7.2 Ãkosystem FlieÃgewässer
7.2 Ãkosystem FlieÃgewässer
7.2 Ãkosystem FlieÃgewässer
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<strong>7.2</strong> Ökosystem Fließgewässer<br />
Das typische Merkmal von Fließgewässern ist ihre Strömung. Ihre Flie •...<br />
richtung und Strömungsgeschwindigkeit werden jeweils von den GegEbenheiten<br />
der Landschaft, also Reliefstruktur und Bodenbeschaffe><br />
heit, vorgegeben.<br />
Oberirdisch verlaufende mittelgroße bis große Fließgewässer we'-<br />
den als Flüsse, kleinere als Bäche bezeichnet Fließgewässer entsprinqe-:<br />
zumeist aus im Landesinneren gelegenen Quellen, sie können jedocauch<br />
den Abfluss von Seen bilden oder im Bereich von Gletschern aLS<br />
Schmelzwasser entstehen. Unmittelbar nach Verlassen der Quelle füh
ein Bach noch relativ wenig Wasser, er vereint sich jedoch nach und<br />
nach mit anderen Bächen. Weitere Quellen können das FlieBgewässer<br />
zusätzlich speisen und Wasser des Oberflächenabflusses tritt ihm<br />
hinzu. Auf diese Weise werden Bäche zu Flüssen oder sogar Strömen<br />
und nehmen dabei viele andere FlieBgewässer in sich auf. Innerhalb<br />
eines Wassereinzugsgebietes kann man Fließgewässersysteme hierarchisch<br />
gliedern (=>Abbildung 7.13). Ein kleiner Quellfluss ohne weitere<br />
Nebenflüsse bildet einen Wasserlauf erster Ordnung. Verbinden sich<br />
zwei Bäche der gleichen Ordnung miteinander, entsteht ein Wasserlauf<br />
höherer Ordnung. Durch Vereinigung zweier Bäche erster Ordnung entsteht<br />
auf diese Weise ein Bach zweiter Ordnung und beim Zusammenfließen<br />
zweier Bäche zweiter Ordnung entsteht ein Wasserlauf dritter<br />
Ordnung. Die Ordnung eines Wasserlaufes nimmt dann zu, wenn er sich<br />
mit einem zweiten Wasserlauf gleicher Ordnung vereinigt, nicht jedoch<br />
durch die Vereinigung mit einem Bach niedrigerer Ordnung.<br />
Fließgewässer stellen durch ihre Dynamik ganz unterschiedliche<br />
Ansprüche an die in ihnen vorkommenden Lebensgemeinschaften. Da<br />
sich in einem Fließgewässer Bereiche mit turbulenter Strömung und<br />
Bereiche mit ruhiger Strömung abwechseln, sind auch die Anfordernisse<br />
in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich und variieren. Im<br />
Folgenden werden wir daher Fließgewässer in ihrem Verlauf von der<br />
Quelle bis zur Mündung näher betrachten und dabei den Fokus auf ihre<br />
charakteristische Besonderheit, die Wasserströmung, legen.<br />
-- Grenze des Wassereinzugsgebietes<br />
.<br />
Erste Ordnung<br />
-- Zweite Ordnung<br />
-- Dritte Ordnung<br />
-- Vierte Ordnung<br />
Abbildung 7.13: Hierarchie derWasserläufe in einem<br />
Wassereinzugsgebiet.<br />
<strong>7.2</strong>.1 Die Wasserströmung hat grundlegenden<br />
Einfluss auf das Ökosystem Fließgewässer<br />
• Fließgewässer lassen sich nach Art der Strömung<br />
in unterschiedliche<br />
Bereiche unterteilen<br />
Betrachtet man ein Fließgewässer von seiner Quelle bis zur Mündung,<br />
kann man verschiedene Bereiche unterscheiden. Oftmals wechseln sich<br />
