Ihr Kinderlein kommet⦠- VSETH - ETH Zürich
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Polykum 5/05–06<br />
Fruchtbarkeit 19<br />
Evolution im Informatiklabor<br />
Nicht nur Biologen, Philosophen und Theologen beschäftigen sich mit der Evolutionstheorie, zuweilen greifen<br />
auch Informatiker zum Biologiebuch. Doch was hat eine leblose und auf Definitionen aufgebaute Wissenschaft<br />
wie die Informatik bei einer Naturwissenschaft verloren, die auf Zufall und Beobachtungen basiert<br />
Ingo Jenni > jenni@polykum.ethz.ch<br />
Für viele Probleme hat die Natur eine<br />
Lösung parat. Ein Baum zum Beispiel ist so<br />
gebaut, dass er bei minimalem Gewicht eine<br />
maximale Stabilität aufweist. Wale verfügten<br />
bereits über ein Sonar, als es noch keine<br />
Menschen gab, die auf die Idee kamen,<br />
U-Boote zu bauen. Vor rund 40 Jahren versuchten<br />
verschiedene Forschungsgruppen<br />
den Lösungsfindungsprozess der Natur auf<br />
den Computer zu übertragen. Entstanden<br />
sind daraus die sogenannten Evolutionären<br />
Algorithmen.<br />
Evolution ist Optimierung<br />
Evolutionäre Algorithmen lösen, wie die<br />
Evolution auch, stets Optimierungsprobleme.<br />
Diese können aus allen erdenklichen Bereichen<br />
stammen. Ein Beispiel ist die Minimierung<br />
des Strömungswiderstandes beim Auto. Ein<br />
sehr anschauliches Pendant in der Natur<br />
findet sich hier bei den Delphinen, deren<br />
Stromlinienform auf natürliche Weise optimiert<br />
wurde.<br />
Die theoretische Grundlage für Evolutionäre<br />
Algorithmen lieferte Charles Darwin.<br />
Der berühmte britische Naturforscher veröffentlichte<br />
1859 sein Werk «On the origin of<br />
species by means of natural selection or the<br />
preservation of favoured races in the struggle<br />
for life». Die Darwinsche Theorie besagt,<br />
dass die Evolution und somit die Entstehung<br />
von hoch entwickeltem Leben auf Variation<br />
und natürliche Selektion zurückzuführen ist.<br />
Danach überlebt in der freien Natur über<br />
lange Zeit genau die Spezies, welche sich<br />
am besten an ihre äusseren Umstände anzupassen<br />
weiss. Tarnung, körperliche Stärke,<br />
effizienter Wasserhaushalt, das sind nur ein<br />
paar Stichworte aus einem riesigen Arsenal<br />
an Konzepten, entwickelt von Tieren und<br />
Pflanzen in einem schon Jahrmillionen andauernden<br />
Kampf gegen das Aussterben.<br />
Todeskampf im Computer<br />
Dieser Kampf um Leben und Tod wird nun<br />
im Computer simuliert, das heisst man setzt<br />
eine Population an Individuen einer virtuellen<br />
Umwelt aus. Dort lässt man sie sich fortpflanzen<br />
und anpassen und schaut nach ein<br />
Delphin: Über Jahrmillionen optimierte Stromlinienform.<br />
paar tausend virtuellen Generationen, welche<br />
neuen Ausprägungen die Lebewesen sich im<br />
Laufe der Zeit angeeignet haben. Was man im<br />
Vorhinein weiss, ist, welche Eigenschaften die<br />
zu züchtenden «Lebewesen» aufweisen müssen<br />
und auf welchem Gebiet sie speziell «gut»<br />
sein sollen.<br />
Konkret lässt sich das am Beispiel einer<br />
Autokarrosserie illustrieren. Hierbei wird die-<br />
Karrosserie als Individuum angenommen.<br />
Durch die Selektion wird sich nun eine Form<br />
herausbilden, die den geforderten Bedingungen<br />
an den Strömungswiderstand optimal entspricht.<br />
Natürlich müssen im Vorfeld gewisse<br />
Rahmenbedingungen festgelegt, sprich programmiert<br />
werden: Niemand kauft ein Auto,<br />
das aussieht wie ein Delphin – ist es auch<br />
noch so strömungsfähig. Unter solchen Voraussetzungen<br />
werden nun die Fitness und die<br />
Überlebenschancen der einzelnen Individuen<br />
(Karrosserieformen) eruiert. Zwei überlebende<br />
Individuen können dann Nachkommen<br />
zeugen, die – wie in der Natur – Eigenschaften<br />
beider Elternteile aufweisen. Durch zufällig<br />
stattfindende Mutationen, also kleine Ände-<br />
Bild: Michelle Fish<br />
rungen in der Datenstruktur der Individuen,<br />
kann es sein, dass die Nachkommen sogar besser<br />
angepasst sind als ihre Eltern. So entsteht<br />
eine Population, die von Generation zu Generation<br />
einen besseren Strömungswiderstand<br />
aufweist.<br />
Natur macht’s besser<br />
Die Evolutionären Algorithmen konnten sich<br />
in vielen Gebieten etablieren. Sie helfen, Börsenkurse<br />
vorherzusagen, finden die optimale<br />
Anordnung von Chips auf einer Platine und<br />
ermitteln in selbstlernenden Robotern den<br />
kürzesten Weg aus dem Labyrinth. Obwohl<br />
auf ihrem Gebiet noch immer stark geforscht<br />
wird, ist mit der Bionik eine noch relativ<br />
junge Wissenschaft stark im kommen. In der<br />
Bionik wird systematisch in der Natur nach<br />
Lösungen für bestehende Probleme gesucht.<br />
Kein von Menschen erbauter Turm ist so stabil<br />
wie die Röhrenkonstruktion eines Grashalms,<br />
kein Helikopter so wendig wie eine Fliege<br />
und keine Computersimulation so ausgeklügelt<br />
wie das Leben selbst. Die Natur ist uns<br />
eben doch immer einen Schritt voraus.