die Flurnamen Breites Lah und Epeldere führten.<br />

Später habe ich diese Namen nicht mehr gefunden, nehme aber an, daß damit<br />

das Breite Bleck und die Freien Dören von 1579 und 1663 gemeint sind, also wohl<br />

das gesamte Rodegebiet, auf dem Wetteborn und Ohlenrode die Koppelhude<br />

hatten. 0<br />

Der Name des in jener Urkunde genannten Ritters Heinrich von Hcghere<br />

und seiner Familie könnte sehr wohl von "Häger" statt "Häher", wie das<br />

Wappen andeutet, herkommen (S. Rustenbach, S. 614), doch ist kein Beweis<br />

dafür zu erbringen. Daß aber wahrscheinlich auch fremde Einwanderer bei der<br />

Rodung beteiligt waren, geht aus einer Urkunde von 1442 hervor, wonach die<br />

Gebrüder Hollant, damals schon Bürger in Hildesheim, 1 Morgen Land und<br />

Wiese, genannt "dat Hollandesrot" auf dem Felde über Dankelsheim verkauften.<br />

Dies Land war Erbenzinsland von Clus, ebenso wie 13 Mg. am "breden la",<br />

die Hennig Jordens (seit 1229, wo die freien Bauern Bemolt und Gildibald erwähnt<br />

werden, der erste namentlich bekannte Dankelsheimer) 1326 vom Kloster<br />

zu Erbenzins erhielt. Clus scheint die Verpflichtungen für sein Erbenzinsland<br />

denen der Häger angeglichen zu hahen, da Jordens Erben beim Todesfall die<br />

Kör mit 1/ 2 Ferding löth. Silbers geben müssen.<br />

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Zusammenfassend wäre aJso über den Nordteil der heutigen Flur zu sagen:<br />

1. Er enthält in den Gewannen 1 und 2 des Sommerfeldes, 5, 6, 9, 10<br />

des Winterfeldes sowie den bei den DorfsteIlen Dankelsheims und des Klingenhagens<br />

die Flur des alten Dorfes Dankelsheim.<br />

2. Um 1150 entstand neben diesem die winzenburgische Hägersiedlung<br />

Klingenhagen mit etwa 6-7 Kothöfen.<br />

<strong>3.</strong> An den Rodungen der Häger beteiligten sich auch die Dankelsheimer,<br />

deshalb liegen zwischen Hagensiek und Bornsiek beider Pläne im Gemenge,<br />

durch Tausch auch im aIten FlurteiI.<br />

4. Bei Rodung des Restes erhielten die Ohlenroder ihre Anteile mit denen<br />

der Dankelsheimer und Häger in der 11. bis 1<strong>3.</strong> Wanne des Brachfeldes und<br />

7. und 8. Winterfeldes vermischt.<br />

IV.<br />

Es wäre nun einiges über das Dorf selbst und seine Siedlungsform zu sagen.<br />

Wie bereits oben ausgeführt, lag es ursprünglich nordwestlich seiner jetzigen<br />

Stelle im Tal des kleinen Baches, der aus dem Bornsiek herabkommt und in<br />

die Awe fließt. Warum wurde es von dort verlegt? Vielleicht weil die aIte Dorfstätte<br />

zu feucht war, aber auch wohl, weil der Schwerpunkt der Flur durch die<br />

Rodungen im Westen mehr nach dorthin neigte. Vor allem aber wird der Wille<br />

der Grundherrschaft, also des Klosters Clus und damit des Stiftes Gandersheim<br />

maßgebend gewesen sein.<br />

Es finden sich nämlich bei fast allen Dörfern des Stiftes neben den heutigen<br />

Siedlungen aIte DorfsteIlen, meist "Worth", hier "Nehrendorf" genannt; und für<br />

zwei derselben, Seboldshausen und Wrescherode, habe ich ausgeführt, wie durch<br />

das Stift die aIte Siedlung planmäßig in eine regelmäßige Anlage überführt<br />

wur.de. Dasselbe erwiesen K. Mühe und Probst in Prüfungsarbeiten für Altgandersheim<br />

und Helmscherode. Grund für diese Erscheinung war die große<br />

Umwälzung im Agrarwesen des 12. und 1<strong>3.</strong> Jahrhunderts, nämlich der übergang<br />

von dem herrschaftlichen Großgrundbetrieb in die bäuerliche Kleinwirtschaft,<br />

wie ihn uns Wittich ausführlich nachgewiesen hat und wie er gerade im Gandersheimer<br />

Gebiet gut zu beobachten ist. 1126 hatte Clus noch zwei Höfe und<br />

29 Morgen, wohl den letzten Teil des Weilers, erworben, diesen dann als<br />

Klosterhof eingerichtet, aber bald, ihn auf die heutige Stelle verlegend, den wirtschaftlichen<br />

Tendenzen der Zeit folgend, wieder als Bauerndorf ausgebaut.<br />

Im <strong>Folge</strong>nden soll nun versucht werden, die Entwicklung desselben bis<br />

zum Dorfplan des Jahres 1757 zu rekonstruieren. Das scheint, wenn man den<br />

letzteren betrachtet, zunächst aussichtslos, da sich Dankclsheim dort als ein<br />

völlig regelloses Haufendorf darstellt. Wenn man jedoch die Entstehungsgeschichte<br />

des Ortes kennt, die Ludolfshäuser bzw. Adestesser Höfe, also das<br />

"Neue Dorf", ferner die hägerischen und Wetteborner Kirchenhöfe sowie die<br />

offenbar neuen Kleinkötereien Nr. 20-25 und natürlich die Brinksitzerstellen<br />

ausscheidet, gewinnt man ein schon viel aussichtsreicheres Bild. Es bleiben dann<br />

nur die aIten etwa gegen 1200 eingerichteten Höfe, mithin (nach den späteren<br />

Assekuranznummern bezeichnet) die Ackerhöfe 2. 10. 16/17 und. die alten<br />

Kötereien Nr. 15 und 19. Der Hof Nr. 2 lag, wie oben bereits ausgeführt,<br />

ursprünglich auf dem Platze von Nr. 28, 29, 31 und 32, deren Westgrenze hier<br />

die des aIten Dorfes wäre. Zu Nr. 10 wären die Hägerhöfe 11, 13 und 12 zu<br />

rechnen; die Ostgrenze von 13 und 12 sowie deren Verlängerung wäre hier<br />

der Dorfabschluß. Auf den HägersteIlen von 7, 8 und 9 lag ehemals ein<br />

anderer Hof, wahrscheinlich 16/17. Die Flurgrenze gegen Adestessen war im<br />

Südeu auch Ortsgrenze. Im Norden ist sie durch die Gebäudereihe von 19, 17,<br />

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16, 15 und 14 bezeichnet. So ergibt sich ein regelmäßiges Runddorf mit<br />

folgender Lage der Höfe um einen freien Platz in der Mitte;<br />

Da alle Dörfer im Mittelalter durch einen<br />

Knick befestigt waren, müssen wir auch bei<br />

Dankelsheim einen annehmen. Ein solches<br />

Dorf hatte dann nur einen Eingang, hier im<br />

Süden, der durch die Kapelle mit dem starken<br />

Wehrturm besonders geschützt war. Diese Rekonstruktion<br />

des Dorfes ergibt eine verblüffende _;<br />

Ähnlichkeit mit der von Wrescherode (vergl. ==<br />

Braunschw. Heimat 3/ 1932), Altgandersheim<br />

u. a., die Neuanlage dieser Dörfer scheint also<br />

in dieselbe Zeit zu fallen.<br />

In den wilden Fehdezeiten des 14. und 15.<br />

Jahrhunderts beobachteten wir häufiger die Zu- etW4.f 1 t' P" - '" J nr<br />

sammenlegung mehrerer kleiner Dörfer zu<br />

einem größeren, offenbar um der Sicherheit willen. So werden damals auch die<br />

Klingenhäger, die ja, wie wir oben sahen, schon damals in Flurgemeinschaft mit<br />

den Dankelsheimern standen, den Schutz des günstiger gelegenen Dorfes gesucht<br />

haben. Sie verließen ihr Reihedorf am Bache und suchten und fanden Aufnahme<br />

bei ihren Nachbarn. Natürlich mußte man nun im Dorfe zusammenrücken, und<br />

daher kommt es, daß noch später gerade die Hägerhöfe unter allen im Orte die<br />

kleinsten HofsteIlen haben. Von Nr. 10 erhielten 11, 12 und 13 die ihrige, von<br />

Nr. 2 der Wetteborner Hof Nr. 28 und die spätere Hessenköterei, die auch wohl<br />

den Dorfplatz mit in Anspruch nahm. Nr. 16/ 17 überließ seine HofsteIle ganz<br />

an Nr, 7 und 9 und rückte zwischen Nr. 19 und 15, von welch letzterer Stelle<br />

auch der Wetteborner damals kleine Hof Nr. 14 abgetrennt wurde. Verringert<br />

wurde der Raum noch dadurch, daß man Zufahrts wege zu einzelnen Höfen<br />

liegen lassen mußte. Der Orts plan stellt sich nun etwa so dar;<br />

Natürlich herrschte jetzt im Dorfe ziemliche<br />

Enge, die man wohl nur um des oben<br />

angegebenen Grundes willen ertrug und die<br />

wir ja auch zur selben Zeit in den gewaltig<br />

anwachsenden Städten beobachten. ·Vielleicht<br />

wurde sie noch dadurch vergrößert, daß auf<br />

dem Dorfplatze neben dem Hirtenhaus gegen<br />

1500 noch kleine KotsteIlen entstanden. Diesem<br />

ganzen, auf die Dauer unhaltbaren Zustande<br />

wurde durch eine ·Katastrophe ein<br />

Ende bereitet. Die große Hildesheimer Stiftsfehde<br />

richtete auf der Heberbörde die größten<br />

Verwüstungen an, fast alle Dörfer sanken<br />

in Asche. Schon gleich zu Anfang wurde<br />

Dankelsheim als nächstes braunschweigisches etwa. -IJP- N°}'(/'<br />

Dorf durch den Pfandinhaber der Winzenburg;<br />

Hennig Ruschenplate, "ausgepocht", und im Spätherbst desselben Jahres<br />

und später die gesamte Gegend mit Plünderung und Brand heimgesucht.<br />

Beim Neuaufbau wurde der bisherige Rahmen des Dorfes gesprengt. Im<br />

Süden bildeten die nun zuziehenden Ludolfshäuser das Neue Dorf; auf der<br />

eigenen Feldmark konnten sie dabei geräumige Höfe mit großen Gärten anlegen.<br />

