Konferenzreader Frauen und Entwicklung - Marie-Schlei-Verein eV
Marie-Schlei-Verein e.V.
Hilfe für Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika
Assistance for Women in Africa, Asia and Latin Amerika
FRAUEN UND ENTWICKLUNG
INHALT
Frauen und Entwicklung
Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Mechtild Rothe
I. Die globalisierte Frau in Wirtschaft und Arbeitsmarkt
Elke Herrfahrdt-Pähle
Margret Mönig-Raane
Dr. Birte Rodenberg
Tran Thi Anh Thu
Dr. phil. Monika Wulf-Mathies
II.
Nahrungsmittelkrise – Eine Herausforderung für Frauen aus dem Süden
Marie Ganier-Raymond
Gabriele Groneberg
Bernadine Ndaboine
Noumounin Tounkara
III. Bilanz und Perspektiven für Gender und Entwicklung im Zeichen der Millenniumsentwicklungsziele
der Vereinten Nationen
Prof. Dr. Claudia von Braunmühl
Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath
Arbeitsgruppe Gender VENRO
Ayndavi Kshanika Weeratunge
Konferenzreader zur Konferenz
FRAUEN UND ENTWICKLUNG
20. Juni 2009 im Baseler Hof, Hamburg – 10 Uhr bis 17:30 Uhr
Veranstalter: Marie-Schlei-Verein e. V.
Unterstützung: Diese Broschüre wurde erstellt mit finanzieller Unterstützung
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ).
Herausgeber des Readers und ViSdP:
Marie-Schlei-Verein e. V.
Vorsitzende: Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath
Heinrich-Barth-Straße 1, 20146 Hamburg
Tel.: +49-(0)40-4149-6992, Fax: +49-(0)40-4149 6993
marie-schlei-verein@t-online.de, www.marie-schlei-verein.de
Fotos: Die Fotos in dieser Broschüre stammen aus den Projekten des Marie-Schlei-Vereins
Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath
W
Wer weiß, vielleicht ist es das, was das 21. Jahrhundert auf Lager hat, die Demontage des Großen.
Große Bomben, große Staudämme, große Ideologien, große Widersprüche, große Länder, große
Kriege, große Helden, große Fehler. Vielleicht wird es das Jahrhundert der kleinen Dinge sein, meint
die indische Schriftstellerin Arundhati Roy. Für alle ist heute die zunehmende Ungleichheit zwischen
Ländern und Gesellschaften wie auch innerhalb der Gesellschaften allerdings eine große Herausforderung.
Das gilt in besonderem Maße für die Frauen.
Frauen in Entwicklungsländern sind von der Energie- und Nahrungsmittelkrise, von der Finanzmarkt-
und Wirtschaftskrise am meisten betroffen, obwohl sie für die Krisen und ihre Auswirkungen
nicht verantwortlich sind. Wenn Billionen an Steuergeldern in die Rettung maroder Banken und Firmen
gesteckt werden, der US-Militärhaushalt mehr als 500 Milliarden US-Dollar verschlingt, ist es nicht
einsehbar, dass Milliarden Menschen in absoluter Armut leben, 950 Millionen Menschen hungern. Die
Krise riskiert zu einer sozialen und menschlichen Krise ohne Beispiel zu werden. Die menschliche
Sicherheit steht auf dem Spiel. Gerade deswegen muss es auch in Zukunft Entwicklungszusammenarbeit
geben. Wenn heute mehr Menschen hungern als in den vergangenen 20 Jahren und die Zahl der
in absoluter Armut lebenden Menschen wieder steigt, wird die Forderung nach einer solidarischen Welt
immer dringlicher. Dabei wird eine starke Genderperspektive gebraucht.
Sri SRI LANKA Lanka
Frauen im Ausbildungszentrums Galle, Sri Lanka, das vom Marie-Schlei-Verein e.V. und Agromart errichtet wurde, und
Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath
Es ist nicht hinnehmbar, dass Entwicklungsländer trotz der massiven Auswirkungen der Krisen
keinen Anteil an den Rettungsschirmen erhalten und die öffentliche Entwicklungshilfe der OECD-
Staaten noch nicht einmal 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts erreicht. Selbst dieses Ziel ist trotz der
vielen feierlichen Versprechungen gefährdet. Sicherlich, Geld ist nicht alles, aber ohne Geld geht es
nicht, ohne mehr Geld sind die Millenniumsziele der Vereinten Nationen von Armuts- und Hungerbekämpfung,
Geschlechtergerechtigkeit und Stärkung der Frauen, Seucheneindämmung, Steigerung von
Schulbesuch und Alphabetisierung, Umwelt- und Klimaschutz, sicherer Trinkwasserversorgung und
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Frauen und Entwicklung
Verringerung der Mütter- und Säuglingssterblichkeit nicht zu erreichen. Wir brauchen eine wirksamere
Entwicklungszusammenarbeit als bisher, Entwicklungszusammenarbeit wird weiterhin gebraucht, sie
fördert Entwicklung und stiftet sozialen Frieden.
Wir leben in Einer Welt. Gewalt und Ungerechtigkeit sind nahe beieinander. Wir erleben, dass die
Krisen auf dem Energie-, Nahrungsmittel-, Finanz- und Wirtschaftsmarkt alle Frauen ärmer machen
und zur Verteilungsungerechtigkeit weltweit beitragen. Deswegen muss es Auswege aus der Krise geben
und die Frage stellt sich, wer antwortet endlich den Frauen Schließlich sind sie 70 Prozent der „working
poor“, verdienen weltweit 17 Prozent weniger als Männer haben das Mehrfache an Arbeitsstunden,
aber nur zehn Prozent des Welteinkommens und zwei Prozent des Weltvermögens.
Frauen müssen weltweit beobachten, dass Fortschritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit immer
langsamer verläuft. Frauenförderung scheint ein altmodisches Konzept zu sein, entspricht aber Geist
und Philosophie der Peking-Aktions-Plattform 1995, die Gendermainstreaming und Frauenförderung
als zwei sich ergänzende Strategien begreift.
Der Marie-Schlei-Verein will zu menschenwürdiger Arbeit der Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika
beitragen, damit bessere Lebensbedingungen und der Ausbruch aus der Armut geschaffen werden
können. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Frauengruppen und Frauenorganisationen in
Afrika, der Karibik, Lateinamerika und Asien macht Projekte unter schwierigen Bedingungen möglich.
Schließlich ist der Alltag von ohnehin überlasteten Frauen so dicht, dass viele Frauen neben ihrer Arbeit
die Ausbildungskurse nur mit größter Anstrengung schaffen. Aber: anders geht es nicht. Frauen, die
Erfolg haben wollen, müssen ihr Handwerk beherrschen. Eine vietnamesische Landfrau sagt: Ich weiß
nichts, also bin ich auch nichts. Descartes einmal anders.
Die Projekte wollen zum Ausstieg aus der Armut beitragen. Jeden Tag geschieht ein kleines Wunder.
Nur wenige Beispiele:
• Die vietnamesischen Blumenzüchterinnen produzieren prachtvolle Chrysanthemen, schöne Rosen
und Gerbera; die Gemüse-, Pilz- und Hutprojekte stehen ihnen nicht nach.
• Die Frauen in Sri Lanka haben die Tsunamikatastrophe mental und materiell überwunden und
sind wieder als Kleinstunternehmerinnen für Textilien oder Kräutertrocknung, Spitzenherstellung,
Kunsthandwerk, Kräuterkosmetik, Restaurants, Produktion von Süßwaren und Getränken
tätig. Die drei Frauenzentren für Verkauf, Produktion und Ausbildung sind ein wichtiger Treffund
Anlaufpunkt.
• Guineas Frauen sind stark: wenn sie Salz mit Solarenergie gewinnen, bewundert sie die Bevölkerung,
weil es allen besser geht - ökonomisch, gesundheitlich und gesellschaftlich.
• Jamaikas Frauen gehen die Gratwanderung zwischen Armut und eigenem Einkommen. Die
Mädchenmütterzentren fangen junge Frauen auf, die keinen Schulabschluss und keine Unterbringung
für die Kinder haben.
Das Überleben braucht starke Frauen, die neben ihren herkömmlichen Tätigkeiten neue berufliche
Qualifikationen erwerben und mit der Seifen-, Brot- oder Salbenproduktion Geld für Bildung und
Medikamente in Afrika verdienen. Die Berufsausbildung als Handwerkerin macht Altbausanierung in
Uruguay möglich. Berufseingliederungen von Frauen in Jamaika, Malaysia und Südafrika wird über
Computerkurse erreicht. Frauen lernen. Sie wissen, dass es besser ist, zu wissen, wie ein Fisch zu fangen
ist, als darauf zu vertrauen, einen Fisch geschenkt zu bekommen. Die UNESCO hält allen Vorurteilen
zum Trotz die Bildungsinvestitionen in Mädchen für eine der produktivsten Investitionen, weil sie
nicht nur dem Mädchen nützt, sondern auch der Familie, dem Dorf, dem Elendsviertel und schließlich
dem Land. So ist es auch mit der beruflichen Qualifizierung, ohne die weder Maschinen, Werkzeug,
Material noch Kredite zum Erfolg führen.
Frauen und die Millenniumsentwicklungsziele
Geschlechtergerechtigkeit und Frauenförderung, Empowerment von Frauen, sind die Voraussetzung
dafür, dass Armut und Unwissenheit, Hunger und Gewalt überwunden werden können. Zu Recht
enthalten die Millenniumsziele der Vereinten Nationen in Ziel 3 diese Einsicht als Forderung. Absolute
Armut kann nur überwunden werden, wenn Frauen gleichberechtigt an der Entwicklung beteiligt werden.
80 Prozent der Personen, die in absoluter Armut leben, sind Frauen und Mädchen. Gerade in den
ländlichen Gebieten Afrikas besteht ein großer Nachholbedarf. Dabei wissen die Frauen: ich weiß
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Frauen und Entwicklung
nichts, also bin ich nichts. Nur: der Zugang zu beruflicher Qualifizierung, technischem Know-How, angepassten
Technologien und Kleinstkrediten muss organisiert und finanziert werden. Deswegen bedarf
es entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zwischen Frauengruppen und Frauenorganisationen.
Frauen, die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
Die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Entwicklungsländer waren das Thema
der UN-Konferenz am 24. Juni 2009 in New York. Das Weltsozialprodukt wird erstmals seit dem Ende
des Zweiten Weltkriegs sinken, der Welthandel erstmals seit 80 Jahren. Davon sind Wirtschaft und Arbeitsplätze
in Afrika, Asien und Lateinamerika besonders betroffen. Hunderte von Millionen werden
arbeitslos, verlieren ihr Einkommen, ihr Heim, und ihre Chance auf ein Überleben. Frauen und Kinder
sind besonders betroffen. Angst und Hoffnungslosigkeit breiten sich aus. Die Chancen zur Überwindung
von Unterentwicklung schwinden. Obwohl Frauen die unsichere Lage stärker trifft als Männer,
werden ihnen zusätzliche Lasten aufgebürdet.
Frauen und die Nahrungsmittelkrise
Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist abhängig von der Arbeit der Frauen auf
dem Land. Es sind die Frauen, die den größten Anteil an Nahrung anbauen. Gleichzeitig sind sie es, die
für die Erfüllung der Grundbedürfnisse ihrer Familie sorgen. Nahrungsmittelsicherheit hängt deswegen
auch davon ab, dass Frauen den Zugang zu Geld und Gerät, sozialen Dienstleistungen und landwirtschaftlicher
Beratung haben. Die Lage hat sich zusätzlich für Frauen verschlechtert, weil viele Erntegebiete
unter Dürren oder Missernten leiden und sich die Nahrungsmittelpreise für Grundnahrungsmittel
in den vergangenen Jahren teilweise verdoppelt haben. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter
zehn Jahren. Ein Grund mehr, auf die Produktivitätssteigerung bei Kleinbäuerinnen zu setzen.
Frauen und Strategien zur Geschlechtergerechtigkeit
Das 20. Jahrhundert hat Frauen politisch mündig gemacht und Strategien zur rechtlichen Gleichstellung
von Frauen und Männern vorangebracht. Die faktische Gleichstellung in Wirtschaft und Gesellschaft
ist nicht erreicht worden. Von daher müssen die Stimmen der Frauen stärker werden. Dazu
sind bessere Daten und Fakten über den Zustand der Ungleichheit in allen Staaten der Vereinten Nationen
erforderlich. Dazu muss es aus allen Entwicklungsländern Beispiele für beste Praktiken geben, die
zur Geschlechtergerechtigkeit beigetragen haben. Wenn für Entwicklungsländer Fortschritte zu einer
besseren Regierungsführung und mehr Demokratie, Good Governance, gefordert werden, muss auch
die Partizipation der Frauen durchgesetzt werden. Das bedeutet, dass Reformen durchgesetzt werden
müssen, die gesellschaftliche Beziehungen verändern. Derartige Reformen müssen die Fähigkeiten der
Frauen zur Teilhabe an politischen Entscheidungen ermöglichen, damit verhindert wird, dass sich Geschlechterstereotype
erneuern genauso wie Rollen- und Verhaltensmuster beim Regieren. Deswegen ist
die Förderung von Frauenrechten von zentraler Bedeutung wie auch die Rechenschaftspflichtigkeit aller
Regierungen gegenüber den Frauen.
Michelle Bachelet, Präsidentin von Chile: „Eines meiner Hauptanliegen war und ist, dass die Frauenfrage
keine Nebenfrage ist.“ Ban Ki-moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen: „Wo es bei den
Millenniumszielen um die Frauen geht, ist der Fortschritt am geringsten. Von daher: die Stimmen der
Frauen sind gefragt. Meine Meinung: Sie müssen allerdings Gehör finden.“
Heidemarie Wieczorek-Zeul
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Uns alle eint ein gemeinsames Ziel: Eine Welt, in der Chancengleichheit für Frauen und Gleichberechtigung
der Geschlechter eine Selbstverständlichkeit sind! Die Situation von Frauen weltweit und
Kampf für Gleichberechtigung sind mir persönlich wichtige Anliegen! Sie haben mich während meiner
gesamten politischen Karriere begleitet. Ob als Vorsitzende der Jungen Sozialdemokraten, Europaabgeordnete
oder stellvertretende Parteivorsitzende: Ich habe als Frau oft politisches „Neuland“ betreten.
Als Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bin ich nach Marie Schlei (von
1976 bis 1978) erst die zweite Frau in diesem Amt. Wir allen schulden Marie Schlei großen Dank: Sie
hat sich als erste Entwicklungsministerin für die Förderung von Frauen in Entwicklungsländern stark
gemacht. Marie Schlei hat Frauen als diejenigen gesehen, die die Entwicklung ihres Landes aktiv mitgestalten
- nicht als eine benachteiligte Gruppe. In einer Rede betonte sie schon 1977: Frauenförderung
bedeutet „ein bisher völlig vernachlässigtes Potential im Interesse der gesamten Bevölkerung zu nutz-
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
en“. Auch wir im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung würdigen
Marie Schleis unermüdliches Engagement und haben sie bei wichtigen Veranstaltungen im wahrsten
Sinne des Wortes stets vor Augen: Der große Saal im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung in Berlin ist nach ihr benannt und dort hängt auch ihr Bild. Marie Schleis
beeindruckendes Lebenswerk muss ich nicht erklären. Aber doch skizzieren, wie viel in dem, was uns
heute noch umtreibt, in dieser Lebensgeschichte steckt: Sie hat selbst nach dem Zweiten Weltkrieg das
Leid der Vertreibung erfahren. Ein Leid, das heute noch Millionen Menschen trifft. Sie hatte als Arbeiterkind
nicht die Möglichkeit zu einem höheren Bildungsabschluss und hat sich doch bis in ein höchstes
Staatsamt hinauf gearbeitet. Gleiche Bildungschancen für alle – gerade für Frauen. Das ist etwas, wofür
ich als Entwicklungspolitikerin auch heute noch kämpfe. Schwierige Lebensumstände haben sie nicht
verbittert, sondern sie motiviert, sich für andere zu engagieren und sich für Versöhnung einzusetzen.
Sich für Menschen zu engagieren unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Nationalität – dafür
steht auch die Entwicklungspolitik.
Frauen an der Basis fördern – Die Arbeit des Marie-Schlei-Vereins
Großartiges Engagement zeigt der Marie-Schlei-Verein im Bereich Gender und Frauenförderung.
Viele Veränderungen wären ohne ein solches zivilgesellschaftliches Engagement vor Ort nicht möglich.
Die Nähe zu den Frauen in den Partnerländern zeichnet den Marie-Schlei-Verein aus. Das Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kooperiert schon seit fast 20 Jahren mit
dem Marie-Schlei-Verein und hat circa 1,2 Millionen Euro für Projekte zur Verfügung gestellt. Kooperationen
umfassen: Einkommen schaffende Maßnahmen, Ausbildung, Unternehmensentwicklung und
Förderung von Kleinstunternehmerinnen. Die in Sri Lanka aufgebauten Frauenausbildungszentren sind
bereits jetzt ein voller Erfolg: Eine der ersten Teilnehmerinnen wurde 2007 zur Unternehmerin des
Jahres ernannt! Dieses zivilgesellschaftliche Engagement ist so wertvoll! Engagement und Durchhaltewillen
von Frauen, die ihren Alltag unter so unvorstellbar schwierigen Bedingungen meistern und sich
dabei Zuversicht und Lebensmut bewahren, beeindrucken mich immer ganz besonders.
Gleichberechtigung und Frauenförderung - Ein Politikfeld mit Licht und Schatten
Frauen sind der Schlüssel zur Entwicklung. Diese Tatsache ist spätestens seit der Frauenkonferenz
der Vereinten Nationen im Jahr 2000, der Millenniumserklärung und dem dritten Millenniumsentwicklungsziel
zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter nun auch international verankert. Schauen
wir uns die Verwirklichung von Frauenrechten und -chancen aber in der Realität an, so sehen wir Licht
und Schatten.
Der Schatten: Weiblich ist das Gesicht der extremen Armut (weltweit fast 70 Prozent Frauen), der
Besitzlosigkeit (Frauen besitzen nur ein Prozent des globalen Vermögens), des Analphabetismus (weltweit
64 Prozent Frauen) und der „vergessenen Millenniumsentwicklungsziele“ 4 und 5 (Kampf gegen
Kinder- und Müttersterblichkeit). Beunruhigend ist die zunehmende Feminisierung von HIV/AIDS (75
Prozent aller Neuinfizierten im südlichen Afrika sind weiblich!). Empörend ist, dass jede Minute eine
Frau an Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der Geburt stirbt. Diese erschreckenden
Fakten zeigen: Frauen brauchen Unterstützung! Frauenförderung ist eine Verpflichtung der Entwicklungspolitik.
