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Weibliche Genitalverstümmelung in Sierra Leone - Deutsche ...

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Länderbereich Afrika - Westafrika II, Angola und Afrika überregional<br />

Länder faCt-sHeet<br />

ÜBERWINDUNG DER WEIBLICHEN GENITALVERSTÜMMELUNG<br />

<strong>Weibliche</strong> <strong>Genitalverstümmelung</strong> <strong>in</strong> <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong><br />

L ä n d e r i n f o r m a t i o n <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> liegt an der Küste<br />

Westafrikas. Von 1991 bis 2002 herrschte <strong>in</strong> <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> e<strong>in</strong> Bürgerkrieg,<br />

dessen Folgen bis heute spürbar s<strong>in</strong>d. Die größten der 18<br />

ethnischen Gruppen s<strong>in</strong>d die Mende und Temne (jeweils 30 Prozent).<br />

Nicht orig<strong>in</strong>är aus der Region stammen die Krio, Nachfahren<br />

afrikanischer Sklav<strong>in</strong>nen und Sklaven, die rund zehn Prozent<br />

der Bevölkerung ausmachen.<br />

sierra <strong>Leone</strong>:<br />

E<strong>in</strong>wohnerzahl: 6 Millionen<br />

Bevölkerungswachstum: 3,2 %<br />

Religionszugehörigkeit: 70 % Muslime, 20 % Christen,<br />

10 % traditionelle Religionen<br />

Alphabetisierungsrate: Frauen 27 %, Männer 50 %<br />

Anteil an Frauen zwischen 20-24 Jahren, die vor ihrem<br />

18. Geburtstag verheiratet waren: 48 %<br />

Müttersterblichkeit: 9,7 %<br />

V e r b r e i t u n g d e r g e n i t a L V e r s t ü m m e L u n g Die<br />

weibliche <strong>Genitalverstümmelung</strong> (engl. Female Genital Mutilation,<br />

FGM) umfasst alle Praktiken, bei denen die äußeren Geschlechtsorgane<br />

e<strong>in</strong>es Mädchens oder e<strong>in</strong>er Frau ohne mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Grund teilweise oder vollständig entfernt oder verletzt<br />

werden. Je nach Schweregrad klassifiziert die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) vier Typen.<br />

In <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> s<strong>in</strong>d nach dem Demographic and Health Survey<br />

(DHS) von 2008, der Erhebung zum Gesundheitszustand der<br />

Bevölkerung, landesweit 91 Prozent der Frauen zwischen 15 und<br />

49 Jahren beschnitten. Fast alle Ethnien praktizieren FGM, mit<br />

Ausnahme der Krio. So s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Western Region, <strong>in</strong> der die<br />

meisten Krio leben, denn auch mit 80 Prozent deutlich weniger<br />

Frauen betroffen als <strong>in</strong> den anderen Landesteilen. Am höchsten ist<br />

die Prävalenz mit 97 Prozent <strong>in</strong> der Northern Region.<br />

Jüngere Frauen s<strong>in</strong>d seltener von FGM betroffen als ältere: unter<br />

den 15 bis 19-Jährigen s<strong>in</strong>d 76 Prozent beschnitten, bei den 20 bis<br />

24-Jährigen 89 Prozent, bei allen Älteren jedoch m<strong>in</strong>destens 95<br />

Prozent. Für die Töchtergeneration bedeutet dies allerd<strong>in</strong>gs nicht,<br />

dass vielen FGM erspart bleibt. Nur neun Prozent der Frauen, die<br />

m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Tochter haben, sprechen sich explizit gegen die<br />

Durchführung der Praktik aus. Dagegen haben 33 Prozent der<br />

befragten Frauen bereits e<strong>in</strong>e beschnittene Tochter und weitere<br />

52 Prozent haben die Absicht, ihre Tochter beschneiden zu lassen.<br />

Damit muss bei den Töchtern mit e<strong>in</strong>er Prävalenz von 85 Prozent<br />

gerechnet werden. Die meisten Frauen erleiden e<strong>in</strong>e Exzision (Typ<br />

II nach WHO-Klassifikation), bei der Klitoris und kle<strong>in</strong>e Schamlippen<br />

teilweise oder vollständig entfernt werden. Drei Prozent<br />

berichten, <strong>in</strong>fibuliert worden zu se<strong>in</strong> (Typ III nach WHO, Verengung<br />

der Vag<strong>in</strong>a mit (teilweiser) Entfernung der kle<strong>in</strong>en/großen<br />