dabei in Fließgewässerökosystemen zwei miteinander in Verbindung stehende<br />
Lebensraumtypen ab: Bereiche mit turbulenter Strömung (zum<br />
Beispiel Stromschnellen) und Bereiche mit laminarer Strömung (Strömung<br />
ohne Turbulenzen, von lat. larnina , Platte") wie beispielsweise<br />
in Abschnitten größerer Fließgewässerbreite und -tiefe. Vorgänge, die<br />
sich in den turbulenten Bereichen abspielen, wirken sich auf den stromabwärts<br />
gelegenen ruhigeren Bereich aus und umgekehrt.<br />
Ein Fließgewässerbett im Oberlauf eines Flusses ist häufig schmal,<br />
besitzt einen grobsteinigen Untergrund und ist durch abwechselnde<br />
Iotische (schnell fließende Bereiche in der Mitte) und lenitische Bereiche<br />
(ruhige Stillwasserzonen im Uferbereich) charakterisiert. Das Wasser<br />
fließt schnell und bildet an größeren Steinen und Kiesflächen eine<br />
turbulente Strömung aus, zusätzlich treten häufig kleinere Wasserfälle<br />
und Stromschnellen auf. Weiter stromabwärts sind Ströme in der Regel<br />
breit und im Mittellauf mäandrierend (hin und her pendelnd, Flussschleifen<br />
bildend), wobei in den Schleifen mitgeführte Sedimente als<br />
Sande und Tone abgelagert werden. Eskommt in diesen Flussbereichen<br />
jedoch weder zu Verwirbelungen noch zu Turbulenzen. Im Unterlauf<br />
183
Abbildung 7.14: Fließgewässer. (a) Ein schnell fließender<br />
Gebirgsbach. Der Gewässergrund besteht vorwiegend<br />
aus Gesteinsblöcken und Kies, eine turbulente<br />
Strömung überwiegt; Iotische Bereiche dominieren. (b)<br />
Ein langsam fließenderWasserlauf ist tiefer, hat ein geringeres<br />
Gefälle und ist durch eine laminare Strömung<br />
charakterisiert. Es überwiegen lenitische Bereiche.<br />
herrschen Bedingungen mit langsamer FlieBgeschwindigkeit vor. Dieser<br />
FlieBgewässerabschnitt hat daher eine gewisse Ähnlichkeit mit stehenden<br />
Gewässern.<br />
Die Strömungsgeschwindigkeit eines FlieBgewässerswird durch viele<br />
Faktoren beeinflusst. Form und Gefälle des Flussbettes, aber auch seine<br />
Breite und Tiefe sowie die Oberflächenstruktur des Untergrundes, die<br />
Niederschlagsmenge und die Geschwindigkeit der Schneeschmelze wirken<br />
sich auf die Strömungsgeschwindigkeit aus. Schnell flieBende Wasserläufe<br />
haben eine Strömungsgeschwindigkeit von 50 Zentimetern pro<br />
Sekunde oder mehr. Bei solchen Geschwindigkeiten reiBt die Strömung<br />
alle Teilchen mit einem Durchmesser von unter fünf Millimetern mit und<br />
hinterlässt einen steinigen Untergrund. Bei Hochwasser beschleunig<br />
sich die Strömung zusätzlich; sie transportiert dann Steine und Kies mit<br />
sich, schleift mit dieser Fracht das FlieBgewässerbett ab und verändert<br />
durch Erosion und Ablagerung von Sedimenten den FlieBgewässerverlauf<br />
und die Landschaft. Wenn das Gefälle bei zunehmender Breite und<br />
Tiefe des Gewässers und damit einhergehendem gröBeren transportierten<br />
Wasservolumen abnimmt, sammeln sich mitgeschleppte Partikel der<br />
Ton-, Schluff-, Lehm- und Sandfraktion sowie totes organisches Material<br />
