Bündnis 90/Die Grünen Bürgerschaftsfraktion Bremen
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Vom Kopf auf die Füße stellen<br />
Reader zur<br />
Bremer Schulentwicklung<br />
Herausgegeben von der Fraktion<br />
<strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN in der Bremischen Bürgerschaft<br />
<strong>Bremen</strong>, im April 2008
Redaktion:<br />
Matthias Makosch, Dr. Tobias Erzmann, Anja Stahmann<br />
Titelbilder:<br />
aussi97 „Sun in my morning” / Photocase (li.)<br />
judigrafie „Geringelt” / Photocase (re.)<br />
Satz:<br />
Matthias Makosch<br />
Farbdruck:<br />
MEGAFLYER<br />
Bezugsanschrift:<br />
Fraktion <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />
in der Bremischen Bürgerschaft<br />
Schlachte 19/20<br />
28195 <strong>Bremen</strong><br />
Tel.: 0421/30 11-0<br />
Fax: 0421/30 11-250<br />
E-Mail: fraktion@gruene-bremen.de<br />
Homepage: www.gruene-fraktion-bremen.de
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Vorwort Seite 1<br />
Dr. Matthias Güldner, Fraktionsvorsitzender von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/<br />
DIE GRÜNEN in der Bremischen Bürgerschaft<br />
Das Bremer Schulsystem vom Kopf auf die Füße stellen Seite 2<br />
Anja Stahmann, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion<br />
von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />
Probleme der Bremer Schulentwicklungsplanung Seite 6<br />
Jürgen Burger, GEW<br />
PISA-Schock, heterogene Schullandschaft und Abwanderungs- Seite 9<br />
tendenzen – zur Einschätzung der Problemlagen<br />
<strong>Bremen</strong>s im Bildungsbereich<br />
Prof. Christian Palentien, Marius Harring und Dr. Carsten<br />
Rohlfs, Universität <strong>Bremen</strong><br />
Transkript des Eingangsstatements im Fachausschuss Seite 11<br />
‚Schulentwicklung’, Anhörung vom 12.02.2008<br />
Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis, Universität Bozen<br />
Quo vadis Bremer Schulwesen? Seite 15<br />
Peter Lankenau, Leiter des Schulzentrums Findorff<br />
10-Punkte-Programm zur Bildungspolitik in <strong>Bremen</strong> Seite 17<br />
Zentralelternbeirat <strong>Bremen</strong><br />
Erwartungen an den Schulentwicklungsplan Seite 20<br />
Wolfram Blum, Thomas Busker, Gabriele Gruß und Petra<br />
Kettler, Gesamtelternbeirat Sonderpädagogik/Förderzentren<br />
Anforderungen an die Verbesserung der Kooperation von Seite 21<br />
Schule und Erziehungshilfe (als ein Teil der Jugendhilfe)<br />
Hardmuth Groß, Geschäftsführer der Hans-Wendt-Stiftung<br />
Schulentwicklung – was ist notwendig aus Sicht des Personalrats? Seite 23<br />
Hajo Kuckero, Personalrat Schulen<br />
Schule in <strong>Bremen</strong> – die GesamtschülerInnenvertretung fordert Seite 24<br />
eine grundlegende Veränderung<br />
GesamtschülerInnenvertretung <strong>Bremen</strong><br />
Zum Stellenwert der Neugestaltung der Übergänge: Seite 25<br />
Kindergarten – Grundschule – Sekundarstufe<br />
Dr. Tobias Erzmann, Referent für Bildung, Wissenschaft, Kinder<br />
und Jugend bei der Fraktion von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />
Schulentwicklung braucht Unterstützung Seite 27<br />
Sabine Heinbockel und Stefan Siefert, Serviceagentur<br />
‚Ganztägig lernen’<br />
Bildung ist ein wesentlicher Faktor der Integration Seite 28<br />
Dr. Zahra Mohammadzadeh, integrationspolitische Sprecherin<br />
der Fraktion von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />
Assistenz: Ein Prinzip für die Zukunft Seite 30<br />
Thomas Bretschneider, Martinsclub<br />
Inklusive Erziehung behinderter Kinder vorantreiben Seite 31<br />
Horst Frehe, sozial- und behindertenpolitischer Sprecher<br />
der Fraktion von <strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN<br />
Gesellschaft und Schule müssen integrieren und nicht Seite 33<br />
weiter ausgrenzen<br />
Harry Eisenach, Sprecher des GEW-Stadtverbandes <strong>Bremen</strong>
Grundschule in <strong>Bremen</strong> – Vielfalt und Verlässlichkeit Seite 35<br />
Grundschulverband, Landesgruppe <strong>Bremen</strong><br />
Zur Bedeutung der Gymnasien in <strong>Bremen</strong> Seite 37<br />
Christa Sanders-Terhorst, Sprecherin der Bremer Abteilung in<br />
der Bundesdirektoren-Konferenz für Gymnasien und Direktorin<br />
des Alten Gymnasiums<br />
Kompetenz der Schulen in freier Trägerschaft für die Bremer Seite 39<br />
Schulentwicklung nutzen<br />
Hartwig Seggermann, Leiter der Freien Evangelischen<br />
Bekenntnisschule <strong>Bremen</strong><br />
Schule und Sozialarbeit – in <strong>Bremen</strong> denkbar? Seite 40<br />
Gerhard J. Gilbert, Leiter der ISS Gerhard-Rohlfs-Schule<br />
Länger gemeinsam lernen Seite 41<br />
Marlon A., Schüler der Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Mitte<br />
Maria Montessori: Eine hundertjährige brandaktuelle Seite 42<br />
pädadgogische Konzeption<br />
Petra Marx, Montessori-Pädagogin<br />
<strong>Die</strong> Deutsche Kammerphilharmonie zu Hause in der Seite 44<br />
Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost<br />
Franz Jentschke, Leiter der Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost
Dr. Matthias Güldner Vorwort<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
die große Koalition hat in <strong>Bremen</strong> ein<br />
Schulsystem hinterlassen, das einem<br />
Flickenteppich gleicht. <strong>Die</strong> Folgen der<br />
bisherigen Schulpolitik sind alarmierend:<br />
Jährlich verlassen in <strong>Bremen</strong> 500 Jugendliche<br />
die Schule ohne Abschluss. Etliche haben ein<br />
schlechtes Abschlusszeugnis in der Tasche,<br />
mit dem sie keine Lehrstelle finden. <strong>Die</strong><br />
Lernpotenziale der Kinder werden nicht<br />
ausgeschöpft, Förderangebote kommen zu<br />
spät, Talente werden nicht erkannt. <strong>Die</strong><br />
soziale Herkunft bestimmt über die<br />
Bildungschancen. Das gegliederte Schulsystem lädt dazu ein, SchülerInnen<br />
abzuschieben statt sie zu fördern.<br />
Trotz schwieriger Arbeitsbedingungen bemühen sich Bremer LehrerInnen<br />
verantwortungsvoll um die Kinder und Jugendlichen. Dafür haben sie<br />
unsere Anerkennung. Um <strong>Bremen</strong>s Schulen besser zu machen, brauchen<br />
wir motivierte Lehrkräfte. Sie sind die treibende Kraft der Schulentwicklung.<br />
Um die Qualität des Unterrichts zu verbessern, benötigen PädagogInnen<br />
auch Förderung und Unterstützung. Wir wollen weg vom<br />
EinzelkämpferInnentum hin zur Teamarbeit. Damit wollen wir sicherstellen,<br />
dass Schulen beim Absacken schulischer Leistungen von Kindern und<br />
Jugendlichen früher eingreifen und unterstützend wirken können. Denn die<br />
Förderung in der Schule gelingt bislang noch nicht zufrieden stellend, wie<br />
der jüngste Evaluationsbericht erneut untermauert hat.<br />
<strong>Die</strong> Schlussfolgerungen aus diesem Bericht sind eindeutig: Wir müssen die<br />
Qualität des Bremer Schulwesens verbessern. Denn wir dürfen es uns nicht<br />
länger leisten, die Begabungen so vieler SchülerInnen weiter brachliegen zu<br />
lassen. Rot-Grün geht das Problem an. Wir haben einen Fachausschuss der<br />
Bildungsdeputation eingesetzt, der Vorschläge für ein besseres Schulsystem<br />
erarbeitet. <strong>Die</strong> <strong>Grünen</strong> haben klare Ziele: Wir setzen uns für eine engere<br />
Verzahnung von Kindergarten und Grundschule ein. Wir wollen die<br />
individuelle Förderung stärken – nicht nur bei lernschwachen, sondern auch<br />
bei begabten Kindern und Jugendlichen. Wir wollen die Durchlässigkeit des<br />
Schulsystems verbessern. Wir bauen den Anteil der Ganztagsschulen aus,<br />
denn sie bieten mehr Zeit für Bildung und Betreuung und damit für eine<br />
1<br />
kindgerechte Lernkultur. <strong>Die</strong> Ganztagsschulen tragen zur Integration sowie<br />
zum sozialen Zusammenhalt bei und erleichtern die Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie. Allerdings können wir auch in der Bildungspolitik <strong>Bremen</strong>s<br />
Haushaltsnotlage nicht ignorieren. Angesichts der engen Spielräume muss<br />
vieles Wünschenswerte peu a peu umgesetzt werden.<br />
Trotz unterschiedlicher Akzentuierung: Bei den Schulen ist der Wille zur<br />
Veränderung überwiegend da. Das zeigen die Beiträge im vorliegenden<br />
Reader, für die wir uns bei den zahlreichen AutorInnen ganz herzlich<br />
bedanken. Eine Weiterentwicklung des Bremer Schulwesens kann nur<br />
gelingen, wenn wir einen weitestgehenden Konsens darüber erzielen. Gut<br />
ausgebildete Menschen sind unsere Zukunft. Fördern wir alle Talente.
Anja Stahmann Das Bremer Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen<br />
Das Bremer Bildungssystem<br />
vom Kopf auf die Füße<br />
stellen<br />
<strong>Bremen</strong> braucht einen Neuanfang in der<br />
Schulentwicklung. Weg von einem<br />
Schulsystem, bei dem keiner mehr so richtig<br />
durchblickt. Weg von einer unnötigen<br />
Bürokratie, die den Schulen die Beweglichkeit<br />
nimmt. Weg von den vielen<br />
Einzelmaßnahmen, die in den vergangenen<br />
Jahren die Schulpolitik gekennzeichnet<br />
haben. Weg von einem Schulwesen, dessen<br />
Ergebnisse international nicht mithalten<br />
können. Weg von einem Schulsystem, das<br />
Jahr für Jahr ca. 500 Jugendliche ohne Abschluss verlassen. Weg von einem<br />
ungerechten Schulsystem, in dem die soziale Herkunft den Bildungsweg<br />
stark beeinflusst. Weg von einem Schulsystem, das Kinder aussortiert und<br />
beschämt.<br />
Alle Kinder wollen lernen. Schule soll Spaß machen und die Lust am Lernen<br />
und an Leistung fördern. Stimmt das Schulklima, gehen Schülerinnen und<br />
Schüler sowie Lehrkräfte gerne in die Schule.<br />
Wir wollen hin zu einer Schule, die die Lust am Lernen und Leistung fördert.<br />
Eine Schule, die sich für ihre SchülerInnen verantwortlich fühlt. Hin zu<br />
einem Bildungssystem, in dem niemand in Begabungsschubladen einsortiert<br />
wird. <strong>Die</strong> Durchlässigkeit nach oben ist hierbei ein zentraler Baustein. Wir<br />
wollen hin zu einer Schule, in der jedes Kind individuell gefördert wird. Hin<br />
zu einer Schule, die sich der Idee des gemeinsamen Unterrichts ohne<br />
Aussonderung verschrieben hat.<br />
In <strong>Bremen</strong> gibt es vereinzelt solche Schulen. Ihnen gebührt<br />
Aufmerksamkeit. Von ihnen können andere Schulen lernen.<br />
Eine solche Wunschschule kommt nicht von heute auf morgen. Sie ist das<br />
Ergebnis eines Lernprozesses, den andere Länder in Europa mit ihren<br />
Schulen bereits gegangen sind. Und auch bei uns bewegt sich etwas.<br />
2<br />
Derzeit wird wieder munter über die Verbesserung der Schule und auch<br />
über Schulstrukturen diskutiert. Im Raum steht u.a. die Idee einer „Schule<br />
für alle“. Verstärkt wird auch über ein Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasien<br />
und Gesamtschulen diskutiert. In unserem Reader finden sich zu diesen<br />
Ansätzen spannende Vorschläge. Das gegliederte Schulwesen wird von<br />
vielen in Frage gestellt. <strong>Die</strong> frühe Trennung der Kinder nach Klasse 4 und<br />
das Festlegen auf Bildungswege vergeudet Talente.<br />
In einem großen gesellschaftlichen Konsens haben die PISA-Besten<br />
Schweden und Finnland ihr Bildungswesen neu erfunden und sich für eine<br />
leistungsstarke Gemeinschaftsschule bis zur 9 Klasse entschieden. Erst<br />
dann erfolgt die Spezialisierung. Aus meiner Sicht das beste Modell.<br />
Kindgerechte Lernkultur und die Lust an Leistung ist dort keine Utopie. Über<br />
60% legen dort ihr Abitur ab. Bei uns sind es gerade mal 30%. <strong>Die</strong><br />
besseren Leistungen haben nichts mit dem Essen von Knäckebrot zu tun,<br />
wie manch Schwede unkt.<br />
Der OECD-Experte Mats Ekholm sagte: „Das gegliederte Schulsystem ist<br />
nicht mehr zeitgemäß, insbesondere für ein modernes Land in der EU. Der<br />
Arbeitsmarkt und die Wirtschaft orientieren sich an der EU. <strong>Die</strong> Schulformen<br />
noch nicht.“<br />
In den vergangenen vier Jahren haben wir Grüne zahlreiche<br />
Veranstaltungen rund um das Thema Bildung organisiert. Wir haben viele<br />
kluge Menschen befragt, wie sie das Bildungswesen bei uns verändern<br />
würden. <strong>Die</strong>se Blicke von außen waren u.a. schwedisch, finnisch, kanadisch,<br />
französisch und niederländisch. <strong>Die</strong> Empfehlungen und Vorschläge geben<br />
den Weg vor: z.B. Verantwortung übernehmen oder Qualität überprüfen.<br />
Hieraus leite ich nun einige aus meiner Sicht wichtige Entwicklungsimpulse<br />
ab.<br />
1. Empfehlung: Früh investieren – das Fundament stärken –<br />
den Schatz der frühen Jahre heben<br />
Andere Länder investieren mehr Geld in die Kindergärten, in Vorschulen<br />
und Grundschulen und weniger ins folgende Bildungswesen. Bei uns ist es<br />
bisher umgekehrt. Für Große geben wir mehr aus als für die Kleinsten und<br />
Kleinen. Das muss sich ändern. Wir müssen in <strong>Bremen</strong> das Bildungssystem
Anja Stahmann Das Bremer Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen<br />
vom Kopf auf die Füße stellen. Mehr unten investieren und später weniger<br />
reparieren. Das rechnet sich.<br />
Kindergärten und Grundschulen gehören zum Fundament des<br />
Bildungswesens. Kinder sind hochtourige Lerner, sie lernen spielerisch und<br />
sind wissbegierig. Es ist gut, dass in <strong>Bremen</strong> über 94% der Kinder einen<br />
Kindergarten besuchen. Darin liegt eine große Chance. Forschendes Lernen<br />
beginnt längst vor der Schule. Das Spielen hat eine zentrale Rolle im Leben<br />
des Kindes und hilft ihm, die Umwelt zu erobern. Durch das Spiel entwickelt<br />
sich das Kind sozial, gefühlsmäßig, motorisch, sprachlich und intellektuell.<br />
Kinder brauchen gut ausgebildete Fachkräfte.<br />
Eine bessere Personalausstattung in Kitas ist überfällig. Dafür werden in<br />
einer finanziellen Kraftanstrengung derzeit über 20 Millionen Euro zusätzlich<br />
(!) vom rot-grünen Senat bereitgestellt.<br />
2. Empfehlung: Ausbildung verbessern<br />
Ein alter Hut, aber immer noch wichtig: Wir brauchen eine<br />
ErzieherInnenausbildung auf europäischem Niveau. Und eine bessere<br />
praxisnahe LehrerInnenausbildung. Eine stärkere Vermittlung von<br />
interkulturellen Kompetenzen in der Ausbildung ist insgesamt notwendig.<br />
Sinnvoll ist es auch mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund für die<br />
pädagogischen Berufe zu gewinnen. <strong>Die</strong>se Vorbilder sind wichtig.<br />
In den Kindergärten und Grundschulen fehlen männliche Pädagogen. Für<br />
die Entwicklung der Kinder sind Männer und Frauen wichtig. Nur 10% der<br />
Beschäftigten in Bremischen Kitas sind bisher männlich. Dabei stellen die<br />
Kindergärten einen zentralen Ort zur Sozialisierung und Rollenfindung<br />
unserer Kinder dar. Gerade für die Identitätsbildung der Jungen spielen<br />
männliche Mitarbeiter als Bezugspersonen eine wichtige Rolle. Aus<br />
pädagogischer Sicht muss der Anteil männlicher Erzieher und<br />
Sozialpädagogen daher gesteigert werden. Es bedarf einer umfassenden<br />
Strategie, das Berufsfeld KTH für Männer attraktiver zu gestalten und<br />
Vorbehalte abzubauen.<br />
Wir brauchen in Deutschland zudem mehr Forschung über frühkindliche<br />
Bildung. Es gibt immer noch mehr Professuren für Steinzeitkunde in<br />
Deutschland als für frühe Bildung. Das weiterbildende Studium<br />
‚Frühkindliche Bildung’ an der Uni <strong>Bremen</strong> ist ein Pfund. Damit haben<br />
3<br />
praxiserfahrene Erzieherinnen und Erzieher auch ohne<br />
Hochschulzugangsberechtigung die Chance, sich auf Universitätsniveau<br />
weiterzubilden. <strong>Die</strong> gemeinsame Qualifizierung von ErzieherInnen und<br />
PädagogInnen ist in anderen europäischen Ländern selbstverständlich.<br />
3. Empfehlung: Sprache – Schlüssel zur Teilhabe<br />
Da in <strong>Bremen</strong> 50% der Kinder einen Migrationshintergrund haben und<br />
Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, brauchen wir eine verbesserte<br />
integrierte Sprachförderung, die früh im Kindergarten beginnt und von der<br />
Schule fortgeführt wird. Vermehrt zeigen sich auch Sprachauffälligkeiten bei<br />
Kindern mit deutschen Eltern. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Wer die<br />
deutsche Sprache beherrscht, hat es nicht nur in der Schule leichter. Wir<br />
brauchen eine Sprachförderung, die früh beginnt und sich an den<br />
tatsächlichen Bedarfen orientiert. Das bisherige Sprachförderprogramm ist<br />
eher das Modell „Tropfen auf den heißen Stein“. Es muss auf den Prüfstand.<br />
4. Empfehlung: Übergänge gestalten – gemeinsame<br />
Bildungspläne entwickeln<br />
Ein gemeinsamer Bildungsplan für Vorschule und Schule muss endlich<br />
entwickelt werden. Bisher arbeiten beide Nachbarbereiche nicht<br />
systematisch zusammen. <strong>Die</strong>se Abkapselung darf es nicht weiter geben.<br />
In Schweden hat sich folgende Vorgehensweise als günstig erwiesen: Zwei<br />
Monate vor dem Übergang treffen sich die pädagogischen Teams aus<br />
Vorschule und Schule zu einem Übergabegespräch. Grundlage dafür ist eine<br />
Dokumentation sowie das persönliche Portfolio des Kindes, also zumeist<br />
eine Mappe mit ausgewählten Arbeitsergebnissen. Zwei Monate nach<br />
Schulbeginn trifft man sich dann erneut – zur Rückmeldung an die<br />
Vorschule und als Gelegenheit für weitere Nachfragen. <strong>Die</strong> Einführung von<br />
Portfolios und Lernentwicklungsberichten ist sinnvoll.<br />
5. Empfehlung: <strong>Die</strong> Grundschule als Gemeinschaftsschule<br />
stärken<br />
Grundschulen sind bislang die einzigen echten Gemeinschaftsschulen. <strong>Die</strong><br />
internationale Grundschuluntersuchung IGLU bescheinigt der Grundschule
Anja Stahmann Das Bremer Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen<br />
gute Arbeit. <strong>Die</strong> Studie zeigt aber gleichzeitig die bereits auftretenden<br />
schlechteren Bildungschancen bei sozial benachteiligten Kindern.<br />
Um eine bessere individuelle Förderung der Kinder zu organisieren,<br />
brauchen wir nicht nur gut ausgebildete Lehrkräfte, sondern auch mehr<br />
Personal. Grundschulen in sozialen Brennpunkten benötigen eine<br />
Doppelbesetzung im Unterricht. <strong>Die</strong>se Assistenzen entlasten und<br />
unterstützen.<br />
6. Empfehlung: Längeres gemeinsames Lernen fördern<br />
In anderen Ländern sind Schulen selbstverständlich Ganztagsschulen. Sie<br />
bieten viele Vorteile. Durch eine bessere Verzahnung von Unterricht und<br />
Freizeitangeboten schaffen sie den optimalen Rahmen zur individuellen<br />
Förderung aller Schülerinnen und Schüler. Das funktioniert nur, wenn alle<br />
Kinder auch am Nachmittag in der Schule sind.<br />
Kinder haben in der Ganztagsschule vier LehrerInnen: die ausgebildeten<br />
PädagogInnen, die MitschülerInnen, den Raum und vor allem die Zeit.<br />
Letzteres bietet die Chance zu einem Ganztagsmodell aus einem Guss: Dort<br />
wechseln sich über den ganzen Tag verteilt Lernangebote und<br />
Entspannungsphasen ab. Der Unterricht im 45-Minuten-Takt ist überholt<br />
und nicht kindgerecht. <strong>Die</strong> Aufnahmefähigkeit wird überfordert, wenn<br />
sechs, sieben oder sogar acht Stunden in Folge Pauken angesagt ist.<br />
<strong>Die</strong> PISA-Sieger Finnland, Kanada und Schweden punkten entscheidend mit<br />
längerem gemeinsamem Lernen.<br />
Im zergliederten Bremer Schulsystem sind Grundschulen gewissermaßen zu<br />
einer Art Verteilungsagentur von zehnjährigen Kindern geworden. Damit<br />
belastet man unnötig die pädagogische Arbeit, übt Druck auf die Kinder aus<br />
und verschwendet Zeit aufs Sortieren in die vermeintlich richtige<br />
Begabungsschublade. SpätzünderInnen, LangsamlernerInnen und<br />
Migrantenkinder haben es schwer. Eltern fühlen sich überfordert bei dieser<br />
Entscheidung.<br />
<strong>Die</strong> wenigen sechsjährigen Grundschulen in <strong>Bremen</strong> sind im bisherigen<br />
Schulsystem zu Insellösungen geworden. <strong>Die</strong> leistungsstärkeren Kinder<br />
wählen den direkten Weg zum Gymnasium ab Klasse 4, weil sie nur dann<br />
4<br />
ihre bevorzugte Schule frei wählen können. Nach Klasse 6 sind beliebte<br />
Schulen voll. Außerdem bestimmen zu diesem Zeitpunkt nur noch die<br />
Schulen den zu wählenden Bildungsgang. Das alles schmälert die<br />
Attraktivität der sechsjährigen Grundschule. Das ist ein Dilemma.<br />
Ein Ausweg könnten Schulverbünde zwischen den Schulformen des Primar-<br />
und Sekundarbereichs sein. <strong>Die</strong> integrative Arbeit der Grundschule würde<br />
damit in die weiterführenden Schulen getragen werden. Ein Modell, das bei<br />
entsprechender Vorbereitung und Ausstattung auch Eltern überzeugen<br />
kann.<br />
Integrative Pädagogik muss gepuscht und befördert werden. Schulzentren,<br />
Gymnasien und Sekundarschulen, die sich integrativ weiterentwickeln<br />
wollen, sollten inhaltliche und materielle Hilfestellungen sprich Fortbildung,<br />
Coaching und Stundenzuweisungen bekommen.<br />
7. Empfehlung: Stärkere individuelle Förderung<br />
und Unterricht verbessern<br />
Lernen gelingt nicht im Gleichschritt, sondern ist die individuellste Sache<br />
der Welt. Deshalb ist es wichtig, dass PädagogInnen lernen, anders zu<br />
lehren. Sie sollen zu LernberaterInnen werden.<br />
Entscheidend ist, was im Klassenzimmer passiert. Schlechter Unterricht in<br />
einer Ganztagsschule bleibt schlechter Unterricht. Es gibt in <strong>Bremen</strong> guten<br />
Unterricht in allen Schulformen. Und es gibt schlechten Unterricht in allen<br />
Schulformen. Nach dem sogenannten PISA-Schock hat sich auch an<br />
<strong>Bremen</strong>s Schulen einiges getan. Viele Lehrerinnen und Lehrer an Bremer<br />
Schulen leisten Hervorragendes. Sie machen keinen <strong>Die</strong>nst nach Vorschrift,<br />
sondern bemühen sich um die Kinder und Jugendlichen. Wenn wir in<br />
<strong>Bremen</strong> die Schulen besser machen wollen, brauchen wir motivierte und<br />
gesunde PädagogInnen. Sie sind der Motor für die Schulentwicklung.<br />
Auch Lehrkräfte brauchen Fortbildung, Nachhilfe und Unterstützung. Sie<br />
sollen verstärkt in Jahrgangsteams arbeiten und sich zu LernberaterInnen<br />
qualifizieren. Sie müssen die ExpertInnen sein, die erfolgreich<br />
unterschiedliche Lernmethoden vermitteln.
