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Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]

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<strong>Heft</strong> 3/<strong>2006</strong><br />

C 21234 ISSN 0940-4163<br />

Militärgeschichte im Bild: Generalleutnant Ulrich de Maizière (1912–<strong>2006</strong>)<br />

1806: Zweierlei Untergang<br />

Frühe Kriegsberichterstattung<br />

Deutsche Interessen im Kongo<br />

»Kriegsmaler« Richard Hohly


Impressum<br />

Editorial<br />

Militärgeschichte<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung<br />

Herausgegeben<br />

vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt<br />

durch Oberst Dr. Hans Ehlert und<br />

Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.)<br />

Produktionsredakteur<br />

der aktuellen Ausgabe:<br />

Oberstleutnant Dr. Harald Potempa<br />

Redaktion:<br />

Oberleutnant Julian-André Finke M.A. (jf)<br />

Oberleutnant Matthias Nicklaus M.A. (mn)<br />

Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)<br />

Mag. phil. Michael Thomae (mt)<br />

Bildredaktion:<br />

Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />

Redaktionsassistenz:<br />

Stefan Stahlberg, Cand. Phil. (StS)<br />

Lektorat:<br />

Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />

Layout/Grafik:<br />

Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang<br />

Anschrift der Redaktion:<br />

Redaktion »Militärgeschichte«<br />

Militärgeschichtliches Forschungsamt<br />

Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />

E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@<br />

bundeswehr.org<br />

Telefax: (<strong>03</strong> 31) 97 14 -507<br />

Homepage: www.mgfa.de<br />

Manuskripte für die Militärgeschichte werden<br />

an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte wird nicht gehaftet.<br />

Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt<br />

der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung,<br />

Übersetzung usw. Honorarabrechnung<br />

erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die<br />

Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter<br />

Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise,<br />

fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung<br />

sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung<br />

durch die Redaktion und mit Quellenangaben<br />

erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme<br />

in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen<br />

auf CD-ROM. Die Redaktion hat keinerlei<br />

Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte<br />

derjenigen Seiten, auf die in dieser <strong>Zeitschrift</strong><br />

durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb<br />

übernimmt die Redaktion keine Verantwortung<br />

für die Inhalte aller durch Angabe<br />

einer Linkadresse in dieser <strong>Zeitschrift</strong> genannten<br />

Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt<br />

für alle ausgewählten und angebotenen Links<br />

und für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder<br />

Banner führen.<br />

© <strong>2006</strong> für alle Beiträge beim<br />

Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)<br />

Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber<br />

ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um<br />

Mitteilung.<br />

Druck:<br />

SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />

ISSN 0940-4163<br />

Am 14. Oktober vor 200 Jahren erlitt die preußisch-sächsische Armee bei Jena<br />

und Auerstedt eine vernichtende Niederlage gegen die napoleonischen Truppen.<br />

Staat und Heer in Preußen wurden daraufhin weitreichenden Reformen<br />

unterzogen, die mit den Namen Gneisenau, Scharnhorst und Clausewitz eng<br />

verbunden sind. Die »Preußischen Reformen«<br />

bilden seit Bestehen der Bundeswehr<br />

eine der drei Traditionslinien<br />

unserer Streitkräfte.<br />

Das Jahr 1806 bedeutete aber auch das<br />

Ende des seit 962 bestehenden Heiligen<br />

Römischen Reiches Deutscher Nation,<br />

die Entstehung der Königreiche<br />

Bayern, Württemberg und Sachsen sowie<br />

die Gründung des Rheinbundes<br />

(1806–1813). Diese Entwicklungen<br />

haben uns unter anderem bis zum<br />

heutigen Tage ein wichtiges Element<br />

hinterlassen: den Föderalismus in<br />

der Bundesrepublik Deutschland. Bis<br />

1918 besaß auch die Militärverfassung<br />

des Deutschen Reiches föderative Elemente.<br />

Es blieben die Erinnerungen an ein kompliziertes Staatsgebilde und an<br />

ein einigendes Band zwischen den verschiedenen »deutschen Staaten«. Der<br />

erste Großbeitrag der vorliegenden Ausgabe der <strong>Zeitschrift</strong> Militärgeschichte<br />

informiert nicht nur grundsätzlich über das »Alte Reich«, sondern trägt auch<br />

insgesamt den Ereignissen des Jahres 1806 Rechnung.<br />

Bilder und Berichte über tagesaktuelle kriegerische Konflikte sind im Zeitalter<br />

der elektronischen Massenmedien allgegenwärtig. Wie entstehen solche<br />

Bilder und Berichte Welche Bilder sollen oder, vor allem, dürfen gezeigt werden,<br />

welche nicht Der Artikel »No dead bodies« von Klaus-Jürgen Bremm<br />

nimmt diese aktuelle Frage auf, indem er über die Anfänge der Kriegsberichterstattung<br />

im 19. Jahrhundert informiert. Einen aktuellen Bezug zum weltpolitischen<br />

Geschehen hat auch der Artikel »Deutsche Interessen im Kongo«<br />

von Wolfgang Petter, der sich ebenfalls auf das 19. Jahrhundert bezieht. Nicht<br />

zuletzt der derzeitige Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten zur Absicherung<br />

der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo hat die ehemalige<br />

belgische Kolonie und deren Geschichte auch hierzulande ins öffentliche<br />

Blickfeld gerückt.<br />

Mit der Überschrift »Russland zu sympathisch gesehen, propagandistisch<br />

nicht verwertbar«, wurden die Skizzen und Bilder des »Kriegsmalers« Richard<br />

