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Lernen vermitteln in Institutionen - Funktionen und Effekte

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Vorlesung „E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Bildungswissenschaft“ (Sommer 2013)<br />

Dr. Hans-Peter Gerstner / Markus Popp<br />

(05.06.2013)<br />

<strong>Lernen</strong> <strong>in</strong> <strong>Institutionen</strong><br />

• Begrüßung – Organisatorisches<br />

• Vortrag 1: Lerntheorien <strong>und</strong> ihre<br />

Auswirkungen auf die Lernsituation<br />

• Filmausschnitt: Manfred Spitzer (Gehirn –<br />

Denken - <strong>Lernen</strong>)<br />

• Arbeitsphase – Aussprache – Diskussion<br />

• Kurzvortrag 2: Kritik an Spitzer


Zahlen, Daten, E<strong>in</strong>schätzugen...<br />

• 2002: „1 <strong>in</strong> 5 of the globe‘s <strong>in</strong>habitants<br />

<strong>in</strong>scribed as a student <strong>in</strong> formal education“<br />

• UNESCO: Zahl der weltweit <strong>Lernen</strong>den:<br />

mehr als 1 Milliarde (Verdopplung seit 1970)<br />

• Lehrerschaft: ca. 54 Millionen<br />

(Faulstich-Wieland, Hannelore u.a., BA-Studium Erziehungswissenschaft. E<strong>in</strong><br />

Lehrbuch. Re<strong>in</strong>bek: 2006, S.160f.)


<strong>Funktionen</strong> (Talcot Parsons – 1902-1979)<br />

• Qualifikationsfunktion - Aneignung von<br />

Wissen – Aufbau von Kompetenzen<br />

• Integrationsfunktion<br />

• Allokationsfunktion (Selektion, Zuweisen<br />

gesellschaftlicher Positionen – Begründung<br />

gesellschaftlicher Ungleichheit)


Kritik der Lern<strong>in</strong>stitutionen<br />

• Hey teachers, leave us kids alone... All <strong>in</strong> all you‘re yust<br />

another brick <strong>in</strong> the wall. (P. Floyd – 1979)<br />

• „Die Diszipl<strong>in</strong>aranlagen des <strong>Lernen</strong>s – deren Prototyp die<br />

Schule ist, deren Zwangcharakter sich aber zum Beispiel <strong>in</strong><br />

»Maßnahmen« beruflicher Weiterbildung sogar noch potenziert<br />

– kontrollieren die <strong>Lernen</strong>den, <strong>in</strong>dem sie diese <strong>in</strong> Zeit <strong>und</strong><br />

Raum fixieren. E<strong>in</strong> Gleichlauf von Lernzeiten <strong>und</strong><br />

Lerngeschw<strong>in</strong>digkeiten wird vorgegeben, um Ordnungen durch<br />

Dressur zu erzw<strong>in</strong>gen; Schulungsräume <strong>und</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gszentren<br />

erzeugen Klausur <strong>und</strong> Isolation, <strong>in</strong>dem sie <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong><br />

Anwenden trennen; zwischen Unterrichtenden <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>den<br />

besteht e<strong>in</strong>e Hierarchie durch Vorwissen <strong>und</strong> Status; Noten<br />

bezwecken Selektion.“<br />

(Faulstich-Wieland, Hannelore u.a., BA-Studium Erziehungswissenschaft. E<strong>in</strong> Lehrbuch. Re<strong>in</strong>bek: 2006,<br />

S.163.)