Anja Stahmann Das Bremer Bildungssystem vom Kopf auf die Füße stellen<br />
8. Empfehlung: Von der Kooperation zur Inklusion<br />
<strong>Bremen</strong> gilt als eine Vorzeigestadt bei der Integration von behinderten<br />
Kindern und Jugendlichen. Fast 60 % aller Schülerinnen und Schüler mit<br />
anerkanntem sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen,<br />
Sprache und Verhalten werden derzeit integrativ in Regelschulen gefördert.<br />
Bundesweit sind es oft nur 10%.<br />
Insgesamt haben bereits 6,8% aller bremischen SchülerInnen im Primar-<br />
und Sekundarbereich einen anerkannten sonderpädagogischen<br />
Förderbedarf.<br />
<strong>Die</strong> bisher freiwillige Kooperation zwischen Förderzentren und<br />
Sekundarstufen hat nur teilweise funktioniert. Eine neue Idee ist zu<br />
diskutieren: Jeder Standort der Sek. I entwickelt mit dem zuständigen<br />
Förderzentrum ein standortbezogenes Konzept mit dem Ziel, Kinder mit<br />
sonderpädagogischem Förderbedarf LSV (Lernen, Sprache und Verhalten)<br />
am Standort der Regelschule integrativ zu beschulen. <strong>Die</strong>ses Konzept<br />
könnte ab dem Schuljahr 2009/10 mit dem ersten Jahrgang 5 verbindlich<br />
umgesetzt und dann in den kommenden Schuljahren mit dem jeweils neuen<br />
Jahrgang ausgeweitet werden. Das hieße, zum Schuljahr 2014/2015 sind<br />
dann alle isoliert beschulten Klassen an den Förderzentren ausgelaufen.<br />
Parallel dazu bekämen die integrativ arbeitenden Regelschulen zusätzliche<br />
Ressourcen.<br />
9. Empfehlung: Schlüsselrolle SchulleiterIn<br />
In anderen Ländern haben Schulleiterinnen und Schulleiter keine<br />
Unterrichtsverpflichtung. Sie können ihre gesamte Arbeitszeit für ihre<br />
Leitungsaufgaben verwenden. Das ist sinnvoll, aber bei uns noch<br />
Zukunftsmusik. Dennoch wird es wichtig sein, hier bei der weiteren<br />
Schulentwicklung anzusetzen und die Schulleitungen bei der wichtigen<br />
Arbeit der Schulentwicklung stärker zu unterstützen. SchulleiterIn ist kein<br />
Halbtagsjob. Er besteht zu einem Großteil aus Managementaufgaben: z.B.<br />
Personalführung, Kooperation mit Kindergärten, Beiräten, Sportvereinen<br />
und anderen Organisationen im Stadtteil, den Verhandlungen mit<br />
zahlreichen bremischen Gesellschaften über nötige Bauarbeiten und<br />
Sanierungsmaßnahmen sowie der Betreuung von Honorarkräften. Der Beruf<br />
der Schulleitung erfordert eine qualifizierte Ausbildung vor Amtsantritt.<br />
5<br />
Besonders in Grundschulen müssen schrittweise Leitungen stärker vom<br />
Unterricht freigestellt werden.<br />
10. Empfehlung: Eigenverantwortliche Schule stärken –<br />
Bürokratie abbauen<br />
In den vergangenen Jahren haben wir viel über selbstständige Schule<br />
diskutiert. Wir brauchen verantwortliche Schulen im Stadtteil, die ihre<br />
Ressourcen verwalten und für die Resultate ihrer Arbeit verantwortlich sind.<br />
Das bedeutet aber auch, dass die Bildungsverwaltung ihre bisherige<br />
vorsorgliche Belagerung der Schulen aufgeben muss. An deren Stelle tritt<br />
dann die verpflichtende externe und interne Evaluation. <strong>Die</strong> finanziellen<br />
Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume müssen von der Politik<br />
verbindlich gewährleistet sein. Transparenz für die Schulen ist unerlässlich.<br />
<strong>Die</strong> Schulen sind im Gegenzug verantwortlich für Initiativen zu ihrer<br />
Verbesserung und für die Orientierung in ihrem Umfeld. Schulen sollen sich<br />
dem Stadtteil öffnen und mit Jugendhilfe, Sport, Kultur und Betrieben<br />
kooperieren.
Jürgen Burger Probleme der Bremer Schulentwicklungsplanung<br />
Probleme der Bremer<br />
Schulentwicklungsplanung<br />
Im Koalitionsvertrag wird ein neuer<br />
Schulentwicklungsplan für die Stadtgemeinde<br />
<strong>Bremen</strong> angekündigt. Er soll bis zum Frühjahr<br />
2008 „zügig unter Einbeziehung der fachlich<br />
Betroffenen und mit externer Unterstützung“<br />
erarbeitet werden. Wer einen neuen Plan<br />
machen will, sollte die vorangegangenen<br />
Pläne kennen und analysieren, was aus ihnen<br />
geworden ist.<br />
Deshalb wird hier im ersten Teil ein kurzer<br />
Überblick über die hoffnungsvolle Entstehung und anschließende Stagnation<br />
des Bremer Stufenschulsystems gegeben. Im zweiten Teil folgt eine<br />
Beschreibung der offensichtlichsten Fehlentwicklungen der vergangenen<br />
Jahre. Zum Schluss werden einige Vorschläge gemacht, an welchen<br />
Prinzipien sich ein neuer Plan orientieren sollte.<br />
I. Was die große Koalition vorfand<br />
<strong>Bremen</strong> als Vorreiterin einer integrativen Schulentwicklung (1975 – 1983)<br />
1970 hatte der Deutsche Bildungsrat die Umwandlung der dreigliedrigen<br />
westdeutschen Schulstruktur in ein integriertes Stufenschulsystem<br />
gefordert. <strong>Die</strong>se Empfehlung berücksichtigte die internationale Entwicklung<br />
und sollte eine „Ausschöpfung der Begabungsreserven“ ermöglichen. In<br />
<strong>Bremen</strong> wurde der bundesweit konsequenteste Versuch gestartet, den<br />
Strukturplan des Bildungsrats umzusetzen. Das Schulgesetz von 1975 sah<br />
in seinem § 3 ein „integriertes Gesamtsystem“ vor. Kern war dabei die<br />
Bildung von Sek. I-Zentren mit der Orientierungsstufe als integrierter<br />
Eingangsphase. Später sollte die Integration der Jahrgänge 7 bis 10 folgen.<br />
Darauf aufbauend wurden Sek. II-Zentren gegründet, die zur Integration<br />
von beruflicher und allgemeiner Bildung dienen sollten.<br />
6<br />
Der Stillstand der Reform (1983 – 1993)<br />
Da die bundesweite Entwicklung zur Stufenschule scheiterte (insbesondere<br />
nach dem CDU-Volksbegehren gegen die „Koop-Schule“ in NRW) und auch<br />
in <strong>Bremen</strong> konservative Kräfte den Bestand eines isolierten gymnasialen<br />
Bildungsganges zäh verteidigten, wurde die Integration der Sekundarstufe I<br />
seit 1983 nicht mehr vorangetrieben. Unter der Überschrift der<br />
„Konsolidierung“ entstand ein Schulsystem im labilen Gleichgewicht: 30<br />
Sek. I-Zentren standen drei Gesamtschulen und zwei isolierte Gymnasien<br />
als überregionales Wahlangebot gegenüber. Sie dienten als „Ventil“ für<br />
diejenigen Teile der Elternschaft, denen die Teil-Integration im<br />
Schulzentrum (OS mit anschließender Aufteilung nach Schularten) nicht<br />
weit genug oder zu weit ging.<br />
Seit Ende der 80er Jahre gab es vermehrte Initiativen von „links“ und<br />
„rechts“, die einerseits eine Umwandlung von Schulzentren in<br />
Gesamtschulen (Integrierte Stadtteilschulen), andererseits die<br />
Wiedergründung isolierter Gymnasien forderten. Mit der Ampelkoalition von<br />
1991 waren beide Strömungen auch stärker in der Landesregierung<br />
repräsentiert. Man einigte sich auf die Einsetzung einer Schulreform-<br />
Kommission.<br />
Problemanalyse und Empfehlungen der Klafki-Kommission (1993)<br />
<strong>Die</strong> nach ihrem Vorsitzenden Prof. Wolfgang Klafki benannte Schulreform-<br />
Kommission legte die ungelösten Probleme der „konsolidierten“ – d.h.<br />
unvollendeten – Bremer Schulreform offen: <strong>Die</strong> Sek. I-Zentren waren als<br />
Übergangsmaßnahme zur flächendeckenden Integration der Sekundarstufe<br />
I geplant worden. Als Dauererscheinung war ihr entscheidender Nachteil,<br />
dass sie für die SchülerInnen einen doppelten Lerngruppenwechsel nach<br />
Klasse 4 und Klasse 6 vorsahen. Außerdem begünstigten sie die Tendenz,<br />
SchülerInnen vom Gymnasium zur Realschule und von der Realschule zur<br />
Hauptschule zurück zu stufen, da alle drei Schularten im selben Gebäude<br />
vorhanden waren.<br />
Trotz dieser Mängel sah die Kommission „keinen begründeten Anlass dafür,<br />
eine prinzipielle Revision der Grundstruktur des Schulaufbaus, nämlich des<br />
Stufenprinzips, zu empfehlen. <strong>Die</strong>ses Prinzip entspricht grundsätzlich dem<br />
demokratischen Erfordernis, jedem Kind und Jugendlichen günstige Lern-
Jürgen Burger Probleme der Bremer Schulentwicklungsplanung<br />
und Förderungsmöglichkeiten zu bieten.“ <strong>Die</strong> Kommission empfahl<br />
insbesondere, die Kooperation zwischen den Schulstufen vor Ort zu<br />
verbessern, um durchgängige Bildungsgänge zu ermöglichen. <strong>Die</strong><br />
flächendeckende Integration der Sekundarstufe I hielt sie für „kurzfristig“<br />
nicht durchsetzbar, stellte aber fest: „Vielmehr soll die integrierte<br />
Gesamtschule in <strong>Bremen</strong> als mögliche und pädagogische<br />
Langzeitperspektive festgehalten werden.“ Dabei sollte die Initiative zur<br />
Integration von den einzelnen Schulen ausgehen.<br />
Außerdem sprach sich die Kommission gegen eine Auflösung der<br />
Schulbezirksgrenzen aus, weil hierdurch eine soziale Entmischung zu<br />
befürchten sei. Vielmehr sollte die Wahlfreiheit zwar erweitert, bei der<br />
Aufnahme aber das Wohnortprinzip an die erste Stelle gesetzt werden.<br />
II. Was die große Koalition hinterlässt<br />
<strong>Die</strong> zunehmende Aushöhlung des Schulsystems (1995 – 2003)<br />
Das mit großem Aufwand angekündigte, aber politisch unbequeme<br />
Gutachten wurde sofort nach seinem Erscheinen ad acta gelegt. Schon in<br />
der Ampelkoalition hatte die FDP durchgesetzt, dass die Zahl der isolierten<br />
Gymnasien von zwei auf vier erhöht wurde. Gleichzeitig wurde drei<br />
Schulzentren gestattet, sich in Integrierte Stadtteilschulen (IS)<br />
umzuwandeln. Von 1995 bis 2000 gründete die große Koalition drei weitere<br />
isolierte Gymnasien. Hierdurch gerieten die Schulzentren in eine immer<br />
kritischere Lage, da ihr Anteil an den SchülerInnen mit<br />
Gymnasialempfehlung immer kleiner wurde. Obwohl 1999 den sieben<br />
Gymnasien immerhin noch 28 Schulzentren gegenüber standen, besuchte<br />
mehr als ein Drittel der GymnasialschülerInnen (36%) bereits wieder ein<br />
isoliertes Gymnasium.<br />
Problemverschärfend wirkte sich der drastische Abbau von<br />
LehrerInnenstellen aus. Er geschah vor allem zu Lasten der integrierten<br />
Systeme: Der bis dahin eingehaltene Grundsatz, dass Integration durch die<br />
Zuweisung von Lehrerstunden gefördert werden muss, wurde aufgegeben.<br />
<strong>Die</strong> Frequenzen in der Orientierungsstufe und den Gesamtschulen wurden<br />
am massivsten erhöht.<br />
7<br />
<strong>Die</strong> Wiedereinführung des selektiven Systems ab Klasse 5 (2004)<br />
Nachdem Ministerpräsident Gabriel (SPD) in Niedersachsen die Abschaffung<br />
der Orientierungsstufe verkündet hatte, verstärkte auch die CDU in <strong>Bremen</strong><br />
den Druck, diesem Beispiel zu folgen. <strong>Die</strong> Veröffentlichung des Bremer<br />
PISA-Ergebnisses war der willkommene Anlass, eine grundsätzliche<br />
Revision der bisherigen Bremer Schulpolitik zu verkünden. Mit dem<br />
Schulgesetz von 2004 wurde die Orientierungsstufe aufgelöst. Gleichzeitig<br />
wurde die Wahlfreiheit der Schulart und des Schulstandortes nach der<br />
vierten Klasse verkündet. Real- und Hauptschule wurden bis zur 8. Klasse<br />
zur Sekundarschule zusammengefasst. <strong>Die</strong> Schulzeit im Gymnasium wurde<br />
von 9 auf 8 Jahre verkürzt, so dass nebeneinander ein „Gymnasialabitur“<br />
nach 12 Jahren und ein „Gesamtschulabitur“ nach 13 Jahren entstanden.<br />
Chaos, Konkurrenz und ungelöste Grundprobleme<br />
<strong>Die</strong> schulpolitischen Entscheidungen der großen Koalition haben nicht nur<br />
zu einer extremen Unübersichtlichkeit des Bremer Schulsystems geführt,<br />
sondern auch zu großer Instabilität und ausgeprägter Schizophrenie der<br />
Anforderungen:<br />
● <strong>Die</strong> Grundschulen sollen sowohl die ehemalige Sonderschule für<br />
Lernbehinderte integrieren und das Lehren in heterogenen Lerngruppen<br />
weiter entwickeln als auch mit Zensuren und Schulempfehlungen das<br />
Geschäft der Auslese betreiben.<br />
● <strong>Die</strong> Sekundarschulen sollen einen integrativen Bildungsgang mit<br />
möglichst vielen Realschulabschlüssen entwickeln, werden aber nur noch<br />
von 15,7% des 4. Jahrganges angewählt – haben also fast die gleiche<br />
SchülerInnenschaft wie vorher die Hauptschule.<br />
● <strong>Die</strong> Gesamtschulen, deren Zahl sich inzwischen auf 13 erhöht hat, sollen<br />
die ganze Bandbreite des Bildungsangebots sichern, erhalten aber für ihre<br />
zusätzlichen integrativen Aufgaben keine ausreichende personelle<br />
Ausstattung.<br />
● <strong>Die</strong> Grundidee des Förderzentrums, die Sonderschule nach und nach in<br />
das Regelschulsystem zu integrieren, wird verkürzt auf die Möglichkeit, mit<br />
Schulzentren und Gesamtschulen zu kooperieren. Das Gymnasium bleibt<br />
separiert.<br />
● <strong>Die</strong> Gymnasien, die inzwischen 51,5% aller SchülerInnen aufnehmen,<br />
sollen diese ab Klasse 5 fördern und gleichzeitig den gymnasialen<br />
Bildungsgang von 9 auf 8 Jahre komprimieren. Das neue System ist nicht<br />
nur hoch selektiv, sondern auch chaotisch. Der komprimierte Bildungsgang
Jürgen Burger Probleme der Bremer Schulentwicklungsplanung<br />
ist spätestens in der 7. Klasse für SeiteneinsteigerInnen nicht mehr<br />
zugänglich. Zugleich ist das Anwahlverhalten kaum planbar. Eltern- und<br />
SchülerInnenfrust als Ergebnis der Zuweisung zu einer Schule der zweiten<br />
oder dritten Wahl wird zur ständigen Begleiterscheinung. Einerseits sind<br />
Schulen von Schließung bedroht, andererseits rufen überfüllte Schulen nach<br />
Baumaßnahmen.<br />
● Der Sog der isolierten Gymnasien verwandelt nicht nur die verbliebenen<br />
21 Sek. I-Zentren nach und nach in Haupt- und Realschulen, die Sek. II-<br />
Zentren verlieren damit auch Teile ihres Unterbaus. Gleichzeitig sollen sie in<br />
Zukunft eine SchülerInnenschaft aufnehmen und integrieren, die aus dem<br />
10. Jahrgang der Gesamtschulen und dem 9. Jahrgang der Schulzentren<br />
kommt.<br />
● Gymnasien und Sek. II-Zentren haben zudem in den Jahren 2009 bis<br />
2011 einen doppelten Abiturjahrgang zu verkraften.<br />
Dass die von der großen Koalition bewerkstelligte Zerschlagung des<br />
Stufenschulsystems <strong>Bremen</strong> dem vorgegebenen Ziel – der Verbesserung<br />
der PISA-Ergebnisse – auch nur einen Schritt näher bringt, muss mit Fug<br />
und Recht bezweifelt werden. Als Indiz kann gelten, dass Hamburg, das<br />
sich seit 30 Jahren eines Schulsystems erfreut, wie es in <strong>Bremen</strong> gerade<br />
etabliert wurde, das zweitschlechteste Ergebnis erzielt. Der Anteil der<br />
Hartz-IV-Empfangenden und der Kinder mit Migrationshintergrund ist dort<br />
übrigens nach <strong>Bremen</strong> am zweithöchsten, was auf eine hohe Korrelation<br />
zwischen diesen Werten und den Testergebnissen hinweist.<br />
III. „Eine Schule für alle“ oder „Zwei-Säulen-Modell“?<br />
Das Bundesland und insbesondere die Stadtgemeinde <strong>Bremen</strong> befindet sich<br />
in einer absurden Situation: In ganz Deutschland wird das nächste<br />
Jahrzehnt von schulpolitischen Veränderungen geprägt sein. Selbst die CDU<br />
muss inzwischen eingestehen, dass die Hauptschule keine Perspektive mehr<br />
hat. <strong>Die</strong> entscheidende Frage in der zukünftigen Schulentwicklung wird<br />
sein, ob es zu einem „Zwei-Säulen-Modell“ aus Gymnasium und<br />
Gesamtschule (in Großstädten wie <strong>Bremen</strong> im Verhältnis 50:50) oder zu<br />
einer gemeinsamen Schule für alle Kinder und Jugendlichen bis zur 10.<br />
Klasse kommt. Noch vor fünf Jahren hätte die Bremer Schullandschaft die<br />
bundesweit besten Möglichkeiten geboten, den zukunftsweisenden Weg zu<br />
einem integrierten System zu gehen. Durch die Politik der großen Koalition<br />
sind die zu lösenden Fragen jetzt weit schwieriger geworden.<br />
8<br />
Ohne eine systematische, Integration bewusst fördernde Bildungspolitik<br />
wird sich in <strong>Bremen</strong> „naturwüchsig“ das von der CDU und von Teilen der<br />
SPD favorisierte Zwei-Säulen-Modell durchsetzen. Ein solches<br />
„Hineinstolpern“ in ein zweigliedriges Schulsystem ist für die längerfristige<br />
gesellschaftliche Entwicklung fatal: Es begünstigt und verstärkt die<br />
Spaltung in „Modernisierungsgewinner“ und „Modernisierungsverlierer“,<br />
statt ihr entgegen zu wirken. SPD und Grüne in <strong>Bremen</strong> werden sich in<br />
dieser Legislaturperiode entscheiden müssen, ob sie einer solchen<br />
Entwicklung durch Formelkompromisse und faktische Untätigkeit Vorschub<br />
leisten oder ob sie die Instrumente einer integrativen Schulpolitik<br />
entwickeln wollen.<br />
Trotz der restaurativen Politik in den vergangenen zwölf Jahren stehen in<br />
der Stadtgemeinde <strong>Bremen</strong> den sieben isolierten Gymnasien immer noch<br />
21 Schulzentren und 13 Gesamtschulen gegenüber. Der Zug zu einer<br />
integrativen Entwicklung ist also noch nicht ganz abgefahren. Es geht<br />
zunächst darum, Maßnahmen zu finden und zu ergreifen, die die<br />
Desintegration stoppen. <strong>Die</strong> Klafki-Kommission hat aufgezeigt, dass<br />
Integration nur dann gelingt, wenn sie von unten getragen wird. Es reicht<br />
also nicht, die administrativen Rahmenbedingungen zu schaffen. Materielle<br />
Unterstützung und Fortbildung sind mindestens ebenso wichtig.<br />
Administrativ sind folgende Regelungen geboten:<br />
● Keine weitere Gründung isolierter Gymnasien,<br />
● Priorität des Wohnortes bei der Aufnahme in die fünfte Klasse, unterstützt<br />
durch Schulverbünde von Grund- und Sek. I-Schulen<br />
● Zulassung weiterer Integration von Schulzentren.<br />
Materiell geht es in erster Linie um den Grundsatz, dass integrative Arbeit<br />
durch die Zuweisung von LehrerInnenstunden gefördert wird. D.h.:<br />
Planungsstunden und Senkung der Klassenfrequenzen für alle Schulen, die<br />
auf eine gemeinsame Schule bis zur 10. Klasse hinarbeiten. Das gilt auch<br />
für die isolierten Gymnasien, wenn sie integrative Konzepte entwickeln. Ein<br />
Verbot der Abschulung ohne personelle Förderung, wie es hier und da im<br />
Gespräch ist, würde nur zu einer stärkeren Belastung aller Beteiligten<br />
führen. Und schließlich muss Raum für entlastete Fortbildung da sein, um<br />
das Lehren in heterogenen Lerngruppen zur überall vorherrschenden Praxis<br />
entwickeln zu können.
