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Bündnis 90/Die Grünen Bürgerschaftsfraktion Bremen

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Vom Kopf auf die Füße stellen<br />

Reader zur<br />

Bremer Schulentwicklung<br />

Herausgegeben von der Fraktion<br />

<strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN in der Bremischen Bürgerschaft<br />

<strong>Bremen</strong>, im April 2008


Redaktion:<br />

Matthias Makosch, Dr. Tobias Erzmann, Anja Stahmann<br />

Titelbilder:<br />

aussi97 „Sun in my morning” / Photocase (li.)<br />

judigrafie „Geringelt” / Photocase (re.)<br />

Satz:<br />

Matthias Makosch<br />

Farbdruck:<br />

MEGAFLYER<br />

Bezugsanschrift:<br />

Fraktion <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />

in der Bremischen Bürgerschaft<br />

Schlachte 19/20<br />

28195 <strong>Bremen</strong><br />

Tel.: 0421/30 11-0<br />

Fax: 0421/30 11-250<br />

E-Mail: fraktion@gruene-bremen.de<br />

Homepage: www.gruene-fraktion-bremen.de


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Vorwort Seite 1<br />

Dr. Matthias Güldner, Fraktionsvorsitzender von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/<br />

DIE GRÜNEN in der Bremischen Bürgerschaft<br />

Das Bremer Schulsystem vom Kopf auf die Füße stellen Seite 2<br />

Anja Stahmann, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion<br />

von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />

Probleme der Bremer Schulentwicklungsplanung Seite 6<br />

Jürgen Burger, GEW<br />

PISA-Schock, heterogene Schullandschaft und Abwanderungs- Seite 9<br />

tendenzen – zur Einschätzung der Problemlagen<br />

<strong>Bremen</strong>s im Bildungsbereich<br />

Prof. Christian Palentien, Marius Harring und Dr. Carsten<br />

Rohlfs, Universität <strong>Bremen</strong><br />

Transkript des Eingangsstatements im Fachausschuss Seite 11<br />

‚Schulentwicklung’, Anhörung vom 12.02.2008<br />

Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis, Universität Bozen<br />

Quo vadis Bremer Schulwesen? Seite 15<br />

Peter Lankenau, Leiter des Schulzentrums Findorff<br />

10-Punkte-Programm zur Bildungspolitik in <strong>Bremen</strong> Seite 17<br />

Zentralelternbeirat <strong>Bremen</strong><br />

Erwartungen an den Schulentwicklungsplan Seite 20<br />

Wolfram Blum, Thomas Busker, Gabriele Gruß und Petra<br />

Kettler, Gesamtelternbeirat Sonderpädagogik/Förderzentren<br />

Anforderungen an die Verbesserung der Kooperation von Seite 21<br />

Schule und Erziehungshilfe (als ein Teil der Jugendhilfe)<br />

Hardmuth Groß, Geschäftsführer der Hans-Wendt-Stiftung<br />

Schulentwicklung – was ist notwendig aus Sicht des Personalrats? Seite 23<br />

Hajo Kuckero, Personalrat Schulen<br />

Schule in <strong>Bremen</strong> – die GesamtschülerInnenvertretung fordert Seite 24<br />

eine grundlegende Veränderung<br />

GesamtschülerInnenvertretung <strong>Bremen</strong><br />

Zum Stellenwert der Neugestaltung der Übergänge: Seite 25<br />

Kindergarten – Grundschule – Sekundarstufe<br />

Dr. Tobias Erzmann, Referent für Bildung, Wissenschaft, Kinder<br />

und Jugend bei der Fraktion von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />

Schulentwicklung braucht Unterstützung Seite 27<br />

Sabine Heinbockel und Stefan Siefert, Serviceagentur<br />

‚Ganztägig lernen’<br />

Bildung ist ein wesentlicher Faktor der Integration Seite 28<br />

Dr. Zahra Mohammadzadeh, integrationspolitische Sprecherin<br />

der Fraktion von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />

Assistenz: Ein Prinzip für die Zukunft Seite 30<br />

Thomas Bretschneider, Martinsclub<br />

Inklusive Erziehung behinderter Kinder vorantreiben Seite 31<br />

Horst Frehe, sozial- und behindertenpolitischer Sprecher<br />

der Fraktion von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />

Gesellschaft und Schule müssen integrieren und nicht Seite 33<br />

weiter ausgrenzen<br />

Harry Eisenach, Sprecher des GEW-Stadtverbandes <strong>Bremen</strong>


Grundschule in <strong>Bremen</strong> – Vielfalt und Verlässlichkeit Seite 35<br />

Grundschulverband, Landesgruppe <strong>Bremen</strong><br />

Zur Bedeutung der Gymnasien in <strong>Bremen</strong> Seite 37<br />

Christa Sanders-Terhorst, Sprecherin der Bremer Abteilung in<br />

der Bundesdirektoren-Konferenz für Gymnasien und Direktorin<br />

des Alten Gymnasiums<br />

Kompetenz der Schulen in freier Trägerschaft für die Bremer Seite 39<br />

Schulentwicklung nutzen<br />

Hartwig Seggermann, Leiter der Freien Evangelischen<br />

Bekenntnisschule <strong>Bremen</strong><br />

Schule und Sozialarbeit – in <strong>Bremen</strong> denkbar? Seite 40<br />

Gerhard J. Gilbert, Leiter der ISS Gerhard-Rohlfs-Schule<br />

Länger gemeinsam lernen Seite 41<br />

Marlon A., Schüler der Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Mitte<br />

Maria Montessori: Eine hundertjährige brandaktuelle Seite 42<br />

pädadgogische Konzeption<br />

Petra Marx, Montessori-Pädagogin<br />

<strong>Die</strong> Deutsche Kammerphilharmonie zu Hause in der Seite 44<br />

Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost<br />

Franz Jentschke, Leiter der Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost


Dr. Matthias Güldner Vorwort<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

die große Koalition hat in <strong>Bremen</strong> ein<br />

Schulsystem hinterlassen, das einem<br />

Flickenteppich gleicht. <strong>Die</strong> Folgen der<br />

bisherigen Schulpolitik sind alarmierend:<br />

Jährlich verlassen in <strong>Bremen</strong> 500 Jugendliche<br />

die Schule ohne Abschluss. Etliche haben ein<br />

schlechtes Abschlusszeugnis in der Tasche,<br />

mit dem sie keine Lehrstelle finden. <strong>Die</strong><br />

Lernpotenziale der Kinder werden nicht<br />

ausgeschöpft, Förderangebote kommen zu<br />

spät, Talente werden nicht erkannt. <strong>Die</strong><br />

soziale Herkunft bestimmt über die<br />

Bildungschancen. Das gegliederte Schulsystem lädt dazu ein, SchülerInnen<br />

abzuschieben statt sie zu fördern.<br />

Trotz schwieriger Arbeitsbedingungen bemühen sich Bremer LehrerInnen<br />

verantwortungsvoll um die Kinder und Jugendlichen. Dafür haben sie<br />

unsere Anerkennung. Um <strong>Bremen</strong>s Schulen besser zu machen, brauchen<br />

wir motivierte Lehrkräfte. Sie sind die treibende Kraft der Schulentwicklung.<br />

Um die Qualität des Unterrichts zu verbessern, benötigen PädagogInnen<br />

auch Förderung und Unterstützung. Wir wollen weg vom<br />

EinzelkämpferInnentum hin zur Teamarbeit. Damit wollen wir sicherstellen,<br />

dass Schulen beim Absacken schulischer Leistungen von Kindern und<br />

Jugendlichen früher eingreifen und unterstützend wirken können. Denn die<br />

Förderung in der Schule gelingt bislang noch nicht zufrieden stellend, wie<br />

der jüngste Evaluationsbericht erneut untermauert hat.<br />

<strong>Die</strong> Schlussfolgerungen aus diesem Bericht sind eindeutig: Wir müssen die<br />

Qualität des Bremer Schulwesens verbessern. Denn wir dürfen es uns nicht<br />

länger leisten, die Begabungen so vieler SchülerInnen weiter brachliegen zu<br />

lassen. Rot-Grün geht das Problem an. Wir haben einen Fachausschuss der<br />

Bildungsdeputation eingesetzt, der Vorschläge für ein besseres Schulsystem<br />

erarbeitet. <strong>Die</strong> <strong>Grünen</strong> haben klare Ziele: Wir setzen uns für eine engere<br />

Verzahnung von Kindergarten und Grundschule ein. Wir wollen die<br />

individuelle Förderung stärken – nicht nur bei lernschwachen, sondern auch<br />

bei begabten Kindern und Jugendlichen. Wir wollen die Durchlässigkeit des<br />

Schulsystems verbessern. Wir bauen den Anteil der Ganztagsschulen aus,<br />

denn sie bieten mehr Zeit für Bildung und Betreuung und damit für eine<br />

1<br />

kindgerechte Lernkultur. <strong>Die</strong> Ganztagsschulen tragen zur Integration sowie<br />

zum sozialen Zusammenhalt bei und erleichtern die Vereinbarkeit von Beruf<br />

und Familie. Allerdings können wir auch in der Bildungspolitik <strong>Bremen</strong>s<br />

Haushaltsnotlage nicht ignorieren. Angesichts der engen Spielräume muss<br />

vieles Wünschenswerte peu a peu umgesetzt werden.<br />

Trotz unterschiedlicher Akzentuierung: Bei den Schulen ist der Wille zur<br />

Veränderung überwiegend da. Das zeigen die Beiträge im vorliegenden<br />

Reader, für die wir uns bei den zahlreichen AutorInnen ganz herzlich<br />

bedanken. Eine Weiterentwicklung des Bremer Schulwesens kann nur<br />

gelingen, wenn wir einen weitestgehenden Konsens darüber erzielen. Gut<br />

ausgebildete Menschen sind unsere Zukunft. Fördern wir alle Talente.


Anja Stahmann Das Bremer Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen<br />

Das Bremer Bildungssystem<br />

vom Kopf auf die Füße<br />

stellen<br />

<strong>Bremen</strong> braucht einen Neuanfang in der<br />

Schulentwicklung. Weg von einem<br />

Schulsystem, bei dem keiner mehr so richtig<br />

durchblickt. Weg von einer unnötigen<br />

Bürokratie, die den Schulen die Beweglichkeit<br />

nimmt. Weg von den vielen<br />

Einzelmaßnahmen, die in den vergangenen<br />

Jahren die Schulpolitik gekennzeichnet<br />

haben. Weg von einem Schulwesen, dessen<br />

Ergebnisse international nicht mithalten<br />

können. Weg von einem Schulsystem, das<br />

Jahr für Jahr ca. 500 Jugendliche ohne Abschluss verlassen. Weg von einem<br />

ungerechten Schulsystem, in dem die soziale Herkunft den Bildungsweg<br />

stark beeinflusst. Weg von einem Schulsystem, das Kinder aussortiert und<br />

beschämt.<br />

Alle Kinder wollen lernen. Schule soll Spaß machen und die Lust am Lernen<br />

und an Leistung fördern. Stimmt das Schulklima, gehen Schülerinnen und<br />

Schüler sowie Lehrkräfte gerne in die Schule.<br />

Wir wollen hin zu einer Schule, die die Lust am Lernen und Leistung fördert.<br />

Eine Schule, die sich für ihre SchülerInnen verantwortlich fühlt. Hin zu<br />

einem Bildungssystem, in dem niemand in Begabungsschubladen einsortiert<br />

wird. <strong>Die</strong> Durchlässigkeit nach oben ist hierbei ein zentraler Baustein. Wir<br />

wollen hin zu einer Schule, in der jedes Kind individuell gefördert wird. Hin<br />

zu einer Schule, die sich der Idee des gemeinsamen Unterrichts ohne<br />

Aussonderung verschrieben hat.<br />

In <strong>Bremen</strong> gibt es vereinzelt solche Schulen. Ihnen gebührt<br />

Aufmerksamkeit. Von ihnen können andere Schulen lernen.<br />

Eine solche Wunschschule kommt nicht von heute auf morgen. Sie ist das<br />

Ergebnis eines Lernprozesses, den andere Länder in Europa mit ihren<br />

Schulen bereits gegangen sind. Und auch bei uns bewegt sich etwas.<br />

2<br />

Derzeit wird wieder munter über die Verbesserung der Schule und auch<br />

über Schulstrukturen diskutiert. Im Raum steht u.a. die Idee einer „Schule<br />

für alle“. Verstärkt wird auch über ein Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasien<br />

und Gesamtschulen diskutiert. In unserem Reader finden sich zu diesen<br />

Ansätzen spannende Vorschläge. Das gegliederte Schulwesen wird von<br />

vielen in Frage gestellt. <strong>Die</strong> frühe Trennung der Kinder nach Klasse 4 und<br />

das Festlegen auf Bildungswege vergeudet Talente.<br />

In einem großen gesellschaftlichen Konsens haben die PISA-Besten<br />

Schweden und Finnland ihr Bildungswesen neu erfunden und sich für eine<br />

leistungsstarke Gemeinschaftsschule bis zur 9 Klasse entschieden. Erst<br />

dann erfolgt die Spezialisierung. Aus meiner Sicht das beste Modell.<br />

Kindgerechte Lernkultur und die Lust an Leistung ist dort keine Utopie. Über<br />

60% legen dort ihr Abitur ab. Bei uns sind es gerade mal 30%. <strong>Die</strong><br />

besseren Leistungen haben nichts mit dem Essen von Knäckebrot zu tun,<br />

wie manch Schwede unkt.<br />

Der OECD-Experte Mats Ekholm sagte: „Das gegliederte Schulsystem ist<br />

nicht mehr zeitgemäß, insbesondere für ein modernes Land in der EU. Der<br />

Arbeitsmarkt und die Wirtschaft orientieren sich an der EU. <strong>Die</strong> Schulformen<br />

noch nicht.“<br />

In den vergangenen vier Jahren haben wir Grüne zahlreiche<br />

Veranstaltungen rund um das Thema Bildung organisiert. Wir haben viele<br />

kluge Menschen befragt, wie sie das Bildungswesen bei uns verändern<br />

würden. <strong>Die</strong>se Blicke von außen waren u.a. schwedisch, finnisch, kanadisch,<br />

französisch und niederländisch. <strong>Die</strong> Empfehlungen und Vorschläge geben<br />

den Weg vor: z.B. Verantwortung übernehmen oder Qualität überprüfen.<br />

Hieraus leite ich nun einige aus meiner Sicht wichtige Entwicklungsimpulse<br />

ab.<br />

1. Empfehlung: Früh investieren – das Fundament stärken –<br />

den Schatz der frühen Jahre heben<br />

Andere Länder investieren mehr Geld in die Kindergärten, in Vorschulen<br />

und Grundschulen und weniger ins folgende Bildungswesen. Bei uns ist es<br />

bisher umgekehrt. Für Große geben wir mehr aus als für die Kleinsten und<br />

Kleinen. Das muss sich ändern. Wir müssen in <strong>Bremen</strong> das Bildungssystem


Anja Stahmann Das Bremer Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen<br />

vom Kopf auf die Füße stellen. Mehr unten investieren und später weniger<br />

reparieren. Das rechnet sich.<br />

Kindergärten und Grundschulen gehören zum Fundament des<br />

Bildungswesens. Kinder sind hochtourige Lerner, sie lernen spielerisch und<br />

sind wissbegierig. Es ist gut, dass in <strong>Bremen</strong> über 94% der Kinder einen<br />

Kindergarten besuchen. Darin liegt eine große Chance. Forschendes Lernen<br />

beginnt längst vor der Schule. Das Spielen hat eine zentrale Rolle im Leben<br />

des Kindes und hilft ihm, die Umwelt zu erobern. Durch das Spiel entwickelt<br />

sich das Kind sozial, gefühlsmäßig, motorisch, sprachlich und intellektuell.<br />

Kinder brauchen gut ausgebildete Fachkräfte.<br />

Eine bessere Personalausstattung in Kitas ist überfällig. Dafür werden in<br />

einer finanziellen Kraftanstrengung derzeit über 20 Millionen Euro zusätzlich<br />

(!) vom rot-grünen Senat bereitgestellt.<br />

2. Empfehlung: Ausbildung verbessern<br />

Ein alter Hut, aber immer noch wichtig: Wir brauchen eine<br />

ErzieherInnenausbildung auf europäischem Niveau. Und eine bessere<br />

praxisnahe LehrerInnenausbildung. Eine stärkere Vermittlung von<br />

interkulturellen Kompetenzen in der Ausbildung ist insgesamt notwendig.<br />

Sinnvoll ist es auch mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund für die<br />

pädagogischen Berufe zu gewinnen. <strong>Die</strong>se Vorbilder sind wichtig.<br />

In den Kindergärten und Grundschulen fehlen männliche Pädagogen. Für<br />

die Entwicklung der Kinder sind Männer und Frauen wichtig. Nur 10% der<br />

Beschäftigten in Bremischen Kitas sind bisher männlich. Dabei stellen die<br />

Kindergärten einen zentralen Ort zur Sozialisierung und Rollenfindung<br />

unserer Kinder dar. Gerade für die Identitätsbildung der Jungen spielen<br />

männliche Mitarbeiter als Bezugspersonen eine wichtige Rolle. Aus<br />

pädagogischer Sicht muss der Anteil männlicher Erzieher und<br />

Sozialpädagogen daher gesteigert werden. Es bedarf einer umfassenden<br />

Strategie, das Berufsfeld KTH für Männer attraktiver zu gestalten und<br />

Vorbehalte abzubauen.<br />

Wir brauchen in Deutschland zudem mehr Forschung über frühkindliche<br />

Bildung. Es gibt immer noch mehr Professuren für Steinzeitkunde in<br />

Deutschland als für frühe Bildung. Das weiterbildende Studium<br />

‚Frühkindliche Bildung’ an der Uni <strong>Bremen</strong> ist ein Pfund. Damit haben<br />

3<br />

praxiserfahrene Erzieherinnen und Erzieher auch ohne<br />

Hochschulzugangsberechtigung die Chance, sich auf Universitätsniveau<br />

weiterzubilden. <strong>Die</strong> gemeinsame Qualifizierung von ErzieherInnen und<br />

PädagogInnen ist in anderen europäischen Ländern selbstverständlich.<br />

3. Empfehlung: Sprache – Schlüssel zur Teilhabe<br />

Da in <strong>Bremen</strong> 50% der Kinder einen Migrationshintergrund haben und<br />

Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, brauchen wir eine verbesserte<br />

integrierte Sprachförderung, die früh im Kindergarten beginnt und von der<br />

Schule fortgeführt wird. Vermehrt zeigen sich auch Sprachauffälligkeiten bei<br />

Kindern mit deutschen Eltern. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Wer die<br />

deutsche Sprache beherrscht, hat es nicht nur in der Schule leichter. Wir<br />

brauchen eine Sprachförderung, die früh beginnt und sich an den<br />

tatsächlichen Bedarfen orientiert. Das bisherige Sprachförderprogramm ist<br />

eher das Modell „Tropfen auf den heißen Stein“. Es muss auf den Prüfstand.<br />

4. Empfehlung: Übergänge gestalten – gemeinsame<br />

Bildungspläne entwickeln<br />

Ein gemeinsamer Bildungsplan für Vorschule und Schule muss endlich<br />

entwickelt werden. Bisher arbeiten beide Nachbarbereiche nicht<br />

systematisch zusammen. <strong>Die</strong>se Abkapselung darf es nicht weiter geben.<br />

In Schweden hat sich folgende Vorgehensweise als günstig erwiesen: Zwei<br />

Monate vor dem Übergang treffen sich die pädagogischen Teams aus<br />

Vorschule und Schule zu einem Übergabegespräch. Grundlage dafür ist eine<br />

Dokumentation sowie das persönliche Portfolio des Kindes, also zumeist<br />

eine Mappe mit ausgewählten Arbeitsergebnissen. Zwei Monate nach<br />

Schulbeginn trifft man sich dann erneut – zur Rückmeldung an die<br />

Vorschule und als Gelegenheit für weitere Nachfragen. <strong>Die</strong> Einführung von<br />

Portfolios und Lernentwicklungsberichten ist sinnvoll.<br />

5. Empfehlung: <strong>Die</strong> Grundschule als Gemeinschaftsschule<br />

stärken<br />

Grundschulen sind bislang die einzigen echten Gemeinschaftsschulen. <strong>Die</strong><br />

internationale Grundschuluntersuchung IGLU bescheinigt der Grundschule


Anja Stahmann Das Bremer Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen<br />

gute Arbeit. <strong>Die</strong> Studie zeigt aber gleichzeitig die bereits auftretenden<br />

schlechteren Bildungschancen bei sozial benachteiligten Kindern.<br />

Um eine bessere individuelle Förderung der Kinder zu organisieren,<br />

brauchen wir nicht nur gut ausgebildete Lehrkräfte, sondern auch mehr<br />

Personal. Grundschulen in sozialen Brennpunkten benötigen eine<br />

Doppelbesetzung im Unterricht. <strong>Die</strong>se Assistenzen entlasten und<br />

unterstützen.<br />

6. Empfehlung: Längeres gemeinsames Lernen fördern<br />

In anderen Ländern sind Schulen selbstverständlich Ganztagsschulen. Sie<br />

bieten viele Vorteile. Durch eine bessere Verzahnung von Unterricht und<br />

Freizeitangeboten schaffen sie den optimalen Rahmen zur individuellen<br />

Förderung aller Schülerinnen und Schüler. Das funktioniert nur, wenn alle<br />

Kinder auch am Nachmittag in der Schule sind.<br />

Kinder haben in der Ganztagsschule vier LehrerInnen: die ausgebildeten<br />

PädagogInnen, die MitschülerInnen, den Raum und vor allem die Zeit.<br />

Letzteres bietet die Chance zu einem Ganztagsmodell aus einem Guss: Dort<br />

wechseln sich über den ganzen Tag verteilt Lernangebote und<br />

Entspannungsphasen ab. Der Unterricht im 45-Minuten-Takt ist überholt<br />

und nicht kindgerecht. <strong>Die</strong> Aufnahmefähigkeit wird überfordert, wenn<br />

sechs, sieben oder sogar acht Stunden in Folge Pauken angesagt ist.<br />

<strong>Die</strong> PISA-Sieger Finnland, Kanada und Schweden punkten entscheidend mit<br />

längerem gemeinsamem Lernen.<br />

Im zergliederten Bremer Schulsystem sind Grundschulen gewissermaßen zu<br />

einer Art Verteilungsagentur von zehnjährigen Kindern geworden. Damit<br />

belastet man unnötig die pädagogische Arbeit, übt Druck auf die Kinder aus<br />

und verschwendet Zeit aufs Sortieren in die vermeintlich richtige<br />

Begabungsschublade. SpätzünderInnen, LangsamlernerInnen und<br />

Migrantenkinder haben es schwer. Eltern fühlen sich überfordert bei dieser<br />

Entscheidung.<br />

<strong>Die</strong> wenigen sechsjährigen Grundschulen in <strong>Bremen</strong> sind im bisherigen<br />

Schulsystem zu Insellösungen geworden. <strong>Die</strong> leistungsstärkeren Kinder<br />

wählen den direkten Weg zum Gymnasium ab Klasse 4, weil sie nur dann<br />

4<br />

ihre bevorzugte Schule frei wählen können. Nach Klasse 6 sind beliebte<br />

Schulen voll. Außerdem bestimmen zu diesem Zeitpunkt nur noch die<br />

Schulen den zu wählenden Bildungsgang. Das alles schmälert die<br />

Attraktivität der sechsjährigen Grundschule. Das ist ein Dilemma.<br />

Ein Ausweg könnten Schulverbünde zwischen den Schulformen des Primar-<br />

und Sekundarbereichs sein. <strong>Die</strong> integrative Arbeit der Grundschule würde<br />

damit in die weiterführenden Schulen getragen werden. Ein Modell, das bei<br />

entsprechender Vorbereitung und Ausstattung auch Eltern überzeugen<br />

kann.<br />

Integrative Pädagogik muss gepuscht und befördert werden. Schulzentren,<br />

Gymnasien und Sekundarschulen, die sich integrativ weiterentwickeln<br />

wollen, sollten inhaltliche und materielle Hilfestellungen sprich Fortbildung,<br />

Coaching und Stundenzuweisungen bekommen.<br />

7. Empfehlung: Stärkere individuelle Förderung<br />

und Unterricht verbessern<br />

Lernen gelingt nicht im Gleichschritt, sondern ist die individuellste Sache<br />

der Welt. Deshalb ist es wichtig, dass PädagogInnen lernen, anders zu<br />

lehren. Sie sollen zu LernberaterInnen werden.<br />

Entscheidend ist, was im Klassenzimmer passiert. Schlechter Unterricht in<br />

einer Ganztagsschule bleibt schlechter Unterricht. Es gibt in <strong>Bremen</strong> guten<br />

Unterricht in allen Schulformen. Und es gibt schlechten Unterricht in allen<br />

Schulformen. Nach dem sogenannten PISA-Schock hat sich auch an<br />

<strong>Bremen</strong>s Schulen einiges getan. Viele Lehrerinnen und Lehrer an Bremer<br />

Schulen leisten Hervorragendes. Sie machen keinen <strong>Die</strong>nst nach Vorschrift,<br />

sondern bemühen sich um die Kinder und Jugendlichen. Wenn wir in<br />

<strong>Bremen</strong> die Schulen besser machen wollen, brauchen wir motivierte und<br />

gesunde PädagogInnen. Sie sind der Motor für die Schulentwicklung.<br />

Auch Lehrkräfte brauchen Fortbildung, Nachhilfe und Unterstützung. Sie<br />

sollen verstärkt in Jahrgangsteams arbeiten und sich zu LernberaterInnen<br />

qualifizieren. Sie müssen die ExpertInnen sein, die erfolgreich<br />

unterschiedliche Lernmethoden vermitteln.