Hohly von der Wehrmacht versehen. Dem Leben und Wirken dieses ungewöhnlichen<br />

Künstlers widmet sich der Großbeitrag von Eberhard Birk.<br />

Ein Wort in eigener Sache: Der uniformierte Teil der Redaktion Militärgeschichte<br />

ist durch das Ausscheiden von Heiner Bröckermann inzwischen<br />

eine reine »Air-Force-Crew« geworden. Sie bemüht sich allerdings, nicht abzuheben.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Genuss bei der Lektüre des dritten <strong>Heft</strong>es <strong>2006</strong>.<br />

Dr. phil. Harald Potempa<br />

Oberstleutnant


Inhalt<br />

Zweierlei Untergang:<br />

Der Zusammenbruch des Alten<br />

Reichs (962–1806) und des alten<br />

Preußen im Jahre 1806<br />

Dr. Martin Rink, geboren 1966 in Kaufbeuren/<br />

Allgäu, Historiker; Dr. Harald Potempa, geboren<br />

1963 in Dorfen, Landkreis Erding/Oberbayern,<br />

Wissen schaftlicher Mitarbeiter am MGFA<br />

4<br />

Service<br />

Das historische Stichwort:<br />

Ungarn 1956 22<br />

Medien online/digital 24<br />

Lesetipp 26<br />

Ausstellungen 28<br />

Geschichte kompakt 30<br />

No dead bodies! Der moderne<br />

Krieg und die Anfänge der<br />

Kriegsberichterstattung<br />

10<br />

Militärgeschichte<br />

im Bild<br />

General Ulrich de Maizière<br />

(1912–<strong>2006</strong>) 31<br />

Dr. Klaus-Jürgen Bremm, geboren 1958 in Duisburg,<br />

Oberstleutnant d.R., Lehrbeauftragter für<br />

Neuere Geschichte an der Universität Osnabrück<br />

Deutsche Interessen<br />

im Kongo<br />

Dr. Wolfgang Petter, geboren 1942 in Erlangen,<br />

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am MGFA, Potsdam<br />

14<br />

Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant<br />

Ulrich de Maizière (links),<br />

im Gespräch mit Bundesminister der<br />

Verteidigung Kai-Uwe von Hassel<br />

und Bundeskanzler Ludwig Erhard<br />

anlässlich des Besuches der Heeresunteroffizierschule,<br />

ca. 1965.<br />

Foto: Bundesregierung/Egon Steiner<br />

»Russland zu sympathisch<br />

gesehen, propagandistisch nicht<br />

verwertbar«. Der »Kriegsmaler«<br />

Richard Hohly<br />

Dr. Eberhard Birk, geboren 1967 in Heilbronn, Dozent<br />

an der Offizierschule der Luftwaffe Fürstenfeldbruck<br />

18<br />

Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Major Heiner Bröckermann M.A., MGFA;<br />

Studienreferendar Christian Bunnenberg,<br />

Münster;<br />

Wiss. Oberrat Dr. Bernhard Chiari, MGFA;<br />

Oberstleutnant Dr. Helmut R. Hammerich,<br />

MGFA;<br />

Oberstleutnant Dr. Dieter H. Kollmer,<br />

MGFA;<br />

Hauptmann Marcus von Salisch, MGFA;<br />

Leiter Abteilung Forschung (komm.)<br />

MGFA Dr. Bruno Thoß


Zweierlei Untergang<br />

Der Zusammenbruch<br />

des<br />

Alten Reichs<br />

(962 –1806)<br />

und des alten<br />

Preußen im<br />

Jahre 1806<br />

agk-images<br />

Franz II. (1768–1835), der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches<br />