Durch ihr Beispiel angereizt, übergab Nr. 2 seine HofsteIle z. T. der neu angelegten<br />

Köterei Nr. 29, teils der Ludolfshäuser Nr. 32, dieser mit großem<br />

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Garten hinter der bisherigen Wohn stätte. Dieser Ackerhof wurde dann neben<br />

die Ludolfshäuser Höfe Nr. 1 und 3 gelegt und erhielt auch die kirchliche<br />

Stellung derselben, nur noch sein Land, das fast ganz in der Dankelsheimer Feldmark<br />

liegt, verrät ihn als ursprünglich dorthin gehörig. Den Platz der Hessenköterei,<br />

die seitdem wüst blieb, erhielt z. T. Nr. 29 mit, der Ackerhof Nr. 10<br />

wurde durch reichlich Gartenland jenseits des alten Knicks erweitert. Dieser<br />

fiel auch im Norden weg und gab Raum für eine großzügige Ausdehnung der<br />

dort liegenden Stellen, was um so nötiger war, als die alten Wege, die früher<br />

um das Dorf gingen, jetzt in westöstlicher Richtung durchgelegt wurden und<br />

im Süden ein Streifen der bisherigen HofsteIlen deshalb ausfiel. Vom Raume<br />

des Ackerhofes Nr. 16/17, der im Anfang des 17. Jahrhunderts endgültig in<br />

zwei Halbspännerhöfe zerlegt wurde, fiel noch der geräumige Platz für die neue<br />

Köterei Nr. 18 ab.<br />

Am großzügigsten aber verfuhr man bei der Neuanlage des westlichen<br />

Dorfteils. wo die Kleinkötereien 20-25 - wohl meist damals neu gegründet 1~)<br />

- sehr schöne HofsteIlen erhielten. Daß sie erst zu jener Zeit entstanden, zeigt,<br />

daß Nr. 21 gar nicht im Erbregister von 1524 genannt wird. Ebenso ist dies<br />

der Fall mit der Groß köterei Nr. 30, mit der es folgende Bewandtnis hat: Ihr<br />

Grundherr ist Kloster Brunshausen, ihr Land (26 Mg.) liegt auch nicht auf Dankelsheimer<br />

Feldmark, sondern weit entfernt in der Wedemer Heide in zwei<br />

Kämpen. Wahrscheinlich war er bis zur Hildesheimer Stiftsfehde als Einzelhof<br />

und Rest eines wüstgewordenen Dorfes - Harenberg vermutet dort ein Wedem<br />

- daselbst gelegen; nun baute er auf einem Teil der wüsten Hessenköterei<br />

mitten im Dorfe auf, er erscheint dort im Erbregister von 1580. Auf dem Platze<br />

des Wohnhauses der genannten Köterei - ihre Lage war 200 Jahre später fast<br />

völlig in Vergessenheit geraten wie auch die Zeit ihres Unterganges, den man<br />

natürlich dem Dreißigjährigen Krieg zuschob, während noch im Erbregister<br />

VOll 1663 angegeben ist, daß sie über 120 Jahre wüst sei - siedelte sich dann der<br />

Brinksitzer Nr. 31 an.<br />

Schon 1580 erscheint der erste dieses neuen Teiles der Einwohnerschaft,<br />

Nr. 4, und z. Zt. des Dreißigjährigen Krieges sind bereits fünf vorhanden. Auf<br />

dem wüstgewordenen Platze des Brinksitzers Heinrich Haushalter wird 1651<br />

die Schule eingerichtet (Nr. ass. 27), neben der das Hirtenhaus lag (Nr. 26), der<br />

letzte Brinksitzer richtete 1706 sein Anwesen Nr. 8 durch Ausbau einer Scheune<br />

von Nr. 11 ein. Im 18. Jahrhundert erscheinen dann die ersten Anbauer, so daß<br />

der Dorfplan im Jahre 1757 folgende Gestalt zeigt (siehe Seite 137).<br />

Ergebnisse des Abschnittes IV:.<br />

1. Das alte Dorf Dankelsheim ging um 1126 völlig in den Besitz des<br />

Stiftes Gandersheim (elus) über und wurde in einen Klosterhof verwandelt.<br />

2. Um 1200 wurde entsprechend den wirtschaftlichen Verhältnissen der Zeit<br />

dieser Hof wieder in ein Bauerndorf verwandelt und zugleich an die Südgrenze<br />

der Flur gerückt.<br />

<strong>3.</strong> Das neue Dorf erhielt die Form eines Rund- oder Platzdorfes, war, wie<br />

fiblich, mit Knick umgeben und hatte im Wehrturm der Kapelle einen besonderen<br />

Schutz des einzigen Einganges.<br />

4. Das Dorf bestand aus drei Acker- und zwei Kothöfen (Nr. ass. 2, 10,<br />

16/17; 15, 19).<br />

5. Schon um 1150 war neben dem damaligen Orte die winzenburgische<br />

Hagensiedlung Klingenhagen entstanden. In den Fehdezeiten des 14. und 15.<br />

Jahrhunderts suchten die 7 Kothöfe derselben den Schutz des Dorfes Dankelsheim.<br />

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1. zu. S.:J<br />

eJ acker. }<br />

- großkot- Jtö(e.<br />

- JfleinkotfS1<br />

JJrit1ksitzer<br />

r:::zJ an ball e t'<br />

c:::J §emeinr5e,gE'biuJe.<br />

6. Etwa zur Zeit der Stiftsfehde und wahrscheinlich durch sie wird der<br />

Rahmen der zu eng gewordenen Dorfstelle zersprengt. Im Süden entsteht durch<br />

Zuzug der Ludolfshäuser das Neue Dorf, im Westen eine Siedlung jüngerer<br />

(Klein':)Kothöfe.<br />

7. Bis 1706 treten die Brinksitzerstellen und bis 1750 die ersten beiden Anbauer<br />

hinzu.<br />

Zum Schluß bleibt noch übrig, die Hoheitsverhältnisse Dankelsheims kurz<br />

zu erörtern. Bekanntlich gab es eine Landeshoheit mit festen Grenzen im Mittelalter<br />

nicht. Die Fürsten waren Grund- und Lehnsherren eines größeren oder<br />

10 137


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kleineren meist in Streu lage liegenden Besitzes. Das alte Dankelsheim und<br />

Adestessen gehörten am Ausgange des Mittelalters ganz dem Kloster elus,<br />

ebenso wie Ludolfshausen, das aber nach Harenberg bald nach der Stiftsfehde<br />

und seiner vermutlich damaligen Zerstörung an den im Gandershcimiscben<br />

immer mächtiger werdenden Herzog übergegangen war. Durch einen Vertrag mit<br />

diesem überließ ihm Stift Gandersheim zur selben Zeit die Grundherrschaft<br />

über einige Kötereien in Dankelsheim. Die Klingenhagener und Wetteborner<br />

Höfe gehörten durch ihre Gründung ans Amt Winzenburg mit Diensten, Abgaben<br />

und Hägergericht. Durch Erwerb des Großen Stiftes kamen beide Ämter<br />

Gandersheim und Winzenburg unter die Herrschaft Heinrichs d. J., und dieser<br />

nahm der Winzenburg die Dienste und ließ ihr nur die hägerischen Abgaben<br />

(Zins, Herbst- und Maibede, Kör) und Gericht. Aber selbst während der Okkupation<br />

und noch mehr nach Rückgabe des Großen Stiftes ist nach Angabe der<br />

Grenzbeschreibung von 1653 die Grenze im Norden der Feldmark immer streitig<br />

gewesen, was zu häufigen meist lächerlichen, aber auch tragischen Zwischenfällen<br />

führte. Die Winzenburger sind bei Grenzbegängen "weit über die schnur<br />

dißeit, ja gar durch das Dorff Dankeißen gefahren und gegangen, und also<br />

ezliche hoefe in DankeIßen unter winzenburgische Hochheit gezogen." Die<br />

Grenzbeschreibung des Amtes Winzenburg von 1578 zieht denn auch die Grenze<br />

über die "Dankelnser Drifft, hohle straße, Becke breide, Dankenscr Holzweg".<br />

Wenn mit -dem letzteren nicht der später so genannte Weg, sondern das Hainsiek<br />

oder Hagensiek gemeint ist, um faßt die Grenze das alte, oben beschriebene<br />

Koppelweidegebiet, an das Hildesheim ja allerdings Ansprüche hatte. Da der<br />

Stärkere aber gewöhnlich Recht beMIt und Braunschweig es in diesem Falle<br />

war, bekam es nach und nach die gesamte Oberhoheit über Dorf und Flur. Als<br />

1698 die Dankelsheimer von Wetteborn ausgepfarrt waren, verlor sich auch die<br />

Grundherrschaft über die drei Höfe Nr. 28, 14 und 21. Mit der Entwertung der<br />

Hägerabgaben, dem Wegfall der Kör (1663 im Erbregister zuletzt erwähnt!)<br />

und dem Schwinden der Bedeutung und schIießlichem Eingehen des Hägergerichts<br />

lösten sich auch die Hägerhöfe mehr und mehr von Hildesheim, und als<br />

durch die am 7. Juli 1875 ausgewechselten Hoheitsgrenz-Regulierungs-Rccesse<br />

Nr. 63 I und 63111 die Ohlenroder mit ihren exemten 62 Morgen aus der Flur<br />

hinausverlegt und ~ementsprecbend' die Grenze berichtigt wurde, waren die<br />

Hoheitsverhältnisse endgültig festgelegt.<br />

Anmerkungen<br />

1) Herbst, Die alten Heer- und Handelsstraßen, S. 112.<br />

2) Ebenda, S. 16.<br />

S) Schuchhardt, Die frühges~h. Befestigungen, S. 70.<br />

4) Rübel, Die Franken, S. 28.<br />

5) K. Mühe, AltganderBheim.<br />

6) Rübel, a. a. 0., S. 22.<br />

7) Rübel, S. 2<strong>3.</strong><br />

8) Schuchhardt, S. 64.<br />

9) Rübel, S. 24.<br />

10) "Die Klasse der Köter hat an Zahl im Laufe des 16. Jahrhunderts außerordentlich<br />

zugenommen. • .• Auch Neuansiedler, welche vom Landesrürsten oder von der Gemeinde ihre<br />