Ambivalenz der Lern<strong>in</strong>stitutionen<br />

• Klausur/Isolation<br />

• Hierarchie <strong>und</strong> Unterordnung<br />

• Dressur <strong>und</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

• Meist zu knappe Lernzeiten<br />

• Gleichlauf der<br />

Lerngeschw<strong>in</strong>digkeiten<br />

• Selektion/Zertifikate zur<br />

Herstellung von<br />

Rangordnungen <strong>und</strong> Auslese<br />

• Kontrolle durch die Diszipl<strong>in</strong><br />

der Institution<br />

(Faulstich-Wieland, Hannelore u.a., BA-Studium<br />

Erziehungswissenschaft. E<strong>in</strong> Lehrbuch. Re<strong>in</strong>bek: 2006, S.168f.<br />

• Bedeutsamkeit der Lernthemen<br />

für die Lebens<strong>in</strong>teressen der<br />

<strong>Lernen</strong>den<br />

• Möglichkeiten kooperativen <strong>und</strong><br />

partizipativen <strong>Lernen</strong>s<br />

• Herstellung v. Zeitsouveränität<br />

• Zertifikate nicht als Kontrolle,<br />

sondern als Beleg für<br />

Lernfortschritte<br />

• Partizipation der <strong>Lernen</strong>den an<br />

Planung, Durchführung <strong>und</strong><br />

Auswertung v. Kursen <strong>und</strong><br />

Programmen


<strong>Lernen</strong> <strong>in</strong> der Schule - e<strong>in</strong><br />

vielfältiger Prozess...<br />

• Vokabeln <strong>in</strong> Französisch<br />

• Zusammenhänge zwischen zwei Variablen <strong>in</strong><br />

Mathematik<br />

• Beurteilungen ethischer Problemstellungen<br />

<strong>in</strong> Religion / Ethik<br />

• Handlungsabläufe <strong>in</strong> Sport / Bild. Kunst<br />

• Soziales Verhalten / Konfliktmanagement


Modelle des <strong>Lernen</strong>s - Relevanz im<br />

Kontext Schule<br />

• Klassisches Konditionieren<br />

• Operantes Konditionieren<br />

• Beobachtungslernen<br />

• Problemlösen<br />

• Kognitives <strong>Lernen</strong>


1.1 Klassisches Konditionieren<br />

•Watson (1920) („Little Albert“):<br />

Albert<br />

reagiert furchtlos <strong>und</strong> <strong>in</strong>teressiert auf<br />

weiße Ratte (NS)<br />

reagiert erschrocken <strong>und</strong> we<strong>in</strong>t (UR)<br />

bei plötzlichem, lauten Krach (US)<br />

Kopplung: Ratte + Krach<br />

Panik bei Anblick der Ratte (CR)<br />

(Generalisierung auf Pelzmäntel)<br />

bed<strong>in</strong>gte Furchtreaktion, die sehr löschungsresistent ist.


1.2 Klassisches Konditionieren<br />

•Bedeutung für den Schulalltag:<br />

Ke<strong>in</strong>e direkte Bee<strong>in</strong>flussung des Lernprozesses;<br />

Erklärungsmöglichkeit für viele motivationale <strong>und</strong><br />

affektive Reaktionen der Schüler:<br />

z.B.<br />

• dauerhaftes Bloßstellen des Schülers durch Physiklehrer im Physiksaal<br />

Angstreaktion des Schülers<br />

Später Angstreaktion des Schülers auch bei anderen<br />

Lehrkräften, wenn der Schüler den Physiksaal betritt,


2.1 Operantes Konditionieren<br />

• Thorndike (1874-1949) / Sk<strong>in</strong>ner (1904-1990)<br />

E<strong>in</strong>wirkung:<br />

Verstärkung<br />

• Belohnung/<br />

• Wegfall von<br />

Unangenehmem<br />

Konditioniertes<br />

Handeln<br />

Ignorieren /<br />

Bestrafung<br />

Löschung


2.2. Operantes Konditionieren<br />

Bedeutung für die Schule:<br />

1. Positive Verstärkung (z.B. gute Noten)<br />

2. Negative Verstärkung<br />

(z.B: Wegfall e<strong>in</strong>er Hausaufgabe bei guter<br />

Unterrichtsbeteiligung)<br />

3. Löschung durch Ignorieren<br />

(z.B. leichte Unterrichtsstörung)<br />

4. Löschung durch Bestrafung (z.B. schlechte Noten)


3.1 Beobachtungslernen /<br />

Latentes <strong>Lernen</strong><br />

• Bandura (1965):<br />

<strong>Lernen</strong>, bei dem e<strong>in</strong> Modell beobachtet <strong>und</strong><br />

nachgeahmt wird:<br />

v.a. beim <strong>Lernen</strong> von Sozialverhalten,<br />

Handlungs- <strong>und</strong> Bewegungsabläufen.