Deutscher Nation.<br />

Gemälde, vor 1806, von Joseph Kreutzinger (1757–1825).<br />

agk-images/Erich Lessing<br />

Napoleon Bonaparte (1769–1821)<br />

stand am Anfang der Neuordnung<br />

Deutschlands. Seine Siege zertrümmerten<br />

die hergebrachte Ordnung.<br />

Ölstudie, 1799, von Jacques-Louis<br />

David (1748–1825).<br />

1806–<strong>2006</strong>:<br />

Aspekte eines Jubiläums<br />

<strong>2006</strong> jährt sich zum 200. Mal die Schlacht<br />

bei Jena und Auerstedt. Am 14. Oktober<br />

1806 erlitten die preußi schen Truppen<br />

eine vernichtende Niederlage gegen<br />

die Truppen Napo leons I. Im selben<br />

Jahr fand aber auch das »Heilige Römische<br />

Reich deutscher Nation« , auch<br />

»Altes Reich« genannt, ein eher unrühmliches<br />

Ende. Am 6. August 1806<br />

legte Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserkrone<br />

nieder.<br />

So endete ein Staatsgebilde, das bereits<br />

im 17. Jahrhundert als »Monstrum«<br />

bezeichnet worden war. Weder<br />

war es Bundesstaat noch Staatenbund,<br />

weder Monarchie noch Aristokratie<br />

noch Demokratie – vielmehr war es<br />

von allem ein wenig. »Das Reich« umfasste<br />

im Revolutionsjahr 1789 nicht<br />

weniger als 299 mehr oder weniger<br />

faktisch souveräne Reichsstände, beginnend<br />

mit den Kurfürstentümern<br />

bis hin zu Reichsstädten und Reichsdörfern,<br />

besonders in Schwaben und<br />

Franken. Hinzu kamen 1475 Reichsritterschaften.<br />

Sie alle waren nur dem<br />

Kaiser untertan, sie alle hatten ihren<br />

Beitrag zur Reichsarmee zu leisten, die<br />

nur im Kriegsfall aufgestellt wurde. Ein<br />

»Deutsches« Reich war dies nicht wirklich:<br />

Bis 1806 gehörten auch Tschechen,<br />

Slowenen, Wallonen und Flamen dazu.<br />

Über Jahrhunderte gab es italienische,<br />

schweizerische, burgundische, lothringische<br />

und niederländische Teile des<br />

Reiches. Der Verweis auf das »Heilige«<br />

und »Römische« deutete darauf hin,<br />

dass der Kaiser mit universalem Anspruch<br />

auftrat.<br />

Das nationale französische Kaisertum<br />

des 19. Jahrhunderts widersprach<br />

dieser Reichsidee grundlegend. Napoleon<br />

Bonaparte nutzte ab 1799 die<br />

Chance der inneren Erneuerung Frankreichs.<br />

Seine Krönung zum »Kaiser der<br />

4 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


agk-images<br />

Die Goldene Bulle Kaiser Karl IV.<br />

von 1356 bildete ein wichtiges<br />

Grundgesetz des Reiches für die<br />

nächsten 450 Jahre.<br />

Franzosen« 1804 bedeutete einen »modernen«<br />

Legitimitätsanspruch: Er war<br />

der »Retter« der Nation, die ihm zum<br />

Kaiser erhob. Auf dem Höhepunkt seiner<br />

Macht, nach den Siegen von Ulm,<br />

Austerlitz und Jena 1805/06, verkörperte<br />

der Korse nicht nur gleichsam den<br />

»Kriegsgott selbst« (Clausewitz), sondern<br />

ordnete auch Deutschland neu.<br />

Demgegenüber wirkte das Alte Reich<br />

überlebt. Seine großen Territorialmächte,<br />

allen voran Österreich und Preußen,<br />

hatten sich längst verselbständigt.<br />

»Deutsche Stämme«<br />

als untaugliche Kategorie:<br />

Goldene Bulle 1356<br />

An der Spitze des Heiligen Römischen<br />

Reiches Deutscher Nation stand der<br />

Kaiser. Mit der Krönung Ottos I. 962<br />

war bewusst an den Frankenkönig Karl<br />

den Großen und dessen Anspruch als<br />

Erneuerer des (west-)römischen Kaiserreiches<br />

angeknüpft worden. Karl<br />

hatte sich 800 von Papst Leo III. zum<br />

Römischen Kaiser krönen lassen.<br />

Neben dem burgundischen und dem<br />

italienischen Teil bestand das Reich<br />

aus den Stammesherzogtümern Bayern,<br />

Franken, Sachsen, Schwaben und<br />

Thüringen. Im 13. und 14. Jahrhundert<br />

setzten die Schwächung der Zentralgewalt<br />

und die Stärkung der Regionalgewalten<br />

ein. Die königslose Zeit, aber<br />

auch das Auftreten von König und Gegenkönig<br />

warfen die Frage auf, wer<br />

denn berechtigt sei, einen Kandidaten<br />

für das Amt des Kaisers aufzustellen<br />

und zu wählen. Die im Jahr 1356 erlassene<br />

Goldene Bulle Kaiser Karls IV.<br />

gab die Antwort für die nächsten 450<br />

Jahre. Sieben Kurfürsten wurden per<br />

Reichsgesetz definiert, die zur Wahl<br />

des Kaisers berechtigt waren. Statt<br />

der Stammesherzöge waren dies nun<br />

drei geistliche Würdenträger: die Erzbischöfe<br />

von Köln, Mainz und Trier.<br />

– sowie vier weltliche Herrscher: der<br />

König von Böhmen (der einzige dieses<br />

Ranges), der Pfalzgraf bei Rhein (Kurfürst<br />

von der Pfalz), die Kurfürsten von<br />

Brandenburg und Sachsen. 300 Jahre<br />

später kamen Bayern (1623/28) und<br />

Hannover (1692) als Kurfürstentümer<br />

dazu. Die alten Stammesherzogtümer<br />

waren verkleinert und verändert worden.<br />