Höfe ausgewiesen erhielten, wurden bis zum Schlusse des Jahrhunderts in die Klasse der Köter<br />

eingereiht." Oehr, Ländliche Verhältnisse, S. 51.<br />

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Nr.<br />

ass.<br />

Besitz der Dankelsheimer auf der Ludolfshäuset Flur Anlage 1<br />

.. --- - - --- .. _- - .- -_. -- .- .. ---<br />

Namen<br />

Winterfeld 50mmerEeid Brachfeld<br />

l.W. I 2.W. 9.W. I 4.W. 4.W. I 5.W. I 6.W. I 7.W. Ludolfshaus.<br />

Gesamtbesitz<br />

in I überhaupt<br />

Bemerkungen<br />

25 JÖrnB. Christ .. I 6 1 /, - I 6 -- 5 1 /, I - - I - 18 18 Cammer-MeyerI.<br />

3 Ackcrmann. H. H. 2 1 / 2 9 1 /, - 10 3 7 - - 32 32<br />

32 Sue. Christian 2 1 /, - - 3 4 - - 1 10 1 /, 14 3 /. 3 1 / 2 in 5./5. F.<br />

20 Eicke. Henrich 2 (5) 7 14 1 /.<br />

{ Nr. 33 Rottland<br />

. - - - - - -<br />

u. 3h in 7. W. F.<br />

14 Wille. Daniel - "/. P/. 1 - - - - 3'/. 36<br />

24 Müller. F riedrich - PI. P/, - 2 - (1/.) - 5 1 /, 1 lI/.<br />

23 Koch. Danicl - 4 111 111 - 2 - 4 - - 10 11 / 11 1 Pi. sI. in 7. S. F.<br />

- Teichmühle . 11 - 6 1 /. - - - - - 17 1 /, 17 1 /.<br />

- Clus 5 S 6 6 61/~ I/, (W/.) - 44 1 /, 44 1 / 2<br />

1 Sander. Hennig - - - 2 - - - 2 1 /, 4 1 /, 100<br />

33 Pages. Joh. Hin .. .. - - - 2 - - (8) - 10 96 1 /,<br />

21 Bertram. Hennig - - - 2 2 - - - 4 8<br />

- Altgand. und Gremsheim<br />

zusammen - - 3 1 /, - - - - - 3 1 /, 3 1 /.<br />

34 Denecke. Hans 1\1. . - - - - 2 1 / , 1 - 1 41 /, 96 1 /.<br />

28 Ackermann. H. J. - - - 1 2 - - 2 5 13<br />

4 Jungesblut, J .. - - - 1 3 - - - 4 IP/,<br />

6 Schrader. H. H. - - - - - - - 3 3 3<br />

13 Bonsack. H. Jü. - - - - - - - 4 4 21 3 /,<br />

12 Bertram. J acob - - - - - - - 1 1 15 3 /.<br />

20 Bertram. Dan. - - - - - - - 1 1 I 3 1 1.<br />

~a: I 29 1 /.<br />

-<br />

Herrenland 92 - 92 - 61 1 /. - - -<br />

I 21'/. I 25 I 30 I 30 1 /.<br />

I 12 1 /,<br />

I (2:/.) I 151/, I -<br />

I<br />

zusammen 11211/.<br />

I 21'/. 1 117 I 30 I 91'/1' I 121 /, I (29 1 1.) I 15 1 1, I 409'1. I -<br />

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•<br />

Die Feldmark von Dankelsheim vor der Vermessung von 1757<br />

Wüstung Ludolfshausen<br />

Wüstung Adestessen<br />

Nr.<br />

ass.<br />

K.25<br />

K. 3<br />

KI.32<br />

KI.23<br />

A.<strong>3.</strong>'3<br />

A.34<br />

A. 1<br />

A. 2<br />

A. 1e<br />

A. { 16<br />

17<br />

K.28<br />

K.19<br />

K. 1~<br />

K.14<br />

K. 1~<br />

K. 7<br />

K.­<br />

KI.29<br />

KI.24<br />

K.30<br />

KI.22<br />

KI.21<br />

KI.2{<br />

KI.U<br />

Brachfeld<br />

Na m end e r 11 ö f e 4. 5. __ 7'_1-_4_'_1 __ 9_'-1--_1_'_1._2._<br />

f----<br />

Q)<br />

1 757<br />

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...<br />

EI :I<br />

< <<br />

Herren' oder Ludolfsfeld<br />

hzw. Christoph Görn 61 1 / 3 -<br />

Cammer·Meyerland SI/i -<br />

Hllns Henr. Ackermann 3 7<br />

ChrisL Sue . 4<br />

Daniel Koeh •<br />

4<br />

Die Teiehmühle<br />

Kloster Clus •<br />

Johann I1einr. Pages<br />

lIans Michel Denecke •<br />

Hcnnig Sander . .,.­<br />

Joh. Jürgen Brinkmann • -<br />

Daniel Jürgcs<br />

Hans Hrch. Boecker<br />

Hennig Rebbel .<br />

Hrch. Jürgen Ackermann 2<br />

Andreas Wille<br />

Christian Rcbbel •<br />

Daniel Wille<br />

Hans JÜrg. Bonensack<br />

Hans IIrch. Bertram<br />

Die wüste HeR sen Köterei -<br />

Daniel Bertram<br />

Friedrich Müller<br />

Carl Brackcl<br />

Christian Barthauer<br />

IIennig Bertram<br />

Henrich Eicke<br />

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mit den Wüstungsfeldmarken von LudoHshausen und Adestessen<br />

eigentliche Dankelaheimer Feldmark<br />

Rottland<br />

Br:achfeld Sommerfcld Winterfcld Brachfeld<br />

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Winterfeld<br />

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15<br />

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16<br />

17<br />

24<br />

21<br />

28<br />

32<br />

14<br />

20<br />

19<br />

Besitz der Dankelsheimer auf Adestesser Flur<br />

-- -- ---- - -- ---<br />

In<br />

Namen Wannen Adcsless.<br />

W.F.3IW.F.4IS. F.31 s. F.SI B.F.II B.F.21 ß.F.3 ZU8amm.<br />

Pages. J oh. Hrch. 21 11 1 (9 13 1 (. 15 1 /. 5 1 /, 7 13 86 1 /9<br />

Denecke. Hans M. 24 1 / 9 9 1 (9 13'/. 14 1 /9 4 1 /1 8 16 1 /. 91<br />

Sand~r. H~nnig 16 15 1 /. 18 15 1 /9 4 1 1. 8 18 95 1,',<br />

Brinkmann. Joh .. - 8 - 4 1 /. - - - 12 1 /,<br />

Wille. Andreas . - 1 - - - - - 1<br />

Bertram. Jacoh - - 1 - - - - 1<br />

Barthauer. Joh. E. - - - 1/. - - - Wille. Daniel "<br />

- - - 2 1 - - 3<br />

Bonensack. H. Jü. - - - '/. - - - "<br />

Rebbel. Christ. - - - - - B/. - 3'<br />

Mencke. IIrch. Jü. - - - - - B/. - I'<br />

I 61'/. 1 45'/. I 46 I 52'h 1151/. 1 24 1 / .. 1 47 1 /.1 293<br />

Pläne<br />

15-18<br />

19-22<br />

I m<br />

Rod e I a n d<br />

Stein. HanR Hr .. - - - - - - 1 1<br />

Rebbel. Hennig - 1/9 - 1 1 /8 - - 3 1 /9 5 1 (8<br />

ßöcker. Hans Hr. - 1(9 - 1'(8 - - 3 4"(8<br />

Müller. Friedr. - 1 - 3'(, - - - 4'(,<br />

Bertram. Hennig. - 3 - 1 - - - 4<br />

Ackermann. H. Jü. - 3 - 2 - - - 5<br />

Sue. Christoph - - - 3'/2 - - - 3'/9<br />

Wille. Daniel .' - 1'/, - - - - - 1'/9<br />

Eicke. Heinrich - 5 - - - - - 5<br />

Wille. Andrcss - 2 - - - - - 2<br />

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Gesamtbesitz<br />

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26<br />

Die Flur Adestesscn umfaßte mithin:<br />

Ackerland .......•...•<br />

Rodeland. früher Anger und Wald<br />

Wiesen (Ascher- und GehrwieRe)<br />

Anger etwa ...... .<br />

zusammen:<br />

293 Morgen<br />

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400 Morgen'<br />

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Literaturverzeichnis<br />

I. BUcher:<br />

1. ßau- und Kunstdenkmäler d. Hzt. Braunschweig. V. Kreis Gandersheim, von K. Steinacker.<br />

Wolfenbüttel 1910.<br />

2. Beschorner, Handbuch der deutschen Flurnamenliteratur. Frankfurt 1928.<br />

<strong>3.</strong> Gusmann, Wald- und Sicdlungsfläche Südhannovers. Hildeshcim 1928.<br />

4. Gcsenius, Das Meierrecht. Wolfenbilttel 180<strong>3.</strong><br />

5. Harenberg, Historia ecclesiae Gandersh. Hannover 1734.<br />

6. Herbst, Herm., Das Benediktinerkloster Klus. Leipzig 1932.<br />

7. Herbst, A., Die alten Hcer- und Handelsstraßen Südhannovers. Göttingen 1926.<br />

8. I-li~torische Aufsätze. Alöys Schulte zum 70. Geburtstag. Düsseldorf 1927. Franz Steinbach,<br />

Gewanndorf und EinzelhoC.<br />

9. Lüderßen, Die Befreiung und Mobilisierung des Grundbesitzes im Hzt. Braunschweig.<br />

Braunschweig' 1881.<br />

10. Maßherg, Die Dörfer der Vogtei Groß Denkte. Studien und Vorarbeiten zum I-listor. Atlas<br />

von Niedersachsen, 12. Heft. Göttingen 1930.<br />

11. Mühe, A., ScLoldshausen, Geschichte eines Dorfes im Amte Gandersheim. Gandersheim 1930.<br />

12. Mühe, K., Zur Siedlungs- und Flurgeschichtc von Altgandersheim. Prüfungsarbeit. ßrllunschweig<br />

1935.<br />

1<strong>3.</strong> Oehr. Ländliche Verhältnisse im I-Izt. Braunschweig-Wolfenbüttcl im 16. Jahrhundert.<br />

Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens. <strong>Bd</strong>. 12, Hannover u. Leipzig 190<strong>3.</strong><br />

H. Hoßmann und Döbner, Die llildesheimer Stifts fehde. Ilildesheim 1908.<br />

15. Bübel, Die Franken: ßielcfeld und Leipzig 1904.<br />

16. Schambach, Göttingisch-Grubenhag. Idiotikon. Hannover 1858.<br />

17. Wittich, Die Grundherrschaft in Nordwestdcutschland. Leipzig 1896.<br />

11. Zeitschriften und Zeitungen:<br />

1. Zeitsehr. d. Hist. Ver. f. Nieders., 1903, Hustenhach, Häger und Hiigergcrichte in den<br />

braunschwcigischen Weserlanden.<br />

2. Dieselbe 1908, Weiß, Cber die großen Kolonistendärfer des 12. und 1<strong>3.</strong> Jahrhunderts<br />

zwischen Leinc und Wescr (Hagendörfer).<br />

<strong>3.</strong> Braunsehw. Heimat 3/1932, Mühe, A., Die Flurnamen von Wreseherode.<br />

4. Gandershcimer Kreisblatt Nr. 148/1925. Mühe, A., Uher Grenzstreitigkeiten dcs Amtes<br />

Gandersheim mit dem Amte Winzenburg.<br />

III. Archivalien:<br />

1. Separ.-Rezeß von Dankelsheim, m. Riß, 1884. Gem.-Reg.<br />

2. DFg. von Dankelsheim m. Hiß, 1757. Staatsarch. Wolfenbüttel.<br />

<strong>3.</strong> Erbrcg. des Amte. Gandershcim 1524, 1580, 1663, 1706. Staatsarch. WolfcnbütteI.<br />

4. Erhreg. des Amtes Winzenburg 1587 Hann. Des. 74. Staatsarch. Hannover.<br />

5. Erbreg. des Amtes Winzcllhurg 1583 Cal. Br. Arch. Des. H. Staatsarch. Hannover.<br />

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6. Landesbescbr. von 1685. Staatsarch: Wolfenbüttel.<br />

7. Beschreibung der Erbenzinsgüter 1719 Amt Ganocrsheim 9. Staatsarcli. Wolfenbüttcl.<br />

8. Amtslagerbuch Amt Gandcrsheim 15. Staatsarch. \VolfcIlLüttcl.<br />

9. Contributionskataster 1683-89 Amt Gandcrsheim 14. Stnntsarch. Wolfenhüttel.<br />

10. Kopfsteuerlisten 1672. Staatsarch. Wolfenbüttel.<br />

11. Grenzregistratur X f 7 von 166<strong>3.</strong> Staatsarch. Wolfenhüttel.<br />

12. Acta hetr. 30 jährigen Krieg, I, 12. Staatsarch. Wolfenbüttel.<br />

1<strong>3.</strong> Akten der Herzogl. Kammer-Dir. d. Dom., Amt Gandcrshcim 1. Staatsarch. Wolfenbüttel.<br />

14. Bodo von Clus, Chronik. Herzog-August-Bihliothek Wolfenhüttcl.<br />

15. Kirchenbücher von HcckcnLcck-Dankelsheim. Staatsarch. Wolfcnhüttel.<br />

16. Kirchenbücher von Gremsheim. Stantsarch. \Volfenhütlcl.<br />

17. Gründliche Nachricht von den Kirchen und Kapellen im Amte Gandersheim. Stift Gandcrshcim<br />

X, 35. Stantsarch. \Volfenhüttcl.<br />

18. Corp. bon. der Capclle zu Dankclsheim. 1750. Pfarreg. IIeckenbeck.<br />

19. Dürre, Regesten 28. Staatsarch. Wolfenbüttcl.<br />

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Chronik<br />

des Braunschweigischen Geschichtsvereins<br />

und<br />

Buchbesprechungen<br />

..


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Chronik des Braunschweigischen Geschichtsvereins<br />

November 1940 bis Oktober 1941<br />

369. Sitzung am <strong>3.</strong> November 1940. Geh. Hofrat Prof. Dr. P. J. Meier spraeh über den<br />

Mag d ebur ge r Barock bi! d haue r Jakob Hen nic ke. Hennicke war 1697 in Merseburg<br />

geboren und erlangte 1734 in Magdeburg das Bürgerrecht, hatte hier aber bereits 1725 geheiratet.<br />

Er wird schon damals die Werkstatt seines bereits verstorbenen Schwiegervaters, der<br />

gleichfalls Bildhauer war, übernommen haben. In seinen Werken, die ausschließlich in Magdeburg<br />

und seiner Umgebung zu !inden sind, können wir den Künstler bis 1761 verfolgen. Er ist<br />

jedoch in Magdeburg nur bis 1742 nachweisbar. Später muß er als Besitzer einer der ,ielen<br />

Sandsteinbrüche in der Nähe der Stadt ansässig gewesen sein. Seinen Namen lernen wir an zwei<br />

voll bezeichneten Grabdenkmälern von 1742 und 1744 kennen. Hellnicke ist auch dcr Meister<br />

gewesen, der die zahlreichen, durch König Friedrich Wilhelm I. reichlich unterstützten<br />

Patrizierbauten der Jahre 1724 bis 1750 in ihrer Schauseite entworfen und mit ausgezeiehneten<br />

allegorischen Gestalten und feinen Zierformen versehen hat. Das wird dureh die Bauakten des<br />

mächtigen Kauf- und Packhauses von 1729131 für ihn erwiesen, aber auch bei ciner ganzen<br />

Reihe von Häusern reicher Kaufleute dadurch sichergestellt, daß er die Erbauer zu Gevattern<br />

bei seinen Kindern erbeten hat. Es ist dies eine Feststellung, die auch sonst zu wichtigen <strong>Folge</strong>rungen<br />

für den Meister eines Kunstwerkes dienen kann.<br />

Am meisten ist H. als Architekt für den aus Braunschweig stammenden Kaufmann Valentin<br />

Bäseler und seine Familie tätig gewesen, aber auch an einem seiner besten Grabdenkmäler.<br />

Es läßt sich dann weiler wahrscheinlich machen, daß H. das künstlerisch ausschlaggebcnde<br />

Mitglied der amtlichen Baukommission gewesen ist, das für die Wirkung des einzelnen<br />

Hauses, aber auch ganzer Häuserreihen sorgte. Seine Zierformen gehen zurück auf den bedeutenden<br />

Meister Johann Michael Hoppenhaupt. Diescr war zuerst in Zittau und seit 1717 in<br />

seiner Heimatstadt l\1erseburg tätig. Er hatte Hennicke erst als Lehrling, dann als Gesellen<br />

unter sich. Für das glanzvolle Wiedererstehen der Stadt Magdeburg ist Hennicke mit größtem<br />

Erfolge tätig gewesen.<br />

370. Sitzung am 17. November 1940. Museumsdirektor Prof. Dr. Jesse sprach über Karl<br />

Schröder, den Maler des braunschweigischen Bauernlebens. Der Vortragende<br />

gab ein anschauliches Bild von dem Studiengange und Lebenswege dieses heimischen Künstler~,<br />

der Volk und Landschaft unseres Landes besonders in Gemälden dargestellt hat. Eine reiche<br />

Fülle von Studien und viele Vorarbeiten für seine größeren Bilder, die im Städtischen Museum<br />

zu Braunschweig aufbewahrt werden, wurden im Lichtbild gezeigt. Ein liebenswürdiger<br />

Künstler und ein warmherziger Mensch, der vom Lande stammte und ihm verwurzelt war,<br />

trat den Zuhörern lebendig vor die Augen. - Der Vortragende beabsichtigt, die Ergebnisse<br />

seiner Forschungen über' Karl Schröder zu veröffentlichen.<br />

37l. Sitzung am 16. Februar 1941. Der Vorsitzer gedachte der seit der letzten Zusammenkunft<br />

verstorbenen Mitglieder in ehrenden Worten. Alsdann sprach Stadtarchivdirektor<br />

Dr. Spieß: "Aus der Familie von V e ch eIde. a) Die An Ung e derFamilie.<br />

b) Zwei Außenseiter des Patriziats." Es handelte sich um einen Ausschnitt aus einer<br />

größeren Arbeit, die an einem typischen Beispiel die Lebenshaltung des Patriziats sowie seine<br />

politische und wirtschaftliche Bedeutung in der Stadt und die soziologische Stellung in der<br />

Bürgerschaft zur Darstellung bringt. Die hier behandelte Familie stellt mit Hermann von<br />

Vechelde (gestorben 1420) Braunschweigs größten Bürgermeister, über den der Redner bereits<br />

früher im Braunschweigischen Geschichtsverein sprach. Uber die Herkunft der Familie konnten<br />

inzwischen von ihm neue, bemerkenswerte Feststellungen getroffen werden. Sie zeigen Tat-<br />

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sachen, die nicht unbedingt typisch zu sein brauchen. Denn während sonst das Bauerntum in<br />

der Regel die Patrizier der Stadt Braunsehweig stellte, konnte als ältester nachweisbarer Ahnherr<br />

der v. Vechelde ein Adliger festgestellt werden. Es war der auf dem Schloß Vechelde<br />

ansässige Bernhardt v. V. Wie viele seiner. Standcsgenossen konnte er sich in folge der Entwertung<br />

der Grundrente auf der ererbten Scbolle nicht mehr ernähren. So begab er sich in den<br />

Krieg~dienst des Bischofs Heinrich von Hildesheim. Er gerict dabei aber in die Gefangenschaft<br />

der Stadt I1ildesheim, aus der er sich nur dur~h ein sehr bedeutendes Lösegeld lösen konnte.<br />