Prof. C. Palentien, M. Harring, Dr. C. Rohlfs PISA-Schock, heterogene Schullandschaft und Abwanderungstendenzen<br />
PISA-Schock, heterogene Schullandschaft<br />
und Abwanderungstendenzen – zur<br />
Einschätzung der Problemlagen <strong>Bremen</strong>s im<br />
Bildungsbereich<br />
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ersten PISA-Ländervergleiche der<br />
Jahre 2000 und 2003 wird die prekäre Bildungssituation im Land <strong>Bremen</strong><br />
sichtbar. Ausgehend von dieser Situation sollen im Folgenden drei<br />
bildungskontextuelle Problemlagen <strong>Bremen</strong>s exemplarisch dargestellt<br />
werden, bevor abschließend für eine stärkere Einbindung von<br />
außerschulischen Angeboten in die Institution Schule plädiert wird.<br />
PISA-Verlierer<br />
In allen drei im Rahmen von PISA untersuchten Kompetenzbereichen –<br />
hierzu zählt neben der Lesekompetenz auch das mathematische und<br />
naturwissenschaftliche Grundverständnis – belegen Bremer SchülerInnen<br />
im Vergleich zu Altersgleichen anderer teilnehmender Bundesländer den<br />
letzten Rang. Im mathematischen Bereich entspricht diese Platzierung laut<br />
den Autoren der PISA-Studie einem durchschnittlichen Leistungsdefizit<br />
gegenüber dem Land Bayern von umgerechnet ca. 1,5 Schuljahren. <strong>Die</strong>ser<br />
Rückstand, der in einem ähnlichen Ausmaß auch für die anderen<br />
Kompetenzbereiche zu konstatieren ist, kann im Verlauf der weiteren<br />
9<br />
Bildungsbiografie der betroffenen SchülerInnen nur schwer kompensiert<br />
werden und wirkt sich eher kumulativ auf andere Leistungsbereiche aus.<br />
Zudem sind die Zugänge zu Bildung ungleich verteilt. So betrifft ein<br />
zentrales im Kontext der Schule existierendes und durch die PISA-Studie<br />
aufgezeigtes Problem die Bildungsbenachteiligung von<br />
SchülerInnengruppen in sozialen und ökonomischen Risikolagen. <strong>Die</strong><br />
Ergebnisse zeigen deutlich auf, dass der Bildungserfolg in einem<br />
signifikanten Zusammenhang zu der Ethnizität und der sozialen<br />
Positionierung der Herkunftsfamilie steht: dies gilt sicherlich für die<br />
gesamte Bundesrepublik Deutschland, aber insbesondere für <strong>Bremen</strong>.<br />
Allerdings erklären soziale Disparitäten nur bedingt die schwierige<br />
Bildungssituation in <strong>Bremen</strong> insgesamt. Der faktische Unterschied im<br />
Leistungsniveau zu allen anderen Ländern bleibt selbst dann erhalten, wenn<br />
der Faktor Migration und soziale Herkunft kontrolliert und der Datensatz<br />
entsprechend adjustiert wird. Zusammenfassend ist im Land <strong>Bremen</strong> eine<br />
insgesamt gesehen große Leistungsstreuung auf einem niedrigen<br />
Leistungsniveau zu erkennen.<br />
<strong>Die</strong>ser negativen Ausgangslage scheinen sich auch die VertreterInnen der<br />
Bremer Schulen sehr bewusst zu sein. Entsprechend beurteilen im Rahmen<br />
von PISA 8 von 10 Bremer SchulleiterInnen – so viele wie in keinem<br />
anderen Land – ihre Schulsituation als problembehaftet und kritisch.<br />
Heterogene Schullandschaft<br />
Es kann keineswegs behauptet werden, dass es auf die im Rahmen der<br />
PISA-Untersuchung für die Bremer SchülerInnen diagnostizierten<br />
schlechten Leistungsergebnisse keinerlei Reaktion und Maßnahmen gab –<br />
das Gegenteil ist der Fall. So hat <strong>Bremen</strong> beispielsweise das umfangreiche<br />
Projekt „Schule macht sich stark“ (SMS) zur Verbesserung der Bildungslage<br />
initiiert. Im Zentrum steht ein Unterstützungsprogramm für insgesamt neun<br />
Bremer Schulen, welches auf unterschiedlichen Ebenen die Ziele der<br />
Reduzierung der nachgewiesenen sozialen und ethnischen Disparitäten, der<br />
Verbesserung des Unterrichts sowie der Förderung und Sicherung von<br />
Basiskompetenzen (Sprach- und Lesebereich und mathematisches<br />
Grundbildung) bei sogenannten RisikoschülerInnen verfolgt.<br />
Daneben konzentrieren sich die Veränderungen auch auf schulstrukturelle<br />
Modifikationen, die „neue“ Schulsysteme nach sich ziehen, ohne allerdings<br />
dabei auf die „alten“ zu verzichten. Das Resultat wird in einer heterogenen<br />
Schullandschaft sichtbar, die in ihrer Ausdifferenziertheit eher komplex
Prof. C. Palentien, M. Harring, Dr. C. Rohlfs PISA-Schock, heterogene Schullandschaft und Abwanderungstendenzen<br />
erscheint. Kein anderes Bundesland leistet sich so viele – parallel<br />
nebeneinander bestehende – unterschiedliche Schulformen, wie dies derzeit<br />
das kleinste Flächenland <strong>Bremen</strong> praktiziert. Bereits im Grundschulbereich<br />
ist das Schulsystem durch seine Heterogenität geprägt und ermöglicht<br />
sowohl eine vierjährige als auch eine sechsjährige Schulzeit. <strong>Die</strong>se<br />
Komplexität setzt sich in der Gliederung der Sekundarstufen I und II fort<br />
und spiegelt sich einerseits in einer horizontalen Trennung nach<br />
Schulzentren der Sek. I und Sek. II wider und andererseits in<br />
durchgängigen Gymnasien, die eine Kontinuität in der Bildungskarriere<br />
durch einen fließenden Übergang von der Mittelstufe in die Oberstufe<br />
möglich machen. Zudem differenziert das System auch vertikal, und zwar<br />
nicht nur nach unterschiedlichen Schulzentren und Gymnasien, sondern<br />
darüber hinaus nach Gesamtschulen und Integrierten Stadtteilschulen.<br />
Abwanderung<br />
<strong>Bremen</strong> weist eine hohe Anzahl an Stadtteilen auf, die als Brennpunkte<br />
bezeichnet werden können. Insbesondere in diesen Stadtteilen ist an den<br />
Nahtstellen des Bildungssystems, d.h. im Übergang von der Primarstufe in<br />
die Sekundarstufe I sowie im Wechsel in die Sekundarstufe II, seit einiger<br />
Zeit eine Abwanderung von bildungsorientierten SchülerInnen – aus Angst<br />
vor niedrigem Leistungsniveau und geringer Leistungsbereitschaft – in<br />
benachbarte Stadtteile beobachtbar, die scheinbar eine attraktivere<br />
Bildungslandschaft bieten. <strong>Die</strong>se Entwicklung zieht nicht nur eine<br />
Fluktuation innerhalb <strong>Bremen</strong>s zwischen den einzelnen Stadtteilen nach<br />
sich, sondern hat auch aufgrund der infrastrukturellbedingten Möglichkeit,<br />
die Stadt- und damit die Landesgrenzen relativ schnell erreichen zu können,<br />
die Abwanderungstendenzen von sozioökonomisch besser gestellten<br />
Schülerinnen und Schülern aus <strong>Bremen</strong> heraus und eine Anmeldung dieser<br />
an Schulen im Bremer Umland zur Konsequenz.<br />
In Bezug auf die drei aufgezeigten Problembereiche, mit denen der<br />
Stadtstaat <strong>Bremen</strong> konfrontiert ist, wird deutlich, dass die Institution<br />
Schule, um sowohl den von „Innen“ gestellten eigenen Ansprüchen als auch<br />
den von „Außen“ an sie gerichteten pädagogischen und gesellschaftlichen<br />
Anforderungen zu entsprechen, nicht nur fachliche Gesichtspunkte ins<br />
Zentrum ihrer Arbeit stellen, sondern verstärkt – auch im Hinblick auf die<br />
Förderung und soziale Unterstützung aller SchülerInnen – eine<br />
Zusammenarbeit mit außerschulischen ExpertInnen, „eine Öffnung von<br />
Schule“ anstreben sollte. Damit kann zur Realisierung eines umfassenden<br />
Konzeptes von Bildung die Kooperation von Schule mit anderen informellen<br />
10<br />
und nicht-formellen Bildungsinstitutionen, wie z.B. Kinder- und Jugendhilfe,<br />
für beide Einrichtungen eine Chance und Bereicherung zugleich bedeuten.<br />
Speziell dem Bereich der Jugendarbeit bzw. Jugendverbandsarbeit als<br />
einem möglichen Kooperationspartner von Schule kommt hier eine zentrale<br />
Rolle zu.<br />
Ziel sollte es sein, die Kompetenzen der Jugendarbeit in den Lern- und<br />
Lebensraum Schule einzubringen, um institutionsübergreifend gemeinsam<br />
neue Wege des Lernens und Lehrens zu erproben und langfristig den<br />
Schulalltag und den Freizeitbereich von SchülerInnen durch die Integration<br />
von mehr Angeboten an Ruhe-, Freizeit- und Lernphasen sowohl in den<br />
Vormittags- als auch in den Nachmittagsbereich innerhalb der Schule<br />
attraktiver zu gestalten. Nur wenn es gelingt, schulische und<br />
außerschulische Institutionen für eine Kooperation zu gewinnen, kann eine<br />
Optimierung der Angebotslage in der (Ganztags-)Schule erreicht und ein<br />
umfassendes Konzept von Bildung – und nicht ausschließlich Betreuung –<br />
im Lebensraum Schule verwirklich werden sowie daraus resultierend die<br />
Entwicklung und Entfaltung von Toleranz, Persönlichkeit und sozialer<br />
Integration bei Kindern und Jugendlichen eine gezielte Förderung erfahren.<br />
Gleichzeitig werden Bildungsgelegenheiten durch eine zielgerechte<br />
Organisation von Bildungsprozessen und die Schaffung eines anregenden<br />
Umfeldes ermöglicht.<br />
Langfristig muss es darum gehen, schulische und außerschulische<br />
Bildungsorte und -prozesse miteinander in Einklang zu bringen, auf<br />
einander auszurichten sowie die – im Zuge der PISA-Ergebnisse neu<br />
aufgezeigte, aber bereits lange vor der PISA-Studie bestehende – klare<br />
Trennung von formellen, informellen und nicht-formellen Bildungsorten zu<br />
Gunsten neuer Bildungslandschaften zu überbrücken. Denn ebenso wie das<br />
derzeitige Schulsystem für die Verschärfung von sozialen Disparitäten bei<br />
bestimmten Kindern und Jugendlichen verantwortlich gemacht werden<br />
kann, verfügt es gleichzeitig auch über das Potenzial, diese Ungleichheiten<br />
zu kompensieren, wenn Bildung in der Schule eine Neujustierung erfährt<br />
sowie umfassend und vom Kind oder vom Jugendlichen ausgehend gedacht<br />
und entwickelt wird.
Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis Eingangsstatement im Fachausschuss ‚Schulentwicklung’<br />
Transkript des Statements<br />
im Fachausschuss, Anhörung<br />
vom 12.02.2008<br />
Verehrte Frau Senatorin, sehr geehrter Herr<br />
Vorsitzender, meine Damen und Herren!<br />
Zunächst herzlichen Dank für die Einladung,<br />
heute wieder nach <strong>Bremen</strong> zu kommen! Nach<br />
<strong>Bremen</strong> komme ich seit 20 Jahren<br />
regelmäßig, insofern habe ich noch<br />
mindestens mehr als nur einen Seitenblick in<br />
Ihr System und, nachdem ich 33 Jahre das<br />
Institut in München für diesen Bereich geleitet habe, auch einen tiefen<br />
Einblick in diese Materie. <strong>Die</strong>s vorausgesetzt, gestatten Sie mir die weitere<br />
Bemerkung, dass wir seit Beginn der <strong>90</strong>er Jahre international diese Debatte<br />
führen mit einer politischen und einer fachlichen Dimension.<br />
<strong>Die</strong> politische Dimension wurde durch die Feststellung motiviert, dass<br />
zunehmend die Bildungssysteme sich als ineffizient erweisen, wenn es<br />
darum geht, den Herausforderungen gerecht zu werden, die daraus<br />
resultieren, dass wir Bildungsphilosophie, Bildungsziel und<br />
Bildungsprogrammatik auf eine veränderte Welt hin ausrichten müssen.<br />
Das Bildungssystem folgte und folgt teilweise heute noch der Logik der<br />
Industriegesellschaft, aber nur noch 15 Prozent der Bevölkerung europaweit<br />
sind in diesem Sektor tätig. <strong>Die</strong> Wissensgesellschaft, eine sogenannte<br />
postmoderne Welt, formuliert und adressiert völlig andere<br />
Herausforderungen an das Individuum und an das Bildungssystem. <strong>Die</strong>sen<br />
Transformationsprozess angemessen zu gestalten, ist die politische<br />
Herausforderung. International stellte man fest, dass dem zu begegnen sei.<br />
Hinzu kam die fachliche Debatte, die darauf hinwies, dass es für ein<br />
reformiertes Bildungssystem nicht mehr zeitgemäß sei, Fakten und Wissen<br />
zu vermitteln, sondern dass es gut beraten wäre, würde dieses System auf<br />
die Stärkung kindlicher Entwicklung und kindlicher Kompetenzen setzen.<br />
Wenn man sich diese Position zu Eigen macht, dann muss man gleichzeitig<br />
zwei weitere Feststellungen machen: erstens, dass diese Kompetenzen<br />
unmittelbar nach der Geburt des Kindes etabliert werden, und zweitens,<br />
dass dafür die Bildungsinstitutionen am wenigsten geeignet sind, denn sie<br />
erklären nicht einmal 20 Prozent der Varianz der kindlichen Entwicklung auf<br />
11<br />
diesen Bereich. <strong>Die</strong>s vorausgesetzt, entfaltete sich international eine große<br />
Debatte. Wir haben sie dokumentiert, ich habe selbst die Länder besucht,<br />
von England bis Neuseeland, wir haben die Systeme sehr genau untersucht,<br />
sodass wir gute Kenner dessen sind, was die internationale Entwicklung<br />
momentan bedingt.<br />
Wenn ich jetzt den Rahmenplan von <strong>Bremen</strong> vor diesem Hintergrund<br />
reflektiere, scheint mir das Hauptproblem des Landes darin zu liegen, dass<br />
der Bildungsplan auf fachlichen, theoretischen Grundlagen aufbaut, die Sie<br />
weltweit nicht finden werden. Wenn das so ist, sind natürlich auch die<br />
Maßnahmen, die darauf aufbauen, die damit begründet werden, wenig<br />
effizient, und ich kann Ihnen jetzt schon prognostizieren, dass der Status in<br />
dem Ländervergleich sich nicht verändern wird, wenn sich die Bürgerschaft<br />
nicht entschließt, die notwendigen Reformen hier einzuleiten, die auch<br />
bereits andere Bundesländer in Angriff genommen haben.<br />
Ich möchte das ausführen. Wenn Sie das Bildungsverständnis dieses<br />
Bildungsplans sehen, dann geht er davon aus, dass auf der Grundlage<br />
sogenannter Entfaltungstheorien das Kind sich entwickelt und eigenständig<br />
seine Entwicklung voranbringt. <strong>Die</strong> Aufgabe der Erziehung, expressis verbis<br />
ausgedrückt, in dem Bildungsplan besteht lediglich darin, diesem Kind<br />
entwicklungsanregende Umgebungen bereitzustellen. In Wirklichkeit ist<br />
aber das Kind eigenverantwortlich für seine Bildung. Ein solches<br />
Verständnis hat große Probleme. Erstens ist es ein wenig diskursives<br />
Verständnis von Bildung. Das Kind sucht sich selbst die Entwicklung, aber<br />
es findet keine Interaktion, keine Diskussion statt. Zweitens: Wir können<br />
heute nachweisen, wenn Sie die Kinder dem Selbstbildungsprozess<br />
überlassen, entwickeln sich diese Kinder nicht optimal, speziell in den<br />
Bereichen, die für das Bildungssystem von zentraler Bedeutung sind. <strong>Die</strong><br />
Entwicklung der lernmethodischen Kompetenz kann auf dem Wege der<br />
Selbstbildung nicht vorangebracht werden. Dafür liegen bereits empirische<br />
Arbeiten vor. Das fundamentale Problem des Plans sind also nicht so sehr<br />
die Maßnahmen, sondern es sind die Grundlagen, auf denen er aufbaut.<br />
Ein zweiter Punkt, was die Grundlagen betrifft! Der Bildungsplan ist in sich<br />
inkonsistent, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Sie finden in demselben Plan<br />
sich widersprechende theoretische Positionen. Ich frage mich, wie dann<br />
Orientierung geboten werden kann! Wenn Sie Bildungsbereiche des<br />
Bildungsplans betrachten, finden Sie erst einmal keine Begründung, warum<br />
sieben, warum diese. Wenn Sie sie näher betrachten, finden Sie eine<br />
weitere Inkonsistenz. Es gibt Bildungsbereiche, die keine sind, wie der
Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis Eingangsstatement im Fachausschuss ‚Schulentwicklung’<br />
Körper, es gibt Bildungsbereiche, die welche sind, aber es gibt auch<br />
Ebenen, Bildungsbereiche, die keine sind, weil sie Kompetenzen sind.<br />
Kommunikation ist kein Bildungsbereich, es ist eine Kompetenz. Wenn also<br />
ein Bildungsplan inkonsistent ist, dann kann er bei weitem keine<br />
Orientierung bieten.<br />
Der dritte Punkt: Der Bildungsplan ist eher auf die Einrichtungen<br />
konzentriert, in diesem Fall bei den unter Sechsjährigen auf den<br />
Kindergarten. Alle Bildungspläne sind unzureichend konzeptionalisiert, wenn<br />
es um die unter Dreijährigen geht. Das ist nicht nur das Problem dieses,<br />
sondern das ist das Problem von allen Bildungsplänen landesweit. Wenn wir<br />
aber einen Bildungsplan auf die Institution primär fokussieren, dann<br />
verstärken wir die Struktur des Systems. Wir verkennen, dass es außerhalb<br />
der Institution andere Lernorte gibt, und heute sind moderne Bildungspläne<br />
nicht mehr auf die Institution fokussiert, sondern sie fokussieren sich auf<br />
die individuelle Biografie eines Kindes, seiner Entwicklungs- und<br />
Bildungsbiografie und integrieren alle Lernorte. Und der wichtigste Lernort<br />
im Vorschulkinderbereich ist nicht der Kindergarten, es ist die Familie.<br />
Das Verhältnis, um das auch gleich noch aufzunehmen, zwischen<br />
Kindergarten und Familie ist verfassungsrechtlich reguliert, und bis Sie die<br />
Verfassung verändern, können Sie auch an diesem Verhältnis nicht rütteln.<br />
Verfassungsrechtlich korrekt ausgelegt heißt, das Primat der Verantwortung<br />
liegt bei der Familie und die Institution handelt im Auftrag. Daher darf das<br />
Verhältnis zwischen Einrichtung und Familie nicht in das Gegenteil verkehrt<br />
werden. Wenn ich jetzt wieder den Bildungsplan sehe und seine Auslegung<br />
über das Verhältnis von Familie und institutioneller Bildung, dann muss ich<br />
schon sagen, dass hier unschwer zu erkennen ist, dass die Familie in die<br />
Defensive gerät, im Grunde genommen kaum etwas zu sagen hat,<br />
Kenntnisse und Informationen entgegenzunehmen hat. Wenn sie überhaupt<br />
eingeladen wird, fehlt zu angeblicher Mitwirkung jegliche Grundlage.<br />
Betrachtet man das konzeptuelle Verständnis von Übergängen, so wird man<br />
sehen, dass dieser Bildungsplan hinter der bereits in der Bundesrepublik<br />
erreichten Realität bleibt. Das Verständnis ist denkbar ungeeignet, um<br />
dieses Problem zu lösen. Ebenso gut gemeint, aber ineffizient sind Ansätze<br />
wie Trans-Kigs oder der Kindergarten der Zukunft in Bayern. Wir haben 35<br />
Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet und wir wissen heute, dass diese<br />
Modelle das Ziel nicht erreichen werden. Der Grund ist nämlich ein tieferer.<br />
Der Grund liegt darin, dass die Bildungsprozesse im Kindergarten auf einer<br />
Theorie aufbauten, die mit der Theorie der Grundschule nicht<br />
12<br />
kommuniziert. Das heißt, die theoretische Fundierung der beiden<br />
Bildungsbereiche ist so, dass sie nicht miteinander kommunizieren können.<br />
Wenn das aber so ist, kann dies nicht kompensiert werden durch Brücken,<br />
durch Herausforderungen an das Personal oder durch punktuelle<br />
Maßnahmen.<br />
Eine moderne Antwort auf diese Herausforderungen lautet: Wir wissen<br />
heute, dass etwa 80 Prozent der Kinder diese Übergänge nutzen, um ihre<br />
Entwicklung zu stimulieren. <strong>Die</strong> Übergänge sind phasenbeschleunigte<br />
Veränderungen. Es gibt aber auch 20 Prozent, die Probleme zeigen, wenn<br />
sie von einem Setting, von der Familie, in den Kindergarten gehen. Wir<br />
wissen, dass die Probleme dieser Kinder nicht institutionellen Ursprungs<br />
sind, sondern familiären Ursprungs, und zwar liegen die Probleme in der<br />
frühen Sozialisation. Wenn eine Familie in ihrer Dynamik dem Kind die<br />
Chance nicht eröffnet, sichere Bindungsqualität an die Eltern zu entwickeln,<br />
und wir haben in der Bundesrepublik 24 Prozent dieser Kinder, wenn die<br />
Familie chronisch mit Konflikten belastet ist, wenn sie so organisiert ist,<br />
dass sie ein geschlossenes System ist, dann hat sie auch überproportional<br />
häufig ein Kind, das, wenn es von dieser Familie ausgeht in eine<br />
Einrichtung, Probleme zeigt. <strong>Die</strong>ses Kind ist nicht ein klinischer Fall,<br />
sondern es ist eine normale Bewältigungsreaktion auf eine für das Kind<br />
nicht normale Situation.<br />
<strong>Die</strong>ses Problem beschäftigt uns seit 1971, ohne dass bis heute eine<br />
hinreichende Antwort gegeben werden konnte. <strong>Die</strong> Antwort, die wir heute<br />
international geben, ist eine doppelte. Wir brauchen eine doppelte<br />
Interventionsstrategie. Wenn die Einrichtung früh dieses Kind erkennt, dann<br />
muss sie mit der Beratungsstelle zusammenarbeiten, um zu versuchen, die<br />
Ursachen bei der Familie zu beseitigen. Hier ist die Kooperation zwischen<br />
Kindergarten, Beratungsstelle und Familie angesagt.<br />
Zweitens, und das ist der genuine Bildungsauftrag der Einrichtung: Der<br />
Kindergarten müsste an sich geeignete Angebote mit diesem Kind<br />
organisieren, die dem Kind erlauben zu lernen, angstfrei<br />
Veränderungsprozesse zu bewältigen. Der Übergang in die Schule sollte<br />
dann die Validierungsphase des Erfolgs sein, und wenn der Erfolg ausbleibt,<br />
muss die Grundschule diese Intervention fortsetzen. Wir wissen aber auch,<br />
dass sich die Effekte bei diesem Kind, wenn es ihm nicht gelingt, diesen<br />
ersten Übergang angemessen zu bewältigen, beim nächsten und<br />
übernächsten Übergang verstärken. Je mehr Übergänge unbewältigt<br />
durchlaufen, desto stärker ist der Effekt. Deswegen werden Sie auch heute
Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis Eingangsstatement im Fachausschuss ‚Schulentwicklung’<br />
beobachten, dass es größere Probleme gibt, wenn der Wechsel von der<br />
Grundschule in die weiterführenden Schulen da ist. <strong>Die</strong>sen Effekt erzeugt<br />
das Bildungssystem, nicht das Kind und nicht die Familie, und deshalb kann<br />
man diese Effekte nicht über kindgerechte Interventionen auffangen.<br />
Man muss hier systemimmanente Veränderungen vornehmen und wir<br />
haben sie bereits vorgenommen. Wir haben die Grundsätze und die<br />
Prinzipien, auf denen pädagogisches Handeln aufbaut, durchgehend von<br />
Kindergarten und Grundschule und jetzt sogar bis zum Abitur entwickelt.<br />
Dass die Kinder von einer Philosophie in eine andere geworfen werden,<br />
dafür gibt es fachlich überhaupt keine Begründung.<br />
Das Zweite ist, meine Kollegin hat es bereits schon zu Recht erwähnt: Wir<br />
müssen die Bildungsziele von unten nach oben konsistent fortsetzen. Es ist<br />
auch nicht nachzuvollziehen, dass die Bildungsziele zusammenbrechen,<br />
wenn das Kind vom Kindergarten in die Grundschule wechselt. Das Ergebnis<br />
ist bekannt: Wir haben Kinder, die scheitern, sogar mehr als ein Drittel, und<br />
wir haben eine niedrige Effizienz des Bildungssystems, weil Effekte nicht<br />
weiter genutzt werden.<br />
Der dritte Punkt, und das ist der substantielle Teil der Professionalisierung<br />
beziehungsweise der Fort- und Weiterbildung: Das Problem unserer<br />
Fachkräfte liegt nicht allein im fallenden Niveau. Es liegt vor allem an der<br />
nicht angemessenen Qualität der Ausbildung. Ich möchte einen Aspekt<br />
dieses komplexen Geschehens andeuten! Wenn Sie das Feld beobachten –<br />
und ich war in vielen Kindergärten in <strong>Bremen</strong> –, dann werden Sie sehen,<br />
dass die meisten, wenn nicht sogar ausschließlich, erfahrungsgeleitet<br />
handeln. Das heißt, sie haben irgendwo etwas gesehen und haben sich das<br />
zu Eigen gemacht, und diese Art der Moderierung von Bildungsprozessen<br />
wird perpetuiert, Praxis wird perpetuiert.<br />
Was fehlt, ist eine angemessene, fachliche Begründung und Reflexion.<br />
Dafür gibt es aber heute 24 Methoden, mit denen wir Fachkräfte in die Lage<br />
versetzen können, Bildungsprozesse fachlich zu fundieren, mit Reflexion<br />
und auch mit der Möglichkeit, selbst zu kontrollieren, ob sie effiziente<br />
Modelle sind oder nicht. Es hilft der Fachkraft heute nicht, ihr Wissen zu<br />
geben. Wir müssen auf der Handlungsebene intervenieren, weil die<br />
Bildungsqualität weder über die Struktur noch über die Information erreicht<br />
wird. Sie wird erreicht über die Moderierung von Bildungsprozessen, und<br />
hier einen Schwerpunkt der Professionalisierung zu setzen, halte ich für<br />
angemessen.<br />
13<br />
Eine davon unabhängige Frage ist aufgeworfen, wie man ein modernes<br />
Bildungssystem steuert. Hier kann ich Ihnen sagen: Sie können natürlich<br />
unterschiedliche Steuerungsmechanismen heranziehen, aber Sie haben<br />
dann auch unterschiedliche Effekte. Ein prinzipielles Problem bei der<br />
Steuerung des Systems ist die Frage: Wie viel kann dereguliert werden und<br />
wie viel muss zentral reguliert werden? <strong>Die</strong> Antwort, die wir heute<br />
international von Oxford bis Göteborg geben, ist klar: Wir brauchen sowohl<br />
eine starke Regulierung als auch eine starke Deregulierung. Man muss nur<br />
wissen, was zentral der Regulierung unterliegt und was sinnvoller Weise<br />
dereguliert werden sollte.<br />
Bei der zentralen Regulierung muss auf jeden Fall der Bildungsplan, die<br />
Ausbildung des Personals, die Fort- und Weiterbildung, das finanzielle<br />
Modell und die Forschung reguliert werden. <strong>Die</strong>se Dinge lassen sich nicht<br />
deregulieren. Sie können alles deregulieren, vorausgesetzt, dass Sie vor Ort<br />
einen paritätisch besetzten Ausschuss haben, dessen Hauptaufgabe darin<br />
liegt, die lokalen Ressourcen zu mobilisieren, um die Qualität nach oben zu<br />
bringen und darauf zu achten, dass die Qualität immer nach oben geht.<br />
<strong>Die</strong>sen Ausschuss so zu gestalten, dass er zu einem Drittel aus Fachkräften,<br />