Der Aufbau von Landesherrschaft<br />

und künftiger Großmächte geschah in<br />

den Markgrafschaften, so etwa in der<br />

Mark Brandenburg (Preußen) und der<br />

»ostwärtigen Mark« (Österreich).<br />

Der deutsche König wurde auf Lebenszeit<br />

gewählt, der Titel war nicht erblich.<br />

Erst die Weihe durch den Papst<br />

verlieh dem deutschen König die Kaiserwürde.<br />

Den Kurfürsten mussten jeweils<br />

Wahlversprechen in Form von<br />

Rechten, Ländereien oder schlicht Geld<br />

gemacht werden. Seit Maximilian I.<br />

nannte sich er neugewählte König<br />

auch »Erwählter Römischer Kaiser«,<br />

die Krönung durch den Papst entfiel<br />

fortan – von einer Ausnahme (Karl. V)<br />

abgesehen. Tatsächlich war die Kaiserwürde<br />

von 1438 bis 1806 fast durchgängig<br />

fest in den Händen der habsburgischen<br />

(Erz-)Herzöge von Österreich,<br />

die ab 1526 gleichzeitig Könige von<br />

Böhmen waren. Als Erben des größten<br />

Territorialbesitzes verfügten die<br />

Habsburger über eine Hausmacht, die<br />

sie mit den Mitteln versah, die Königswahl<br />

der Kurfürsten in ihrem Sinne zu<br />

beeinflussen. Allerdings war es einigen<br />

von ihnen gelungen, eine Standeserhöhung<br />

zu erlangen, was zunächst nur<br />

außerhalb des Reichsgebietes möglich<br />

war: So trugen zeitweise der sächsische<br />

Kurfürst die polnische, der hannoversche<br />

ab dem 18. Jahrhundert die englische<br />

Königskrone; seit 1701 kam der<br />

brandenburgische Kurfürst als »König<br />

in Preußen« dazu. Auch benachbarte<br />

Groß- oder Regionalmächte wie<br />

Frankreich, Schweden und Dänemark<br />

spielten ihre Rolle im Reich, da sie in<br />

Personalunion ihrer Herrscher über<br />

Reichsterritorien verfügten und deshalb<br />

in den Reichsgremien unmittelbar<br />

ihre Interessen vertreten konnten<br />

– natürlich auch bei der Kaiserwahl.<br />

Die Sieben Kurfürsten vor dem Kaiserthron. Links die drei geistlichen, rechts die<br />

vier weltlichen Kurfürsten. Kolorierter Holzschnitt aus H. Schedel, Liber chronicarum,<br />

Nürnberg 1493; Sign. Inc. 119, fol. 183 v, 184 r, Herzogin Anna Amalia<br />

Bibliothek, Weimar, Stiftung Weimarer Klassik.<br />

agk-images<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

5


Zweierlei Untergang<br />

»Abgeordnete«, Geld und<br />

Militär<br />

Entscheidungen wurden auf den<br />

Reichs tagen getroffen. Sie bildeten<br />

eine (un-)regelmäßige Versammlung<br />

aller Reichsstände in Anwesenheit des<br />

Kaisers, deren Beschlüsse man in den<br />

»Reichsabschieden« schriftlich niederlegte.<br />

Im Gegensatz zu modernen Parlamenten<br />

waren die Teilnehmer der<br />

Reichstage ebenso wenig vom Volk<br />

gewählt wie die Ständevertretungen<br />

(Kirche, Adel, Bürger) in den einzelnen<br />

Reichsständen. Dies war kein deutsches<br />

Phänomen, sondern galt in ganz<br />

Europa. Dennoch hat der moderne Parlamentarismus<br />

seine Vorläufer in den<br />

Ständevertretungen. Die Reichstage<br />

wurden bei Bedarf abgehalten, u.a. in<br />

den (Reichs-)Städten Augsburg, Nürnberg,<br />

Frankfurt a.M., Regensburg,<br />

Spey er und Worms. Der Reichstag zu<br />

Worms 1495 schuf die organisatorische<br />

Zwischenebene der »Reichskreise«. Es<br />

gab ihrer zehn, sie waren regional organisiert<br />

und hatten in ihrem Bereich<br />

Beschlüsse des Reichstages durchzusetzen,<br />

u.a. das Steueraufkommen zu<br />

organisieren. Sie waren aber auch für<br />

die Aufstellung der Kontingente der<br />

Reichsarmee im Kriegsfall zuständig.<br />

Die Reichsstände hatten die aufgebotene<br />

Armee zu bezahlen, denn ein Stehendes<br />

Reichsheer existierte nicht.<br />

Der Landfrieden wurde durch die<br />

Reichskreise garantiert. Der Wormser<br />

Reichstag von 1521 präzisierte den<br />

Umfang und die Leistungen an die<br />

Reichsarmee. Diese bestand aus 20 000<br />

Mann Infanterie und 4000 Mann Kavallerie.<br />

Die Reichsstände hatten gemäß<br />

einer festen Quote entweder Soldaten<br />

und Pferde oder aber das Geld für deren<br />

Anwerbung und Unterhalt aufzubringen.<br />

Der Augsburger Reichstag<br />

von 1555, abgehalten unter dem Eindruck<br />

der Reformation und des Bauernkrieges<br />

in Deutschland, präzisierte<br />

die Kreiseinteilung und legte die militärischen<br />

Rechte und Pflichten der Mitglieder<br />

bezüglich Zahlung und Oberbefehl<br />

fest. Auch verstärkte er die Rolle<br />

der Reichskreise bei »Reichsexekutionen«,<br />

also militärischen Unternehmen<br />

einzelner Reichsstände in kaiserlichem<br />

Auftrag gegen sich widersetzende<br />

Reichsstände.<br />

1681:<br />

Reichsheer und Stehende Heere<br />

Der Reichstag als die Versammlung der Reichsstände unter Vorsitz des Kaisers,<br />

hier ein Reichstag zu Regensburg unter Ferdinand I. Radierung von Jost Amman<br />