Das führte zur völligen wirtschaftlichen Zerrüttung der Familie. Bernbardt begab sich mit<br />

seinen beiden Söhnen in die aufblühende Stadt Braunsehweig. Ihren )/achkommen, einem zeitweilig<br />

sehr zahlreich vertretenen Geschlecht, sol1te am neuen Wohnort eine ungeahnte Wirksamkeit<br />

beschieden sein. Ebenfal1s zeigen mehr individuel1e als für das Patriziat typische<br />

Züge die beiden VeUern Albrecht v. Vechelde, die im Ausgang des 16. Jahrhunderts in<br />

unsere.' Stadt ihr Wesen trieben. Mit ihnen beschäftigte sich der zweite Teil des Vortrages.<br />

Der Vortragende charakterisierte sie mit Recht als Außenseiter des Patriziats. Infolge einer gewissen<br />

Haltlosigkeit in


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gestaltung der Landschaft durch den Aufbau der I-Iermann-Göring-Werke führt eine neue<br />

Wandlung herbei. Die geringe Zahl der überlieferten Flurnamen bezieht sich auf die örtliche<br />

Beschaffenheit des Ackers oder scine Nutzung für die Feldwirtschaft. Die Personennamen, die<br />

"on 1754 bis 1870 in den Kirchenbüchern überliefert sind, stammen aus altgermanischem<br />

Gedankengut. Teilweise kennzeiehnen sie elie Herkunft. teilweise den ßeruf ihres ersten<br />

Trägers; einige sind aus Scherz gewählt.<br />

37<strong>3.</strong> Sitzung und zugleich Jahreshauptversammlung am 5. Mai 1941 um 18 Uhr. Am<br />

6. Mai konnte der Braunschweigisehe Geschichtsverein auf ein vierzigjähriges Bestehen zurüekblicken.<br />

Der Ehrenvorsitzende, Geh. Hofrat Prof. Dr. P. J. Meier, gab aus diesem Anlaß<br />

einen "R ü e k b li c kau f vi erz i g Ja h r e A rb e i t des ß rau n s c h w e i gis c h enG e-<br />

8 chi c h t sv e r ein s". Der Redner ist wohl das einzige noch Icbcnde Mitglicd, das schon<br />

15 Jahre vor Gründung des Vereins dessen Vorgänger, dem 1873 gegründeten Braunschweiger<br />

Ortsverein des I-Iarzgeschichtsvereins, angehörte. Als erster setzt~ er sich dafür ein, daß aus<br />

dem Ortsverein ein Landesverein wurde. Er sprach nun in frischer \Veise über die Kämpfe,<br />

die seiner Zeit um die Neugründung bzw. Umwandlung entbrannten, und über die zahlreichen<br />

Vorträge und Veröffentlichungen, die der Gesehichtsverein fast ausschließlich seinen Mit-,<br />

gliedern verdankt. Es giht kein geschichtliches Gebiet, das hier nicht behandelt. wäre. Ein<br />

wichtiges Arbeitsgebiet bot die ßearbeitung eier bislang zu sechs ßändrn gediehenen "Bau- und<br />

Kunstdenkmäler" unseres Landes. Der Verein beteiligte sieh maßgeblich an dem 1902 begründeten<br />

Denkmalsausschuß. Dessen Leistungsberichte wurden im "Braunschweigischen Magazin",<br />

der Vereinszeitschrift, veröffentlicht. Außer dieser gab der Geschiehtsvcrein seit 1902 ein<br />

<strong>Jahrbuch</strong> für größere Arbeiten sowie in den "Quellen und Forschungen" in zwangloser <strong>Folge</strong><br />

Einzelschriften heraus. Der Landesverein übernahm vom Ortsvercin 215 Mitglieder und gewann<br />

erstmal 25 neue hinzu. 1909 war die Mitgliederzahl auf 563 gestiegen. Den Vorsitz<br />

führte'l die Archivdirektoren Geh. Archivrat Dr. P. Zimmermann (gest. 1<strong>3.</strong> 2. 1933),<br />

Dr. H. Voges und Dr. H. Kleinau. Der Geschiehtsverein gehört der Braunschweigischen Landesstelle<br />

für Heimatforschung und Heimatpflege seit deren Gründung an. Dcr Wunsch des Vortragenden,<br />

der ßraunschweigische Geschichts\'erein möge weiterhin ge,leihen, fand freudigen<br />

Widerhall bei den Zuhörern.<br />

Alsdann sprach <strong>Bibliothek</strong>sdirektor Dr. Herse-Wolfenbüttel: "Ludwig August von<br />

Rochau, ein deutscher Publizist aus dem Braunschweiger Lande". L. A.<br />

v. Hochau teilt das Schicksal vieler seiner Berufsgenossen, die trotz ihres Einflusses nur<br />

wenigen Zeitgenossen bekannt. werden und denen "die Nachwelt keine Kränze" flicht. Er<br />

wurde, wie der Vortragende gcgenüber anderen Angahen erst feststellte, in I1arbke am 20. 8.<br />

1810 gcboren als Sohn eines Rittmeisters im Korps des Herzogs Friedrich Wilhelm von Bralmschwcig-Oels.<br />

Seine ~Iuttcr war cinc geborene Rudloff aus Braunschweig. Auf dem Gymnasium<br />

zu \Volfenhüttel wird n. Mithegründer der Turngemeindc. Er studiert dann in Göttingen und<br />

Jena. Dort nimmt er 1831 an einem revolutionären Auf~tand der Studenten und Bürger gegen<br />

die negierung teil, 'gegen den diese ein Heer von 7000 l\Iann .aufmarschieren läßt. Der Aufstand<br />

bricht zusammcn, und wie der Führer so flieht auch Rochau. Die Teilnahme an dem<br />

Frankfurter Putsch von 1833 brachte R. zunächst eine dreieinhalbjährige Cntersuehungshaft,<br />

die von ihm zu einer gründlichen Vertiefung seiner Bildung benutzt wurde, an der er täglich<br />

10 bi,; H Stunden arbeitete. Als er dann zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt wird, entweicht<br />

er nach Paris. Mit offenen Augen sieht er das Land, seine Gewohnheiten und sein politisches<br />

Leben: Er betätigt sich als Korrespondent großer deutscher Zeitungen. Auch schreibt er ein<br />

noch heute Icsbares Buch über die Geschichte Frankreichs vom Sturz Napoleons bis zur Wiederhel·stellung<br />

des Kaiscrtums. Reisen in Frankreich und Spanien finden ihren Niederschlag in<br />

"Heisebildern aus Südfrankreich und Spanien" und einer "Geschiehte der Moriskos". Auch<br />

beschrcibt er eine ,,Ileise nach Italien". In diesen Büchern zeigt sich R. als gutcr Beobachter<br />

des Volkslebens. 1847 erreicht er durch Vermittlung Dingelstedts seine Begnadigung und kehrt<br />

nach Deutschland zurück. Er erscheint im Vorparlament und als Berichterstattcr im Parlament<br />

zu Frankfurt und dann in Errurt. Hier hat er einen Zusammenstoß mit ßismarck. 1853 erscheint<br />

R.s Buch "Grundzügc der Bealpolitik, angewandt auf die Geschkhte Deutschlands".<br />

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Dieses Werk gibt der Meinung beredten Ausdruck, daß ein deutscher Nationalstaat nur entstehen<br />

könne, wenn Preußen die Einigung herbeiführe. Es beeinflußte die maßgebenden Zeitgenossen<br />

in weitem Umfange, u. a. auch Heinrich v. Trcitschke. 1859 bis 1866 widmete R.<br />

seine Arbeitskraft dem "Nationalverein", dessen Wochenschrift er herausgab. 1863 zeigt er<br />

sich als leidenschaftlicher Gegner Bismarcks, gegen den er die Volksmassen auf die Straße<br />

bringen will. Aber 1866 wird er zu einem ebenso leidenschaftlichen Anhänger des Kanzlers.<br />

1867 wirbt er in Süddeutschland für den Anschluß an den Norddeutschen Bund. In den nächsten<br />

Jahren veröffentlicht er eine von starkem vaterländischen Sinn erfüllte volkstümliche "Geschicht~<br />

des deutschen Landes und Volkes". 1871 wird er zum Reichstagsabgeordneten für den<br />

Wahlkreis Wolfenbüuel-Helmstedt gewählt. Aber er war wedcr ein gutcr Redner, noch verstand<br />

er sich auf parlamentarische Taktik. Cber den Charaktf',r ist zu sagen, daß er, obwohl<br />

leicht aufbrausend, stets sich als tadellos erwies. R., der in seinem Leben viel persönlich<br />

Schmerzliches erfahren mußte, zeigte sich Außenstehenden gegenüher stets verschlossen. So<br />

kam es, daß nicht einmal der Geburtsort den Freunden bekannt war. Am 15. Oktoher 1871<br />

starb er in Heidelherg, wo er seit 1831 wohnte.<br />

Der Schatzmeister erstattete den Kassenbericht.<br />

Am Nachmittag des 17. :VIai 1941 unternahm der Braunschweigische Gesehichtsverein<br />

einen Studienausflug nach Wo I fe n b ü t te I. Im Sc h I 0 ß rühr tc Museumsdirektor i. H.<br />

Prof. Dr. Steinacker, der auf dem Sehloßhof einen erläuternden Vortrag hielt. Anschließend<br />

wurde unter Führung' von Dr. Saelicke-Braunschweig die Kir c h ein der Au g u s t s t a d t<br />

besucht. Auf dem Hoten Amt, der Stelle des ehemaligen Dorfes Lee h e d e, gab Studienrat<br />

Prof. OUo Hahne sachdienliche Erläuterungen.<br />

Am 14. Juni 1941 wurden unter Führung von Geh. Hofrat Prof. Dr. P. J. Meier die<br />

Kirche und die Reste der übrigen Klosterbauten zu Riddagshausen besichtigt.<br />