Das Licht: Wir sehen aber auch, dass in vielen Bereichen die Fortschritte greifbar sind. Bildung: In
den vergangenen 30 Jahren sind die Einschulungsraten von Mädchen in den ärmeren Ländern von 52
Prozent auf über 90 Prozent gestiegen; in zweidrittel der Länder besteht Geschlechterparität. Politische
Teilhabe: Die Zahl der Parlamentarierinnen steigt jährlich. Spitzenreiter ist ein Entwicklungsland: Das
Parlament Ruandas weist mit knapp 50 Prozent den weltweit höchsten Frauenanteil auf. Auch die Präsidentin
von Liberia, Ellen Johnson-Sirleaf, ist ein leuchtendes Beispiel für politische Leistungsfähigkeit
von Frauen. Wirtschaftliche Teilhabe: In Nepal etwa haben wir Frauen erfolgreich in die Arbeit der
Kreditgenossenschaften für Kleinbauern integriert. Rund ein Viertel aller Vorstände sind weiblich. Der
Anteil der Genossenschaften, deren Mitglieder fast ausschließlich weiblich sind, nimmt weiterhin zu. Sie
sind die erfolgreichsten und erwirtschaften satte Gewinne. Diese Erfolge sind ermutigend! Die Schatten
werden kürzer, die Frauen treten immer weiter ins Licht. In diese Richtung müssen wir gemeinsam weiter
gehen.
Die politische Arbeit des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(globale Strukturpolitik) und der Selbsthilfeansatz, z. B. des Marie-Schlei-Vereins, sind dabei keine
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
Alternativen oder Gegensätze, wie manche glauben. Beides gehört zusammen und greift sinnvoll ineinander.
Die Zusammenarbeit der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist
unerlässlich. Denn: Nur gemeinsam sind wir stark! Um Potentiale zur Frauenförderung noch besser zu
nutzen, möchten wir uns zukünftig stärker vernetzen und Wissensaustausch fördern: wir werden einen
Gesprächskreis mit der Zivilgesellschaft etablieren. Dabei ist es wichtig, Gewalt gegen Frauen zu
vermeiden sowie weibliche Genitalverstümmelung und Mütter- und Kindersterblichkeit zu bekämpfen.
Vergewaltigungen stellen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
Vietnam
VIETNAM
Das Erlernen der Herstellung konischer Hüte zur Erwirtschaftung eines Einkommens in der Provinz Quang Bingh
Wirtschaftliche Teilhabe von Frauen – Die Voraussetzung für Entwicklung
Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise treffen Frauen, die häufig im Niedriglohnsektor
arbeiten und keine soziale Absicherung haben, besonders stark. Das gilt auch bei uns in Deutschland:
die Insolvenz von Arcandor trifft vor allem Frauenarbeitsplätze im Einzelhandel. Das gilt um so
mehr in Entwicklungsländern: Im exportorientierten Textilsektor von Bangladesch arbeiten bis zu 90
Prozent Frauen. Viele von ihnen sind ohne Schutz und durch die Krise unmittelbar von Arbeitslosigkeit
und Armut betroffen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Gleichberechtigung bei der Bewältigung
der Krise eine zentrale Rolle spielt. Stärkung der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen ist ein wichtiger
Schritt auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung ist Förderung der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen ebenfalls ein wichtiges
Anliegen und ist einer von vier Schwerpunkten im ersten entwicklungspolitischen Genderaktionsplan
2009-2012. Sein Motto: Frauenrechte stärken, denn keine Hälfte der Menschheit kann ohne die
andere überleben. Gegen die Benachteiligung von Frauen gehen wir an mit unserer entwicklungspolitischen
Arbeit, zwei Beispiele: Ich setze mich auf höchster politischer Ebene dafür ein, die Gleichberechtigung
der Geschlechter auf die internationale Agenda zu bringen: einmal als Schirmfrau des
„Gender Action Plan“ der Weltbank und bei der besseren Berücksichtigung von Gender bei der Vergabe
von Mitteln: z. B. beim Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria wie
auch bei den Weltbankfonds (Wiederauffüllung des Fonds der Internationalen Entwicklungsorganisation,
International Development Association - IDA).
Um Frauen den Weg in die Selbstständigkeit zu erleichtern, fördern wir den Zugang zu Kleinkrediten.
Damit erreichen wir mehr als 50 Millionen Menschen - etwa 80 Prozent davon sind Frauen. Sie
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
investieren in Bildung und Gesundheit der Kinder, in die ökonomische Zukunft der Familien und insbesondere
in eigene Existenzgründungen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung und die Nichtregierungsorganisationen wie der Marie Schlei-Verein arbeiten Hand in
Hand dafür, dass Frauen ihr kreatives und wirtschaftliches Potential voll ausschöpfen können. Jedoch
sind wir noch nicht am Ziel! Und dem Slogan des Marie-Schlei-Vereins folgend („Uns kriegen sie nicht
klein!“) werden wir so lange Hilfe zur Selbsthilfe leisten, solange das nötig ist.
Für mich als Entwicklungsministerin steht fest: Kein Land kann es sich auf Dauer leisten, das Potential
der weiblichen Hälfte der Bevölkerung zu vernachlässigen. Wer Entwicklung fördern will, muss
Frauen und ihre Rechte stärken. Und wer Frauenrechte stärkt, fördert Entwicklung.
Mechtild Rothe
E
Entscheidend ist, dass wir in Zeiten der globalen Wirtschaftskrise, diejenigen Menschen nicht vergessen,
die den verheerenden Auswirkungen der Krise besonders schutzlos ausgeliefert sind: die Frauen
in den Entwicklungsländern. Den Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika gilt es besonders in
wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Entwicklungschance und Schutz zu bieten. Ausbildungszentren
und Bildungsprojekte von Frauen für Frauen geben dabei Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist Fakt, dass Frauen
zwei Drittel aller Weltarbeitsstunden leisten und dennoch nur über zehn Prozent des Welteinkommens
verfügen. Diese klare Diskrepanz wird umso deutlicher, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass über
70 Prozent der rund eine Milliarde extrem armen Menschen weltweit Frauen sind! Global gesehen ist
extreme Armut hauptsächlich weiblich. Sie ist in ländlichen Gebieten noch wesentlich stärker verbreitet
als in den Städten. Frauen leiden insbesondere unter Bürgerkriegen und bewaffneten Konflikten, Hunger,
Unterentwicklung und jeglicher Form von Gewalt. Sie sind von diesen Missständen überproportional
betroffen und müssen meist auf den Schutz durch andere vertrauen.
Neben der Wirtschaftskrise gibt es eine weitere, eine noch größere, globale Herausforderung, die
die Entwicklungsländer und die Industrienationen gleichermaßen betrifft: Den Klimawandel und seine
Auswirkungen. Dabei sind die reichen Industrieländer als Hauptverursacher in der Pflicht, sich dieser
Herausforderung zu stellen. Sie müssen die Länder unterstützen, die unter den Folgen am meisten zu
leiden haben und ihnen meist schutzlos ausgeliefert sind. Der rasante Anstieg der klimaschädlichen
Treibhausgase führt schon heute weltweit zu Überschwemmungen, Wasserknappheit, enormen Ernteausfällen
und Naturkatastrophen.
Eine weitere Verschärfung der Situation ist aufgrund des ansteigenden Ölpreises zu erwarten. Entwicklungsländer
reagieren besonders sensibel auf Preissteigerungen, da sie einen Großteil ihrer Energie
teuer importieren müssen. Die Weltbank hat berechnet, dass ein Ölpreisanstieg von nur einem US-
Dollar pro Fass für Entwicklungsländer Mehrkosten in Höhe von einer Milliarde US-Dollar bedeutet.
Im Jahre 2004 mussten die Entwicklungsländer für den Import von Erdöl ungefähr 100 Milliarden US-
Dollar zusätzlich bezahlen. Dies ist mehr als die Entwicklungshilfe aller Industriestaaten zusammen.
Was bedeuten diese Entwicklungen für die Politik
Kein anderer Bereich trägt gleichermaßen zu Umweltschutz, sicherer Energieversorgung sowie zu
einer wirtschaftlich nachhaltigen Entwicklungspolitik bei wie Erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
Wegen ihres dezentralen Charakters sind Erneuerbare Energien für Entwicklungsländer besonders
geeignet. Es ist keine teure Infrastruktur notwendig, um entlegene Dörfer mit Strom zu versorgen.
Batteriegestützte Photovoltaikanlagen stellen beispielsweise zuverlässig Licht und Kühlung in Hütten
und Häusern, in Schulen und Krankenhäusern bereit. Es ist entscheidend, dass die reichen Industrienationen
ihren technologischen Fortschritt mit den armen Ländern dieser Welt teilen.
Die Energieprojekte des Marie-Schlei-Vereins habe auf beeindruckende Art und Weise gezeigt, was
der Technologietransfer in der Praxis bewirken kann. Durch solarthermische Trocknung können die
Frauen Gemüse, Getreide oder Kräuter nicht nur effektiver trocknen sondern auch unabhängig von der
Erntezeit auf dem Markt anbieten. Und dies ist nur der Anfang, da die Projekte die Türen für weitere
Vorhaben öffnen.
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
I. Die globalisierte Frau in Wirtschaft und Arbeitsmarkt
D
Die Wirtschafts- und Finanzkrise macht viele Frauen im Süden arbeitslos. Dabei tragen die Entwicklungsländer
keine Verantwortung für die Krise, die sie nach der Energie- und Nahrungsmittelkrise
hart trifft. Die internationalen Organisationen rechnen mit wachsender Armut und Massenarbeitslosigkeit
für die Entwicklungsländer. Gerade die Exportindustrie beschäftigte zu Billiglöhnen viele Frauen
im Textil-, Leder- oder Elektroniksektor in Asien und Lateinamerika. Sie sind ohne sozialen Schutz und
haben keine Ersparnisse. Regierungsprogramme werden für sie nicht aufgelegt. So drängen sie in den
informellen Sektor und verkaufen Essen, Kekse, Kleidung oder Handtücher auf den Straßen der Städte
oder auf dem Markt. Damit werden sie zu Konkurrentinnen der Frauen, die schon lange im informellen
Sektor viel zu wenig verdienen, um ihre Familien zu ernähren . Berufliche Qualifizierungen fehlen
den Frauen, viele sind Analphabetinnen. Sie schätzen ihre Lage sehr realistisch ein: eine Vietnamesin,
die einmal im Jahr ihr kleines Reisfeld bestellt, sagt “ich weiß nichts, ich bin nichts.“ Strahlend meldet
sie sich zu Ausbildungskursen an und hofft auf eine Einkommenschance mit Ausbildung und Mikrokredit.
Bolivien
BOLIVIEN
Frauen in Bolivien erlernen die Handhabung von Milchkühen und die Verarbeitung der Milch zu Käse
Elke Herrfahrdt-Pähle
E
Es liegt nahe, dass, wenn man sich mit Frauen und Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt, man
sich auch mit den Konzepten der Organisationen weltweit befasst. Im Folgenden beschäftigen wir uns
mit dem Genderaktionsplan der Weltbank, der 2006 verabschiedet wurde und für den Zeitraum 2007
bis 2010 ausgelegt ist. Das Ziel des Genderaktionsplanes ist das wirtschaftliche Empowerment der
Frauen zu unterstützen, um das Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern zu fördern. Die
Idee, die diesem Plan zugrunde liegt, ist, dass Frauen über ein hohes wirtschaftliches Potential verfügen,
dass bislang nicht ausreichend genutzt wurde und das nun besser ausgeschöpft werden soll, um in den
Bereichen Landwirtschaft, Finanzwesen und Infrastruktur zum Wachstum der Entwicklungsländer beizutragen.
Die Argumentation ist, dass wenn Frauen mehr in die formale Wirtschaft eingebunden werden,
ermöglicht dies ihre Gleichberechtigung und trägt gleichzeitig zu einem Wirtschaftswachstum und
damit in der Folge auch zu einer Armutsminderung bei. Aus dieser sehr knappen Darstellung kann man
schon klar sehen, dass es hierbei um eine rein ökonomische Analyse geht und das ist auch an der Spra-
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
che ersichtlich: im englischen Original wird gesprochen von „empowerment as a business case“ - die
Ermächtigung der Frauen als Wirtschaftsfall. „Expanding women’s economic opportunities is nothing
more than smart economics.” Übersetzt also: Die Erweiterung und Nutzung des wirtschaftlichen Potentials
von Frauen bedeutet nicht mehr als intelligent zu wirtschaften. Dabei werden jedoch soziale
Faktoren wie Bildung, der Gesundheitsbereich und auch kulturelle Faktoren ausgeblendet. Und das mit
dem Argument, dass man mit Maßnahmen, die diese Bereiche betreffen, nur langfristig Erfolge erzielen
kann, während es in diesem Aktionsplan darum geht kurzfristig Erfolge zu erzielen. Das ist auch schon
der Anfang der kritischen Punkte des Plans. Es ist sicherlich richtig, dass, wenn mehr Frauen an der
formalen Wirtschaft teilnehmen, mehr Wirtschaftswachstum erzielt werden kann, und vielleicht auch in
der Folge - wenn alle anderen Faktoren gleich bleiben - in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer Gleichstellung
beitragen kann. Aber die Motivation, die hinter diesem Gleichstellungsplan steckt, und die Problemanalyse,
die dahinter liegt, sind doch sehr fragwürdig.
Zunächst wurde schon angedeutet, dass die Beweggründe hinter dem Plan rein ökonomischer Natur
sind. Die Motivation das Empowerment der Frauen zu stärken dient letztendlich dazu das Wirtschaftswachstum
zu steigern. Diese ökonomische Argumentation geht vollständig am Kern der Sache
vorbei. Dass Gleichberechtigung von Frauen nicht des wirtschaftlichen Erfolges sondern ihrer Menschenrechte
wegen betrieben werden sollte. Wenn man dies täte, würde man sehr schnell die Wertedimensionalität
des Themas erkennen und anerkennen, das neben ökonomischen auch soziale und kulturelle
Faktoren ein Rolle spielen und diese berücksichtig werden müssen.
Die Problemanalyse ist dementsprechend sehr lückenhaft, da solche Faktoren häufig ausgeblendet
werden. Oft ist es nämlich so, dass der Eingliederung der Frauen in die Wirtschaft soziale, kulturelle
oder auch religiöse Hindernisse gegenüberstehen. Da können so viele Kredite zur Verfügung gestellt
werden, wie notwendig sind, und trotzdem wird es andere Faktoren geben, die Frauen daran hindern,
sie tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Und diese Faktoren müssen zumindest berücksichtigt werden.
Eine weitere problematische Ansicht ist, dass die Analyse auf der Annahme beruht, dass Frauen über
freie Kapazitäten verfügen, die man nutzen muss, und die in die formale Wirtschaft eingebracht werden
sollten. De facto ist es so, dass Frauen bereits heute einen Großteil zur Produktion beitragen und es
eben nicht so ist, dass sie über freie Kapazitäten verfügen. Allerdings sind ihre Beiträge häufig im informellen
Bereich zu finden und somit nicht sichtbar in den Erhebungen des nationalen Einkommens.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass in Afrika 64 Prozent der Frauen im erwerbstätigen
Alter auch einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, während das weltweit ein sehr viel geringerer
Wert ist, nämlich 40 Prozent. Hinzu kommt die Mehrfachbelastung der Frauen in ihrer mehrproduktiven
und sozialen Rolle, so dass man hier eine sehr eindimensionale Analyse eines sehr vielschichtigen
Problems vornimmt. Es ist einseitig ein Fokus gelegt auf Frauen, wo es eigentlich um die Geschlechterverhältnisse
gehen sollte zwischen Männern und Frauen. Mit den rein ökonomischen Mitteln,
die hier in den Vordergrund gerückt werden, können bestenfalls kurzfristige Erfolge erzielt werden.
Das Ziel, langfristig zu der Gleichberechtigung der Frauen beizutragen, dass sich die Weltbank auch auf
die Fahnen geschrieben hat, wird damit sicherlich nicht erreicht.
Um die verschiedenen Punkte zusammenzufassen: Einerseits ist das wirtschaftliche Empowerment
von Frauen ein wichtiges Element und ein Baustein in der Erreichung der Gleichberechtigung, d.h. der
Aktionsplan geht in die richtige Richtung. Allerdings kann es eben nur einer aus mehreren Bausteinen
sein, die flankierend berücksichtigt werden müssen. Gleichberechtigung ist ein Querschnittsthema und
kann nicht aus der Isolation heraus betrachtet werden durch rein ökonomische Maßnahmen. Sondern
es müsste ein Baustein sein in einem größeren Bündel, wo auch Maßnahmen aus dem sozialen Bereich
berücksichtigt werden, wie z. B. gleicher Zugang zu Bildung, dem Gesundheitssystem etc. Aus dem
kulturellen Bereich müssen Maßnahmen eingesetzt werden, die an den Mechanismen der Ungleichbehandlung
ansetzen, wie z. B. dem Geschlechterverhältnis von Frauen und Männern, Rollenverhältnis,
Rollenverständnis: also was wird Frauen in einer Gesellschaft zugetraut, wie sind ihre Handlungsspielräume
und wie kann man diese erweitern. Man müsste von einem Effizienzansatz, der hier zu Grunde
liegt, zu einem Menschenrechtsansatz kommen, der Frauenmenschenrechte anerkennt. Eine Gleichstellungsstrategie
muss die bestehenden Ungleichheiten auch in den Geschlechterbeziehungen thematisieren.
Mit dem Weltbankkonzept, das aktuell vorliegt, und durch die Einbindung der Frauen in den
Arbeitsmarkt, zumal es häufig im Niedriglohnsegment ist, wird das bestenfalls indirekt erreicht.
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
Margret Mönig-Raane
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Ohne Moos nix los: Das ist im Kern die Basis für gewerkschaftliche Arbeit und Ziele. Dies gilt für
Männer und gilt doppelt für Frauen. Denn ohne eine ökonomische Grundlage ist die Freiheit das eigene
Leben zu bestimmen und zu gestalten sehr eingeschränkt bis nicht vorhanden. Und darum ist unser
Ziel, dass Menschen in der Lage sind, für sich selber zu sorgen, und sich sowohl alleine als auch gemeinsam
für ihre Ziele einsetzen und kämpfen.
Was steht diesen Zielen im Weg Und da unterscheiden sich die Muster national wie international
wenig. Nimmt man das Stichwort Lohndrückerei. Gefragt wird: Gibt es Lohndrückerei der Frauen aus
dem Süden gegenüber den Frauen aus dem Norden Am Beispiel Deutschland sieht man: Ja, es gibt
Lohndrückerei, aber sind es die Frauen, die die Löhne drücken oder werden Sie eingesetzt zur Lohndrückerei.
Ist es eine freiwillige Entscheidung gegenüber einer Kollegin, die im Nachbargeschäft arbeitet
zu sagen: „Ich nehme einen Euro weniger pro Stunde und werde deshalb eingesetzt und die Preise
können billiger sein und damit unterbiete ich meine Kollegin.“ Aus diesem Grunde sind Gewerkschaften
mit der Industrialisierung gegründet und stark geworden, weil ihre Aussage war: „Wir wollen, dass
nicht über Lohndrückerei und durch Unterbietungswettbewerb der Beschäftigten die Arbeitgeber einen
Vorteil haben zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und insbesondere der Frauen.