(1539–1591).<br />

agk-images<br />

Die »Reichsdefensionalordnung«<br />

(Reichsverteidigungsordnung) von<br />

1681 fußte auf zwei Reichsgutachten<br />

zur »öffentlichen Sicherheit« und bildete<br />

bis 1806 die Reichskriegsverfassung.<br />

Maßgebend waren dabei der Osnabrücker<br />

Friedensvertrag von 1648 (also der<br />

eine Teil des Westfälischen Friedens)<br />

und der sogenannte Jüngste Reichsabschied<br />

von 1654. Mit dem Jahr 1681 erfuhr<br />

die Organisation der Reichstage<br />

eine grundlegende Veränderung. Nun<br />

erfolgte in Regensburg die Einrichtung<br />

eines dauernden Gesandtenkongresses<br />

der Reichsstände, der als »Immerwährender<br />

Reichstag« bezeichnet wurde.<br />

Das Heeresaufkommen im Kriegsfall<br />

wurde von 20 000 Mann auf 40 000<br />

Mann (28 000 Mann Infanterie und<br />

12 000 Mann Kavallerie) erhöht. Diese<br />

Truppenstärke bildete das »Simplum«,<br />

das bei Bedarf verdoppelt, verdreifacht<br />

oder gar vervierfacht werden konnte.<br />

Verantwortlich für die Kreiskasse waren<br />

die jeweiligen Kreisobristen der<br />

Reichskreise.<br />

Die Landesherren hatten von nun<br />

an die Möglichkeit, Stehende Heere<br />

zu unterhalten, d.h. Armeen, die auch<br />

im Frieden bestanden. Dazu wurden<br />

von den Ständen des Landes Steuern<br />

erhoben. Bislang waren Armeen nach<br />

Kriegsende aufgelöst oder abgemustert<br />

worden. Größere Reichsstände<br />

machten von dieser Möglichkeit ohne<br />

Zögern Gebrauch. So entwickelten<br />

sich Stehende Heere etwa in Brandenburg<br />

(ab 1644), in Bayern (ab 1682) und<br />

Sachsen (ab 1682). Die Reichsarmee<br />

blieb dagegen ein Kontingentheer. Sie<br />

wurde nur im Kriegsfall aktiviert, war<br />

also kein Stehendes Heer. Im Verlauf<br />

des 17. Jahrhunderts erwarben sich die<br />

Herrscher der größeren Reichsterritorien<br />

mit ihren Stehenden Heeren das<br />

Instrument, welches ihnen letztlich die<br />

Durchsetzungsfähigkeit innerhalb des<br />

Reiches (teils mit Ausstrahlung darüber<br />

hinaus) sowie die zunehmende tatsächliche<br />

Souveränität innerhalb ihrer<br />

Territorien ermöglichte. Zudem erforderte<br />

die Aufrechterhaltung stehender<br />

Truppen, ihrer Ausrüstung, Personalergänzung,<br />

Unterbringung, Verpflegung<br />

und regelmäßigen Entlohnung den<br />

Aufbau eines zunehmend umfassender<br />

werdenden Staats- und Beamtenapparates.<br />

Die größeren Reichsfürsten<br />

gaben hier das Tempo vor. Der strafferen<br />

Staatsorganisation der frühneuzeitlichen<br />

Groß- und Regionalmächte<br />

entsprach die straffer werdende Disziplin<br />

ihrer Heere. Bei Ausbildung und<br />

Gefecht kam nun zu dem bekannten<br />

6 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Soll-Zusammensetzung der Reichsarmee gemäß Reichsdefensionalordnung<br />