Anja Stahmann Das Bremer Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen<br />

8. Empfehlung: Von der Kooperation zur Inklusion<br />

<strong>Bremen</strong> gilt als eine Vorzeigestadt bei der Integration von behinderten<br />

Kindern und Jugendlichen. Fast 60 % aller Schülerinnen und Schüler mit<br />

anerkanntem sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen,<br />

Sprache und Verhalten werden derzeit integrativ in Regelschulen gefördert.<br />

Bundesweit sind es oft nur 10%.<br />

Insgesamt haben bereits 6,8% aller bremischen SchülerInnen im Primar-<br />

und Sekundarbereich einen anerkannten sonderpädagogischen<br />

Förderbedarf.<br />

<strong>Die</strong> bisher freiwillige Kooperation zwischen Förderzentren und<br />

Sekundarstufen hat nur teilweise funktioniert. Eine neue Idee ist zu<br />

diskutieren: Jeder Standort der Sek. I entwickelt mit dem zuständigen<br />

Förderzentrum ein standortbezogenes Konzept mit dem Ziel, Kinder mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf LSV (Lernen, Sprache und Verhalten)<br />

am Standort der Regelschule integrativ zu beschulen. <strong>Die</strong>ses Konzept<br />

könnte ab dem Schuljahr 2009/10 mit dem ersten Jahrgang 5 verbindlich<br />

umgesetzt und dann in den kommenden Schuljahren mit dem jeweils neuen<br />

Jahrgang ausgeweitet werden. Das hieße, zum Schuljahr 2014/2015 sind<br />

dann alle isoliert beschulten Klassen an den Förderzentren ausgelaufen.<br />

Parallel dazu bekämen die integrativ arbeitenden Regelschulen zusätzliche<br />

Ressourcen.<br />

9. Empfehlung: Schlüsselrolle SchulleiterIn<br />

In anderen Ländern haben Schulleiterinnen und Schulleiter keine<br />

Unterrichtsverpflichtung. Sie können ihre gesamte Arbeitszeit für ihre<br />

Leitungsaufgaben verwenden. Das ist sinnvoll, aber bei uns noch<br />

Zukunftsmusik. Dennoch wird es wichtig sein, hier bei der weiteren<br />

Schulentwicklung anzusetzen und die Schulleitungen bei der wichtigen<br />

Arbeit der Schulentwicklung stärker zu unterstützen. SchulleiterIn ist kein<br />

Halbtagsjob. Er besteht zu einem Großteil aus Managementaufgaben: z.B.<br />

Personalführung, Kooperation mit Kindergärten, Beiräten, Sportvereinen<br />

und anderen Organisationen im Stadtteil, den Verhandlungen mit<br />

zahlreichen bremischen Gesellschaften über nötige Bauarbeiten und<br />

Sanierungsmaßnahmen sowie der Betreuung von Honorarkräften. Der Beruf<br />

der Schulleitung erfordert eine qualifizierte Ausbildung vor Amtsantritt.<br />

5<br />

Besonders in Grundschulen müssen schrittweise Leitungen stärker vom<br />

Unterricht freigestellt werden.<br />

10. Empfehlung: Eigenverantwortliche Schule stärken –<br />

Bürokratie abbauen<br />

In den vergangenen Jahren haben wir viel über selbstständige Schule<br />

diskutiert. Wir brauchen verantwortliche Schulen im Stadtteil, die ihre<br />

Ressourcen verwalten und für die Resultate ihrer Arbeit verantwortlich sind.<br />

Das bedeutet aber auch, dass die Bildungsverwaltung ihre bisherige<br />

vorsorgliche Belagerung der Schulen aufgeben muss. An deren Stelle tritt<br />

dann die verpflichtende externe und interne Evaluation. <strong>Die</strong> finanziellen<br />

Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume müssen von der Politik<br />

verbindlich gewährleistet sein. Transparenz für die Schulen ist unerlässlich.<br />

<strong>Die</strong> Schulen sind im Gegenzug verantwortlich für Initiativen zu ihrer<br />

Verbesserung und für die Orientierung in ihrem Umfeld. Schulen sollen sich<br />

dem Stadtteil öffnen und mit Jugendhilfe, Sport, Kultur und Betrieben<br />

kooperieren.


Jürgen Burger Probleme der Bremer Schulentwicklungsplanung<br />

Probleme der Bremer<br />

Schulentwicklungsplanung<br />

Im Koalitionsvertrag wird ein neuer<br />

Schulentwicklungsplan für die Stadtgemeinde<br />

<strong>Bremen</strong> angekündigt. Er soll bis zum Frühjahr<br />

2008 „zügig unter Einbeziehung der fachlich<br />

Betroffenen und mit externer Unterstützung“<br />

erarbeitet werden. Wer einen neuen Plan<br />

machen will, sollte die vorangegangenen<br />

Pläne kennen und analysieren, was aus ihnen<br />

geworden ist.<br />

Deshalb wird hier im ersten Teil ein kurzer<br />

Überblick über die hoffnungsvolle Entstehung und anschließende Stagnation<br />

des Bremer Stufenschulsystems gegeben. Im zweiten Teil folgt eine<br />

Beschreibung der offensichtlichsten Fehlentwicklungen der vergangenen<br />

Jahre. Zum Schluss werden einige Vorschläge gemacht, an welchen<br />

Prinzipien sich ein neuer Plan orientieren sollte.<br />

I. Was die große Koalition vorfand<br />

<strong>Bremen</strong> als Vorreiterin einer integrativen Schulentwicklung (1975 – 1983)<br />

1970 hatte der Deutsche Bildungsrat die Umwandlung der dreigliedrigen<br />

westdeutschen Schulstruktur in ein integriertes Stufenschulsystem<br />

gefordert. <strong>Die</strong>se Empfehlung berücksichtigte die internationale Entwicklung<br />

und sollte eine „Ausschöpfung der Begabungsreserven“ ermöglichen. In<br />

<strong>Bremen</strong> wurde der bundesweit konsequenteste Versuch gestartet, den<br />

Strukturplan des Bildungsrats umzusetzen. Das Schulgesetz von 1975 sah<br />

in seinem § 3 ein „integriertes Gesamtsystem“ vor. Kern war dabei die<br />

Bildung von Sek. I-Zentren mit der Orientierungsstufe als integrierter<br />

Eingangsphase. Später sollte die Integration der Jahrgänge 7 bis 10 folgen.<br />

Darauf aufbauend wurden Sek. II-Zentren gegründet, die zur Integration<br />

von beruflicher und allgemeiner Bildung dienen sollten.<br />

6<br />

Der Stillstand der Reform (1983 – 1993)<br />

Da die bundesweite Entwicklung zur Stufenschule scheiterte (insbesondere<br />

nach dem CDU-Volksbegehren gegen die „Koop-Schule“ in NRW) und auch<br />

in <strong>Bremen</strong> konservative Kräfte den Bestand eines isolierten gymnasialen<br />

Bildungsganges zäh verteidigten, wurde die Integration der Sekundarstufe I<br />

seit 1983 nicht mehr vorangetrieben. Unter der Überschrift der<br />

„Konsolidierung“ entstand ein Schulsystem im labilen Gleichgewicht: 30<br />

Sek. I-Zentren standen drei Gesamtschulen und zwei isolierte Gymnasien<br />

als überregionales Wahlangebot gegenüber. Sie dienten als „Ventil“ für<br />

diejenigen Teile der Elternschaft, denen die Teil-Integration im<br />

Schulzentrum (OS mit anschließender Aufteilung nach Schularten) nicht<br />

weit genug oder zu weit ging.<br />

Seit Ende der 80er Jahre gab es vermehrte Initiativen von „links“ und<br />

„rechts“, die einerseits eine Umwandlung von Schulzentren in<br />

Gesamtschulen (Integrierte Stadtteilschulen), andererseits die<br />

Wiedergründung isolierter Gymnasien forderten. Mit der Ampelkoalition von<br />

1991 waren beide Strömungen auch stärker in der Landesregierung<br />

repräsentiert. Man einigte sich auf die Einsetzung einer Schulreform-<br />

Kommission.<br />

Problemanalyse und Empfehlungen der Klafki-Kommission (1993)<br />

<strong>Die</strong> nach ihrem Vorsitzenden Prof. Wolfgang Klafki benannte Schulreform-<br />

Kommission legte die ungelösten Probleme der „konsolidierten“ – d.h.<br />

unvollendeten – Bremer Schulreform offen: <strong>Die</strong> Sek. I-Zentren waren als<br />

Übergangsmaßnahme zur flächendeckenden Integration der Sekundarstufe<br />

I geplant worden. Als Dauererscheinung war ihr entscheidender Nachteil,<br />

dass sie für die SchülerInnen einen doppelten Lerngruppenwechsel nach<br />

Klasse 4 und Klasse 6 vorsahen. Außerdem begünstigten sie die Tendenz,<br />

SchülerInnen vom Gymnasium zur Realschule und von der Realschule zur<br />

Hauptschule zurück zu stufen, da alle drei Schularten im selben Gebäude<br />

vorhanden waren.<br />

Trotz dieser Mängel sah die Kommission „keinen begründeten Anlass dafür,<br />

eine prinzipielle Revision der Grundstruktur des Schulaufbaus, nämlich des<br />

Stufenprinzips, zu empfehlen. <strong>Die</strong>ses Prinzip entspricht grundsätzlich dem<br />

demokratischen Erfordernis, jedem Kind und Jugendlichen günstige Lern-


Jürgen Burger Probleme der Bremer Schulentwicklungsplanung<br />

und Förderungsmöglichkeiten zu bieten.“ <strong>Die</strong> Kommission empfahl<br />

insbesondere, die Kooperation zwischen den Schulstufen vor Ort zu<br />

verbessern, um durchgängige Bildungsgänge zu ermöglichen. <strong>Die</strong><br />

flächendeckende Integration der Sekundarstufe I hielt sie für „kurzfristig“<br />

nicht durchsetzbar, stellte aber fest: „Vielmehr soll die integrierte<br />

Gesamtschule in <strong>Bremen</strong> als mögliche und pädagogische<br />

Langzeitperspektive festgehalten werden.“ Dabei sollte die Initiative zur<br />

Integration von den einzelnen Schulen ausgehen.<br />

Außerdem sprach sich die Kommission gegen eine Auflösung der<br />

Schulbezirksgrenzen aus, weil hierdurch eine soziale Entmischung zu<br />

befürchten sei. Vielmehr sollte die Wahlfreiheit zwar erweitert, bei der<br />

Aufnahme aber das Wohnortprinzip an die erste Stelle gesetzt werden.<br />

II. Was die große Koalition hinterlässt<br />

<strong>Die</strong> zunehmende Aushöhlung des Schulsystems (1995 – 2003)<br />

Das mit großem Aufwand angekündigte, aber politisch unbequeme<br />

Gutachten wurde sofort nach seinem Erscheinen ad acta gelegt. Schon in<br />

der Ampelkoalition hatte die FDP durchgesetzt, dass die Zahl der isolierten<br />

Gymnasien von zwei auf vier erhöht wurde. Gleichzeitig wurde drei<br />

Schulzentren gestattet, sich in Integrierte Stadtteilschulen (IS)<br />

umzuwandeln. Von 1995 bis 2000 gründete die große Koalition drei weitere<br />

isolierte Gymnasien. Hierdurch gerieten die Schulzentren in eine immer<br />

kritischere Lage, da ihr Anteil an den SchülerInnen mit<br />

Gymnasialempfehlung immer kleiner wurde. Obwohl 1999 den sieben<br />

Gymnasien immerhin noch 28 Schulzentren gegenüber standen, besuchte<br />

mehr als ein Drittel der GymnasialschülerInnen (36%) bereits wieder ein<br />

isoliertes Gymnasium.<br />

Problemverschärfend wirkte sich der drastische Abbau von<br />

LehrerInnenstellen aus. Er geschah vor allem zu Lasten der integrierten<br />

Systeme: Der bis dahin eingehaltene Grundsatz, dass Integration durch die<br />

Zuweisung von Lehrerstunden gefördert werden muss, wurde aufgegeben.<br />

<strong>Die</strong> Frequenzen in der Orientierungsstufe und den Gesamtschulen wurden<br />

am massivsten erhöht.<br />

7<br />

<strong>Die</strong> Wiedereinführung des selektiven Systems ab Klasse 5 (2004)<br />

Nachdem Ministerpräsident Gabriel (SPD) in Niedersachsen die Abschaffung<br />

der Orientierungsstufe verkündet hatte, verstärkte auch die CDU in <strong>Bremen</strong><br />

den Druck, diesem Beispiel zu folgen. <strong>Die</strong> Veröffentlichung des Bremer<br />

PISA-Ergebnisses war der willkommene Anlass, eine grundsätzliche<br />

Revision der bisherigen Bremer Schulpolitik zu verkünden. Mit dem<br />

Schulgesetz von 2004 wurde die Orientierungsstufe aufgelöst. Gleichzeitig<br />

wurde die Wahlfreiheit der Schulart und des Schulstandortes nach der<br />

vierten Klasse verkündet. Real- und Hauptschule wurden bis zur 8. Klasse<br />

zur Sekundarschule zusammengefasst. <strong>Die</strong> Schulzeit im Gymnasium wurde<br />

von 9 auf 8 Jahre verkürzt, so dass nebeneinander ein „Gymnasialabitur“<br />

nach 12 Jahren und ein „Gesamtschulabitur“ nach 13 Jahren entstanden.<br />

Chaos, Konkurrenz und ungelöste Grundprobleme<br />

<strong>Die</strong> schulpolitischen Entscheidungen der großen Koalition haben nicht nur<br />

zu einer extremen Unübersichtlichkeit des Bremer Schulsystems geführt,<br />

sondern auch zu großer Instabilität und ausgeprägter Schizophrenie der<br />

Anforderungen:<br />

● <strong>Die</strong> Grundschulen sollen sowohl die ehemalige Sonderschule für<br />

Lernbehinderte integrieren und das Lehren in heterogenen Lerngruppen<br />

weiter entwickeln als auch mit Zensuren und Schulempfehlungen das<br />

Geschäft der Auslese betreiben.<br />

● <strong>Die</strong> Sekundarschulen sollen einen integrativen Bildungsgang mit<br />

möglichst vielen Realschulabschlüssen entwickeln, werden aber nur noch<br />

von 15,7% des 4. Jahrganges angewählt – haben also fast die gleiche<br />

SchülerInnenschaft wie vorher die Hauptschule.<br />

● <strong>Die</strong> Gesamtschulen, deren Zahl sich inzwischen auf 13 erhöht hat, sollen<br />

die ganze Bandbreite des Bildungsangebots sichern, erhalten aber für ihre<br />

zusätzlichen integrativen Aufgaben keine ausreichende personelle<br />

Ausstattung.<br />

● <strong>Die</strong> Grundidee des Förderzentrums, die Sonderschule nach und nach in<br />

das Regelschulsystem zu integrieren, wird verkürzt auf die Möglichkeit, mit<br />

Schulzentren und Gesamtschulen zu kooperieren. Das Gymnasium bleibt<br />

separiert.<br />

● <strong>Die</strong> Gymnasien, die inzwischen 51,5% aller SchülerInnen aufnehmen,<br />

sollen diese ab Klasse 5 fördern und gleichzeitig den gymnasialen<br />

Bildungsgang von 9 auf 8 Jahre komprimieren. Das neue System ist nicht<br />

nur hoch selektiv, sondern auch chaotisch. Der komprimierte Bildungsgang


Jürgen Burger Probleme der Bremer Schulentwicklungsplanung<br />

ist spätestens in der 7. Klasse für SeiteneinsteigerInnen nicht mehr<br />

zugänglich. Zugleich ist das Anwahlverhalten kaum planbar. Eltern- und<br />

SchülerInnenfrust als Ergebnis der Zuweisung zu einer Schule der zweiten<br />

oder dritten Wahl wird zur ständigen Begleiterscheinung. Einerseits sind<br />

Schulen von Schließung bedroht, andererseits rufen überfüllte Schulen nach<br />

Baumaßnahmen.<br />

● Der Sog der isolierten Gymnasien verwandelt nicht nur die verbliebenen<br />

21 Sek. I-Zentren nach und nach in Haupt- und Realschulen, die Sek. II-<br />

Zentren verlieren damit auch Teile ihres Unterbaus. Gleichzeitig sollen sie in<br />

Zukunft eine SchülerInnenschaft aufnehmen und integrieren, die aus dem<br />

10. Jahrgang der Gesamtschulen und dem 9. Jahrgang der Schulzentren<br />

kommt.<br />

● Gymnasien und Sek. II-Zentren haben zudem in den Jahren 2009 bis<br />

2011 einen doppelten Abiturjahrgang zu verkraften.<br />

Dass die von der großen Koalition bewerkstelligte Zerschlagung des<br />

Stufenschulsystems <strong>Bremen</strong> dem vorgegebenen Ziel – der Verbesserung<br />

der PISA-Ergebnisse – auch nur einen Schritt näher bringt, muss mit Fug<br />

und Recht bezweifelt werden. Als Indiz kann gelten, dass Hamburg, das<br />

sich seit 30 Jahren eines Schulsystems erfreut, wie es in <strong>Bremen</strong> gerade<br />

etabliert wurde, das zweitschlechteste Ergebnis erzielt. Der Anteil der<br />

Hartz-IV-Empfangenden und der Kinder mit Migrationshintergrund ist dort<br />

übrigens nach <strong>Bremen</strong> am zweithöchsten, was auf eine hohe Korrelation<br />

zwischen diesen Werten und den Testergebnissen hinweist.<br />

III. „Eine Schule für alle“ oder „Zwei-Säulen-Modell“?<br />

Das Bundesland und insbesondere die Stadtgemeinde <strong>Bremen</strong> befindet sich<br />

in einer absurden Situation: In ganz Deutschland wird das nächste<br />

Jahrzehnt von schulpolitischen Veränderungen geprägt sein. Selbst die CDU<br />

muss inzwischen eingestehen, dass die Hauptschule keine Perspektive mehr<br />

hat. <strong>Die</strong> entscheidende Frage in der zukünftigen Schulentwicklung wird<br />

sein, ob es zu einem „Zwei-Säulen-Modell“ aus Gymnasium und<br />

Gesamtschule (in Großstädten wie <strong>Bremen</strong> im Verhältnis 50:50) oder zu<br />

einer gemeinsamen Schule für alle Kinder und Jugendlichen bis zur 10.<br />

Klasse kommt. Noch vor fünf Jahren hätte die Bremer Schullandschaft die<br />

bundesweit besten Möglichkeiten geboten, den zukunftsweisenden Weg zu<br />

einem integrierten System zu gehen. Durch die Politik der großen Koalition<br />

sind die zu lösenden Fragen jetzt weit schwieriger geworden.<br />

8<br />

Ohne eine systematische, Integration bewusst fördernde Bildungspolitik<br />

wird sich in <strong>Bremen</strong> „naturwüchsig“ das von der CDU und von Teilen der<br />

SPD favorisierte Zwei-Säulen-Modell durchsetzen. Ein solches<br />

„Hineinstolpern“ in ein zweigliedriges Schulsystem ist für die längerfristige<br />

gesellschaftliche Entwicklung fatal: Es begünstigt und verstärkt die<br />

Spaltung in „Modernisierungsgewinner“ und „Modernisierungsverlierer“,<br />

statt ihr entgegen zu wirken. SPD und Grüne in <strong>Bremen</strong> werden sich in<br />

dieser Legislaturperiode entscheiden müssen, ob sie einer solchen<br />

Entwicklung durch Formelkompromisse und faktische Untätigkeit Vorschub<br />

leisten oder ob sie die Instrumente einer integrativen Schulpolitik<br />

entwickeln wollen.<br />

Trotz der restaurativen Politik in den vergangenen zwölf Jahren stehen in<br />

der Stadtgemeinde <strong>Bremen</strong> den sieben isolierten Gymnasien immer noch<br />

21 Schulzentren und 13 Gesamtschulen gegenüber. Der Zug zu einer<br />

integrativen Entwicklung ist also noch nicht ganz abgefahren. Es geht<br />

zunächst darum, Maßnahmen zu finden und zu ergreifen, die die<br />

Desintegration stoppen. <strong>Die</strong> Klafki-Kommission hat aufgezeigt, dass<br />

Integration nur dann gelingt, wenn sie von unten getragen wird. Es reicht<br />

also nicht, die administrativen Rahmenbedingungen zu schaffen. Materielle<br />

Unterstützung und Fortbildung sind mindestens ebenso wichtig.<br />

Administrativ sind folgende Regelungen geboten:<br />

● Keine weitere Gründung isolierter Gymnasien,<br />

● Priorität des Wohnortes bei der Aufnahme in die fünfte Klasse, unterstützt<br />

durch Schulverbünde von Grund- und Sek. I-Schulen<br />

● Zulassung weiterer Integration von Schulzentren.<br />

Materiell geht es in erster Linie um den Grundsatz, dass integrative Arbeit<br />

durch die Zuweisung von LehrerInnenstunden gefördert wird. D.h.:<br />

Planungsstunden und Senkung der Klassenfrequenzen für alle Schulen, die<br />

auf eine gemeinsame Schule bis zur 10. Klasse hinarbeiten. Das gilt auch<br />

für die isolierten Gymnasien, wenn sie integrative Konzepte entwickeln. Ein<br />

Verbot der Abschulung ohne personelle Förderung, wie es hier und da im<br />

Gespräch ist, würde nur zu einer stärkeren Belastung aller Beteiligten<br />

führen. Und schließlich muss Raum für entlastete Fortbildung da sein, um<br />

das Lehren in heterogenen Lerngruppen zur überall vorherrschenden Praxis<br />

entwickeln zu können.


Prof. C. Palentien, M. Harring, Dr. C. Rohlfs PISA-Schock, heterogene Schullandschaft und Abwanderungstendenzen<br />

PISA-Schock, heterogene Schullandschaft<br />

und Abwanderungstendenzen – zur<br />

Einschätzung der Problemlagen <strong>Bremen</strong>s im<br />

Bildungsbereich<br />

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ersten PISA-Ländervergleiche der<br />

Jahre 2000 und 2003 wird die prekäre Bildungssituation im Land <strong>Bremen</strong><br />

sichtbar. Ausgehend von dieser Situation sollen im Folgenden drei<br />

bildungskontextuelle Problemlagen <strong>Bremen</strong>s exemplarisch dargestellt<br />

werden, bevor abschließend für eine stärkere Einbindung von<br />

außerschulischen Angeboten in die Institution Schule plädiert wird.<br />

PISA-Verlierer<br />

In allen drei im Rahmen von PISA untersuchten Kompetenzbereichen –<br />

hierzu zählt neben der Lesekompetenz auch das mathematische und<br />

naturwissenschaftliche Grundverständnis – belegen Bremer SchülerInnen<br />

im Vergleich zu Altersgleichen anderer teilnehmender Bundesländer den<br />

letzten Rang. Im mathematischen Bereich entspricht diese Platzierung laut<br />

den Autoren der PISA-Studie einem durchschnittlichen Leistungsdefizit<br />

gegenüber dem Land Bayern von umgerechnet ca. 1,5 Schuljahren. <strong>Die</strong>ser<br />

Rückstand, der in einem ähnlichen Ausmaß auch für die anderen<br />

Kompetenzbereiche zu konstatieren ist, kann im Verlauf der weiteren<br />

9<br />

Bildungsbiografie der betroffenen SchülerInnen nur schwer kompensiert<br />

werden und wirkt sich eher kumulativ auf andere Leistungsbereiche aus.<br />

Zudem sind die Zugänge zu Bildung ungleich verteilt. So betrifft ein<br />

zentrales im Kontext der Schule existierendes und durch die PISA-Studie<br />

aufgezeigtes Problem die Bildungsbenachteiligung von<br />

SchülerInnengruppen in sozialen und ökonomischen Risikolagen. <strong>Die</strong><br />

Ergebnisse zeigen deutlich auf, dass der Bildungserfolg in einem<br />

signifikanten Zusammenhang zu der Ethnizität und der sozialen<br />

Positionierung der Herkunftsfamilie steht: dies gilt sicherlich für die<br />

gesamte Bundesrepublik Deutschland, aber insbesondere für <strong>Bremen</strong>.<br />

Allerdings erklären soziale Disparitäten nur bedingt die schwierige<br />

Bildungssituation in <strong>Bremen</strong> insgesamt. Der faktische Unterschied im<br />

Leistungsniveau zu allen anderen Ländern bleibt selbst dann erhalten, wenn<br />

der Faktor Migration und soziale Herkunft kontrolliert und der Datensatz<br />

entsprechend adjustiert wird. Zusammenfassend ist im Land <strong>Bremen</strong> eine<br />

insgesamt gesehen große Leistungsstreuung auf einem niedrigen<br />

Leistungsniveau zu erkennen.<br />

<strong>Die</strong>ser negativen Ausgangslage scheinen sich auch die VertreterInnen der<br />

Bremer Schulen sehr bewusst zu sein. Entsprechend beurteilen im Rahmen<br />

von PISA 8 von 10 Bremer SchulleiterInnen – so viele wie in keinem<br />

anderen Land – ihre Schulsituation als problembehaftet und kritisch.<br />

Heterogene Schullandschaft<br />

Es kann keineswegs behauptet werden, dass es auf die im Rahmen der<br />

PISA-Untersuchung für die Bremer SchülerInnen diagnostizierten<br />

schlechten Leistungsergebnisse keinerlei Reaktion und Maßnahmen gab –<br />

das Gegenteil ist der Fall. So hat <strong>Bremen</strong> beispielsweise das umfangreiche<br />

Projekt „Schule macht sich stark“ (SMS) zur Verbesserung der Bildungslage<br />

initiiert. Im Zentrum steht ein Unterstützungsprogramm für insgesamt neun<br />

Bremer Schulen, welches auf unterschiedlichen Ebenen die Ziele der<br />

Reduzierung der nachgewiesenen sozialen und ethnischen Disparitäten, der<br />

Verbesserung des Unterrichts sowie der Förderung und Sicherung von<br />

Basiskompetenzen (Sprach- und Lesebereich und mathematisches<br />

Grundbildung) bei sogenannten RisikoschülerInnen verfolgt.<br />

Daneben konzentrieren sich die Veränderungen auch auf schulstrukturelle<br />

Modifikationen, die „neue“ Schulsysteme nach sich ziehen, ohne allerdings<br />

dabei auf die „alten“ zu verzichten. Das Resultat wird in einer heterogenen<br />