Lohndrückerei ist eine Geißel, die in der ganzen Welt existiert und in Deutschland selber eben auch.
Wie sieht es aus mit dem Thema der Arbeitsplatzverlagerung. Wenn die Callcenter nicht mehr in
Mecklenburg-Vorpommern sind, wo sie aus Gründen der niedrigeren Löhne von Niedersachsen hinverlegt
wurden, sondern in Bangladesch oder Indien, und die Beschäftigten arbeiten dort für ein Drittel
oder Viertel oder noch weniger Geld, lassen sie sich dann nicht benutzen als Lohndrückerinnen Die
Antwort darauf ist ja, aber nicht mehr und nicht weniger als die Deutschen auch. Also ist es ein generelles
Problem, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, besonders aber Arbeitnehmerinnen, gegenüber
ihrem Arbeitgeber haben. Es ist nicht das Problem der Frauen untereinander, es sei denn, einige
kämen auf die Idee, dass dies ein Mittel wäre, um die eigene Verwertbarkeit zu verbessern. Das gibt es
auch, aber ich glaube auch, dass der große Wunsch und Trend in Deutschland und auch weltweit ist,
dass man dieses eben nicht möchte. Und wenn man tatsächlich die Wahl hätte, sich auch anders entscheiden
würde, sich eben nicht als Lohndrückerin gebrauchen zu lassen.
Wenn die Frage, wie verhindern Frauen das, oder wie grenzen sie das ein, gestellt wird, so rückt
man an das Thema schon näher heran: Was können wir selber tun, was können Gewerkschaften tun
Gewerkschaften wurden genau zu diesem Zweck gegründet, um Lohndrückerei von Männern gegen
Frauen oder Frauen im Inland gegen Frauen im Ausland einzugrenzen oder wo immer es geht, diese
auszuschalten. Dafür machen die Gewerkschaften Verträge mit Arbeitgebern, und die schließen die
Verträge mit den Gewerkschaften nur dann, wenn sie sie ernst nehmen als Interessengemeinschaft, als
Organisation, die Macht hat. Und wodurch hat eine Gewerkschaft Macht Durch viele Mitglieder, die
bereit sind für ihre Interessen einzutreten. Und in dem Maße, wie das gelingt, gelingt es auch Lohndrückerei
zurückzudrängen. Sie ganz zu beseitigen, ist auf der Welt noch nicht gelungen. Sondern im
Gegenteil, man muss immer dafür kämpfen, dass sie nicht wieder zunimmt - im Inland wie im Ausland.
Die nächste Frage ist: Wie stellen sich die Gewerkschaften international auf, damit diese Bewegung
auch weltweit unterstützt werden kann Da kommen verschiedene Arbeits- und Aktionsebenen zusammen:
ganz wichtig sind die ILO-Kernnormen, die Arbeitsnormen, unter denen die gewerkschaftliche
Betätigung und die Produktionsfreiheit zu den Menschenrechten gezählt werden. Weltweit dominieren
diese noch nicht. In vielen Ländern müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihr Leben
fürchten, wenn sie gewerkschaftlich aktiv sind, oder, wo es nicht direkt ans Leben geht, aber doch an
die wirtschaftliche Existenz, weil man rausfliegt, sobald bekannt wird, dass eine Frau gewerkschaftlich
unterwegs ist. Also kann man nicht sagen, seht zu, dass ihr euch gewerkschaftlich organisiert und dann
funktioniert das schon, sondern man muss auch sehen, was in den Industrieländern zusätzlich getan
werden kann, damit der Druck auf die Arbeitgeber steigt. Wie setzt man diese unter Druck Wenn es
also noch keine eigenständige und starke Gewerkschaftsbewegung gibt, die sich auch erst einmal
entwickeln und Überlebenschancen haben muss, können wir als Verbraucherinnen und Verbraucher
ganz viel tun. Letzte Woche wurde das Ergebnis einer Untersuchung veröffentlicht, dass in Bangladesch
in einer Textilfabrik eine 18-jährige junge Frau zu Tode gekommen ist. Und die Berichte, unter welchen
Bedingungen dort gearbeitet wird, sind empörend. Es wurde bekannt, dass die Firma Metro dort
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
produzieren lässt. Da ist die Gewerkschaft hier zusammen mit der Organisation Green Clothes auf
Metro zugegangen. Die haben sofort eine Prüfung veranlasst und haben dann jegliche Geschäftsbeziehungen
zu der Firma abgebrochen. Dies war nicht so glücklich, da die Gewerkschaften der Meinung
sind, dass so ein Unternehmer unter einem anderen Namen 30 Kilometer weiter das gleiche wieder aufmacht
und dasselbe Theater von vorne losgeht, sondern wir wollen, dass im Land Kontrolleinrichtungen
funktionieren. Geschaffen worden sind sie, aber sie müssen auch funktionieren, so dass solche
menschenunwürdigen Bedingungen ausgeschaltet werden können und dass sie als Geschäftsbedingungen
und Auflagen implementiert werden von den Unternehmen. Dies war bei Metro schon der Fall.
Die Dinge sind jetzt so gelaufen, dass die regionale Organisation, die die Überwachung dieser Mindestbedingungen
zur Aufgabe hatte, einen Fehler gemacht hatte, da sie diese Fabrik längere Zeit nicht untersucht
hatte. Vereinbart worden ist, dass die Geschäftsbeziehungen wieder aufgenommen werden,
wenn bis spätestens Ende des Jahres der nachprüfbare Nachweis erbracht wird, dass die Mindestbedingungen
von Arbeitszeit, Entlohnung und dergleichen eingehalten werden. Es gibt mehrere solche
Beispiele in denen deutlich wird, dass es funktioniert. Und natürlich kann man zu diesem und zu vielem
anderen sagen, dass es ein so großes Meer an Ungerechtigkeit und ein Gebirge an Problemen gibt, die
noch nicht bewältigt sind. Auf der anderen Seite sind an ganz vielen Ecken und Punkten dieser Erde
Menschen unterwegs mit dem Ziel, die ökonomische Unabhängigkeit der Frauen und ihre Bildungschancen
zu verbessern mit guter Bildung (auch nicht alle Männer haben überall auf der Welt gute Bildungschancen).
Dann kann auch die Weltbank anders unterwegs sein als wir, logischerweise. Die multinationalen
Unternehmen, die sich sozial verantwortlich verhalten wollen und es in vielen Fällen auch
tatsächlich tun, die Regierungen, die Nichtregierungsorganisationen – sie sind alle wichtig das dieses
passiert.
Eine Frage bleibt noch offen: Wie geht man um mit den vielen Millionen Frauen, die im informellen
oder auch im prekären Sektor arbeiten In den Industrieländern haben wir nach den USA in
Deutschland den größten Teil der Erwerbstätigen, die im prekären Sektor arbeiten (23 Prozent). Und
die Chance, aus diesem Bereich herauszukommen hat sich in den letzten Jahren verschlechtert und wird
mit zunehmender Arbeitslosigkeit noch schlechter werden. Maximal die Hälfte der hauptsächlich Frauen,
haben eine reale Chance aus diesen prekären Arbeitsverhältnissen in ein normales Arbeitsverhältnis
zu kommen. Bei den informellen Arbeitsverhältnissen fallen mir als Erstes die unfreiwilligen Selbständigen
ein, die für ein Hungergeld arbeiten und hinter Aufträgen hersausen, oft nicht wissen, wovon sie
in der nächsten Woche leben sollen. Das haben sie gemein mit den informell arbeitenden Frauen, Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern auf der ganzen Welt. Davon sind in der Gewerkschaft VER.DI
inzwischen über 30.000 Personen organisiert. Das ist sicherlich noch nicht die Mehrheit derjenigen, die
in Deutschland so arbeiten. Aber es wurde immerhin eine Lösung gefunden, wie Gewerkschaftsarbeit
anders definiert werden konnte, denn normalerweise funktionieren Gewerkschaften ja so: Auf der
einen Seite sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auf der anderen Seite ist der Arbeitgeber.
Es ist ein Gegnerbezug da. Mit dem Arbeitgeber werden die Verträge verhandelt, in denen Entlohnung
und Arbeitsbedingungen geregelt werden. Wenn man aber selbständig ist, so hat man Auftraggeber
verschiedenster Art, und die können sich ihre Arbeitspartner aussuchen und das ausgeprägter, als
Arbeitgeber das mit Arbeitnehmern machen können. Also muss man in diesem Fall andere Wege gehen.
Auch müssen gesetzliche Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Also, gerade in der Vertragsgestaltung
und dergleichen. In einer Diskussion mit afrikanischen und südafrikanischen Kolleginnen und
Kollegen wurde dieser Punkt stark debattiert, weil die Forderung kam: „Gewerkschaften, ihr müsst
euch mehr um den informellen Sektor kümmern!“ Aber man muss sehen, dass die Gewerkschaften
bislang auch noch kein Patentrezept für den informellen Sektor gefunden haben, denn sie sind entstanden
und groß geworden mit der Industrialisierung und das heißt mit formalen Arbeitsverhältnissen.
Sehr wohl gibt es auch das Problem der Randbelegschaften und aus den Betrieben rausgedrängten
Belegschaften mit den sogenannten Selbständigen.
Wenn unser Anspruch darin besteht, die Arbeits- und Lebensbedingungen für abhängig Beschäftigte
mit gestalten zu wollen und mit ihnen die Macht zu haben, gesellschaftliche Verhältnisse im Kleinen
wie aber auch im Großen zu verändern und zu verbessern, dann muss das Schweinwerferlicht auch auf
diese Gruppe von Beschäftigten fallen. Sonst untergraben wir uns selber unsere Bedingungen und wir
geben den Anspruch auf, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und es keine privilegierten Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer geben darf, womöglich zu Lasten derjenigen, die außen vor sind
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
und die schlechtern Arbeitsbedingungen da zugewiesen bekommen haben.
Insofern haben die Gewerkschaften einerseits schon eine vorzeigbare Erfolgsgeschichte und die Bewegung
der Erzieherinnen, die man im Augenblick beobachten kann, zeigt auch, dass wenn ein kleiner
Funke überspringt, die Resonanz bei den Frauen groß sein kann. Es zeigt aber auch, dass noch viel investiert
werden muss in Ideen, wie mit den scheinbar Selbständigen, den echten Selbständigen und mit
dem informellen Sektor umgegangen werden kann. Und das man versuchen muss seine Berührungsängste
zu überwinden. Dies zeigt unlängst auch, dass seit einigen Wochen in der Bundesverwaltung
VER.DI Personen zu Gast sind, die hier illegal Beschäftigte beraten. Man kann nicht einfach sagen:
„Was nicht sein darf, ist auch nicht“, da die Situation ja gegeben ist. In vielen Fällen werden illegal Beschäftigte
schlimm ausgebeutet, haben große Angst, sich überhaupt zu melden und das ist nicht nur in
Deutschland so, sondern z. B. auch in Spanien. Dort sind sie auch schon ein Stück weiter in der Legalisierung
dieser Arbeitsverhältnisse. Auch das sind Felder, an die gedacht werden muss und das bei
gleichzeitigen Sorgen, die die Kolleginnen und Kollegen in ihren ureigensten Bereichen haben.
Honduras
HONDURAS
Ökologischer Anbau von Kaffee und die Auslese per Hand
Dr. Birte Rodenberg
G
Günstige Rahmenbedingungen schaffen für einen Machtgewinn von unten, in den Kommunen, im
Dorf, im eigenen Umfeld beginnend, Handlungsspielräume erweitern und Fähigkeiten zu stärken, sich
selbst aus der Armutsfalle zu befreien – das ist die „Hilfe zur Selbsthilfe“, die der Marie-Schlei-Verein
in vielen kleinen Frauenprojekten fördert. Und auch wenn wir es nicht mehr so nennen, ist es im eigentlichen
Sinne das, was als Amartya Sen mit dem Capability-Ansatz gefordert und Naila Kabeer mit
Empowerment gemeint haben.
Beim Blick auf die globalen Strukturen und Zwänge, die immer noch besonders Frauen betreffen
und in der Auseinandersetzung mit den ganzheitlichen strukturpolitischen Ansätzen gehen die lokalen
Bewegungen oft unter. Der Fähigkeitenansatz (Capabilityansatz) von Amartya Sen hat entscheidend
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
dazu beigetragen, die Konzepte und Politikpapiere der bi- und multilateralen Geber zu verändern,
qualitativ zu verbessern. Er hat die Erkenntnis verankert, dass Armut mehrdimensional ist und nicht
nur auf die Einkommensarmut zu reduzieren ist (d.h., weniger als 2 Dollar/Tag = arm und weniger als
1 Dollar/Tag = extrem arm). Vielmehr geht es darum, die eigenen Rechte zu kennen und wahrnehmen
zu können (Bsp. Witwen in Kenia). Außerdem: Würde und Sicherheit! Dies hat entscheidend dazu beigetragen,
dass rechtsbasierte Entwicklungszusammenarbeit in die Programme der Geber Eingang gefunden
hat, obwohl der Effizienzansatz, d.h. Menschen als Humankapital und Armut als hemmenden
Wirtschaftsfaktor einzustufen, immer noch dominiert. Ein multidimensionales Verständnis von Armut
ist für das Ziel, Geschlechterungleichheit zu beseitigen und Geschlechtergerechtigkeit herzustellen,
ganz entscheidend. Es nimmt Frauen den Opferstatus und sieht sie als Akteurinnen und stärkt sie als
politisch Handelnde, die darin unterstützt werden müssen, sich selbst aus der Armutsfalle zu befreien.
Gleichzeitig ist der Zugang zu überlebenssichernder und menschenwürdiger Arbeit eine zentrale
Voraussetzung, damit Frauen ihre wirtschaftlichen und politischen Rechte durchsetzen können. Das
Thema meines Artikels, den ich für das Lesebuch „Frauen und Entwicklung – Für eine gerechte Welt“
des Marie-Schlei-Vereins geschrieben habe, ist: „Viel zu viel Arbeit, viel zu wenig Zeit, viel zu wenig
Geld“! Ich will daran anknüpfen und an dieser Stelle einen Blick auf den Zusammenhang von der Armuts-
und Arbeitssituation von Frauen werfen. Bisher wurde immer eine doppelte Bilanz gezogen:
Frauen als Gewinnerinnen und als Verliererinnen der Globalisierung. Das ist – bis zum spürbaren
Effekt der Weltwirtschaftskrise – auch weiterhin so: die zwei Seiten einer Medaille werden deutlich,
wenn man dem letzten Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zur Umsetzung der Millenniumsziele,
insbesondere des dritten Millenniumszieles, folgt (2008): Darin heißt es, dass es Fortschritte
beim Zugang zu Erwerbsarbeit gibt (200 Millionen Frauen haben in den vergangenen Jahren
Zugang zum formellen Arbeitsmarkt gefunden): „Heute besetzen Frauen weltweit fast 40 Prozent aller
bezahlten Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft (1990 = 35 Prozent), aber fast zwei Drittel aller
Frauen in den Entwicklungsländern befinden sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen, sind auf
eigene Rechnung tätig oder verrichten unbezahlte Arbeit in einem Familienbetrieb. In Südasien und
Afrika südlich der Sahara fallen mehr als 80 Prozent aller von Frauen besetzten Arbeitsplätze unter
diese Kategorie! Frauen sind darüber hinaus überproportional in informellen Teilzeit-, Saison- und
Kurzzeitstellen tätig und entbehren daher sowohl Arbeitsplatzsicherheit als auch Versorgungsleistungen.
Der überwiegende Teil der Berufsbranchen ist geschlechtsspezifisch (bzw. –hierarchisch) und die
von Frauen besetzen Stellen sind in der Regel durch geringeren Status, niedrige Bezahlung und schlechtere
Arbeitsbedingungen gekennzeichnet.
Das ist Feminisierung der Armut! Nicht, dass die Armutsrate bei Frauen ansteigt, sondern, dass sich
die geschlechtsspezifischen Voraussetzungen ändern, so dass Frauen und frauengeführte Haushalte sich
schlechter oder gar nicht aus der Armut befreien können. Ursachen dafür sind:
• geschlechtliche Arbeitsteilung bzw. geschlechtshierarchische Arbeitsteilung; starre Rollen; Frauen
scheinen seit Jahrhunderten und weiterhin auf die unbezahlte, unterbezahlte und informelle Arbeit
festgelegt. Das resultiert in fehlender gesellschaftlicher Wertschätzung und in ökonomischer
Abhängigkeit. Das manifestiert ihre materielle Armut!
• Zeitarmut: die weltweite Arbeitsteilung, die Frauen jeden Alters die unentlohnte Reproduktionsarbeit
zuweist, führt auch zu einer unsichtbaren Form von soziokultureller Geschlechterungleichheit,
der Zeitarmut. Weltweit arbeiten Frauen länger als Männer. Insbesondere in ländlichen Gebieten,
z. B. in Kenia, Bangladesch, Nepal oder Guatemala, sind Frauen und Mädchen durchschnittlich
rund zwei, gebietsweise bis zu drei Stunden mehr am Tag als Männer und Jungen
beschäftigt. Dies ruft gravierende gesundheitliche Schäden hervor und bedeutet einen Mangel an
Zeit für individuelle und kollektive soziale Aktivitäten, was sich auch in der politischen Beteiligung
niederschlägt. Haben Frauen und Mädchen keine Zeit für die eigene menschliche Entwicklung,
bedeutet das auch – marktwirtschaftlich gesprochen – eine fehlende Investition in die
Bildung, Fortbildung und breite politische Mitbestimmung der gesamten Gesellschaft.
• Migration: Frauen als Chancensuchende, die zunehmend allein und selbstständig migrieren. Jedoch
in der Fremde finden sie oft die gleichen informellen, unterbezahlten, prekären Arbeitsplätze
vor (Fabrik- oder Hausarbeit). Migration ist vor allem für Frauen eine Chance, sich aus den
engen soziokulturellen Grenzen ihres heimatlichen Umfelds zu befreien versuchen. Doch Migra-
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
tion ist auch mit großen Risiken der Ausbeutung und geschlechtsspezifischer Gewalt verbunden.
Weltwirtschaftskrise und Auswirkungen
Verschiedene Dimensionen der Krise müssen berücksichtigt werden und immer wieder spiegeln
sich in den direkten ökonomischen Auswirkungen die gesellschaftlichen bzw. geschlechtsspezifischen
Strukturen fehlender Rechte und fehlender Macht von Frauen. In erster Linie wirkt die Weltwirtschaftskrise
auf das Einkommen. Einige der Konsequenzen sind Stellenabbau, Auftragsrückgang, Verschuldung
ganzer Sektoren und Staaten, Rückgang von Direktinvestitionen und Rücküberweisungen der
MigrantInnen. Durch die Weltwirtschaftskrise werden zusätzlich weitere 50 Millionen Personen arbeitslos
werden. Die Energie- und Nahrungsmittelkrise trifft die Frauen und Kinder besonders (FAO).