Kavallerie<br />

Infanterie<br />

Österreichischer Kreis 2 522 5 507<br />

Burgundischer Kreis 1 321 2 708<br />

Kurrheinischer Kreis 600 2 707<br />

Fränkischer Kreis 980 1 902<br />

Bayrischer Kreis 800 1 494<br />

Schwäbischer Kreis 1 321 2 707<br />

Oberrheinischer Kreis 491 2 853<br />

Niederrheinisch-Westfälischer Kreis 1 321 2 708<br />

Obersächsischer Kreis 1 322 2 707<br />

Niedersächsischer Kreis 1 322 2 707<br />

Summe 12 000 28 000<br />

Exerzieren geschlossener Formationen<br />

die Aufgabe hinzu, Marsch, Bewegung,<br />

Ladetätigkeiten und Schussfolge<br />

zu koordinieren. Das allgegenwärtige<br />

Rezept lautete: Drill. Zum buchstäblichen<br />

Paradebeispiel hierzu avancierte<br />

der ehemalige Außenseiter Preußen im<br />

späten 17. und im 18. Jahrhundert.<br />

Reichskriegsherr war der Kaiser, die<br />

Armee unterstand dem Reichsgeneralfeldmarschall.<br />

Ihm waren ein Reichsgeneralfeldmarschallleutnant,<br />

ein Reichsgeneralfeldzeugmeister<br />

(Artillerie und<br />

Pioniere), ein Reichsgeneral der Kavallerie<br />

und ein Reichsgeneralwachtmeister<br />

unterstellt. Aufgrund des im<br />

Westfälischen Frieden fixierten Religionskompromisses<br />

mussten diese<br />

Funktionen paritätisch mit evangelischen<br />

und katholischen Amtsinhabern<br />

besetzt werden. Nur ein einziges Mal,<br />

1707, konnte man sich ohne Komplikationen<br />

auf einen Oberbefehlshaber einigen:<br />

den überall geachteten Prinzen<br />

Eugen von Savoyen als Reichsgeneralfeldmarschall.<br />

Bewährung oder Scheitern in<br />

der Praxis 1682–1805<br />

Die Reichsarmee wurde bei Reichskriegen<br />

und Reichsexekutionen eingesetzt,<br />

so 1674 im Französisch-Niederländischen<br />

Krieg, in den Türkenkriegen ab<br />

1683, im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689,<br />

ab 1702 im Spanischen Erbfolgekrieg,<br />

1734 im Polnischen Erbfolgekrieg, im<br />

Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–<br />

1748), im Siebenjährigen Krieg (1756–<br />

1763) gegen Preußen und in den Revolutionskriegen<br />

gegen Frankreich ab<br />

1793. Soll- und Ist-Stärke der Truppe<br />

wichen dabei immer voneinander ab.<br />

Die Ist-Stärke betrug:<br />

1658 10 000 Mann<br />

1686 40 000 Mann<br />

1691 19 000 Mann<br />

1700 14 000 Mann<br />

1702 44 000 Mann<br />

1795 42 400 Mann<br />

Prinz Eugen von Savoyen<br />

(1663–1736) im Feld.<br />

Er war u.a. Reichsgeneralfeldmarschall<br />

und damit Oberbefehlshaber<br />

der Reichsarmee. Gemälde<br />

von Pietro Longhi (1702–1785).<br />

Diese Schwankungen sind ein deutlicher<br />

Beleg dafür, dass es mit der Souveränität<br />

des Reiches nicht zum Besten<br />

bestellt war. Zum Mentekel für die<br />

Reichsarmee geriet die Schlacht bei<br />

Roßbach am 5. November 1757, wo<br />

sie ruhmlos durch den preußischen<br />

»Reichsfeind« Friedrich II. zerschlagen<br />

wurde; offenkundig führte der Versuch<br />

dieser Reichsexekution zur weiteren<br />

moralischen Unterminierung des Reiches.<br />

Dennoch – trotz aller Schwierigkeiten<br />

bei der Zusammenstellung, der<br />

Anwerbung, dem Oberbefehl, der Koalitionskriegführung<br />

und vieler anderer<br />

Dinge – bildete die Reichsarmee noch<br />

immer einen Ordnungsfaktor und zugleich<br />

militärisches Potential.<br />

Preußen: Aufstieg im Reich –<br />

Ausstieg aus dem Reich<br />

Preußen konnte sich im späten 17. Jahrhundert<br />

zur Regionalmacht, im 18. Jahrhundert<br />

zur Militärmacht und schließlich<br />

mit dem geglückten Risikospiel<br />

Friedrichs II. zur europäischen Großmacht<br />

aufschwingen. Der Schlüssel<br />

zum Erfolg lag nicht im Prinzip »Abstimmung<br />

und Koordination« mit europäischen<br />

Mächten, mit dem Reich und<br />

inmitten der eigenen Gebiete. Den Erfolg<br />

erzielten die Hohenzollernkurfürsten<br />

und -könige durch eine maximale<br />

Steigerung der innerstaatlichen<br />

Effizienz. Erst durch Vereinheitlichung<br />

von Verwaltung, Steuerwesen und Armee<br />

wurde aus ihren Herrschaftsgebieten<br />

ein preußischer Staat – im Singular.<br />

Freilich war das auch in Preußen ein<br />

langer Prozess, der erst mit den preußischen<br />

Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

seinen Abschluss fand.<br />

Das auf vielfältigen Ebenen auf dem<br />

Prinzip einer ausgewogenen Abstimmung<br />

zwischen den politischen Akteuren<br />

basierende Reich wurde letztlich<br />

durch die rigorose Kräftebündelung<br />

innerhalb der größeren Territorialstaaten<br />

unterminiert. Preußen schritt hier<br />

voran. In den Kriegen zwischen 1740<br />

und 1763 forderte es die drei bisherigen<br />

Ordnungsfaktoren Kaiser, Reich<br />

und europäische Garantiemächte erfolgreich<br />

heraus. In der Schlacht bei<br />

Roßbach am 5. November 1757 wurde<br />

die militärische Ohnmacht des Reiches<br />

demonstrativ zur Schau gestellt und<br />

die mit der französischen Armee verbündete<br />

Reichsarmee regelrecht niedergeritten.<br />

Unter den 10 500 Verlusten<br />

der Schlacht befanden sich nur 500<br />

Preußen. Was von deren Gegnern noch<br />

übrig war, zerstob in wilder Flucht.<br />

Das Bild der Reichsarmee als »Reißaus-Armee«<br />

wirkte sehr nachdrücklich<br />

und verband sich mit einem preußischen<br />

Mythos, der vor allem in Norddeutschland<br />

und in der Tradition der<br />

preußisch-deutschen Armee wirksam<br />

blieb.<br />

agk-images/cameraphoto<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

7


Zweierlei Untergang<br />

Unabhängig vom Reich und zum Teil<br />

eben gegen das Reich war spätestens<br />

nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–<br />

1763) Preußens Aufstieg zur europäischen<br />

Großmacht geglückt – wenn<br />

auch auf Abruf. Friedrich II. verkörperte<br />

geradezu den aufgeklärten Absolutismus:<br />

Als »erster Diener seines<br />

Staates« entsprach er dem neuen Ideal<br />

des durch Leistung legitimierten Monarchen.<br />

Nicht prunkvolle Schlösser<br />

und Hofzeremoniell bildeten den Kristallisationspunkt<br />

seiner Herrschaft,<br />

sondern die Bürokratie und vor allem<br />

das stehende, gedrillte und meist siegreiche<br />

Heer. Neben persönlichen Fähigkeiten,<br />

rücksichtslosen Ambitionen<br />

und purem Glück lag der Grund<br />

für Friedrichs Erfolg in einem höheren<br />

Grad der inneren Kohäsion seines<br />

Territoriums. Der absolutistische Staat<br />

setzte sich gegen das ältere Modell des<br />

Ständestaats durch.<br />

In allen größeren Reichsterritorien<br />

voll zogen sich eine Fülle von Reformen<br />

in der Binnenorganisation: in Verwaltung,<br />

Heer und Bildungswesen.<br />

Da mit wurden althergebrachte ständische<br />

Rechte nach und nach zurückgedrängt.<br />

Ende und Anfang: 1806 und die<br />

»Deutsche Frage«<br />

agk-images<br />

Am 5. November 1757 siegte König Friedrich II (1712 + 1786) bei Roßbach über<br />