zu einem Drittel aus Eltern und zu einem Drittel aus Kommunen besteht, ist<br />
ein bewährtes Instrument.<br />
Sprachstandsdiagnose! Meine Damen und Herren, es gibt in diesem Land<br />
bis zu dieser Stunde kein valides Instrument, das uns zuverlässig die<br />
Identifikation von Kindern mit Sprachstörungen in dem Sinne erlaubt, dass<br />
wir darauf aufbauend eine sinnvolle Intervention einleiten könnten.<br />
Zweitens: Es fehlt auch an den notwendigen Interventionen. Beides<br />
zusammen sollte uns also sehr vorsichtig stimmen, wenn es darum geht,<br />
mit schnellen Maßnahmen dieser Art aufzuwarten. Wir wissen aber auch<br />
darüber hinaus, dass dieses Konzept Gruppen von Kindern systematisch<br />
benachteiligt, und so können diese Kinder dann mit einem nicht validen<br />
Instrument zu Problemkindern identifiziert werden, die dann der weiteren<br />
Behandlung bedürfen. Von solchen Ungerechtigkeiten hat dieses<br />
Bildungssystem eine Menge, und wir sollten aufpassen, dass wir sie<br />
durchaus nicht auch schon im Elementarbereich zelebrieren.<br />
Gütesiegel! Es gibt kein einziges Land in der Welt, dass sein Bildungssystem<br />
mit einem Gütesiegel angemessen steuern konnte. Das können Sie in den<br />
USA über den Versuch in England bis Hamburg sehen. Als ich in die<br />
Enquete-Kommission in Hamburg berufen wurde, habe ich davor gewarnt:
Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilos Fthenakis Eingangsstatement im Fachausschuss ‚Schulentwicklung’<br />
Man kann nicht ein komplettes Bildungssystem mit zwei Sozialindikatoren<br />
steuern, nämlich die Erwerbstätigkeit der Eltern und die Frage, ob die Eltern<br />
geschieden sind oder nicht. Das sind sachfremde Kriterien für ein<br />
Bildungssystem.<br />
Ich wünsche Ihnen – und ich werde vielleicht zum Schluss auch meine<br />
Empfehlungen geben –, dass es Ihnen gelingt, die Orientierung und die<br />
Fundierung dessen, was hier bildungspolitisch passiert, auf ein Niveau und<br />
auf eine Qualität zu bringen, die wirklich neue Perspektiven eröffnet. Vielen<br />
Dank!<br />
14
Peter Lankenau Quo vadis Bremer Schulwesen?<br />
Quo vadis Bremer<br />
Schulwesen?<br />
Der Bildungsreferent der <strong>Grünen</strong> in der<br />
Bremischen Bürgerschaft hat mich gebeten,<br />
einmal aus meiner Sicht eine Einschätzung<br />
der zukünftigen Entwicklung des Bremer<br />
Schulwesens abzugeben. Angesichts der<br />
Tatsache, dass ich in weniger als einem<br />
halben Jahr nach dann 40-jähriger<br />
Lehrertätigkeit in <strong>Bremen</strong> (21 Jahre davon in<br />
der Schulleitung) in die dann wohlverdiente<br />
Freistellungsphase der Altersteilzeit gehen<br />
werde, möchte ich dem oben genannten<br />
Wunsch folgen, dieses aber in einer sehr<br />
persönlichen, nicht mit irgendeiner Partei, Person oder sonstigen Gruppe<br />
abgesprochenen Form vollziehen.<br />
Man kann die Entwicklung nur unter Kenntnis der jüngsten Geschichte des<br />
Bremer Schulwesens einschätzen. Als noch junger Lehrer konnte ich Horst<br />
Werner Franke erleben, der die Bildungseuphorie der 70er Jahre<br />
dahingehend nutzte, die Schullandschaft grundlegend zu verändern:<br />
Ausgehend von der Prämisse, dass die Gesamtschule unumgänglich sei,<br />
kamen die Neugründungen GSW und GSO als Vorzeigeobjekte zustande.<br />
Den Kampf mit den Kräften auf der gymnasialen Seite gewann er partiell,<br />
indem er dem Alten Gymnasium einen durchgängigen Status zubilligte, weil<br />
es ein altsprachliches Alleinstellungsmerkmal vorweisen konnte. <strong>Die</strong> Lobby<br />
Schwachhauser Schulen konnte ebenso das Kippenberg-Gymnasium als<br />
durchgängig (Mittelstufe und Oberstufe) „retten“. Ansonsten entstanden die<br />
Orientierungsstufe und die Horizontalität der Schulzentren im Sek. I- und<br />
Sek. II-Bereich als neue Organisationsform. Das alles geschah Ende der<br />
70er. Für die Mittelstufe war laut Schulgesetz der Auftrag gegeben, die<br />
additiven Schulzentren sukzessive in Gesamtschulen zu verwandeln.<br />
Große Reibungsverluste gab es im Zusammenwachsen der neu<br />
entstandenen Sek. I- und II-Zentren. Mussten sich doch hier bisher<br />
getrennte Kollegien „zusammenraufen“. Nach meiner Einschätzung ist das<br />
in den Sek. I-Zentren im Laufe der Jahre gut gelungen, dagegen sind m.E.<br />
bis heute im Bereich der Sek. II die Verbindungen von gymnasialer und<br />
15<br />
beruflicher Bildung eher schwach ausgebildet. Ausnahmen bestätigen hier<br />
die Regel!<br />
<strong>Die</strong> Schwäche des Systems lag in den zahlreichen Brüchen: Nach der<br />
Grundschule kam der Wechsel zur OS, die nach zwei Jahren zum Wechsel<br />
ins dreigliedrige System oder in Gesamtschulen führte, das oder die nach<br />
weiteren vier Jahren entweder in die berufliche Richtung ging oder zum<br />
Gymnasium, was mit einem weiteren Wechsel verbunden war.<br />
Politische Entwicklungen bewirkten dann im Laufe der Jahre eine Erosion<br />
und Zersiedelung der Schullandschaft: Während die SPD lange Zeit die<br />
Schulzentren vertrat und als ihre Schulform ansah, nutzten die <strong>Grünen</strong> die<br />
Einrichtung von Gesamtschulen, die auch Stadtteilschulen heißen konnten,<br />
während die CDU und auch die FDP zielgerichtet die durchgängigen<br />
Gymnasien vorantrieben. Unterschiedliche Koalitionen (Ampel- und große<br />
Koalition) sorgten jeweils für ihre Klientel. Dabei kam im Sek. I-Bereich das<br />
herkömmliche Schulzentrum immer weiter ins Hintertreffen, was sich in der<br />
Abwahl bestimmter Schulen vor allem im Gymnasialbereich zeigte.<br />
Das war die Lage vor ca. vier Jahren, als die Einführung des Abiturs nach<br />
zwölf Jahren (G 8-Prozess) anstand. Inzwischen hatte die<br />
Orientierungsstufe solch ein negatives Image, dass sie kurzweg abgeschafft<br />
wurde. Damit aber war die Übergangsproblematik von der Grundschule ins<br />
weiterführende System auf die Klasse 4 vorverlagert worden. <strong>Bremen</strong><br />
schloss sich der Entwicklung im Bund (und vor allem in Niedersachsen) an<br />
und ließ den Eltern die freie Entscheidung, nach der 4. Klasse entweder ins<br />
G 8-Gymnasium, auf eine Gesamtschule oder auf die Sekundarschule zu<br />
wechseln. Gleichzeitig wurden die Schuleinzugsgebiete nahezu aufgehoben,<br />
so dass ein Schultourismus möglich wurde.<br />
<strong>Die</strong>ses neue System hat sich inzwischen als nicht lebensfähig erwiesen: <strong>Die</strong><br />
neue Schulart ‚Sekundarschule’ wird gegenwärtig extrem abgewählt. So<br />
war im laufenden Schuljahr nur noch eine ca. 16 %-Anwahl zu verzeichnen.<br />
<strong>Die</strong> Schülerströme gehen gegenwärtig zum Gymnasium und zur<br />
Gesamtschule.<br />
Damit kommt die bereits jetzt überall propagierte „Zwei-Säulen-Idee“ zum<br />
Tragen: Wenn die Entwicklung so ist, wie wir sie jetzt verzeichnen können,<br />
wird es sinnvoll nur noch Gesamtschulen und Gymnasien geben; die<br />
Sekundarschule müsste mangels Attraktivität aufgegeben werden. <strong>Die</strong>se<br />
Idee ist allerdings nicht so leicht umzusetzen, denn die Schulzentren stehen
hier im Wege: Würden sie die SekundarschülerInnen verlieren, weil diese<br />
entweder zu GesamtschülerInnen oder GymnasiastInnen mutiert wären,<br />
blieben in den Zentren „amputierte“ Restgymnasien übrig, weil sie ihre<br />
SchülerInnen nach der 9. Klasse abgeben müssten, während die<br />
durchgängigen Systeme von Klasse 5 bis 12 die SchülerInnen behalten<br />
könnten. <strong>Die</strong> Einrichtung von „Mittelstufengymnasien“ erscheint mir<br />
unsinnig.<br />
Was folgt nun aus dieser Sachlage:<br />
1. Wenn auch die gegenwärtige Anwahlphase für den 5. Jahrgang<br />
erneut die Sekundarschule noch weiter absinken lässt, so dass sie<br />
unter der Rate der ehemaligen Hauptschule liegt, ist sie als<br />
eigenständige Form aufzugeben.<br />
2. <strong>Die</strong> noch bestehenden Schulzentren müssen sich entscheiden,<br />
entweder zu Gesamtschulen oder zu durchgängigen Gymnasien zu<br />
werden. „Mittelstufengymnasien“ darf es nicht geben.<br />
3. Damit entstehen überall dort, wo die SchülerInnenzahlen es<br />
ermöglichen, durchgängige Gymnasien, die im G 8- Modell nach<br />
zwölf Jahren zum Abitur führen.<br />
4. An den Standorten der großen Gesamtschulen wird sowohl der<br />
mittlere Bildungsabschluss nach zehn Schuljahren als auch das<br />
Abitur nach 13 Jahren angeboten.<br />
5. <strong>Die</strong> bestehenden Sek. II-Zentren müssen sich standortgebunden<br />
entweder mit Gesamtschulen oder mit „Mittelstufengymnasien“<br />
vereinigen.<br />
<strong>Die</strong>se Vorschläge werden einen Sturm der Entrüstung auslösen, dessen bin<br />
ich mir bewusst! Nur nehme ich mir die Freiheit, jetzt ohne dienstliche<br />
„Scheuklappen“ so zu argumentieren, weil die vorgestellte Idee allenfalls<br />
nach meiner aktiven <strong>Die</strong>nstzeit umgesetzt werden könnte!<br />
Peter Lankenau Quo vadis Bremer Schulwesen?<br />
16
Zentralelternbeirat <strong>Bremen</strong> 10 Punkte-Programm zur Bildungspolitik in <strong>Bremen</strong><br />
Standpunkte zur Schulentwicklung in <strong>Bremen</strong><br />
Das derzeitige Schulsystem ist nicht ausreichend auf die Belange der<br />
heutigen Gesellschaft ausgerichtet. Wir brauchen eine Neuorientierung. In<br />
<strong>Bremen</strong> hat ein Reformprozess begonnen, aber es bedarf noch erheblicher<br />
Anstrengungen und eines Umdenkens, um unsere Schulen zu Lernorten<br />
werden zu lassen, die ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag so erfüllen,<br />
dass sie allen Kindern und Jugendlichen ihre persönliche<br />
Entwicklungschance bieten können. Ein längeres gemeinsames Lernen ist<br />
ein wichtiger Schritt in diese Richtung. In welcher Form dieser durchgeführt<br />
wird (Ganztagsschule, Gemeinschaftsschule, Gymnasium für alle,<br />
sukzessiver Ausbau der integrativen schulischen Angebote) ist für uns<br />
davon abhängig:<br />
- wie überzeugend die konzeptionelle Planung ist.<br />
- inwieweit die Ressourcen dafür bereitgestellt werden.<br />
Zu einer konzeptionellen Planung gehört eine mittelfristige nachvollziehbare<br />
Strategie der Schulentwicklung, Planungssicherheit für die Schulen über<br />
eine Legislaturperiode (und über die bisherige Rahmenplanung) hinaus.<br />
Notwendig ist weiterhin die kontinuierliche Aus- und Fortbildung der<br />
LehrerInnen und Schulleitungen sowie eine Schulstruktur, die auch in<br />
Übergangszeiten für Eltern und SchülerInnen erfolgreiche Bildungskarrieren<br />
und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder gewährleistet.<br />
Der Ausbau von integrativen Schulformen hat langfristig nur dann eine<br />
Chance, wenn alle Bildungsgänge einbezogen werden. Eine weitere<br />
unabdingbare Voraussetzung sind ausreichende finanzielle Investitionen.<br />
17<br />
Schulen brauchen Ressourcen, gerade auch in Form von Zeit und<br />
Unterstützung.<br />
10 Punkte-Programm des ZEB zur Bildungspolitik<br />
1. Potenziale ausschöpfen durch individuelle Forderung und<br />
Förderung aller Kinder<br />
Wir fordern als ersten Schritt die Rücknahme der Kürzungen der<br />
vergangenen Jahre.<br />
Wir fordern die Minimierung der Eltern-Nachhilfe durch verbesserte<br />
Förderung.<br />
<strong>Die</strong> Kürzungen bei der Integration Behinderter und von Behinderung<br />
bedrohter Kinder müssen sofort gestoppt werden und kurzfristig weiter<br />
ausgebaut werden. Wir fordern verbindliche Sprachförderung an KTH<br />
und Schule für Kinder mit Sprachdefiziten.<br />
Für verhaltensauffällige Kinder fordern wir ausreichend fachliche Hilfe<br />
vor Ort.<br />
2. Voraussetzung für erfolgreiche SchülerInnen-Karrieren sind<br />
zeitgemäß ausgestattete und gestaltete Schulen<br />
Eine angemessene und an Bildungszielen orientierte Ausstattung ist die<br />
Voraussetzung für gute Bildungsabschlüsse. Erforderliche<br />
Instandhaltungs- und Ersatzinvestitionen sind deshalb genauso wichtig<br />
wie ausreichende Mittel für Lehr- und Lernmittel.<br />
Mehr Eigenverantwortung der Schulen ist der richtige Weg. <strong>Die</strong><br />
zugewiesenen Gelder müssen schulart- und standortgerecht sein.<br />
Schulleitungen sind so auszustatten, dass sie ihrer Verantwortung<br />
gerecht werden können. Dazu passend muss die Bildungsbehörde zu<br />
einem <strong>Die</strong>nstleistungszentrum neu strukturiert werden.<br />
Neben qualifizierten LehrerInnen und ErzieherInnen benötigt jede<br />
Schule vor Ort Fachkräfte für die psychosoziale Betreuung.<br />
3. Ästhetische Bildung ist ein unverzichtbarer Teil ganzheitlicher<br />
Bildung<br />
<strong>Die</strong> ästhetische Bildung ist für die Entwicklung der Kinder unverzichtbar.<br />
Sie ist eine wesentliche Grundlage für die zukünftige Lebens- und
Zentralelternbeirat <strong>Bremen</strong> 10 Punkte-Programm zur Bildungspolitik in <strong>Bremen</strong><br />
Berufsorientierung. Deshalb ist sie gleichberechtigt zu allen anderen<br />
Fächern zu sehen und Unterrichtsausfälle sind nicht zu akzeptieren.<br />
Auch in den sogenannten Kernfächern müssen ästhetische Elemente in<br />
den Unterricht einfließen, dadurch können Akzeptanz und Lernerfolg<br />
gestärkt werden.<br />
4. In allen Schularten und in allen Fächern muss altersgemäß<br />
die Lebens- und Berufsorientierung im Unterricht<br />
berücksichtigt werden<br />
Erkenntnisse aus der Arbeitswelt wie zeitgemäße Methoden, team- und<br />
projektorientiertes Lernen sowie die praxisgerechte Anwendung der<br />
digitale Medien müssen stärker im Unterricht berücksichtigt werden.<br />
Während der Schulzeit ist frühe Praxiserfahrung unerlässlich, daher<br />
sollten die Schulen Partnerschaften mit Unternehmen und/oder<br />
Hochschulen eingehen.<br />
<strong>Die</strong> Berufsorientierung muss in den Leitlinien, Schul- und<br />
Jahresprogrammen Berücksichtigung finden. Am Ende einer jeden<br />
Schulausbildung muss die positive Perspektive für die zukünftige<br />
Berufsfähigkeit stehen.<br />
<strong>Die</strong> Übergänge sind so zu gestalten, dass Lern- und<br />
Leistungsbereitschaft (Unterrichtsmethodik, fachspezifisches Wissen,<br />
Leistungsbemessung) und damit auch die Lebens- und<br />
Berufsorientierung ohne Brüche abläuft.<br />
Auch volljährigen SchülerInnen muss der Zugang zur Weiterbildung<br />
offen bleiben. <strong>Die</strong> folgenschweren Kürzungen in der Erwachsenenschule<br />
müssen zurückgenommen werden.<br />
5. Flächendeckende Einführung des jahrgangsübergreifenden<br />
Unterrichts<br />
Leistungsstarke Kinder bleiben motiviert und können die Grundschule<br />
schneller durchlaufen (keine StörerInnen aus Langeweile, Kinder lernen<br />
sehr gut von Kindern).<br />
Leistungsschwache und behinderte Kinder bleiben durch<br />
Erfolgserlebnisse motiviert. Behinderte Kinder können öfter den<br />
Anschluss halten und ihre Schullaufbahn in Regelschulen fortsetzen.<br />
Unterschiedlichkeit ist „normal“.<br />
LehrerInnen können sich auf die Individualförderung konzentrieren.<br />
18<br />
Der jahrgangsübergreifende Unterricht ist sofort dort umzusetzen, wo<br />
er von den externen Evaluatoren empfohlen wurde.<br />
6. Verlässlicher Unterricht statt verlässliche Anwesenheitspflicht<br />
Wir fordern die Verringerung des Unterrichtsausfalls durch eine deutlich<br />
bessere Personalausstattung an jeder Schule, um eine kompetente<br />
Vertretung zu gewährleisten.<br />
Wir fordern die sofortige Einstellung fehlender FachlehrerInnen und<br />
LehrerInnen.<br />
Gute Vertretungskonzepte für alle Schulen, Klassen und LehrerInnen<br />
müssen erstellt und auch angewendet werden.<br />
7. Bildung von Anfang an heißt, KTHs, Schulen und Jugendhilfe<br />
gehören in die gleiche senatorische Verantwortung<br />
Ein Umdenken ist notwendig: Bildung fängt im Kindergarten an. KTHs<br />
benötigen daher zwei pädagogisch ausgebildete Fachkräfte je Gruppe.<br />
Nur durch eine bessere Zusammenarbeit und ein aufeinander<br />
abgestimmtes Bildungsverständnis und abgestimmte Bildungsziele sind<br />
flüssige Übergänge zu erzielen.<br />
8. Ausbau der Ganztagsschulen für alle Schularten<br />
Es müssen verbindliche Qualitätsstandards für Ganztagsschulen<br />
festgelegt werden. Bestehende Ganztagsschulen müssen entsprechend<br />
angepasst werden. Neue Schulen dürfen nur aufgrund dieser Standards<br />
eingerichtet werden.<br />
Ganztagsschulen müssen so gestaltet werden, dass sie für die Kinder<br />
und Eltern attraktiv sind und dadurch mehr Akzeptanz finden.<br />
9. Projektorientierter und fächerübergreifender Unterricht –<br />
SchülerInnen unterrichten statt Fächer!<br />
Verschiedene Fähigkeiten zur Aufgabenlösung binden SchülerInnen mit<br />
unterschiedlichen Kompetenzen ein. So ergeben sich Erfolgserlebnisse<br />
außerhalb der üblichen Bewertungsraster. Eine generelle<br />
Umsetzung dieser verbindlichen Unterrichtsformen ist deshalb<br />
notwendig.
Zentralelternbeirat <strong>Bremen</strong> 10 Punkte-Programm zur Bildungspolitik in <strong>Bremen</strong><br />
Vernetzen von Inhalten aus verschiedenen Fächern erleichtert das<br />
Lernen und fördert die Nachhaltigkeit der Lerninhalte.<br />
Sozialkompetenzen der SchülerInnen müssen gefördert werden.<br />
10. Elternkompetenz in die Schule einbinden<br />
Fortbildungsveranstaltungen für Eltern zur Unterstützung der<br />
Gremienarbeit an Schulen, in Erziehungsfragen und für eine<br />
konstruktive Mitarbeit an den Schulen.<br />
Elternkompetenzen stärken und für die Schule additiv nutzen.<br />
19
Wolfram Blum, Thomas Busker, Gabriele Gruße, Petra Kettler Erwartungen an den Schulentwicklungsplan<br />
Erwartungen an den Schulentwicklungsplan<br />
Der Gesamtelternbeirat Sonderpädagogik/Förderzentren erwartet eine<br />
konsequente Umsetzung einer integrativen/inklusiven Beschulung, um<br />
Chancengleichheit und die damit einhergehende, so dringend nötige<br />
entscheidende Qualitätsverbesserung, Umgang mit Heterogenität,<br />
Lernkultur für das gesamte Bremer Schulwesen erreichen zu können.<br />
Nach dem Vorbild des Förderzentrums Burgdamm müssen die<br />
Förderzentren LSV (Lernen, Sprache, Verhalten) auf eine gemeinsame<br />
Beschulung von Klasse 1 bis 10 umgestellt werden. Für die integrative<br />
Förderung müssen dringend einheitliche Standards entwickelt werden. Ein<br />
Beispiel: Im Leitfaden für die externe Evaluation Bremer Schulen vom<br />
Institut für Schulentwicklung Dr. Otto Seydel gilt als Kriterium: Was<br />
unternimmt diese Schule konkret, um eine Sonderfördermaßnahme, in der<br />
ein Kind aus seiner normalen Gruppe herausgenommen wird, auf das<br />
unverzichtbare Minimum zu reduzieren und stattdessen den fördernden<br />
Ansatz zum festen Bestandteil des Normalunterrichts zu machen?<br />
<strong>Die</strong> Quote für sonderpädagogische Förderung von 5,7% ist seit 18 Jahren<br />
nicht überprüft worden, sie wird von Fachleuten als viel zu niedrig<br />
eingeschätzt. <strong>Die</strong> eingesetzte Förderung hat sich ausnahmslos an dem<br />
vorhandenen Bedarf zu orientieren.<br />
Formulierte Mittelvorbehalte für den Bereich der Sonderpädagogik sowohl<br />
im Schulgesetz als auch im Entwurf zur Sonderpädagogikverordnung stellen<br />
eine klare Diskriminierung für Kinder und Jugendliche mit<br />
sonderpädagogischem Förderbedarf dar und müssen zurückgenommen<br />
werden.<br />
Freie Schulwahl muss es auch für Kinder mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf geben. Eltern können für ihre Kinder eine Grundschule im<br />
Ganztagsbetrieb wählen. Ab Klasse 5 gibt es freie Schulwahl auch gegen die<br />
Empfehlung der Grundschule. Anders sieht es aus, sobald<br />
sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird. Haben früher noch die<br />
SchulleiterInnen der beteiligten Schulen den Förderort bestimmt, wurde die<br />
Entscheidung durch Verfügung 10/2006 an die Fachaufsicht verlegt, die<br />
nach Aktenlage entscheidet. Wir halten beide Verfahren für unzulässig. Es<br />
kommt einer Entmündigung der Eltern gleich und ist nicht mit dem<br />
Behindertengleichstellungsgesetz vereinbar.<br />
20<br />
Aus der Vergangenheit: Erst nach massiven Protesten wurde die<br />
verlässliche Grundschule für die Förderzentren Wahrnehmung und<br />
Entwicklung eingeführt. In Spezialsonderschulen (für Sehbehinderte und<br />
Blinde sowie Hörgeschädigte) ist auch heute noch keine verlässliche<br />
Grundschule eingeführt. Bei der Einrichtung von Ganztagsschulen wurden<br />
die kooperierenden Standorte der FÖZ W+E nicht einbezogen. <strong>Die</strong> Reihe<br />
der Beispiele, mit denen gegen Art. 2 der Landesverfassung und §<br />
4,5,9,22,35 des Bremischen Schulgesetzes verstoßen wurde, ließe sich<br />
weiter fortsetzen. <strong>Die</strong>se Beispiele haben das Vertrauen von Eltern zur Politik<br />
und Behörde nachhaltig geschädigt.
Hardmuth Groß Anforderungen an die Verbesserung der Kooperation von Schule und Erziehungshilfen<br />
Anforderungen an die<br />
Verbesserung der<br />
Kooperation von Schule und<br />
Erziehungshilfen<br />
Der Arbeitsbereich Erziehungshilfen ist als<br />
Bereich der Jugendhilfe, der sich um die<br />
Kinder und Jugendlichen kümmert,<br />
deren Weg zur eigenverantwortlichen und<br />
gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit nicht<br />
geradlinig verläuft,<br />
deren Eltern bei der Wahrnehmung des Erziehungsauftrages<br />
Unterstützung benötigen,<br />
die in der Schule in der Regel nicht zu den Leistungsträgern zählen,<br />
auf eine zuverlässige Kooperation mit den Schulen angewiesen.<br />
Es gibt zurzeit kein System der Zusammenarbeit zwischen den Bereichen<br />
Bildung und Erziehungshilfen, das so beschrieben ist, dass die<br />
MitarbeiterInnen von guten Verfahrensvereinbarungen in der<br />
Zusammenarbeit geleitet werden und die Reibungsverluste minimal sind.<br />
Das dies so ist, liegt in der Regel nicht an den Akteuren vor Ort, sondern<br />
daran, dass die gemeinsame Verantwortung der beiden Ressorts nicht<br />
erkennbar ist. Beide Ressorts halten jeweils ein Hilfesystem vor. <strong>Die</strong>se<br />
beiden Hilfesysteme sind nicht aufeinander abgestimmt. <strong>Die</strong> gesetzlichen<br />
Grundlagen sind oft nicht bekannt, die daraus ableitbaren Arbeitsaufträge<br />
werden nicht akzeptiert, die fachlichen Grundlagen der Arbeit werden nicht<br />
anerkannt.<br />
Aktuelle Zwischenergebnisse (ca. 20% bis 25% eines<br />
SchülerInnenjahrgangs gelten als nicht ausbildungsfähig; der Schulerfolg<br />
hängt wesentlich vom sozialen Status der Eltern ab; Kinder mit<br />
schwierigem Verhalten – oft bedingt durch psychische Beeinträchtigungen –<br />
werden verstärkt sowohl in der Schule als auch in der Jugendhilfe<br />
ausgegrenzt) sollten bei allen Beteiligten zur Erkenntnis führen, dass kein<br />
System allein die notwendigen Ressourcen für Lösungen vorhält. <strong>Die</strong> häufig<br />
zu beobachtende Konkurrenz zwischen MitarbeiterInnen der Systeme ist<br />
kontraproduktiv.<br />
21<br />
Was wir verbessern müssen:<br />
Wenn wir über die gemeinsame Erziehung und Bildung von Kindern<br />
sprechen, müssen wir alle Kinder einbeziehen, auch die Regelverletzer<br />
und psychisch beeinträchtigten Kinder, die uns besonders<br />
herausfordern. Wir brauchen gemeinsame Konzepte vom Lernen und<br />
von der kindlichen Entwicklung, die für alle Kinder gelten.<br />
Lösungen müssen im Regelsystem gefunden werden. Wir haben kein<br />
Recht, Kinder auszugrenzen. Kinder brauchen keine Kinder als Partner,<br />
die dieselben Probleme/Schwierigkeiten haben wie sie selbst; sie<br />
brauchen Kinder als Partner und Modelle, von denen und mit denen sie<br />
lernen können.<br />
LehrerInnen und MitarbeiterInnen der Jugendhilfe müssen<br />
partnerschaftlich zusammen arbeiten. Es müssen die Strukturen<br />
geschaffen werden, in denen eine Zusammenarbeit möglich ist. Auch<br />
wenn langfristig flächendeckend Ganztagsschulen eingeführt werden,<br />
sind dadurch allein die Schwierigkeiten der Kinder und Familien nicht<br />
gelöst. Wir verfügen in den Erziehungshilfeeinrichtungen über eine<br />
Professionalität, auf die aktuell nicht verzichtet werden kann. <strong>Die</strong><br />
besonderen Förderungsmöglichkeiten, die im Bereich der<br />
Erziehungshilfen entwickelt worden sind, müssen mit den<br />
sonderpädagogischen Förderungsmöglichkeiten der Förderzentren<br />
zusammengeführt werden.<br />
<strong>Die</strong> gesetzlichen Grundlagen der jeweiligen Arbeitsbereiche müssen<br />
bekannt gemacht und akzeptiert werden. <strong>Die</strong> Parteilichkeit der<br />
MitarbeiterInnen der Erziehungshilfen für die Kinder und Eltern ist<br />
gesetzlich geregelt und hat solange Bestand, wie die Eltern an der<br />
Sicherstellung des Kindeswohls mitarbeiten. <strong>Die</strong> Parteilichkeit ist nicht<br />
gegen die Schule/das Lehrpersonal gerichtet.<br />
<strong>Die</strong> Jugendhilfe ist kein Reparaturbetrieb. Lösungen müssen wir<br />
gemeinsam erarbeiten.<br />
Sozialpädagogische Fachkräfte sind keine Spielpartner der Kinder oder<br />
Betreuungspersonal, sondern qualifiziertes Fachpersonal, das im<br />
Rahmen bestehender Arbeitsaufträge qualifiziert arbeitet. Wenn dann<br />
doch mal mit den Kindern gespielt wird, ist das auch gut so.