Globale Gesundheitskrise: Der Gesundheitssektor ist einer der verletzlichsten Sektoren, da er am
schnellsten und leider am nachhaltigsten reagiert (d.h. auch über die ökonomische Krise hinaus). Schon
jetzt ist er durch die dramatischen Rückgänge der öffentlichen und privaten Finanzflüsse betroffen. Die
ohnehin schwächsten Millenniumsentwicklungsziele vier, fünf und sechs (Kinder, Mütter, Infektionskrankheiten/Tuberkulose,
Malaria, Aids) werden empfindlich getroffen und Fortschritte auf Jahre in
Frage gestellt. Die Alternative: „Essen oder Medikamente/gesundheitliche Versorgung“ ist nicht nur
für HIV-Infizierte und Kinder fatal. Sie wird auch immer wieder von Frauen abverlangt, die zu Gunsten
ihrer Kinder (freiwillig) oder den Männern im Haushalt (unfreiwillig) ihre gesundheitliche Versorgung
zurückstecken oder nicht über die notwendige Entscheidungsmacht verfügen (darf Kind oder sie selbst
ins Krankenhaus zur Behandlung).
Klimawandel und notwendige Anpassung: Die Erderwärmung führt zu Extremwetterlagen, Dürre,
Überschwemmungen oder Wirbelstürmen und zur Verknappung lebensnotwendiger Ressourcen: Süßwasser,
fruchtbarem Boden, Ernteausfälle in Subsahara-Afrika werden massiv die Folge sein. Der Klimawandel
bzw. natürliche (und kriegerische) Katastrophen verursachen durch Aufräumarbeiten, Krankenpflege,
Nahrungsmittel- und Wasserversorgung nicht nur erhebliche Mehrarbeit in der überlebenssichernden
Subsistenz- und Reproduktionsarbeit, die zu Lasten der weiblichen Haushaltsmitglieder
geht. Neue Ernährungs- und Einkommensquellen müssen gesucht werden.
Sind Frauen auf der Flucht, so sind sie bedroht durch sexuelle Übergriffe, es gibt keine Sicherheit;
die Frauen haben keine Entscheidungsmacht (Bsp. Flüchtlingslager) zuzüglich zu den anderen Bedrohungen
durch die Nahrungsmittelkrise etc.
In Entwicklungsländern erzeugen Frauen 60 bis 80 Prozent der Grundnahrungsmittel, besitzen
aber nur zehn Prozent der Anbauflächen. Die hohe Verantwortung für die Nahrungsmittelproduktion
einerseits und die fehlende Kontrolle und Verfügung über Land, Technologien und Kredite andererseits
stellt sie vor enorme Probleme, wenn Dürre oder erratische Regenfälle Anbauzeiten verändern und
Ernteerträge vermindern, die Sortenvielfalt bedrohen und den Boden erodieren. Negativ verstärkt
durch Analphabetismus und fehlende Information bedeuten fehlende Besitztitel oftmals, dass ihnen der
Zugang zu Neuland im Falle einer Umsiedlung oder bei Schadensersatzverfahren nach Überschwemmungen
und anderen Naturkatastrophen verwehrt wird. Fehlender Zugang zu Krediten und Technologien
macht es ihnen unmöglich, Langzeitinvestitionen, z. B. zur Verbesserung der Bodenqualität zu tätigen.
Sehr begrenzte Entscheidungsmacht in der Familie und in der Gemeinde kann es Frauen auch erschweren,
ihr Anpassungswissen einzubringen oder es auf kleinen Feldern auszuprobieren, um durch
Anbaudiversifizierung neue Ernten zu sichern. Ernteeinbußen und Hunger bedeuten in jedem Fall zusätzliche
Arbeitsbelastung vor allem für die weiblichen Haushaltsmitglieder.
Das ist Feminisierung der Armut durch Klimawandel und Krise.
Tran Thi Anh Thu
D
Die wirtschaftlichen Indikatoren 2007 und 2008 für Vietnam weisen einen eindeutigen negativen
Trend auf: Das Bruttoinlandsprodukt Vietnams sank von 8,2 auf 6,2 Prozent, der Export brach von
15,2 auf 10,6 Prozent zusammen, die Importe gingen um 6 Prozent von 21,3 auf 15,1 Prozent zurück
und die Verbraucherpreise verdoppelten sich. Dies hatte auch seine Wirkung auf die Inflation und das
Zinsniveau. Die Krise wirkte sich zusätzlich auf die Industrie aus, wie z.B. die Textil-, Holzverarbeitungs-
und Elektroindustrie. Abnehmende Marktanteile und steigender Preisdruck bewog viele ausländische
Investoren ihr Kapital aus der heimischen Industrie abzuziehen. Fallende inländische Produkt-
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
nachfrage und schlechtere Wettbewerbsfähigkeit mit den Produkten aus China sind die Hauptgründe
hinter der Schließung einer ganzen Reihe von Textilfabriken. Als arbeitsintensiver Sektor mit rund zwei
Millionen Beschäftigten besteht die Befürchtung eines massiven Anstiegs der Arbeitslosenzahlen. Auch
die Fischfangindustrie ist von der Krise betroffen: durch einen Einbruch der Nachfrage nach Tra und
Basa Katzenfisch wurde der Preis stark gedrückt, so dass den Fischern jegliche Existenzgrundlage genommen
wird.
Einfluss auf den Arbeitsmarkt
Nach Angaben des vietnamesischen Ministeriums für Arbeit, Menschen mit Behinderung und Sozialfragen
haben bislang auf Grund der Wirtschaftskrise mehr als 67.000 Arbeiter ihre Arbeit aus den
drei folgenden Gründen verloren: Unternehmen verlagern ihre Produktionsstätten, sie sind insolvent
oder sie müssen ihre Produktion reduzieren. Ein Anstieg der Arbeitslosenquote ist überall im Lande zu
verzeichnen, aber besonders in den drei Wirtschaftszonen in Danang, Hanoi und Ho-Chi-Minh-City
und in den Regionen Quang Ngai und Binh Duong. Die Schätzungen für die zusätzliche Anzahl der
Arbeitslosen in 2009 auf Grund der Krise belaufen sich auf weitere 400.000 Personen.
Abgesehen von den verloren gegangenen Arbeitsplätzen ist die Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze
signifikant gefallen. Speziell bei den Unternehmen, in die ausländische Investoren Kapital eingebracht
hatten und die in den Industrie- und Weiterverarbeitungszonen angesiedelt sind, konnte ein
Rückgang des Arbeitskräftebedarfs registriert werden. Diese Entwicklung kann damit erklärt werden,
dass diese Unternehmen ihre Produktion reduzieren. Ausländische Direktinvestitionen für Januar 2009
zeigen, dass ein Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen erwartet werden muss. Dies hat einen
direkten Einfluss auf die Zahl der Arbeitsplätze und negative Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit in
Vietnam. Das reale Einkommenswachstum 2008 war negativ, was auf 28 Prozent Inflation zurückgeführt
werden kann und die Tatsache, dass das nominale Lohnwachstum diese Inflation nicht widerspiegelte.
Ein Beispiel ist die Situation der Beschäftigten im Industriepark Hanoi, wo die Beschäftigten entweder
freigestellt wurden oder für 70 Prozent ihres Lohnes arbeiten mussten.
Der Einfluss der Wirtschaftskrise auf berufstätige Frauen in Vietnam
Eine Studie befragte 411 nicht ausgelastete oder unterbeschäftigte Arbeitnehmerinnen, die in den
Industrieparks von Hanoi, Dong Nai, Binh Duong und Ho-Chi-Minh-City beschäftigt waren. 46,2 Prozent
der Frauen arbeiteten für zu 100 Prozent ausländische Firmen, 17,8 Prozent für Unternehmen, die
als Joint Venture arbeiten, ihre Produkte exportieren und daher stärker von der globalen Krise getroffen
werden. Insgesamt sind alle diese Unternehmen in Sektoren mit einer hohen Quote von weiblichen
Arbeitskräften angesiedelt, wie z.B. die Herstellung elektronischer Komponenten (44,8 Prozent), Kleidung
und andere Textilien (16,8 Prozent) und der Schuhproduktion (8,8 Prozent). Der Grund für die
Arbeitslosigkeit der Frauen liegt vor allem an der mangelnden Nachfrage und dem damit verbundenen
Produktionsrückgang, der Verlagerung der Firmen (15,3 Prozent) oder einer Insolvenz (4,1 Prozent).
Weniger ausgeprägt sind subjektive Gründe wie mangelnde Ausbildung (1,25 Prozent), niedriger Lohn
(9,7 Prozent) oder der Stress am Arbeitsplatz (3,2 Prozent).
Diese Fakten führten zu einem Einkommensrückgang bei mehr als 50 Prozent der an der Studie
teilnehmenden Frauen, einer Verschlechterung des mentalen Zustandes der Frauen (Angstzustände)
und auch der allgemeinen Lebensumstände (Bezahlung der Schulgebühren der Kinder nicht möglich,
Änderung in der Ernährung der Familien). Dies bedeutet, dass die Frauen, um die Lebensunterhaltskosten
bestreiten zu können, ihre Kosten stark reduzieren, Kredite aufnehmen, Nebenjobs annehmen
oder sich auch selbständig machen müssen.
Die vietnamesische Regierung reagierte mit einem Wirtschaftsförderungsprogramm vom 25.
Februar 2009, um den von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten zu helfen: Unternehmen, die
Schwierigkeiten haben, können für 12 Monate ein zinsloses Darlehen der Entwicklungsbank Vietnams
aufnehmen, aus dem die Löhne, die Sozialversicherungsbeiträge und die Beiträge zur Arbeitslosenunterstützung
der Beschäftigten gezahlt werden sollen. Die Kriterien der Bank zur Vergabe eines
solchen Darlehens waren entweder ein Rückgang der Beschäftigtenzahl um mindestens 30 Prozent,
mehr als 100 entlassene Beschäftigte (ausgenommen Kurzzeitarbeiter) und die Unfähigkeit der Auszahlung
von Abfindungen. Der Fonds für diese Darlehen, der innerhalb des nationalen Programms zur
Wiedereingliederung arbeitsloser Familien eingerichtet wurde, wird durch zusätzliche Mittel ergänzt, die
dazu beitragen sollen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die entlassenen Beschäftigten haben die Mög-
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
lichkeit, diese zu Sonderkonditionen bei der Sozialbank für die Finanzierung einer Umschulung oder
für die Migration in andere Länder zu beantragen.
Die Strategien der Regierung mit Bezug auf die Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise verlangte von der Regierung neue Strategien zur Bekämpfung
der Folgen. Im April 2008 stellte die Regierung ein Paket von acht Teilstrategien zur Bekämpfung
der hohen Inflation vor. Als Ergebnis der Stabilitätspolitik, insbesondere durch die rigide
Geld- und Fiskalpolitik, fiel die Inflationsrate in den letzten Monaten seit Oktober 2008 kontinuierlich.
Dies erlaubte der Sozialbank eine großzügigere Kreditpolitik und konnte den Basiszinssatz viermal
senken. Die Geschäftsbanken reagierten mit einer Absenkung der Kreditzinssätze. Trotz der erhöhten
Liquidität auf dem Kreditmarkt führt der reduzierte Zins nicht notwendigerweise zu einer schrittweisen
Ausweitung der Kredite für die Haushalte, da Unternehmen unter einem Konsumrückgang der Haushalte
und einem geschrumpften Exportmarkt leiden.
Vietnam
VIETNAM
Der Anbau von Pilzen durch die Verteilung von Sporen auf Strohpaketen
Die Regierung hat ein Paket zur Unterstützung der vietnamesischen Wirtschaft geschnürt, um den
Einfluss der globalen Rezession einzudämmen. Darin finden sich fünf Maßnahmen: die Förderung der
Produktion und des Exports, die Unterstützung des Konsums und der Investitionen, die Aufweichung
der strikten Geld- und Fiskalpolitik, die Verringerung von Armut und die Bereitstellung von Sozialhilfe
und die Stärkung der Verwaltung des öffentlichen Sektors auf allen Ebenen. Eine Regierungsentscheidung
zugunsten der Bereitstellung von einer Million US-Dollar sollte den Klein- und mittelständischen
Unternehmen den Zugang zu Kapital erleichtern und sie so in die Lage versetzen ihre für 2009 geplanten
Projekte zu verwirklichen, indem aus diesem Kapital vier Prozent der Zinszahlungen für reguläre
Bankkredite gezahlt werden. Außerdem hat die Regierung die Mehrwertsteuer auf bestimmte Produkte
und Dienstleistungen um 50 Prozent und die Körperschaftssteuern für das letzte Quartal 2008 und
2009 um 30 Prozent gesenkt. Eine befristete Steuerstundung von neun Monaten wurde eingeführt.
Die vietnamesische Frauenunion, Unternehmerinnen und ihre Unterstützung
Der Frauenclub in Hanoi, der über 1.000 Mitglieder hat, bestätigt, dass die von Frauen geleiteten
EU- und USA-exportorientierten Unternehmen (Kleidung und Textilien, Bambus-, Rattan- und Keramikprodukte)
von der Krise schwer getroffen sind. Da der Exportmarkt zusammengebrochen ist, müssen
die Unternehmen ihre Produktion drastisch zurückfahren und die verbleibende Produktion auf
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Frauen und Entwicklung
anderen Märkten anbieten. Messen wurden organisiert um den Verkauf der Produkte zu fördern. Auch
wurde der Austausch zwischen den Frauenclubs der verschiedenen Provinzen gefördert, um die innervietnamesischen
und innerasiatischen Geschäftsbeziehungen auszubauen und zu stärken. So hat z.B.
der Frauenclub in Hanoi eine Messe in Laos organisiert, um einen neuen Markt für die Produkte der
Mitglieder aufzubauen. Auch wurden die Beziehungen zu den Behörden ausgebaut, um unternehmensnahe
Themen wie der Besitz von Land, Steuern, Zugang zu Kapital, administrative Auflagen oder auch
die Details des Entlastungspakets der Regierung zu diskutieren, damit die Mitglieder der Frauenclubs
davon profitieren können.
Dr. phil. Monika Wulf-Mathis
M
Mit dem Thema Entwicklungspolitik und Gleichstellung verbinde ich drei Anknüpfungspunkte:
Während meiner Zeit als EU-Kommissarin habe ich Frauen zu Akteurinnen regionaler Entwicklungsprojekte
der EU gemacht und die Mitgliedstaaten verpflichtet, Frauenprojekte zu fördern, wenn
sie Mittel aus den europäischen Strukturfonds haben wollten, also so etwas wie Genderbudgets eingeführt.
Außerdem war ich eine der wenigen Frauen im Top-Management eines globalen Unternehmens,
die natürlich genau beobachtet hat, welche Stellung Frauen in diesem Unternehmen hatten und wie
Chancengleichheit und Diversity Management im eigenen Unternehmen betrieben werden und ich war
für Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR) weltweit verantwortlich und damit auch
für entwicklungspolitische Aktivitäten des Unternehmens.
Ich habe mich deshalb gewundert, dass in der entwicklungspolitischen Literatur, die sich mit Geschlechtergerechtigkeit
befasst, Unternehmen kaum vorkommen. Da gibt es Kritik und Forderungen an
Regierungen, an internationale Institutionen, wie die Weltbank und ihre Förderpolitik, da gibt es Vorschläge
zu Gendermainstreaming und Empowerment von Frauen, zur Rolle von Nichtregierungsorganisationen
und Frauen-Netzwerken. Aber Unternehmen werden zwar als Nutznießer der Globalisierung
kritisiert, aber nicht eigentlich gefordert und in Entwicklungsstrategien einbezogen. Ich weiß
nicht, ob das daran liegt, dass die Hauptprotagonistinnen der Geschlechtergerechtigkeit Professorinnen,
Politikerinnen und Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen sind oder ob man mit Unternehmen
wegen der sattsam bekannten Skandale um Ausbeutung von Frauen und Kindern grundsätzlich
nichts zu tun haben will.
Ich jedenfalls halte es für einen Fehler, Unternehmen nicht in die Verantwortung für eine nachhaltige
Entwicklung zu nehmen, denn es gibt eine steigende Zahl von Unternehmen, insbesondere Multinationale,
die echte „Global Player“ sind, die zwar von der Globalisierung profitieren, die aber in den
Entwicklungsländern, in denen sie tätig sind, mit Hunger, Armut und Unterentwicklung konfrontiert
sind und ein großes Interesse an stabilen Verhältnissen haben und die bei ihrer Personalpolitik wie in
ihren Geschäftsbeziehungen auf unterschiedliche Rollenbilder von Frauen reagieren müssen. Das gilt
besonders im Dienstleistungsbereich, in einem „peoples business“ wie der Logistik.
Ich bin überzeugt, dass die Millenniumsziele und Geschlechtergerechtigkeit nur gemeinsam von Regierungen,
internationalen Institutionen, Nichtregierungsorganisationen, der Wirtschaft und Gewerkschaften
zu lösen sind. Dies ist einer der Gründe, warum Kofi Annan den Gobal Compact ins Leben
gerufen hat, in dem sich Unternehmen verpflichten, grundlegende Menschenrechte, Arbeits- und Umweltnormen
einzuhalten. Ich weiß, dass Nichtregierungsorganisationen vor allem die Unverbindlichkeit
des Global Compact kritisieren. Trotzdem glaube ich, dass damit ein wichtiger erster Schritt in Richtung
auf „Global Governances“ gegangen wird, denn „naming and shaming“ ist in der heutigen globalisierten
Wirtschaft durchaus ein nicht ganz unwirksames Disziplinierungsmittel und es würde sonst
Jahrzehnte dauern, bis eine nennenswerte Zahl von Regierungen ein vergleichbares Gesetzeswerk auf
den Weg gebracht hätte – wenn es denn überhaupt dazu käme. Die Wirtschafts- und Bankenkrise hat
auch ein wenig in Vergessenheit geraten lassen, dass es in der Wirtschaft nicht nur Gier und moralische
Verkommenheit gibt, sondern, dass es in den letzten zehn Jahren eine Reihe von Wirtschaftsinitiativen
gegeben hat, die die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen unterstrichen haben und sie zu
einem Wettbewerbsfaktor gemacht haben. Ich nenne hier so kapitalistische Instrumente wie den
FTSE4-Good-Index, den Dow Jones Sustainability Index, das Carbon Disclosure Project, die den Faktor
Nachhaltigkeit in Börsen-Rankings eingeführt haben und durch Studien belegen konnten, dass
Unternehmen, die die Kriterien dieser Indizes erfüllten, nicht weniger erfolgreich sind als diejenigen,
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Frauen und Entwicklung
die dort nicht gelistet sind. Die Frage der Erfüllung ethischer Normen spielt auch in den Kunden- und
Lieferbeziehungen eine zunehmend wichtige Rolle, denn wer selbst im Global Compact oder einem
dieser Indizes vertreten ist, will sich seinen Ruf nicht gern durch Partner oder Kunden verderben, die
sich weniger um ethische Maßstäbe kümmern. Im übrigen haben Marketingfachleute ermittelt, dass
Bürger lieber Produkte von Unternehmen kaufen, die gesellschaftlich verantwortlich handeln und einen
höheren „Wohlfühlfaktor“ haben. Das zeigt sich auch daran, dass es seit einiger Zeit in der Zeitschrift
der Stiftung Warentest bei Produktvergleichen ein CSR-Kriterium gibt. Ein wesentlicher Faktor für
gesellschaftlich verantwortliches Handeln ist auch die Motivation der Mitarbeiter. Umfragen belegen,
dass bei der Wahl des Arbeitgebers die gesellschaftliche Verantwortung gleich hinter den Karrierechancen
rangiert.