Ein 4dritter Studienausflug führte am 2<strong>3.</strong> August 1941 zunächst nach M ase her 0 d e,<br />

wo Prof. O. Hahne einen Einführungsvortrag hielt. Sodann wanderte knan zu den Resten der<br />

alten stadtbraunschwcigischen La nd weh r, die im Dickicht des Mnscheroder Waldes (Kohli)<br />

in ihrem durch einen Laufgang getrennten Doppelwall noch erkennbar ist. Wo 'die Landwehr<br />

einst von der Heerstraße nach Osterwiek durchhruchen wurde, stand das K lei ne Weghau<br />

s, von dem heute sich keine Spur mehr findet. Die Wanderung "führte an dieser Stätte<br />

vorüber zum Lau s e b erg, wo vor längerer Zeit ein Urnenfeld der Nienburger Kultur gehoben<br />

wurde. Alsdann besuchte man die Kirche zu l\f e I ver 0 d e. Hier gab Prof. Steinacker<br />

ausführliche ~rläuterungen.<br />

Der letzte Studienausflug des Jahres fand am 11. Oktober 1941 statt. Er stand untc\'<br />

der Führung des Landesarchäologen Dr.Tode-Braunsehweig. Ziel waren vor g e s chi e h t­<br />

li c h e Sie d I u n g s - und G r ä b e r s t ä t te n im Wes t end e r S t a d t Hel m s ted t. Zu<br />

nennen sind besonders die Lübbensteine sowie der Pfingstberg. Die Teilnehmer gewannen wertvolle<br />

Einhlicke.in Methode und Arbeitsergebnisse des Archäologen, dem sich an den besuchten<br />

Stätten ein wertvolles Tätigkeitsgebiet darhietet.<br />

Di., Führung des Vereins liegt, nachdem der Vereinsvorsitzende, Staatsarchi"direktor<br />

Dr. Kleinau, seit dem 16. 8. 1941 wieder zur \Vehrmacht einberufen ist j vertretungsweise<br />

wieder in den Händen von Prof. O. Hahne als zweiten Vorsitzenden. Die Geschäfte des Schatzmeisters<br />

hat nach dem am 6. Juni 1940 erfolgten Tode des Verwaltungsdirektors W. Sicbenbrot<br />

(Braunschweig) Bürgermeister a. D. Meyer (Wolfenhüttel, Staatsarchiv) übernommen. Der<br />

Unterzeichnete hat nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst im Januar 1941 seine Tätigkeit<br />

als Schriftführer wieder aufgenommen. H. W i s w e.<br />

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Buchhesprechungen<br />

250 Jahre <strong>Braunschweigisches</strong> Staatstheater. Sonderschri{t der Braunschw. LandesstellC\ für Heimatforschung<br />

und I1eimatpflege. Verlag E. Appelhans & Co., Braunschweig. 234 S.<br />

Geb. 7,50 RM, brosch. 6,- RM.<br />

Die Landesstelle für Heimatforschung und Heimatpflege darf das große Verdienst für sich<br />

buchen, im Verlag Appelhans ein Geschichtswerk in ganz hervorragender Druck- und Bildausstattung<br />

herausgegeben zu haben: ,,250 Jahre Braunschweigisehes Staatstheater 1690 bis<br />

1940". Genau genommen wird hier weit mehr als nur ein Vierteljahrtausend behandelt, es<br />

kommt fast ein dreifacher Zeitraum zur Anschauung, wenn auch begreiflicherweise für seine<br />

erste Hälfte kein lückenloser Zusammenhang aus dem sicheren Material erwachsen konnte. Fritz<br />

Hartmanns ;,sechs Bücher braunschweigischer Theatergeschichte" aus den ersten Jahren unsercs<br />

Jahrhunderts sind dadurch dank inzwischen erfolgreich durchgeführter Forschungen weit überholt<br />

und bis in die Gegenwart fortgesetzt worden. Die Wahl der drei Verfasser darf als<br />

glücklich bezeichnet werden nicht nur hinsichtlich der besonderen Sachkenntnis jedes Beiträgers,<br />

sondern auch insofern, als der DarstcIlungsslil jedesmal mit dem Gegenstande spürbar<br />

harmoniert: Dr. Heinrich Sie ver s behandelt dcn weiten Zeitraum von den Anfängen im<br />

liturgischen Drama des 1<strong>3.</strong> Jahrhunder,ts bis ans Ende der Aufklärungszeit lJlit der wohltuenden<br />

Sachlichkeit des Geschichtsforschers; Albert T rap p findct für die Erzählung der<br />

Theatcrschicksale im 19. Jahrhundert den mehr novellistischen Ton, der für Romantik, Biedermeier<br />

und Hochromantik angemessen ist; und Dr. Alexander Sc h u m läßt bei seinem Oberblick<br />

über die Zeit seit dem Weltkrieg mehr den leitenden Verwaltungsbcamten von staatspolitischer<br />

Ausrichtung als den Künstler (der er doeh in hohem I\laße auch ist) zu Worte<br />

komJIlen. Dieser Dreiklang der Stile läßt das \Vcrk nicht etwa auscinanderfallen, sondern erhöht<br />

den Reiz für den Leser.<br />

Ortsansässige Benutzer des Werkes werden naturgemäß am meisten die durch Abbildungen<br />

unterstützten Beschreibungen des alten Theaters am Hagenmarkt (1690 erbaut und 1861<br />

abgerissen), des neuen Hauses am \Vall und vieler unvergeßlieher Künstlergestalten aus deI'<br />

neueren Zeit fesseln. Den aus größerer Ferne Schauenden reizt darüber hinaus eine Menge<br />

von Episoden, die hier erstmals im ortsgeschichtlichen Zusammenhang die rechte Beleuchtung<br />

erfahren. So die Gestalt des herzoglichen Dramatikers Heinrich Julius, 80 die SchilJerung<br />

der musikalischen Werke der Herzogin Sophie Elisabeth als Güstrower Schülerin William<br />

Brade~, Kasseler Schützling des gelehrten Landgrafen Moritz und Freundin des großen Heinrich<br />

Schütz - ihr "Freudenspiel" von 1642 tritt hier noch hildhafter vor uns als kürzlich durch<br />

Malt Schneiders Schilderung in der SeifIert-Festschrift. Die bekannte Opernepoche unter Kusser<br />

und Bressand wird schier sensationell beleuchtet durch die Gestalt des Bühnenbildners Joh.<br />

Oswald Harms - da tritt neben die berühmten \Viener GalIi-Bibicna und Burnacini ein<br />

niederdeutscher Barockmaler des Theaters, der die Kunsthistoriker stärkstens fesseln sollte I<br />

Schürmann, Hasse und Graun vertreten glänzend den Zeitraum vom Hochbarock zum<br />

Rokoko und werden höchst angemessen geschildert. Eine Lanze möchte ich für den nur kurz<br />

und rein negativ erwähnten Wolfenhütteler Joh. Gottfried Schwanenherger brechen, der der<br />

Oper 1762 bis 1804 vorgestanJen hat - gewiß ein welschender lIassianer, der weit überalterte;<br />

doch steckt z. B. in seiner Hauptoper "Romeo und Julia" eine Fülle wahrhaft süßer Musik.<br />

Wie hochbedeutsam gärte das Neue derweil auf dem Boden des Braunschweiger Sprechtheaters<br />

empor, die Neuherin, die Schönemannsehe Truppe mit Konrad Ekhof, die Wandertruppen<br />

von Ackermann, den Döbbelins, Großmannl Mit dem jungen Ludwig Spohr als Kapellgeiger<br />

meldet sich nicht nur der größte Violinist Niederdeutschlands, sondern zugleich ein kommender<br />

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Mitschöpfer der Musikromantik. Auf ein Gastspiel 'dcs gebürtigen Braunschweigers Unzelmann<br />

von Berlin her folgt die Periode des seßhaft werdenden "Nationaltheaters" (1818) unter dem<br />

bedeutenden August Klingemann, dem hier nicht nur die früheste reichsdeutsche Konzertwiedergabe<br />

der "Freischütz"-Ouvertüre (zwischen Kopenhagen und Berlin), sondern auch die<br />

~ufftihrung des Goetheschen "Faust" (1829) zu verdanken ist. Den ersten Weherschen ,,:\lnx"<br />

sang Julius Cornet - man könnte aus unbekannten. sarkastischen Schwatzbricfen noch Züge<br />

zur fragwürdigen Ära unter Her.t:og Kar! II. beitragen.<br />

Wieder tritt der reiche Bildschmuck unseres Geschichtsbuchcs erläutern und erwärmend<br />

neben die, historische Darstellung: wie traulich die Idyllen der Methfessel, GriepenkerI senior<br />

und Wiedebein oder der vier Brüder des älteren l\1ülIerquartetts! Lebendig die Schilderung<br />

der Braunschweiger Erfolge von Heetor BerHoz an Hand des Wolfgang Griepenkerlschen Büchleins<br />

nicht minder die Skizzierung der traurigen Lebenskurve dieses Dramatikers.<br />

Geradezu spannend wird die Erzählung bei den Braunschweiger Beziehungen Riehard<br />

Wagners unter Franz Abts Kapellmeisterschaft; dahei laufen sie doch trotz allerlei zeitgebundenen<br />

Ironien schließlich ehrenvoll für allc Betciligtcn zu Ende.<br />

Der Abschnitt, den der jetzige Intendant behandelt, wird nicht nur wegen der genauen<br />

Spirlplanplastiken mit Dank entgegengenommen werden, sondern auch wegen der klaren<br />

und maßvollen Kennzeichnung der geistigen Wandlungen in dem weltanschaulich so bewegten<br />

Zeitraum der letzten Jahrzehnte. Dabei wird das Bild deutlich, daß auch Braunschweig sich<br />

naturgemäß den Verfallserscheinungen des Zwischenreiches nicht ganz hat entziehen können,<br />

daß hier 'aber trotzdem eine verhältnismäßig anständige Linie eingehalten wurde, und daß<br />

mancher. artfremde Autor gar nicht als solcher erkannt werden konnte. Dazu eine drastische<br />

Bestätigung: ich erinnere mich noch der Braunschweigf'r Erstaufführung des "Schatzgräbers",<br />

der: ich wohl deshalb beiwohnte, weil ich tags zuvor einen Vortrag im Kammerspielsaal des<br />

Schlosses gehalten halte. Schreker rezierte am Tage seiner Premiere eine neue Operndichtung,<br />

davor hielt ein ansässiger Kritiker einen Vortrag übcr den Komponisten Ulid begann mit dem<br />

lapidaren Satz "Schreker ist Arier"; er, der Gefeierte, hörte sich diese Unwahrheit mit glatter<br />