Hardmuth Groß Anforderungen an die Verbesserung der Kooperation von Schule und Erziehungshilfen<br />
Wir müssen uns besonders um die durch Gewalterfahrungen<br />
traumatisierten und die sehr stark verhaltensauffälligen Kinder<br />
kümmern. <strong>Bremen</strong> als eine der Hochburgen der Retalinvergabe in<br />
Deutschland sollte die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen<br />
Bildung, Jugendhilfe und Gesundheit anders gestalten.<br />
Wir müssen in den Schulen eine Atmosphäre schaffen, in der das<br />
Anfordern von Unterstützung für einzelne Kinder als professionell<br />
anerkannt wird und nicht als Störung im System.<br />
22
Hajo Kuckero Schulentwicklung – was ist notwendig aus Sicht des Personalrats Schulen?<br />
Schulentwicklung – was ist<br />
notwendig aus Sicht des<br />
Personalrats Schulen?<br />
Primäre Aufgabe des Personalrats Schulen ist<br />
nicht die Bildungspolitik, sondern die Vertretung<br />
der Interessen aller an Schulen Beschäftigten.<br />
Das heißt allerdings, sich auch für eine<br />
Bildungspolitik einzusetzen, die die Interessen der<br />
Beschäftigten berücksichtigt.<br />
Positiv für die Beschäftigten ist eine Bildungspolitik, die<br />
allgemein gesagt: gute Bildungsergebnisse ermöglicht und allen<br />
Kindern und Jugendlichen gleiche Chancen für einen guten<br />
Bildungsabschluss ermöglicht,<br />
konkret gesagt: Benachteiligungen und Ausgrenzungen von<br />
SchülerInnen insbesondere aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder eines<br />
Migrationhintergrundes durch pädagogische und schulstrukturelle<br />
Maßnahmen abbaut und verhindert und<br />
darüber hinaus die in den letzten Jahren zunehmend belastenderen<br />
Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte, pädagogische MitarbeiterInnen,<br />
Verwaltungskräfte, Reinigungspersonal und HausmeisterInnen wieder<br />
verbessert.<br />
Daraus folgt, dass schulische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die<br />
die Lernentwicklung und Ermutigung der Kinder und Jugendlichen (statt<br />
Zensierung und Beschämung) noch mehr in den Mittelpunkt stellen.<br />
eine frühe Sortierung der SchülerInnen nach vorgeblichen<br />
„Leistungskriterien“ verhindern und allen über einen langen Zeitraum<br />
gemeinsam gleiche Entwicklungschancen geben.<br />
eine gemeinsame gleichmäßige Entwicklung aller Kinder und<br />
Jugendlichen über eine möglichst lange Zeit des Tages ermöglichen.<br />
viele differenzierte Fördermöglichkeiten und Projekte für die<br />
unterschiedlichen sozialen und individuellen Voraussetzungen,<br />
Begabungen und Interessen aller SchülerInnen schaffen.<br />
23<br />
die positive Weiterentwicklung pädagogischer Arbeit durch die<br />
Entbürokratisierung von Schule, Stärkung pädagogischer<br />
Eigenverantwortlichkeit und Reduzierung behördlicher Vorgaben sowie<br />
Entlastung der Beschäftigten ermöglichen.<br />
die Verbesserung der Lern- und Lehrbedingungen für Kinder,<br />
Jugendliche und PädagogInnen (z.B. kleinere Klassen/Lerngruppen,<br />
mehr Kooperations- und Vorbereitungszeit für pädagogische<br />
MitarbeiterInnen, Rücknahme der erhöhten Unterrichtsverpflichtungen<br />
für Lehrkräfte) in Gang setzen.<br />
die Schule stärker zum Lebensraum für Kinder und Jugendliche im<br />
Stadtteil machen und ihnen viele zusätzliche Angebote u.a. durch<br />
SozialpädagogInnen, PsychologInnen, Freizeit-, Beratungs- und<br />
Unterstützungseinrichtungen bieten.<br />
<strong>Die</strong>s sind Kriterien, die für den Personalrat Schulen für die zukünftige<br />
Entwicklung der Schulen in <strong>Bremen</strong> wichtig sind. Entsprechend wird der<br />
Personalrat Schulen den Fachausschuss für Schulentwicklung bei seiner<br />
Arbeit im Sinne einer besseren Schule für Kinder, Gesellschaft und<br />
Beschäftigte unterstützen.
GesamtschülerInnenvertretung Schule in <strong>Bremen</strong> – GSV fordert eine grundlegende Veränderung<br />
Schule in <strong>Bremen</strong> –<br />
GesamtschülerInnenvertretung<br />
fordert eine grundlegende<br />
Veränderung<br />
<strong>Die</strong> Schule ist eine Institution, die alle jungen<br />
Menschen durchlaufen. Eigentlich sollte sie<br />
deswegen ein Ort sein, an dem sich alle wohl<br />
fühlen, jedoch ist es oft genau das Gegenteil.<br />
Einige fragen sich bestimmt, wieso das so ist. Geben wir einen kurzen<br />
Überblick, wie es in der Schule aussieht.<br />
Jede/r weiß, dass SchülerInnen viel besser lernen, wenn sie sich ihr Wissen<br />
selber erarbeiten. <strong>Die</strong>s geschieht in <strong>Bremen</strong> jedoch relativ selten, denn<br />
immer noch ist der Frontalunterricht die am häufigsten ausgeübte<br />
Unterrichtmethode. Frontalunterricht bedeutet, dass Themen nicht<br />
gemeinsam erarbeitet werden, sondern die LehrerInnen diese vorgeben und<br />
die SchülerInnen „konsumieren“. Außerdem müssen alle gleich schnell<br />
lernen und es wird nicht individuell auf einzelne SchülerInnen eingegangen.<br />
Meistens ist es auch gar nicht anders möglich, denn z.B. Gruppenarbeiten<br />
brauchen eine gute, intensive Betreuung, was eine einzelne Lehrkraft bei 33<br />
SchülerInnen nicht durchgehend leisten kann.<br />
SchülerInnen, die sich von diesem Unterricht nicht angesprochen fühlen,<br />
sind oft laut. Deshalb braucht es Disziplinierungsmittel. In der Schule sind<br />
Noten das zentrale Disziplinierungsmittel. <strong>Die</strong>se sagen nichts über das<br />
wirkliche „Können“ oder den Intellekt aus, da Noten niemals individuell,<br />
sondern verallgemeinernd sind. Sie schüren Konkurrenzdenken und hängen<br />
von vielen Faktoren ab (Lerntempo, Interesse, Nachhilfe, sozialer<br />
Hintergrund, etc.) Wer schlechte Noten hat, bleibt sitzen und das ist für die<br />
meisten SchülerInnen ein schrecklicher Gedanke. Noten bewirken ebenfalls,<br />
dass Schulstoff reproduziert werden muss, selten bleiben Informationen<br />
nach den Arbeiten im Gedächtnis. Des Weiteren haben sozialer Stand und<br />
Herkunft Einfluss auf die Noten. Beispielsweise bei Hausaufgaben ist die<br />
Betreuung durch die Eltern nicht immer gewährleistet, was zu<br />
verschiedener Lernentwicklung führt. Oft wird gesagt, dass in der Schule<br />
fürs Leben gelernt wird. Das stimmt auch. SchülerInnen wird z.B.<br />
beigebracht, Autoritäten anzuerkennen. SchülerInnen, die sich gegen ihre<br />
24<br />
LehrerInnen auflehnen, müssen manchmal damit rechnen, schlechte Noten<br />
zu bekommen. Wer im Unterricht redet, muss Extra-Aufgaben machen.<br />
All diese Faktoren laufen auf ein Ziel hinaus – die Selektion. <strong>Die</strong> Schule<br />
sortiert für den Arbeitsmarkt vor und das ab der Grundschule. Am Ende<br />
sollen möglichst produktive Menschen herauskommen, die gut verwertbar<br />
sind, egal ob FließbandarbeiterIn oder ManagerIn. <strong>Die</strong>s kann aber nicht das<br />
Ziel sein, denn eine Schule sollte für die Menschen und nicht für den<br />
Arbeitsmarkt fungieren.<br />
Um eine Schule zu schaffen, in die die SchülerInnen gerne gehen, wäre die<br />
Ganztagsschule und Gesamtschule ein Schritt in die richtige Richtung.<br />
Allerdings nicht so, wie sie momentan auf einigen Schulen eingeführt<br />
wird/wurde. Dort gibt es weiterhin Frontalunterricht und Hausaufgaben.<br />
Zusätzlich müssen die SchülerInnen länger in der Schule bleiben. So ist die<br />
Ganztagsschule nur eine weitere Belastung für SchülerInnen. Sie ist nur<br />
sinnvoll, wenn nicht selektiert wird, es wirklich keine Hausaufgaben mehr<br />
gibt und soviel wie möglich in der Schule gelernt werden kann.<br />
Projektunterricht und Selbstbestimmung sollten Basis des Lernens sein. <strong>Die</strong><br />
Schule sollte die Entwicklung von SchülerInnen zu selbstständigen<br />
Menschen, deren Bildung und Zukunft nicht vom sozialen Stand oder deren<br />
Herkunft abhängt, gewährleisten.<br />
Ganztags- und Gesamtschule dürfen nicht heißen, dass SchülerInnen länger<br />
in der Schule bleiben müssen und keine Freizeit mehr haben, sondern dass<br />
die Schule ein angenehmer Ort zum Lernen wird. Ebenfalls sollte die Schule<br />
mit vielfältigen Freizeitangeboten und längeren Pausen aufgelockert<br />
werden. Schule darf nicht mehr der stressige Ort voller Frust über schlechte<br />
Noten, strenge LehrerInnen, Mobbing und durchweg Pauken sein.<br />
<strong>Die</strong> GesamtschülerInnenvertretung <strong>Bremen</strong> fordert eine Schule, die eine<br />
hochwertige, am Menschen ausgerichtete Bildung garantiert.
Dr. Tobias Erzmannn Zum Stellenwert der Neugestaltung von Übergängen<br />
Zum Stellenwert der<br />
Neugestaltung von<br />
Übergängen:<br />
Kindergarten – Grundschule –<br />
Sekundarstufe<br />
<strong>Die</strong> Übergänge von den vorschulischen<br />
Einrichtungen in die Grundschulen wie von den<br />
Grundschulen in die Schulen der Sekundarstufe<br />
I sind entscheidend in der Biografie von Kindern<br />
und Jugendlichen. Durch eine gelingende<br />
Verzahnung der Arbeit dieser Einrichtungen<br />
kann die Förderung der Kinder gezielt<br />
fortgesetzt werden. Bereits gewonnene Kenntnisse über das jeweilige Kind<br />
(Stärken und Schwächen, Lernwege, soziale Kompetenzen, familiärer<br />
Hintergrund, etc.) können weitergegeben und berücksichtigt werden.<br />
Eine flexiblere Gestaltung der Übergänge kann für die Kinder eine Brücke<br />
sein, setzt aber voraus, dass das vorhandene Wissen über das Kind an die<br />
aufnehmende Schule weitergegeben wird. Auch die Formen des Übergangs<br />
sind hier von Bedeutung: So wichtig wie die Vorbereitung der Kinder im<br />
Kindergarten auf die Schule ist, so wichtig ist es, dass ein angemessener<br />
Start in der Schule gelingt. <strong>Die</strong> Voraussetzungen der Kinder sind dabei sehr<br />
unterschiedlich. Es ist wichtig, dass jedes Kind entsprechend seiner<br />
individuellen Möglichkeiten lernen kann. Sinnvoll ist eine Flexibilisierung des<br />
Schulanfangs auch im Sinne einer flexiblen und jahrgangsgemischten<br />
Schuleingangsphase.<br />
Wenn es gelingt, die in der abgebenden Einrichtung begonnene Arbeit in<br />
der aufnehmenden fortzuführen, die gewonnenen Erkenntnisse bei den<br />
jeweiligen Kindern an die nun zuständige Schule zu übermitteln und einen<br />
möglichst fließenden Übergang im Sinne weitgehend gemeinsamer bzw.<br />
abgestimmter Curricula zu gewährleisten, können frühzeitig bestehende<br />
Bedarfe erkannt und gezielt individuelle Unterstützung angeboten werden.<br />
<strong>Die</strong>s bedeutet, dass die jeweiligen Einrichtungen eines Stadtteils eng<br />
zusammenarbeiten und aufeinander abgestimmte Strukturen und<br />
Arbeitsmethoden entwickeln und praktizieren. Gleichermaßen setzt dies<br />
voraus, dass die Politik die Rahmenbedingungen dafür schafft, damit<br />
25<br />
Kooperationen und eine engere Zusammenarbeit zwischen den<br />
Einrichtungen möglich werden.<br />
Für die Flexibilisierung der Übergänge bedarf es einer engen Verzahnung<br />
der Ressorts Bildung und Soziales (oder der Zuständigkeit lediglich eines<br />
Ressorts für Kindergärten und Schule), aber auch einer Individualisierung in<br />
den Anforderungen an die Kinder und Jugendlichen entsprechend der<br />
mitgebrachten Voraussetzungen (Hochbegabung, Migrationshintergrund,<br />
Behinderung, Voraussetzung im Stadtteil, etc.).<br />
Versuche einer engeren Verzahnung etwa von Kindergarten und<br />
Grundschule hat es in <strong>Bremen</strong> bereits gegeben. So wurde 2003 das Projekt<br />
„Frühes Lernen – Kindergarten und Grundschule kooperieren“ als eines von<br />
mehreren sogenannten PISA-Projekten eingerichtet. Ziel war es, die<br />
Bildungsangebote abzustimmen, die Elternarbeit gemeinsam zu verstärken<br />
und eine adäquate Kooperationsstruktur aufzubauen. Das Projekt lief bis<br />
2005 und wurde von der Universität <strong>Bremen</strong> wissenschaftlich begleitet. <strong>Die</strong><br />
hier gewonnenen Erkenntnisse sind jedoch bisher nicht in die Breite<br />
getragen worden und sollten bei der Frage der Weiterentwicklung der<br />
Bremischen Schullandschaft eine wichtige Rolle spielen.<br />
Folgende Probleme zeichnen sich zurzeit ab:<br />
<strong>Die</strong> Ressorts Bildung und Soziales arbeiten bisher nicht eng genug<br />
zusammen, um die Übergänge fließender zu gestalten.<br />
<strong>Die</strong> Kenntnisse der konkreten Arbeit in den aufnehmenden oder<br />
abgebenden Einrichtungen sind häufig gering. Verstärkt wird dies durch<br />
unterschiedliche Ausbildungsvoraussetzungen der MitarbeiterInnen<br />
(ErzieherInnen, SozialpädagogInnen, GrundschullehrerInnen,<br />
LehrerInnen der Sekundarstufe, etc.) und der häufig sehr<br />
unterschiedlichen Wahrnehmung des jeweiligen Arbeitsauftrages in den<br />
Einrichtungen. Ein zentrales Hemmnis für eine enge Zusammenarbeit<br />
sind hier auch die mit den verschiedenen Berufsbildern und definierten<br />
Arbeitsaufträgen verbundenen Vorbehalte gegen die jeweils anderen,<br />
besonders im Kooperationsfeld zwischen Kindergarten und Grundschule.<br />
Es gibt in der Regel keine inhaltlichen Absprachen oder abgestimmte<br />
regionale Curricula für das Bildungsangebot zwischen Kindergarten und<br />
Grundschule bzw. Grundschule und Sekundarstufe.<br />
Der Fächerunterricht und die damit verbundene Zuständigkeit<br />
verschiedener Lehrpersonen mit geringem Zeitkontingent in den<br />
Schulen der Sekundarstufe I erschwert die gemeinsame Betrachtung,
Dr. Tobias Erzmannn Zum Stellenwert der Neugestaltung von Übergängen<br />
die Abstimmung der individuellen Lehrziele und die gezielte Förderung<br />
beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I.<br />
Es gibt in der Regel keine abgestimmte Elternarbeit. <strong>Die</strong>s ist<br />
insbesondere für Kinder wichtig, die ein hohes Maß an Unterstützung<br />
durch die Einrichtung benötigen.<br />
Eine Zusammenarbeit der Einrichtungen wird dadurch erschwert, dass<br />
Kindergärten und Schulen unterschiedliche Einzugsbereiche haben und<br />
dies wiederum einen hohen Aufwand bei den Kooperationsbemühungen<br />
zur Folge hat.<br />
Folgende Aspekte sind für die Flexibilisierung der Übergänge von<br />
Bedeutung:<br />
Sinnvoll ist eine strukturierte Flexibilisierung der Schuleingangsphase<br />
(Jahrgangsmischung, Möglichkeit eines Schulwechsels mehrfach im<br />
Schuljahr, etc.)<br />
Es bedarf eines Aufbaus von tragfähigen Arbeits- und<br />
Kooperationsstrukturen in Kooperationsverbünden zwischen<br />
Kindergarten und Grundschule bzw. Grundschule und weiterführender<br />
Schule.<br />
Kindergärten und Grundschule bzw. Grundschule und Schule der<br />
Sekundarstufe I sollten sich eng über die inhaltlichen und<br />
pädagogischen Ziele in ihrer Arbeit im Sinne von übergreifenden<br />
Bildungsplänen abstimmen.<br />
<strong>Die</strong> Ganztagsschule bietet die Chance, mit mehr Zeit und flexibleren<br />
Unterrichtsformen durch Rhythmisierung über den ganzen Tag, aber<br />
auch durch ihren Personalmix (ErzieherInnen,<br />
BehindertenpädagogInnen, etc.) eine Flexibilisierung in den<br />
Übergängen zu erleichtern.<br />
Bestehende Kontakte zu den Eltern sollten auch in der aufnehmenden<br />
Schule weiter gepflegt werden, so dass diese nicht abrupt abbrechen.<br />
Es bedarf gemeinsamer Fortbildungen der verschiedenen Professionen<br />
zu Fragen kindlicher Entwicklung, Methoden der Lernbegleitung,<br />
Erstellung von Portfolios, aber auch um das Bewusstsein der<br />
gemeinsamen Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen zu<br />
stärken. Es ist notwendig, diesen Arbeitsschwerpunkt entsprechend bei<br />
den Personalplanungen und der Verteilung der zur Verfügung stehenden<br />
Mittel zu berücksichtigen.<br />
Es bedarf der Ausarbeitung differenzierten Unterrichtsmaterials für<br />
mehrere Entwicklungsniveaus der Kinder in Bezug auf Inhalte,<br />
Materialien und Methoden.<br />
26<br />
Portfolios dokumentieren die Entwicklung der einzelnen Kinder und<br />
bieten ein sinnvolles Instrument für den Informationsfluss zwischen den<br />
Einrichtungen.
Sabine Heinbockel, Stefan Siefert Schulentwicklung braucht Unterstützung<br />
Schulentwicklung braucht<br />
Unterstützung<br />
<strong>Die</strong> Serviceagentur „Ganztägig lernen“ ist ein<br />
Kooperationsprojekt des Landes <strong>Bremen</strong>, der<br />
Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und<br />
des Bundesministeriums für Bildung und<br />
Forschung. Seit 2004 beraten und begleiten<br />
wir in <strong>Bremen</strong> Schulen auf dem Weg zur<br />
Ganztagsschule. <strong>Die</strong> Veränderungsprozesse,<br />
die diese Schulen durchlaufen, umfassen das<br />
gesamte System der Einzelschule.<br />
Als Schulentwicklungsprozess hat das<br />
wiederum Auswirkungen auf das<br />
Gesamtsystem der Schulen im Land.<br />
Ganztagsschule ist eine wichtige Schulart, im<br />
Kern geht es jedoch um die Entwicklung<br />
„guter Schule“ unabhängig von ihrer<br />
Organisationsform.<br />
Bei der Ganztagsschulentwicklung sind vier<br />
Kernbereiche signifikant:<br />
die Unterrichtsentwicklung: Ziel ist eine<br />
neue Lernkultur in heterogenen Gruppen<br />
mit individualisiertem Lernen.<br />
die Personalentwicklung: Neue<br />
Berufsgruppen in der Schule – wie<br />
ErzieherInnen und SozialpädagogInnen – ermöglichen Teamarbeit in<br />
multidisziplinären Teams, in denen alle voneinander lernen und ihr<br />
jeweiliges Rollenverständnis erweitern und anreichern können.<br />
die Organisationsentwicklung: Eine veränderte Zeitgestaltung durch<br />
Rhythmisierung des Tages, die Öffnung der Schule in den Stadtteil bis<br />
zur Teamarbeit in neuen Arbeitszeitmodellen für LehrerInnen.<br />
<strong>Die</strong> Lehr- und Lernkultur: Über Raumgestaltung, Essensversorgung,<br />
integrierte Freizeitangebote und Beteiligung als Prinzip wird Schule zum<br />
Lebens- und Lernort.<br />
27<br />
Um solche komplexen Prozesse möglich zu machen, sind alle Beteiligten am<br />
System Schule gefordert, ihre erworbenen Routinen und Kenntnisse zu<br />
überprüfen:<br />
Schulleitungen werden mit neuen Aufgaben z.B. im Bereich von<br />
Management, Personalführung, Vernetzung mit der Jugendhilfe und<br />
Moderation von Teams konfrontiert.<br />
LehrerInnen setzen sich mit einer veränderten Rolle auseinander.<br />
Teamstrukturen entstehen, wo früher oft vereinzelt gearbeitet wurde,<br />
offene Unterrichtsformen wie Lernen in Projekten statt in Fächern,<br />
Teamteaching, selbstständiges Lernen, etc. ersetzen den klassischen<br />
Unterricht und nicht zuletzt nehmen besonders in der Ganztagsschule<br />
die erzieherischen Aufgaben einen immer breiter werdenden Raum ein.<br />
ErzieherInnen und SozialpädagogInnen mit einem anderen<br />
pädagogischen Blick treffen auf ein neues, anders organisiertes<br />
Arbeitsfeld, in das sie sich und ihre Expertise integrieren.<br />
Eltern beteiligen sich über die Gremien hinaus z.B. als kompetente<br />
GestalterInnen von Arbeitsgemeinschaften für SchülerInnen.<br />
SchülerInnen erleben ihre Schule nun als Lebensort, den sie<br />
mitgestalten wollen.<br />
Schulverwaltung und Politik treffen auf Schulen, die z.B. veränderte<br />
Fortbildungs- und Unterstützungsbedarfe formulieren, erheblich<br />
erweiterte Aufgaben übernehmen und zunehmend mehr<br />
Eigenständigkeit fordern.<br />
<strong>Die</strong>se tiefgreifenden Wandlungen müssen entsprechend begleitet und<br />
moderiert werden. Eine neue schulische Kultur kann nicht verordnet<br />
werden, sondern wächst im Spannungsfeld der verschiedenen<br />
Anspruchsgruppen, sie braucht Prozessorientierung, Fehlertoleranz und<br />
Planungssicherheit. Ohne diese und ohne kompetente Begleitung und<br />
Qualifizierung der Beteiligten bleibt eine Schulentwicklung Stückwerk und<br />
Dauerbaustelle ohne Mehrwert für die Kinder und Jugendlichen.<br />
Professionell gestaltete Schulentwicklung erfordert auch Ressourcen: Zeit,<br />
Geld, Personal, systematische Unterstützung und sinnvolle Vernetzung der<br />
Unterstützungssysteme und der Schulen selbst.