Schullandschaft sichtbar, die in ihrer Ausdifferenziertheit eher komplex


Prof. C. Palentien, M. Harring, Dr. C. Rohlfs PISA-Schock, heterogene Schullandschaft und Abwanderungstendenzen<br />

erscheint. Kein anderes Bundesland leistet sich so viele – parallel<br />

nebeneinander bestehende – unterschiedliche Schulformen, wie dies derzeit<br />

das kleinste Flächenland <strong>Bremen</strong> praktiziert. Bereits im Grundschulbereich<br />

ist das Schulsystem durch seine Heterogenität geprägt und ermöglicht<br />

sowohl eine vierjährige als auch eine sechsjährige Schulzeit. <strong>Die</strong>se<br />

Komplexität setzt sich in der Gliederung der Sekundarstufen I und II fort<br />

und spiegelt sich einerseits in einer horizontalen Trennung nach<br />

Schulzentren der Sek. I und Sek. II wider und andererseits in<br />

durchgängigen Gymnasien, die eine Kontinuität in der Bildungskarriere<br />

durch einen fließenden Übergang von der Mittelstufe in die Oberstufe<br />

möglich machen. Zudem differenziert das System auch vertikal, und zwar<br />

nicht nur nach unterschiedlichen Schulzentren und Gymnasien, sondern<br />

darüber hinaus nach Gesamtschulen und Integrierten Stadtteilschulen.<br />

Abwanderung<br />

<strong>Bremen</strong> weist eine hohe Anzahl an Stadtteilen auf, die als Brennpunkte<br />

bezeichnet werden können. Insbesondere in diesen Stadtteilen ist an den<br />

Nahtstellen des Bildungssystems, d.h. im Übergang von der Primarstufe in<br />

die Sekundarstufe I sowie im Wechsel in die Sekundarstufe II, seit einiger<br />

Zeit eine Abwanderung von bildungsorientierten SchülerInnen – aus Angst<br />

vor niedrigem Leistungsniveau und geringer Leistungsbereitschaft – in<br />

benachbarte Stadtteile beobachtbar, die scheinbar eine attraktivere<br />

Bildungslandschaft bieten. <strong>Die</strong>se Entwicklung zieht nicht nur eine<br />

Fluktuation innerhalb <strong>Bremen</strong>s zwischen den einzelnen Stadtteilen nach<br />

sich, sondern hat auch aufgrund der infrastrukturellbedingten Möglichkeit,<br />

die Stadt- und damit die Landesgrenzen relativ schnell erreichen zu können,<br />

die Abwanderungstendenzen von sozioökonomisch besser gestellten<br />

Schülerinnen und Schülern aus <strong>Bremen</strong> heraus und eine Anmeldung dieser<br />

an Schulen im Bremer Umland zur Konsequenz.<br />

In Bezug auf die drei aufgezeigten Problembereiche, mit denen der<br />

Stadtstaat <strong>Bremen</strong> konfrontiert ist, wird deutlich, dass die Institution<br />

Schule, um sowohl den von „Innen“ gestellten eigenen Ansprüchen als auch<br />

den von „Außen“ an sie gerichteten pädagogischen und gesellschaftlichen<br />

Anforderungen zu entsprechen, nicht nur fachliche Gesichtspunkte ins<br />

Zentrum ihrer Arbeit stellen, sondern verstärkt – auch im Hinblick auf die<br />

Förderung und soziale Unterstützung aller SchülerInnen – eine<br />

Zusammenarbeit mit außerschulischen ExpertInnen, „eine Öffnung von<br />

Schule“ anstreben sollte. Damit kann zur Realisierung eines umfassenden<br />

Konzeptes von Bildung die Kooperation von Schule mit anderen informellen<br />

10<br />

und nicht-formellen Bildungsinstitutionen, wie z.B. Kinder- und Jugendhilfe,<br />

für beide Einrichtungen eine Chance und Bereicherung zugleich bedeuten.<br />

Speziell dem Bereich der Jugendarbeit bzw. Jugendverbandsarbeit als<br />

einem möglichen Kooperationspartner von Schule kommt hier eine zentrale<br />

Rolle zu.<br />

Ziel sollte es sein, die Kompetenzen der Jugendarbeit in den Lern- und<br />

Lebensraum Schule einzubringen, um institutionsübergreifend gemeinsam<br />

neue Wege des Lernens und Lehrens zu erproben und langfristig den<br />

Schulalltag und den Freizeitbereich von SchülerInnen durch die Integration<br />

von mehr Angeboten an Ruhe-, Freizeit- und Lernphasen sowohl in den<br />

Vormittags- als auch in den Nachmittagsbereich innerhalb der Schule<br />

attraktiver zu gestalten. Nur wenn es gelingt, schulische und<br />

außerschulische Institutionen für eine Kooperation zu gewinnen, kann eine<br />

Optimierung der Angebotslage in der (Ganztags-)Schule erreicht und ein<br />

umfassendes Konzept von Bildung – und nicht ausschließlich Betreuung –<br />

im Lebensraum Schule verwirklich werden sowie daraus resultierend die<br />

Entwicklung und Entfaltung von Toleranz, Persönlichkeit und sozialer<br />

Integration bei Kindern und Jugendlichen eine gezielte Förderung erfahren.<br />

Gleichzeitig werden Bildungsgelegenheiten durch eine zielgerechte<br />

Organisation von Bildungsprozessen und die Schaffung eines anregenden<br />

Umfeldes ermöglicht.<br />

Langfristig muss es darum gehen, schulische und außerschulische<br />

Bildungsorte und -prozesse miteinander in Einklang zu bringen, auf<br />

einander auszurichten sowie die – im Zuge der PISA-Ergebnisse neu<br />

aufgezeigte, aber bereits lange vor der PISA-Studie bestehende – klare<br />

Trennung von formellen, informellen und nicht-formellen Bildungsorten zu<br />

Gunsten neuer Bildungslandschaften zu überbrücken. Denn ebenso wie das<br />

derzeitige Schulsystem für die Verschärfung von sozialen Disparitäten bei<br />

bestimmten Kindern und Jugendlichen verantwortlich gemacht werden<br />

kann, verfügt es gleichzeitig auch über das Potenzial, diese Ungleichheiten<br />

zu kompensieren, wenn Bildung in der Schule eine Neujustierung erfährt<br />

sowie umfassend und vom Kind oder vom Jugendlichen ausgehend gedacht<br />

und entwickelt wird.


Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis Eingangsstatement im Fachausschuss ‚Schulentwicklung’<br />

Transkript des Statements<br />

im Fachausschuss, Anhörung<br />

vom 12.02.2008<br />

Verehrte Frau Senatorin, sehr geehrter Herr<br />

Vorsitzender, meine Damen und Herren!<br />

Zunächst herzlichen Dank für die Einladung,<br />

heute wieder nach <strong>Bremen</strong> zu kommen! Nach<br />

<strong>Bremen</strong> komme ich seit 20 Jahren<br />

regelmäßig, insofern habe ich noch<br />

mindestens mehr als nur einen Seitenblick in<br />

Ihr System und, nachdem ich 33 Jahre das<br />

Institut in München für diesen Bereich geleitet habe, auch einen tiefen<br />

Einblick in diese Materie. <strong>Die</strong>s vorausgesetzt, gestatten Sie mir die weitere<br />

Bemerkung, dass wir seit Beginn der <strong>90</strong>er Jahre international diese Debatte<br />

führen mit einer politischen und einer fachlichen Dimension.<br />

<strong>Die</strong> politische Dimension wurde durch die Feststellung motiviert, dass<br />

zunehmend die Bildungssysteme sich als ineffizient erweisen, wenn es<br />

darum geht, den Herausforderungen gerecht zu werden, die daraus<br />

resultieren, dass wir Bildungsphilosophie, Bildungsziel und<br />

Bildungsprogrammatik auf eine veränderte Welt hin ausrichten müssen.<br />

Das Bildungssystem folgte und folgt teilweise heute noch der Logik der<br />

Industriegesellschaft, aber nur noch 15 Prozent der Bevölkerung europaweit<br />

sind in diesem Sektor tätig. <strong>Die</strong> Wissensgesellschaft, eine sogenannte<br />

postmoderne Welt, formuliert und adressiert völlig andere<br />

Herausforderungen an das Individuum und an das Bildungssystem. <strong>Die</strong>sen<br />

Transformationsprozess angemessen zu gestalten, ist die politische<br />

Herausforderung. International stellte man fest, dass dem zu begegnen sei.<br />

Hinzu kam die fachliche Debatte, die darauf hinwies, dass es für ein<br />

reformiertes Bildungssystem nicht mehr zeitgemäß sei, Fakten und Wissen<br />

zu vermitteln, sondern dass es gut beraten wäre, würde dieses System auf<br />

die Stärkung kindlicher Entwicklung und kindlicher Kompetenzen setzen.<br />

Wenn man sich diese Position zu Eigen macht, dann muss man gleichzeitig<br />

zwei weitere Feststellungen machen: erstens, dass diese Kompetenzen<br />

unmittelbar nach der Geburt des Kindes etabliert werden, und zweitens,<br />

dass dafür die Bildungsinstitutionen am wenigsten geeignet sind, denn sie<br />

erklären nicht einmal 20 Prozent der Varianz der kindlichen Entwicklung auf<br />

11<br />

diesen Bereich. <strong>Die</strong>s vorausgesetzt, entfaltete sich international eine große<br />

Debatte. Wir haben sie dokumentiert, ich habe selbst die Länder besucht,<br />

von England bis Neuseeland, wir haben die Systeme sehr genau untersucht,<br />

sodass wir gute Kenner dessen sind, was die internationale Entwicklung<br />

momentan bedingt.<br />

Wenn ich jetzt den Rahmenplan von <strong>Bremen</strong> vor diesem Hintergrund<br />

reflektiere, scheint mir das Hauptproblem des Landes darin zu liegen, dass<br />

der Bildungsplan auf fachlichen, theoretischen Grundlagen aufbaut, die Sie<br />

weltweit nicht finden werden. Wenn das so ist, sind natürlich auch die<br />

Maßnahmen, die darauf aufbauen, die damit begründet werden, wenig<br />

effizient, und ich kann Ihnen jetzt schon prognostizieren, dass der Status in<br />

dem Ländervergleich sich nicht verändern wird, wenn sich die Bürgerschaft<br />

nicht entschließt, die notwendigen Reformen hier einzuleiten, die auch<br />

bereits andere Bundesländer in Angriff genommen haben.<br />

Ich möchte das ausführen. Wenn Sie das Bildungsverständnis dieses<br />

Bildungsplans sehen, dann geht er davon aus, dass auf der Grundlage<br />

sogenannter Entfaltungstheorien das Kind sich entwickelt und eigenständig<br />

seine Entwicklung voranbringt. <strong>Die</strong> Aufgabe der Erziehung, expressis verbis<br />

ausgedrückt, in dem Bildungsplan besteht lediglich darin, diesem Kind<br />

entwicklungsanregende Umgebungen bereitzustellen. In Wirklichkeit ist<br />

aber das Kind eigenverantwortlich für seine Bildung. Ein solches<br />

Verständnis hat große Probleme. Erstens ist es ein wenig diskursives<br />

Verständnis von Bildung. Das Kind sucht sich selbst die Entwicklung, aber<br />

es findet keine Interaktion, keine Diskussion statt. Zweitens: Wir können<br />

heute nachweisen, wenn Sie die Kinder dem Selbstbildungsprozess<br />

überlassen, entwickeln sich diese Kinder nicht optimal, speziell in den<br />

Bereichen, die für das Bildungssystem von zentraler Bedeutung sind. <strong>Die</strong><br />

Entwicklung der lernmethodischen Kompetenz kann auf dem Wege der<br />

Selbstbildung nicht vorangebracht werden. Dafür liegen bereits empirische<br />

Arbeiten vor. Das fundamentale Problem des Plans sind also nicht so sehr<br />

die Maßnahmen, sondern es sind die Grundlagen, auf denen er aufbaut.<br />

Ein zweiter Punkt, was die Grundlagen betrifft! Der Bildungsplan ist in sich<br />

inkonsistent, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Sie finden in demselben Plan<br />

sich widersprechende theoretische Positionen. Ich frage mich, wie dann<br />

Orientierung geboten werden kann! Wenn Sie Bildungsbereiche des<br />

Bildungsplans betrachten, finden Sie erst einmal keine Begründung, warum<br />

sieben, warum diese. Wenn Sie sie näher betrachten, finden Sie eine<br />

weitere Inkonsistenz. Es gibt Bildungsbereiche, die keine sind, wie der


Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis Eingangsstatement im Fachausschuss ‚Schulentwicklung’<br />

Körper, es gibt Bildungsbereiche, die welche sind, aber es gibt auch<br />

Ebenen, Bildungsbereiche, die keine sind, weil sie Kompetenzen sind.<br />

Kommunikation ist kein Bildungsbereich, es ist eine Kompetenz. Wenn also<br />

ein Bildungsplan inkonsistent ist, dann kann er bei weitem keine<br />

Orientierung bieten.<br />

Der dritte Punkt: Der Bildungsplan ist eher auf die Einrichtungen<br />

konzentriert, in diesem Fall bei den unter Sechsjährigen auf den<br />

Kindergarten. Alle Bildungspläne sind unzureichend konzeptionalisiert, wenn<br />

es um die unter Dreijährigen geht. Das ist nicht nur das Problem dieses,<br />

sondern das ist das Problem von allen Bildungsplänen landesweit. Wenn wir<br />

aber einen Bildungsplan auf die Institution primär fokussieren, dann<br />

verstärken wir die Struktur des Systems. Wir verkennen, dass es außerhalb<br />

der Institution andere Lernorte gibt, und heute sind moderne Bildungspläne<br />

nicht mehr auf die Institution fokussiert, sondern sie fokussieren sich auf<br />

die individuelle Biografie eines Kindes, seiner Entwicklungs- und<br />

Bildungsbiografie und integrieren alle Lernorte. Und der wichtigste Lernort<br />

im Vorschulkinderbereich ist nicht der Kindergarten, es ist die Familie.<br />

Das Verhältnis, um das auch gleich noch aufzunehmen, zwischen<br />

Kindergarten und Familie ist verfassungsrechtlich reguliert, und bis Sie die<br />

Verfassung verändern, können Sie auch an diesem Verhältnis nicht rütteln.<br />

Verfassungsrechtlich korrekt ausgelegt heißt, das Primat der Verantwortung<br />

liegt bei der Familie und die Institution handelt im Auftrag. Daher darf das<br />

Verhältnis zwischen Einrichtung und Familie nicht in das Gegenteil verkehrt<br />

werden. Wenn ich jetzt wieder den Bildungsplan sehe und seine Auslegung<br />

über das Verhältnis von Familie und institutioneller Bildung, dann muss ich<br />

schon sagen, dass hier unschwer zu erkennen ist, dass die Familie in die<br />

Defensive gerät, im Grunde genommen kaum etwas zu sagen hat,<br />

Kenntnisse und Informationen entgegenzunehmen hat. Wenn sie überhaupt<br />

eingeladen wird, fehlt zu angeblicher Mitwirkung jegliche Grundlage.<br />

Betrachtet man das konzeptuelle Verständnis von Übergängen, so wird man<br />

sehen, dass dieser Bildungsplan hinter der bereits in der Bundesrepublik<br />

erreichten Realität bleibt. Das Verständnis ist denkbar ungeeignet, um<br />

dieses Problem zu lösen. Ebenso gut gemeint, aber ineffizient sind Ansätze<br />

wie Trans-Kigs oder der Kindergarten der Zukunft in Bayern. Wir haben 35<br />

Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet und wir wissen heute, dass diese<br />

Modelle das Ziel nicht erreichen werden. Der Grund ist nämlich ein tieferer.<br />

Der Grund liegt darin, dass die Bildungsprozesse im Kindergarten auf einer<br />

Theorie aufbauten, die mit der Theorie der Grundschule nicht<br />

12<br />

kommuniziert. Das heißt, die theoretische Fundierung der beiden<br />

Bildungsbereiche ist so, dass sie nicht miteinander kommunizieren können.<br />

Wenn das aber so ist, kann dies nicht kompensiert werden durch Brücken,<br />

durch Herausforderungen an das Personal oder durch punktuelle<br />

Maßnahmen.<br />

Eine moderne Antwort auf diese Herausforderungen lautet: Wir wissen<br />

heute, dass etwa 80 Prozent der Kinder diese Übergänge nutzen, um ihre<br />

Entwicklung zu stimulieren. <strong>Die</strong> Übergänge sind phasenbeschleunigte<br />

Veränderungen. Es gibt aber auch 20 Prozent, die Probleme zeigen, wenn<br />

sie von einem Setting, von der Familie, in den Kindergarten gehen. Wir<br />

wissen, dass die Probleme dieser Kinder nicht institutionellen Ursprungs<br />

sind, sondern familiären Ursprungs, und zwar liegen die Probleme in der<br />

frühen Sozialisation. Wenn eine Familie in ihrer Dynamik dem Kind die<br />

Chance nicht eröffnet, sichere Bindungsqualität an die Eltern zu entwickeln,<br />

und wir haben in der Bundesrepublik 24 Prozent dieser Kinder, wenn die<br />

Familie chronisch mit Konflikten belastet ist, wenn sie so organisiert ist,<br />

dass sie ein geschlossenes System ist, dann hat sie auch überproportional<br />

häufig ein Kind, das, wenn es von dieser Familie ausgeht in eine<br />

Einrichtung, Probleme zeigt. <strong>Die</strong>ses Kind ist nicht ein klinischer Fall,<br />

sondern es ist eine normale Bewältigungsreaktion auf eine für das Kind<br />

nicht normale Situation.<br />

<strong>Die</strong>ses Problem beschäftigt uns seit 1971, ohne dass bis heute eine<br />

hinreichende Antwort gegeben werden konnte. <strong>Die</strong> Antwort, die wir heute<br />

international geben, ist eine doppelte. Wir brauchen eine doppelte<br />

Interventionsstrategie. Wenn die Einrichtung früh dieses Kind erkennt, dann<br />

muss sie mit der Beratungsstelle zusammenarbeiten, um zu versuchen, die<br />

Ursachen bei der Familie zu beseitigen. Hier ist die Kooperation zwischen<br />

Kindergarten, Beratungsstelle und Familie angesagt.<br />

Zweitens, und das ist der genuine Bildungsauftrag der Einrichtung: Der<br />

Kindergarten müsste an sich geeignete Angebote mit diesem Kind<br />

organisieren, die dem Kind erlauben zu lernen, angstfrei<br />

Veränderungsprozesse zu bewältigen. Der Übergang in die Schule sollte<br />

dann die Validierungsphase des Erfolgs sein, und wenn der Erfolg ausbleibt,<br />

muss die Grundschule diese Intervention fortsetzen. Wir wissen aber auch,<br />

dass sich die Effekte bei diesem Kind, wenn es ihm nicht gelingt, diesen<br />

ersten Übergang angemessen zu bewältigen, beim nächsten und<br />

übernächsten Übergang verstärken. Je mehr Übergänge unbewältigt<br />

durchlaufen, desto stärker ist der Effekt. Deswegen werden Sie auch heute


Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis Eingangsstatement im Fachausschuss ‚Schulentwicklung’<br />

beobachten, dass es größere Probleme gibt, wenn der Wechsel von der<br />

Grundschule in die weiterführenden Schulen da ist. <strong>Die</strong>sen Effekt erzeugt<br />

das Bildungssystem, nicht das Kind und nicht die Familie, und deshalb kann<br />

man diese Effekte nicht über kindgerechte Interventionen auffangen.<br />

Man muss hier systemimmanente Veränderungen vornehmen und wir<br />

haben sie bereits vorgenommen. Wir haben die Grundsätze und die<br />

Prinzipien, auf denen pädagogisches Handeln aufbaut, durchgehend von<br />

Kindergarten und Grundschule und jetzt sogar bis zum Abitur entwickelt.<br />

Dass die Kinder von einer Philosophie in eine andere geworfen werden,<br />

dafür gibt es fachlich überhaupt keine Begründung.<br />

Das Zweite ist, meine Kollegin hat es bereits schon zu Recht erwähnt: Wir<br />

müssen die Bildungsziele von unten nach oben konsistent fortsetzen. Es ist<br />

auch nicht nachzuvollziehen, dass die Bildungsziele zusammenbrechen,<br />

wenn das Kind vom Kindergarten in die Grundschule wechselt. Das Ergebnis<br />

ist bekannt: Wir haben Kinder, die scheitern, sogar mehr als ein Drittel, und<br />

wir haben eine niedrige Effizienz des Bildungssystems, weil Effekte nicht<br />

weiter genutzt werden.<br />

Der dritte Punkt, und das ist der substantielle Teil der Professionalisierung<br />

beziehungsweise der Fort- und Weiterbildung: Das Problem unserer<br />

Fachkräfte liegt nicht allein im fallenden Niveau. Es liegt vor allem an der<br />

nicht angemessenen Qualität der Ausbildung. Ich möchte einen Aspekt<br />

dieses komplexen Geschehens andeuten! Wenn Sie das Feld beobachten –<br />

und ich war in vielen Kindergärten in <strong>Bremen</strong> –, dann werden Sie sehen,<br />

dass die meisten, wenn nicht sogar ausschließlich, erfahrungsgeleitet<br />

handeln. Das heißt, sie haben irgendwo etwas gesehen und haben sich das<br />

zu Eigen gemacht, und diese Art der Moderierung von Bildungsprozessen<br />

wird perpetuiert, Praxis wird perpetuiert.<br />

Was fehlt, ist eine angemessene, fachliche Begründung und Reflexion.<br />

Dafür gibt es aber heute 24 Methoden, mit denen wir Fachkräfte in die Lage<br />

versetzen können, Bildungsprozesse fachlich zu fundieren, mit Reflexion<br />

und auch mit der Möglichkeit, selbst zu kontrollieren, ob sie effiziente<br />

Modelle sind oder nicht. Es hilft der Fachkraft heute nicht, ihr Wissen zu<br />

geben. Wir müssen auf der Handlungsebene intervenieren, weil die<br />

Bildungsqualität weder über die Struktur noch über die Information erreicht<br />

wird. Sie wird erreicht über die Moderierung von Bildungsprozessen, und<br />

hier einen Schwerpunkt der Professionalisierung zu setzen, halte ich für<br />

angemessen.<br />

13<br />

Eine davon unabhängige Frage ist aufgeworfen, wie man ein modernes<br />

Bildungssystem steuert. Hier kann ich Ihnen sagen: Sie können natürlich<br />

unterschiedliche Steuerungsmechanismen heranziehen, aber Sie haben<br />

dann auch unterschiedliche Effekte. Ein prinzipielles Problem bei der<br />

Steuerung des Systems ist die Frage: Wie viel kann dereguliert werden und<br />

wie viel muss zentral reguliert werden? <strong>Die</strong> Antwort, die wir heute<br />

international von Oxford bis Göteborg geben, ist klar: Wir brauchen sowohl<br />

eine starke Regulierung als auch eine starke Deregulierung. Man muss nur<br />

wissen, was zentral der Regulierung unterliegt und was sinnvoller Weise<br />

dereguliert werden sollte.<br />

Bei der zentralen Regulierung muss auf jeden Fall der Bildungsplan, die<br />

Ausbildung des Personals, die Fort- und Weiterbildung, das finanzielle<br />

Modell und die Forschung reguliert werden. <strong>Die</strong>se Dinge lassen sich nicht<br />

deregulieren. Sie können alles deregulieren, vorausgesetzt, dass Sie vor Ort<br />

einen paritätisch besetzten Ausschuss haben, dessen Hauptaufgabe darin<br />

liegt, die lokalen Ressourcen zu mobilisieren, um die Qualität nach oben zu<br />

bringen und darauf zu achten, dass die Qualität immer nach oben geht.<br />

<strong>Die</strong>sen Ausschuss so zu gestalten, dass er zu einem Drittel aus Fachkräften,<br />

zu einem Drittel aus Eltern und zu einem Drittel aus Kommunen besteht, ist<br />

ein bewährtes Instrument.<br />

Sprachstandsdiagnose! Meine Damen und Herren, es gibt in diesem Land<br />

bis zu dieser Stunde kein valides Instrument, das uns zuverlässig die<br />

Identifikation von Kindern mit Sprachstörungen in dem Sinne erlaubt, dass<br />

wir darauf aufbauend eine sinnvolle Intervention einleiten könnten.<br />

Zweitens: Es fehlt auch an den notwendigen Interventionen. Beides<br />

zusammen sollte uns also sehr vorsichtig stimmen, wenn es darum geht,<br />

mit schnellen Maßnahmen dieser Art aufzuwarten. Wir wissen aber auch<br />

darüber hinaus, dass dieses Konzept Gruppen von Kindern systematisch<br />

benachteiligt, und so können diese Kinder dann mit einem nicht validen<br />

Instrument zu Problemkindern identifiziert werden, die dann der weiteren<br />

Behandlung bedürfen. Von solchen Ungerechtigkeiten hat dieses<br />

Bildungssystem eine Menge, und wir sollten aufpassen, dass wir sie<br />

durchaus nicht auch schon im Elementarbereich zelebrieren.<br />

Gütesiegel! Es gibt kein einziges Land in der Welt, dass sein Bildungssystem<br />

mit einem Gütesiegel angemessen steuern konnte. Das können Sie in den<br />

USA über den Versuch in England bis Hamburg sehen. Als ich in die<br />

Enquete-Kommission in Hamburg berufen wurde, habe ich davor gewarnt:


Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis Eingangsstatement im Fachausschuss ‚Schulentwicklung’<br />

Man kann nicht ein komplettes Bildungssystem mit zwei Sozialindikatoren<br />

steuern, nämlich die Erwerbstätigkeit der Eltern und die Frage, ob die Eltern<br />

geschieden sind oder nicht. Das sind sachfremde Kriterien für ein<br />

Bildungssystem.<br />

Ich wünsche Ihnen – und ich werde vielleicht zum Schluss auch meine<br />

Empfehlungen geben –, dass es Ihnen gelingt, die Orientierung und die<br />

Fundierung dessen, was hier bildungspolitisch passiert, auf ein Niveau und<br />

auf eine Qualität zu bringen, die wirklich neue Perspektiven eröffnet. Vielen<br />