Stirn an! Ähnlich mag es noch in manchem ParaI!elfall damals gegangen sein ..••.<br />

Sehr fesselnd, aus Schums Bericht zu entnehmen, wie sich unter Neubeek, lIinlmighofen<br />

und ihm selbst der Spielplan kultur politisch und ä~thetiseh zurechtgezogen hat, und weiche<br />

Gesichtspunkte einen weitsichtigen Intendanten überhaupt in unserer Zeit bewegen und leiten,<br />

um Tempo, Ziel und Rahmen der Arbeit zu bestimmen. Und welche anschaulichen Wandlungen<br />

des Bühnenbildes von Harms bis zu Mahnke, vom Kostümlichen und Spielordnerischen<br />

ganz zu schweigen! Gewünscht hätte man sich schließlich einen Namensindex, um etwa die<br />

interessante frühe Verdiinszenierung von Ernani (18"171) oder die Beziehungen Hans Sommers<br />

zum Spielplan seiner Vaterstadt u. dgI. mühelos auffinden zu können. Dafür entschädigen eine<br />

ausführliche Zeittafel und sehr lehrreiche AuHührungsübersichten. Genug - solche Buchanzeige<br />

soll ja nicht die Lesung selbst ersetzen, sondern sie gerade anregen. Mit dem vorliegenden<br />

Buch ist eine der ansehnlichsten und aufschlußreichsten deutschen Theatergeschiehten<br />

vorgelegt worden, und man kann dem damit geschiltlertcn Hause nur ein "Ad multos' anllOS I"<br />

herzlich glückwünschend zurufen.<br />

"Hans Joachim Moser.<br />

Geschichte der Schöninger Salzwerke<br />

der Salzstadt Schöningen.<br />

ningen. 138 Seiten.<br />

und Salinen. Von Kar I R 0 se, Oberlehrer. Hcimatbuch<br />

III. Teil. 1940. Herausgegeben von der Staelt Schö-<br />

Schön in gen kann sich rühmen, die Stadt unseres Landes zu sein, die zuerst eine urkundliche<br />

Erwähnung gefunden hat. Das entspricht seiner Bedeutung in alter Zeit, die durch seine<br />

Lage bedingt ist. Während der "Dietweg" (Volkweg) von Königslutter her in Schöningen<br />

mündet, zieht ein anderer "Dietweg" von Hildesheim über die Okerfurt bei Lechede und<br />

Evessen am Südhang des Elms durch Schöningen unel nördlich von Offleben auf I\lagdehurg.<br />

Bei Offleben kreuzt er die alte "Lüneburgisehe Straße" von I1albcrstadt über IIclmsteelt und<br />

Fallersleben nach Lüneburg. Ein "Königs weg" erreicht von Goslar über \Verla, Timmern,<br />

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BcrkIingen und Schöppenstedt ebenfall~ Schöningen. Ncben dieser günstigen Lage in dem<br />

alten Verkehrsnetze ist die bereits in karolingischer Zeit genützte wichtige Salzquelle für<br />

Schöningens Entwicklung und Geschichte maßgebend. K. Rose schildert nun in erschöpfender<br />

Wcise ihre Nutzung und Bedeutung für SchöniJ\gen und seine weitere Umgebung. Urkundliehe<br />

Nachrichten und archivalische Akten, die mit feinem Spürsinn aufgefunden und mit<br />

großem Fleiß verarbeitet sind, formen sich unter seiner geschickten Hand zu einem anschaulichen<br />

Bilde von eindrucksvoller Wahrheit. Mag der Verfasser vom alten Salzgrafenamt oder<br />

den Zinsherren erzählen, mag er die Gewerkschaften oder den Siedepfannenbctrieb mit Holzfeuerung<br />

schildern, mag er von Salzpreisen oder Klagen über Salzfuhrleute berichten und den<br />

Cbergang in die staatliche Verwaltung darstellen, immer erfreut den Leser die Klarheit und<br />

Anschaulichkeit. So überschaut man völlig die mehr als tausendjährige Entwicklung eines<br />

wichtigen Industriebetriebes von der an die überkommene 'Cberlieferung gebundenen und behäbigen<br />

Art bis zu der modernen Form eines der leistungsfähigsten Salzwerke des Großdeutschen<br />

Reiches.<br />

O. Hahne.<br />

Badenhausen im 17. Jahrhundert. Von Alfred Brinkmann. 1940. Im Selbstverlag.<br />

Druck von Paul Krösing, Osterode-llarz.<br />

Amtsakten, Dienstregister und alte Domällellregistruturen, Kirchenrechnungen, Berichte<br />

an da. Landeskirchenamt liefern oft ein anschauliches und farbenreicheres Bild als die meist<br />

ähnlich geformten Eintragungen der Geistlichen über Taufe, Ehe und Tod der Einzelmenschen.<br />

Mit großem Geschick und in entsagungsreicher Kleinarbeit sind von A. Brinkmann für Badenhause!l<br />

a. Harz alle diese schriftlichen Ober lieferungen sorgfältig durchgearbeitet und in ansprechender<br />

Weise dargestellt. Nicht nur für die Ortsbewohner ist das Büchlein wichtig,<br />

sondern alle die für Aufstellung einer genauen Ahnentufel interessierten Familienforseher<br />

können hier an einem guten Beispiel lernen, was sie zu berüchichtigen haben, wenn sie eine<br />

wirkliche Vollständigkeit erstreben und ihre Ahnen als Bauern in einem Dorfe gesessen haben.<br />

Es ist sehr zu wünschen, daß diese im Selbstverlage erschienene Schrift viele Leser findet.<br />

O. Hahne.<br />

J. 11. Mitgau, Das Denkmal. Lebensbilder der Ahnen, 2. Teil; Zweihundert<br />

Ja h r e B rau n s c h w e i g. Als Handschrift vervielfältigt, Hlbln. (Durch Verfasser<br />

erhältlich): 1. lIalbband Cottbus-Schmellwitz 1941, 234 Seiten 40, 7 Tafeln, 13 Abbildungen.<br />

5,- RM.; 2. Hulbband 150 Seiten, 3 Tafeln und 7 Abb. 4,- RM.<br />

Der erste Halbband umfaßt das 19. Jahrhundert: die drei Lebensbilder des Justizamtmannes<br />

Ludwig Mitgau zu Gandersheim, 1791-1874, seines Sohnes Hermann Mitgllu,<br />

1825-1873, des früh verstorbenen begabten braunschweigischen Architekten und fleißigen Palaeontologen,<br />

und des Enkels Hichard Mitgau, 1862-1915, unter dessen erfolgreicher Leitung<br />

das Gewerbeaufsichtsamt des braunschweigischen Staates ausgebaut wurde. Familienbriefe,<br />

Tagebuchblätter und andere Aufzeichnungen der Zeit, die dem Verfasser zahlreich zur \' erfügung<br />

standen, auch Abbildungen, geben zugleich ein anschauliches Bild vom Leben in den<br />

Städten Gandersheim und Braunschweig des vergangenen Jahrhunderts, in den eng unter sich<br />

versippten alten braunschweigisehen Amtmanns- und Akademikedamilien, wie den B r e y man n,<br />

Büttner (DGB 89), Dammeyer, Heusinger, Hoffmann (Hoffmann von Fallersleben),<br />

Langenstrassen (DGB 109), Pagendarm, Pini, Schütze (DGB 11), Uhde u. a. Die<br />

Mitgau (s. Dtsch. Geschlechterbuch 89) selbst (vornehmlich Juristen und Pfarrer) sind, wie eine<br />

einleitende Dbersicht mitteilt, seit 500 Jahren im ostfälischen nördlichen Harzvorland lückenlos<br />

nachweisbar.<br />

Der zweite Halbband, dus 18. Jahrhundert umfassend, bringt die Lebensbilder des<br />

Seesener Stadtpfarrers Ern s t Mit gau (1763-1838), der in erster Ehe mit einer Schwester<br />

des bekannten Romanschriftstellers der Goethezeit Aug. Heinr. Lafontaine verheiratet war, und<br />

des Vaters: Georg Ludwig Mitgau (1725-1768), Fürst!. Braunschw. Landeskommissars<br />

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und ersten Bürgermeisters von Schöningen. Er verfaßte 35 Stadt- und Dorfbesehreibungen für<br />

die unter Herzog Karl I. von Braunschweig angeordnete bedeutsame Landesaufnahme. Georg<br />

Ludwig Mitgau war der einzig überlebende Sohn des aus Quedlinburg stammenden Pastors<br />

und evangeli~chen Priors im Kloster I\larienthal bei Hclmstedt: J 0 h a n n Röt ger Mit gau<br />

(1691-1751), dessen Lebensbild einen Einblick in die späten Schicksale des mit einer Schule<br />

für zukünftige Geistliche verbundenen ehemaligen Zisterzienserklosters gewährt.<br />

M. Burchard, Die K 0 p fs t e u erb e s c h r e i b u n g der Für s t e n t ü m e r C ale n b erg -<br />

Göttingen und Grubenhagen von 1689. In: Studien zur Volkskörperforschung<br />

Niedersachsens, <strong>Bd</strong>. 2, Verlag M. u. H. Sehaper, Hannover, Teil I (1940) und<br />

Teil II (1941).<br />

In zwei Teilen liegt nunmehr die Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer Cal(.'llberg­<br />

Göttingen und Grubenhagen von 1689 vor, die als jüngste, freilich auch umfassendste der<br />

Kopfsteuerlisten des 17. Jahrhunderts aus den Beständen des Staatsarchivs Hannoyer zur Veröffentlichung<br />

ausgewählt wurde. Vorderhand werden dargeboten die Ämter Calenberg, Wittenburg,<br />

Koldingen, die Braunschweiger Gohe (Döhren, Laatzen, Wülfel), die Städte Eldagsen,<br />

Pattensen, die adligen Gerichte Bredenbeck, Rössing, Bemerode und die Klöster Barsinghauscn,<br />

Wennigsen, Wülfinghauscn, Marienrode in einem ersten Heft, dem im zweiten die Stadt Hannover<br />

mit Altstadt, Neustadt und der Fürstlichen Kanzlei folgt (mit einer Karte von Hannover<br />

von 1689 und einem Erläuterungsheft im Anbang).<br />

Ungemein reichhaltig ist das Material im Umfang - bis auf einen kleinen Teil der im<br />