Schamlippen und/oder der Klitoris).<br />

Charakteristisch für <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> s<strong>in</strong>d Männer- und Frauengeheimbünde,<br />

wobei FGM als erste Stufe der Initiation <strong>in</strong> den<br />

Geheimbund der Frauen, die Bundo Society, durchgeführt wird<br />

und damit Bestandteil e<strong>in</strong>es Übergangsrituals von der K<strong>in</strong>dheit<br />

zum Frau-Se<strong>in</strong> ist. Nahezu alle <strong>Genitalverstümmelung</strong>en werden<br />

daher von traditionellen Beschneider<strong>in</strong>nen durchgeführt. Die Initiation,<br />

die <strong>in</strong> der Vergangenheit meist mehrere Monate dauerte,<br />

ist heute oft nach 1 bis 2 Wochen beendet. Die Vermittlung traditionellen<br />

Wissens f<strong>in</strong>det kaum noch statt, sodass Kritiker und<br />

Kritiker<strong>in</strong>nen anmahnen, die Initiation sei zu e<strong>in</strong>em Schnitt ohne<br />

Ritual geworden. So s<strong>in</strong>kt auch das Beschneidungsalter: Während<br />

<strong>in</strong> der Müttergeneration noch 55 Prozent bei ihrer Beschneidung<br />

10 Jahre oder älter waren, s<strong>in</strong>d es bei den Töchtern nur noch 34<br />

Prozent. An e<strong>in</strong>em höheren Alter halten <strong>in</strong> <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> besonders<br />

die Mende fest: 54 Prozent s<strong>in</strong>d hier <strong>in</strong> der Töchtergeneration bei<br />

ihrer Beschneidung 10 Jahre oder älter, 18 Prozent älter als 15<br />

Jahre. FGM wird bis heute <strong>in</strong> <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> von e<strong>in</strong>em Großteil der<br />

Bevölkerung befürwortet. Nur 26 Prozent der im DHS befragten<br />

Frauen und 40 Prozent der Männer sprechen sich für ihre Beendigung<br />

aus. Wichtigstes Argument ist die soziale Akzeptanz durch<br />

die E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Geheimbünde.


a n s ä t z e <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> hat mehrere <strong>in</strong>ternationale Konventionen<br />

ratifiziert, die FGM verurteilen. Hierzu zählen das Übere<strong>in</strong>kommen<br />

zur Beseitigung jeder Form von Diskrim<strong>in</strong>ierung der<br />

Frau (CEDAW) und das Übere<strong>in</strong>kommen über die Rechte des<br />

K<strong>in</strong>des (CRC). Die Afrikanische Charta über die Rechte und den<br />

Schutz des K<strong>in</strong>des sowie das Protokoll für die Rechte von Frauen<br />

<strong>in</strong> Afrika (Maputo-Protokoll), e<strong>in</strong> Zusatzprotokoll zur Afrikanischen<br />

Menschenrechtscharta, wurden zwar unterzeichnet, aber<br />

bislang nicht ratifiziert.<br />

2007 musste im „<strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> Child Rights Act“ e<strong>in</strong> expliziter<br />

Passus zum Schutz vor FGM aufgrund massiven Widerstands aus<br />

der Endversion entfernt werden.<br />

Seit Ende des Bürgerkriegs 2002 setzen sich <strong>in</strong> <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> u.a.<br />

UNICEF und Plan International als zentrale <strong>in</strong>ternationale Akteure<br />

gegen FGM e<strong>in</strong>. Zudem haben sich e<strong>in</strong>ige Nichtregierungsorganisationen<br />

(NROs) gegründet, darunter die „Amazonian<br />

Initiative Movement“, die im Port Loko District im Nordwesten<br />

arbeitet. Oft mangelt es den NROs an f<strong>in</strong>anziellen Mitteln. Koord<strong>in</strong>ation<br />

und Vernetzung untere<strong>in</strong>ander s<strong>in</strong>d unzureichend. Erschwerend<br />

kommen der fehlende politische Rückhalt, vor allem<br />

jedoch der aktive Widerstand durch die Geheimbünde h<strong>in</strong>zu.<br />

Verbale E<strong>in</strong>schüchterungsversuche, offene Drohungen, körperliche<br />

Übergriffe gegenüber all jenen, die es wagen, das FGM umgebende<br />

Tabu zu brechen, s<strong>in</strong>d nicht selten.<br />

Die mit dem Bürgerkrieg entstandenen enormen Herausforderungen<br />

für das Land wie auch die breite soziale Anerkennung der<br />

Praktik werden häufig als Argumente gegen e<strong>in</strong> Engagement zu<br />

FGM angeführt. Dem gegenüber stehen jedoch Gründe, die für<br />

e<strong>in</strong> solches Engagement sprechen: So haben bspw. die <strong>in</strong> <strong>Sierra</strong><br />

<strong>Leone</strong> mit FGM verbundenen sehr kostspieligen Zeremonien direkte<br />

Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation von Familien<br />

und Geme<strong>in</strong>schaften.<br />

Die GTZ, heute GIZ, führt seit 1999 im Auftrag des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