Dank!<br />

14


Peter Lankenau Quo vadis Bremer Schulwesen?<br />

Quo vadis Bremer<br />

Schulwesen?<br />

Der Bildungsreferent der <strong>Grünen</strong> in der<br />

Bremischen Bürgerschaft hat mich gebeten,<br />

einmal aus meiner Sicht eine Einschätzung<br />

der zukünftigen Entwicklung des Bremer<br />

Schulwesens abzugeben. Angesichts der<br />

Tatsache, dass ich in weniger als einem<br />

halben Jahr nach dann 40-jähriger<br />

Lehrertätigkeit in <strong>Bremen</strong> (21 Jahre davon in<br />

der Schulleitung) in die dann wohlverdiente<br />

Freistellungsphase der Altersteilzeit gehen<br />

werde, möchte ich dem oben genannten<br />

Wunsch folgen, dieses aber in einer sehr<br />

persönlichen, nicht mit irgendeiner Partei, Person oder sonstigen Gruppe<br />

abgesprochenen Form vollziehen.<br />

Man kann die Entwicklung nur unter Kenntnis der jüngsten Geschichte des<br />

Bremer Schulwesens einschätzen. Als noch junger Lehrer konnte ich Horst<br />

Werner Franke erleben, der die Bildungseuphorie der 70er Jahre<br />

dahingehend nutzte, die Schullandschaft grundlegend zu verändern:<br />

Ausgehend von der Prämisse, dass die Gesamtschule unumgänglich sei,<br />

kamen die Neugründungen GSW und GSO als Vorzeigeobjekte zustande.<br />

Den Kampf mit den Kräften auf der gymnasialen Seite gewann er partiell,<br />

indem er dem Alten Gymnasium einen durchgängigen Status zubilligte, weil<br />

es ein altsprachliches Alleinstellungsmerkmal vorweisen konnte. <strong>Die</strong> Lobby<br />

Schwachhauser Schulen konnte ebenso das Kippenberg-Gymnasium als<br />

durchgängig (Mittelstufe und Oberstufe) „retten“. Ansonsten entstanden die<br />

Orientierungsstufe und die Horizontalität der Schulzentren im Sek. I- und<br />

Sek. II-Bereich als neue Organisationsform. Das alles geschah Ende der<br />

70er. Für die Mittelstufe war laut Schulgesetz der Auftrag gegeben, die<br />

additiven Schulzentren sukzessive in Gesamtschulen zu verwandeln.<br />

Große Reibungsverluste gab es im Zusammenwachsen der neu<br />

entstandenen Sek. I- und II-Zentren. Mussten sich doch hier bisher<br />

getrennte Kollegien „zusammenraufen“. Nach meiner Einschätzung ist das<br />

in den Sek. I-Zentren im Laufe der Jahre gut gelungen, dagegen sind m.E.<br />

bis heute im Bereich der Sek. II die Verbindungen von gymnasialer und<br />

15<br />

beruflicher Bildung eher schwach ausgebildet. Ausnahmen bestätigen hier<br />

die Regel!<br />

<strong>Die</strong> Schwäche des Systems lag in den zahlreichen Brüchen: Nach der<br />

Grundschule kam der Wechsel zur OS, die nach zwei Jahren zum Wechsel<br />

ins dreigliedrige System oder in Gesamtschulen führte, das oder die nach<br />

weiteren vier Jahren entweder in die berufliche Richtung ging oder zum<br />

Gymnasium, was mit einem weiteren Wechsel verbunden war.<br />

Politische Entwicklungen bewirkten dann im Laufe der Jahre eine Erosion<br />

und Zersiedelung der Schullandschaft: Während die SPD lange Zeit die<br />

Schulzentren vertrat und als ihre Schulform ansah, nutzten die <strong>Grünen</strong> die<br />

Einrichtung von Gesamtschulen, die auch Stadtteilschulen heißen konnten,<br />

während die CDU und auch die FDP zielgerichtet die durchgängigen<br />

Gymnasien vorantrieben. Unterschiedliche Koalitionen (Ampel- und große<br />

Koalition) sorgten jeweils für ihre Klientel. Dabei kam im Sek. I-Bereich das<br />

herkömmliche Schulzentrum immer weiter ins Hintertreffen, was sich in der<br />

Abwahl bestimmter Schulen vor allem im Gymnasialbereich zeigte.<br />

Das war die Lage vor ca. vier Jahren, als die Einführung des Abiturs nach<br />

zwölf Jahren (G 8-Prozess) anstand. Inzwischen hatte die<br />

Orientierungsstufe solch ein negatives Image, dass sie kurzweg abgeschafft<br />

wurde. Damit aber war die Übergangsproblematik von der Grundschule ins<br />

weiterführende System auf die Klasse 4 vorverlagert worden. <strong>Bremen</strong><br />

schloss sich der Entwicklung im Bund (und vor allem in Niedersachsen) an<br />

und ließ den Eltern die freie Entscheidung, nach der 4. Klasse entweder ins<br />

G 8-Gymnasium, auf eine Gesamtschule oder auf die Sekundarschule zu<br />

wechseln. Gleichzeitig wurden die Schuleinzugsgebiete nahezu aufgehoben,<br />

so dass ein Schultourismus möglich wurde.<br />

<strong>Die</strong>ses neue System hat sich inzwischen als nicht lebensfähig erwiesen: <strong>Die</strong><br />

neue Schulart ‚Sekundarschule’ wird gegenwärtig extrem abgewählt. So<br />

war im laufenden Schuljahr nur noch eine ca. 16 %-Anwahl zu verzeichnen.<br />

<strong>Die</strong> Schülerströme gehen gegenwärtig zum Gymnasium und zur<br />

Gesamtschule.<br />

Damit kommt die bereits jetzt überall propagierte „Zwei-Säulen-Idee“ zum<br />

Tragen: Wenn die Entwicklung so ist, wie wir sie jetzt verzeichnen können,<br />

wird es sinnvoll nur noch Gesamtschulen und Gymnasien geben; die<br />

Sekundarschule müsste mangels Attraktivität aufgegeben werden. <strong>Die</strong>se<br />

Idee ist allerdings nicht so leicht umzusetzen, denn die Schulzentren stehen


hier im Wege: Würden sie die SekundarschülerInnen verlieren, weil diese<br />

entweder zu GesamtschülerInnen oder GymnasiastInnen mutiert wären,<br />

blieben in den Zentren „amputierte“ Restgymnasien übrig, weil sie ihre<br />

SchülerInnen nach der 9. Klasse abgeben müssten, während die<br />

durchgängigen Systeme von Klasse 5 bis 12 die SchülerInnen behalten<br />

könnten. <strong>Die</strong> Einrichtung von „Mittelstufengymnasien“ erscheint mir<br />

unsinnig.<br />

Was folgt nun aus dieser Sachlage:<br />

1. Wenn auch die gegenwärtige Anwahlphase für den 5. Jahrgang<br />

erneut die Sekundarschule noch weiter absinken lässt, so dass sie<br />

unter der Rate der ehemaligen Hauptschule liegt, ist sie als<br />

eigenständige Form aufzugeben.<br />

2. <strong>Die</strong> noch bestehenden Schulzentren müssen sich entscheiden,<br />

entweder zu Gesamtschulen oder zu durchgängigen Gymnasien zu<br />

werden. „Mittelstufengymnasien“ darf es nicht geben.<br />

3. Damit entstehen überall dort, wo die SchülerInnenzahlen es<br />

ermöglichen, durchgängige Gymnasien, die im G 8- Modell nach<br />

zwölf Jahren zum Abitur führen.<br />

4. An den Standorten der großen Gesamtschulen wird sowohl der<br />

mittlere Bildungsabschluss nach zehn Schuljahren als auch das<br />

Abitur nach 13 Jahren angeboten.<br />

5. <strong>Die</strong> bestehenden Sek. II-Zentren müssen sich standortgebunden<br />

entweder mit Gesamtschulen oder mit „Mittelstufengymnasien“<br />

vereinigen.<br />

<strong>Die</strong>se Vorschläge werden einen Sturm der Entrüstung auslösen, dessen bin<br />

ich mir bewusst! Nur nehme ich mir die Freiheit, jetzt ohne dienstliche<br />

„Scheuklappen“ so zu argumentieren, weil die vorgestellte Idee allenfalls<br />

nach meiner aktiven <strong>Die</strong>nstzeit umgesetzt werden könnte!<br />

Peter Lankenau Quo vadis Bremer Schulwesen?<br />

16


Zentralelternbeirat <strong>Bremen</strong> 10 Punkte-Programm zur Bildungspolitik in <strong>Bremen</strong><br />

Standpunkte zur Schulentwicklung in <strong>Bremen</strong><br />

Das derzeitige Schulsystem ist nicht ausreichend auf die Belange der<br />

heutigen Gesellschaft ausgerichtet. Wir brauchen eine Neuorientierung. In<br />

<strong>Bremen</strong> hat ein Reformprozess begonnen, aber es bedarf noch erheblicher<br />

Anstrengungen und eines Umdenkens, um unsere Schulen zu Lernorten<br />

werden zu lassen, die ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag so erfüllen,<br />

dass sie allen Kindern und Jugendlichen ihre persönliche<br />

Entwicklungschance bieten können. Ein längeres gemeinsames Lernen ist<br />

ein wichtiger Schritt in diese Richtung. In welcher Form dieser durchgeführt<br />

wird (Ganztagsschule, Gemeinschaftsschule, Gymnasium für alle,<br />

sukzessiver Ausbau der integrativen schulischen Angebote) ist für uns<br />

davon abhängig:<br />

- wie überzeugend die konzeptionelle Planung ist.<br />

- inwieweit die Ressourcen dafür bereitgestellt werden.<br />

Zu einer konzeptionellen Planung gehört eine mittelfristige nachvollziehbare<br />

Strategie der Schulentwicklung, Planungssicherheit für die Schulen über<br />

eine Legislaturperiode (und über die bisherige Rahmenplanung) hinaus.<br />

Notwendig ist weiterhin die kontinuierliche Aus- und Fortbildung der<br />

LehrerInnen und Schulleitungen sowie eine Schulstruktur, die auch in<br />

Übergangszeiten für Eltern und SchülerInnen erfolgreiche Bildungskarrieren<br />

und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder gewährleistet.<br />

Der Ausbau von integrativen Schulformen hat langfristig nur dann eine<br />

Chance, wenn alle Bildungsgänge einbezogen werden. Eine weitere<br />

unabdingbare Voraussetzung sind ausreichende finanzielle Investitionen.<br />

17<br />

Schulen brauchen Ressourcen, gerade auch in Form von Zeit und<br />

Unterstützung.<br />

10 Punkte-Programm des ZEB zur Bildungspolitik<br />

1. Potenziale ausschöpfen durch individuelle Forderung und<br />

Förderung aller Kinder<br />

Wir fordern als ersten Schritt die Rücknahme der Kürzungen der<br />

vergangenen Jahre.<br />

Wir fordern die Minimierung der Eltern-Nachhilfe durch verbesserte<br />

Förderung.<br />

<strong>Die</strong> Kürzungen bei der Integration Behinderter und von Behinderung<br />

bedrohter Kinder müssen sofort gestoppt werden und kurzfristig weiter<br />

ausgebaut werden. Wir fordern verbindliche Sprachförderung an KTH<br />

und Schule für Kinder mit Sprachdefiziten.<br />

Für verhaltensauffällige Kinder fordern wir ausreichend fachliche Hilfe<br />

vor Ort.<br />

2. Voraussetzung für erfolgreiche SchülerInnen-Karrieren sind<br />

zeitgemäß ausgestattete und gestaltete Schulen<br />

Eine angemessene und an Bildungszielen orientierte Ausstattung ist die<br />

Voraussetzung für gute Bildungsabschlüsse. Erforderliche<br />

Instandhaltungs- und Ersatzinvestitionen sind deshalb genauso wichtig<br />

wie ausreichende Mittel für Lehr- und Lernmittel.<br />

Mehr Eigenverantwortung der Schulen ist der richtige Weg. <strong>Die</strong><br />

zugewiesenen Gelder müssen schulart- und standortgerecht sein.<br />

Schulleitungen sind so auszustatten, dass sie ihrer Verantwortung<br />

gerecht werden können. Dazu passend muss die Bildungsbehörde zu<br />

einem <strong>Die</strong>nstleistungszentrum neu strukturiert werden.<br />

Neben qualifizierten LehrerInnen und ErzieherInnen benötigt jede<br />

Schule vor Ort Fachkräfte für die psychosoziale Betreuung.<br />

3. Ästhetische Bildung ist ein unverzichtbarer Teil ganzheitlicher<br />

Bildung<br />

<strong>Die</strong> ästhetische Bildung ist für die Entwicklung der Kinder unverzichtbar.<br />

Sie ist eine wesentliche Grundlage für die zukünftige Lebens- und


Zentralelternbeirat <strong>Bremen</strong> 10 Punkte-Programm zur Bildungspolitik in <strong>Bremen</strong><br />

Berufsorientierung. Deshalb ist sie gleichberechtigt zu allen anderen<br />

Fächern zu sehen und Unterrichtsausfälle sind nicht zu akzeptieren.<br />

Auch in den sogenannten Kernfächern müssen ästhetische Elemente in<br />

den Unterricht einfließen, dadurch können Akzeptanz und Lernerfolg<br />

gestärkt werden.<br />

4. In allen Schularten und in allen Fächern muss altersgemäß<br />

die Lebens- und Berufsorientierung im Unterricht<br />

berücksichtigt werden<br />

Erkenntnisse aus der Arbeitswelt wie zeitgemäße Methoden, team- und<br />

projektorientiertes Lernen sowie die praxisgerechte Anwendung der<br />

digitale Medien müssen stärker im Unterricht berücksichtigt werden.<br />

Während der Schulzeit ist frühe Praxiserfahrung unerlässlich, daher<br />

sollten die Schulen Partnerschaften mit Unternehmen und/oder<br />

Hochschulen eingehen.<br />

<strong>Die</strong> Berufsorientierung muss in den Leitlinien, Schul- und<br />

Jahresprogrammen Berücksichtigung finden. Am Ende einer jeden<br />

Schulausbildung muss die positive Perspektive für die zukünftige<br />

Berufsfähigkeit stehen.<br />

<strong>Die</strong> Übergänge sind so zu gestalten, dass Lern- und<br />

Leistungsbereitschaft (Unterrichtsmethodik, fachspezifisches Wissen,<br />

Leistungsbemessung) und damit auch die Lebens- und<br />

Berufsorientierung ohne Brüche abläuft.<br />

Auch volljährigen SchülerInnen muss der Zugang zur Weiterbildung<br />

offen bleiben. <strong>Die</strong> folgenschweren Kürzungen in der Erwachsenenschule<br />

müssen zurückgenommen werden.<br />

5. Flächendeckende Einführung des jahrgangsübergreifenden<br />

Unterrichts<br />

Leistungsstarke Kinder bleiben motiviert und können die Grundschule<br />

schneller durchlaufen (keine StörerInnen aus Langeweile, Kinder lernen<br />

sehr gut von Kindern).<br />

Leistungsschwache und behinderte Kinder bleiben durch<br />

Erfolgserlebnisse motiviert. Behinderte Kinder können öfter den<br />

Anschluss halten und ihre Schullaufbahn in Regelschulen fortsetzen.<br />

Unterschiedlichkeit ist „normal“.<br />

LehrerInnen können sich auf die Individualförderung konzentrieren.<br />

18<br />

Der jahrgangsübergreifende Unterricht ist sofort dort umzusetzen, wo<br />

er von den externen Evaluatoren empfohlen wurde.<br />

6. Verlässlicher Unterricht statt verlässliche Anwesenheitspflicht<br />

Wir fordern die Verringerung des Unterrichtsausfalls durch eine deutlich<br />

bessere Personalausstattung an jeder Schule, um eine kompetente<br />

Vertretung zu gewährleisten.<br />

Wir fordern die sofortige Einstellung fehlender FachlehrerInnen und<br />

LehrerInnen.<br />

Gute Vertretungskonzepte für alle Schulen, Klassen und LehrerInnen<br />

müssen erstellt und auch angewendet werden.<br />

7. Bildung von Anfang an heißt, KTHs, Schulen und Jugendhilfe<br />

gehören in die gleiche senatorische Verantwortung<br />

Ein Umdenken ist notwendig: Bildung fängt im Kindergarten an. KTHs<br />

benötigen daher zwei pädagogisch ausgebildete Fachkräfte je Gruppe.<br />

Nur durch eine bessere Zusammenarbeit und ein aufeinander<br />

abgestimmtes Bildungsverständnis und abgestimmte Bildungsziele sind<br />

flüssige Übergänge zu erzielen.<br />

8. Ausbau der Ganztagsschulen für alle Schularten<br />

Es müssen verbindliche Qualitätsstandards für Ganztagsschulen<br />

festgelegt werden. Bestehende Ganztagsschulen müssen entsprechend<br />

angepasst werden. Neue Schulen dürfen nur aufgrund dieser Standards<br />

eingerichtet werden.<br />

Ganztagsschulen müssen so gestaltet werden, dass sie für die Kinder<br />

und Eltern attraktiv sind und dadurch mehr Akzeptanz finden.<br />

9. Projektorientierter und fächerübergreifender Unterricht –<br />

SchülerInnen unterrichten statt Fächer!<br />

Verschiedene Fähigkeiten zur Aufgabenlösung binden SchülerInnen mit<br />

unterschiedlichen Kompetenzen ein. So ergeben sich Erfolgserlebnisse<br />

außerhalb der üblichen Bewertungsraster. Eine generelle<br />

Umsetzung dieser verbindlichen Unterrichtsformen ist deshalb<br />

notwendig.


Zentralelternbeirat <strong>Bremen</strong> 10 Punkte-Programm zur Bildungspolitik in <strong>Bremen</strong><br />

Vernetzen von Inhalten aus verschiedenen Fächern erleichtert das<br />

Lernen und fördert die Nachhaltigkeit der Lerninhalte.<br />

Sozialkompetenzen der SchülerInnen müssen gefördert werden.<br />

10. Elternkompetenz in die Schule einbinden<br />

Fortbildungsveranstaltungen für Eltern zur Unterstützung der<br />

Gremienarbeit an Schulen, in Erziehungsfragen und für eine<br />

konstruktive Mitarbeit an den Schulen.<br />

Elternkompetenzen stärken und für die Schule additiv nutzen.<br />

19


Wolfram Blum, Thomas Busker, Gabriele Gruße, Petra Kettler Erwartungen an den Schulentwicklungsplan<br />

Erwartungen an den Schulentwicklungsplan<br />

Der Gesamtelternbeirat Sonderpädagogik/Förderzentren erwartet eine<br />

konsequente Umsetzung einer integrativen/inklusiven Beschulung, um<br />

Chancengleichheit und die damit einhergehende, so dringend nötige<br />

entscheidende Qualitätsverbesserung, Umgang mit Heterogenität,<br />

Lernkultur für das gesamte Bremer Schulwesen erreichen zu können.<br />

Nach dem Vorbild des Förderzentrums Burgdamm müssen die<br />

Förderzentren LSV (Lernen, Sprache, Verhalten) auf eine gemeinsame<br />

Beschulung von Klasse 1 bis 10 umgestellt werden. Für die integrative<br />

Förderung müssen dringend einheitliche Standards entwickelt werden. Ein<br />

Beispiel: Im Leitfaden für die externe Evaluation Bremer Schulen vom<br />

Institut für Schulentwicklung Dr. Otto Seydel gilt als Kriterium: Was<br />

unternimmt diese Schule konkret, um eine Sonderfördermaßnahme, in der<br />

ein Kind aus seiner normalen Gruppe herausgenommen wird, auf das<br />

unverzichtbare Minimum zu reduzieren und stattdessen den fördernden<br />

Ansatz zum festen Bestandteil des Normalunterrichts zu machen?<br />

<strong>Die</strong> Quote für sonderpädagogische Förderung von 5,7% ist seit 18 Jahren<br />

nicht überprüft worden, sie wird von Fachleuten als viel zu niedrig<br />

eingeschätzt. <strong>Die</strong> eingesetzte Förderung hat sich ausnahmslos an dem<br />

vorhandenen Bedarf zu orientieren.<br />

Formulierte Mittelvorbehalte für den Bereich der Sonderpädagogik sowohl<br />

im Schulgesetz als auch im Entwurf zur Sonderpädagogikverordnung stellen<br />

eine klare Diskriminierung für Kinder und Jugendliche mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf dar und müssen zurückgenommen<br />

werden.<br />

Freie Schulwahl muss es auch für Kinder mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf geben. Eltern können für ihre Kinder eine Grundschule im<br />

Ganztagsbetrieb wählen. Ab Klasse 5 gibt es freie Schulwahl auch gegen die<br />

Empfehlung der Grundschule. Anders sieht es aus, sobald<br />

sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird. Haben früher noch die<br />

SchulleiterInnen der beteiligten Schulen den Förderort bestimmt, wurde die<br />

Entscheidung durch Verfügung 10/2006 an die Fachaufsicht verlegt, die<br />

nach Aktenlage entscheidet. Wir halten beide Verfahren für unzulässig. Es<br />

kommt einer Entmündigung der Eltern gleich und ist nicht mit dem<br />

Behindertengleichstellungsgesetz vereinbar.<br />

20<br />

Aus der Vergangenheit: Erst nach massiven Protesten wurde die<br />

verlässliche Grundschule für die Förderzentren Wahrnehmung und<br />

Entwicklung eingeführt. In Spezialsonderschulen (für Sehbehinderte und<br />

Blinde sowie Hörgeschädigte) ist auch heute noch keine verlässliche<br />

Grundschule eingeführt. Bei der Einrichtung von Ganztagsschulen wurden<br />

die kooperierenden Standorte der FÖZ W+E nicht einbezogen. <strong>Die</strong> Reihe<br />

der Beispiele, mit denen gegen Art. 2 der Landesverfassung und §<br />

4,5,9,22,35 des Bremischen Schulgesetzes verstoßen wurde, ließe sich<br />

weiter fortsetzen. <strong>Die</strong>se Beispiele haben das Vertrauen von Eltern zur Politik<br />

und Behörde nachhaltig geschädigt.


Hardmuth Groß Anforderungen an die Verbesserung der Kooperation von Schule und Erziehungshilfen<br />

Anforderungen an die<br />

Verbesserung der<br />

Kooperation von Schule und<br />

Erziehungshilfen<br />

Der Arbeitsbereich Erziehungshilfen ist als<br />

Bereich der Jugendhilfe, der sich um die<br />

Kinder und Jugendlichen kümmert,<br />

deren Weg zur eigenverantwortlichen und<br />

gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit nicht<br />

geradlinig verläuft,<br />

deren Eltern bei der Wahrnehmung des Erziehungsauftrages<br />

Unterstützung benötigen,<br />

die in der Schule in der Regel nicht zu den Leistungsträgern zählen,<br />

auf eine zuverlässige Kooperation mit den Schulen angewiesen.<br />

Es gibt zurzeit kein System der Zusammenarbeit zwischen den Bereichen<br />

Bildung und Erziehungshilfen, das so beschrieben ist, dass die<br />

MitarbeiterInnen von guten Verfahrensvereinbarungen in der<br />

Zusammenarbeit geleitet werden und die Reibungsverluste minimal sind.<br />

Das dies so ist, liegt in der Regel nicht an den Akteuren vor Ort, sondern<br />

daran, dass die gemeinsame Verantwortung der beiden Ressorts nicht<br />

erkennbar ist. Beide Ressorts halten jeweils ein Hilfesystem vor. <strong>Die</strong>se<br />

beiden Hilfesysteme sind nicht aufeinander abgestimmt. <strong>Die</strong> gesetzlichen<br />

Grundlagen sind oft nicht bekannt, die daraus ableitbaren Arbeitsaufträge<br />

werden nicht akzeptiert, die fachlichen Grundlagen der Arbeit werden nicht<br />

anerkannt.<br />

Aktuelle Zwischenergebnisse (ca. 20% bis 25% eines<br />

SchülerInnenjahrgangs gelten als nicht ausbildungsfähig; der Schulerfolg<br />

hängt wesentlich vom sozialen Status der Eltern ab; Kinder mit<br />

schwierigem Verhalten – oft bedingt durch psychische Beeinträchtigungen –<br />

werden verstärkt sowohl in der Schule als auch in der Jugendhilfe<br />

ausgegrenzt) sollten bei allen Beteiligten zur Erkenntnis führen, dass kein<br />

System allein die notwendigen Ressourcen für Lösungen vorhält. <strong>Die</strong> häufig<br />

zu beobachtende Konkurrenz zwischen MitarbeiterInnen der Systeme ist<br />

kontraproduktiv.<br />

21<br />

Was wir verbessern müssen:<br />

Wenn wir über die gemeinsame Erziehung und Bildung von Kindern<br />

sprechen, müssen wir alle Kinder einbeziehen, auch die Regelverletzer<br />

und psychisch beeinträchtigten Kinder, die uns besonders<br />

herausfordern. Wir brauchen gemeinsame Konzepte vom Lernen und<br />

von der kindlichen Entwicklung, die für alle Kinder gelten.<br />

Lösungen müssen im Regelsystem gefunden werden. Wir haben kein<br />

Recht, Kinder auszugrenzen. Kinder brauchen keine Kinder als Partner,<br />

die dieselben Probleme/Schwierigkeiten haben wie sie selbst; sie<br />

brauchen Kinder als Partner und Modelle, von denen und mit denen sie<br />

lernen können.<br />

LehrerInnen und MitarbeiterInnen der Jugendhilfe müssen<br />

partnerschaftlich zusammen arbeiten. Es müssen die Strukturen<br />

geschaffen werden, in denen eine Zusammenarbeit möglich ist. Auch<br />

wenn langfristig flächendeckend Ganztagsschulen eingeführt werden,<br />

sind dadurch allein die Schwierigkeiten der Kinder und Familien nicht<br />

gelöst. Wir verfügen in den Erziehungshilfeeinrichtungen über eine<br />

Professionalität, auf die aktuell nicht verzichtet werden kann. <strong>Die</strong><br />

besonderen Förderungsmöglichkeiten, die im Bereich der<br />

Erziehungshilfen entwickelt worden sind, müssen mit den<br />

sonderpädagogischen Förderungsmöglichkeiten der Förderzentren<br />

zusammengeführt werden.<br />

<strong>Die</strong> gesetzlichen Grundlagen der jeweiligen Arbeitsbereiche müssen<br />

bekannt gemacht und akzeptiert werden. <strong>Die</strong> Parteilichkeit der<br />

MitarbeiterInnen der Erziehungshilfen für die Kinder und Eltern ist<br />

gesetzlich geregelt und hat solange Bestand, wie die Eltern an der<br />

Sicherstellung des Kindeswohls mitarbeiten. <strong>Die</strong> Parteilichkeit ist nicht<br />

gegen die Schule/das Lehrpersonal gerichtet.<br />

<strong>Die</strong> Jugendhilfe ist kein Reparaturbetrieb. Lösungen müssen wir<br />

gemeinsam erarbeiten.<br />

Sozialpädagogische Fachkräfte sind keine Spielpartner der Kinder oder<br />

Betreuungspersonal, sondern qualifiziertes Fachpersonal, das im<br />

Rahmen bestehender Arbeitsaufträge qualifiziert arbeitet. Wenn dann<br />

doch mal mit den Kindern gespielt wird, ist das auch gut so.