Lassen Sie mich am Beispiel des Unternehmens, das ich am besten kenne, die Deutsche Post, die
mit ihrer Tochter DHL in 220 Ländern der Welt vertreten ist, verdeutlichen, was man als verantwortlich
handelndes Unternehmen auch für die Entwicklungspolitik tun kann. Dort wurde seit 2002 das Thema
CSR kontinuierlich entwickelt. Schritte auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit waren z. B. eine breit angelegte
Diskussion über die Werte, für die das Unternehmen steht. Unter den sieben Werten, auf die
wir uns verständigt haben, nimmt die gesellschaftliche Verantwortung für unsere Mitarbeiter und die
Gesellschaften, in denen wir leben und arbeiten, sowie der Schutz der Umwelt einen besonderen Stellenwert
ein. Aus der Wertediskussion wurde ein Code of Conduct für die praktische Umsetzung entwickelt,
der als Kompass für das tägliche Handeln dient und ausdrücklich auf die Prinzipien des Global
Compact - auf Menschenrechte, Arbeitsnormen und Korruptionsbekämpfung – Bezug nimmt. Unser
CSR-Engagement hat sich aus spontanen Volunteering-Aktivitäten entwickelt. Dazu gehört:
• in Partnerschaft mit UNDP und OCHA (seit 2005) die Katastrophenhilfe, d. h. das Management
der komplexen Logistikprozesse auf Flughäfen, unmittelbar nach Naturkatastrophen, wie dem
Tsunami und Erdbeben in Pakistan;
• in Partnerschaft mit UNICEF die Versorgung von Kleinkindern mit Moskitonetzen in Kenia und
der Aufbau einer ländlichen Gesundheitsversorgungsstruktur in einer kenianischen Provinz;
• die Förderung des Projekts „Teach First“ zur Verbesserung der Chancengleichheit in Schulen, in
sozialen Brennpunkten, das wir nach einer Testphase in Deutschland auch in Indien unterstützen
möchten.
Natürlich zeigen diese Beispiele auch, dass die Wirtschaft staatliches Handeln und internationale Normen
nicht ersetzen kann, aber sie können helfen, Bewusstsein zu schaffen, für die Umsetzung der Millenniumsziele.
Die Möglichkeiten eines Unternehmens für die Verwirklichung dieser Ziele (Beseitigung
von Hunger und Armut, die Bekämpfung der Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Bildung) zu
nutzen, und sich selbst als Arbeitgeber und Handelspartner anständig und fair zu verhalten. In all diesen
Projekten haben sich Frauen als „Agents of Change“, als treibende Kräfte engagiert, sowohl als
Organisatorinnen, als Freiwillige wie als Adressatinnen. Auch als Arbeitgeber sind wir dabei zu lernen,
wie Frauenförderung in unterschiedlichen Kulturen aussehen kann und muss.
In diesem Zusammenhang hat mich ein Bericht in der letzten Ausgabe des Post/DHL-Magazins für
Manager mit dem Titel: „Managerinnen im Morgenland“ erfreut, in dem zwei Managerinnen über ihre
Erfolge als Leiterinnen weiblicher Verkaufsteams in Saudi-Arabien berichten und stolz darauf waren,
mit ihren Ergebnissen nicht nur im internationalen Vergleich gut dazustehen, sondern als erstes weibliches
Team in der Logistikbranche in Saudi-Arabien „Emanzipationsgeschichte“ zu schreiben. Besonders
positiv fanden die beiden Managerinnen übrigens, in einem globalen Unternehmen zu arbeiten
und dabei auch zu lernen, wie unterschiedliche Kulturen mit ihren alltäglichen Problemen umgehen.
Auch dies ist ein Beispiel dafür, dass Unternehmen einen Beitrag leisten können, der globalisierten Frau
zu mehr Geschlechtergerechtigkeit zu verhelfen.
Kein Zweifel: All diese Ansätze müssen in Zukunft systematischer und aktiver betrieben werden. Dazu
kann mehr Druck durch die Zivilgesellschaft, durchaus hilfreich sein, damit das Spannungsverhältnis
zwischen ethisch-sozialen Grundsätzen und kurzfristigen ökonomischen Interessen nicht immer wieder
zugunsten kurzfristiger Ziele gelöst wird. Dazu bedarf es auch größerer gemeinsamer Anstrengungen,
um die Freiheit zwischen den unterschiedlichen Kulturen von Nichtregierungsorganisationen und Management
und das damit verbundene gegenseitige Misstrauen zu überwinden.
18
Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
II.
H
Kenia
KENIA
Nahrungsmittelkrise – Eine Herausforderung für Frauen aus dem Süden
Hirse statt Reis heißt die Strategie der indischen Kleinbäuerinnen in Tamil Nadu, um die Nahrungsmittelkrise
zu überwinden. Die Dürre macht ihnen den Reisanbau unmöglich und zum Kauf von Wasser
haben sie kein Geld. Die Hirse wollen sie auch verarbeiten. Frauen suchen Auswege. In Kenia,
Uganda, Ruanda, Kenia züchten sie Bienen, Fische, halten Kleinvieh und bauen Gemüse an. Frauen in
Südasien und in Afrika Südlich der Sahara sind zu 80 Prozent für die Versorgung der Bevölkerung mit
Nahrungsmitteln verantwortlich. Die Lage der Frauen hat sich verschlechtert, weil Dürren, starke Stürme
und Regenfälle oder heftige Überschwemmungen sie um die Ernteerträge bringen. Als Folge der
Wirtschaftskrise stieg die Zahl der Hungerleidenden 2009 auf über eine Milliarde. Von daher muss alles
getan werden, um das Recht auf Nahrung weltweit durchzusetzen.
Bau von Fischteichen zur Aufzucht von Tilapiafischen
Marie Ganier-Raymond
D
Das Millenniumsentwicklungsziel 1 sieht eine Halbierung der Zahl der Hungernden bis 2015 vor.
Die Realität ist allerdings, dass die Zahl der Hungernden wächst, 2009 sind es circa 963 Millionen bei
steigender Tendenz. Dass das Recht auf Nahrung von Frauen mehr verletzt wird als das der Männer
gilt inzwischen als anerkannt, jedoch verfügen wir über keinen verlässlichen Zahlen. Dies liegt in der
Natur der Diskriminierung der Frauen, denn es existieren keine genderdisagregierte Daten: Man müsste
eine Gender Einschätzung vornehmen werden, die wiederum den politischen Willen voraussetzt.
Dieser fehlt in der Regel, so dass der genaue Stand von Hunger und Unterernährung von Frauen noch
unklar bleibt.
Die Auswirkungen der Nahrungsmittelskrise auf Frauen lassen sich zumindest strukturieren: Frauen
ernähren die Welt, werden aber nicht satt, weil ihr Anteil am Ertrag gering ausfällt, und sie am wenigsten
in der innerhäuslichen Verteilung abbekommen. In Krisenzeiten, die mit Knappheit verbunden
sind, sind sie gefährdeter. Frauen tragen in den meisten Ländern die Verantwortung für die Landwirtschaftsproduktion,
haben aber einen viel geringeren Zugang zu Finanzdienstleistungen (außer Mikrokrediten).
Sie können deshalb weniger planerisch tätig sein. Frauen erhalten weltweit weniger Einkommen
bei gleicher Wirtschaftskraft. In Krisenzeiten tendiert das Einkommen dazu, sich zu verschlechtern,
was sie mit besonderer Härte trifft. Ihre oft prekären Arbeitsverhältnisse sind in Krisenzeit schnell
19
Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
gefährdet. Frauen sind generell in der Landwirtschaft tätig aber erhalten keine Anerkennung. Sie werden
lediglich als Familienmitglied wahrgenommen und bei der Vergabe von Landrechten missachtet. In
vielen Ländern haben verlassene Frauen keinen Anspruch auf Alimente, was in manchen Fällen des
Auseinanderfallens eines halbwegs stabilen Familienkonstrukts Frauen in die Unterernährung hineinwirft,
speziell in Zeiten, in denen das wirtschaftliche Auskommen in Frage gestellt wird. Humanitäre
Katastrophen gefährden auch in besonderem Maße die Lage der Frauen. Einerseiten können ihre
Errungenschaften buchstäblich weggeschwemmt werden, andererseits werden sie sehr oft Opfer von
sexualisierter Gewalt wenn sie sich einen Zugang zu Hilfslieferungen schaffen. Außerdem führen Katastrophen
dazu, dass Frauen sehr weite Wege zurücklegen müssen, um den Zugang der Familie zu
Nahrungsmitteln zu sichern. Auf solchen Wegen setzten sie sich vielen Gefahren aus. Natürlich wehren
sich Frauen und entwickeln ihre Strategien, aber es ist auch Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit
in Richtung Geschlechtergerechtigkeit zu wirken. Um dies zu unterstützen hat VENRO vor einigen
Jahren die Arbeitsgruppe Gender aus der Taufe gehoben, denn selbst bei Entwicklungsorganisationen
kann das Thema noch stärker in den Vordergrund gestellt werden. Der Ansatz von VENRO ist es,
mehrgleisig zu verfahren.
In erster Linie dient die Arbeit der AG-Gender von VENRO dazu, den Austausch zwischen den
Mitgliedsorganisationen zum Thema Gender zu fördern, damit die einzelnen Organisationen voneinander
lernen können. Des Weiteren sind generell Konsultationsprozesse wichtige Eckpfeiler der
VENRO-Arbeit. Die Adressaten sind hier das Bundesministerium für Zusammenarbeit und die Durchführungsorganisationen
aber auch die Europäische Union und andere Partner. VENRO nimmt Position
zu den verschiedenen Aspekten der Geschlechtergerechtigkeit. In diesem Sinne entstehen interne
Positionspapiere, damit die Mitgliedsorganisationen die Möglichkeit haben, Frauen- und Genderfragen
in ihren Policies aufzunehmen, sowie. externe Positionspapiere entlang internationaler Ereignisse (z.B.
Doha-Konferenz, Weltbankpapier). Da Geschlechtergerechtigkeit bei vielen Organisationen noch viele
Fragen aufwirft, bietet die AG-Gender Capacity Building Workshops zu einzelnen Aspekten, um das
Thema in den Mitgliedsorganisationen umsetzbar zu machen. Zuletzt muss noch genannt werden, dass
die AG-Gender aktiv an den Verbandsstrategien mitwirkt, wie zum Beispiel im Rahmen der Afrika-
EU-Strategie oder im Zuge des Schattenberichts zu den Millenniumsentwicklungszielen.
So wie die Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit es immer wieder verdeutlicht, kann es ohne
Geschlechtergerechtigkeit keine Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele geben. Aufgrund
dessen muss sich die Projektpraxis spürbar in diese Richtung entwickeln, um nicht nur die Grundbedürfnisse
der Frauen weltweit zu verwirklichen, sondern vor allem auch den unterschiedlichen Aspekten
deren Rechtsverwirklichung Rechnung zu tragen. Dies soll arbeitsteilig geschehen, indem die einzelnen
Mitgliedsorganisationen von VENRO die spezielle Lage der Frauen und die geschlechterdiskriminierenden
Strukturen stets im Fokus behalten, wenn sie ihre Aktivitäten planen, durchführen und neu
konzipieren.
Gabriele Groneberg
D
Die Nahrungsmittelkrise zeigte besonders deutlich, was die Gebergemeinschaft, aber auch die Entwicklungsländer
selbst, vernachlässigt hatten. Es wurde über viele Jahre versäumt, ausreichend in die
Infrastruktur ländlicher Räume und in die Landwirtschaft zu investieren.
Neue Studien belegen, dass Steigerungen des Bruttonationalproduktes, die aus einem Wachstum
der landwirtschaftlichen Produktion resultieren, besonders den armen Bevölkerungsschichten zugute
kommen. Denn eine gesteigerte Produktion von Nahrungsmitteln verbessert die Eigenversorgung und
das Angebot lokaler Märkte – gerade auch zu Preisen, die von den Armen bezahlt werden können. Der
Weltentwicklungsbericht 2008 der Weltbank „Agriculture for Development“ geht davon aus, dass der
Entwicklungseffekt durch die Förderung des Agrarsektors viermal höher ist als durch die Unterstützung
anderer Wirtschaftszweige. Die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ist also entscheidend
für die Bekämpfung des Hungers. Eine Vernachlässigung dieses Sektors kann katastrophale Folgen
für die Ärmsten der Armen nach sich ziehen.
Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung des Hungers
Neben der jährlichen Zahlung von 23 Millionen Euro und der anlassbezogenen finanziellen Unterstützung
des Nothilfeprogrammes der WEP (Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen) hat
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung während der akuten Notsituation
der Nahrungsmittelkrise im März 2008 drei Millionen Euro und Mitte April 2008 weitere zehn
Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Bundesregierung hat 2008 insgesamt circa 600 Millionen
Euro in die globale Ernährungssicherung investiert. Die Bundesregierung hat der Weltbank zudem für
den Infrastrukturfonds 100 Millionen Euro im Rahmen des Konjunkturpaktes II zur Verfügung gestellt.
Mittel- und langfristig sind strukturverändernde Maßnahmen in den Entwicklungsländern notwendig,
um die Produktion von Nahrungsmitteln zu erhöhen. Deshalb legt das BMZ in der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit einen besonderen Schwerpunkt auf die Beratung und Schulung von
Kleinbäuerinnen und –bauern zur Steigerung ihrer Produktivität. Aber auch Infrastrukturmaßnahmen
und die Unterstützung verarbeitender Industrie sind Teil eines umfassenden Förderansatzes.
Auf der multilateralen Ebene hat sich Deutschland in den vergangenen Jahren dafür eingesetzt, dass
die Weltbank wieder einen höheren Anteil ihrer Mittel für die ländliche Entwicklung einsetzt. So hat die
Weltbank mit ihrem Weltentwicklungsbericht im Krisenjahr 2008 mit dem Titel „Agriculture for
Development“ die Ländliche Entwicklung in den Mittelpunkt gestellt und hat auch ihre Ausgaben deutlich
gesteigert. Im Zeitraum 2005 bis 2007 haben sich die Kredite im Bereich Landwirtschaft im Vergleich
zum Zeitraum 1999 bis 2001 um 38 Prozent erhöht.
Vielen Regierungen ist es leider nicht gelungen, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die
eine Umsetzung der Potenziale in Entwicklung und Produktivität ermöglicht hätten. Im Tschad, Burkina
Faso, Mali, Niger, Äthiopien, Malawi und auf den Kapverdischen Inseln liegt der Anteil öffentlicher
Ausgaben für die Landwirtschaft und ländliche Entwicklung inzwischen wieder bei über zehn
Prozent.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit verfolgt heute in der Förderung von ländlicher Entwicklung
einen umfassenden system- und prozessorientierten Ansatz. Dabei müssen die verschiedenen
Einflussfaktoren auf die Lebensbedingungen im ländlichen Raum systematisch bearbeitet werden. Eine
wesentliche strukturelle Barriere stellen dabei die marktverzerrenden Subventionen für landwirtschaftliche
Produkte der Industrieländer dar.
Faire Chancen für Entwicklungsländer sind nur möglich im internationalen Agrarhandel, wenn
Marktchancen durch Zollabbau eröffnet und Exportsubventionen abgebaut werden. Die von der EU
nicht zuletzt auf Drängen der Bundesregierung beschlossenen Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik
stellen einen Schritt in die richtige Richtung dar. Insbesondere die Absicht der EU, die immer geringer
werdenden Exportsubventionen für Agrarprodukte (EU-Haushaltsentwurf 2009: 300 Millionen Euro
für die EU27) bis 2013 schrittweise vollständig abzubauen, sind dabei der richtige Ansatz.
Die besondere Situation der Frauen und ihr Beitrag zur Ernährungssicherung
Von Natur- und Hungerkatastrophen sind bekanntermaßen am schlimmsten die Schwächsten betroffen:
Die Frauen und Kinder. Frauen sind ohnehin in armen Bevölkerungsschichten überrepräsentiert
und aufgrund ihrer sozialen Stellung besonders verwundbar. Sie sind zu einem größeren Ausmaß
von natürlichen Ressourcen abhängig, deshalb sind sie auch anfälligerer für die Folgen des Klimawandels,
wie Dürren, Überflutungen und ähnlichen Auswirkungen.
Klar ist indessen, dass Frauen für die innerfamiliäre Versorgung meist die zentrale Rolle spielen.
Deshalb ist es sinnvoll ihre Position zu stärken, damit sich die Verhältnisse bessern. „Frauen halten den
Schlüssel zur Überwindung der Armut in der Hand“, so bringt es unsere Entwicklungsministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul treffend auf den Punkt.
Dass gerade Frauen der Zugang zu Land und Kapital erschwert wird, stellt ein gravierendes Entwicklungshemmnis
in vielen Ländern dar. Ihr wirtschaftliches Potential wird in rechtlicher, agrarpolitischer
und soziokultureller Hinsicht beschränkt. Und das geschieht, obwohl die Ernährungssicherung
weitgehend in Frauenhand liegt: über 90 Prozent der Grundnahrungsmittel und über 30 Prozent der
Marktfrüchte werden von Frauen produziert. Dennoch sind aber nur zehn Prozent der Anbauflächen
im Besitz von Frauen und weniger als zwei Prozent aller Landtitel in Entwicklungsländern insgesamt.
Zudem erhalten Frauen nur etwa zehn Prozent aller an Kleinbauern vergebene Kredite und insgesamt
nur über ein Prozent aller vergebenen landwirtschaftlichen Kredite. Allerdings profitieren gerade Frauen
von Mikrokrediten und ihrer armutsreduzierenden Wirkung. Frauen zahlen zuverlässig jeden Kredit
zurück. Je schneller die Schulden bezahlt werden, desto mehr Geld gibt es beim nächsten Kredit. Das
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
gesteigerte Einkommen trägt dann zur verbesserten Bildung bei, zu einer besseren medizinischen Versorgung
– und stärkt die Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft.
Maßnahmen der Bundesregierung zur gezielten Förderung von Frauen
Insofern verfolgt die deutsche entwicklungspolitische Zusammenarbeit einen zweigleisigen Ansatz
aus „Gendermainstreaming“ und gezielter Förderung von Frauen. Das bedeutet zum einen, dass es
Aufgabe des Staates ist, für bessere Zugangsbedingungen zu Märkten und die Gestaltung und Einhaltung
des Rechtsrahmens zu sorgen. Zum anderen heißt das auch, dass an den Bedürfnissen von Frauen
ausgelegte Maßnahmen und Investitionen gefördert werden müssen. Dazu gehört vor allem eine zeitsparende
Infrastruktur in den Bereichen Transport, Wasser- und Energieversorgung oder auch Kinderbetreuung.
