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merk.würdig<br />
Asylgerichtshof revisited<br />
Ronald Frühwirth<br />
1. Einleitung<br />
Vor einem Jahr wurde an dieser Stelle<br />
die Einrichtung des AsylGH und dessen<br />
Konzeption kritisch beäugt (Frühwirth,<br />
Der Asylgerichtshof, das Zwitterwesen,<br />
<strong>juridikum</strong> 2008, 59. Nun ist es also Zeit,<br />
einen Blick auf die Arbeit des AsylGH<br />
und die Auswirkungen dessen Einführung<br />
auf das österreichische Asylwesen<br />
zu werfen.<br />
Der AsylGH ist geschäftsverteilungsmäßig<br />
in sechs Kammern mit je eigenem<br />
Zuständigkeitsbereich gegliedert. Abgesehen<br />
von der für Sonderverfahren (Dublin-<br />
und Flughafenverfahren) zuständigen<br />
Abteilung „S“ sind die Kammern<br />
nach Regionen gegliedert. Innerhalb<br />
dieser Kammern werden wiederum die<br />
einzelnen Herkunftsstaaten einer Region<br />
auf die jeweiligen 2-RichterInnen-<br />
Senate aufgeteilt, sodass jeder Senat<br />
für die Bearbeitung von Beschwerden<br />
von Personen aus ca drei bis fünf Herkunftsstaaten<br />
sachlich zuständig ist.<br />
Man könnte meinen, dass diese Spezialisierung<br />
zu einer Steigerung der Qualität<br />
der Entscheidungen führen hätte müssen.<br />
Tatsächlich zeichnen sich mE zwei<br />
Trends ab:<br />
– Die Anerkennungsrate beim AsylGH<br />
befindet sich in rasanter Talfahrt.<br />
– Die vollzogene Ausschaltung der<br />
Überprüfungsmöglichkeit des VwGH<br />
führt zum Bestreben, Einflüsse von<br />
außen möglichst hintanzuhalten.<br />
2. Anerkennungsrate<br />
Der Analyse im vom UNHCR erstellten<br />
Asyl-Barometer zufolge nimmt die<br />
Chance auf Asyl derzeit in Österreich signifikant<br />
ab. Die Anerkennungsrate sank<br />
insgesamt von 43,9 % im Jahr 2007 auf<br />
31,2 % im Jahr 2008; beim UBAS/Asyl-<br />
GH im selben Zeitraum von 40,0 % auf<br />
19,8 %. Besonders markant zeigt sich<br />
dieser Abwärtstrend bei Asylsuchenden<br />
aus Tschetschenien, denen im Jahr<br />
2008 lediglich in 46,9 % der Fälle im<br />
Gegensatz zu 82,9 % im Jahr 2007 Asyl<br />
gewährt wurde. (http://www.unhcr.at/<br />
aktuell/einzelansicht/article/2/asyl-ba-<br />
rometer-asyl-in-zweiter-instanz-2008-<br />
halbiert.html)<br />
Bis vor kurzem bildeten Entscheidungen<br />
des UBAS, die mit einer gänzlichen<br />
Abweisung von Anträgen von<br />
Personen tschetschenischer Herkunft<br />
endeten (und damit auch eine Ausweisung<br />
in die Russische Föderation für<br />
zulässig erachteten) die Ausnahme. Nun<br />
finden sich vereinzelt Entscheidungen,<br />
in denen eine Abschiebung in die Russische<br />
Föderation als zumutbar erachtet<br />
wird (siehe etwa AsylGH 28.8.2008, A2<br />
309.172-3/2008/12E).<br />
Auffallend erscheint auch eine weitere<br />
Entwicklung zu sein, die bisher<br />
weniger öffentliches Aufsehen erregte.<br />
Während es zuletzt beim UBAS zu<br />
einer merkbaren Steigerung der Anerkennungsrate<br />
von türkischen Staatsangehörigen<br />
(und dabei insbesondere<br />
kurdischer Herkunft) kam, scheinen nun<br />
bei einer Suchabfrage im RIS betreffend<br />
Türkei vier Entscheidungen eines Senates<br />
der nunmehr zuständigen Kammer<br />
„E“ auf, die mit Asylgewährung<br />
endeten. Die Ergründung der dafür maßgeblichen<br />
Umstände führt zum zweiten<br />
Kritikpunkt hinsichtlich der Qualität der<br />
Erledigungen.<br />
3. Qualität<br />
Angesichts des Wegfalls der Überprüfungsmöglichkeit<br />
asyl<strong>recht</strong>licher<br />
Entscheidungen durch den VwGH<br />
und im Hinblick auf den äußerst eingeschränkten<br />