Hardmuth Groß Anforderungen an die Verbesserung der Kooperation von Schule und Erziehungshilfen<br />

Wir müssen uns besonders um die durch Gewalterfahrungen<br />

traumatisierten und die sehr stark verhaltensauffälligen Kinder<br />

kümmern. <strong>Bremen</strong> als eine der Hochburgen der Retalinvergabe in<br />

Deutschland sollte die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen<br />

Bildung, Jugendhilfe und Gesundheit anders gestalten.<br />

Wir müssen in den Schulen eine Atmosphäre schaffen, in der das<br />

Anfordern von Unterstützung für einzelne Kinder als professionell<br />

anerkannt wird und nicht als Störung im System.<br />

22


Hajo Kuckero Schulentwicklung – was ist notwendig aus Sicht des Personalrats Schulen?<br />

Schulentwicklung – was ist<br />

notwendig aus Sicht des<br />

Personalrats Schulen?<br />

Primäre Aufgabe des Personalrats Schulen ist<br />

nicht die Bildungspolitik, sondern die Vertretung<br />

der Interessen aller an Schulen Beschäftigten.<br />

Das heißt allerdings, sich auch für eine<br />

Bildungspolitik einzusetzen, die die Interessen der<br />

Beschäftigten berücksichtigt.<br />

Positiv für die Beschäftigten ist eine Bildungspolitik, die<br />

allgemein gesagt: gute Bildungsergebnisse ermöglicht und allen<br />

Kindern und Jugendlichen gleiche Chancen für einen guten<br />

Bildungsabschluss ermöglicht,<br />

konkret gesagt: Benachteiligungen und Ausgrenzungen von<br />

SchülerInnen insbesondere aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder eines<br />

Migrationhintergrundes durch pädagogische und schulstrukturelle<br />

Maßnahmen abbaut und verhindert und<br />

darüber hinaus die in den letzten Jahren zunehmend belastenderen<br />

Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte, pädagogische MitarbeiterInnen,<br />

Verwaltungskräfte, Reinigungspersonal und HausmeisterInnen wieder<br />

verbessert.<br />

Daraus folgt, dass schulische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die<br />

die Lernentwicklung und Ermutigung der Kinder und Jugendlichen (statt<br />

Zensierung und Beschämung) noch mehr in den Mittelpunkt stellen.<br />

eine frühe Sortierung der SchülerInnen nach vorgeblichen<br />

„Leistungskriterien“ verhindern und allen über einen langen Zeitraum<br />

gemeinsam gleiche Entwicklungschancen geben.<br />

eine gemeinsame gleichmäßige Entwicklung aller Kinder und<br />

Jugendlichen über eine möglichst lange Zeit des Tages ermöglichen.<br />

viele differenzierte Fördermöglichkeiten und Projekte für die<br />

unterschiedlichen sozialen und individuellen Voraussetzungen,<br />

Begabungen und Interessen aller SchülerInnen schaffen.<br />

23<br />

die positive Weiterentwicklung pädagogischer Arbeit durch die<br />

Entbürokratisierung von Schule, Stärkung pädagogischer<br />

Eigenverantwortlichkeit und Reduzierung behördlicher Vorgaben sowie<br />

Entlastung der Beschäftigten ermöglichen.<br />

die Verbesserung der Lern- und Lehrbedingungen für Kinder,<br />

Jugendliche und PädagogInnen (z.B. kleinere Klassen/Lerngruppen,<br />

mehr Kooperations- und Vorbereitungszeit für pädagogische<br />

MitarbeiterInnen, Rücknahme der erhöhten Unterrichtsverpflichtungen<br />

für Lehrkräfte) in Gang setzen.<br />

die Schule stärker zum Lebensraum für Kinder und Jugendliche im<br />

Stadtteil machen und ihnen viele zusätzliche Angebote u.a. durch<br />

SozialpädagogInnen, PsychologInnen, Freizeit-, Beratungs- und<br />

Unterstützungseinrichtungen bieten.<br />

<strong>Die</strong>s sind Kriterien, die für den Personalrat Schulen für die zukünftige<br />

Entwicklung der Schulen in <strong>Bremen</strong> wichtig sind. Entsprechend wird der<br />

Personalrat Schulen den Fachausschuss für Schulentwicklung bei seiner<br />

Arbeit im Sinne einer besseren Schule für Kinder, Gesellschaft und<br />

Beschäftigte unterstützen.


GesamtschülerInnenvertretung Schule in <strong>Bremen</strong> – GSV fordert eine grundlegende Veränderung<br />

Schule in <strong>Bremen</strong> –<br />

GesamtschülerInnenvertretung<br />

fordert eine grundlegende<br />

Veränderung<br />

<strong>Die</strong> Schule ist eine Institution, die alle jungen<br />

Menschen durchlaufen. Eigentlich sollte sie<br />

deswegen ein Ort sein, an dem sich alle wohl<br />

fühlen, jedoch ist es oft genau das Gegenteil.<br />

Einige fragen sich bestimmt, wieso das so ist. Geben wir einen kurzen<br />

Überblick, wie es in der Schule aussieht.<br />

Jede/r weiß, dass SchülerInnen viel besser lernen, wenn sie sich ihr Wissen<br />

selber erarbeiten. <strong>Die</strong>s geschieht in <strong>Bremen</strong> jedoch relativ selten, denn<br />

immer noch ist der Frontalunterricht die am häufigsten ausgeübte<br />

Unterrichtmethode. Frontalunterricht bedeutet, dass Themen nicht<br />

gemeinsam erarbeitet werden, sondern die LehrerInnen diese vorgeben und<br />

die SchülerInnen „konsumieren“. Außerdem müssen alle gleich schnell<br />

lernen und es wird nicht individuell auf einzelne SchülerInnen eingegangen.<br />

Meistens ist es auch gar nicht anders möglich, denn z.B. Gruppenarbeiten<br />

brauchen eine gute, intensive Betreuung, was eine einzelne Lehrkraft bei 33<br />

SchülerInnen nicht durchgehend leisten kann.<br />

SchülerInnen, die sich von diesem Unterricht nicht angesprochen fühlen,<br />

sind oft laut. Deshalb braucht es Disziplinierungsmittel. In der Schule sind<br />

Noten das zentrale Disziplinierungsmittel. <strong>Die</strong>se sagen nichts über das<br />

wirkliche „Können“ oder den Intellekt aus, da Noten niemals individuell,<br />

sondern verallgemeinernd sind. Sie schüren Konkurrenzdenken und hängen<br />

von vielen Faktoren ab (Lerntempo, Interesse, Nachhilfe, sozialer<br />

Hintergrund, etc.) Wer schlechte Noten hat, bleibt sitzen und das ist für die<br />

meisten SchülerInnen ein schrecklicher Gedanke. Noten bewirken ebenfalls,<br />

dass Schulstoff reproduziert werden muss, selten bleiben Informationen<br />

nach den Arbeiten im Gedächtnis. Des Weiteren haben sozialer Stand und<br />

Herkunft Einfluss auf die Noten. Beispielsweise bei Hausaufgaben ist die<br />

Betreuung durch die Eltern nicht immer gewährleistet, was zu<br />

verschiedener Lernentwicklung führt. Oft wird gesagt, dass in der Schule<br />

fürs Leben gelernt wird. Das stimmt auch. SchülerInnen wird z.B.<br />

beigebracht, Autoritäten anzuerkennen. SchülerInnen, die sich gegen ihre<br />

24<br />

LehrerInnen auflehnen, müssen manchmal damit rechnen, schlechte Noten<br />

zu bekommen. Wer im Unterricht redet, muss Extra-Aufgaben machen.<br />

All diese Faktoren laufen auf ein Ziel hinaus – die Selektion. <strong>Die</strong> Schule<br />

sortiert für den Arbeitsmarkt vor und das ab der Grundschule. Am Ende<br />

sollen möglichst produktive Menschen herauskommen, die gut verwertbar<br />

sind, egal ob FließbandarbeiterIn oder ManagerIn. <strong>Die</strong>s kann aber nicht das<br />

Ziel sein, denn eine Schule sollte für die Menschen und nicht für den<br />

Arbeitsmarkt fungieren.<br />

Um eine Schule zu schaffen, in die die SchülerInnen gerne gehen, wäre die<br />

Ganztagsschule und Gesamtschule ein Schritt in die richtige Richtung.<br />

Allerdings nicht so, wie sie momentan auf einigen Schulen eingeführt<br />

wird/wurde. Dort gibt es weiterhin Frontalunterricht und Hausaufgaben.<br />

Zusätzlich müssen die SchülerInnen länger in der Schule bleiben. So ist die<br />

Ganztagsschule nur eine weitere Belastung für SchülerInnen. Sie ist nur<br />

sinnvoll, wenn nicht selektiert wird, es wirklich keine Hausaufgaben mehr<br />

gibt und soviel wie möglich in der Schule gelernt werden kann.<br />

Projektunterricht und Selbstbestimmung sollten Basis des Lernens sein. <strong>Die</strong><br />

Schule sollte die Entwicklung von SchülerInnen zu selbstständigen<br />

Menschen, deren Bildung und Zukunft nicht vom sozialen Stand oder deren<br />

Herkunft abhängt, gewährleisten.<br />

Ganztags- und Gesamtschule dürfen nicht heißen, dass SchülerInnen länger<br />

in der Schule bleiben müssen und keine Freizeit mehr haben, sondern dass<br />

die Schule ein angenehmer Ort zum Lernen wird. Ebenfalls sollte die Schule<br />

mit vielfältigen Freizeitangeboten und längeren Pausen aufgelockert<br />

werden. Schule darf nicht mehr der stressige Ort voller Frust über schlechte<br />

Noten, strenge LehrerInnen, Mobbing und durchweg Pauken sein.<br />

<strong>Die</strong> GesamtschülerInnenvertretung <strong>Bremen</strong> fordert eine Schule, die eine<br />

hochwertige, am Menschen ausgerichtete Bildung garantiert.


Dr. Tobias Erzmannn Zum Stellenwert der Neugestaltung von Übergängen<br />

Zum Stellenwert der<br />

Neugestaltung von<br />

Übergängen:<br />

Kindergarten – Grundschule –<br />

Sekundarstufe<br />

<strong>Die</strong> Übergänge von den vorschulischen<br />

Einrichtungen in die Grundschulen wie von den<br />

Grundschulen in die Schulen der Sekundarstufe<br />

I sind entscheidend in der Biografie von Kindern<br />

und Jugendlichen. Durch eine gelingende<br />

Verzahnung der Arbeit dieser Einrichtungen<br />

kann die Förderung der Kinder gezielt<br />

fortgesetzt werden. Bereits gewonnene Kenntnisse über das jeweilige Kind<br />

(Stärken und Schwächen, Lernwege, soziale Kompetenzen, familiärer<br />

Hintergrund, etc.) können weitergegeben und berücksichtigt werden.<br />

Eine flexiblere Gestaltung der Übergänge kann für die Kinder eine Brücke<br />

sein, setzt aber voraus, dass das vorhandene Wissen über das Kind an die<br />

aufnehmende Schule weitergegeben wird. Auch die Formen des Übergangs<br />

sind hier von Bedeutung: So wichtig wie die Vorbereitung der Kinder im<br />

Kindergarten auf die Schule ist, so wichtig ist es, dass ein angemessener<br />

Start in der Schule gelingt. <strong>Die</strong> Voraussetzungen der Kinder sind dabei sehr<br />

unterschiedlich. Es ist wichtig, dass jedes Kind entsprechend seiner<br />

individuellen Möglichkeiten lernen kann. Sinnvoll ist eine Flexibilisierung des<br />

Schulanfangs auch im Sinne einer flexiblen und jahrgangsgemischten<br />

Schuleingangsphase.<br />

Wenn es gelingt, die in der abgebenden Einrichtung begonnene Arbeit in<br />

der aufnehmenden fortzuführen, die gewonnenen Erkenntnisse bei den<br />

jeweiligen Kindern an die nun zuständige Schule zu übermitteln und einen<br />

möglichst fließenden Übergang im Sinne weitgehend gemeinsamer bzw.<br />

abgestimmter Curricula zu gewährleisten, können frühzeitig bestehende<br />

Bedarfe erkannt und gezielt individuelle Unterstützung angeboten werden.<br />

<strong>Die</strong>s bedeutet, dass die jeweiligen Einrichtungen eines Stadtteils eng<br />

zusammenarbeiten und aufeinander abgestimmte Strukturen und<br />

Arbeitsmethoden entwickeln und praktizieren. Gleichermaßen setzt dies<br />

voraus, dass die Politik die Rahmenbedingungen dafür schafft, damit<br />

25<br />

Kooperationen und eine engere Zusammenarbeit zwischen den<br />

Einrichtungen möglich werden.<br />

Für die Flexibilisierung der Übergänge bedarf es einer engen Verzahnung<br />

der Ressorts Bildung und Soziales (oder der Zuständigkeit lediglich eines<br />

Ressorts für Kindergärten und Schule), aber auch einer Individualisierung in<br />

den Anforderungen an die Kinder und Jugendlichen entsprechend der<br />

mitgebrachten Voraussetzungen (Hochbegabung, Migrationshintergrund,<br />

Behinderung, Voraussetzung im Stadtteil, etc.).<br />

Versuche einer engeren Verzahnung etwa von Kindergarten und<br />

Grundschule hat es in <strong>Bremen</strong> bereits gegeben. So wurde 2003 das Projekt<br />

„Frühes Lernen – Kindergarten und Grundschule kooperieren“ als eines von<br />

mehreren sogenannten PISA-Projekten eingerichtet. Ziel war es, die<br />

Bildungsangebote abzustimmen, die Elternarbeit gemeinsam zu verstärken<br />

und eine adäquate Kooperationsstruktur aufzubauen. Das Projekt lief bis<br />

2005 und wurde von der Universität <strong>Bremen</strong> wissenschaftlich begleitet. <strong>Die</strong><br />

hier gewonnenen Erkenntnisse sind jedoch bisher nicht in die Breite<br />

getragen worden und sollten bei der Frage der Weiterentwicklung der<br />

Bremischen Schullandschaft eine wichtige Rolle spielen.<br />

Folgende Probleme zeichnen sich zurzeit ab:<br />

<strong>Die</strong> Ressorts Bildung und Soziales arbeiten bisher nicht eng genug<br />

zusammen, um die Übergänge fließender zu gestalten.<br />

<strong>Die</strong> Kenntnisse der konkreten Arbeit in den aufnehmenden oder<br />

abgebenden Einrichtungen sind häufig gering. Verstärkt wird dies durch<br />

unterschiedliche Ausbildungsvoraussetzungen der MitarbeiterInnen<br />

(ErzieherInnen, SozialpädagogInnen, GrundschullehrerInnen,<br />

LehrerInnen der Sekundarstufe, etc.) und der häufig sehr<br />

unterschiedlichen Wahrnehmung des jeweiligen Arbeitsauftrages in den<br />

Einrichtungen. Ein zentrales Hemmnis für eine enge Zusammenarbeit<br />

sind hier auch die mit den verschiedenen Berufsbildern und definierten<br />

Arbeitsaufträgen verbundenen Vorbehalte gegen die jeweils anderen,<br />

besonders im Kooperationsfeld zwischen Kindergarten und Grundschule.<br />

Es gibt in der Regel keine inhaltlichen Absprachen oder abgestimmte<br />

regionale Curricula für das Bildungsangebot zwischen Kindergarten und<br />

Grundschule bzw. Grundschule und Sekundarstufe.<br />

Der Fächerunterricht und die damit verbundene Zuständigkeit<br />

verschiedener Lehrpersonen mit geringem Zeitkontingent in den<br />

Schulen der Sekundarstufe I erschwert die gemeinsame Betrachtung,


Dr. Tobias Erzmannn Zum Stellenwert der Neugestaltung von Übergängen<br />

die Abstimmung der individuellen Lehrziele und die gezielte Förderung<br />

beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I.<br />

Es gibt in der Regel keine abgestimmte Elternarbeit. <strong>Die</strong>s ist<br />

insbesondere für Kinder wichtig, die ein hohes Maß an Unterstützung<br />

durch die Einrichtung benötigen.<br />

Eine Zusammenarbeit der Einrichtungen wird dadurch erschwert, dass<br />

Kindergärten und Schulen unterschiedliche Einzugsbereiche haben und<br />

dies wiederum einen hohen Aufwand bei den Kooperationsbemühungen<br />

zur Folge hat.<br />

Folgende Aspekte sind für die Flexibilisierung der Übergänge von<br />

Bedeutung:<br />

Sinnvoll ist eine strukturierte Flexibilisierung der Schuleingangsphase<br />

(Jahrgangsmischung, Möglichkeit eines Schulwechsels mehrfach im<br />

Schuljahr, etc.)<br />

Es bedarf eines Aufbaus von tragfähigen Arbeits- und<br />

Kooperationsstrukturen in Kooperationsverbünden zwischen<br />

Kindergarten und Grundschule bzw. Grundschule und weiterführender<br />

Schule.<br />

Kindergärten und Grundschule bzw. Grundschule und Schule der<br />

Sekundarstufe I sollten sich eng über die inhaltlichen und<br />

pädagogischen Ziele in ihrer Arbeit im Sinne von übergreifenden<br />

Bildungsplänen abstimmen.<br />

<strong>Die</strong> Ganztagsschule bietet die Chance, mit mehr Zeit und flexibleren<br />

Unterrichtsformen durch Rhythmisierung über den ganzen Tag, aber<br />

auch durch ihren Personalmix (ErzieherInnen,<br />

BehindertenpädagogInnen, etc.) eine Flexibilisierung in den<br />

Übergängen zu erleichtern.<br />

Bestehende Kontakte zu den Eltern sollten auch in der aufnehmenden<br />

Schule weiter gepflegt werden, so dass diese nicht abrupt abbrechen.<br />

Es bedarf gemeinsamer Fortbildungen der verschiedenen Professionen<br />

zu Fragen kindlicher Entwicklung, Methoden der Lernbegleitung,<br />

Erstellung von Portfolios, aber auch um das Bewusstsein der<br />

gemeinsamen Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen zu<br />

stärken. Es ist notwendig, diesen Arbeitsschwerpunkt entsprechend bei<br />

den Personalplanungen und der Verteilung der zur Verfügung stehenden<br />

Mittel zu berücksichtigen.<br />

Es bedarf der Ausarbeitung differenzierten Unterrichtsmaterials für<br />

mehrere Entwicklungsniveaus der Kinder in Bezug auf Inhalte,<br />

Materialien und Methoden.<br />

26<br />

Portfolios dokumentieren die Entwicklung der einzelnen Kinder und<br />

bieten ein sinnvolles Instrument für den Informationsfluss zwischen den<br />

Einrichtungen.


Sabine Heinbockel, Stefan Siefert Schulentwicklung braucht Unterstützung<br />

Schulentwicklung braucht<br />

Unterstützung<br />

<strong>Die</strong> Serviceagentur „Ganztägig lernen“ ist ein<br />

Kooperationsprojekt des Landes <strong>Bremen</strong>, der<br />

Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und<br />

des Bundesministeriums für Bildung und<br />

Forschung. Seit 2004 beraten und begleiten<br />

wir in <strong>Bremen</strong> Schulen auf dem Weg zur<br />

Ganztagsschule. <strong>Die</strong> Veränderungsprozesse,<br />

die diese Schulen durchlaufen, umfassen das<br />

gesamte System der Einzelschule.<br />

Als Schulentwicklungsprozess hat das<br />

wiederum Auswirkungen auf das<br />

Gesamtsystem der Schulen im Land.<br />

Ganztagsschule ist eine wichtige Schulart, im<br />

Kern geht es jedoch um die Entwicklung<br />

„guter Schule“ unabhängig von ihrer<br />

Organisationsform.<br />

Bei der Ganztagsschulentwicklung sind vier<br />

Kernbereiche signifikant:<br />

die Unterrichtsentwicklung: Ziel ist eine<br />

neue Lernkultur in heterogenen Gruppen<br />

mit individualisiertem Lernen.<br />

die Personalentwicklung: Neue<br />

Berufsgruppen in der Schule – wie<br />

ErzieherInnen und SozialpädagogInnen – ermöglichen Teamarbeit in<br />

multidisziplinären Teams, in denen alle voneinander lernen und ihr<br />

jeweiliges Rollenverständnis erweitern und anreichern können.<br />

die Organisationsentwicklung: Eine veränderte Zeitgestaltung durch<br />

Rhythmisierung des Tages, die Öffnung der Schule in den Stadtteil bis<br />

zur Teamarbeit in neuen Arbeitszeitmodellen für LehrerInnen.<br />

<strong>Die</strong> Lehr- und Lernkultur: Über Raumgestaltung, Essensversorgung,<br />

integrierte Freizeitangebote und Beteiligung als Prinzip wird Schule zum<br />

Lebens- und Lernort.<br />

27<br />

Um solche komplexen Prozesse möglich zu machen, sind alle Beteiligten am<br />

System Schule gefordert, ihre erworbenen Routinen und Kenntnisse zu<br />

überprüfen:<br />

Schulleitungen werden mit neuen Aufgaben z.B. im Bereich von<br />

Management, Personalführung, Vernetzung mit der Jugendhilfe und<br />

Moderation von Teams konfrontiert.<br />

LehrerInnen setzen sich mit einer veränderten Rolle auseinander.<br />

Teamstrukturen entstehen, wo früher oft vereinzelt gearbeitet wurde,<br />

offene Unterrichtsformen wie Lernen in Projekten statt in Fächern,<br />

Teamteaching, selbstständiges Lernen, etc. ersetzen den klassischen<br />

Unterricht und nicht zuletzt nehmen besonders in der Ganztagsschule<br />

die erzieherischen Aufgaben einen immer breiter werdenden Raum ein.<br />

ErzieherInnen und SozialpädagogInnen mit einem anderen<br />

pädagogischen Blick treffen auf ein neues, anders organisiertes<br />

Arbeitsfeld, in das sie sich und ihre Expertise integrieren.<br />

Eltern beteiligen sich über die Gremien hinaus z.B. als kompetente<br />

GestalterInnen von Arbeitsgemeinschaften für SchülerInnen.<br />

SchülerInnen erleben ihre Schule nun als Lebensort, den sie<br />

mitgestalten wollen.<br />

Schulverwaltung und Politik treffen auf Schulen, die z.B. veränderte<br />

Fortbildungs- und Unterstützungsbedarfe formulieren, erheblich<br />

erweiterte Aufgaben übernehmen und zunehmend mehr<br />

Eigenständigkeit fordern.<br />

<strong>Die</strong>se tiefgreifenden Wandlungen müssen entsprechend begleitet und<br />

moderiert werden. Eine neue schulische Kultur kann nicht verordnet<br />

werden, sondern wächst im Spannungsfeld der verschiedenen<br />

Anspruchsgruppen, sie braucht Prozessorientierung, Fehlertoleranz und<br />

Planungssicherheit. Ohne diese und ohne kompetente Begleitung und<br />

Qualifizierung der Beteiligten bleibt eine Schulentwicklung Stückwerk und<br />

Dauerbaustelle ohne Mehrwert für die Kinder und Jugendlichen.<br />

Professionell gestaltete Schulentwicklung erfordert auch Ressourcen: Zeit,<br />

Geld, Personal, systematische Unterstützung und sinnvolle Vernetzung der<br />

Unterstützungssysteme und der Schulen selbst.