Aber es wird grundsätzlich darum gehen, die Strukturen zu ändern: Denn wer die strukturellen Ursachen
für soziale und politische Instabilität überwinden will, muss die Ungleichheit zwischen den
Geschlechtern beseitigen. Damit können innergesellschaftliche Konflikte vermieden und Armut effektiver
bekämpft werden. Der nachgewiesene Zusammenhang zwischen Armutsreduzierung und Gleichberechtigung
von Männern und Frauen findet aus diesem Grund seinen Niederschlag in den Millenniumsentwicklungszielen
der Vereinten Nationen.
Abschließender Hinweis auf parlamentarische Initiativen
Intensiv hat sich die SPD-Bundestagfraktion in dem Antrag „Hunger und Armut in Entwicklungsländern
durch die Förderung von ländlicher Entwicklung nachhaltig bekämpfen“ (Drs. 16/ 11053)
sowie in dem Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion „Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit
stärken – Gender Mainstreaming konsequent weiter verfolgen“ mit der Thematik auseinandergesetzt.
Zudem hat der Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen
Bundestages zwei Anhörungen in diesem Themenbereich durchgeführt: Im Oktober 2008 „Instrumente
zur Förderung der Ländlichen Entwicklung – Bessere Erfolgsaussichten bei der Hunger- und
Armutsbekämpfung“ sowie im Februar 2009 „Auswirkungen der Finanzkrise auf die Entwicklungsländer
und Handlungsoptionen für die Entwicklungspolitik“.
Regierungsprogramm der SPD 2009 – 2013
Das auf dem außerordentlichen Bundesparteitag am 14. Juni 2009 in Berlin beschlossene Regierungsprogramm
zeigt deutlich, welchen zentralen Stellenwert die SPD der Entwicklungszusammenarbeit
beimisst. Die SPD stellt darin sicher, dass bis 2010 0,51 Prozent und bis 2015 0,7 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes für die weltweite Bekämpfung von Armut und Hunger zur Verfügung gestellt
werden sollen. Um die Millenniumsentwicklungsziele bis zum Jahr 2015 zu erreichen, braucht es feste
finanzielle Zusagen: Neben der Bereitstellung von klassischen Haushaltsmitteln will die SPD weitere,
innovative Finanzierungsquellen erschließen. Ein wichtiger Schwerpunkt wird dabei die Unterstützung
Afrikas bleiben, denn das Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele wird entscheidend von den
Fortschritten in Afrika abhängen.
Bernadine Ndaboine
D
Die Statistiken sind eindeutig, wenn man sich die Rolle der Frau in der Nahrungsmittelproduktion
anguckt: in den Entwicklungsländern werden zwischen 60 und 80 Prozent der Nahrungsmittel von
Frauen angebaut, aber mehr als 70 Prozent der Hungrigen sind Frauen und Mädchen. Mehr als 907
Millionen Hungernde gibt es alleine in den Entwicklungsländern – das ist mehr als die Bevölkerung der
EU, Kanada und den USA addiert. Frauen in den ländlichen Bereichen produzieren mehr als die Hälfte
der weltweiten Nahrungsmittel. 75 Prozent der Hungrigen leben in diesen ländlichen Bereichen. Der
Zugang zum Kapitalmarkt ist für Frauen schwierig: nicht einmal zehn Prozent der vergebenen Kredite
gehen an Frauen. Mehr als 400 Millionen Menschen weltweit leben von zwei US-Dollar am Tag. Bis
2015 sollen es weit mehr als 600 Millionen werden. Die Nahrungsmittelpreise sind um knapp 55 Prozent
gestiegen. Bei Haushalten in den Industrieländern geben Personen meist nicht mehr als 15 bis 18
Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. In den Entwicklungsländern beträgt der Prozentsatz
fast 70 Prozent, so dass die Preissteigerung die Haushalte hier ungleich stärker trifft.
Was ist der Ursprung der Nahrungsmittelkrise in Tansania
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
Die Frauen in Tansania, die in der Landwirtschaft tätig sind, sind in vielerlei Hinsicht benachteiligt:
Sie besitzen ein Prozent des Landes, erhalten nicht einmal sieben Prozent der landwirtschaftlichen
Dienstleistungen und weniger als zehn Prozent der Kreditnehmer sind weiblich. Dazu kommen Unterernährung,
Analphabetismus und das Fehlen einer Stimme, wenn es um Entscheidungen in ihrem Leben
geht. Insgesamt wird diese Situation noch beeinflusst durch eine geringe Ernte wegen unregelmäßiger
Regenfälle, das Umsteigen von Lebensmittel für die Eigenversorgung auf Anbau von Lebensmitteln
für den Export, steigende Preise der Düngemittel, Transportschwierigkeiten, Import- und Exportrestriktionen,
Malaria und HIV/AIDS, die Aufnahme von Flüchtlingen und so weiter.
Die Rolle der Frauen bei der Nahrungsmittelsicherung
Frauen in Tansania sind hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig und dabei zuständig für die
Sicherung der Nahrungsmittelgrundlage für die Familien. Darunter fallen die Arbeiten von der Vorbereitung
der Felder, die Kultivierung der Pflanzen, Unkrautjäten und Ernten, aber auch die Verarbeitung
der Ernte wie z.B. das Aufbrechen der Nüsse, Sortieren des Saatgutes, das Trocknen, der Transport,
der Verkauf. Gleichzeitig führen die Frauen den Haushalt inklusive der Betreuung der Kinder. Eine
Frau in Tansania ist den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt außer den Arbeiten auf der Farm.
Die Auswirkungen der Nahrungsmittelkrise auf die Frauen in Tansania
Frauen in Tansania erbringen eindeutig die meiste Arbeit bei der Erwirtschaftung der Nahrungsmittel,
sind zugleich auch am schwersten betroffen von der Krise, da ihre Möglichkeiten, eigenständige
Entscheidungen zu treffen in diesem Bereich sehr limitiert sind. Sie haben keinerlei Autorität um Entscheidungen
bezüglich des Anbaus, des Konsums oder des Verkaufs zu machen, da diese vollständig
von ihren Ehemännern getroffen werden. Dies beeinflusst ihr Wohlbefinden bzw. ihre Gesundheit auf
verschiedenen Ebenen. Die Gesundheit der Frauen wird beeinflusst, da die traditionellen Essstrukturen
Männer gegenüber Frauen und Kindern bevorzugen, da z.B. Männern nicht nur als Erstes essen, son--
dern auch die beste Auswahl des Verfügbaren serviert wird. Mangelernährung führt zu höheren Sterberaten
von Kindern und Müttern im Kindbett. Ebenso werden Schwangere anfälliger für Infektionen,
Früh- und Fehlgeburten. Wegen der Arbeitslast schaffen es weniger Mütter zu den Vorsorgeuntersuchungen
und es werden mehr Kinder zu Hause geboren. Die Bildung der Mädchen leidet mehr unter
diesen Bedingungen als die Jungen, da die Mädchen die Schule verlassen um die Mütter bei der
Bewirtschaftung des Feldes und der Hausarbeit zu unterstützen. Einige der Mädchen werden frühzeitig
verheiratet, wieder andere können nicht versorgt werden und müssen sich anderweitig eine
Beschäftigung suchen, was häufig zu einer Infektion mit HIV/AIDS führt. Einige versuchen sich auch
als Straßenverkäufer und verdienen weniger als zwei US-Dollar am Tag. Frauen, insbesondere Frauen,
die ihrer Familie vorstehen und ohne einen Ehemann nur limitierten Zugang zu einem Einkommen
haben, müssen sich mit kleineren Jobs über Wasser halten. Frauen erhalten einen niedrigeren Lohn und
arbeiten oft an den schwersten und gefährlichsten Arbeitsplätzen. Häufig haben die Frauen nur noch
eine Mahlzeit am Tag, da die Lebensmittelpreise sich verdoppelt haben.
Lösung zur Nahrungsmittelsicherheit in Tansania
Eine Beseitigung der Folgen der Nahrungsmittelkrise kann nur in Kombination von Maßnahmen
auf drei Ebenen erfolgen. Auf der Ebene der Familien muss eine partnerschaftliche Zusammenarbeit
zwischen den Frauen und Männern gefördert werden, so dass die Arbeitslast zur Erwirtschaftung der
Nahrungsmittel gerecht geteilt wird. Auf Ebene der Gemeinden sollte den Frauen Zugang gewährt werden
zu den benötigten Materialien wie z.B. Dürreresistentem Saatgut, bezahlbaren Düngemitteln und
Beratungseinrichtungen, die Informationen über Kompost, abwechselnde Bepflanzung der Felder,
Pflanzungsmethoden generell vermitteln. Den Frauen sollte ein gleiches Anrecht auf Landvergabe
eingeräumt werden. Außerdem sollte eine Kombination von Getreideanbau und Kleintierhaltung
(Schweine, Geflügel, Ziegen etc.) eingeführt werden. Der Zugang zu Kleinkrediten muss für Frauen
geöffnet und zusätzlich gefördert werden. Und die Infrastruktur zum Abtransport der Waren muss
verbessert werden.
Auf Regierungsebene müssen zielgerichtete Investitionen in die Mechanisierung der Landwirtschaft,
in den Ausbau der Brunnen, Pump- und Bewässerungssysteme und die langfristige Planung und Einlagerung
von Lebensmitteln für Dürrephasen getätigt werden.
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
Guinea
GUINEA
Gewinnung von jodhaltigem Salz mit Hilfe von Solarenergie
Noumounin Tounkara
D
Die Republik von Guinea ist ein kleines Land. Es liegt im westlichen Afrika und hat eine Bevölkerung
von zehn Millionen Einwohnern, wobei der Frauenanteil 51,8 Prozent ist. Das Klima besteht aus
zwei Jahreszeiten: eine Trockenzeit und eine Regenzeit, die jeweils sechs Monate andauern wobei die
Temperatur zwischen 15 bis 40 Grad Celsius liegt. Die Republik von Guinea hat wie jedes Entwicklungsland
Schwierigkeiten mit der Nahrungsmittelversorgung, da die landwirtschaftliche Produktion für
die gesamte Bevölkerung nicht ausreichend ist. Aus diesem Grund importiert Guinea jährlich 300.000
Tonne Reis, welches das Grundnahrungsmittel darstellt. Die Landwirtschaft Guineas ist technisch nicht
sehr fortschrittlich, da die Arbeitsmaterialien wie z.B. geeignete Maschinen nicht vorhanden sind.
In dieser schweren Situation sind Frauen und Kinder am meisten betroffen. Die Frauen spielen eine
sehr wichtige Rolle in der Landwirtschaft. Sie erwirtschaften 80 Prozent der Reisproduktion, Fonio,
Knollen etc. Da Männer aufgrund der Arbeitssuche in den städtischen Zentren die Dörfer verlassen,
spielen die Frauen deswegen eine sehr bedeutende Rolle in der landwirtschaftlichen Produktion. Die
afrikanische Tradition besagt leider, dass Frauen in Afrika kein Besitz haben dürfen, obwohl sie diejenigen
sind die arbeiten und die Familie ernähren. Die Lagerung der Ernte wird von den Männer trotz
deren schwachen Teilnahme an der landwirtschaftlichen Arbeit durchgeführt.
Guinea ist ein Küstenland am atlantischen Ozean. Dennoch ist die Versorgung mit Fisch ebenfalls
mangelhaft. Eine arme Familie verbraucht weniger als 60 kg Fisch jährlich. Die Rinderzucht ist in Guinea
sehr wichtig. Es symbolisiert ebenfalls Reichtum einer Familie. Trotz des hohen Rinderbestandes
ist der Konsum von Rindfleisch sehr kostspielig. In Fouta Djallon ist es nicht unüblich dass die Züchter
ihren Kühen sehr zugetan sind, was sie daran hindert, sie zu verkaufen oder zu schlachten. All dieses
führt dazu, dass es ein starkes Defizit an tierischen Proteinen in der Ernährung gibt.
Charakteristisch für ein Entwicklungsland ist die nicht ausreichende Nahrungsmittelversorgung.
Hinzu kommt, dass es keine Möglichkeit die Aufbewahrung von verderblichen Lebensmitteln in Kühl-
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
schränken gibt oder sie anderweitig zu konservieren wodurch die Lebensmittel relative schnell verderben.
Dazu sollte erwähnt werden, dass Familien in Guinea nur einmal am Tag essen, manchmal auch
nur alle zwei Tage kochen können. Um die Nahrungsmittelsituation in Guinea zu verbessern, hat die
AGFC „Association Guineene des Femmes Chercheurs“ mit der Unterstützung des Marie-Schlei-
Vereins einige Projekte und Aktion ins Leben gerufen, um das Einkommen von Frauen zu vermehren.
Unter anderen in folgenden Bereichen:
• Konservierung und Verpackung von Gemüse und Früchten, denen in Solartrocknern die Feuchtigkeit
entzogen wird und die dann in Supermärkten in der Hauptstadt verkauft werden;
• Eine neue Methode der Solartrocknung zur Gewinnung von jodhaltigem Salz aus Meerwasser ist
entwickelt worden. Dies ermöglicht es den Frauen größere Mengen an Salz herzustellen und
gleichzeitig auch die Gesundheit der Arbeiterinnen zu schützen, da sie abseits von Sonnenhitze
und Insekten wie Moskitos arbeiten können;
• Zwei moderne Einrichtungen zum Räuchern von Fisch wurden eingerichtet, da Räucherfisch
eine sehr nahrhaftes und beliebtes Nahrungsmittel ist;
• Sieben Einrichtungen zur Herstellung von Palmöl und sechs zur Herstellung von Karité Butter
(Sheabutter) ermöglichen es den Frauen Zwischen- und Fertigprodukte herzustellen und auf den
lokalen Märkten zu verkaufen;
• Die Einrichtung von zwei Sammelkühllagern wurde von den Frauen mit Begeisterung aufgenommen,
da hier die Frauen frische Lebensmittel nach der Ernte oder während der Nacht lagern
könne und sie somit länger auf dem Markt anbieten können, da diese länger frisch bleiben. Bi
dahin waren die Waren nach zwei Tagen verdorben
• und jeweils drei Einrichtungen zum Mahlen von Reis und Mais und dem Schälen von Reis.
Diese Projekte und Einrichtungen helfen mehr als 10.000 Frauen bei der Arbeit in Guinea. 1.000
Frauen wurden über ihre Rechte aufgeklärt sowie in Schrift und Sprache unterrichtet. Sie werden auch
in der Hygiene aufgeklärt. Heute haben diese Frauen in Guinea ihren eigenen Besitz. Die Produktion
und der Konsum von Nahrungsmitteln hat zugenommen. Die Gesundheit von 4.000 Frauen hat sich
verbessert und das Einkommen von 10.000 Frauen hat zugenommen.
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
D
III. Bilanz und Perspektiven für Gender und Entwicklung im Zeichen der
Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen
Die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 und das Millenniumsziel 3 wollen Geschlechtergerechtigkeit
und Empowerment von Frauen. Es sind aber nur 18 Prozent der Abgeordneten weiblich, nicht
einmal zehn Prozent der Bürgermeister sind Frauen. Unter den 192 Staats- und Regierungschefs der
UN-Staaten sind nicht einmal zehn Prozent Frauen. 70 Prozent der Menschen, die in absoluter Armut
leben, sind Frauen. Sie leisten zwei Drittel aller Weltarbeitsstunden, verdienen zehn Prozent des Welteinkommens
und besitzen zwei Prozent des Weltvermögens. Ein Frauenleben in Würde ist in Entwicklungsländern
Zufall. Berufliche Qualifizierung ist ein Ausweg aus der Armutsfalle, wenn an den Bedürfnissen
und am Frauenalltag ausgerichtet die Ausbildung gemeinsam mit den Frauen konzipiert
wird. Ohne gleichzeitige Frauenförderungs- und Gendermainstreaming- Politik der jeweiligen Entwicklungsländer
wird Geschlechtergerechtigkeit nicht durchgesetzt werden können. Hinzu kommen
müssen erschwingliche Mikrokreditprogramme.
Togo TOGO
Überreichung der Ausbildungszeugnisse an die Bäckerinnen
Prof. Dr. Claudia von Braunmühl
D
Der entwicklungspolitische Gender Aktionsplan (GAP) der deutschen Bundesregierung vom
Februar 2009 geht explizit von den Menschenrechten aus: „Frauenrechte sind Menschenrechte“. Den
Weg zum „menschenrechtsbasierten Ansatz“ ebnete eine langjährige von internationalen Frauenbewegungen,
feministischer Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit geführte Debatte. Wesentliche
Stufen darin sind der in den siebziger Jahren aufgekommene Women in Development-Ansatz (WID).
Er ging davon aus, dass Frauen in Entwicklungsländern in vormodernen Strukturen gefangen sind und
durch frauenspezifische Maßnahmen in einen im Prinzip Entwicklung hervorbringenden Modernisierungsprozess
hineingeholt werden müssten. Der nachfolgende Gender and Development-Ansatz (GAD)
legt den Fokus nicht isoliert auf Frauen, sondern auf ungleiche und ungerechte Geschlechterverhältnis-
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
se, die mit Hilfe einer Gender Analyse aufgedeckt und in allen Phasen von Entwicklungszusammenarbeit
und Entwicklungspolitik durch Gender Mainstreaming praktisch korrigiert werden. Dieser Ansatz
prägt die Aktionsplattform von Peking (1995). Anders als gelegentlich dargestellt, ist also die Doppelstrategie
von Gender Mainstreaming – Gender Analyse plus frauenspezifische Maßnahmen - keine
europäische oder auch nur von Europa ausgegangene Strategie. Vielmehr hat sie ihren Ursprung in
einer langen, vielstimmigen, internationalen diskursiven und operativen Interaktion von Entwicklungszusammenarbeit
und Entwicklungspolitik, frauenbewegten Organisationen und Aktivistinnen sowie
feministischer Theoriebildung.
1985 schon formulierte das im globalen Süden aktive Netzwerk DAWN (Development Alternatives
of Women for a New Era) das für alle Frauen gültige strategische Ziel von Empowerment, das in der
einen oder anderen Form, oft ökonomisch verkürzt, von Entwicklungsorganisationen aufgegriffen wurde.
Der GAP vermeidet diese Verengung. Er setzt vier thematische Schwerpunkte: Wirtschaftliches
Empowerment, Frauen in bewaffneten Konflikten und ihre Rolle bei der Konfliktbearbeitung, Geschlechtsspezifische
Herausforderungen und Antworten auf die Klimakrise und Sexuelle und reproduktive
Gesundheit und Familienplanung. Hier soll auf die ersten beiden eingegangen werden.