am Gewässerboden an. Der Nährstoffgehalt von Bächen und Flüssen<br />
nimmt daher vom Oberlauf zum Unterlauf hin zu. Darüber hinaus<br />
ändern sich mit der Strömungsgeschwindigkeit auch die Eigenschaften<br />
eines FlieBgewässers (=>Abbildung 7.14) und die Artenzusammensetzung<br />
seiner Lebensgemeinschaft.<br />
In Bereichen, in denen ein FlieBgewässer in einen See oder ein Fluss<br />
in das Meer einmündet, sinkt die Strömungsgeschwindigkeit plötzlich<br />
stark ab. Dadurch werden groBe Mengen von Sedimenten im Mündungsbereich<br />
fächerförmig abgelagert, wodurch ein Flussdelta entstehen<br />
kann (=>Abbildung 7.15). Oftmals bilden sich mehrere Mündungsarme<br />
aus, die durch Ablagerungs- und Erosionsprozesse ihren<br />
Verlauf ständig ändern und zu groBen Überflutungszonen führen können.<br />
In einer Deltaregion können zahlreiche FlieBwasserrinnen, Seen<br />
und Sümpfe mit dazwischen liegenden Inseln entstehen. Material, das<br />
der Fluss nicht im Delta abgelagert, wird ins offene Wasser transportiert,<br />
sinkt dort zu Boden und kann dadurch zu einer weiteren Vergrö-<br />
Berung des Deltas beitragen.<br />
Abbildung 7.15: Ein Flussdelta, das durch die Ablagerung von Flusssedimenten gebildet<br />
wurde.<br />
184
• Sauerstoffversorgung in Fließgewässern<br />
Die Sauerstoffversorgung in Fließgewässerökosystemen ist, wie in stehenden<br />
Gewässern auch, nicht vergleichbar mit der Sauerstoffversorgung<br />
terrestrischer Ökosysteme. Selbst unter idealen Bedingungen ist<br />
nämlich die Löslichkeit von Gasen in Wasser relativ gering. In Lebensräumen<br />
des Festlandes kommt es, wegen des hohen Sauerstoffgehaltes<br />
der Luft, nur in ganz seltenen Fällen zur Konkurrenz um Sauerstoff<br />
oder zu Sauerstoffmangel, in aquatischen Lebensräumen hingegen ist<br />
die Sauerstoffversorgung für Organismen selbst in der Nähe des Sauerstoffsättigungsbereiches<br />
des Wassers eingeschränkt. Im Gegensatz zur<br />
Konzentration von 0,21 I O 2 pro Liter Luft in der Atmosphäre (21 Volumenprozent),<br />
erreicht die Löslichkeit von Sauerstoff in ° "C kaltem Süßwasser<br />
einen Höchstwert von nur 0,01 I pro Liter (ein Prozent). Bei höheren<br />
Wassertemperaturen nimmt dieser Gehalt sogar noch weiter ab, da<br />
die Löslichkeit von Gasen in Wasser allgemein mit steigender Temperaur<br />
sinkt. Daher ist der Sauerstoffgehalt in aquatischen Lebensräumen<br />
oft der begrenzende Faktor für die Atmung und die Stoffwechselaktivität<br />
der dort lebenden Organismen.<br />
Der Oberlauf eines Fließgewässers ist in der Regel sauerstoffreich, da<br />
das ständige Aufwirbeln von Wasser an Steinen, an Unregelmäßigkeiten<br />
des Gefälles und im Bereich von Stromschnellen für einen stärkeren<br />
Kontakt des Wassers mit der Atmosphäre und somit auch für eine<br />
erhöhte Sauerstoffaufnahme sorgt. Der Sauerstoffgehalt liegt daher<br />
in Oberläufen nahe dem für die betreffende Temperatur bestehenden<br />
Sättigungspunkt. Weiter stromabwärts enthält das Wasser in der Regel<br />