(BMZ) das Projekt „Überw<strong>in</strong>dung der weiblichen <strong>Genitalverstümmelung</strong>“<br />

durch. In <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> berät das FGM-Projekt<br />

seit 2009 e<strong>in</strong> GTZ-Beschäftigungsförderungsprogramm. Schwerpunkt<br />

<strong>in</strong> der Zusammenarbeit ist die Umsetzung des Generationendialogs.<br />

In zwei Distrikten wird der Generationendialog mit<br />

der Unterstützung des Programms von e<strong>in</strong>er lokalen NRO durchgeführt,<br />

im dritten Distrikt vom Partner direkt umgesetzt. Im<br />

Ergebnis e<strong>in</strong>igen sich die verschiedenen Geme<strong>in</strong>den auf die Vere<strong>in</strong>barung,<br />

ke<strong>in</strong>e Initiationsriten mehr durchzuführen und damit<br />

auch FGM zu unterlassen. Außerdem sollen K<strong>in</strong>der und Frauen<br />

stärker <strong>in</strong> Entscheidungen mit e<strong>in</strong>bezogen werden.<br />

Geplante Maßnahmen umfassen zudem die Zusammenstellung<br />

der gemachten Erfahrungen sowie die Sensibilisierung von GIZ-<br />

Personal <strong>in</strong> Freetown und den Projektregionen mit e<strong>in</strong>er mög-<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Deutsche</strong> Gesellschaft für<br />

Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH<br />

Sektorvorhaben und überregionales Projekt<br />

„Überw<strong>in</strong>dung der weiblichen <strong>Genitalverstümmelung</strong>“<br />

Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5<br />

65760 Eschborn/Deutschland<br />

E fgm@giz.de<br />

I www.giz.de/fgm<br />

September 2011<br />

erfolgreicher ansatz: generationendialog<br />

Obwohl die negativen Folgen der genitalen Verstümmelung<br />

oft bekannt s<strong>in</strong>d, wird vielerorts weiterh<strong>in</strong> an der Praktik<br />

festgehalten. Aufklärung und Sensibilisierung sche<strong>in</strong>en<br />

für Verhaltensänderungen nicht auszureichen. Der Generationendialog<br />

setzt daher auf das Pr<strong>in</strong>zip „Zuhören und<br />

nachfragen statt aufklären“. Gesundheitliche Aufklärung<br />

steht nicht im Mittelpunkt, sondern die Verständigung<br />

zwischen jungen und alten Menschen, Frauen und Männern,<br />

über ihre Werte und Traditionen. Angeleitet durch<br />

geschulte lokale Moderatoren und Moderator<strong>in</strong>nen, wird<br />

im geschützten Raum der Diskussionsgruppe die Kommunikation<br />

über sensible Themen wie das Machtverhältnis<br />

zwischen den Geschlechtern und FGM möglich. Ob, wann<br />

und wie es zu Veränderungen kommen soll, entscheidet die<br />

Gruppe selbst.<br />

lichen Ausdehnung auf weitere Programme der deutschen Entwicklungszusammenarbeit<br />

<strong>in</strong> <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong>.<br />

Erwähnungen der GTZ oder der <strong>Deutsche</strong>n Gesellschaft für Technische<br />

Zusammenarbeit <strong>in</strong> diesem Dokument bezeichnen die Vorgängerorganisation<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Gesellschaft für Internationale<br />

Zusammenarbeit (GIZ). Die GIZ bündelt seit dem 1. Januar 2011<br />

die Kompetenzen und langjährigen Erfahrungen von <strong>Deutsche</strong>m Entwicklungsdienst<br />

(DED), GTZ und InWEnt - Internationale Weiterbildung<br />

und Entwicklung unter e<strong>in</strong>em Dach.<br />

Quellen:<br />

Demographic and Health Survey (DHS) <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> 2008.<br />

Rebekka Rust (2007): Beschneidung im Geheimbund. <strong>Weibliche</strong> Genitalbeschneidung<br />

<strong>in</strong> <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong> aus kulturwissenschaftlicher Sicht.<br />

The Patriotic Vanguard, <strong>Sierra</strong> <strong>Leone</strong>: Anti-FGM campaign heats up,<br />

24.09.2010.<br />

In: http://www.thepatrioticvanguard.com/spip.php?article5501 (Zugriff<br />

am 8.11.2010).<br />

UNDP (2009): Human Development Report 2009.<br />

UNICEF: http://www.child<strong>in</strong>fo.org. (Zugriff am 15.6.2011).<br />

UNICEF (2010): The State of the World’s Children 2010.<br />

WHO (2011): World Health Statistics 2011.<br />

http://www.auswaertigesamt.de (Zugriff am 15. 6.2011).<br />

Weitere Informationen zur Arbeit der GIZ zum Thema FGM unter:<br />

www.giz.de/fgm.

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