Wirtschaftliches Empowerment
Armutsanalysen und die vielfach aufgearbeitete Erfahrungen mit Gender Mainstreaming haben
gezeigt, dass der neoliberale Mainstream selbst keineswegs Geschlechtergerechtigkeit hervorbringt,
sondern im Gegenteil sozialen Belangen im Allgemeinen und den Interessen und Lebenssituationen
von Frauen im Besonderen zuwider läuft. Marktradikale wirtschaftliche und politische Lösungen übersehen
systematisch die ungleiche Ressourcenausstattung von Frauen, die ihnen weltweit zufallenden,
unentgoltenen Sorgeleistungen an Menschen und Natur und nicht zuletzt, dass ihre eingeschränkten
Persönlichkeitsrechte sie daran hindern, möglicherweise gegebene wirtschaftliche Chancen wahrzunehmen.
Derweil sind die Arbeitsplätze von Frauen bzw. ist ihre eigene Produktion und deren Vermarktung
unmittelbar bedroht von billigeren, ggf. subventionierten Importen und können sie sich auf Entlastung
und Unterstützung durch staatliche Einrichtungen kaum verlassen.
Aus dieser Erfahrung heraus ist ein maßgeblicher Teil der internationalen Frauenbewegungen zu
dem Schluss gekommen, dass die Orientierung an den Menschenrechten nicht zu trennen ist von einer
gendersensiblen Kritik der politischen Ökonomie der Globalisierung. Der GAP indes setzt beim Themenschwerpunkt
„Wirtschaftliches Empowerment“ ganz auf Argumente und Instrumente, die auf die
Integration von Frauen in die Privatwirtschaft gerichtet sind, ohne die Organisation des Wirtschaftsprozesses
als solchen zur Debatte zu stellen. Es ist aber doch zu wünschen, dass ein grundlegender
politischer Text wie der GAP mutiger die globalen makro-ökonomischen und -politischen Barrieren
anspricht, die geschlechtergerechter Politikgestaltung entgegenstehen.
Konflikte und Konfliktbewältigung
Beim zweiten Schwerpunkt: Frauen in bewaffneten Konflikten und ihre Rolle bei der Konfliktbearbeitung
wird die im Juni 2008 einstimmig vom Weltsicherheitsrat verabschiedete Resolution 1820 zu
sexueller Ausbeutung und Missbrauch in den Vordergrund gestellt und ist an der vorangegangen Resolution
1325 vom Oktober 2000 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ das Schutzmotiv herausgehoben. Resolution
1820 sieht im Einsatz von sexualisierter Gewalt ein Kriegsmittel und sieht insofern darin eine
Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Sie spricht kategorisch ein Ende der
Straflosigkeit aus: Nach-Kriegs-Amnestien sollen sexualisierte Gewalt nicht einschließen. Das ist zweifelsohne
sehr hoch zu schätzen.
Viele Frauenorganisationen fürchten aber, dass mit Resolution 1820 der Fokus wieder ganz auf
dem Opferstatus von Frauen liegt, während die Männer mit Strafandrohungen in Schach gehalten werden.
Damit läuft zweierlei Gefahr in den Hintergrund zu treten, a) die Forderung nach Beteiligung von
Frauen an allen Aktivitäten der Konfliktbearbeitung; das bedeutet sowohl ihren Anteil in allen Typen
von Verbänden zu erhöhen als auch lokale Frauenorganisationen einzubeziehen. Diese Forderung stellt
sehr viel weitergehende Ansprüche an grundlegende Veränderungen der Geschlechterkultur in den
friedenssichernden Verbänden und beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen. b) Mit Waffen und
in Gewaltmärkten gesuchter Einkommenserwerb und durch Waffen und Gewalt beglaubigte Männlichkeit
sind vor allem da für junge Männer attraktiv, wo ihre möglicherweise ursprünglich ganz anders
gelagerten Lebensvorstellungen und Hoffnungen in einer blockierten Entwicklungsperspektive stecken
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
geblieben sind. Das ist ein entwicklungspolitisches und Geschlechterproblem erster Güte, das unbedingt
in einem entwicklungspolitischem Gender Aktionsplan angesprochen sein sollte. Zumal Gender
eben nicht nur Frauen meint.
Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath
G
Geschlechtergerechtigkeit und Frauenförderung, Empowerment von Frauen, sind die Voraussetzung
dafür, dass Armut und Unwissenheit, Hunger und Gewalt überwunden werden können. Zu
Recht enthalten die UN- Milleniumsziele in Ziel drei diese Einsicht als Forderung. Absolute Armut
kann nur überwunden werden, wenn Frauen gleichberechtigt an der Entwicklung beteiligt werden.
Gerade in den ländlichen Gebieten Afrikas besteht ein großer Nachholbedarf. Dabei wissen die Frauen:
ich weiß nichts, also bin ich nichts. Nur: der Zugang zu beruflicher Qualifizierung, technischem Know-
How, angepassten Technologien und Kleinstkrediten muss organisiert und finanziert werden. Frauen
und Teilhabe an Entwicklung bedeutet darüber hinaus, dass endlich alle Milleniumsziele von Gesundheit
bis zum Umweltschutz geschlechtspezifisch betrachtet und umgesetzt werden müssen.
Milleniumsziele und Frauen
Anders als die Aktionsplattform von Peking 1995 enthalten die Milleniumsziele keine spezifischen
gleichstellungspolitischen Ziele, obwohl alle Milleniumsziele nur dann erreicht werden können, wenn in
ihre strategischen Handlungsansätze neben frauenrelevanten auch frauenspezifische Anliegen einfliessen.
Das Millenniumsziel 3 ist das Ziel mit dem größten Nachholbedarf und setzt auf Geschlechtergerechtigkeit
und Empowerment von Frauen.
• Acht von zehn Frauen im Südlichen Afrika und in Südasien sind in prekären Beschäftigungsverhältnissen;
• 57 Prozent der Kinder, die nicht zur Schule gehen, sind Mädchen. Zwei Drittel aller Analphabeten
sind Frauen und Mädchen;
• Unter fünf Abgeordneten gibt es nur eine Frau. Quoten sind ein erfolgreiches Instrument, um
Frauen in Entscheidungspositionen durchzusetzen. Allerdings wird das Potential an Frauen für
Führungspositionen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dadurch beeinträchtigt, dass der Brain
drain für Fachkräfte vor allem Frauen erfasst;
• Eine der vier Frauen, die an den Folgen von Schwangerschaft oder Geburt sterben, könnte durch
den Zugang zu effizienter Verhütung gerettet werden, vor allem im Südlichen Afrika;
• Frauen, vor allem jüngere Frauen sind mehrheitlich HIV/Aids infiziert. In der Karibik stieg die
Zahl in fünf Jahren von 24 Prozent auf 43 Prozent. Gewalt ist Ursache und Folge von HIV/Aids;
• Der mangelnde Zugang zu sauberem Trinkwasser führt zu einer hohen zeitlichen Belastung von
Frauen. 40 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr werden für das Wasserholen und Wassertragen
durch Frauen und Mädchen verbraucht.
Gerade in Zeiten der Krisen leiden diejenigen am meisten, die am wenigsten zur Krise beigetragen
haben. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen trifft die Krise vor allem Frauen im ländlichen
Raum. Die Stärkung der Produktivkräfte der Kleinbäuerinnen ist ein Ausweg aus der Krise.
Gendermainstreaming versus Frauenförderung
Auf der Weltfrauenkonferenz von Peking 1995 wurde das Konzept Gendermainstreaming als Ergänzung
zur Strategie der Frauenförderung und positiven Diskriminierung beschlossen. Die UN-Staaten
haben die Aktionsplattform beschlossen und auf die Umsetzung mit Hilfe dieser Strategien gesetzt.
Während sich die Frauenförderung nur an Frauen richtet, richtet sich das Gendermainstreaming an
Frauen wie an Männer. Beide Grundsätze sind sowohl vom Grundgesetz wie vom EU-Recht gefordert.
Die CEDAW-Konvention der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung der Frau
fordert Frauenförderung als vorübergehende Maßnahme, um die de facto Gleichberechtigung von Frau
und Mann durchzuführen und rechtfertigt die Quote als Frauenförderinstrument.
Gendermainstreaming
Der Begriff ist bis heute nicht akzeptiert. Die Konzepte zeichnen sich durch einen hohen Grad an
Bürokratie und technischer Machbarkeit aus. Sie ist eine Top Down-Strategie. Sie macht die Geschlechterfrage
zur Querschnittsaufgabe. Die Frauenfrage gibt es nicht mehr. Damit löst sich die Strategie aus
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichstellung der Geschlechter und der Überwindung der faktischen
Ungleichheit. Zusätzlich kann Gendermainstreaming nur durch Gender Expertise, Gender
Proofing, Gender Sensivity und Gender Impact Assessment in den Mainstream kommen. Fast überall
fehlt es an Personal und Finanzen, um die Prüfungsschritte der 4 R durchzuführen: Repräsentation,
Ressourcen, Rechte, Realitäten.
Gendermainstreaming als Teil der Doppelstrategie zur Geschlechtergerechtigkeit wurde in vielen
Staaten zu einer Aufkündigung der Frauenförderung genutzt. Dies gilt für die Institutionalisierung der
Frauenfrage wie für Finanzmittel und individuelle bzw. strukturelle Benachteiligung der Frauen. In
Hamburg war diese Politik mit der Abschaffung des Senatsamtes für die Gleichstellung und die Sparmaßnahmen
für die Frauenprojekte verbunden. Vielfach wurde das Gendermainstreaming dazu genutzt,
frauenpolitische Maßnahmen durch familienpolitische Maßnahmen und Programme zu ersetzen.
Die mangelnde Sensibilisierung auf der Entscheidungsebene, die fehlenden Ressourcen, die fehlende
Transparenz und der Mangel an Genderexpertise sind mit der Zuständigkeit aller Behörden für das
Gendermainstreaming als Querschnittsaufgabe verbunden und sich selbst überlassen, weil es keine zentrale
Prüfstelle für den Erfolg des Gendermainstreaming gibt.
Frauenförderung bedeutet auch Quotierung. Gegen sie wird eingewandt, dass damit Männern keine
Chancen gegeben werden und Frauen zu Quotenfrauen deklassiert werden. Kein Mann hat sich im vergangenen
Jahrhundert darüber beschwert, dass es fast neunzig Jahre eine 90prozentige Männerquote
gab - allerdings auch zu wenige Frauen.
Gesetzliche Regelungen tragen zur Bewussteinsbildung bei. Deswegen haben Gleichstellungsgesetze
weiterhin eine große Bedeutung. Für ihre Umsetzung bedarf es Zulassung der Verbandsklage,
weil die Ungleichbehandlung von Frauen kein individuelles Schicksal ist, sondern eine strukturelle
Frage.
Gendermainstreaming sollte daher nicht als Allheilmittel für die Lösung der Frauenfrage gesehen
werden. Sie war weder so konzipiert noch durchgesetzt. Die Doppelstrategie muss zu einer Gleichberechtigung
beider strategischen Ansätze führen und dazu beitragen, dass im 21. Jahrhundert die Geschlechtergerechtigkeit
hergestellt wird. 14 Jahre Gendermainstreaming haben weder zu mehr Gleichberechtigung
in Politik und Wirtschaft geführt noch die Beschäftigungslücke oder die Lohnlücke geschlossen.
Vor allem sind weder die strukturelle noch die häusliche Gewalt überwunden worden.
Immer noch hat Gewalt gegen Frauen viele Gesichter.
Strategien für Gender und Entwicklung
Die Benachteiligung der Frauen und die Geschlechterungleichheit sind auch im 21. Jahrhundert
eine Herausforderung. UN-Konventionen, Verfassungsbestimmungen, Vereinbarungen und Gesetze,
die zur Geschlechtergleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit beitragen, werden nur unzureichend
beachtet. Die Sichtbarkeit der Frauen verstärken, die Stimme der Frauen erheben, sind gewichtige Forderungen.
Sie werden aber nur dann zu gleichstellungs- und frauenpolitisch korrekten Antworten führen,
wenn Frauennetzwerke existieren und funktionieren.
Meine Forderungen:
• Mehr Transparenz zur Lage der Frauen in Entwicklungsländern: Genderrelevante Daten und Fakten
werden gebraucht.
• Frauenberichte der UN- Staaten müssen über die Berichterstattung zur Umsetzung der CEDAW-
Konvention hinaus alle drei Jahre erscheinen.
• UN- Staaten müssen stärker in die Pflicht genommen werden, die UN- Resolutionen 1325, 1820
sind umzusetzen und Aktionspläne vorzustellen, damit der Beitrag der Frauen zu Prävention und
Schlichtung eingesetzt werden kann.
• Politische und wirtschaftliche Entscheidungsfunktionen müssen quotiert werden.
29
Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
D
Die Sicht der Arbeitsgruppe Gender des Verbandes Entwicklungspolitik
deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO)
Die VENRO-Steuerungsgruppe Gender begrüßt die Paris Deklaration zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit
und die Einigung der EU-Mitgliedstaaten auf eine arbeitsteilige Zusammenarbeit.
Eine umfassende Reform der Entwicklungszusammenarbeit eröffnet die Möglichkeit, deren
Defizite zu beheben und die Rolle der Entwicklungsländer im Sinne einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit
zu stärken. Dies bietet die Chance, Ziele und Mechanismen zur Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit
systematisch in die neuen Modalitäten der Zusammenarbeit zu integrieren und damit
einen wichtigen Schritt zu einer wirksameren Entwicklungszusammenarbeit zu gehen. Denn Frauen
machen weltweit nach wie vor einen Großteil der von Armut und Rechtlosigkeit betroffenen Menschen,
insbesondere im ländlichen Raum aus. Nur wenn der Reformprozess Geschlechterungleichheiten
adressiert, kann er Armut nachhaltig bekämpfen und damit einen Beitrag zu einer wirksameren Entwicklungspolitik
und der Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele (MDG) leisten.
Guatemala
GUATEMALA
Anbau von Gemüse und Zierpflanzen und die Benutzung von ökologischem Dünger und Pestiziden
Gleichwohl zeigt sich die VENRO Steuerungsgruppe Gender besorgt über die derzeitige Ausgestaltung
des Reformprozesses, bei dem die Ziele Geschlechtergerechtigkeit und Empowerment von
Frauen in den Hintergrund zu treten drohen. Die Paris Deklaration verweist nur marginal auf die Querschnittsaufgabe
Gender und versäumt die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei der Ausgestaltung
ihrer fünf Kernprinzipien. So ist das Prinzip der Eigenverantwortung regierungszentriert
konzipiert und vernachlässigt Parlamente und zivilgesellschaftliche Organisationen. Betroffen sind
davon insbesondere lokale Frauen- und Genderorganisationen, deren Forderungen keinen Eingang in
die nationalen Entwicklungsstrategien finden. Eine Partnerausrichtung der Geberpolitik an den Zielen
und Strategien der Empfängerländer läuft vor diesem Hintergrund Gefahr, Genderthemen und frauen-
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
spezifische Maßnahmen zu marginalisieren. Die Harmonisierung von Geberpolitiken darf daher nicht
dazu führen, dass nur noch wenige standardisierte Instrumente angewandt und zivilgesellschaftliche
Organisationen von der Förderung ausgeschlossen werden. Denn gerade bei Makro-Instrumenten wie
Programmorientierung und Budgethilfe bleiben geschlechtsspezifische Maßnahmen oftmals unberücksichtigt.
Dies gilt auch für die in der Paris Deklaration angestrebte stärkere Ergebnisorientierung:
Analysen zeigen, dass Genderthemen trotz vorhandener Verpflichtungen zum Gender Mainstreaming
nur vereinzelt in Evaluierungen entwicklungspolitischer Maßnahmen einbezogen werden. Setzt sich
dieser Trend fort und werden die Indikatoren der Paris Deklaration nicht unter Einbeziehung der
Genderperspektive konkretisiert, kann eine umfassende Wirkungsorientierung im Rahmen der gegenwärtigen
Reform der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) nicht erreicht werden. Nur eine Ergebnisorientierung,
die auch die Fortschritte bei der Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit misst, kann
schließlich eine umfassende Rechenschaftspflicht, nicht nur gegenüber den Geberbeziehungsweise
Partnerlandregierungen, sondern auch gegenüber der Bevölkerung in den Ländern des Nordens und
des Südens, gewährleisten.
Die VENRO-Steuerungsgruppe Gender fordert daher im Vorfeld des III. High Level Forums zur
Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit, das im September 2008 in Accra stattfinden wird, die
konsequente Berücksichtigung von Genderinteressen bei der gegenwärtigen EZ-Reform. Das beinhaltet
insbesondere:
• Die systematische Integration von Zielen und Mechanismen zur Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit
in die neuen Modalitäten der Entwicklungszusammenarbeit. Nur wenn die Interessen
sowohl von Frauen als auch von Männern in den Entwicklungsprozess einfließen, kann von
einer wirklichen Eigenverantwortlichkeit in der Entwicklungszusammenarbeit die Rede sein.
• Die Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit muss mit grundlegenden Fragen nach demokratischen
Strukturen im Reformprozess der Entwicklungszusammenarbeit und konkreten Rahmenbedingungen
für ihre Förderung verbunden werden. Dies beinhaltet auch eine ausreichende
Finanzierung von frauen- und geschlechterpolitischen Maßnahmen, sowie lokaler Frauenorganisationen
und sollte durch einen Fonds für Frauenrechtsvorhaben sichergestellt werden.
• Die angestrebte Ergebnisorientierung muss mit umfassenden Monitoring-Mechanismen zur Umsetzung
von Geschlechtergerechtigkeit verbunden werden. Dies erfordert eine Aufschlüsselung
der Indikatoren nach Geschlecht sowie Berichtspflichten und eine staatliche Rechenschaftspflicht
über die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Einnahmen und Ausgaben. Unter Einbeziehung
der Indikatoren aus der Pekinger Aktionsplattform, dem UN-Frauenrechtsabkommen
(CEDAW) sowie MDG-Plus muss das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit in die zu entwickelnden
Mindeststandards für Entwicklungshilfe aufgenommen werden.
• Eine umfassende Rechenschaftspflicht auch nach innen erfordert Investitionen in den Kapazitätsaufbau
von Parlamenten und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Nur wenn grundlegende
Mechanismen der Genderanalyse bekannt sind und angewandt werden, kann die Wirksamkeit
von Entwicklungspolitik in ihrer Auswirkung auf beide Geschlechter überprüft werden. Dies
beinhaltet insbesondere die Stärkung von Frauenrechtsorganisationen in den Ländern des Südens.
• Im Kontext der Harmonisierung von Geberleistungen sind die Geber aufgefordert, die Bedeutung
der Arbeitsteilung für die Geschlechtergerechtigkeit transparent zu machen und den Implementierungsprozess
zu verdeutlichen. Da bisher unklar ist, wie die Frage der Geschlechtergerechtigkeit
im Verhältnis zu den Sektorzuständigkeiten organisiert wird, fordern wir eine klare
Zuständigkeit für die Geschlechtergerechtigkeit.
• Um die Folgen der gegenwärtigen Reform der Entwicklungszusammenarbeit auf die Umsetzung
von Geschlechtergerechtigkeit einschätzen zu können, ist eine wissenschaftliche Begleitung dieser
Entwicklungen erforderlich. Dies betrifft insbesondere die Auswirkungen internationaler Geberpolitik,
wie Programmorientierung und Budgethilfe auf Geschlechterstrukturen in den Ländern
des Südens, die in Form von Studien und Bestandsaufnahmen ermittelt werden sollte.