weniger Sauerstoff, da mit steigender Temperatur die Sauerstofflöslichkeit<br />
in Wasser und bei laminarer Strömung das Ausmaß der Sauerstoffaufnahme<br />
sinkt. Darüber hinaus reduziert sich der Sauerstoffgehalt<br />
durch den Sauerstoffverbrauch der Wasserorganismen.<br />
• Die Strömungsgeschwindigkeit beeinflusst<br />
die Wassertemperatur<br />
Jie Strömungsgeschwindigkeit besitzt einen großen Einfluss auf die<br />
Temperatur von Fließgewässern, da in Flussbereichen mit hoher Strömungsgeschwindigkeit,<br />
bedingt durch die Dynamik des Wassers, die<br />
Solarstrahlung das Wasser nur in begrenztem Maße erwärmen kann.<br />
Abbil-<br />
Abbildung 7.16: Rotalge Lemanea im Bereich turbulenter<br />
Strömung (rechts) bei Niedrigwasserstand<br />
(Fließrichtung von rechts nach links): Hochschwarzwald.<br />
185
dung 7.16) und punktuell auch durch Wasserflechten aus. .Leittische"<br />
dieser Zone sind Forelle und Äsche, unter den Wirbellosen dominieren<br />
in diesem Bereich insbesondere die Larven von Eintagsfliegen, Steinfliegen<br />
und Köcherfliegen. Ferner kommen Strudelwürmer, Flohkrebse,<br />
Süßwassermilben und an das Wasserleben angepasste Käferarten vor.<br />
Der Mittellauf ist durch Pflanzen wie beispielsweise Wasserhahnenfußarten<br />
und verschiedene Moosarten geprägt Barbe und Brachsen<br />
sind Leitfische des mittleren, aber auch unteren Flussbereiches. Zudem<br />
spielt im Unterlauf zusätzlich das Phytoplankton eine große Rolle. Die<br />
Uferzonen sind je nach Relief mit Röhrichten und mit Auenvegetation<br />
bewachsen .<br />
• Anpassungsstrategien an starke Strömungen<br />
Die Bewohner von Bächen und Flüssen laufen Gefahr, durch die Strömung<br />
mitgerissen und verdriftet zu werden, und haben daher spezifische<br />
Anpassungen an das Leben in der Strömung entwickelt (=>Abbildung<br />
7.17a). Viele Tierarten. die in Fließgewässern mit starker Strömung<br />
vorkommen, besitzen eine Stromlinienform, die der fließenden Welle<br />
nur wenig Widerstand bietet Die Larven vieler Insektenarten sind stark<br />
abgeflacht und verfügen über breite, flache Extremitäten, mit denen<br />
sie sich an der Unterseite von Steinen, wo nur eine schwache Strömung<br />
herrscht, festklammern können. Die Larven mancher Köcherfliegenarten<br />
bauen sich schützende Gehäuse aus Sand und kleinen Kieselsteinen,<br />
die sie an der Unterseite von Steinen festkleben. Wasserschnecken<br />
und Plattwürmer heften sich mit ihrer klebrigen Unterseite fest an das<br />
Substrat an und bewegen sich in der Strömung zwischen den Steinen<br />
und dem Kies.<br />
Manche Pflanzen, so das Wassermoos, heften sich an Steinen fest<br />
Algen bilden in Bereichen starker Strömung oftmals kissenförmige Kolonien<br />
oder einen gelartigen Überzug, der die Oberfläche von Steinen und<br />
Felsen bedeckt Alle Tierarten, die für Fließgewässer mit einer starken<br />
Strömung charakteristisch sind, benötigen für ihr Überleben fließendes<br />
Wasser mit einer hohen, nahe bei der Sättigung liegenden Sauerstoffkonzentration,<br />