die Reichsarmee und die französische Armee. Kupferstich, 1801, von Johann<br />

Friedrich Bolt (1769–1836).<br />

Mit der Französischen Revolution 1789<br />

vollzog sich ein grundlegender Wandel.<br />

Viele Projekte der Reformabsolutisten<br />

wurden von der französischen Regierung<br />

und ab 1799 von Napoleon umgesetzt.<br />

Zugleich aber wurde die Nation<br />

als Trägerin des Staates begriffen und<br />

die Bevölkerung für die Armee mobilisiert,<br />

um die revolutionären Errungenschaften<br />

zu sichern. Dem zunehmend<br />

ausgehöhlten und von starken Einzelterritorien<br />

durchsetzten Reich war nun<br />

ein Nachbar entstanden, dessen administrative<br />

und militärische Effizienz an<br />

der Spitze der Möglichkeiten der Zeit<br />

stand; dies alles gepaart mit einem<br />

Machtwillen, dem nichts Gleichwertiges<br />

gegenüberstand. Das Deutschland<br />

links des Rheins fiel mit dem Frieden<br />

von Lunéville 1801 an Frankreich. Zusammen<br />

mit dem »Reichsdeputationshauptschluss«<br />

von 18<strong>03</strong> bedeutete dies<br />

das Ende vieler weltlicher und aller<br />

geistlichen Reichsstände. Die weltlichen<br />

Fürsten links des Rheins wurden<br />

territorial entschädigt oder entschädigten<br />

sich selbst auf Kosten der geistlichen<br />

Reichsstände. Im Inneren dieser<br />

Staaten begann mit der Säkularisierung<br />

der Sturm auf die Besitzungen der Kirchen<br />

und Klöster; im Reich wurden<br />

Reichsklöster und Hochstifte »verstaatlicht«.<br />

Während der folgenden Jahre erfolgte<br />

die »Mediatisierung« der meisten<br />

Reichsstädte, Reichsritterschaften<br />

und Reichsdörfer, also deren Einverleibung<br />

durch die Flächenstaaten. Der<br />

vielzitierte »Fleckenteppich« des Reiches<br />

war durch den verlorenen Krieg<br />

des Reiches gegen Frankreich »bereinigt«<br />

worden. Mit der Auflösung der<br />

Reichsstände war ein wichtiger Teil der<br />

traditionellen Hausmacht des Kaisers<br />

vernichtet worden. Langfristig profitierten<br />

davon sowohl Frankreich als<br />

auch die »modernen« deutschen Staaten.<br />

Auf dem Höhepunkt napoleonischer<br />

Macht zerbrach jedoch nicht nur<br />

das Alte Reich, sondern auch das alte<br />

Preußen. Es hatte sich am rücksichtslosesten<br />

auf Kosten des Reichs profiliert.<br />

Nun steuerte es sich in einen militärischen<br />

Konflikt hinein, den es nur<br />

zertrümmert überlebte. Aus dem ersten<br />

Koalitionskrieg (1792–1797) war<br />

Preußen 1795 mit dem Frieden von Basel<br />

vorzeitig ausgeschert. Mit der Zusicherung<br />

der Rheingrenze an Frankreich<br />

konnte sich Preußen sogar nun<br />

der Aufteilung Polens widmen und damit<br />

sein Territorium erheblich erweitern.<br />

Mit dem Ausgreifen Frankreichs<br />

über den Rhein, besonders der Besetzung<br />

Kur-Hannovers und der preußischen<br />

Gebiete Ansbach-Bayreuth einerseits,<br />

dem preußischen Schwanken<br />

zwischen Frankreich und der Koalition<br />

andererseits verspielte es jedoch bald<br />

jede Glaubwürdigkeit. Nachdem sich<br />

der russische Zar im Herbst 1805 lange<br />

persönlich, aber vergeblich um ein<br />

preußisch-russisches Bündnis bemüht<br />

hatte, zog er an der Seite Österreichs in<br />

den Krieg, der am 2. Dezember 1805 mit<br />

der Niederlage von Austerlitz endete.<br />

Der Friede von Preßburg läutete 1805<br />

die letzte Runde des Alten Reiches ein.<br />

Am 1. Januar 1806 wurden Bayern und<br />

Württemberg durch Napoleons Gnaden<br />

zu Königreichen erhoben. Sie und<br />

14 andere Reichsstände erklärten die<br />

Zugehörigkeit zum Reich für beendet<br />

und gründeten am 12. Juli 1806 den an<br />

Frankreich angelehnten »Rheinbund«.<br />