Dr. Zahra Mohammadzadeh Bildung ist ein wesentlicher Faktor der Integration<br />
Bildung ist ein wesentlicher<br />
Faktor der Integration<br />
Deutschland vergeudet das Potenzial von<br />
Kindern mit Migrationhintergrund. Bei der<br />
Integration der bereits hier geborenen Kinder<br />
aus Migrantenfamilien versagt unser<br />
Schulsystem total. <strong>Die</strong> Konsequenz: Für die<br />
Mehrheit der MigrantInnen gibt es in<br />
Deutschland kaum Aufstiegschancen. Hier<br />
muss etwas getan werden, denn weder aus<br />
sozialen noch aus wirtschaftlichen Gründen<br />
können wir es uns leisten, knapp die Hälfte<br />
der SchülerInnen mit Migrationhintergrund<br />
mit Grundschulniveau aus dem Bildungssystem zu entlassen!<br />
Dabei ist die Einwanderungsgesellschaft längst Realität. Sie bietet starke<br />
Potenziale, die so bislang aber nicht genutzt werden. 2006 kamen 9,8<br />
Prozent aller SchülerInnen aus Migrantenfamilien. In <strong>Bremen</strong> haben<br />
mittlerweile 50 Prozent der GrundschülerInnen einen Migrationshintergrund.<br />
Regelmäßig verlassen fast zwei Drittel die Schule lediglich mit<br />
Hauptschulabschluss oder gar ohne Abschluss – gegenüber rund 30 Prozent<br />
bei den Kindern aus einheimischen Familien. PISA 2006 macht deutlich,<br />
dass Bildung in Deutschland nicht allen Kindern gleichermaßen offen steht,<br />
wie es das Grundgesetz eigentlich verlangt. In keinem anderen Land ist der<br />
Unterschied zwischen Kindern mit und ohne Migrationhintergrund so groß!<br />
Dabei ist Bildung ein wesentlicher Faktor der Integration.<br />
Alle Befunde unterstreichen die Bedeutung der sozialen Herkunft und der<br />
Sprachkompetenz für den Schulerfolg. Erschreckend ist auch das relativ<br />
geringe Leistungsniveau der bereits hier geborenen Migrantenkinder. Für<br />
die Integration und Förderung dieser Migrantengruppe muss mehr getan<br />
werden. <strong>Die</strong>se Jugendlichen kommen überwiegend aus Familien, deren<br />
Einkommen deutlich unter dem Durchschnitt liegt und in denen Deutsch zu<br />
Hause unterdurchschnittlich häufig gesprochen wird. Einkommensverteilung<br />
und Wohnsituation spielen eine bedeutende Rolle. Kinder, die in einem<br />
besser situierten Stadtteil <strong>Bremen</strong>s aufwachsen, haben eine teils viermal<br />
größere Chance, auf eine weiterführende Schule zu gelangen, als Kinder<br />
aus benachteiligten Quartieren. Negative Auswirkungen des Wohnumfeldes<br />
28<br />
wirken daher zusätzlich benachteiligend. In <strong>Bremen</strong> sind fast ein Drittel der<br />
Kinder unter 15 Jahren Teil einer „Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft“; in<br />
Bremerhaven sind es sogar mehr als 40 Prozent. In Stadtteilen, wo der<br />
MigrantInnenanteil hoch ist – wie Neue Vahr Nord, Gröpelingen, Kattenturm<br />
oder Tenever – ist jedes zweite Kind von Armut betroffen. <strong>Die</strong><br />
Lebensumstände der Kinder wirken sich direkt auf die Schullaufbahn aus.<br />
So betrug 2005 der Anteil der Sekundarstufe-II-SchülerInnen in <strong>Bremen</strong>-<br />
Borgfeld 58,5 Prozent, im Ortsteil Tenever nur knapp 17 Prozent.<br />
<strong>Die</strong>se Fakten verlangen konsequentes Handeln. Unser gegliedertes<br />
Schulsystem muss dringend verändert werden. Wir brauchen durchgängig<br />
Schulen, in denen alle bis zum 9. oder 10. Schuljahr gemeinsam mit- und<br />
voneinander lernen. Sekundarschulen, in denen Migrantenkinder nur noch<br />
benachteiligte Restschüler sind, können keine guten<br />
Unterrichtsbedingungen für individuelle Förderung bieten. Wir sollten<br />
endlich auf den Sachverstand der internationalen Bildungsforschung hören,<br />
die auch in der neuen PISA-Studie wieder eindeutig zu dem Schluss kommt,<br />
dass das mehrgliedrige Schulsystem nicht mehr zeitgemäß und daher<br />
ungeeignet ist – nicht nur für die Förderung von Migrantenkindern!<br />
<strong>Die</strong> frühe sprachliche Förderung der Kinder ist eine Schlüsselaufgabe der<br />
Integrationspolitik. Spracherwerb weist den Weg für eine erfolgreiche<br />
Integration, sie ist eine elementare Voraussetzung für Bildung, Ausbildung<br />
und Integration in den Arbeitsmarkt. Schon im Kindergarten muss die<br />
Sprachförderung beginnen. Sie darf aber dort nicht enden, sondern muss<br />
über die Grundschulebene hinaus konsequent weitergeführt werden.<br />
Deutsche Sprachförderung heißt aber nicht, dass die Muttersprache<br />
unterdrückt werden darf. <strong>Die</strong> Muttersprache ist das Fundament, auf dem<br />
sich die Identität des Menschen aufbaut. <strong>Die</strong> Wertschätzung der<br />
Muttersprache ist daher ein bedeutender Faktor für das Selbstwertgefühl<br />
und somit für die Integrationsfähigkeit des jungen Menschen.<br />
Muttersprachlicher Unterricht in der Grundschule ist für den weiteren<br />
Bildungsweg daher ebenso wichtig wie der Deutschunterricht. Dafür ist der<br />
Einsatz qualifizierter MigrantInnen im Lehrkörper unerlässlich.<br />
Eine ebenso große Bedeutung hat die Förderung lokaler<br />
Bildungseinrichtungen im Wohnumfeld. Innerhalb der kommenden Jahre<br />
muss auch der Umbau von Schulen zu Ganztagseinrichtungen und die<br />
Integration vorschulischer Betreuungsangebote flächendeckend<br />
organisatorisch und finanziell bewältigt werden. In all diesen Einrichtungen<br />
muss die interkulturelle Kompetenz des Lehr- und Betreuungspersonals
Dr. Zahra Mohammadzadeh Bildung ist ein wesentlicher Faktor der Integration<br />
erhöht werden. Dazu gehören auch soziale und kommunikative<br />
Kompetenzen im Umgang mit Migrantenkindern. Lehrinhalte und<br />
Lehrmaterialien müssen daraufhin überprüft werden, ob und mit welchen<br />
Rollenbildern MigrantInnen darin vorkommen und ob sie positive<br />
Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder bieten.<br />
Das Bildungssystem muss insgesamt eine interkulturelle Öffnung erfahren.<br />
So wie MigrantInnen immer mehr zu einem selbstverständlichen Bestandteil<br />
unserer Gesellschaft werden, müssen auch im Schulsystem Kinder und<br />
Jugendliche mit Migrationshintergrund selbstverständlich alle<br />
Bildungschancen nutzen können. Dazu ist es nötig, kulturell bedingte<br />
Zugangsbarrieren abzubauen. Nur wenn sich das Bildungssystem<br />
interkulturell öffnet, werden die MigrantInnen auch im Arbeitsleben, in der<br />
Wirtschaft und im Bereich der politischen Partizipation am gesellschaftlichen<br />
Leben mit Chancengleichheit teilhaben können. Für dieses Ziel müssen und<br />
wollen wir alle Möglichkeiten nutzen, die der Bremer Landespolitik zur<br />
Verfügung stehen.<br />
29
Thomas Bretschneider Assistenz: Ein Prinzip für die Zukunft<br />
Assistenz: Ein Prinzip für<br />
die Zukunft<br />
Seit 1991 organisiert der Martinsclub <strong>Bremen</strong><br />
e.V. die Assistenz für körperbehinderte<br />
SchülerInnen in Bremer Regelschulen. Zurzeit<br />
wird über 100 behinderten SchülerInnen der<br />
Besuch der Regelschule durch Assistenz<br />
ermöglicht. Als zentraler Kooperationspartner<br />
der Senatorin für Bildung stellt der m|c als<br />
freier Träger im gesamten Stadtgebiet die<br />
Realisierung des Programms „Assistenz in<br />
Regelschulen“ sicher.<br />
In den 17 Jahren haben wir mit dem Programm „Assistenz in Regelschulen“<br />
Erfahrungen im letzten integrativen Angebot im Bremer Schulsystem<br />
sammeln können. <strong>Die</strong> Laufzeit, der Umfang und die Professionalität des<br />
Programms suchen in Deutschland seinesgleichen. So werden z.B.<br />
ausschließlich Fachkräfte mit einer Mindestqualifikation als Erzieher/in<br />
eingesetzt. Kinder mit spezifischen medizinischen Bedarfen werden durch<br />
Pflegekräfte betreut. Im Durchschnitt wird ein/e Schüler/in von einer/m<br />
Mitarbeiter/in ca. vier Jahre begleitet. Rund 80 % der Kinder durchlaufen<br />
eine völlig normale Schullaufbahn und machen den entsprechenden<br />
Schulabschluss.<br />
Nicht nur für körperbehinderte SchülerInnen hat sich das Programm<br />
„Assistenz in Regelschulen“ als richtungweisend erwiesen. <strong>Die</strong> Erfahrungen<br />
zeigen deutlich, dass mithilfe von Assistenz auch ein umfassender<br />
integrativer Anspruch für die Beschulung von SchülerInnen mit anderen<br />
Behinderungsformen umgesetzt werden kann. Besonders hervorzuheben<br />
sind folgende Kennzeichen:<br />
1. Kontinuität: Ein/e Mitarbeiter/in betreut eine/n Schüler/in über<br />
mehrere Jahre. Das bedeutet Kontinuität und Sicherheit für<br />
SchülerInnen, MitschülerInnen, LehrerInnen und Eltern.<br />
2. Professionalität: Durch den Einsatz von Fachkräften stehen neben<br />
den notwendigen Betreuungstätigkeiten im Wesentlichen komplexe<br />
Integrationsleistungen im Mittelpunkt. D.h., die Fachkräfte sichern die<br />
30<br />
Integration der behinderten SchülerInnen im sozialen Kontext des<br />
Klassenverbandes.<br />
3. Präsenz: Durch die selbstverständliche Präsenz von behinderten<br />
SchülerInnen entwickeln MitschülerInnen, LehrerInnen und Eltern<br />
eine hohe soziale Kompetenz. Dem Thema Behinderung wird auf<br />
natürliche Weise ohne Distanz begegnet und es wirkt prägend.<br />
4. Qualität und Sicherheit: <strong>Die</strong> Organisation durch einen freien Träger<br />
sorgt für langfristige Sicherheit und Verlässlichkeit. In<br />
Kooperationsverträgen werden Vertretungen, Arbeitszeiten und ein<br />
umfassendes Regelwerk bereitgehalten, das das komplexe<br />
Arbeitsgebiet regelt. Der Umfang der Gesamtdienstleistung<br />
ermöglicht es dem Träger, ausschließlich unbefristete feste<br />
Arbeitsplätze zu schaffen und anzubieten.<br />
5. Perspektive: <strong>Die</strong> positiven Erfahrungen mit der Integration von<br />
körperbehinderten SchülerInnen erlaubt eine realistische<br />
Perspektive auf die Ausweitung auf SchülerInnen mit anderen<br />
Behinderungsformen. Insbesondere SchülerInnen mit<br />
Verhaltensauffälligkeiten, Asperger Autisten und SchülerInnen mit<br />
geistiger Behinderung sowie sehbehinderte und hörgeschädigte<br />
SchülerInnen können mit Assistenz die allgemein bildenden Schulen<br />
besuchen. Hier sind allerdings Nachteilsausgleiche zu formulieren,<br />
kompetente Beratungsangebote zu installieren und die<br />
Barrierefreiheit in den Schulgebäuden sicherzustellen.<br />
<strong>Die</strong> Vorteile der Beschulung von SchülerInnen mit Behinderungen mit<br />
Assistenz liegen auf der Hand. <strong>Die</strong> Hinweise und Warnungen auf zu hohe<br />
Kosten sind dem konservativen segregierenden Schulsystem geschuldet. Da<br />
die kostenintensive Struktur der Sonderschulen/Förderzentren<br />
aufrechterhalten wird, werden den integrativen Unterrichtsformen die<br />
Mehrkosten zugeschrieben.
Horst Frehe Inklusive Erziehung behinderter Kinder vorantreiben<br />
Inklusive Erziehung<br />
behinderter Kinder<br />
vorantreiben<br />
Der Sonderberichterstatter der Vereinten<br />
Nationen für das Recht auf Bildung, Vernor<br />
Munoz, hat im Bericht über seinen Besuch im<br />
Februar 2006 Deutschland sehr schlechte<br />
Noten für die Erziehung und Bildung<br />
benachteiligter Kinder ausgestellt. Wie bereits<br />
bei den PISA-Studien festgestellt wurde,<br />
gelingt es in Deutschland kaum, Kinder mit<br />
Migrationshintergrund und behinderte Kinder<br />
in das reguläre Schulsystem zu integrieren<br />
und angemessen zu fördern. Durch schlechtere Ausgangsbedingungen z.B.<br />
beim Spracherwerb, bei einer gesundheitlichen Einschränkung, einer<br />
körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung oder einer<br />
Sinnesschädigung werden diese Kinder in der gesamten Entwicklung bei<br />
ihrer Teilhabe an Erziehung und Bildung benachteiligt.<br />
Sonderschultraditionen überwinden!<br />
Deutschland hat bereits im 19. Jahrhundert ein Sonderschulsystem für die<br />
verschiedenen Formen von Behinderungen entwickelt, das in speziellen<br />
Anstalten organisiert wurde. Ziel dieser Einrichtungen war es, besser auf<br />
die jeweilige Form der Beeinträchtigung eingehen zu können. Tatsächlich<br />
hat sich dieses institutionelle Sondersystem eher als Benachteiligung und<br />
Unterdrückung der spezifischen Lernmöglichkeiten behinderter Kinder<br />
herausgestellt. Z.B. gingen die „Taubstummen-Anstalten“ davon aus, dass<br />
der Spracherwerb nur über die Lautsprache gelingen könne, so dass den<br />
Kindern nur das Mundabsehen der Lautsprache bei den Hörenden<br />
beigebracht wurde. Das Erlernen der Gebärdensprache wurde unterdrückt.<br />
Noch heute beherrschen viele SonderpädagogInnen für gehörlose<br />
SchülerInnen nicht oder nur unzureichend die Gebärdensprache, die allein<br />
gehörlosen SchülerInnen den unbeeinträchtigten Zugang zur Bildung<br />
ermöglicht.<br />
Längst wurde mit zahlreichen Schulprojekten nachgewiesen, dass eine<br />
gemeinsame Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Schülerinnen<br />
31<br />
und Schüler für beide die beste Förderung darstellt. Auch die<br />
nichtbehinderten Schülerinnen und Schüler profitieren von der zusätzlichen<br />
Unterstützung einer Förderlehrerin oder eines Förderlehrers und durch die<br />
Unterrichtsdifferenzierung, die insbesondere bei unterschiedlichen<br />
Lernzielen für einen gemeinsamen Unterricht zwingend erforderlich ist.<br />
Andere Länder wie Finnland haben mit der Individualisierung des<br />
Unterrichts ohne große Mehraufwendungen ein Schulsystem mit einer<br />
‚Schule für Alle’ geschaffen, das die unterschiedlichen Fähigkeiten der<br />
SchülerInnen besser fördert.<br />
Was bedeutet ‚Inklusion’ im Unterschied zur ‚Integration’?<br />
Das schillernde Konzept der ‚Integration’ geht von der Vorstellung aus, dass<br />
behinderte Kinder durch spezielle Förderung dazu befähigt werden sollen, in<br />
die allgemeinen Erziehungs- und Bildungsprozesse eingegliedert zu werden.<br />
Ausgangspunkt ist der behinderungsbedingte Ausschluss aus den sozialen<br />
Entwicklungsprozessen, der durch die Integration in das reguläre Bildungs-<br />
und Erziehungssystem überwunden werden soll.<br />
Das Konzept der ‚Inklusion’ geht weiter: Anstatt das behinderte Kind mit<br />
seinen Lernschwierigkeiten zu betrachten, werden vor allem die<br />
ausgrenzenden und aussondernden Tendenzen der regulären<br />
Bildungsprozesse in den Fokus gestellt. Eine Bildung ist nur dann ‚inklusiv’,<br />
wenn sie niemanden ausschließt. <strong>Die</strong> Förderung und Unterstützung<br />
behinderter Kinder ist nicht Voraussetzung der Integration, sondern Teil des<br />
regulären Bildungssystems. Kein Kind wird zurückgelassen! <strong>Die</strong><br />
Bildungsprozesse orientieren sich an den unterschiedlichen Fähigkeiten und<br />
Bedürfnissen aller SchülerInnen. Sonderberichterstatter Munoz bringt es in<br />
seinem Bericht folgendermaßen auf den Punkt: „Nicht die Menschen<br />
müssen sich dem Bildungssystem anpassen, sondern das Bildungssystem<br />
muss sich den Menschen anpassen.“ Er stellt für Deutschland fest, dass „die<br />
vom Staat propagierte Integrationspolitik als Politik der Absonderung<br />
ausgelegt wird, die letztlich dazu führt, dass die meisten behinderten Kinder<br />
eine Sonderschule besuchen.“<br />
<strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/DIE GRÜNEN wollen mit diesem System der Sondererziehung<br />
brechen und wirksame Maßnahmen ergreifen, die gemeinsame Erziehung<br />
und Bildung aller Kinder voranzutreiben. Sie teilen die Auffassung von<br />
Munoz, der die fehlenden rechtlichen Regelungen kritisiert, die eine solche<br />
Perspektive vorgeben.
Horst Frehe Inklusive Erziehung behinderter Kinder vorantreiben<br />
UN-Konvention als Auftrag an die Politik<br />
Mit dem „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit<br />
Behinderungen“ haben die Vereinten Nationen den Anspruch behinderter<br />
Kinder auf der ganzen Welt auf eine „inklusive“ Bildung ohne<br />
Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit verbrieft.<br />
Deutschland gehörte zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens. <strong>Die</strong><br />
Konvention muss nun vom Bund und den Ländern ratifiziert werden. <strong>Die</strong>ses<br />
soll noch in diesem Jahr geschehen. <strong>Die</strong> Bremische Bürgerschaft hat<br />
einstimmig den Senat der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong> aufgefordert, sich für<br />
eine rasche Ratifizierung im Bundesrat und Bundestag einzusetzen. Mit der<br />
Ratifizierung verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Bestimmungen der<br />
Konvention einzuhalten.<br />
<strong>Die</strong> Umsetzung des „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit<br />
Behinderungen“ erfordert in Artikel 24 einen Umbau des deutschen<br />
Bildungssystems. Bei der Verwirklichung des gleichen Rechts auf Bildung<br />
müssen die Vertragsstaaten unter anderem sicherstellen, „dass Menschen<br />
mit Behinderungen nicht aufgrund ihrer Behinderung vom allgemeinen<br />
Bildungssystem ausgeschlossen werden“, „dass Menschen mit<br />
Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Zugang zu inklusiver,<br />
hochwertiger, kostenloser Grundschul- und weiterführender Bildung in den<br />
Gemeinden, in denen sie leben, erhalten“ und sie „innerhalb des<br />
allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung erfahren, um<br />
ihnen eine wirksame Bildung zu ermöglichen“. Eine Sondererziehung und<br />
Sonderbildung in speziellen Kindergärten, Sonderschulen und Internaten ist<br />
mit diesen Anforderungen nicht vereinbar.<br />
Ein Schulsystem, das diesen verbindlichen internationalen Anforderungen<br />
gerecht werden will, muss langfristig auf Sonderkindergärten und<br />
Sonderschulen verzichten und die Förderung von Menschen mit<br />
Behinderungen und mit Migrationshintergrund im regulären Erziehungs-<br />
und Bildungssystem ermöglichen. <strong>Bremen</strong> steht nach den Ergebnissen der<br />
PISA-Studien bei der Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund und<br />
Behinderung nicht gut da. Andererseits ist das System integrativer<br />
Kindergartenerziehung, der Kooperation und Integration in den<br />
Grundschulen besser als in vielen anderen Bundesländern. Eine<br />
konsequente Weiterentwicklung dieser Strukturen zu einem inklusiven<br />
Bildungs- und Erziehungssystem ist der nötige Schritt, um die noch<br />
vorhandene Benachteiligung behinderter Kinder und solcher mit<br />
Migrationshintergrund zu verringern.<br />
32
Harry Eisenach Gesellschaft und Schule müssen integrieren und nicht weiter ausgrenzen<br />
Gesellschaft und Schule<br />
müssen integrieren und nicht<br />
weiter ausgrenzen<br />
<strong>Die</strong> Stadt <strong>Bremen</strong> driftet auseinander.<br />
Zunehmend entmischen sich Stadtteile. <strong>Die</strong><br />
Schere zwischen Arm und Reich wird größer.<br />
<strong>Die</strong>se Entwicklung spiegelt sich in den<br />
Schulen wieder und wurde durch die<br />
Bildungspolitik der vergangenen zwölf Jahre<br />
begünstigt. <strong>Die</strong> GEW hat diese Politik von<br />
Anfang an bekämpft und dagegen die<br />
Perspektive „Eine Schule für alle“ gesetzt.<br />
Zunächst hob die Ampel-Koalition die<br />
Schulbezirke in der Sekundarstufe I auf. Dann führte die große Koalition<br />
das Gymnasium ab Klasse 5 wieder ein und baute die durchgängigen<br />
Gymnasien aus.<br />
Das Gymnasium ist die Mehrheitsschule. Sein Anteil wächst stetig. Obwohl<br />
die neuen zusätzlichen SchülerInnen binnendifferenzierte Konzepte der<br />
Integration erfordern, sondert das Gymnasium weiter aus und lässt<br />
individuelle Perspektiven der Kinder scheitern. <strong>Die</strong>ses ist durch das<br />
Schulsystem und die darin vorhandene Rolle des Gymnasiums verursacht<br />
und nicht aufgrund des Willens der dort tätigen Lehrkräfte.<br />
<strong>Die</strong> Sekundarschule schrumpft. Sie ist mittlerweile kleiner als früher die<br />
Hauptschule. Aus vielen Problemen kann man schließen, dass sie zur<br />
„Restschule“ wird bzw. es bereits ist. <strong>Die</strong> Berufs- und Lebensperspektive<br />
der zukünftigen AbgängerInnen gestaltet sich ähnlich schwierig wie die der<br />
bisherigen HauptschülerInnen. Dazu kommen verfehlte Planungen bei der<br />
Konzeption: <strong>Die</strong> erzwungene äußere Differenzierung ab Klasse 7 führte zur<br />
Chaotisierung, obwohl gerade diese SchülerInnen notwendiger als andere<br />
die Ruhe zum Arbeiten brauchen. Nach Protesten der KollegInnen wurde<br />
mittlerweile erreicht, dass auch Binnendifferenzierung möglich ist. <strong>Die</strong><br />
Aufsplittung dieser kleinen Schülergruppe in drei Zweige ab Klasse 9 treibt<br />
den Selektionswahn unseres Schulsystems auf die Spitze. Dadurch kommt<br />
es zu erzwungenen Klassen- und Schulwechseln, Stolpersteinen in der<br />
individuellen Schullaufbahn dieser großteils benachteiligten Kinder und<br />
Jugendlichen.<br />
33<br />
Von ihrer Ausstattung her ist die Sekundarschule eine Billigvariante der<br />
Hauptschule: Höhere Klassenfrequenzen und weitgehender Wegfall<br />
zusätzlicher Förder-, Halbgruppen- und Differenzierungsstunden haben die<br />
Lernbedingungen verschlechtert. <strong>Die</strong> aufgrund des höheren sozialen<br />
Regelungsbedarfs notwendige KlassenlehrerInnen-Entlastungsstunde der<br />
Hauptschule gibt es in der Sekundarschule bei gleichen Problemen in<br />
größeren Klassen nicht.<br />
Das Schulsystem wird an seinen beiden Polen stärker: Immer mehr<br />
SchülerInnen besuchen Förderzentren (Sonderschulen) und Privatschulen,<br />
insbesondere private Gymnasien.<br />
<strong>Die</strong> Integration lernbehinderter Kinder wird nach der Grundschule praktisch<br />
kaum fortgeführt. Durch die separate Beschulung sinken die möglichen<br />
Förderungen und Anregungen durch stärkere MitschülerInnen. <strong>Die</strong><br />
Sekundarschule, selbst mit großen Problemen belastet, kann ohne<br />
zusätzliche sonderpädagogische Förderung und mit ihren in mehrfacher<br />
Hinsicht benachteiligten SchülerInnen viele Lernschwache nicht halten und<br />
überweist sie an Förderzentren. SchülerInnen, die aufgrund ihrer kognitiven<br />
und sozialen Stärken zur Integration der SonderschülerInnen beitragen<br />
könnten, sitzen separat im Gymnasium. Das Gymnasium entzieht sich<br />
weitgehend der Integrationsaufgabe.<br />
Immer mehr Kinder haben einen Migrationshintergrund. Dabei ist ihr Anteil<br />
in bestimmten sozial schwachen Stadtteilen sowie im Schulsystem in der<br />
Sekundarschule und in den Förderzentren besonders hoch. <strong>Die</strong> enge<br />
Koppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg wird hier deutlich, aber<br />
auch, dass eine gut ausgebaute und durchdachte Förderung, insbesondere<br />