das mit ihren den Sauerstoff absorbierenden Oberflächen<br />
(zum Beispiel Kiemen) in ständigem Kontakt bleibt In langsam fließenden<br />
Gewässern, in denen nur eine geringfügige Strömung herrscht,<br />
treten keine Arten mit Stromlinienform mehr auf. In solchen Gewässern<br />
kommt zum Beispiel in Mitteleuropa der Flussbarsch vor, der sich<br />
mit seinem schmaleren Körper gut zwischen dicht stehenden Wasserpflanzen<br />
hindurch schlängeln kann. Lungenschnecken und Eintagsfliegen<br />
treten in langsam fließenden Gewässern an die Stelle der auf den<br />
Steinen lebenden Insektenarten. Fische des Gewässerbodens, wie der<br />
Schwarze Zwergwels in Nordamerika beziehungsweise der mitteleuropäisch<br />
verbreitete Wels, ernähren sich von Organismen, die sich im<br />
schlammigen Boden befinden. Auf der Wasseroberfläche treten Wasserläufer<br />
auf und im Wasser schwimmen zahlreiche Insekten, so zum Beispiel<br />
der Rückenschwimmer, der zu den Wasserwanzen gehört (=>Abbildung<br />
7.17b). In Fließgewässerabschnitten mit starker Strömung fehlen<br />
diese Arten.<br />
186
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Abbildung 7.18: Die vier wichtigsten Ernährungstypen<br />
einer Fließgewässeriebensgemeinschaft: Bohrer,<br />
Weidegänger, Sammler und Zerkleinerer. Blätter und<br />
anderes vorwiegend kleineres organisches Material<br />
werden von Bakterien und Pilzen zersetzt.<br />
Weidegänger<br />
Zerkleinerer<br />
ten der wirbellosen Tiere das sogenannte feinere partikuläre organische<br />
Material. Diese Partikel treiben stromabwärts, setzen sich am Gewässerboden<br />
ab und werden von zwei weiteren Ernährungstypen unter<br />
den wirbellosen Tieren aufgenommen, den Filtrierern und Sammlern.<br />
Zu den Filtrierern gehören die Larven der Kriebelmücken mit ihren<br />
Filterfächern und die netzbauenden Köcherfliegen. Sammler, wie die<br />
Larven der Zuckmücken, nehmen Partikel vom Gewässerboden auf.<br />
Beide Gruppen beziehen, ebenso wie die Zerkleinerer, einen großen Teil<br />
ihrer Nahrungsenergie aus Bakterien, die an den feinen Detritusteilchen<br />
haften. Während Zerkleinerer, Filtrierer und Sammler sich von Detritus<br />
ernähren, besteht die Nahrung der Weidegänger aus den Algenschichten<br />
auf Steinen und Kies. Zu dieser Gruppe gehören zahlreiche Käferlarven<br />
und verschiedene mobile Köcherfliegenlarven. Das Material, das<br />
sie von den Steinen aufnehmen, gelangt zu einem großen Teil als feineres<br />
partikuläres organisches Material in die Strömung. Eine weitere<br />
Gruppe, die Bohrer, gräbt Gänge in das wasserdurchtränkte Holz von<br />
Ästen und von im Wasser liegenden Baumstämmen. Die Detritusfresser<br />
und Weidegänger dienen räuberischen Insekten larven sowie Fischen als<br />
Nahrung. Diese Räuber sind jedoch nicht ausschließlich auf Wasserinsekten<br />
als Nahrungsgrundlage angewiesen; sie fressen darüber hinaus<br />
in großem Umfang wirbellose Tiere, die vom Land in das Fließgewässer<br />
fallen oder hineingespült werden.<br />
