Ihr Kinderlein kommet⦠- VSETH - ETH Zürich
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Polykum 5/05–06<br />
Fruchtbarkeit 15<br />
Mutanten, Laborkinder<br />
und Klone<br />
Der erste künstliche Mensch erschien 1927 in Fritz Langs «Metropolis» auf der Leinwand. Seither hat<br />
die Fortpflanzungsmedizin enorme Fortschritte gemacht – Grund genug für eine Analyse davon, wie die<br />
Filmindustrie mit der Darstellung von Fruchtbarkeit und Fortpflanzung umgeht.<br />
Michel De Cian > decian@polykum.ethz.ch<br />
Unser Streifzug durch die Fruchtbarkeits-Filmgeschichte<br />
beginnt in den 70er Jahren. Mit<br />
Eraserhead liefert David Lynch wohl einen der<br />
skurrilsten Filme überhaupt: Sein Regiedebüt<br />
erzählt die Geschichte eines Mannes, dessen<br />
eben erst geheiratete Frau einen Säugling –<br />
halb Baby, halb Mutant – zur Welt bringt. Das<br />
Baby treibt die junge Mutter durch sein Geschrei<br />
jedoch schon bald zur Verzweiflung und<br />
aus dem Haus. Überfordert<br />
und mit dem Sprössling alleine<br />
gelassen, steigert sich<br />
der Vater immer mehr in<br />
einen Albtraum hinein, in<br />
dem die Grenzen von Realität<br />
und Einbildung aufgehoben<br />
werden. Eraserhead<br />
beeindruckt durch seine<br />
surreale Darstellung von<br />
männlicher und weiblicher<br />
Sexualität und zieht den<br />
Zuschauer mit dem Protagonisten<br />
hinein in die tiefsten<br />
Abgründe der menschlichen<br />
Psyche – ein Film wie<br />
ein Fiebertraum: Furchterregend<br />
und dennoch faszinierend.<br />
Gentest bestimmt<br />
Schicksal<br />
Zwanzig Jahre nach Eraserhead<br />
bewegt die Erschaffung<br />
des perfekten Menschen<br />
die Gemüter. Im selben Jahr (1997), in<br />
dem das Schaf Dolly geklont wurde, erschien<br />
Gattaca in den Kinos – die Synopsis: In einer<br />
nicht allzu fernen Zukunft ist Eugenik an der<br />
Tagesordnung: Kinder werden im Reagenzglas<br />
auf Perfektion designt und ihr Schicksal schon<br />
bei Geburt durch Gentest bestimmt. Wer auf<br />
natürlichem Weg gezeugt wurde, gilt als minderwertig<br />
und darf höchstens die Hallen der<br />
genetischen Elite putzen. Vincent Freeman<br />
(Ethan Hawke) ist ein solcher «Ungültiger»,<br />
lehnt sich jedoch gegen seine Bestimmung auf<br />
und tauscht dafür die Identität mit der eines<br />
(scheinbar) genetisch perfekten Menschen.<br />
Distanziert inszeniert und mit kühlen Bildern<br />
zeigt Gattaca eine Zukunft, welche trotz oder<br />
gerade wegen ihrer Emotionslosigkeit beängstigend<br />
realistisch erscheint und wirft dabei die<br />
Frage auf, inwiefern ein vorbestimmtes Leben<br />
überhaupt lebenswert ist.<br />
Gejagte Klone: Jordan Two-Delta (Scarlett Johansson)<br />
und Lincoln Six-Echo (Ewan McGregor) auf der Flucht.<br />
Eine vollkommen andere Geschichte<br />
erzählt Teknolust aus dem Jahre 2002. Aus<br />
Einsamkeit hat sich die Forscherin Dr. Rosetta<br />
Stone drei Klone ihrer selbst geschaffen (vier<br />
mal Tilda Swinton), die sie jedoch von der<br />
Aussenwelt fern hält. Nur manchmal macht<br />
sich eine Replikantin in die wirkliche Welt<br />
auf, um durch Geschlechtsverkehr an das<br />
überlebenswichtige Y-Chromosom zu kommen.<br />
Dies löst bei den Männern jedoch eine<br />
Allergie aus, die sie impotent werden lässt und<br />
damit die Polizei auf den Plan ruft. Trotz<br />
haarsträubender Story ein wunderbar selbstironischer<br />
Film, der auf der einen Seite die<br />
Themen Fruchtbarkeit und Klonen gekonnt<br />
auf die Spitze treibt, andererseits sich auf verspielte<br />
Weise mit menschlichen Grundbedürfnissen<br />
wie Liebe und Zuneigung befasst.<br />
Mehr Märchen denn Science-Fiction überzeugt<br />
Teknolust durch eine grandiose Leistung<br />
von Tilda Swinton, visuellen<br />
Einfallsreichtum und<br />
eine menschliche Botschaft<br />
– ein filmisches Kleinod.<br />
Mensch als<br />
Ersatzteillager<br />
Der jüngste hollywoodsche<br />
Beitrag zur Fruchtbarkeitsthematik<br />
und nun auf DVD<br />
erhältlich ist The Island<br />
(2005). Um sich in der<br />
Zukunft ein längeres Leben<br />
zu garantieren, lassen sich<br />
die gut Situierten Klone als<br />
lebendige Ersatzteillager<br />
anfertigen, denen vorgegaukelt<br />
wird, sie seien die<br />
Überlebenden einer globalen<br />
Katastrophe – ihr Ziel<br />
Bild: Warner Bros.<br />
ist «die Insel», das angeblich<br />
letzte unverseuchte<br />
Eiland auf dem Planeten.<br />
Da sich aber trotz aller<br />
Technologie die menschliche<br />
Neugier nicht ganz ausschalten lässt,<br />
kommt Lincoln Six-Echo (Ewan McGregor)<br />
hinter das schreckliche Geheimnis seiner<br />
Existenz und flieht mit Jordan Two-Delta<br />
(Scarlett Johansson) in die Aussenwelt, verfolgt<br />
von seinem Erschaffer.<br />
Ein typischer Blockbuster: Videoclip-Ästhetik,<br />
Action und wohltuende Selbstironie. Daneben<br />
stellt aber The Island, ähnlich wie Gattaca,<br />
Fragen zum Wert des Menschen und des<br />
Lebens – wenn auch mit etwas mehr Getöse.