Dr. Zahra Mohammadzadeh Bildung ist ein wesentlicher Faktor der Integration<br />

Bildung ist ein wesentlicher<br />

Faktor der Integration<br />

Deutschland vergeudet das Potenzial von<br />

Kindern mit Migrationhintergrund. Bei der<br />

Integration der bereits hier geborenen Kinder<br />

aus Migrantenfamilien versagt unser<br />

Schulsystem total. <strong>Die</strong> Konsequenz: Für die<br />

Mehrheit der MigrantInnen gibt es in<br />

Deutschland kaum Aufstiegschancen. Hier<br />

muss etwas getan werden, denn weder aus<br />

sozialen noch aus wirtschaftlichen Gründen<br />

können wir es uns leisten, knapp die Hälfte<br />

der SchülerInnen mit Migrationhintergrund<br />

mit Grundschulniveau aus dem Bildungssystem zu entlassen!<br />

Dabei ist die Einwanderungsgesellschaft längst Realität. Sie bietet starke<br />

Potenziale, die so bislang aber nicht genutzt werden. 2006 kamen 9,8<br />

Prozent aller SchülerInnen aus Migrantenfamilien. In <strong>Bremen</strong> haben<br />

mittlerweile 50 Prozent der GrundschülerInnen einen Migrationshintergrund.<br />

Regelmäßig verlassen fast zwei Drittel die Schule lediglich mit<br />

Hauptschulabschluss oder gar ohne Abschluss – gegenüber rund 30 Prozent<br />

bei den Kindern aus einheimischen Familien. PISA 2006 macht deutlich,<br />

dass Bildung in Deutschland nicht allen Kindern gleichermaßen offen steht,<br />

wie es das Grundgesetz eigentlich verlangt. In keinem anderen Land ist der<br />

Unterschied zwischen Kindern mit und ohne Migrationhintergrund so groß!<br />

Dabei ist Bildung ein wesentlicher Faktor der Integration.<br />

Alle Befunde unterstreichen die Bedeutung der sozialen Herkunft und der<br />

Sprachkompetenz für den Schulerfolg. Erschreckend ist auch das relativ<br />

geringe Leistungsniveau der bereits hier geborenen Migrantenkinder. Für<br />

die Integration und Förderung dieser Migrantengruppe muss mehr getan<br />

werden. <strong>Die</strong>se Jugendlichen kommen überwiegend aus Familien, deren<br />

Einkommen deutlich unter dem Durchschnitt liegt und in denen Deutsch zu<br />

Hause unterdurchschnittlich häufig gesprochen wird. Einkommensverteilung<br />

und Wohnsituation spielen eine bedeutende Rolle. Kinder, die in einem<br />

besser situierten Stadtteil <strong>Bremen</strong>s aufwachsen, haben eine teils viermal<br />

größere Chance, auf eine weiterführende Schule zu gelangen, als Kinder<br />

aus benachteiligten Quartieren. Negative Auswirkungen des Wohnumfeldes<br />

28<br />

wirken daher zusätzlich benachteiligend. In <strong>Bremen</strong> sind fast ein Drittel der<br />

Kinder unter 15 Jahren Teil einer „Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft“; in<br />

Bremerhaven sind es sogar mehr als 40 Prozent. In Stadtteilen, wo der<br />

MigrantInnenanteil hoch ist – wie Neue Vahr Nord, Gröpelingen, Kattenturm<br />

oder Tenever – ist jedes zweite Kind von Armut betroffen. <strong>Die</strong><br />

Lebensumstände der Kinder wirken sich direkt auf die Schullaufbahn aus.<br />

So betrug 2005 der Anteil der Sekundarstufe-II-SchülerInnen in <strong>Bremen</strong>-<br />

Borgfeld 58,5 Prozent, im Ortsteil Tenever nur knapp 17 Prozent.<br />

<strong>Die</strong>se Fakten verlangen konsequentes Handeln. Unser gegliedertes<br />

Schulsystem muss dringend verändert werden. Wir brauchen durchgängig<br />

Schulen, in denen alle bis zum 9. oder 10. Schuljahr gemeinsam mit- und<br />

voneinander lernen. Sekundarschulen, in denen Migrantenkinder nur noch<br />

benachteiligte Restschüler sind, können keine guten<br />

Unterrichtsbedingungen für individuelle Förderung bieten. Wir sollten<br />

endlich auf den Sachverstand der internationalen Bildungsforschung hören,<br />

die auch in der neuen PISA-Studie wieder eindeutig zu dem Schluss kommt,<br />

dass das mehrgliedrige Schulsystem nicht mehr zeitgemäß und daher<br />

ungeeignet ist – nicht nur für die Förderung von Migrantenkindern!<br />

<strong>Die</strong> frühe sprachliche Förderung der Kinder ist eine Schlüsselaufgabe der<br />

Integrationspolitik. Spracherwerb weist den Weg für eine erfolgreiche<br />

Integration, sie ist eine elementare Voraussetzung für Bildung, Ausbildung<br />

und Integration in den Arbeitsmarkt. Schon im Kindergarten muss die<br />

Sprachförderung beginnen. Sie darf aber dort nicht enden, sondern muss<br />

über die Grundschulebene hinaus konsequent weitergeführt werden.<br />

Deutsche Sprachförderung heißt aber nicht, dass die Muttersprache<br />

unterdrückt werden darf. <strong>Die</strong> Muttersprache ist das Fundament, auf dem<br />

sich die Identität des Menschen aufbaut. <strong>Die</strong> Wertschätzung der<br />

Muttersprache ist daher ein bedeutender Faktor für das Selbstwertgefühl<br />

und somit für die Integrationsfähigkeit des jungen Menschen.<br />

Muttersprachlicher Unterricht in der Grundschule ist für den weiteren<br />

Bildungsweg daher ebenso wichtig wie der Deutschunterricht. Dafür ist der<br />

Einsatz qualifizierter MigrantInnen im Lehrkörper unerlässlich.<br />

Eine ebenso große Bedeutung hat die Förderung lokaler<br />

Bildungseinrichtungen im Wohnumfeld. Innerhalb der kommenden Jahre<br />

muss auch der Umbau von Schulen zu Ganztagseinrichtungen und die<br />

Integration vorschulischer Betreuungsangebote flächendeckend<br />

organisatorisch und finanziell bewältigt werden. In all diesen Einrichtungen<br />

muss die interkulturelle Kompetenz des Lehr- und Betreuungspersonals


Dr. Zahra Mohammadzadeh Bildung ist ein wesentlicher Faktor der Integration<br />

erhöht werden. Dazu gehören auch soziale und kommunikative<br />

Kompetenzen im Umgang mit Migrantenkindern. Lehrinhalte und<br />

Lehrmaterialien müssen daraufhin überprüft werden, ob und mit welchen<br />

Rollenbildern MigrantInnen darin vorkommen und ob sie positive<br />

Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder bieten.<br />

Das Bildungssystem muss insgesamt eine interkulturelle Öffnung erfahren.<br />

So wie MigrantInnen immer mehr zu einem selbstverständlichen Bestandteil<br />

unserer Gesellschaft werden, müssen auch im Schulsystem Kinder und<br />

Jugendliche mit Migrationshintergrund selbstverständlich alle<br />

Bildungschancen nutzen können. Dazu ist es nötig, kulturell bedingte<br />

Zugangsbarrieren abzubauen. Nur wenn sich das Bildungssystem<br />

interkulturell öffnet, werden die MigrantInnen auch im Arbeitsleben, in der<br />

Wirtschaft und im Bereich der politischen Partizipation am gesellschaftlichen<br />

Leben mit Chancengleichheit teilhaben können. Für dieses Ziel müssen und<br />

wollen wir alle Möglichkeiten nutzen, die der Bremer Landespolitik zur<br />

Verfügung stehen.<br />

29


Thomas Bretschneider Assistenz: Ein Prinzip für die Zukunft<br />

Assistenz: Ein Prinzip für<br />

die Zukunft<br />

Seit 1991 organisiert der Martinsclub <strong>Bremen</strong><br />

e.V. die Assistenz für körperbehinderte<br />

SchülerInnen in Bremer Regelschulen. Zurzeit<br />

wird über 100 behinderten SchülerInnen der<br />

Besuch der Regelschule durch Assistenz<br />

ermöglicht. Als zentraler Kooperationspartner<br />

der Senatorin für Bildung stellt der m|c als<br />

freier Träger im gesamten Stadtgebiet die<br />

Realisierung des Programms „Assistenz in<br />

Regelschulen“ sicher.<br />

In den 17 Jahren haben wir mit dem Programm „Assistenz in Regelschulen“<br />

Erfahrungen im letzten integrativen Angebot im Bremer Schulsystem<br />

sammeln können. <strong>Die</strong> Laufzeit, der Umfang und die Professionalität des<br />

Programms suchen in Deutschland seinesgleichen. So werden z.B.<br />

ausschließlich Fachkräfte mit einer Mindestqualifikation als Erzieher/in<br />

eingesetzt. Kinder mit spezifischen medizinischen Bedarfen werden durch<br />

Pflegekräfte betreut. Im Durchschnitt wird ein/e Schüler/in von einer/m<br />

Mitarbeiter/in ca. vier Jahre begleitet. Rund 80 % der Kinder durchlaufen<br />

eine völlig normale Schullaufbahn und machen den entsprechenden<br />

Schulabschluss.<br />

Nicht nur für körperbehinderte SchülerInnen hat sich das Programm<br />

„Assistenz in Regelschulen“ als richtungweisend erwiesen. <strong>Die</strong> Erfahrungen<br />

zeigen deutlich, dass mithilfe von Assistenz auch ein umfassender<br />

integrativer Anspruch für die Beschulung von SchülerInnen mit anderen<br />

Behinderungsformen umgesetzt werden kann. Besonders hervorzuheben<br />

sind folgende Kennzeichen:<br />

1. Kontinuität: Ein/e Mitarbeiter/in betreut eine/n Schüler/in über<br />

mehrere Jahre. Das bedeutet Kontinuität und Sicherheit für<br />

SchülerInnen, MitschülerInnen, LehrerInnen und Eltern.<br />

2. Professionalität: Durch den Einsatz von Fachkräften stehen neben<br />

den notwendigen Betreuungstätigkeiten im Wesentlichen komplexe<br />

Integrationsleistungen im Mittelpunkt. D.h., die Fachkräfte sichern die<br />

30<br />

Integration der behinderten SchülerInnen im sozialen Kontext des<br />

Klassenverbandes.<br />

3. Präsenz: Durch die selbstverständliche Präsenz von behinderten<br />

SchülerInnen entwickeln MitschülerInnen, LehrerInnen und Eltern<br />

eine hohe soziale Kompetenz. Dem Thema Behinderung wird auf<br />

natürliche Weise ohne Distanz begegnet und es wirkt prägend.<br />

4. Qualität und Sicherheit: <strong>Die</strong> Organisation durch einen freien Träger<br />

sorgt für langfristige Sicherheit und Verlässlichkeit. In<br />

Kooperationsverträgen werden Vertretungen, Arbeitszeiten und ein<br />

umfassendes Regelwerk bereitgehalten, das das komplexe<br />

Arbeitsgebiet regelt. Der Umfang der Gesamtdienstleistung<br />

ermöglicht es dem Träger, ausschließlich unbefristete feste<br />

Arbeitsplätze zu schaffen und anzubieten.<br />

5. Perspektive: <strong>Die</strong> positiven Erfahrungen mit der Integration von<br />

körperbehinderten SchülerInnen erlaubt eine realistische<br />

Perspektive auf die Ausweitung auf SchülerInnen mit anderen<br />

Behinderungsformen. Insbesondere SchülerInnen mit<br />

Verhaltensauffälligkeiten, Asperger Autisten und SchülerInnen mit<br />

geistiger Behinderung sowie sehbehinderte und hörgeschädigte<br />

SchülerInnen können mit Assistenz die allgemein bildenden Schulen<br />

besuchen. Hier sind allerdings Nachteilsausgleiche zu formulieren,<br />

kompetente Beratungsangebote zu installieren und die<br />

Barrierefreiheit in den Schulgebäuden sicherzustellen.<br />

<strong>Die</strong> Vorteile der Beschulung von SchülerInnen mit Behinderungen mit<br />

Assistenz liegen auf der Hand. <strong>Die</strong> Hinweise und Warnungen auf zu hohe<br />

Kosten sind dem konservativen segregierenden Schulsystem geschuldet. Da<br />

die kostenintensive Struktur der Sonderschulen/Förderzentren<br />

aufrechterhalten wird, werden den integrativen Unterrichtsformen die<br />

Mehrkosten zugeschrieben.


Horst Frehe Inklusive Erziehung behinderter Kinder vorantreiben<br />

Inklusive Erziehung<br />

behinderter Kinder<br />

vorantreiben<br />

Der Sonderberichterstatter der Vereinten<br />

Nationen für das Recht auf Bildung, Vernor<br />

Munoz, hat im Bericht über seinen Besuch im<br />

Februar 2006 Deutschland sehr schlechte<br />

Noten für die Erziehung und Bildung<br />

benachteiligter Kinder ausgestellt. Wie bereits<br />

bei den PISA-Studien festgestellt wurde,<br />

gelingt es in Deutschland kaum, Kinder mit<br />

Migrationshintergrund und behinderte Kinder<br />

in das reguläre Schulsystem zu integrieren<br />

und angemessen zu fördern. Durch schlechtere Ausgangsbedingungen z.B.<br />

beim Spracherwerb, bei einer gesundheitlichen Einschränkung, einer<br />

körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung oder einer<br />

Sinnesschädigung werden diese Kinder in der gesamten Entwicklung bei<br />

ihrer Teilhabe an Erziehung und Bildung benachteiligt.<br />

Sonderschultraditionen überwinden!<br />

Deutschland hat bereits im 19. Jahrhundert ein Sonderschulsystem für die<br />

verschiedenen Formen von Behinderungen entwickelt, das in speziellen<br />

Anstalten organisiert wurde. Ziel dieser Einrichtungen war es, besser auf<br />

die jeweilige Form der Beeinträchtigung eingehen zu können. Tatsächlich<br />

hat sich dieses institutionelle Sondersystem eher als Benachteiligung und<br />

Unterdrückung der spezifischen Lernmöglichkeiten behinderter Kinder<br />

herausgestellt. Z.B. gingen die „Taubstummen-Anstalten“ davon aus, dass<br />

der Spracherwerb nur über die Lautsprache gelingen könne, so dass den<br />

Kindern nur das Mundabsehen der Lautsprache bei den Hörenden<br />

beigebracht wurde. Das Erlernen der Gebärdensprache wurde unterdrückt.<br />

Noch heute beherrschen viele SonderpädagogInnen für gehörlose<br />

SchülerInnen nicht oder nur unzureichend die Gebärdensprache, die allein<br />

gehörlosen SchülerInnen den unbeeinträchtigten Zugang zur Bildung<br />

ermöglicht.<br />

Längst wurde mit zahlreichen Schulprojekten nachgewiesen, dass eine<br />

gemeinsame Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Schülerinnen<br />

31<br />

und Schüler für beide die beste Förderung darstellt. Auch die<br />

nichtbehinderten Schülerinnen und Schüler profitieren von der zusätzlichen<br />

Unterstützung einer Förderlehrerin oder eines Förderlehrers und durch die<br />

Unterrichtsdifferenzierung, die insbesondere bei unterschiedlichen<br />

Lernzielen für einen gemeinsamen Unterricht zwingend erforderlich ist.<br />

Andere Länder wie Finnland haben mit der Individualisierung des<br />

Unterrichts ohne große Mehraufwendungen ein Schulsystem mit einer<br />

‚Schule für Alle’ geschaffen, das die unterschiedlichen Fähigkeiten der<br />

SchülerInnen besser fördert.<br />

Was bedeutet ‚Inklusion’ im Unterschied zur ‚Integration’?<br />

Das schillernde Konzept der ‚Integration’ geht von der Vorstellung aus, dass<br />

behinderte Kinder durch spezielle Förderung dazu befähigt werden sollen, in<br />

die allgemeinen Erziehungs- und Bildungsprozesse eingegliedert zu werden.<br />

Ausgangspunkt ist der behinderungsbedingte Ausschluss aus den sozialen<br />

Entwicklungsprozessen, der durch die Integration in das reguläre Bildungs-<br />

und Erziehungssystem überwunden werden soll.<br />

Das Konzept der ‚Inklusion’ geht weiter: Anstatt das behinderte Kind mit<br />

seinen Lernschwierigkeiten zu betrachten, werden vor allem die<br />

ausgrenzenden und aussondernden Tendenzen der regulären<br />

Bildungsprozesse in den Fokus gestellt. Eine Bildung ist nur dann ‚inklusiv’,<br />

wenn sie niemanden ausschließt. <strong>Die</strong> Förderung und Unterstützung<br />

behinderter Kinder ist nicht Voraussetzung der Integration, sondern Teil des<br />

regulären Bildungssystems. Kein Kind wird zurückgelassen! <strong>Die</strong><br />

Bildungsprozesse orientieren sich an den unterschiedlichen Fähigkeiten und<br />

Bedürfnissen aller SchülerInnen. Sonderberichterstatter Munoz bringt es in<br />

seinem Bericht folgendermaßen auf den Punkt: „Nicht die Menschen<br />

müssen sich dem Bildungssystem anpassen, sondern das Bildungssystem<br />

muss sich den Menschen anpassen.“ Er stellt für Deutschland fest, dass „die<br />

vom Staat propagierte Integrationspolitik als Politik der Absonderung<br />

ausgelegt wird, die letztlich dazu führt, dass die meisten behinderten Kinder<br />

eine Sonderschule besuchen.“<br />

<strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN wollen mit diesem System der Sondererziehung<br />

brechen und wirksame Maßnahmen ergreifen, die gemeinsame Erziehung<br />

und Bildung aller Kinder voranzutreiben. Sie teilen die Auffassung von<br />

Munoz, der die fehlenden rechtlichen Regelungen kritisiert, die eine solche<br />

Perspektive vorgeben.


Horst Frehe Inklusive Erziehung behinderter Kinder vorantreiben<br />

UN-Konvention als Auftrag an die Politik<br />

Mit dem „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit<br />

Behinderungen“ haben die Vereinten Nationen den Anspruch behinderter<br />

Kinder auf der ganzen Welt auf eine „inklusive“ Bildung ohne<br />

Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit verbrieft.<br />

Deutschland gehörte zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens. <strong>Die</strong><br />

Konvention muss nun vom Bund und den Ländern ratifiziert werden. <strong>Die</strong>ses<br />

soll noch in diesem Jahr geschehen. <strong>Die</strong> Bremische Bürgerschaft hat<br />

einstimmig den Senat der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong> aufgefordert, sich für<br />

eine rasche Ratifizierung im Bundesrat und Bundestag einzusetzen. Mit der<br />

Ratifizierung verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Bestimmungen der<br />

Konvention einzuhalten.<br />

<strong>Die</strong> Umsetzung des „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit<br />

Behinderungen“ erfordert in Artikel 24 einen Umbau des deutschen<br />

Bildungssystems. Bei der Verwirklichung des gleichen Rechts auf Bildung<br />

müssen die Vertragsstaaten unter anderem sicherstellen, „dass Menschen<br />

mit Behinderungen nicht aufgrund ihrer Behinderung vom allgemeinen<br />

Bildungssystem ausgeschlossen werden“, „dass Menschen mit<br />

Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Zugang zu inklusiver,<br />

hochwertiger, kostenloser Grundschul- und weiterführender Bildung in den<br />

Gemeinden, in denen sie leben, erhalten“ und sie „innerhalb des<br />

allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung erfahren, um<br />

ihnen eine wirksame Bildung zu ermöglichen“. Eine Sondererziehung und<br />

Sonderbildung in speziellen Kindergärten, Sonderschulen und Internaten ist<br />

mit diesen Anforderungen nicht vereinbar.<br />

Ein Schulsystem, das diesen verbindlichen internationalen Anforderungen<br />

gerecht werden will, muss langfristig auf Sonderkindergärten und<br />

Sonderschulen verzichten und die Förderung von Menschen mit<br />

Behinderungen und mit Migrationshintergrund im regulären Erziehungs-<br />

und Bildungssystem ermöglichen. <strong>Bremen</strong> steht nach den Ergebnissen der<br />

PISA-Studien bei der Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund und<br />

Behinderung nicht gut da. Andererseits ist das System integrativer<br />

Kindergartenerziehung, der Kooperation und Integration in den<br />

Grundschulen besser als in vielen anderen Bundesländern. Eine<br />

konsequente Weiterentwicklung dieser Strukturen zu einem inklusiven<br />

Bildungs- und Erziehungssystem ist der nötige Schritt, um die noch<br />

vorhandene Benachteiligung behinderter Kinder und solcher mit<br />

Migrationshintergrund zu verringern.<br />

32


Harry Eisenach Gesellschaft und Schule müssen integrieren und nicht weiter ausgrenzen<br />

Gesellschaft und Schule<br />

müssen integrieren und nicht<br />

weiter ausgrenzen<br />

<strong>Die</strong> Stadt <strong>Bremen</strong> driftet auseinander.<br />

Zunehmend entmischen sich Stadtteile. <strong>Die</strong><br />

Schere zwischen Arm und Reich wird größer.<br />

<strong>Die</strong>se Entwicklung spiegelt sich in den<br />

Schulen wieder und wurde durch die<br />

Bildungspolitik der vergangenen zwölf Jahre<br />

begünstigt. <strong>Die</strong> GEW hat diese Politik von<br />

Anfang an bekämpft und dagegen die<br />

Perspektive „Eine Schule für alle“ gesetzt.<br />

Zunächst hob die Ampel-Koalition die<br />

Schulbezirke in der Sekundarstufe I auf. Dann führte die große Koalition<br />

das Gymnasium ab Klasse 5 wieder ein und baute die durchgängigen<br />

Gymnasien aus.<br />

Das Gymnasium ist die Mehrheitsschule. Sein Anteil wächst stetig. Obwohl<br />

die neuen zusätzlichen SchülerInnen binnendifferenzierte Konzepte der<br />

Integration erfordern, sondert das Gymnasium weiter aus und lässt<br />

individuelle Perspektiven der Kinder scheitern. <strong>Die</strong>ses ist durch das<br />

Schulsystem und die darin vorhandene Rolle des Gymnasiums verursacht<br />

und nicht aufgrund des Willens der dort tätigen Lehrkräfte.<br />

<strong>Die</strong> Sekundarschule schrumpft. Sie ist mittlerweile kleiner als früher die<br />

Hauptschule. Aus vielen Problemen kann man schließen, dass sie zur<br />

„Restschule“ wird bzw. es bereits ist. <strong>Die</strong> Berufs- und Lebensperspektive<br />

der zukünftigen AbgängerInnen gestaltet sich ähnlich schwierig wie die der<br />

bisherigen HauptschülerInnen. Dazu kommen verfehlte Planungen bei der<br />

Konzeption: <strong>Die</strong> erzwungene äußere Differenzierung ab Klasse 7 führte zur<br />

Chaotisierung, obwohl gerade diese SchülerInnen notwendiger als andere<br />

die Ruhe zum Arbeiten brauchen. Nach Protesten der KollegInnen wurde<br />

mittlerweile erreicht, dass auch Binnendifferenzierung möglich ist. <strong>Die</strong><br />

Aufsplittung dieser kleinen Schülergruppe in drei Zweige ab Klasse 9 treibt<br />

den Selektionswahn unseres Schulsystems auf die Spitze. Dadurch kommt<br />

es zu erzwungenen Klassen- und Schulwechseln, Stolpersteinen in der<br />

individuellen Schullaufbahn dieser großteils benachteiligten Kinder und<br />

Jugendlichen.<br />

33<br />

Von ihrer Ausstattung her ist die Sekundarschule eine Billigvariante der<br />

Hauptschule: Höhere Klassenfrequenzen und weitgehender Wegfall<br />

zusätzlicher Förder-, Halbgruppen- und Differenzierungsstunden haben die<br />

Lernbedingungen verschlechtert. <strong>Die</strong> aufgrund des höheren sozialen<br />

Regelungsbedarfs notwendige KlassenlehrerInnen-Entlastungsstunde der<br />

Hauptschule gibt es in der Sekundarschule bei gleichen Problemen in<br />

größeren Klassen nicht.<br />

Das Schulsystem wird an seinen beiden Polen stärker: Immer mehr<br />

SchülerInnen besuchen Förderzentren (Sonderschulen) und Privatschulen,<br />

insbesondere private Gymnasien.<br />

<strong>Die</strong> Integration lernbehinderter Kinder wird nach der Grundschule praktisch<br />

kaum fortgeführt. Durch die separate Beschulung sinken die möglichen<br />

Förderungen und Anregungen durch stärkere MitschülerInnen. <strong>Die</strong><br />

Sekundarschule, selbst mit großen Problemen belastet, kann ohne<br />

zusätzliche sonderpädagogische Förderung und mit ihren in mehrfacher<br />

Hinsicht benachteiligten SchülerInnen viele Lernschwache nicht halten und<br />

überweist sie an Förderzentren. SchülerInnen, die aufgrund ihrer kognitiven<br />

und sozialen Stärken zur Integration der SonderschülerInnen beitragen<br />

könnten, sitzen separat im Gymnasium. Das Gymnasium entzieht sich<br />

weitgehend der Integrationsaufgabe.<br />

Immer mehr Kinder haben einen Migrationshintergrund. Dabei ist ihr Anteil<br />

in bestimmten sozial schwachen Stadtteilen sowie im Schulsystem in der<br />

Sekundarschule und in den Förderzentren besonders hoch. <strong>Die</strong> enge<br />

Koppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg wird hier deutlich, aber<br />

auch, dass eine gut ausgebaute und durchdachte Förderung, insbesondere<br />

Sprachförderung, in den Bremer Schulen dringend notwendig ist.<br />

Aus Stadtteilen mit hoher Arbeitslosenquote, hohem Migrantenanteil und<br />

geringerer Bildungsbeteiligung wechselt ein erheblicher Teil der<br />

SchülerInnen nach der 4. Klasse in Richtung Innenstadt bzw. nach<br />

Vegesack. Dadurch ist die soziale „Entmischung“ an den Schulen dieser<br />

Stadtteile besonders groß.<br />

Für die GEW ergeben sich aus den Daten folgende Konsequenzen für die<br />

Schulentwicklung:


Harry Eisenach Gesellschaft und Schule müssen integrieren und nicht weiter ausgrenzen<br />

Im Schulsystem müssen die Fehler der vergangenen Jahre korrigiert<br />

werden. Es ist schrittweise in Richtung einer „Schule für alle“<br />

umzubauen. So werden Chancen für Schwächere erhöht und die<br />

sozialen und kognitiven Kompetenzen der Stärkeren genutzt.<br />

Dem Wohnort ist bei der Aufnahme in die fünfte Klasse Priorität<br />

einzuräumen. Dabei ist die verstärkte Zusammenarbeit von Grund- und<br />

Sek-I-Schulen systematisch zu planen und materiell zu fördern. Schulen<br />

in besonders benachteiligten Stadtteilen müssen im erheblichen Umfang<br />

zusätzliche Fördermaßnahmen erhalten.<br />

Schon jetzt darf es keinen weiteren Ausbau des isolierten Gymnasiums<br />

geben. <strong>Die</strong> Integration von Schulzentren und integrative Schritte an<br />

Gymnasien sind materiell und organisatorisch zu unterstützen. <strong>Die</strong><br />