Sprachförderung, in den Bremer Schulen dringend notwendig ist.<br />
Aus Stadtteilen mit hoher Arbeitslosenquote, hohem Migrantenanteil und<br />
geringerer Bildungsbeteiligung wechselt ein erheblicher Teil der<br />
SchülerInnen nach der 4. Klasse in Richtung Innenstadt bzw. nach<br />
Vegesack. Dadurch ist die soziale „Entmischung“ an den Schulen dieser<br />
Stadtteile besonders groß.<br />
Für die GEW ergeben sich aus den Daten folgende Konsequenzen für die<br />
Schulentwicklung:
Harry Eisenach Gesellschaft und Schule müssen integrieren und nicht weiter ausgrenzen<br />
Im Schulsystem müssen die Fehler der vergangenen Jahre korrigiert<br />
werden. Es ist schrittweise in Richtung einer „Schule für alle“<br />
umzubauen. So werden Chancen für Schwächere erhöht und die<br />
sozialen und kognitiven Kompetenzen der Stärkeren genutzt.<br />
Dem Wohnort ist bei der Aufnahme in die fünfte Klasse Priorität<br />
einzuräumen. Dabei ist die verstärkte Zusammenarbeit von Grund- und<br />
Sek-I-Schulen systematisch zu planen und materiell zu fördern. Schulen<br />
in besonders benachteiligten Stadtteilen müssen im erheblichen Umfang<br />
zusätzliche Fördermaßnahmen erhalten.<br />
Schon jetzt darf es keinen weiteren Ausbau des isolierten Gymnasiums<br />
geben. <strong>Die</strong> Integration von Schulzentren und integrative Schritte an<br />
Gymnasien sind materiell und organisatorisch zu unterstützen. <strong>Die</strong><br />
Integration der Förderzentren ist in allen Zweigen des Schulsystems<br />
fortzuentwickeln. Solange es ein gegliedertes Schulsystem gibt, haben<br />
dabei die stärkeren Teile den wesentlichen Beitrag zu leisten.<br />
Integrative Arbeit muss durch die Zuweisung von zusätzlichen<br />
LehrerInnenstunden gefördert werden. Notwendig sind<br />
Planungsstunden und die Senkung der Klassenfrequenzen für alle<br />
Schulen, die auf eine gemeinsame Schule bis zur 10. Klasse<br />
hinarbeiten. Das gilt auch für Gymnasien, wenn sie integrative<br />
Konzepte entwickeln.<br />
Allen Schulen müssen zusätzliche Förderstunden zugewiesen werden,<br />
um dem „Abschulen“ durch pädagogische Maßnahmen<br />
entgegenzuwirken.<br />
Damit das qualifizierte Lehren in heterogenen Lerngruppen überall zur<br />
vorherrschenden Praxis wird, ist eine pädagogische Offensive<br />
notwendig. Zu diesem Zweck sind u.a. entsprechende<br />
Fortbildungsangebote zu entwickeln und den Lehrkräften dafür<br />
Entlastungen zu gewähren.<br />
Bei den zurzeit existierenden Sekundarschulen ist die personelle<br />
Ausstattung zu verbessern, damit die Klassenfrequenzen gesenkt und<br />
Förder- sowie Halbgruppenunterricht ausgeweitet werden können. Sie<br />
müssen die Möglichkeit erhalten, die bestehenden Klassen<br />
weiterzuführen und Werkstatttage für alle SchülerInnen anzubieten.<br />
34
Grundschulverband, Landesgruppe <strong>Bremen</strong> Grundschule in <strong>Bremen</strong> – Vielfalt und Verlässlichkeit<br />
Grundschule in<br />
<strong>Bremen</strong> –<br />
Vielfalt und<br />
Verlässlichkeit<br />
<strong>Die</strong> Grundschule ist die<br />
einzige konsequent<br />
praktizierte Form der Gesamtschule. <strong>Die</strong> Grundschulen in <strong>Bremen</strong> leisten<br />
darüber hinaus die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf im Lernen, in der Sprache und im Verhalten. <strong>Die</strong>ser<br />
bedeutsame Umstand wird bei der Darstellung des Leistungsspektrums, bei<br />
Berechnungen von z. B. Frequenzen, der WiederholerInnenquote und der<br />
Ressourcen nicht angemessen bedacht.<br />
<strong>Die</strong> Grundschulen in <strong>Bremen</strong> sind – wie alle Großstadtgrundschulen –<br />
abhängig von ihrem jeweiligen Einzugsgebiet und deshalb in ihrer je<br />
eigenen Weise „homogenisiert“. Es gibt Schulen in bester sozialer Lage und<br />
Schulen, die unter extrem schwierigen Bedingungen mit einer Vielfalt von<br />
Anforderungen durch eine multikulturelle Schülerschaft und durch Kinder,<br />
die aus schwierigen sozialen und/oder familiären Verhältnissen kommen,<br />
arbeiten.<br />
<strong>Die</strong> Grundschulen befinden sich in einem Spannungsfeld von IGLU 2001<br />
über PISA 2002, das der Grundschule eine Vielzahl von Projekten zur<br />
Sprach- und Leseförderung bescherte, bis zu VERA, einem<br />
Evaluationsinstrument, das alljährlich viel Arbeit bringt, aber in seiner<br />
diagnostischen Wirkung völlig überschätzt wird. IGLU 2006 lobt die<br />
Grundschulen, PISA 2006 wirft schon Schatten voraus, ein neues<br />
Sprachförderkonzept ist im Gespräch.<br />
<strong>Die</strong> Grundschullandschaft in <strong>Bremen</strong> erlebte in der Vergangenheit, dass die<br />
Anerkennung ihrer Leistungen keine Verbesserung der Ausstattung zur<br />
Folge hatte. Grundschulen erleben Jahr für Jahr, dass neun oder zehn Jahre<br />
alte Kinder bereits nach dreieinhalb Schuljahren über eine<br />
Schulartenempfehlung sortiert werden müssen. Eine viel zu frühe<br />
Entscheidung, deren Auswirkung auf die Arbeit in den ersten vier<br />
Schuljahren nicht zu unterschätzen ist.<br />
35<br />
Auf dieser Basis müssen nach Überzeugung des Grundschulverbands für die<br />
Entwicklung der Grundschulen in <strong>Bremen</strong> folgende Qualitätsmerkmale<br />
gelten:<br />
1. Mehr Zeit<br />
<strong>Die</strong> Verlässlichkeit in der Zeit von 8 bis 13 Uhr ist an allen Grundschulen<br />
umgesetzt. Weiter gehen muss die Entwicklung von der Stundenschule zur<br />
Ganztagsschule. Gemeint ist eine Ganztagsschule mit rhythmisiertem<br />
Tagesablauf, mit pädagogisch qualifiziertem Personal, mit guter baulicher<br />
Ausstattung.<br />
2. Stärkung der Gemeinsamkeit<br />
<strong>Die</strong> Grundschule ist die Schulstufe, die im Umgang mit Heterogenität sicher<br />
am weitesten entwickelt ist. Sie hat gelernt, mit den individuellen<br />
Voraussetzungen von Kindern umzugehen. Allerdings ist die Integration von<br />
Kindern mit besonderen Bedürfnissen nicht zum Nulltarif zu haben. <strong>Die</strong>s gilt<br />
für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund genauso wie für<br />
die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf.<br />
3. Leistungen der Kinder würdigen und fördern<br />
<strong>Die</strong> Leistungen von Kindern lassen sich nicht in Noten messen. Notwendig<br />
ist die Entwicklung einer veränderten Lernkultur, die das Bildungsinteresse<br />
der Kinder stärkt, zur Anstrengung ermutigt, das eigenständige Lernen<br />
herausfordert und individuelle Fortschritte würdigt. <strong>Bremen</strong> ist auf einem<br />
guten Weg durch die Möglichkeit des Verzichts auf Noten. Unterstützt<br />
werden muss jedoch die Entwicklung einer neuen Lernkultur durch eine<br />
veränderte Praxis der Rückmeldung in Form von Lerngesprächen,<br />
Lerntagebüchern, Entwicklungsberichten, Beratungen zwischen Schule,<br />
Kindern und Elternhaus. Ein wichtiger Meilenstein dahin wird eine neue<br />
Zeugnisform sein, die den Schulen Vereinfachung, allgemeine<br />
Verbindlichkeit und eine gute Grundlage für das Gespräch mit Eltern und<br />
Kindern bieten sollte.<br />
4. Übergänge gestalten<br />
<strong>Die</strong> Anschlussfähigkeit von Elementar- und Primarbereich sowie Primar- und<br />
Sekundarbereich lässt sich nicht über einzelne Projekte herstellen. <strong>Die</strong>se
Grundschulverband, Landesgruppe <strong>Bremen</strong> Grundschule in <strong>Bremen</strong> – Vielfalt und Verlässlichkeit<br />
können im besten Fall Beispiele aufzeigen. Soll sich für die Kontinuität im<br />
Bildungsweg der Kinder etwas ändern, müssen sich die Stufen deutlich<br />
besser aufeinander beziehen. Dabei sind Bereiche angesprochen wie die<br />
Entwicklungs- und Lerndokumentationen, Rhythmisierungen der Schultage<br />
und Schulwochen, Strukturen, Methoden, Lerninhalte, Abbau des Topdown-Denkens.<br />
Leitend muss die Erkenntnis sein, dass bei Übergängen<br />
immer die abgebende und aufnehmende Stufe gemeinsam mit den Eltern<br />
verantwortlich sind.<br />
5. Länger gemeinsam lernen<br />
<strong>Die</strong> Abschaffung der Orientierungsstufe verlagerte die Selektion in die Mitte<br />
des vierten Schulbesuchsjahres und verkürzte das gemeinsame Lernen<br />
deutlich. In nahezu allen europäischen Ländern lernen alle Kinder sechs<br />
oder mehr Jahre gemeinsam und die Hälfte der europäischen Länder hat für<br />
die gesamte Dauer der Schulpflicht eine gemeinsame Schule. Im<br />
internationalen Vergleich ist das gegliederte deutsche Schulsystem nicht<br />
konkurrenzfähig. Es versagt bei der Integration von Kindern mit<br />
Migrationshintergrund. <strong>Bremen</strong> muss gerade darin eine große Anstrengung<br />
vollbringen, denn zwischenzeitlich haben über 50% der SchulanfängerInnen<br />
einen Migrationshintergrund.<br />
6. Schulen in schwieriger sozialer Lage<br />
Großstädte zeichnet aus, dass Schulen sehr stark vom sozialen Umfeld<br />
ihres Einzugsgebiets geprägt sind. Das erfordert deutliche<br />
Schwerpunktsetzungen bei der Ressourcenvergabe. Sprache ist die<br />
Voraussetzung für die erfolgreiche Teilhabe an Lernangeboten.<br />
Sprachförderung muss daher besondere Beachtung finden und besonders<br />
im Grundschulalter im vertrauten Umfeld des Kindes erfolgen. Hier muss es<br />
viele Sprechanlässe und eine intensive Kommunikation zwischen Kindern<br />
und Erwachsenen, mit Lehrkräften und Eltern geben. Kommunikation<br />
braucht Gelegenheiten, eine bessere LehrerIn-SchülerIn-Relation ist daher<br />
an diesen Standorten unabdingbar. Ein kostenloses Mittagessen für alle<br />
Kinder, mindestens aber für Kinder aus armen Verhältnissen muss<br />
selbstverständlich werden.<br />
36<br />
7. LehrerInnenausbildung<br />
Beim Zugang zum Lehramtsstudium sollte verantwortungsvoll auf die<br />
Qualifikationen der zukünftigen LehrerInnen geachtet werden. Um die<br />
vielfältigen Aufgaben an der Schule bewältigen zu können, benötigen<br />
LehrerInnen neben Fach-, Methoden- und Medienkompetenz weitere<br />
Kompetenzen in sozialer, kommunikativer und diagnostischer Hinsicht<br />
sowie Beratungs- und Innovationskompetenz. <strong>Die</strong> Ausbildung muss für alle<br />
LehrerInnen gleich lang und gemeinsam sein mit schulstufenbezogenen<br />
Schwerpunktsetzungen. In den ersten Jahren der Berufstätigkeit benötigen<br />
Lehrkräfte in besonderer Weise Fortbildungs- und Supervisionsangebote,<br />
auch z.B. in Form von Arbeits- und Gesprächskreisen.
Christa Sanders-Terhorst Zur Bedeutung der Gymnasien in <strong>Bremen</strong><br />
Zur Bedeutung der<br />
Gymnasien in <strong>Bremen</strong><br />
Prämissen<br />
Auch im Land <strong>Bremen</strong> muss die Anzahl<br />
der Abiturienten erhöht werden.<br />
Dazu muss das ganze Leistungspotenzial<br />
in der Schülerschaft erkannt und<br />
entwickelt werden.<br />
Der Zugang zu einem möglichst hohen<br />
Bildungsabschluss muss für alle<br />
SchülerInnen offen sein, unabhängig von<br />
ihrer Herkunft.<br />
<strong>Die</strong> Belastung der Lehrerschaft ist nicht mehr zu steigern, sondern<br />
muss gesenkt werden, um Qualität im Unterricht zu ermöglichen.<br />
Alle Schulformen müssen in <strong>Bremen</strong> eine Akzeptanz in der Bevölkerung<br />
finden.<br />
Das Schulsystem muss finanzierbar sein.<br />
Gute Pisa-Ergebnisse der Gymnasien<br />
Zurzeit sind die durchgängigen Gymnasien in <strong>Bremen</strong> die am meisten<br />
angewählte Schulform.<br />
<strong>Die</strong> guten Ergebnisse der Arbeit an den Gymnasien sind durch interne<br />
und externe Evaluationen belegt.<br />
Es gibt keinen Grund, in der jetzigen Lage erfolgreich arbeitende<br />
Schulen zu zerschlagen.<br />
Aus den PISA-Ergebnissen lassen sich keine Belege dafür ableiten, dass<br />
ein integratives Schulsystem zu besseren Leistungen führt.<br />
Aufgaben des Gymnasiums<br />
<strong>Die</strong> Aufgaben des durchgängigen Gymnasiums als eigenständigem<br />
Bildungsgang beruhen in Deutschland auf einer langen Tradition. Dazu<br />
gehören u.a.:<br />
37<br />
Vermittlung einer vertieften Allgemeinbildung in den klassischen<br />
Aufgabenfeldern Mathematik/Naturwissenschaften, Deutsch, möglichst<br />
vielen Fremdsprachen und in den Gesellschaftswissenschaften und im<br />
Bereich der ästhetischen Bildung<br />
Befähigung junger Menschen zu hohem Abstraktionsvermögen, zu<br />
erfolgreicher Selbstorganisation und zu ergebnis- und zielorientierter<br />
Problemlösung<br />
Erziehung zu selbstständigen, mündigen, verantwortungsbewussten<br />
und teamfähigen Persönlichkeiten<br />
Vermittlung grundlegender Fähigkeiten und Fertigkeiten für die<br />
heutigen, komplexer gewordenen Anforderungen an Studierfähigkeit<br />
und Berufsfähigkeit<br />
Wissenschaftspropädeutisches Arbeiten als immanenter Auftrag für die<br />
Unterrichtsentwicklung<br />
Förderung der wissenschaftlichen Neugier und des forschenden<br />
Unterrichts bereits in der Sekundarstufe I<br />
Vorbereitung unserer SchülerInnen auf die Bedingungen der<br />
Globalisierung und die Herausforderungen der modernen<br />
Hochtechnologie und deren kritische Reflexion<br />
Befähigung und Ermunterung besonders leistungsfähiger SchülerInnen<br />
zu außerordentlichen Spitzenleistungen<br />
Bekenntnis zur Eliteförderung<br />
Zur Akzeptanz Bremer Schulabschlüsse<br />
Viele Eltern, die aus anderen Ländern aus beruflichen Gründen nach<br />
<strong>Bremen</strong> ziehen, erwarten selbstverständlich auch in <strong>Bremen</strong> ein<br />
gymnasiales Angebot, das dem in anderen Bundesländern vergleichbar ist.<br />
In den Augen vieler Führungskräfte, die mit ihrer Familie einen Umzug<br />
erwägen müssen, verliert <strong>Bremen</strong> deutlich an Attraktivität, wenn es keine<br />
durchgängigen Gymnasien anbietet. <strong>Die</strong>se Familien entscheiden sich dann<br />
eher für eine Privatschule.<br />
Umgekehrt ist es für Absolventen des Bremer Schulsystems wichtig, auch<br />
außerhalb <strong>Bremen</strong>s mit ihrem Schulabschluss anerkannt zu werden. Eine<br />
Geringschätzung Bremer Abiturienten, wie sie in den 70er und 80er Jahren<br />
in Deutschland verbreitet war, darf nicht erneut einsetzen. Es wäre fatal,<br />
wenn sich in <strong>Bremen</strong> das öffentliche Schulwesen von den Errungenschaften<br />
gymnasialer Bildung verabschiedete und diese nur noch den<br />
AbsolventInnen von Privatschulen zugänglich wären.
Christa Sanders-Terhorst Zur Bedeutung der Gymnasien in <strong>Bremen</strong><br />
Verkürzung Gy8 und die Folgen<br />
<strong>Die</strong> Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur hat eine noch größere<br />
Belastung in die Schulen gebracht. <strong>Die</strong>ses Lerntempo mit den weiterhin<br />
geltenden hohen Standards ist nicht von allen SchülerInnen zu bewältigen.<br />
Daher stellen sich zunehmend mehr Gymnasien die Frage, ob sie nicht in<br />
einem ganztägigen Schulbetrieb besser auf die Bedürfnisse ihrer<br />
Schülerschaft eingehen können und zugleich mehr Förderung wie auch<br />
mehr Anregung bieten können. Das durchgängige Gymnasium ist de facto<br />
schon jetzt eine ganztägig arbeitende Schule und muss entsprechend<br />
ausgestattet werden.<br />
<strong>Die</strong> Heterogenität an allen Schulen, somit auch an den Gymnasien ist<br />
deutlich größer geworden. Um möglichst vielen SchülerInnen die Chance für<br />
einen Abiturabschluss zu geben, müssen den Schulen erheblich mehr<br />
LehrerInnenstunden sowie ergänzendes pädagogisches Personal<br />
zugewiesen werden.<br />
Der Bremer Sparkurs hat in den Gymnasien zu unerträglich hohen<br />
Klassenfrequenzen geführt, ohne zu berücksichtigen, dass die vorhandenen<br />
Klassenräume viel zu klein sind und moderne Unterrichtsmethoden kaum<br />
zulassen. Der Weg zum Abitur ist für durchschnittliche<br />
GymnasialschülerInnen deutlich schwieriger geworden und führt unter den<br />
o.a. schlechten Bedingungen nicht zu einer Erhöhung der<br />
AbiturientInnenquote.<br />
Es muss einen alternativen Weg zum Abitur geben<br />
Wir brauchen für alle Kinder, deren Leistungsvermögen nach der 4.<br />
Klasse noch nicht erkennbar ist, die aber dennoch zu sehr guten<br />
Schulleistungen fähig sind, unbedingt einen alternativen Weg, der auch<br />
das Abitur nach 13 Jahren ermöglicht.<br />
<strong>Die</strong>ser längere Weg muss an einer Schule angeboten werden, die<br />
genauso attraktiv ist wie das Gymnasium.<br />
Ein Ende der ideologisch verzerrten Strukturdiskussion ist dringend<br />
erforderlich. Stattdessen sollte mit Besonnenheit und Pragmatismus die<br />
Situation an allen Schulen <strong>Bremen</strong>s deutlich verbessert werden.<br />
Das in Hamburg beschlossene Zwei-Säulen-Modell könnte auch für<br />
<strong>Bremen</strong> in ähnlicher Form entwickelt werden.<br />
38<br />
<strong>Die</strong> Zugangsbedingungen zu beiden Schulformen sollten genau<br />
durchdacht werden. Wenn eine Schule alle SchülerInnen, die sie einmal<br />
aufgenommen hat, behalten soll, dann müssen eindeutige<br />
Aufnahmekriterien definiert werden.<br />
Fehlentscheidungen bei der Schulwahl müssen revidierbar bleiben.<br />
Warum „eine Schule für alle“ nicht sinnvoll ist unter den<br />
gegebenen Bedingungen<br />
Eine gemeinsame Schule für alle braucht eine deutlich bessere<br />
Personalausstattung als sie zurzeit existiert bzw. finanzierbar wäre.<br />
Neben genügend Lehrern braucht eine solche Schule auch:<br />
- SonderpädagogInnen/PsychologInnen<br />
- MedienpädagogInnen/BibliothekarInnen<br />
- SozialpädagogInnen<br />
- Unterrichtsassistenz<br />
- technische Assistenz<br />
- Schulverwaltungsfachkräfte<br />
<strong>Die</strong>se Multiprofessionalität zu finanzieren, erscheint in Deutschland<br />
zurzeit unmöglich – und das obwohl oder gerade weil Deutschland bei<br />
den Bildungsausgaben unter dem OECD-Durchschnitt liegt. Dabei ist<br />
noch nicht einmal der Vorschulbereich quantitativ und qualitativ in der<br />
notwendigen Weise ausgebaut.<br />
Wenn diese Professionen nicht von vornherein an einer Schule<br />
vorhanden sind, werden mit keiner „Schule für alle“ (auch nicht bei 6jährigem<br />
gemeinsamen Lernen) befriedigende Ergebnisse und eine<br />
substantielle Verbesserung der Bildung in Deutschland zu erreichen<br />
sein.<br />
In einem sich weiterhin verschlechternden öffentlichen Schulwesen wird<br />
ein großer Ansturm auf die Privatschulen unvermeidlich sein.<br />
Fazit<br />
Es ist für <strong>Bremen</strong> sinnvoll und richtig, die bestehenden durchgängigen<br />
Gymnasien zu stärken und zu unterstützen, damit das Abitur nach 12<br />
Jahren für diejenigen SchülerInnen möglich wird, die das wollen und<br />
können;<br />
Daneben muss eine attraktive Schulform entstehen, die neben anderen<br />
Bildungsabschlüssen auch das Abitur (nach 13 Jahren) ermöglicht.
Hartwig Seggermann Kompetenz der Schulen in freier Trägerschaft für die Bremer Schulentwicklung nutzen<br />
Kompetenz der Schulen in<br />
freier Trägerschaft für die<br />
Bremer Schulentwicklung<br />
nutzen!<br />
Der PISA-Schock<br />
Das schlechte Abschneiden deutscher<br />
SchülerInnen bei der ersten internationalen<br />
Vergleichsstudie über das Bildungsniveau an<br />
Schulen „PISA 2000“ hat die Aufmerksamkeit<br />
bundesweit auf die Qualität deutscher<br />
Schulen gelenkt. Leider steht meines<br />
Erachtens in der sich seither entwickelten bundesweiten Bildungsdiskussion<br />
der Wettstreit unterschiedlicher Schulsysteme viel zu stark im Vordergrund.<br />
Der Bildungsökonom Ludger Wößmann (Professor an der Ludwig-<br />
Maximilians-Universität München) wies in dem Zusammenhang auf die<br />
Gefahr hin, dass dabei vielfach „das Vergleichsland herausgepickt“ würde,<br />
„das am besten zu der eigenen Argumentation passt.“<br />
Ergebnisorientierung schafft Qualitätssteigerung<br />
Als Schule in freier Trägerschaft, die um SchülerInnen werben muss, war es<br />
schon immer unser Ziel, möglichst alle so optimal wie möglich zu<br />
qualifizieren, uns also bei der Gestaltung unserer Schule an der Qualität des<br />
Ergebnisses unserer Arbeit zu orientieren. Dazu bedarf es der Schaffung<br />
optimaler atmosphärischer und materieller Lernvoraussetzungen, einer auf<br />
das individuelle Lerntempo und Lernniveau jeder Schülerin und jedes<br />
Schülers zugeschnittenen Lernorganisation, einer von allen Beteiligten<br />
gewollten und aktiv praktizierten Kooperation und Entwicklung der<br />
Lehrenden sowie einer an den seit 2004 existierenden bundesweiten<br />
Bildungsstandards und anerkannten pädagogischen Standards orientierten<br />
Lernplanung und Qualitätssicherung.<br />
39<br />
Qualitätssteigerung und Autonomie der Schulen bedingen sich<br />
Schulqualität in diesem Sinne zu gestalten, kann aber nicht wirksam „von<br />
oben“ verordnet werden, sondern Betroffene müssen zu Beteiligten<br />
gemacht werden. „Generell scheinen von einer größeren Schulautonomie<br />
positive Effekte auszugehen“, schlussfolgert Wößmann in diesem<br />
Zusammenhang aus den PISA-Ergebnissen. „Nur wenn Anreize für die am<br />
Bildungsprozess beteiligten Personengruppen – SchülerInnen, LehrerInnen,<br />
SchulleiterInnen, Schulverwaltung, Eltern – so gestaltet sind, dass sich der<br />
Einsatz für höhere SchülerInnenleistungen lohnt, werden sie sich auch in<br />
diesem Sinne verhalten.“<br />
Zusammenarbeit mit den Schulen in<br />
freier Trägerschaft nützt allen<br />
In der Gestaltung eigenständiger Schulen auf Basis eines festgelegten<br />
Budgets, die der Schulaufsicht gegenüber lediglich Rechenschaft über die<br />
Qualifizierung ihres Lehrpersonals, die Einhaltung bestimmter<br />
Rahmenbedingungen und die Erreichung festgelegter Bildungsstandards<br />
ablegen müssen, verfügen die Schulen in freier Trägerschaft über<br />
langjährige Erfahrungen.<br />
Am Beispiel der Niederlande ist zu sehen, dass Schulen in freier<br />
Trägerschaft in hohem Maße zur Steigerung der Qualität aller Schulen<br />
beitragen können. Dort befinden sich 70% aller Schulen in freier<br />
Trägerschaft, werden genauso finanziert wie die Schulen in staatlicher<br />
Trägerschaft und können daher darauf verzichten, Schulgeld von den Eltern<br />
zu erheben. In den Niederlanden, auch das haben die Ergebnisse von PISA<br />
ergeben, waren die „Schüler den deutschen um den Lernstoff eines ganzen<br />
Jahres voraus.“<br />
Aus all diesen Gründen wäre es meines Erachtens zum Wohle aller<br />
SchülerInnen unseres Bundeslandes, wenn die Bremer Bildungspolitik ihre<br />
eher skeptische Haltung den Privatschulen gegenüber überdenken und sie<br />
wie in den Niederlanden gleichberechtigt in die Weiterentwicklung der<br />
Schulqualität einbeziehen würde.