Kriegsdienste Stehenden, des Adels und der Pas tore, Organisten, Küster und Schulmeister als<br />

Angehörige der "Clerisey" ist die gesamte Bevölkcr'ung nahezu vollständig erfaßt -, gleich ertragreich<br />

wird seine Auswertung sein können. Nächsten Nutzen erzielt die Familienforschung,<br />

bevölkerungsstatistische, wirtschafts- und sozialhistorische Fragen geben mancherlei Aufschluß<br />

über die Struktur von Stadt und Land; und die Auf teilung der Hofstellen im Laufe der Zeiten<br />

in Vollmeier, Halbmeier, oder Großkötner, Kötner, Halbkötner usw., die anderen Orts noch<br />

zahlreicher und üppiger wucherte, zeigt neben einer Bewirtschaftsintensivierung deB Bodens zugleich<br />

eine Abstiegswanderung der bäuerlichen Hofgrößen, die mit der Anbauerentwicklung des<br />

19. Jahrhunderts und dem Neusiedlerturn jüngster Vergangenheit einem bedenklichen Zustande<br />

nahekam und uns in einer kommenden Aufbauzeit noeh mancherlei Aufgaben stelle,n könnte.<br />

Th. Meyer, W. I-Iartmann, besonders J. Studtmann und am ehesten 1\1. ßurchard gt"!.ührt<br />

das Verdienst an dieser Veröffentlichung. Die Fiirderung des Rassenpolitisehen Amtes der<br />

NSDAP., Gauleitung Südhannover-Braunschweig bewahrt in dankenswerter 'Weise das Unternehmen<br />

bis zu seiner Beendigung vor der Gefahr finanzieller Schwierigkeiten. Fritz Timme.<br />

K. Jordan, D i c· Ur k und e n I-I ein r ich s des L ö w c n, Her zog B von S ach sen und<br />

B 8 Y ern. Monumenta Gcrmaniae Historiea,' C 3: Laicnfürsten- und Dynastenurkunden<br />

der Kaiserzeit I, 1. Verlag K. W. Hiersemann, Leipzig. 1. Stück, Texte.<br />

Mit großem Interesse wird der Leserkreis des ßraunschweigischen <strong>Jahrbuch</strong>es davon Kenntnis<br />

nehmen, wenn damit auch vorwiegend der wissenschaftlichen Forschung gedient wird,<br />

daß sämtliche Urkunden Heinrichs des Löwen, als Objektivnotiz und Akt in der Form der<br />

Eml'fängerbeurkundung bis zu den bedeutsamen Ausstellerurkunden, in einer Sondersammlunlll<br />

veröffentlicht wurden. Sie beginnt mit einer Schenkung Gertruds und ihres Sohnes Heinrich an<br />

das Kloster Fredelsloh vom Mai 1142 und endet wiederum mit Schenkungen Heinrichs von<br />

einer Hufe in Neuenland mit Zehnt und Vogtei an· das Domkapitel zu Bremen und zehn Hufen<br />

in Brunstorp an das Stift zu Einbeck, deren beider Datierungen ungewiß sind, freilich in die<br />

letzte Lebenszeit des Herzogs gehören. Mit 132 Vrkunden wird die gesamte Lebensarbeit des<br />

Herzogs Heinrich in diesem Bande uns Heutigen beleuchtet. Dem vollständigen \Verke wird nach<br />

dem Abschluß ein Register und eine Einleitung, dazu ein Tafelwerk der erhaltenen Originale<br />

hinzugefügt werden. In der Sorgfalt der kritischen Bearbeitung wie in der Zusammenstellung<br />

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aller Urkunden Heinrichs des Löwcn in eincr solchen Gesamtausgahe liegt ein Gewinn, der der<br />

Forschung in Zukunft reichlich dicnen wird und unsere Kenntnisse über die Leistungen und<br />

das LebeIl dieses !\Iannes vielleicht bald vertiden kann.<br />

Die Durchführung dieser Edition lag in den Händen K. Jordans, dem wir bereits die ertragreichen<br />

Arbeiten übcr Heinrich den Löwen verdanken, wie Die Bistumsgründungen Heinrichs<br />

des Löwen, Lntcrsuchungen zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation (Schriften des Reichsinslitut3<br />

für ältere deutsche Geschichtskundc 3, 1939), Studicn zur Klosterpolilik Heinrichs des<br />

Löwen (Archiv fü; Crkundenforschung 17, 1941) und Das Testament Heinrichs des Löwen und<br />

andere Dictarnina auf seinen Namen (Schriften des Reichsinstituts 6, 1941), auf die hier zugleich<br />

hingewiesen werdcn darf. VOll der Historischen Kommission für Niedersachsen ging der Plan<br />

aus, eine kritische Sammlung von Urkunden und Rcgesten zur Geschichte Heinrichs des Löwen<br />

zu veranstalten, sie folgte damit einer Anregung A. Hofmeisters. W. Engels und besonders Edm.<br />

E. Stenge! brachten sie vom Heichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde als ersten Band<br />

der "Laicnfürsten- und Dyna.tenurkunden", einem eigenen Korpus der :\Ionumenta Germaniae<br />

Historica, heraus. Großzügige Förderung lich diesem Unternehmen der Heichsführer H Heinrich<br />

Himmler.<br />

Fr. Timme.<br />

11. 1\1. Elster, He i n ri e h der L ö we. Eine politioche Tragödie. Hoffmann und Campe Verlag,<br />

Hamberg, 1940.<br />

Der Yerfllsser hat es sich angelegen sein lassen, uns ein Bild' des Lebens des Herzogs Heinrich<br />

des Löwen vorzulegen. Dabei hat er sich bemüht, die Ergebnisse der Forschung weitgehend<br />

zu henutzen. Soweit die \Vissenschaft im streng3ten Sinne Pate stand bei seinen Darlegungen,<br />

ist auch manch Gutes zu verzeichnen, wie üherhaupt der chronologische Teil des Lebensabrisses<br />

des Herzogs durchaus tragbar erscheint. Freilich bleiben die Ausflüge in das Irrationale zur<br />

Deutung der politischen Haltung des Herzogs in seinem Konflikt mit dem Kaiser wie auch die<br />

Begründungsversuche, mit dem Ideengehalt der Gegenwart dem 12. Jahrhundert neue Einsichten<br />

abzugewinnen, abwegig. Die Polemik gegen die "exakte" Geschichtswissenschaft rennt zudem<br />

offene Tore ein, ist unsachlich und deshalb wenig anziehend. Durch die Betonung, nicht den<br />

Anspruch einer fachwissenschaftlichen Arbeit zu erheben, wie eingangs betont wird, erübrigt<br />

si.:h dieser Exkurs, wie sich zugleich die Rangeinordnung dieses Buches innerhalb der Literatur<br />

"'ber Heinrich den Löwen von selbst vollzieht.<br />

Fr. Timme.<br />

E. Hundertmark, S ta d t g e 0 g rap h i e von B rau n s c h w.e i g. Provinzial-Institut für Landesplanung,<br />

Landes- und Volkskunde von Niedersachsen an der Universität Göttingen,<br />

Reibe A, <strong>Bd</strong>. 9. Verlag G. Staling, Oldenburg, 1941.<br />

Die Arbeit lag der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen als Dissertation vor<br />

und entstammt dem Arbeitskreis von Prof. Dr. l\Iortensen. Sie erstrebt, Einblicke in die Wirtschaft,<br />

den Verkehr und den Bevölkerungsstand der Stadt Braunschweig und deren Verpflech­<br />

, tungen mit der engeren Lmgebung zu gewinnen. Nach einem kurzen Abriß der geschichtlichen<br />

Entwicklungen in den früheren Jahrhunderten wendet sich das Interesse besonders den Verhältnissen<br />

des 18. Jahrhunderts und der Neuzeit bis in die Gegenwart zu.<br />

Fraglos liegt für den Stand der stadtgeschichtlichen Forschung ßraunschweigs darin ein<br />

Gewinn, daß wesentlich die jüngere Zeit behandelt wird, insofern als das Interesse sonst<br />

überwiegend von der hohen Zeit im Hansebereich eingefangen wird. Die Ergebnisse zeigen, wie<br />

groß die Erträgnisse sein können, wenn einmal der Straßenverkehr, die Gütcrbeförderung auf<br />

dem Mittellandkanal, die Industrieverteilung in der Stadt oder der Einsatz der Erwerbstätigen<br />

in den Hauptgewerben von der Betrachtung erfllßt werden. Freilich scheinen die Fülle der Fachgebiete,<br />

von der Y olkswirtschllft und Geschichte bis hinüber zur Architektur und Kunstgeschichte,<br />

wie auch die Einbeziehung ZU großer Zeiträume mehr abtriigIich als günstig gewirkt zu hahen.<br />

Mit einer Verengung des zeitlichen und sachlichen Rahmens hätte die Untersuchung an Breite<br />

und Tiefe nur gewonnen. Die Wirtschaftsyerflechtung der Stadt im Nahverkehr durch die<br />

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Milch- und Marktversorgung hätte in weiteren Sparten verfolgt werden können, ohne ihnen in<br />

loserem Zusammenhang den Schuleinzugshereich zur Seite stellen zu müssen. Die beigefügte<br />

Karte über das Stilbild der Bürgerhäuser in der Stadt Braunschweig, das eine Problemstellung<br />

von eigenem Untersuchungswert darstellt, hier aber - wie manches andere - zu kurz<br />

behandelt wird, bedürfte mancher Korrekturen. Stndtgeographische Untersuchungen bevorzugen<br />

indes gern einen solchen großen Sektor der Betrachtung, ohne von dem Nutzen immer in<br />

gleicher Weise zu überzeugen. Der Verfasserin muß trotzdem zuerkannt werden, daß sie mit<br />

Fleiß und Gründlichkeit in ihren Darlegungen und Karten Einblicke in die Wirtschartsund<br />

Verkehrslage der Stadt Braunschweig vermittelt, die nicht ohne Wert sind und hoffentlich<br />

anregend auf künftige Untersuchungen in ähnlicher Richtung wirken.<br />

Fr. Timme.<br />

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