Prüfungsrahmen des VfGH<br />
ist der AsylGH in der Lage, in nahezu<br />
jede beliebige Richtung zu entscheiden,<br />
solange dies nur ausreichend gut<br />
begründet ist. Der Grad zur Willkür im<br />
verfassungs<strong>recht</strong>lichen Sinne ist dabei<br />
schmal. Zur Anschauung dient die Rsp<br />
zum Herkunftsstaat Türkei: Während<br />
bis zur Einrichtung des AsylGH die Senatsmitglieder<br />
des UBAS in der Regel<br />
die Expertise landeskundlicher Sachverständiger<br />
in Anspruch nahmen und so<br />
auf Sachverständigenebene klärten, ob<br />
Asylwerbende durch ihre Wehrdienstverweigerung<br />
oder ihre regimekritischen<br />
Tätigkeiten in der Türkei oder in Österreich<br />
der Gefahr asylrelevanter Verfolgung<br />
in der Türkei ausgesetzt wären (für<br />
viele etwa UBAS 28.11.2007, 201.590-<br />
2/6E-II/04/07), ist die nunmehr zuständige<br />
Kammer des AsylGH offenbar<br />
geschlossen der Ansicht, dass derartige<br />
Aktivitäten nicht asylrelevant sind. Nun<br />
kann man selbstverständlich andere Herkunftsländerberichte<br />
zur Grundlage von<br />
Entscheidungen machen oder die Ansicht<br />
vertreten, die ergangenen Gutachten von<br />
Sachverständigen wären nicht schlüssig.<br />
Eine derart signifikante Änderung der<br />
Rsp müsste aber ausreichend nachvollziehbar<br />
begründet werden, um nicht als<br />
willkürlich betrachtet zu werden. Tatsächlich<br />
sieht sich – nach Kenntnis des<br />
Autors – bis dato keiner der zuständigen<br />
Senate veranlasst, angesichts grundlegender<br />
Divergenzen zwischen den Feststellungen<br />
in Sachverständigengutachten,<br />
die noch bis vor kurzem in Verfahren<br />
beim UBAS ergangen sind und den nunmehrigen<br />
aus allgemein zugänglichen<br />
Herkunftsländerberichten gezogenen<br />
Schlüssen, Gutachten von landeskundlichen<br />
Sachverständigen in Auftrag zu<br />
geben. Vielmehr gipfeln dahingehende<br />
Anträge von Asylwerbenden in der Feststellung,<br />
es würde sich dabei um unzulässige<br />
Erkundungsbeweise (!) handeln<br />
(für viele etwa AsylGH 2.9.2008, E12<br />
317.873-1/2008-8E).<br />
Es ist die Art und Weise wie ein Judikaturwandel<br />
vollzogen wird, die<br />
sauer aufstößt. Der AsylGH verkennt<br />
vielfach, dass seine Stellung als Quasi-<br />
Höchstgericht in Asylsachen nicht dazu<br />
führt, über Begehren „drüberfahren“ zu<br />
können. Die (faktische) Möglichkeit der<br />
Ablehnung von Beschwerden kommt<br />
dem AsylGH nicht zu, er ist verhalten,<br />
sich ausführlich mit Beweisanträgen<br />
und Vorbringen auseinander zusetzen.<br />
Der AsylGH ist offenbar nach Ausschaltung<br />
des VwGH bestrebt, sich möglichst<br />
keiner Einmischung von außen auszusetzen.<br />
Nur so scheint auch erklärbar,<br />
warum es keiner der ca 40 Senate bis<br />
dato für notwendig erachtete, den Kammersenat<br />
mit einer Grundsatzentscheidung<br />
zu befassen. Weder durchaus vorhandene<br />
Fragen im Zusammenhang mit<br />
dem Zulassungsverfahren noch andere<br />
Auslegungsfragen (zB Gewährung von<br />
Verfahrenshilfe im asylgerichtlichen<br />
Verfahren; AsylGH 21.10.2008, A13<br />
402.019-1/2008/2E) haben bisher zu<br />
einer Anrufung eines Kammersenates<br />
(und damit des VwGH) geführt. Dies<br />
alles würde nur Zeit kosten und auch<br />
dem VwGH wieder eine (wohl nicht gewollte)<br />
Mitsprache ermöglichen. Und<br />
damit die BMI nicht auf die Idee kommt,<br />
eine Grundsatzentscheidung zu beantragen,<br />
sinkt die Anerkennungsrate beim<br />
AsylGH gleich massiv.<br />
<strong>juridikum</strong> 2009 / 2 Seite 59