Integration der Förderzentren ist in allen Zweigen des Schulsystems<br />

fortzuentwickeln. Solange es ein gegliedertes Schulsystem gibt, haben<br />

dabei die stärkeren Teile den wesentlichen Beitrag zu leisten.<br />

Integrative Arbeit muss durch die Zuweisung von zusätzlichen<br />

LehrerInnenstunden gefördert werden. Notwendig sind<br />

Planungsstunden und die Senkung der Klassenfrequenzen für alle<br />

Schulen, die auf eine gemeinsame Schule bis zur 10. Klasse<br />

hinarbeiten. Das gilt auch für Gymnasien, wenn sie integrative<br />

Konzepte entwickeln.<br />

Allen Schulen müssen zusätzliche Förderstunden zugewiesen werden,<br />

um dem „Abschulen“ durch pädagogische Maßnahmen<br />

entgegenzuwirken.<br />

Damit das qualifizierte Lehren in heterogenen Lerngruppen überall zur<br />

vorherrschenden Praxis wird, ist eine pädagogische Offensive<br />

notwendig. Zu diesem Zweck sind u.a. entsprechende<br />

Fortbildungsangebote zu entwickeln und den Lehrkräften dafür<br />

Entlastungen zu gewähren.<br />

Bei den zurzeit existierenden Sekundarschulen ist die personelle<br />

Ausstattung zu verbessern, damit die Klassenfrequenzen gesenkt und<br />

Förder- sowie Halbgruppenunterricht ausgeweitet werden können. Sie<br />

müssen die Möglichkeit erhalten, die bestehenden Klassen<br />

weiterzuführen und Werkstatttage für alle SchülerInnen anzubieten.<br />

34


Grundschulverband, Landesgruppe <strong>Bremen</strong> Grundschule in <strong>Bremen</strong> – Vielfalt und Verlässlichkeit<br />

Grundschule in<br />

<strong>Bremen</strong> –<br />

Vielfalt und<br />

Verlässlichkeit<br />

<strong>Die</strong> Grundschule ist die<br />

einzige konsequent<br />

praktizierte Form der Gesamtschule. <strong>Die</strong> Grundschulen in <strong>Bremen</strong> leisten<br />

darüber hinaus die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf im Lernen, in der Sprache und im Verhalten. <strong>Die</strong>ser<br />

bedeutsame Umstand wird bei der Darstellung des Leistungsspektrums, bei<br />

Berechnungen von z. B. Frequenzen, der WiederholerInnenquote und der<br />

Ressourcen nicht angemessen bedacht.<br />

<strong>Die</strong> Grundschulen in <strong>Bremen</strong> sind – wie alle Großstadtgrundschulen –<br />

abhängig von ihrem jeweiligen Einzugsgebiet und deshalb in ihrer je<br />

eigenen Weise „homogenisiert“. Es gibt Schulen in bester sozialer Lage und<br />

Schulen, die unter extrem schwierigen Bedingungen mit einer Vielfalt von<br />

Anforderungen durch eine multikulturelle Schülerschaft und durch Kinder,<br />

die aus schwierigen sozialen und/oder familiären Verhältnissen kommen,<br />

arbeiten.<br />

<strong>Die</strong> Grundschulen befinden sich in einem Spannungsfeld von IGLU 2001<br />

über PISA 2002, das der Grundschule eine Vielzahl von Projekten zur<br />

Sprach- und Leseförderung bescherte, bis zu VERA, einem<br />

Evaluationsinstrument, das alljährlich viel Arbeit bringt, aber in seiner<br />

diagnostischen Wirkung völlig überschätzt wird. IGLU 2006 lobt die<br />

Grundschulen, PISA 2006 wirft schon Schatten voraus, ein neues<br />

Sprachförderkonzept ist im Gespräch.<br />

<strong>Die</strong> Grundschullandschaft in <strong>Bremen</strong> erlebte in der Vergangenheit, dass die<br />

Anerkennung ihrer Leistungen keine Verbesserung der Ausstattung zur<br />

Folge hatte. Grundschulen erleben Jahr für Jahr, dass neun oder zehn Jahre<br />

alte Kinder bereits nach dreieinhalb Schuljahren über eine<br />

Schulartenempfehlung sortiert werden müssen. Eine viel zu frühe<br />

Entscheidung, deren Auswirkung auf die Arbeit in den ersten vier<br />

Schuljahren nicht zu unterschätzen ist.<br />

35<br />

Auf dieser Basis müssen nach Überzeugung des Grundschulverbands für die<br />

Entwicklung der Grundschulen in <strong>Bremen</strong> folgende Qualitätsmerkmale<br />

gelten:<br />

1. Mehr Zeit<br />

<strong>Die</strong> Verlässlichkeit in der Zeit von 8 bis 13 Uhr ist an allen Grundschulen<br />

umgesetzt. Weiter gehen muss die Entwicklung von der Stundenschule zur<br />

Ganztagsschule. Gemeint ist eine Ganztagsschule mit rhythmisiertem<br />

Tagesablauf, mit pädagogisch qualifiziertem Personal, mit guter baulicher<br />

Ausstattung.<br />

2. Stärkung der Gemeinsamkeit<br />

<strong>Die</strong> Grundschule ist die Schulstufe, die im Umgang mit Heterogenität sicher<br />

am weitesten entwickelt ist. Sie hat gelernt, mit den individuellen<br />

Voraussetzungen von Kindern umzugehen. Allerdings ist die Integration von<br />

Kindern mit besonderen Bedürfnissen nicht zum Nulltarif zu haben. <strong>Die</strong>s gilt<br />

für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund genauso wie für<br />

die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf.<br />

3. Leistungen der Kinder würdigen und fördern<br />

<strong>Die</strong> Leistungen von Kindern lassen sich nicht in Noten messen. Notwendig<br />

ist die Entwicklung einer veränderten Lernkultur, die das Bildungsinteresse<br />

der Kinder stärkt, zur Anstrengung ermutigt, das eigenständige Lernen<br />

herausfordert und individuelle Fortschritte würdigt. <strong>Bremen</strong> ist auf einem<br />

guten Weg durch die Möglichkeit des Verzichts auf Noten. Unterstützt<br />

werden muss jedoch die Entwicklung einer neuen Lernkultur durch eine<br />

veränderte Praxis der Rückmeldung in Form von Lerngesprächen,<br />

Lerntagebüchern, Entwicklungsberichten, Beratungen zwischen Schule,<br />

Kindern und Elternhaus. Ein wichtiger Meilenstein dahin wird eine neue<br />

Zeugnisform sein, die den Schulen Vereinfachung, allgemeine<br />

Verbindlichkeit und eine gute Grundlage für das Gespräch mit Eltern und<br />

Kindern bieten sollte.<br />

4. Übergänge gestalten<br />

<strong>Die</strong> Anschlussfähigkeit von Elementar- und Primarbereich sowie Primar- und<br />

Sekundarbereich lässt sich nicht über einzelne Projekte herstellen. <strong>Die</strong>se


Grundschulverband, Landesgruppe <strong>Bremen</strong> Grundschule in <strong>Bremen</strong> – Vielfalt und Verlässlichkeit<br />

können im besten Fall Beispiele aufzeigen. Soll sich für die Kontinuität im<br />

Bildungsweg der Kinder etwas ändern, müssen sich die Stufen deutlich<br />

besser aufeinander beziehen. Dabei sind Bereiche angesprochen wie die<br />

Entwicklungs- und Lerndokumentationen, Rhythmisierungen der Schultage<br />

und Schulwochen, Strukturen, Methoden, Lerninhalte, Abbau des Topdown-Denkens.<br />

Leitend muss die Erkenntnis sein, dass bei Übergängen<br />

immer die abgebende und aufnehmende Stufe gemeinsam mit den Eltern<br />

verantwortlich sind.<br />

5. Länger gemeinsam lernen<br />

<strong>Die</strong> Abschaffung der Orientierungsstufe verlagerte die Selektion in die Mitte<br />

des vierten Schulbesuchsjahres und verkürzte das gemeinsame Lernen<br />

deutlich. In nahezu allen europäischen Ländern lernen alle Kinder sechs<br />

oder mehr Jahre gemeinsam und die Hälfte der europäischen Länder hat für<br />

die gesamte Dauer der Schulpflicht eine gemeinsame Schule. Im<br />

internationalen Vergleich ist das gegliederte deutsche Schulsystem nicht<br />

konkurrenzfähig. Es versagt bei der Integration von Kindern mit<br />

Migrationshintergrund. <strong>Bremen</strong> muss gerade darin eine große Anstrengung<br />

vollbringen, denn zwischenzeitlich haben über 50% der SchulanfängerInnen<br />

einen Migrationshintergrund.<br />

6. Schulen in schwieriger sozialer Lage<br />

Großstädte zeichnet aus, dass Schulen sehr stark vom sozialen Umfeld<br />

ihres Einzugsgebiets geprägt sind. Das erfordert deutliche<br />

Schwerpunktsetzungen bei der Ressourcenvergabe. Sprache ist die<br />

Voraussetzung für die erfolgreiche Teilhabe an Lernangeboten.<br />

Sprachförderung muss daher besondere Beachtung finden und besonders<br />

im Grundschulalter im vertrauten Umfeld des Kindes erfolgen. Hier muss es<br />

viele Sprechanlässe und eine intensive Kommunikation zwischen Kindern<br />

und Erwachsenen, mit Lehrkräften und Eltern geben. Kommunikation<br />

braucht Gelegenheiten, eine bessere LehrerIn-SchülerIn-Relation ist daher<br />

an diesen Standorten unabdingbar. Ein kostenloses Mittagessen für alle<br />

Kinder, mindestens aber für Kinder aus armen Verhältnissen muss<br />

selbstverständlich werden.<br />

36<br />

7. LehrerInnenausbildung<br />

Beim Zugang zum Lehramtsstudium sollte verantwortungsvoll auf die<br />

Qualifikationen der zukünftigen LehrerInnen geachtet werden. Um die<br />

vielfältigen Aufgaben an der Schule bewältigen zu können, benötigen<br />

LehrerInnen neben Fach-, Methoden- und Medienkompetenz weitere<br />

Kompetenzen in sozialer, kommunikativer und diagnostischer Hinsicht<br />

sowie Beratungs- und Innovationskompetenz. <strong>Die</strong> Ausbildung muss für alle<br />

LehrerInnen gleich lang und gemeinsam sein mit schulstufenbezogenen<br />

Schwerpunktsetzungen. In den ersten Jahren der Berufstätigkeit benötigen<br />

Lehrkräfte in besonderer Weise Fortbildungs- und Supervisionsangebote,<br />

auch z.B. in Form von Arbeits- und Gesprächskreisen.


Christa Sanders-Terhorst Zur Bedeutung der Gymnasien in <strong>Bremen</strong><br />

Zur Bedeutung der<br />

Gymnasien in <strong>Bremen</strong><br />

Prämissen<br />

Auch im Land <strong>Bremen</strong> muss die Anzahl<br />

der Abiturienten erhöht werden.<br />

Dazu muss das ganze Leistungspotenzial<br />

in der Schülerschaft erkannt und<br />

entwickelt werden.<br />

Der Zugang zu einem möglichst hohen<br />

Bildungsabschluss muss für alle<br />

SchülerInnen offen sein, unabhängig von<br />

ihrer Herkunft.<br />

<strong>Die</strong> Belastung der Lehrerschaft ist nicht mehr zu steigern, sondern<br />

muss gesenkt werden, um Qualität im Unterricht zu ermöglichen.<br />

Alle Schulformen müssen in <strong>Bremen</strong> eine Akzeptanz in der Bevölkerung<br />

finden.<br />

Das Schulsystem muss finanzierbar sein.<br />

Gute Pisa-Ergebnisse der Gymnasien<br />

Zurzeit sind die durchgängigen Gymnasien in <strong>Bremen</strong> die am meisten<br />

angewählte Schulform.<br />

<strong>Die</strong> guten Ergebnisse der Arbeit an den Gymnasien sind durch interne<br />

und externe Evaluationen belegt.<br />

Es gibt keinen Grund, in der jetzigen Lage erfolgreich arbeitende<br />

Schulen zu zerschlagen.<br />

Aus den PISA-Ergebnissen lassen sich keine Belege dafür ableiten, dass<br />

ein integratives Schulsystem zu besseren Leistungen führt.<br />

Aufgaben des Gymnasiums<br />

<strong>Die</strong> Aufgaben des durchgängigen Gymnasiums als eigenständigem<br />

Bildungsgang beruhen in Deutschland auf einer langen Tradition. Dazu<br />

gehören u.a.:<br />

37<br />

Vermittlung einer vertieften Allgemeinbildung in den klassischen<br />

Aufgabenfeldern Mathematik/Naturwissenschaften, Deutsch, möglichst<br />

vielen Fremdsprachen und in den Gesellschaftswissenschaften und im<br />

Bereich der ästhetischen Bildung<br />

Befähigung junger Menschen zu hohem Abstraktionsvermögen, zu<br />

erfolgreicher Selbstorganisation und zu ergebnis- und zielorientierter<br />

Problemlösung<br />

Erziehung zu selbstständigen, mündigen, verantwortungsbewussten<br />

und teamfähigen Persönlichkeiten<br />

Vermittlung grundlegender Fähigkeiten und Fertigkeiten für die<br />

heutigen, komplexer gewordenen Anforderungen an Studierfähigkeit<br />

und Berufsfähigkeit<br />

Wissenschaftspropädeutisches Arbeiten als immanenter Auftrag für die<br />

Unterrichtsentwicklung<br />

Förderung der wissenschaftlichen Neugier und des forschenden<br />

Unterrichts bereits in der Sekundarstufe I<br />

Vorbereitung unserer SchülerInnen auf die Bedingungen der<br />

Globalisierung und die Herausforderungen der modernen<br />

Hochtechnologie und deren kritische Reflexion<br />

Befähigung und Ermunterung besonders leistungsfähiger SchülerInnen<br />

zu außerordentlichen Spitzenleistungen<br />

Bekenntnis zur Eliteförderung<br />

Zur Akzeptanz Bremer Schulabschlüsse<br />

Viele Eltern, die aus anderen Ländern aus beruflichen Gründen nach<br />

<strong>Bremen</strong> ziehen, erwarten selbstverständlich auch in <strong>Bremen</strong> ein<br />

gymnasiales Angebot, das dem in anderen Bundesländern vergleichbar ist.<br />

In den Augen vieler Führungskräfte, die mit ihrer Familie einen Umzug<br />

erwägen müssen, verliert <strong>Bremen</strong> deutlich an Attraktivität, wenn es keine<br />

durchgängigen Gymnasien anbietet. <strong>Die</strong>se Familien entscheiden sich dann<br />

eher für eine Privatschule.<br />

Umgekehrt ist es für Absolventen des Bremer Schulsystems wichtig, auch<br />

außerhalb <strong>Bremen</strong>s mit ihrem Schulabschluss anerkannt zu werden. Eine<br />

Geringschätzung Bremer Abiturienten, wie sie in den 70er und 80er Jahren<br />

in Deutschland verbreitet war, darf nicht erneut einsetzen. Es wäre fatal,<br />

wenn sich in <strong>Bremen</strong> das öffentliche Schulwesen von den Errungenschaften<br />

gymnasialer Bildung verabschiedete und diese nur noch den<br />

AbsolventInnen von Privatschulen zugänglich wären.


Christa Sanders-Terhorst Zur Bedeutung der Gymnasien in <strong>Bremen</strong><br />

Verkürzung Gy8 und die Folgen<br />

<strong>Die</strong> Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur hat eine noch größere<br />

Belastung in die Schulen gebracht. <strong>Die</strong>ses Lerntempo mit den weiterhin<br />

geltenden hohen Standards ist nicht von allen SchülerInnen zu bewältigen.<br />

Daher stellen sich zunehmend mehr Gymnasien die Frage, ob sie nicht in<br />

einem ganztägigen Schulbetrieb besser auf die Bedürfnisse ihrer<br />

Schülerschaft eingehen können und zugleich mehr Förderung wie auch<br />

mehr Anregung bieten können. Das durchgängige Gymnasium ist de facto<br />

schon jetzt eine ganztägig arbeitende Schule und muss entsprechend<br />

ausgestattet werden.<br />

<strong>Die</strong> Heterogenität an allen Schulen, somit auch an den Gymnasien ist<br />

deutlich größer geworden. Um möglichst vielen SchülerInnen die Chance für<br />

einen Abiturabschluss zu geben, müssen den Schulen erheblich mehr<br />

LehrerInnenstunden sowie ergänzendes pädagogisches Personal<br />

zugewiesen werden.<br />

Der Bremer Sparkurs hat in den Gymnasien zu unerträglich hohen<br />

Klassenfrequenzen geführt, ohne zu berücksichtigen, dass die vorhandenen<br />

Klassenräume viel zu klein sind und moderne Unterrichtsmethoden kaum<br />

zulassen. Der Weg zum Abitur ist für durchschnittliche<br />

GymnasialschülerInnen deutlich schwieriger geworden und führt unter den<br />

o.a. schlechten Bedingungen nicht zu einer Erhöhung der<br />

AbiturientInnenquote.<br />

Es muss einen alternativen Weg zum Abitur geben<br />

Wir brauchen für alle Kinder, deren Leistungsvermögen nach der 4.<br />

Klasse noch nicht erkennbar ist, die aber dennoch zu sehr guten<br />

Schulleistungen fähig sind, unbedingt einen alternativen Weg, der auch<br />

das Abitur nach 13 Jahren ermöglicht.<br />

<strong>Die</strong>ser längere Weg muss an einer Schule angeboten werden, die<br />

genauso attraktiv ist wie das Gymnasium.<br />

Ein Ende der ideologisch verzerrten Strukturdiskussion ist dringend<br />

erforderlich. Stattdessen sollte mit Besonnenheit und Pragmatismus die<br />

Situation an allen Schulen <strong>Bremen</strong>s deutlich verbessert werden.<br />

Das in Hamburg beschlossene Zwei-Säulen-Modell könnte auch für<br />

<strong>Bremen</strong> in ähnlicher Form entwickelt werden.<br />

38<br />

<strong>Die</strong> Zugangsbedingungen zu beiden Schulformen sollten genau<br />

durchdacht werden. Wenn eine Schule alle SchülerInnen, die sie einmal<br />

aufgenommen hat, behalten soll, dann müssen eindeutige<br />

Aufnahmekriterien definiert werden.<br />

Fehlentscheidungen bei der Schulwahl müssen revidierbar bleiben.<br />

Warum „eine Schule für alle“ nicht sinnvoll ist unter den<br />

gegebenen Bedingungen<br />

Eine gemeinsame Schule für alle braucht eine deutlich bessere<br />

Personalausstattung als sie zurzeit existiert bzw. finanzierbar wäre.<br />

Neben genügend Lehrern braucht eine solche Schule auch:<br />

- SonderpädagogInnen/PsychologInnen<br />

- MedienpädagogInnen/BibliothekarInnen<br />

- SozialpädagogInnen<br />

- Unterrichtsassistenz<br />

- technische Assistenz<br />

- Schulverwaltungsfachkräfte<br />

<strong>Die</strong>se Multiprofessionalität zu finanzieren, erscheint in Deutschland<br />

zurzeit unmöglich – und das obwohl oder gerade weil Deutschland bei<br />

den Bildungsausgaben unter dem OECD-Durchschnitt liegt. Dabei ist<br />

noch nicht einmal der Vorschulbereich quantitativ und qualitativ in der<br />

notwendigen Weise ausgebaut.<br />

Wenn diese Professionen nicht von vornherein an einer Schule<br />

vorhanden sind, werden mit keiner „Schule für alle“ (auch nicht bei 6jährigem<br />

gemeinsamen Lernen) befriedigende Ergebnisse und eine<br />

substantielle Verbesserung der Bildung in Deutschland zu erreichen<br />

sein.<br />

In einem sich weiterhin verschlechternden öffentlichen Schulwesen wird<br />

ein großer Ansturm auf die Privatschulen unvermeidlich sein.<br />

Fazit<br />

Es ist für <strong>Bremen</strong> sinnvoll und richtig, die bestehenden durchgängigen<br />

Gymnasien zu stärken und zu unterstützen, damit das Abitur nach 12<br />

Jahren für diejenigen SchülerInnen möglich wird, die das wollen und<br />

können;<br />

Daneben muss eine attraktive Schulform entstehen, die neben anderen<br />

Bildungsabschlüssen auch das Abitur (nach 13 Jahren) ermöglicht.


Hartwig Seggermann Kompetenz der Schulen in freier Trägerschaft für die Bremer Schulentwicklung nutzen<br />

Kompetenz der Schulen in<br />

freier Trägerschaft für die<br />

Bremer Schulentwicklung<br />

nutzen!<br />

Der PISA-Schock<br />

Das schlechte Abschneiden deutscher<br />

SchülerInnen bei der ersten internationalen<br />

Vergleichsstudie über das Bildungsniveau an<br />

Schulen „PISA 2000“ hat die Aufmerksamkeit<br />

bundesweit auf die Qualität deutscher<br />

Schulen gelenkt. Leider steht meines<br />

Erachtens in der sich seither entwickelten bundesweiten Bildungsdiskussion<br />

der Wettstreit unterschiedlicher Schulsysteme viel zu stark im Vordergrund.<br />

Der Bildungsökonom Ludger Wößmann (Professor an der Ludwig-<br />

Maximilians-Universität München) wies in dem Zusammenhang auf die<br />

Gefahr hin, dass dabei vielfach „das Vergleichsland herausgepickt“ würde,<br />

„das am besten zu der eigenen Argumentation passt.“<br />

Ergebnisorientierung schafft Qualitätssteigerung<br />

Als Schule in freier Trägerschaft, die um SchülerInnen werben muss, war es<br />

schon immer unser Ziel, möglichst alle so optimal wie möglich zu<br />

qualifizieren, uns also bei der Gestaltung unserer Schule an der Qualität des<br />

Ergebnisses unserer Arbeit zu orientieren. Dazu bedarf es der Schaffung<br />

optimaler atmosphärischer und materieller Lernvoraussetzungen, einer auf<br />

das individuelle Lerntempo und Lernniveau jeder Schülerin und jedes<br />

Schülers zugeschnittenen Lernorganisation, einer von allen Beteiligten<br />

gewollten und aktiv praktizierten Kooperation und Entwicklung der<br />

Lehrenden sowie einer an den seit 2004 existierenden bundesweiten<br />

Bildungsstandards und anerkannten pädagogischen Standards orientierten<br />

Lernplanung und Qualitätssicherung.<br />

39<br />

Qualitätssteigerung und Autonomie der Schulen bedingen sich<br />

Schulqualität in diesem Sinne zu gestalten, kann aber nicht wirksam „von<br />

oben“ verordnet werden, sondern Betroffene müssen zu Beteiligten<br />

gemacht werden. „Generell scheinen von einer größeren Schulautonomie<br />

positive Effekte auszugehen“, schlussfolgert Wößmann in diesem<br />

Zusammenhang aus den PISA-Ergebnissen. „Nur wenn Anreize für die am<br />

Bildungsprozess beteiligten Personengruppen – SchülerInnen, LehrerInnen,<br />

SchulleiterInnen, Schulverwaltung, Eltern – so gestaltet sind, dass sich der<br />

Einsatz für höhere SchülerInnenleistungen lohnt, werden sie sich auch in<br />

diesem Sinne verhalten.“<br />

Zusammenarbeit mit den Schulen in<br />

freier Trägerschaft nützt allen<br />

In der Gestaltung eigenständiger Schulen auf Basis eines festgelegten<br />

Budgets, die der Schulaufsicht gegenüber lediglich Rechenschaft über die<br />

Qualifizierung ihres Lehrpersonals, die Einhaltung bestimmter<br />

Rahmenbedingungen und die Erreichung festgelegter Bildungsstandards<br />

ablegen müssen, verfügen die Schulen in freier Trägerschaft über<br />

langjährige Erfahrungen.<br />

Am Beispiel der Niederlande ist zu sehen, dass Schulen in freier<br />

Trägerschaft in hohem Maße zur Steigerung der Qualität aller Schulen<br />

beitragen können. Dort befinden sich 70% aller Schulen in freier<br />

Trägerschaft, werden genauso finanziert wie die Schulen in staatlicher<br />

Trägerschaft und können daher darauf verzichten, Schulgeld von den Eltern<br />

zu erheben. In den Niederlanden, auch das haben die Ergebnisse von PISA<br />

ergeben, waren die „Schüler den deutschen um den Lernstoff eines ganzen<br />

Jahres voraus.“<br />

Aus all diesen Gründen wäre es meines Erachtens zum Wohle aller<br />

SchülerInnen unseres Bundeslandes, wenn die Bremer Bildungspolitik ihre<br />

eher skeptische Haltung den Privatschulen gegenüber überdenken und sie<br />

wie in den Niederlanden gleichberechtigt in die Weiterentwicklung der<br />

Schulqualität einbeziehen würde.