<strong>7.2</strong>.3 Das Saprobiensystem<br />
Das Saprobiensystem stellt ein biologisches Verfahren zur Gewässergütebestimmung<br />
von Fließgewässern dar. Grundlage des Verfahrens<br />
ist die Bestimmung von sogenannten saprophagen Zeigerarten, Organismen,<br />
die sich von fäulnisfähigen organischen Substanzen ernähren.<br />
Zeigerarten sind allgemein Lebewesen, die hinsichtlich eines bestimmten<br />
Umweltfaktors, in diesem Falldem organischen Nährstoffgehalt des<br />
188
Wassers, stenök sind (einen schmalen Toleranzbereich besitzen, siehe<br />
Kapitel 2) und daher nur bei ganz bestimmten Nährstoffgehalten vorkommen.<br />
Da die ökologischen Ansprüche der Saprobionten bekannt sind, kann<br />
man somit ermessen, wie sauber das Wasser sein muss, damit die Tiere<br />
darin leben können. Die Individuen der jeweiligen Zeigerarten reagieren<br />
darüber hinaus zumeist sehr sensibel auf Veränderungen des Nährstoffgehaltes<br />
des Wassers und somit der Umweltbedingungen, so dass das<br />
Fehlen bzw. Vorkommen bestimmter Arten Rückschlüsse auf die Qualität<br />
des überprüften Gewässers zulässt. Da die Saprobionten, je nach<br />
Art, unterschiedlich empfindlich auf sich verändernde Umweltbedingungen<br />
reagieren, wird jedem Zeigerorganismus ein Wert (g), die allgemeine<br />
Gewichtung, zugeordnet. g kann Werte von 1, 2, 4, 8 oder<br />
16 annehmen. Ein Organismus mit einem hohen g-Wert weist eine<br />
geringe Toleranzbreite bezüglich sich verändernder Umweltbedingungen<br />
auf und besitzt daher für die betreffende Güteklasse eine höhere<br />
Aussagekraft als ein Organismus mit einem geringeren g-Wert und einer<br />
größeren Toleranzbreite. Darüber hinaus ist jedem Zeigerorganismus ein<br />
charakteristischer Saprobienwert (5) zugeordnet, der einen Ausdruck<br />
für die Gewässergüte darstellt. Steinfliegenlarven benötigen zum Leben<br />
sehr sauberes Wasser, ihnen ist daher der Saprobienwert 1 zugeordnet,<br />
Schlammröhrenwürmer sind demgegenüber weniger anspruchsvoll<br />
und besitzen einen Saprobienwert von 3,8. Findet man einen Zeigerorganismus<br />
in einem bestimmten Gewässer, dann ist die alleinige Tatsache<br />
seines Vorkommens jedoch noch nicht aussagekräftig, es kommt<br />
zusätzlich auf seine Häufigkeit (h) an. Der Saprobienwert s mal der<br />
Häufigkeit h mal der allgemeinen Gewichtung g einer Zeigerart ergibt<br />
die Einzelsumme der Zeigerart:<br />
s x h x g = Einzelsumme<br />
einer Zeigerart<br />
Da man in einem Fließgewässerabschnitt jedoch üblicherweise nicht<br />
nur eine Zeigerart findet, muss die obige Rechnung für alle gefundenen<br />
saprobiontischen Arten durchgeführt werden. Der Saprobienindex ist<br />
das Ergebnis einer solchen Berechnung und korreliert mit der Gewässergüte.<br />
Er setzt sich aus der Gesamtsumme aller Einzelsummen L ges '<br />
geteilt durch die Gesamthäufigkeit aller Zeigerarten mal der Gesamtzahl<br />
der allgemeinen Gewichtung: hges x ggeszusammen.<br />
Lges<br />
---- = Saprobienindex<br />
hgesx gge,<br />