Die VENRO-Steuerungsgruppe Gender wird die Umsetzung der Paris Deklaration zur Wirksamkeit
der Entwicklungszusammenarbeit weiter begleiten und begrüßt einen Dialog mit den beteiligten
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
Akteuren. Denn nur, wenn die Bekämpfung von Frauenarmut und die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit
institutionell, thematisch und finanziell in die neuen Mechanismen der Entwicklungszusammenarbeit
integriert werden, lassen sich Armut und globale Ungleichheiten wirksam bekämpfen.
Ayndavi Kshanika Weeratunge
D
Das Schicksal der Bevölkerung einer jeden Nation wird geformt durch komplexe Prozesse innerhalb
der Regierung: dies gilt auf lokaler bis zur nationalen Ebene, wo Richtlinien und Strategien entwickelt
und Entscheidungen getroffen werden, die die Bedürfnisse und Anforderungen der unterschiedlichen
Bevölkerungsgruppen einer Nation gerecht werden sollen. Es ist daher notwendig, dass
die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen in diesem Prozess vertreten sind. Als Frauen können wir
nicht akzeptieren, dass ein Regierungssystem als effektiv bezeichnet wird, dass die eine Hälfte der Bevölkerung
außer Stande lässt Entscheidungen zu treffen, die ihr eigenes Leben betreffen. Nur dadurch,
dass wir ein Teil dieser Prozesse auf allen Ebenen werden, können wir die Gleichstellung von Frauen
und Männern erreichen. Dann werden die Frauen in einer Welt leben, die ihre fundamentalen Rechte
anerkennen und respektieren. Es muss ein Regierungssystem entwickelt werden, in dem das Konzept
von Gendergerechtigkeit und -gleichheit als eines der fundamentalen Ziele und Praktiken steht.
Die Bevölkerung Sri Lankas besteht zu 52 Prozent aus Frauen mit einer Alphabetisierungsrate von
93 Prozent. 54 Prozent des gesamten Fachpersonals und 58 Prozent aller Studenten (in manchen Fachbereichen,
wie z.B. Jura liegt die Quote bei 80 Prozent) sind weiblich. Die Haupteinkommensbereiche
des Landes, die Textilindustrie, der Teehandel und das Einkommen der Wanderarbeiter, werden zu einem
Großteil durch Frauen besetzt. 65 Prozent aller Wanderarbeiter sind Frauen. In der Textilindustrie
sind sogar knapp 90 Prozent aller Beschäftigten weiblich. Der Erfolg und die Professionalität der srilankischen
Textil- und Kleidungsindustrie muss der Fachkenntnis und der Disziplin der Arbeitnehmerinnen
zugeschrieben werden. Im Teegeschäft, in dem der ceylonesische Tee als Tee mit Gütezeichen
gehandelt wird, sind rund 60 Prozent der Beschäftigten weiblich. Betrachtet man jedoch die
Repräsentanz der Frauen in Gremien mit Entscheidungsmacht, so ist dies eine trostlose Angelegenheit:
vier Prozent auf nationaler Entscheidungsebene, drei Prozent auf Landesebene und nur knapp zwei
Prozent der Entscheidungsträger auf lokaler Ebene sind weiblich. Die Regierung ist eine Domäne der
Männer und die Rechte, Bedürfnisse und Forderungen der Frauen sind meist in dieser Regierungsform
der Politik nicht vorhanden. Frauen haben schon oft bewiesen, dass bei gleichen Chancen Frauen große
Fortschritte erzielen, eine hohe Professionalität bieten und gleichwertige, wenn nicht sogar bessere,
Leistung zeigen als Männer. Jedoch haben überholte Überzeugungen und eine patriarchalische Grundeinstellung,
dass Männer regieren, während Frauen sich weiterhin im Haushalt beschäftigen, dazu geführt,
dass eine Ungerechtigkeit bei den Positionen auf Ebene der Entscheidungsträger vorliegt (mehr
Männer als Frauen im Amt). Obwohl Sri Lanka die CEDAW-Konventionen unterschrieben hat, gibt es
doch etliche Beispiele im sri-lankischen Gesetz, die es z.B. Frauen verbieten Managementpositionen
buddhistischer Temporalien einzunehmen oder die es weiblichen Regierungsangestellten verbieten bei
Wahlen zu Regierungsämtern ihre Stimme abzugeben. Daher muss der erste Ansatz in Sri Lanka sein,
das System so zu verändern, dass den unterschiedlichen Prioritäten von Frauen und Männern in der
Legislative und in der Vergabe der Regierungsgelder Genüge getan wird. Um dieses zu erreichen, müssen
die Frauen emanzipiert und ermächtigt werden ihre Rechte auszuüben und am Entscheidungsprozess
teilzunehmen.
Wie, jedoch, erreicht man dieses Ziel Die Strategien sind mannigfaltig, aber es gibt einige grundlegende
Maßnahmen, die durchgesetzt werden müssen. Zum Einen ist es unbedingt erforderlich eine
gendersensible Regierung zu implementieren, in der Frauen in den Regierungsinstitutionen als gleichberechtigt
anerkannt und Frauenangelegenheiten in den Entscheidungsprozessen nicht als Randnotiz
behandelt werden. Dazu müssen die Prinzipien mit Maßnahmen durchgesetzt werden, die leicht implementierbar
sind. Vorrangig ist dabei die Anhebung der Anzahl der Frauen in Entscheidungsgremien der
Regierung durch die Einführung eines Quotensystems bei den Wahlen. Das Quotensystem sollte nicht
als ein Zugeständnis an die Frauen gesehen werden, sondern als gerechtfertigte Basis um eine Ungerechtigkeit
auszugleichen, die den Frauen eine Teilnahme am politischen Leben vorenthält. Ein Problem
ist die vorherrschende Gewalt, die in Sri Lanka als angemessene Antwort auf personelle, soziale
oder politische Konflikte genutzt wird. Frauen, die ein politisches Amt anstreben, werden oft Opfer
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
solcher Gewalt. Dieser Zustand, in dem genderbasierte Gewalt als „unsichtbare Plage“ akzeptiert wird,
führt dazu, dass Frauen schon den Gedanken an ein politisches Amt schnell aufgeben. Aus diesem
Grund ist es unbedingt notwendig, dass mehr Frauen über ein Quotensystem an politische Ämter
kommen, so dass langfristig frauenpolitische Themen angesprochen und behandelt werden. Unter
anderen ist das die ökonomisch benachteiligte Situation der Frau bis hin zu Vergewaltigung. Eine
größere Anzahl von Frauen in Regierungsämtern würde unzweifelhaft zu einem anderen Regierungsstil
führen, der weniger aggressiv, gerechter und auf Beratung und Konsens aufgebaut sein würde.
Verschiedene Maßnahmen zur Gleichstellung der Frau
Es gibt zwei unterschiedliche Methoden ein Quotensystem für Frauen einzuführen. Einmal kann
dies ein bestimmter Prozentsatz der Mandate im nationalen Parlament, den Landesparlamenten und
den regionalen Gremien sein, der für Frauen reserviert wird, oder über die Anzahl der Frauen, die auf
den Nominierungslisten der Parteien für eine Wahl aufgestellt werden müssen. So wird den Frauen der
Zugang zu politischen Ämter vereinfacht und es wird nicht nur eine konzeptionelle sondern auch eine
substanzielle Gleichberechtigung erreicht. Die Erreichung einer juristischen Gleichberechtigung ist leider
nicht unbedingt mit einer realen Gleichberechtigung gleichzusetzen. Verborgene Barrieren, die eine
reale Gleichberechtigung verhindern, können auch durch die Einführung des Genderbudgeting beseitigt
werden. Die Förderung einer aktiven und sichtbaren Politik des Gendermainstreaming in allen politischen
Richtlinien und Programmen war eine der Forderungen der Aktionsplattform von Peking 1995.
Die Einführung von Gendermainstreaming in die Planung des Haushaltes der sri-lankischen Regierung
und damit eine Umstrukturierung der Einkommens- und Ausgabenstruktur wäre eine unersetzliche
Methode zur Erreichung von Geschlechtergerechtigkeit. Alle Ebenen der Regierung, national, landespolitisch
und regional, sollten involviert sein, so dass dieser Prozess mit Rücksicht auf Frauengleichberechtigung
durchgeführt und ein sichtbares Zeichen zur Unterstützung der sozialen Gerechtigkeit
wäre. In Sri Lanka ist dieses umso notwendiger, wenn man bedenkt, dass rund 60 Prozent des staatlichen
Einkommens durch Frauen aufgebracht wird. Das dieses Geld für Programme ausgegeben wird,
die wenig bis gar keinen Einfluss auf die Themengebiete haben, unter denen die Frauen dieses Einkommen
erwirtschaften, ist eine traurige Reflektion der Einstellung der Regierung zur gesellschaftlichen
und rechtlichen Gleichstellung der Frau. Die Probleme, denen Frauen als Migrationsarbeiterinnen gegenüberstehen,
haben weit reichende Konsequenzen für die soziale Struktur Sri Lankas. Frauen sind oft
gezwungen sich im Ausland eine Beschäftigung zu suchen, um aus der häuslichen Gewalt ihrer Umgebung
zu fliehen. Sie lassen ihre Kinder ohne jegliche Unterstützung zurück. Nach dem Weggang der
Mütter steigt die Gewalt gegenüber den zurückgelassenen Kindern und Jugendlichen. Sie werden
häufiger Opfer von häuslicher Gewalt mit Tätern aus dem näheren familiären Umkreis. Auch der
Anstieg von Alkohol- oder Drogenmissbrauch wurde auf die Abwesenheit der Mütter zurückgeführt.
Die Frauen, die in Beschäftigungsverhältnissen im Ausland sind, haben keinerlei Sicherheitsnetze. Viele
der Frauen fliehen nach Beginn ihrer Arbeit in Schutzhäuser (häufig im Mittleren Osten), wohin sie vor
ihren gewalttätigen Arbeitgebern geflohen sind. Die Beschäftigten der Bekleidungsindustrie, besonders
diejenigen in den Freihandelszonen, haben weder eine angemessene Unterkunft, noch haben die überfüllten
Räume, in denen sie untergebracht sind, adäquate Sanitäreinrichtungen. Kommen die Arbeitnehmerinnen
erst nachts von ihren Arbeitsplätzen nach Hause, so sind sie häufig sexueller Belästigung
ausgesetzt. Weil die Mädchen nicht mehr zu Hause sondern alleine wohnen, sind sie aus der Sicht der
Gesellschaft heraus zwangsläufig unmoralisch, was zu einem sozialen Stigma für diese Arbeiterinnen
geworden ist. Von der Regierung aus gibt es keine Unterstützung der Organisationen, die versuchen
diesen Mädchen zu helfen.
Während der Zugang zu politischen Ämtern und den Entscheidungsprozessen generell geebnet
werden muss, muss gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass alle Formen der Diskriminierung in den Regierungsinstitutionen
adressiert und ausgemerzt werden. Frauen sollten den gleichen Zugang zu den
Arbeitsplätzen in allen Bereichen haben, während gleichzeitig eine Verbesserung der Möglichkeiten für
Frauen geschaffen werden muss, Positionen mit Entscheidungsbefugnissen zu erreichen. Um eine
gleichberechtigte Beteiligung zu erreichen, müssen jegliche Hindernisse, die einer Gleichberechtigung
im Wege stehen, gemeistert werden. Diese beinhalten auch die Kinderbetreuung, Bereitstellung von
rechtlichem und medizinischem Beistand für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, Kompetenzaufbau
und Ausbildung der Frauen im Rechtssystem, Lobbying und Führungsqualitäten. Die Stiftung Agromart
hat durch ein Programm zur Ausbildung von Frauen, die höhere politische Ämter anstreben, es
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Marie-Schlei-Verein e. V.
Frauen und Entwicklung
geschafft, dass bei den Regionalwahlen in Sri Lanka 15 Frauen aufgestellt und gewählt wurden.
Um eine gesellschaftlich gendersaufmerksame Umgebung in Sri Lanka zu schaffen, muss Gendergerechtigkeit
die Priorität der Regierung sein mit einem offensichtlichen politischen Willen. Schafft man
eine starke nationale Frauenbewegung, so wäre auch eine effiziente Überwachung der Erfolge möglich.
Die Sensibilisierung von Personen in Hinsicht auf das Thema Gender muss ausreichend auch finanziell
unterstützt werden, da eine unvollständige und nicht ausreichende Unterstützung häufig dazu führt,
dass dieses Unterfangen aufgegeben wird. Wenn die Überprüfbarkeit und die Transparenz der Ausgabenstruktur
der Regierung verbessert werden, muss gleichzeitig die Redefreiheit der Bürgerinnen und
Bürger des Landes gesichert sein, da eine Verbesserung der Vorgänge nur dann möglich ist, wenn die
Bürger die Ausgabenstruktur, das Vorgehen oder die administrativen Prozesse der Regierung öffentlich
untersuchen und kritisieren können. Verbessert man die Prozesse, die die Regierungsinstitutionen zur
Verantwortung ziehen, so erreicht man langfristig Gendergleichheit. Sind die Mechanismen zur Durchsetzung
des Gesetzes korrumpiert, so können keine Gesetze zur Gleichberechtigung der Frauen implementiert
werden. Strafverfahren zu sexueller Belästigung oder Vergewaltigung brauchen meist sechs
Jahre bis zur Beendigung des Verfahrens, was viele Frauen davon abhält ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen.
Aus diesem Grund muss eine starke unabhängige Zivilgesellschaft geschaffen werden, die die
Gerichte und die Regierung zur Verantwortung ziehen kann und somit Gerechtigkeit für Frauen und
Männer zu gleichen Teilen einfordern kann. Das Konzept der Gendergerechtigkeit sollte durch eigenständige
Programme gefördert werden, so dass auch Personen in Bereich der Medien, formaler Institutionen
und Privatunternehmen ein Teil der Gesellschaft werden können, die die Rechte der Frauen anerkennt
und respektiert. Streben wir nach weiteren Verbesserungen, so müssen wir zuerst erreichen,
dass die Mehrheit der Gesellschaft die Verpflichtung eingeht, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen.
DIE REFERENTINNEN
Prof. Dr. Claudia von Braunmühl, Professorin an der Freien Universität Berlin
Marie Ganier-Raymond, Genderexpertin und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Gender von VENRO
Gabriele Groneberg, ehem. Mitglied des Deutschen Bundestages und stellvertretende Vorsitzende des
Marie-Schlei-Vereins
Elke Herrfahrdt-Pähle, wiss. Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik
Margret Mönig-Raane, stellv. Vorsitzende VER.DI
Bernadine Ndaboine, Projektkoordinatorin des Frauenzentrums Kigoma, Tansania
Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath, Vorsitzende des Marie-Schlei-Vereins
Dr. Birte Rodenberg, Wissenschaftlerin und Genderexpertin
Mechtild Rothe, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments a. D.
Tran Thi Anh Thu, Internationaler Bereich der vietnamesischen Frauenunion, Vietnam
Noumounin Tounkara, Vertreterin der Frauenorganisation Association Guineenne des Femmes
Chercheurs, Guinea
Ayndavi Kshanika Weeratunge, Rechtsanwältin und Präsidentin der Frauenstiftung Agromart, Sri
Lanka
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Mitglied des Deutschen Bundestages und Ministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung a. D.
Dr. phil. Monika Wulf-Mathies, ehem. Mitglied der Europäischen Kommission
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Der Marie-Schlei-Verein – Wer wir sind und was wir tun
Solidarität – Nächstenliebe – Schwesterlichkeit. Es gibt viele Begriffe für die Verpflichtung, nicht nur das eigene
Wohlergehen zu bedenken, sondern auch die Hand nach denen auszustrecken, die weniger begünstigt sind. Der
Marie-Schlei-Verein e.V. ist eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die 1984 in Erinnerung an die frühere
Entwicklungshilfeministerin Marie Schlei gegründet wurde. Der Verein informiert über die Rolle der Frau in
Afrika, Asien und Lateinamerika und baut partnerschaftliche Beziehungen zu den Frauengruppen und Frauenorganisationen
in den jeweiligen Ländern auf. Gleichzeitig unterstützt der Marie-Schlei-Verein Frauenausbildungsprojekte
von Frauen für Frauen zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Frauen haben eine von Land zu Land
unterschiedliche Rolle, Funktion und Situation im Entwicklungsprozess. Sie brauchen Unterstützung bei einem
von ihnen bestimmten Entwicklungsweg.
Der Marie-Schlei-Verein hilft den Frauen, ihren eigenen Weg zu gehen und zur Entwicklung ihres Landes beizutragen.
Frauen geben Normen und Verhaltensweisen weiter. Die Versorgung der Bevölkerung im Süden hängt
von ihnen ab, Kindererziehung, Haushalt, Hygiene, Gesundheit und die Sorge um den Alltag sind nach wie vor
Frauendomäne. Ohne die Leistungen der Frauen im Süden werden Hunger, Armut, Unwissenheit und Gewalt
nicht überwunden werden können. Deswegen stellen die Weltfrauenkonferenzen die Stärkung der Rolle der Frau
als Schlüssel zur Entwicklung heraus. Die Förderung ihrer Ausbildungsprojekte ist ein Schritt zur Armutsbekämpfung.
Der Marie-Schlei-Verein fördert Selbsthilfeprojekte von Frauen für Frauen. Gefördert werden vor allem Ausbildungsprogramme,
die den Frauen eine berufliche Perspektive eröffnen. Die Projekte sind so unterschiedlich wie
ihre Standorte. Solartrocknung von Obst und Gemüse in Sri Lanka, Computerkurse auf Jamaika oder Bäckereiausbildung
in Togo. Allen ist aber gemeinsam, dass sie von einheimischen Frauenorganisationen entwickelt und
durchgeführt werden. Unsere Partnerinnen entscheiden selbst über ‘ihr’ Projekt. Sie verwalten die benötigten
Mittel selbst. So kommt eine partnerschaftliche und gleichberechtigte Zusammenarbeit zustande. In über 500
Selbsthilfeprojekten konnte der Marie-Schlei-Verein Frauen unterstützen. Die Frauen haben gezeigt, dass Mut
und Engagement Veränderungen herbeiführen kann. Allen Projekten ist gemeinsam, dass die Frauen sich selbst
helfen, für eine bessere Zukunft für sich und ihre Familien. Dafür setzen sie sich ein. Wir müssen helfen, wir
müssen Partnerinnen sein. Denn – ohne Frauen geht es nicht.
Kontakt:
Marie-Schlei-Verein e.V.
Heinrich-Barth-Straße 1
20146 Hamburg
Tel.: 040 – 4149 6992
Fax: 040 – 4149 6993,
Email: marie-schleiverein@t-online.de
www.marie-schleiverein.de
Jamaika
JAMAIKA
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Bankleitzahl 206 905 55
Konto-Nr. 602 035
Ausbildung von
Teenagermüttern zu
Friseurinnen und
Kosmetikerinnen