Gerhard J. Gilbert Schule und Sozialarbeit – in <strong>Bremen</strong> denkbar?<br />

Schule und Sozialarbeit – in<br />

<strong>Bremen</strong> denkbar?<br />

Aus der Praxis<br />

Klassenlehrer und Jahrgangsleiter laden alle<br />

Beteiligten und auch eine Familienhelferin<br />

zur Klassenkonferenz ein. Es kommen alle –<br />

bis auf die Familienhelferin.<br />

In einer Familie gibt es große Probleme, die<br />

eine Klassenlehrerin bei einem Hausbesuch<br />

sofort erkennt. Das Gespräch mit dem<br />

zuständigen Mitarbeiter des Amtes für<br />

Soziale <strong>Die</strong>nste (ASD) ergibt, dass er nicht<br />

weiß, was er machen soll oder ob er überhaupt etwas machen kann.<br />

In einem langen Zeitungsbericht werden von einer leitenden<br />

Mitarbeiterin des ASD viele Kooperationspartner aufgelistet, darunter<br />

keine Schule.<br />

Zum Thema<br />

<strong>Die</strong> von mir genannten Beispiele sind Bremer Realität. Seit Jahrzehnten ist<br />

eine Verzahnung von Schule und Sozialarbeit diskutiert, aber nie ernsthaft<br />

in Angriff genommen worden. Es mangelt an gemeinsamen<br />

Zielvorstellungen und verbindlichen Absprachen. Dem ehemaligen Senator<br />

für Bildung und Wissenschaft und jetzigen Innensenator, Willi Lemke,<br />

wurde auf einer SchulleiterInnen-<strong>Die</strong>nstbesprechung nicht ohne ernsten<br />

Hintergrund empfohlen, dass die Ressorts Bildung und Soziales eigentlich<br />

unter einer Führung agieren müssten. Hintergrund der Empfehlung war<br />

sicherlich, die von mir genannten Kooperationsdefizite zu beheben. Das<br />

allein kann es natürlich nicht sein. Politische Entscheidungen, klare<br />

Ausführungsrichtlinien und nachvollziehbare Verantwortlichkeiten gehören<br />

dazu.<br />

Aus eigenen Fehlern und von Anderen lernen<br />

Man könnte sich ja einmal ohne Schuldzuweisung zusammensetzen,<br />

Fehleranalyse betreiben, aber auch über die Grenzen schauen. Ein paar<br />

Beispiele:<br />

40<br />

Im finnischen Bildungssystem (natürlich!) kümmern sich neben den<br />

LehrerInnen auch SchulpsychologInnen, SozialarbeiterInnen,<br />

Krankenschwestern und ÄrztInnen um die Kinder. Den Lehrkräften wird es<br />

damit ermöglicht, sich auf ihre Kernaufgabe – das Unterrichten – zu<br />

konzentrieren, zumal auch für besonders leistungsschwache SchülerInnen<br />

zusätzliche Fördermöglichkeiten existieren.<br />

Schweden und Finnland zeichnen sich ferner dadurch aus, dass sie seit<br />

Anfang der 80er bis <strong>90</strong>er Jahre des 20. Jahrhunderts eine enge<br />

Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe auf den Weg gebracht<br />

hatten. In Finnland und Schweden hat sich für diese Fachkräfte die<br />

Bezeichnung School Curator durchgesetzt, in Dänemark heißen sie School<br />

Social Worker. Sie bieten Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit und<br />

Elternarbeit an, legen aber zunehmend ihren Schwerpunkt auf Beratung der<br />

LehrerInnen, Gemeinwesen- und Schulentwicklung.<br />

In den Niederlanden ist gesetzlich geregelt, dass den Schulen sogenannten<br />

Schulbegleitungsdienste zur Seite stehen, die neben Schulsozialarbeit u. a.<br />

auch didaktische Hilfen, Sprachprogramme für Kinder von Migranten, Hilfe<br />

bei Dyslexie/Dyskalkulie und Unterstützung beim Schulmanagement bzw.<br />

der Schulentwicklungsplanung anbieten. <strong>Die</strong> niederländischen Schulen<br />

können sich bei Bedarf die jeweilige Leistung „einkaufen“. Im Vergleich zur<br />

Bundesrepublik ist die Schulsozialarbeit in den Niederlanden hoch<br />

standardisiert.<br />

Anders als bei uns haben alle diese Länder eine lange Tradition in der<br />

Kooperation von sozialer Arbeit und Schule und einen entsprechend hohen<br />

Organisationsgrad.<br />

Und jetzt?<br />

<strong>Die</strong> andauernde PISA-Diskussion hat uns in Deutschland und besonders in<br />

<strong>Bremen</strong> den Blick versperrt: Natürlich ist es wichtig, sich im internationalen<br />

Vergleich besser zu positionieren. Wenn aber in Bildungsplanung,<br />

Schulentwicklung und auch im Richtungsstreit der Parteien der Begriff<br />

Schulsozialarbeit auch weiterhin keine Rolle spielen sollte, werden wir<br />

unsere Probleme nicht lösen. Natürlich kosten alle Maßnahmen Geld, aber<br />

zuerst einmal steht die Einsicht in die Notwendigkeit. Haben wir sie?


Länger gemeinsam lernen<br />

Meiner Meinung nach sollte das gesamte Schulsystem geändert werden. Es<br />

müsste von Grund auf neu gestaltet werden, eine Aufteilung in Gymnasial-,<br />

Real- und HauptschülerInnen schon nach der 4. Klasse halte ich für viel zu<br />

früh. In Schweden besteht die Schule aus einer neunjährigen,<br />

obligatorischen Grundschule und einem dreijährigen Gymnasium. Ein<br />

ähnliches System sollte auch Deutschland übernehmen.<br />

<strong>Die</strong> Grundschule sollte bis zur 6. Klasse gehen. Nach der 6. Klasse könnte<br />

eine Aufteilung der SchülerInnen nach ihren speziellen Begabungen oder<br />

Vorlieben erfolgen, d.h. man könnte Förderschulen für z.B. sprachliche,<br />

mathematische, naturwissenschaftliche, kreative/musische Begabungen<br />

usw. einrichten. Nach der 9. Klasse stünde es den Schülerinnen frei, ob sie<br />

noch ein dreijähriges Abitur absolvieren oder die Schule verlassen wollen.<br />

<strong>Die</strong>se Förderschule würde dann von der 6. bis zur 9. Klasse besucht<br />

werden. Am Ende der 9.Klasse sollten aber dennoch Vergleichsprüfungen<br />

unter den Schulen gemacht werden. <strong>Die</strong> Prüfungen würden garantieren,<br />

dass alle SchülerInnen – egal von welcher Förderschule – den gleichen<br />

Bildungsstand nachweisen können. Ab der 6. Klasse sollte es jedem/r<br />

SchülerIn freistehen, eine zweite Fremdsprache zu belegen, egal ob sie<br />

oder er auf eine Sprachen fördernde Schule geht oder eine andere. <strong>Die</strong><br />

Kinder sollten jedoch schon in der 1. Klasse Englisch lernen. Und<br />

Klassenfahrten könnten möglichst früh ins Ausland führen, damit die Kinder<br />

verstehen, wie wichtig es ist, eine zweite Sprache zu beherrschen.<br />

Zeugnisnoten sollten erst ab der 6. Klasse vergeben werden, damit die<br />

SchülerInnen nicht unter zu hohem Druck stehen. Somit können sie sich<br />

auch besser auf ihre Arbeiten usw. konzentrieren. <strong>Die</strong> Zeugnisse würden bis<br />

dahin aus einem kurzen Bericht bestehen, der das Arbeits- und<br />

Sozialverhalten der SchülerInnen beschreibt. Ein Bild des Leistungsstandes<br />

könnten die Eltern sich selbst machen, indem sie mit dem Kind<br />

Hausaufgaben machen. Natürlich würde auch der derzeitige Leistungsstand<br />

der SchülerInnen in einem solchen Zeugnis beschrieben sein. Für Kinder,<br />

deren Eltern finanziell und/oder zeitlich nicht in der Lage sind, sich um die<br />

Schulaufgaben zu kümmern, gäbe es nachmittags in den Schulen Essen<br />

und Nachhilfe.<br />

Schüler Marlon A. Länger gemeinsam lernen<br />

41<br />

Natürlich ist diese Vision finanziell schwer umsetzbar und würde viel Arbeit<br />

in Anspruch nehmen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass ein solches<br />

Schulsystem nur Vorteile bringen würde.


Petra Marx Maria Montessori: Eine hundertjährige brandaktuelle pädagogische Konzeption<br />

Maria Montessori: Eine hundertjährige<br />

brandaktuelle<br />

pädagogische Konzeption<br />

Bildungsgeschichtlich betrachtet gehört die Montessori Pädagogik zu jenen<br />

am Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten reformpädagogischen<br />

Ansätzen, die als „Pädagogik vom Kinde aus“ bezeichnet werden. Insofern<br />

ist sie unter die Reformansätze Petersens, Ottos, Freinets, Deweys u.a.<br />

einzureihen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie sich die anthropologischpädagogische<br />

Sichtweise Jean-Jacques Rousseaus (1712 – 1778) zu Eigen<br />

machten.<br />

Rousseau zufolge hat sich die Erziehung vorrangig an den psychischen und<br />

intellektuellen Bedürfnissen, den Neigungen und Begabungen des einzelnen<br />

Kindes zu orientieren und nicht an den von Erwachsenen erdachten Normen<br />

und Zielvorgaben. Montessoris Anliegen ist dabei hauptsächlich das<br />

praktische „Tun“ des Kindes. Sie entwickelte Materialien, basierend auf den<br />

Erfahrungen der französischen Ärzte Itard und Segiun, die schon hundert<br />

Jahre zuvor positive Erfahrungen mit retardierten Kindern und dem Einsatz<br />

ihrer Fördermaterialien machten.<br />

Das Montessori-Material ermöglicht Kindern und Jugendlichen aktiv<br />

handelndes und selbstständiges Lernen, hat einen hohen<br />

Aufforderungscharakter und spricht die Kinder durch seine Ästhetik an. <strong>Die</strong><br />

Materialien stehen in für die Kinder gut erreichbaren Schränken und<br />

Regalen. Im Montessori-Material wird jeweils eine einzelne<br />

Schwierigkeit/Eigenschaft – wie Gewicht, Größe, Länge, Geruch, Farbe,<br />

Form – isoliert, um Klarheit und Differenzierung zu erreichen. <strong>Die</strong> Kinder<br />

wählen das Material, mit dem sie arbeiten wollen, nach ihrem Interesse und<br />

ihrem aktuellen Entwicklungsstand entsprechend aus.<br />

Montessori war überzeugt, dass geistiges Wachstum an die Entwicklung und<br />

Vervollkommnung der Sinneswahrnehmung gebunden ist. Das Kind lernt<br />

am leichtesten durch die Tätigkeit mit konkreten Materialien.<br />

Prinzipien und Hauptmerkmale der Pädagogik Montessoris<br />

<strong>Die</strong> wichtigsten Lern-und Erziehungsziele der Pädagogik lassen sich wie<br />

folgt zusammenfassen:<br />

42<br />

Unterstützung der Entwicklung<br />

- der Selbstständigkeit<br />

- der Selbstbildung<br />

- des eigenverantwortlichen Handelns<br />

- des eigenständigen Lernens<br />

- des entdeckenden Lernens<br />

- des sozialen Lernens<br />

- für das demokratische Verständnis<br />

Maria Montessori gelangte hauptsächlich zu den wichtigsten Erkenntnissen,<br />

ihren pädagogischen Prinzipien, indem sie Kinder vom Säuglingsalter an<br />

beobachtete. Sie erkannte, dass Kinder von Geburt an bis zum Alter von 18<br />

Jahren bestimmte sensible Phasen durchleben. In diesen sensiblen Phasen<br />

lernen die Kinder grundlegende wichtige Fertigkeiten besonders leicht. Eine<br />

innere Energie, die dem Menschen von Geburt an eigen ist und die<br />

existentiell wichtigen Entwicklungen wie Bewegung und Sprache steuert,<br />

motiviert Kinder und Jugendliche unbewusst zu Lernschritten in den<br />

sensiblen Phasen. Finden Kinder und Jugendliche in dieser Zeit der<br />

sensiblen Phasen eine kompetent vorbereitete Umgebung vor, können sie<br />

sich entsprechend ihrer momentanen Bedürfnisse aufgrund des<br />

Entwicklungsstandes entwickeln. <strong>Die</strong> Freiarbeit ist Kern der Pädagogik Maria<br />

Montessoris, nicht eine Randerscheinung oder eine lockere Ergänzung zum<br />

Unterricht. Im Rahmen der Freiarbeit erlangen das Kind und der<br />

Jugendliche Unabhängigkeit in der Wahl seiner Arbeit und der<br />

Selbstkontrolle sowie der Auswahl der Arbeitspartner und der zeitlichen<br />

Einteilung der Arbeit. <strong>Die</strong> Auswahl von Materialien und die Arbeit damit<br />

erfolgt vom Kind freiwillig und ist gekrönt von tiefster Zufriedenheit.<br />

<strong>Die</strong> Selbstständigkeit, Selbsttätigkeit, das eigenverantwortliche Tun werden<br />

angeregt und die Kinder lösen sich mehr und mehr von strukturierten<br />

Materialien und entwickeln auch eigene Aufgabenstellungen. Ganz<br />

selbstverständlich entwickelt sich bei dieser Arbeitsform das<br />

Selbstvertrauen der SchülerInnen. Notwendige Interaktionen zwischen den<br />

SchülerInnen, Absprachen, Zuverlässigkeit bei der Zusammenarbeit stärken<br />

das Bewusstsein für gemeinsames Lernen und Denken.<br />

Montessori in der Schule: heute . . . in Zukunft?<br />

Montessori-Schulen oder Regelschulen, die reformpädagogische Konzepte in<br />

ihre Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen aufgenommen haben, sind


Petra Marx Maria Montessori: Eine hundertjährige brandaktuelle pädagogische Konzeption<br />

moderne und zeitgemäße Schulen. <strong>Die</strong> Individualität der Schülerin/des<br />

Schülers steht im Mittelpunkt und die reformpädagogische Konzeption wird<br />

den Erfordernissen und vorgegebenen Lehrplänen sowie den Profilen und<br />

dem Unterrichtsgeschehen der Schulen angeglichen. Unterrichtsformen<br />

nach Montessori und anderen Reformpädagogen halten vermehrt Einzug in<br />

Schulen des Primar- und Sekundarbereiches. Der Stellenwert des sozialen<br />

Lernens rückt auf diese Art in vielen Schulen in den Vordergrund.<br />

Klassen(rat)-Stunden, Methodentraining sowie Lern- und Arbeitstechniken<br />

als Unterrichtsfach werden in die reguläre Stundenplanung aufgenommen.<br />

Montessori und die Leistungsbeurteilung<br />

<strong>Die</strong> Beurteilung der SchülerInnen, in unserem Schulsystem zum<br />

überwiegenden Teil immer noch auf Noten reduziert, findet man bei<br />

Montessori in dieser Form nicht. Gemäß ihrem Anliegen und ihrer Haltung<br />

gegenüber den SchülerInnen sieht sie bei der Beurteilung von Arbeiten und<br />

Arbeitsergebnissen den ganzen Menschen mit seinen Stärken und<br />

Schwächen. Arbeiten, Fördern und Fordern sowie ständiger Austausch in<br />

Form von Gesprächen stehen bei Montessori im Vordergrund, statt die<br />

gesamte Arbeit einer Schülerin/eines Schülers über die Zeit eines halben<br />

Schuljahres auf eine Ziffer zu reduzieren. SchülerInnen lernen bei<br />

Montessori schon sehr früh, sich selbst zu kontrollieren und ihre<br />

Arbeitsergebnisse selbst zu dokumentieren und auszuwerten. Sie lernen<br />

sehr früh, sich selbst einzuschätzen. LehrerInnen sind in der Montessori-<br />

Pädagogik auch hier BegleiterInnen und HelferInnen auf dem Weg der<br />

Entwicklung zur Selbstständigkeit. In Vierteljahres- oder<br />

Halbjahresabschnitten werden Berichte zu Arbeiten oder der gesamten<br />

Entwicklung des Kindes geschrieben und bei der Übergabe mit den<br />

SchülerInnen und Eltern besprochen.<br />

43


Franz Jentschke <strong>Die</strong> Deutsche Kammerphilharmonie zu Hause in der Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost<br />

<strong>Die</strong> Deutsche<br />

Kammerphilharmonie<br />

<strong>Bremen</strong> zu Hause in<br />

der Gesamtschule Ost<br />

<strong>Die</strong> Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost<br />

wurde von 2002 bis 2007 saniert.<br />

Im Frühjahr 2005 war der jetzige<br />

Saal der Kammerphilharmonie<br />

noch als Aula für die GSO<br />

vorgesehen. Doch plötzlich suchte<br />

die Kammerphilharmonie ein<br />

neues Zuhause. Wir – eine Schule, die seit Jahren die Musik besonders<br />

pflegt – haben keinen Moment gezögert und sofort unsere Bereitschaft<br />

erklärt, den möglichen neuen Nachbarn aufzunehmen.<br />

<strong>Die</strong> Situation, dass ein Weltklasse-Orchester in einer Schule in<br />

unmittelbarer Nachbarschaft zu SchülerInnen und LehrerInnen zu Hause ist<br />

und somit die Möglichkeit besteht, nahezu täglich miteinander Kontakt zu<br />

haben, ist einzigartig und eine große Chance für unsere Schule. Das<br />

renommierte Orchester hat im April 2007 seinen Sitz mitten in der<br />

Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost genommen. Hier, in einem Stadtteil, der<br />

gekennzeichnet ist auch durch Arbeitslosigkeit und durch einen hohen<br />

Anteil von MigrantInnen, wird sie mit vielfältigen Begegnungen und neuen<br />

Projekten zukünftig für das Zusammenwachsen von MusikerInnen,<br />

SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern und MitbürgerInnen von besonderer<br />

Bedeutung sein. Sie wird die Entwicklung der städtischen Gemeinschaften<br />

auf völlig neue Weise befördern. <strong>Die</strong>se neue Situation „Schule-Orchester-<br />

Stadtteil“ erfordert höchste geistige Mobilität aller Beteiligten. Wir wollen<br />

gemeinsam durch die Spaß machenden musikalischen Projekte die Grenzen<br />

zwischen Beruf/Unterricht und Freizeit auflösen. Lernen im Zusammenhang<br />

von musikalischen Projekten wird so zu einer emotionalen Erfahrung, die<br />

dem klassischen „Pauken“ weit überlegen ist.<br />

Schlagworte wie „Emotionale Intelligenz“, „Team-Intelligenz“ und<br />

„Netzwerkdenken“ werden als Herausforderung für die Bildungspolitik<br />

angeführt – im (Schul)Orchester sind sie alltägliche Realität, unabdingbar<br />

für das Zusammenspiel. Im Kontakt mit MusikerInnen und in der<br />

44<br />

gemeinsamen Arbeit an speziellen Projekten werden sie so für die Kinder<br />

und Jugendlichen sichtbar, persönlich erlebbar und auf ihr persönliches<br />

Lebensumfeld übertragbar. Der enge Austausch von Orchester und Schule<br />

und die neuen gemeinsamen Projekte, die für die Orchestermitglieder einen<br />

zeitlichen Aufwand weit über den normalen Proben- und Konzertalltag<br />

hinaus darstellen, sind nur mit einem progressiven, zukunftsfähigen<br />

Orchester überhaupt denkbar. Unser gemeinsames Ziel ist, den – mehr<br />

oder weniger orientierungslosen – Menschen und SchülerInnen mit<br />

speziellen Angeboten den Weg zu tradierten Werten der klassischen Kultur<br />

zu ermöglichen.<br />

In der Deutschen Kammphilharmonie <strong>Bremen</strong> sind viele Nationalitäten<br />

vertreten: deutsch, spanisch, russisch, englisch, belgisch, australisch und<br />

japanisch. Enge musikalische Freundschaften verbinden das Orchester mit<br />

führenden SolistInnen und Dirigenten in aller Welt. Aus der jahrelangen,<br />

weltweiten Tourneetätigkeit sind neben den professionellen Verbindungen<br />

auch zahlreiche globale Freundschaften hervorgegangen. Kulturelle Vielfalt<br />

findet sich auch in der GSO, die in einem Stadtteil mit einem hohen<br />

Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund liegt und die somit von<br />

SchülerInnen vieler verschiedener Nationalitäten besucht wird.<br />

Beide Aspekte werden sich künftig gegenseitig beeinflussen – die<br />

Welterfahrenheit der kosmopolitischen Orchestermusiker einerseits und die<br />

vielen verschiedenen kulturellen Hintergründe der SchülerInnen<br />

andererseits, die in gemeinsamen Projekten aufeinander treffen werden.<br />

<strong>Die</strong> Ideensammlung und die Planungen für gemeinsame Projekte mit der<br />

Schule haben bei allen Beteiligten bereits vor dem Bekanntwerden des<br />

bevorstehenden Einzugs begonnen. <strong>Die</strong> Umsetzung folgt nun nach dem<br />

tatsächlichen Einzug. Behutsam werden wir aufeinander zugehen und uns<br />

kennenlernen. Der Schule werden nicht fertige Konzepte vorgesetzt,<br />

sondern Projekte werden gemeinsam entwickelt.<br />

Ein erstes großes Ereignis liegt bereits hinter uns. Im November 2006<br />

haben Orchester und Schule an der Tanzproduktion zu den Themen<br />

Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz aus Anlass des weltweiten Aktionstages<br />

der Initiative „Dance 4 Life“ mit dem Choreographen Royston Maldoom<br />

(bekannt aus „Rhythm is it!“) die Produktion „Tryst – Das Treffen“<br />

erarbeitet. An dieser Tanzproduktion haben 200 SchülerInnen der GSO<br />

aktiv teilgenommen. Darüber hinaus hat die gesamte Schule aus Anlass<br />

dieses Projektes mit der Deutschen Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> und dem<br />

berühmten Choreographen in zwei Aktionswochen mit Ausstellungen,


Franz Jentschke <strong>Die</strong> Deutsche Kammerphilharmonie zu Hause in der Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost<br />

bildnerischen Arbeiten und Gesprächsveranstaltungen an dem Projekt<br />

mitgewirkt. <strong>Die</strong>ses Pilotprojekt ist sowohl in der Bremer Presse als auch in<br />

der Fachpresse ausführlich gewürdigt worden. Produziert vom Deutschen<br />

Tanzfilm Institut liegt auch eine filmische Dokumentation der Aufführung<br />

auf DVD vor.<br />

Miteinander haben wir auch die feierliche „Wiedereröffnung“ und 35-Jahr-<br />

Feier der GSO im Dezember 2007 gefeiert. An der Einweihung des<br />

Steinway-Flügels, der von den Freunden der Kammerphilharmonie<br />

gesponsert wurde, haben wir aktiv mitgewirkt. Eine unserer Schülerinnen<br />

durfte als erste auf diesem Instrument spielen. Im Juli und im November<br />

2007 gab es in der „Kammer-Philharmonie“ in der GSO die Premieren der<br />

„Melodie des Lebens“ 1. und 2. Teil, die Mark Scheibe gemeinsam mit der<br />

Deutschen Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> und der GSO angestimmt hat. Der<br />

bekannte Pianist und Liedermacher Mark Scheibe kommt jeden Monat für<br />

einige Tage in die Gesamtschule, um gemeinsam mit den SchülerInnen und<br />

einigen Orchestermitgliedern zu arbeiten. Nach dem Prinzip der Seifenoper<br />

bringen die Jugendlichen Ideen, Gedanken und Gefühle aus ihrem Alltag<br />

mit, die mit Unterstützung von Mark Scheibe musikalisch und poetisch<br />

verarbeitet werden.<br />

<strong>Die</strong> „Melodie des Lebens“ ist abwechslungsreich und vielstimmig. Sie<br />

enthält Songs von Mark Scheibe und gemeinsam mit den SchülerInnen<br />

komponierte Lieder ebenso wie „Klassiker“, die von Mitgliedern der<br />

Deutschen Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> aufgeführt werden. Am<br />

Wichtigsten ist dabei selbstverständlich das Miteinander. So werden die<br />

gemeinsamen Kompositionen mit den SchülerInnen auch gemeinsam mit<br />

Band und Orchester musiziert. Am 6. März 2008 wird nun der 3. Teil dieses<br />

gemeinsam erarbeiteten Stückes (ur)aufgeführt. Der Fortsetzung vierter<br />

Teil erfolgt dann am 31. Oktober 2008. Weitere anspruchsvolle Projekte u.<br />

a. mit dem Komponisten Karsten Gundermann werden zurzeit miteinander<br />

diskutiert.<br />

45<br />

Unter einem Dach<br />

Zukunftspreis für Bremer Musiker und Gesamtschule<br />

<strong>Die</strong> Deutsche Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> und die<br />

Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost haben den Zukunftspreis des Wiener<br />

Trendforschungsinstituts Horx erhalten. In der Kategorie „Beste<br />

soziale Innovation“ wurde das Orchester dafür ausgezeichnet,<br />

dass es in einer Bremer Gesamtschule Wohnung genommen hat –<br />

mit Probenräumen und einem Konzertsaal, der dank seiner<br />

akustischen Brillanz zugleich Aufnahmestudio ist. Sowohl das<br />

Ensemble als auch die Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost, die ihren<br />

Schwerpunkt mit kulturellen Angeboten damit weiter stärkt,<br />

erhoffen sich nachhaltige Effekte durch die Kombination<br />

„Weltklasse-Ensemble und Schule unter einem Dach“, wie es in<br />

der Begründung der Jury heißt. Das Zusammenspiel hat schon<br />

begonnen: Chefdirigent Paavo Järvi leitete bei der Einweihung des<br />

neuen Domizils ein Ensemble aus Mitgliedern der<br />

Kammerphilharmonie und des Schulorchesters.<br />

(Feuilleton der FAZ vom 18.6.2007)


LINKLISTE<br />

Schulportal <strong>Bremen</strong><br />

http://www.schule.bremen.de<br />

Schulportal Bremerhaven<br />

http://www.stabi.hs-bremerhaven.de/<br />

Landesinstitut für Schule<br />

www.lis.bremen.de<br />

Lehrerfortbildungsinstitut Bremerhaven<br />

http://www.stabi.hs-bremerhaven.de/lfi/<br />

<strong>Die</strong> Senatorin für Bildung und Wissenschaft<br />

www.bildung.bremen.de<br />

Externe Evaluation 2007 – Empfehlungen an die Senatorin für Bildung und Wissenschaft<br />

http://www2.bildung.bremen.de/sfb/behoerde/deputation/depu/l25v17a1.pdf<br />

Elternvertretungen in <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven<br />

http://www.zeb-bremerhaven.de/<br />

www.zeb-bremen.de<br />

Weitere spannende Links:<br />

http://www.gew-hb.de/Schulentwicklung.html<br />

www.gew-hb.de<br />

www.ggg-bund.de<br />

www.aktion-humane-schule.de<br />

www.verband-sonderpaedagogik.de<br />

www.grundschulverband.de<br />

www.laenger-gemeinsam-lernen.de<br />

Bremer Jugendinformationen:<br />

www.jugendinfo.de<br />

Das schwedische Bildungswesen:<br />

http://www.sverige.de/lexi/lexi_bild.htm<br />

Auszug zum Thema Bildung aus der rot-grünen Koalitionsvereinbarung:<br />

http://www.gruene-remen.de/ cms/files/dokbin/187/187377.koalitionsvertrag_20072011.pdf<br />

Bildungsnewsletter auf www.gruene-fraktion-bremen.de

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