Gerhard J. Gilbert Schule und Sozialarbeit – in <strong>Bremen</strong> denkbar?<br />
Schule und Sozialarbeit – in<br />
<strong>Bremen</strong> denkbar?<br />
Aus der Praxis<br />
Klassenlehrer und Jahrgangsleiter laden alle<br />
Beteiligten und auch eine Familienhelferin<br />
zur Klassenkonferenz ein. Es kommen alle –<br />
bis auf die Familienhelferin.<br />
In einer Familie gibt es große Probleme, die<br />
eine Klassenlehrerin bei einem Hausbesuch<br />
sofort erkennt. Das Gespräch mit dem<br />
zuständigen Mitarbeiter des Amtes für<br />
Soziale <strong>Die</strong>nste (ASD) ergibt, dass er nicht<br />
weiß, was er machen soll oder ob er überhaupt etwas machen kann.<br />
In einem langen Zeitungsbericht werden von einer leitenden<br />
Mitarbeiterin des ASD viele Kooperationspartner aufgelistet, darunter<br />
keine Schule.<br />
Zum Thema<br />
<strong>Die</strong> von mir genannten Beispiele sind Bremer Realität. Seit Jahrzehnten ist<br />
eine Verzahnung von Schule und Sozialarbeit diskutiert, aber nie ernsthaft<br />
in Angriff genommen worden. Es mangelt an gemeinsamen<br />
Zielvorstellungen und verbindlichen Absprachen. Dem ehemaligen Senator<br />
für Bildung und Wissenschaft und jetzigen Innensenator, Willi Lemke,<br />
wurde auf einer SchulleiterInnen-<strong>Die</strong>nstbesprechung nicht ohne ernsten<br />
Hintergrund empfohlen, dass die Ressorts Bildung und Soziales eigentlich<br />
unter einer Führung agieren müssten. Hintergrund der Empfehlung war<br />
sicherlich, die von mir genannten Kooperationsdefizite zu beheben. Das<br />
allein kann es natürlich nicht sein. Politische Entscheidungen, klare<br />
Ausführungsrichtlinien und nachvollziehbare Verantwortlichkeiten gehören<br />
dazu.<br />
Aus eigenen Fehlern und von Anderen lernen<br />
Man könnte sich ja einmal ohne Schuldzuweisung zusammensetzen,<br />
Fehleranalyse betreiben, aber auch über die Grenzen schauen. Ein paar<br />
Beispiele:<br />
40<br />
Im finnischen Bildungssystem (natürlich!) kümmern sich neben den<br />
LehrerInnen auch SchulpsychologInnen, SozialarbeiterInnen,<br />
Krankenschwestern und ÄrztInnen um die Kinder. Den Lehrkräften wird es<br />
damit ermöglicht, sich auf ihre Kernaufgabe – das Unterrichten – zu<br />
konzentrieren, zumal auch für besonders leistungsschwache SchülerInnen<br />
zusätzliche Fördermöglichkeiten existieren.<br />
Schweden und Finnland zeichnen sich ferner dadurch aus, dass sie seit<br />
Anfang der 80er bis <strong>90</strong>er Jahre des 20. Jahrhunderts eine enge<br />
Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe auf den Weg gebracht<br />
hatten. In Finnland und Schweden hat sich für diese Fachkräfte die<br />
Bezeichnung School Curator durchgesetzt, in Dänemark heißen sie School<br />
Social Worker. Sie bieten Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit und<br />
Elternarbeit an, legen aber zunehmend ihren Schwerpunkt auf Beratung der<br />
LehrerInnen, Gemeinwesen- und Schulentwicklung.<br />
In den Niederlanden ist gesetzlich geregelt, dass den Schulen sogenannten<br />
Schulbegleitungsdienste zur Seite stehen, die neben Schulsozialarbeit u. a.<br />
auch didaktische Hilfen, Sprachprogramme für Kinder von Migranten, Hilfe<br />
bei Dyslexie/Dyskalkulie und Unterstützung beim Schulmanagement bzw.<br />
der Schulentwicklungsplanung anbieten. <strong>Die</strong> niederländischen Schulen<br />
können sich bei Bedarf die jeweilige Leistung „einkaufen“. Im Vergleich zur<br />
Bundesrepublik ist die Schulsozialarbeit in den Niederlanden hoch<br />
standardisiert.<br />
Anders als bei uns haben alle diese Länder eine lange Tradition in der<br />
Kooperation von sozialer Arbeit und Schule und einen entsprechend hohen<br />
Organisationsgrad.<br />
Und jetzt?<br />
<strong>Die</strong> andauernde PISA-Diskussion hat uns in Deutschland und besonders in<br />
<strong>Bremen</strong> den Blick versperrt: Natürlich ist es wichtig, sich im internationalen<br />
Vergleich besser zu positionieren. Wenn aber in Bildungsplanung,<br />
Schulentwicklung und auch im Richtungsstreit der Parteien der Begriff<br />
Schulsozialarbeit auch weiterhin keine Rolle spielen sollte, werden wir<br />
unsere Probleme nicht lösen. Natürlich kosten alle Maßnahmen Geld, aber<br />
zuerst einmal steht die Einsicht in die Notwendigkeit. Haben wir sie?
Länger gemeinsam lernen<br />
Meiner Meinung nach sollte das gesamte Schulsystem geändert werden. Es<br />
müsste von Grund auf neu gestaltet werden, eine Aufteilung in Gymnasial-,<br />
Real- und HauptschülerInnen schon nach der 4. Klasse halte ich für viel zu<br />
früh. In Schweden besteht die Schule aus einer neunjährigen,<br />
obligatorischen Grundschule und einem dreijährigen Gymnasium. Ein<br />
ähnliches System sollte auch Deutschland übernehmen.<br />
<strong>Die</strong> Grundschule sollte bis zur 6. Klasse gehen. Nach der 6. Klasse könnte<br />
eine Aufteilung der SchülerInnen nach ihren speziellen Begabungen oder<br />
Vorlieben erfolgen, d.h. man könnte Förderschulen für z.B. sprachliche,<br />
mathematische, naturwissenschaftliche, kreative/musische Begabungen<br />
usw. einrichten. Nach der 9. Klasse stünde es den Schülerinnen frei, ob sie<br />
noch ein dreijähriges Abitur absolvieren oder die Schule verlassen wollen.<br />
<strong>Die</strong>se Förderschule würde dann von der 6. bis zur 9. Klasse besucht<br />
werden. Am Ende der 9.Klasse sollten aber dennoch Vergleichsprüfungen<br />
unter den Schulen gemacht werden. <strong>Die</strong> Prüfungen würden garantieren,<br />
dass alle SchülerInnen – egal von welcher Förderschule – den gleichen<br />
Bildungsstand nachweisen können. Ab der 6. Klasse sollte es jedem/r<br />
SchülerIn freistehen, eine zweite Fremdsprache zu belegen, egal ob sie<br />
oder er auf eine Sprachen fördernde Schule geht oder eine andere. <strong>Die</strong><br />
Kinder sollten jedoch schon in der 1. Klasse Englisch lernen. Und<br />
Klassenfahrten könnten möglichst früh ins Ausland führen, damit die Kinder<br />
verstehen, wie wichtig es ist, eine zweite Sprache zu beherrschen.<br />
Zeugnisnoten sollten erst ab der 6. Klasse vergeben werden, damit die<br />
SchülerInnen nicht unter zu hohem Druck stehen. Somit können sie sich<br />
auch besser auf ihre Arbeiten usw. konzentrieren. <strong>Die</strong> Zeugnisse würden bis<br />
dahin aus einem kurzen Bericht bestehen, der das Arbeits- und<br />
Sozialverhalten der SchülerInnen beschreibt. Ein Bild des Leistungsstandes<br />
könnten die Eltern sich selbst machen, indem sie mit dem Kind<br />
Hausaufgaben machen. Natürlich würde auch der derzeitige Leistungsstand<br />
der SchülerInnen in einem solchen Zeugnis beschrieben sein. Für Kinder,<br />
deren Eltern finanziell und/oder zeitlich nicht in der Lage sind, sich um die<br />
Schulaufgaben zu kümmern, gäbe es nachmittags in den Schulen Essen<br />
und Nachhilfe.<br />
Schüler Marlon A. Länger gemeinsam lernen<br />
41<br />
Natürlich ist diese Vision finanziell schwer umsetzbar und würde viel Arbeit<br />
in Anspruch nehmen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass ein solches<br />
Schulsystem nur Vorteile bringen würde.
Petra Marx Maria Montessori: Eine hundertjährige brandaktuelle pädagogische Konzeption<br />
Maria Montessori: Eine hundertjährige<br />
brandaktuelle<br />
pädagogische Konzeption<br />
Bildungsgeschichtlich betrachtet gehört die Montessori Pädagogik zu jenen<br />
am Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten reformpädagogischen<br />
Ansätzen, die als „Pädagogik vom Kinde aus“ bezeichnet werden. Insofern<br />
ist sie unter die Reformansätze Petersens, Ottos, Freinets, Deweys u.a.<br />
einzureihen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie sich die anthropologischpädagogische<br />
Sichtweise Jean-Jacques Rousseaus (1712 – 1778) zu Eigen<br />
machten.<br />
Rousseau zufolge hat sich die Erziehung vorrangig an den psychischen und<br />
intellektuellen Bedürfnissen, den Neigungen und Begabungen des einzelnen<br />
Kindes zu orientieren und nicht an den von Erwachsenen erdachten Normen<br />
und Zielvorgaben. Montessoris Anliegen ist dabei hauptsächlich das<br />
praktische „Tun“ des Kindes. Sie entwickelte Materialien, basierend auf den<br />
Erfahrungen der französischen Ärzte Itard und Segiun, die schon hundert<br />
Jahre zuvor positive Erfahrungen mit retardierten Kindern und dem Einsatz<br />
ihrer Fördermaterialien machten.<br />
Das Montessori-Material ermöglicht Kindern und Jugendlichen aktiv<br />
handelndes und selbstständiges Lernen, hat einen hohen<br />
Aufforderungscharakter und spricht die Kinder durch seine Ästhetik an. <strong>Die</strong><br />
Materialien stehen in für die Kinder gut erreichbaren Schränken und<br />
Regalen. Im Montessori-Material wird jeweils eine einzelne<br />
Schwierigkeit/Eigenschaft – wie Gewicht, Größe, Länge, Geruch, Farbe,<br />
Form – isoliert, um Klarheit und Differenzierung zu erreichen. <strong>Die</strong> Kinder<br />
wählen das Material, mit dem sie arbeiten wollen, nach ihrem Interesse und<br />
ihrem aktuellen Entwicklungsstand entsprechend aus.<br />
Montessori war überzeugt, dass geistiges Wachstum an die Entwicklung und<br />
Vervollkommnung der Sinneswahrnehmung gebunden ist. Das Kind lernt<br />
am leichtesten durch die Tätigkeit mit konkreten Materialien.<br />
Prinzipien und Hauptmerkmale der Pädagogik Montessoris<br />
<strong>Die</strong> wichtigsten Lern-und Erziehungsziele der Pädagogik lassen sich wie<br />
folgt zusammenfassen:<br />
42<br />
Unterstützung der Entwicklung<br />
- der Selbstständigkeit<br />
- der Selbstbildung<br />
- des eigenverantwortlichen Handelns<br />
- des eigenständigen Lernens<br />
- des entdeckenden Lernens<br />
- des sozialen Lernens<br />
- für das demokratische Verständnis<br />
Maria Montessori gelangte hauptsächlich zu den wichtigsten Erkenntnissen,<br />
ihren pädagogischen Prinzipien, indem sie Kinder vom Säuglingsalter an<br />
beobachtete. Sie erkannte, dass Kinder von Geburt an bis zum Alter von 18<br />
Jahren bestimmte sensible Phasen durchleben. In diesen sensiblen Phasen<br />
lernen die Kinder grundlegende wichtige Fertigkeiten besonders leicht. Eine<br />
innere Energie, die dem Menschen von Geburt an eigen ist und die<br />
existentiell wichtigen Entwicklungen wie Bewegung und Sprache steuert,<br />
motiviert Kinder und Jugendliche unbewusst zu Lernschritten in den<br />
sensiblen Phasen. Finden Kinder und Jugendliche in dieser Zeit der<br />
sensiblen Phasen eine kompetent vorbereitete Umgebung vor, können sie<br />
sich entsprechend ihrer momentanen Bedürfnisse aufgrund des<br />
Entwicklungsstandes entwickeln. <strong>Die</strong> Freiarbeit ist Kern der Pädagogik Maria<br />
Montessoris, nicht eine Randerscheinung oder eine lockere Ergänzung zum<br />
Unterricht. Im Rahmen der Freiarbeit erlangen das Kind und der<br />
Jugendliche Unabhängigkeit in der Wahl seiner Arbeit und der<br />
Selbstkontrolle sowie der Auswahl der Arbeitspartner und der zeitlichen<br />
Einteilung der Arbeit. <strong>Die</strong> Auswahl von Materialien und die Arbeit damit<br />
erfolgt vom Kind freiwillig und ist gekrönt von tiefster Zufriedenheit.<br />
<strong>Die</strong> Selbstständigkeit, Selbsttätigkeit, das eigenverantwortliche Tun werden<br />
angeregt und die Kinder lösen sich mehr und mehr von strukturierten<br />
Materialien und entwickeln auch eigene Aufgabenstellungen. Ganz<br />
selbstverständlich entwickelt sich bei dieser Arbeitsform das<br />
Selbstvertrauen der SchülerInnen. Notwendige Interaktionen zwischen den<br />
SchülerInnen, Absprachen, Zuverlässigkeit bei der Zusammenarbeit stärken<br />
das Bewusstsein für gemeinsames Lernen und Denken.<br />
Montessori in der Schule: heute . . . in Zukunft?<br />
Montessori-Schulen oder Regelschulen, die reformpädagogische Konzepte in<br />
ihre Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen aufgenommen haben, sind
Petra Marx Maria Montessori: Eine hundertjährige brandaktuelle pädagogische Konzeption<br />
moderne und zeitgemäße Schulen. <strong>Die</strong> Individualität der Schülerin/des<br />
Schülers steht im Mittelpunkt und die reformpädagogische Konzeption wird<br />
den Erfordernissen und vorgegebenen Lehrplänen sowie den Profilen und<br />
dem Unterrichtsgeschehen der Schulen angeglichen. Unterrichtsformen<br />
nach Montessori und anderen Reformpädagogen halten vermehrt Einzug in<br />
Schulen des Primar- und Sekundarbereiches. Der Stellenwert des sozialen<br />
Lernens rückt auf diese Art in vielen Schulen in den Vordergrund.<br />
Klassen(rat)-Stunden, Methodentraining sowie Lern- und Arbeitstechniken<br />
als Unterrichtsfach werden in die reguläre Stundenplanung aufgenommen.<br />
Montessori und die Leistungsbeurteilung<br />
<strong>Die</strong> Beurteilung der SchülerInnen, in unserem Schulsystem zum<br />
überwiegenden Teil immer noch auf Noten reduziert, findet man bei<br />
Montessori in dieser Form nicht. Gemäß ihrem Anliegen und ihrer Haltung<br />
gegenüber den SchülerInnen sieht sie bei der Beurteilung von Arbeiten und<br />
Arbeitsergebnissen den ganzen Menschen mit seinen Stärken und<br />
Schwächen. Arbeiten, Fördern und Fordern sowie ständiger Austausch in<br />
Form von Gesprächen stehen bei Montessori im Vordergrund, statt die<br />
gesamte Arbeit einer Schülerin/eines Schülers über die Zeit eines halben<br />
Schuljahres auf eine Ziffer zu reduzieren. SchülerInnen lernen bei<br />
Montessori schon sehr früh, sich selbst zu kontrollieren und ihre<br />
Arbeitsergebnisse selbst zu dokumentieren und auszuwerten. Sie lernen<br />
sehr früh, sich selbst einzuschätzen. LehrerInnen sind in der Montessori-<br />
Pädagogik auch hier BegleiterInnen und HelferInnen auf dem Weg der<br />
Entwicklung zur Selbstständigkeit. In Vierteljahres- oder<br />
Halbjahresabschnitten werden Berichte zu Arbeiten oder der gesamten<br />
Entwicklung des Kindes geschrieben und bei der Übergabe mit den<br />
SchülerInnen und Eltern besprochen.<br />
43
Franz Jentschke <strong>Die</strong> Deutsche Kammerphilharmonie zu Hause in der Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost<br />
<strong>Die</strong> Deutsche<br />
Kammerphilharmonie<br />
<strong>Bremen</strong> zu Hause in<br />
der Gesamtschule Ost<br />
<strong>Die</strong> Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost<br />
wurde von 2002 bis 2007 saniert.<br />
Im Frühjahr 2005 war der jetzige<br />
Saal der Kammerphilharmonie<br />
noch als Aula für die GSO<br />
vorgesehen. Doch plötzlich suchte<br />
die Kammerphilharmonie ein<br />
neues Zuhause. Wir – eine Schule, die seit Jahren die Musik besonders<br />
pflegt – haben keinen Moment gezögert und sofort unsere Bereitschaft<br />
erklärt, den möglichen neuen Nachbarn aufzunehmen.<br />
<strong>Die</strong> Situation, dass ein Weltklasse-Orchester in einer Schule in<br />
unmittelbarer Nachbarschaft zu SchülerInnen und LehrerInnen zu Hause ist<br />
und somit die Möglichkeit besteht, nahezu täglich miteinander Kontakt zu<br />
haben, ist einzigartig und eine große Chance für unsere Schule. Das<br />
renommierte Orchester hat im April 2007 seinen Sitz mitten in der<br />
Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost genommen. Hier, in einem Stadtteil, der<br />
gekennzeichnet ist auch durch Arbeitslosigkeit und durch einen hohen<br />
Anteil von MigrantInnen, wird sie mit vielfältigen Begegnungen und neuen<br />
Projekten zukünftig für das Zusammenwachsen von MusikerInnen,<br />
SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern und MitbürgerInnen von besonderer<br />
Bedeutung sein. Sie wird die Entwicklung der städtischen Gemeinschaften<br />
auf völlig neue Weise befördern. <strong>Die</strong>se neue Situation „Schule-Orchester-<br />
Stadtteil“ erfordert höchste geistige Mobilität aller Beteiligten. Wir wollen<br />
gemeinsam durch die Spaß machenden musikalischen Projekte die Grenzen<br />
zwischen Beruf/Unterricht und Freizeit auflösen. Lernen im Zusammenhang<br />
von musikalischen Projekten wird so zu einer emotionalen Erfahrung, die<br />
dem klassischen „Pauken“ weit überlegen ist.<br />
Schlagworte wie „Emotionale Intelligenz“, „Team-Intelligenz“ und<br />
„Netzwerkdenken“ werden als Herausforderung für die Bildungspolitik<br />
angeführt – im (Schul)Orchester sind sie alltägliche Realität, unabdingbar<br />
für das Zusammenspiel. Im Kontakt mit MusikerInnen und in der<br />
44<br />
gemeinsamen Arbeit an speziellen Projekten werden sie so für die Kinder<br />
und Jugendlichen sichtbar, persönlich erlebbar und auf ihr persönliches<br />
Lebensumfeld übertragbar. Der enge Austausch von Orchester und Schule<br />
und die neuen gemeinsamen Projekte, die für die Orchestermitglieder einen<br />
zeitlichen Aufwand weit über den normalen Proben- und Konzertalltag<br />
hinaus darstellen, sind nur mit einem progressiven, zukunftsfähigen<br />
Orchester überhaupt denkbar. Unser gemeinsames Ziel ist, den – mehr<br />
oder weniger orientierungslosen – Menschen und SchülerInnen mit<br />
speziellen Angeboten den Weg zu tradierten Werten der klassischen Kultur<br />
zu ermöglichen.<br />
In der Deutschen Kammphilharmonie <strong>Bremen</strong> sind viele Nationalitäten<br />
vertreten: deutsch, spanisch, russisch, englisch, belgisch, australisch und<br />
japanisch. Enge musikalische Freundschaften verbinden das Orchester mit<br />
führenden SolistInnen und Dirigenten in aller Welt. Aus der jahrelangen,<br />
weltweiten Tourneetätigkeit sind neben den professionellen Verbindungen<br />
auch zahlreiche globale Freundschaften hervorgegangen. Kulturelle Vielfalt<br />
findet sich auch in der GSO, die in einem Stadtteil mit einem hohen<br />
Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund liegt und die somit von<br />
SchülerInnen vieler verschiedener Nationalitäten besucht wird.<br />
Beide Aspekte werden sich künftig gegenseitig beeinflussen – die<br />
Welterfahrenheit der kosmopolitischen Orchestermusiker einerseits und die<br />
vielen verschiedenen kulturellen Hintergründe der SchülerInnen<br />
andererseits, die in gemeinsamen Projekten aufeinander treffen werden.<br />
<strong>Die</strong> Ideensammlung und die Planungen für gemeinsame Projekte mit der<br />
Schule haben bei allen Beteiligten bereits vor dem Bekanntwerden des<br />
bevorstehenden Einzugs begonnen. <strong>Die</strong> Umsetzung folgt nun nach dem<br />
tatsächlichen Einzug. Behutsam werden wir aufeinander zugehen und uns<br />
kennenlernen. Der Schule werden nicht fertige Konzepte vorgesetzt,<br />
sondern Projekte werden gemeinsam entwickelt.<br />
Ein erstes großes Ereignis liegt bereits hinter uns. Im November 2006<br />
haben Orchester und Schule an der Tanzproduktion zu den Themen<br />
Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz aus Anlass des weltweiten Aktionstages<br />
der Initiative „Dance 4 Life“ mit dem Choreographen Royston Maldoom<br />
(bekannt aus „Rhythm is it!“) die Produktion „Tryst – Das Treffen“<br />
erarbeitet. An dieser Tanzproduktion haben 200 SchülerInnen der GSO<br />
aktiv teilgenommen. Darüber hinaus hat die gesamte Schule aus Anlass<br />
dieses Projektes mit der Deutschen Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> und dem<br />
berühmten Choreographen in zwei Aktionswochen mit Ausstellungen,
Franz Jentschke <strong>Die</strong> Deutsche Kammerphilharmonie zu Hause in der Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost<br />
bildnerischen Arbeiten und Gesprächsveranstaltungen an dem Projekt<br />
mitgewirkt. <strong>Die</strong>ses Pilotprojekt ist sowohl in der Bremer Presse als auch in<br />
der Fachpresse ausführlich gewürdigt worden. Produziert vom Deutschen<br />
Tanzfilm Institut liegt auch eine filmische Dokumentation der Aufführung<br />
auf DVD vor.<br />
Miteinander haben wir auch die feierliche „Wiedereröffnung“ und 35-Jahr-<br />
Feier der GSO im Dezember 2007 gefeiert. An der Einweihung des<br />
Steinway-Flügels, der von den Freunden der Kammerphilharmonie<br />
gesponsert wurde, haben wir aktiv mitgewirkt. Eine unserer Schülerinnen<br />
durfte als erste auf diesem Instrument spielen. Im Juli und im November<br />
2007 gab es in der „Kammer-Philharmonie“ in der GSO die Premieren der<br />
„Melodie des Lebens“ 1. und 2. Teil, die Mark Scheibe gemeinsam mit der<br />
Deutschen Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> und der GSO angestimmt hat. Der<br />
bekannte Pianist und Liedermacher Mark Scheibe kommt jeden Monat für<br />
einige Tage in die Gesamtschule, um gemeinsam mit den SchülerInnen und<br />
einigen Orchestermitgliedern zu arbeiten. Nach dem Prinzip der Seifenoper<br />
bringen die Jugendlichen Ideen, Gedanken und Gefühle aus ihrem Alltag<br />
mit, die mit Unterstützung von Mark Scheibe musikalisch und poetisch<br />
verarbeitet werden.<br />
<strong>Die</strong> „Melodie des Lebens“ ist abwechslungsreich und vielstimmig. Sie<br />
enthält Songs von Mark Scheibe und gemeinsam mit den SchülerInnen<br />
komponierte Lieder ebenso wie „Klassiker“, die von Mitgliedern der<br />
Deutschen Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> aufgeführt werden. Am<br />
Wichtigsten ist dabei selbstverständlich das Miteinander. So werden die<br />
gemeinsamen Kompositionen mit den SchülerInnen auch gemeinsam mit<br />
Band und Orchester musiziert. Am 6. März 2008 wird nun der 3. Teil dieses<br />
gemeinsam erarbeiteten Stückes (ur)aufgeführt. Der Fortsetzung vierter<br />
Teil erfolgt dann am 31. Oktober 2008. Weitere anspruchsvolle Projekte u.<br />
a. mit dem Komponisten Karsten Gundermann werden zurzeit miteinander<br />
diskutiert.<br />
45<br />
Unter einem Dach<br />
Zukunftspreis für Bremer Musiker und Gesamtschule<br />
<strong>Die</strong> Deutsche Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> und die<br />
Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost haben den Zukunftspreis des Wiener<br />
Trendforschungsinstituts Horx erhalten. In der Kategorie „Beste<br />
soziale Innovation“ wurde das Orchester dafür ausgezeichnet,<br />
dass es in einer Bremer Gesamtschule Wohnung genommen hat –<br />
mit Probenräumen und einem Konzertsaal, der dank seiner<br />
akustischen Brillanz zugleich Aufnahmestudio ist. Sowohl das<br />
Ensemble als auch die Gesamtschule <strong>Bremen</strong>-Ost, die ihren<br />
Schwerpunkt mit kulturellen Angeboten damit weiter stärkt,<br />
erhoffen sich nachhaltige Effekte durch die Kombination<br />
„Weltklasse-Ensemble und Schule unter einem Dach“, wie es in<br />
der Begründung der Jury heißt. Das Zusammenspiel hat schon<br />
begonnen: Chefdirigent Paavo Järvi leitete bei der Einweihung des<br />
neuen Domizils ein Ensemble aus Mitgliedern der<br />
Kammerphilharmonie und des Schulorchesters.<br />
(Feuilleton der FAZ vom 18.6.2007)
LINKLISTE<br />
Schulportal <strong>Bremen</strong><br />
http://www.schule.bremen.de<br />
Schulportal Bremerhaven<br />
http://www.stabi.hs-bremerhaven.de/<br />
Landesinstitut für Schule<br />
www.lis.bremen.de<br />
Lehrerfortbildungsinstitut Bremerhaven<br />
http://www.stabi.hs-bremerhaven.de/lfi/<br />
<strong>Die</strong> Senatorin für Bildung und Wissenschaft<br />
www.bildung.bremen.de<br />
Externe Evaluation 2007 – Empfehlungen an die Senatorin für Bildung und Wissenschaft<br />
http://www2.bildung.bremen.de/sfb/behoerde/deputation/depu/l25v17a1.pdf<br />
Elternvertretungen in <strong>Bremen</strong> und Bremerhaven<br />
http://www.zeb-bremerhaven.de/<br />
www.zeb-bremen.de<br />
Weitere spannende Links:<br />
http://www.gew-hb.de/Schulentwicklung.html<br />
www.gew-hb.de<br />
www.ggg-bund.de<br />
www.aktion-humane-schule.de<br />
www.verband-sonderpaedagogik.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
www.laenger-gemeinsam-lernen.de<br />
Bremer Jugendinformationen:<br />
www.jugendinfo.de<br />
Das schwedische Bildungswesen:<br />
http://www.sverige.de/lexi/lexi_bild.htm<br />
Auszug zum Thema Bildung aus der rot-grünen Koalitionsvereinbarung:<br />
http://www.gruene-remen.de/ cms/files/dokbin/187/187377.koalitionsvertrag_20072011.pdf<br />
Bildungsnewsletter auf www.gruene-fraktion-bremen.de