Mithilfe des auf diese Weise ermittelten Saprobienindex kann das<br />
untersuchte Gewässer einer Gewässergüteklasse zugeordnet werden<br />
(:::>Abbildung 7.19). Liegt der Saprobienindex beispielsweise bei 1-1,5,<br />
dann liegt die Gewässergüteklasse I vor, das Gewässer gilt als unbelastet<br />
bzw. sehr gering belastet. Bei Güteklasse IV hingegen hat der Saprobienindex<br />
einen Wert von 3,5-4,0 und das Gewässer ist übermäßig<br />
verschmutzt.<br />
WIEDERHOLUNGSFRAGEN <strong>7.2</strong><br />
1. SkizzierenSieden Verlauf eines Fließgewässersvon<br />
der Quelle bis zur Mündung. Zeichnen<br />
Sie dabei die unterschiedlichen Bereiche<br />
des Fließgewässersein, die im Verlauf<br />
zu erwarten sind.<br />
2. Stellen Sie in eigenen Worten dar, wie sich<br />
der Sauerstoff- und Nährstoffgehalt bzw.<br />
die Wa5sertemperatur von der Quelle bis<br />
zur Mündung verändert, und erklären Sie<br />
begründet.<br />
3. Wählen Sie aus Abbildung 7.17a drei Lebensformen<br />
aus und erläutern Sie deren<br />
Anpassungsstrategien an die starke Strömung.<br />
Benutzen Sie als Hilfestellung den<br />
entsprechenden Abschnitt im Text.<br />
4. Erläutern Siein eigenen Worten, auf welche<br />
Weise und auf Basiswelcher Grundannahmen<br />
die Gewässergütebestimmung mithilfe<br />
des Saprobiontenindex durchgeführt wird.<br />
Erklären Sie dabei auch, was man unter einer<br />
Zeigerart versteht.<br />
5. Werten Sie die Ergebnisse der Gewässergütebestimmung<br />
der Lutter aus. Ermitteln<br />
Sieden Saprobienindex und stellen Siedar,<br />
welche Rückschlüsseman auf die Gewässergüte<br />
ziehen kann.<br />
189
Gewässergüte- Saprobien- Beschreibung Ökologischer Zustand<br />
klasse index angelehnt an EU-WRRl<br />
I 1,0-1,4 Reines, stets annähernd sauerstoffgesättigtes, nährstoffarmes Wasser Sehr gut (1)<br />
Geringer Bakteriengehalt<br />
Unbelastet bis sehr Mäßig dichte Besiedlung mit Algen, Moosen, Strudelwürmern, Insektenlargering<br />
belastet<br />
ven<br />
Laichgewässer für Salmoniden<br />
1-11 1,5-1.7 geringe anorganische Nährstoffzufuhr und organische Belastung, jedoch Gut (2)<br />
ohne nennenswerte Sauerstoffzehrung<br />
Gering belastet Dicht und meist in großer Artenvielfalt besiedelt<br />
Salmonidengewässer<br />
II 1,8-2,2 Mäßige Verunreinigung und gute Sauerstoffversorgung<br />
Sehr große Artenvielfalt und Individuendichte von Algen, Schnecken, Klein-<br />
Mäßig belastet"<br />
krebsen, Insektenlarven<br />
Wasserpflanzenbestände können größere Flächen bedecken<br />
Artenreiche Fischgewässer<br />
11-111 2,3-2,6 Belastung mit organischen, Sauerstoff zehrenden Stoffen bewirkt einen Mäßig (3)<br />
kritischen Zustand<br />
Kritisch belastet Rückgang der Artenzahl bei Makroorganismen; einige Arten neigen zu<br />
Massenentwicklungen;<br />
fädige Algen können flächendeckende Bestände bilden<br />
Fischsterben infolge Sauerstoffmangel möglich<br />
111 2,7-3,1 Starke organische, Sauerstoff zehrende Verschmutzung, meist niedriger Unbefriedigend (4)<br />
Sauerstoffgehalt;<br />
Stark verschmutzt<br />