3.2. Beobachtungslernen /<br />

Latentes <strong>Lernen</strong><br />

Voraussetzungen für erfolgreiches<br />

Beobachtungslernen:<br />

• positive Bewertung der Modellperson<br />

• Verhalten muss deutlich se<strong>in</strong>, darf aber nicht<br />

übertrieben wirken<br />

• Erfolg des Modellverhaltens<br />

• cop<strong>in</strong>g model, nicht master model


3.3. Beobachtungslernen /<br />

Latentes <strong>Lernen</strong><br />

• Bedeutung für die Schule<br />

<br />

<br />

<br />

Übernahme von sozialen<br />

Verhaltensweisen (z.B. grüßen; danken)<br />

Sportunterricht<br />

Bildende Kunst / Musik<br />

Vgl. Bedeutung der Lehrerpersönlichkeit für den erfolgreichen Unterricht


4. Problemlösen<br />

IST-ZUSTAND<br />

Lösungsweg bekannt = Aufgabe<br />

Ausprobieren <strong>und</strong><br />

Sackgassen bei<br />

Problemlösung<br />

Lösungsweg unbekannt = Problem<br />

schlecht/ gut def<strong>in</strong>iert<br />

SOLLZUSTAND


5.1 Kognitiver Wissenserwerb:<br />

H. Ebb<strong>in</strong>ghaus – Vergessenskurve<br />

Theorie des Spurenverfalls 1885:<br />

Hermann Ebb<strong>in</strong>ghaus<br />

(1850-1909)


H. Ebb<strong>in</strong>ghaus - Vergessenskurve<br />

Repetitio est mater studiorum !!!


5.2 Kognitiver Wissenserwerb:Drei-<br />

Speicher-Modell – populäre Fehlvorstellung<br />

(vgl. Atk<strong>in</strong>son / Shiffr<strong>in</strong> 1968)


Nervenzelle<br />

(Neuron)


5.2 Kognitiver Wissenserwerb:<br />

Drei-Speicher-Modell (Atk<strong>in</strong>son / Shiffr<strong>in</strong> 1968)


5.3 Kognitiver Wissenserwerb:<br />

Manfred Spitzer<br />

Jahrgang 1958<br />

1990 bis 1997<br />

Oberarzt an der Psychiatrischen<br />

Universitätskl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Heidelberg<br />

Seit 1997:<br />

Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie<br />

Universität Ulm<br />

Seit 1998:<br />

Leiter der Psychiatrischen<br />

Universitätskl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Ulm<br />

Seit 2004:<br />

Leiter des Transferzentrums für<br />

Neurowissenschaften <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> (ZNL) -<br />

Neurodidaktik


Manfred Spitzer: <strong>Lernen</strong>.<br />

Gehirnforschung <strong>und</strong> die Schule des<br />

Lebens (2009 = 2002)


5.3 Spitzer 1996/2002 (=2009):<br />

• Gedächtnis = „komplexes neuronales Netz“<br />

• Sensorisches Register, Arbeits- <strong>und</strong><br />

Langzeitgedächtnis als Zustandsformen der<br />

Information <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umfassenden<br />

Gesamtspeicher. („ke<strong>in</strong>e Behälter“ / „ke<strong>in</strong>e<br />

Entleerung“)