örtlich Faulschlammablagerungen<br />
Kaum Algen und höhere Wasserpflanzen, jedoch Massenentwicklung von<br />
Schwämmen, Egeln, Wasserasseln; Kolonien von Wimperntierchen und<br />
Abwasserbakterien<br />
Periodische Fischsterben sind möglich<br />
III-IV 3,2-3,4 Eingeschränkte lebensbedingungen durch sehr starke Verschmutzung mit Schlecht (5)<br />
organischen, Sauerstoff zehrenden Substanzen, oft durch toxische Einflüsse<br />
Sehr stark<br />
verstärkt;<br />
verschmutzt zeitweilig kein Sauerstoff, ausgedehnte Faulschlammablagerungen<br />
Besiedlung durch Mikroorganismen, Wimperntierchen, Schlammröhrenwürmer,<br />
Rote Zuckmückenlarven<br />
Fische nicht auf Dauer anzutreffen<br />
IV 3,5-4,0 Übermäßige Verschmutzung durch organische, sauerstoffzehrende Abwässer;<br />
Übermäßig Sauerstoff über lange Zeit in niedrigen Konzentrationen vorhanden oder<br />
verschmutzt<br />
gänzlich fehlend; Fäulnisprozesse herrschen vor<br />
Besiedlung fast ausschließlich durch Mikroorganismen (Geißeltierchen,<br />
Wimperntierchen, Bakterien); bei starker toxischer Belastung biologische<br />
Verödung<br />
Fische fehlen<br />
.<br />
Abbildung 7.19: Übersicht über die Gewässergüteklassen in Deutschland.<br />
Quelle: Schriftenreihe der Vereinigung deutscher Gewässerschutz e.v., Band 64: Ökologische Bewertung von Fließgewässern, www.vdg-online.de<br />
*gesetzlich vorgeschriebenes Qualitätsziel in Deutschland.<br />
190
Bestimmung der Gewässergüte der Lutter<br />
Im Herbst 2005 untersuchte eine ökologische Arbeitsgemeinschaft des<br />
Carl-Severing-Berufskollegs in Bielefeld die Lutter mithilfe des Saprobiontensystems.<br />
Die Bestimmung und Auswertung der Zeigerarten<br />
führte zu folgenden Ergebnissen:<br />
Organismus Gr. 1 I Gr. 2 I Gr. 3 I Gr. 4 Gr.5 Anzahl I ~ndex I ~ewichtung Berechnung I Berechnung<br />
h hxsxg hxg<br />
1 Dreieckskopf Strudelwurm 8 I 1 9 1,6<br />
1<br />
8 115,2 72<br />
2 "weißer" Strudelwurm I 4 4 2,2 8 70,4 32<br />
3 großer Schneckenegel<br />
I<br />
1 1<br />
4 Rollegel<br />
I I 1 I 1 1 3 2,7<br />
2,2 8 17,6 8<br />
1 4 32,4 I 12<br />
5 Flussnapfschnecke 4 2 6 2 4 48 24<br />
6 Schlammschnecke 5 5 1,1 1,6 8,8 8<br />
7 kleine Flussmuschel I 1 1 1,8 8 14,4 8<br />
8 Kugelmuschel<br />
I I I<br />
1 1 2,2 4 8,8<br />
9 Flussflohkrebs 15 15 2 8 240 '120<br />
10 Flohkrebs 4 2 8 6 2 22 2 4 176 88<br />
11 Wasserassel 5 5 2,7 4 54 20<br />
12 Steinfliegenlarve 1 2 3 1,3 4 15,6 12<br />
13 Eintagsfl iegen larve 6 4 3 15 2 30 1,4 4 168 120<br />
I<br />
14 Köcherfl iegenlarve 2 2 1,5 8 24 16<br />
15 Schmetterli ngsmücke 1 1 3,4 4 13,6 4<br />
Summe 22 7 16 24 39 108 1006,8 548<br />
1<br />
4<br />
Abbildung <strong>7.2</strong>0: Übersicht über die in der Lutter gefundenen Zeigerorganismen. Insgesamt wurden an fünf Stellen der Lutter Proben entnommen<br />
und untersucht (Gr. 1-Gr. 5). Der Wert h gibt die Häufigkeit, der Wert s den Saprobienindex und der Wert g das Indikatorgewicht der<br />
jeweiligen gefundenen Arten an.<br />
Quellenangabe: Dr. C. Lieshoff, Maria-Stemme-Berufskolleg der Stadt Bielefeld