5.3 <strong>Lernen</strong> konstruktivistisch<br />

Das Gehirn bildet se<strong>in</strong>e eigenen Strukturen<br />

dadurch,<br />

dass es Strukturen verarbeitet, <strong>und</strong><br />

durch die Verarbeitung sich selber<br />

strukturiert.<br />

<strong>Lernen</strong> = „Konstruktion von Wissen“


Arbeitsfragen<br />

• Benennen Sie die Faktoren, die lt. Spitzer<br />

nachhaltiges <strong>Lernen</strong> <strong>in</strong> der Schule<br />

ermöglichen bzw. dieses bee<strong>in</strong>trächtigen.<br />

• Beurteilen Sie se<strong>in</strong>e Schlussfolgerungen<br />

daraus.


6. <strong>Lernen</strong> <strong>in</strong> der Schule<br />

Das Gehirn lernt immer.<br />

Unter Angst lernt man die Angst gleich mit.<br />

Auf e<strong>in</strong>e gute L-S-Beziehung kommt es an.<br />

( vgl. J. Bauer<br />

Auf Strukturen, die an Beispielen verdeutlicht<br />

werden, nicht auf E<strong>in</strong>zelheiten kommt es an.<br />

Auf die aktive Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Inhalten<br />

kommt es an.<br />

Auf Wiederholen <strong>und</strong> Üben kommt es an.


Kritik an Spitzer: Elsbeth Stern<br />

• Die Hirnforschung hat noch ke<strong>in</strong>e Ergebnisse hervorgebracht,<br />

„die uns zw<strong>in</strong>gen, Erkenntnisse der Unterrichtsforschung<br />

anders zu sehen.“ (2004)<br />

• „Auch wenn es e<strong>in</strong>es Tages gelänge, alle<strong>in</strong> aus den<br />

neurophysiologischen Vorgängen im Gehirn auf die geistigen<br />

Aktivitäten e<strong>in</strong>er Person zu schließen, wenn wir also<br />

beispielsweise aus dem, was ihre Nervenzellen tun, ablesen<br />

könnten, dass sie sich gerade an der Rechenaufgabe<br />

"728 : 7 =" versucht, könnten Lehrer aus e<strong>in</strong>em solchen<br />

Ergebnis alle<strong>in</strong> noch nichts darüber lernen, wie sie <strong>in</strong> ihrer<br />

Klasse die Gr<strong>und</strong>rechenarten unterrichten sollten. Selbst die<br />

e<strong>in</strong>fachsten Lernvorgänge lassen sich nicht alle<strong>in</strong> auf<br />

Hirnvorgänge reduzieren. Dies gilt um so mehr für schulisches<br />

<strong>Lernen</strong>, bei dem es um komplexes Wissen geht, das sich erst<br />

im kulturellen Kontext entwickelt hat.“ (2006)


7. Literatur<br />

‣ Mietzel, Gerd (2007 8 ), Pädagogische Psychologie des <strong>Lernen</strong>s <strong>und</strong> Lehrens.<br />

Gött<strong>in</strong>gen u.a.: Hofgrefe, S. 33-52 <strong>und</strong> 201-273.<br />

‣ Spitzer, Manfred, <strong>Lernen</strong>: Gehirnforschung <strong>und</strong> die Schule des Lebens,<br />

Heidelberg u.a: 2009 (=2002).<br />

‣ Wer macht die Schule klug? Streitgespräch mit M. Spitzer <strong>und</strong> Elsbeth Stern,<br />

<strong>in</strong>: Die Zeit, Nr. 28 vom 1. Juli 2004<br />

‣ Blakemore, Sarah-Jayne / Frith, Uta: Wie wir lernen: Was die Hirnforschung<br />

darüber weiß. München: 2006 (Vorwort v. E. Stern)<br />

‣ Bauer, Joachim, Pr<strong>in</strong>zip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus<br />

kooperieren. Hamburg: 2006<br />

‣ Ders. Lob der Schule – Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer <strong>und</strong> Eltern.<br />

Hamburg: 2007

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