Ihm schlossen sich bis 1808 insgesamt<br />

20 weitere deutsche Staaten an.<br />

Wie im Alten Reich existierte auch im<br />

Rheinbund eine Kontingentsarmee. Sie<br />

umfasste nun 63 000 Mann, die sich aus<br />

den einzelnen Armeen speisten, und<br />

sie hatte für die napoleonischen Feldzüge<br />

Truppen zu stellen. Ausbildung,<br />

Einsatz, Kriegsverfassung und Anfänge<br />

einer allgemeinen Wehrpflicht orientierten<br />

sich am französischen Vorbild.<br />

Nur Österreich, Preußen, Hessen<br />

und Braunschweig traten dem Rheinbund<br />

nicht bei, waren aber zeitweilig<br />

Verbündete Frankreichs. Auf ein Ultimatum<br />

Napoleons hin legte der letzte<br />

»deutsche« Kaiser am 6. August 1806<br />

die Kaiserkrone des Heiligen Römischen<br />

Reiches Deutscher Nation nie-<br />

8 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


der, die Geschichte des Reiches war beendet.<br />

Das Jahr 1805 brachte Preußen Vorteile:<br />

Im Frieden von Schönbrunn sicherte<br />

es sich die Inbesitznahme Hannovers<br />

im Tausch gegen die fränkischen Gebiete.<br />

Nie zuvor hatte Preußens Territorium<br />

eine solche Ausdehnung erreicht.<br />

Umso tiefer war dann der Fall: Preußen<br />

musste sich entscheiden. Es führte<br />

einerseits Geheimverhandlungen mit<br />

dem russischen Zarenhof, andererseits<br />

gab es französische Gebietsübertretungen<br />

nach Westfalen. Das Misstrauen<br />

zwischen Frankreich und Preußen<br />

eskalierte in einen von beiden letztlich<br />

nicht gewollten Krieg. Am 14. Oktober<br />

1806 wurde die preußische Armee in<br />

zwei Schlachten bei Jena und Auerstedt<br />

vernichtend geschlagen. Im Frieden<br />

von Tilsit 1807 wurde Preußens Beute<br />

aus den polnischen Teilungen als Großherzogtum<br />

Warschau, das gesamte Gebiet<br />

westlich der Elbe zusammen mit<br />

Braunschweig und Kurhessen als »Königreich<br />

Westfalen« abgetrennt. Dazu<br />

kam eine riesige Summe an Entschädigungen,<br />

die Armee wurde um 80 Prozent<br />

reduziert. Die bittere Niederlage<br />

wurde erst sechs Jahre später und nur<br />

mit russischer Hilfe in den »Befreiungskriegen«<br />

überwunden. Sie blieb eine<br />

schwärende Wunde im preußischen<br />

kollektiven Bewusstsein. Sie war Anstoß<br />

für die grundlegende Reform von<br />

Militär- und Staatswesen 1807–1813,<br />

bildete aber auch den Anknüpfungspunkt<br />

für einen preußisch-deutschen<br />

Revanchismus, der bis ins 20. Jahrhundert<br />

hineinwirkte.<br />

Ende und Anfang:<br />

bleibende Wirkungen<br />

Mit dem Untergang des Alten Reiches<br />

ging für Gesamtdeutschland in staatsrechtlicher<br />

Hinsicht das »einigende«<br />

Band verloren. Die »deutschen« Staaten<br />

waren nunmehr vollständig souverän<br />

geworden, was im Wiener Kongress<br />

1814/15 auch bestätigt wurde. Der von<br />

1815 bis 1866 existierende Deutsche<br />

Bund bildete einen Staatenbund unter<br />

letztlich österreichischer Führung,<br />

auch er kannte Kontingentstreitkräfte.<br />

In der Revolution 1848/49 wurde der<br />

(erfolglose) Versuch einer demokratischen<br />

Einigung »von unten« gewagt.<br />

Während der Einigungskriege 1864,<br />

1866 und 1870/71 wurde die deutsche<br />

Frage mit der militärischen Lösung<br />

»von oben« beantwortet; Österreich<br />

war staatsrechtlich ausgeschlossen.<br />

Reste der deutschen Pluralität blieben<br />

im Militärwesen des Kaiserreichs ab<br />

1871 erhalten: Bis 1918 existierte eine<br />

Kontingentarmee aus preußischen,<br />

bayerischen, württembergischen und<br />

sächsischen Truppen.<br />

Das Alte Reich erlag also letztlich<br />

den »modernen« Territorialstaaten<br />

wie dem aufkommenden Nationalgefühl.<br />

Dennoch erwies es sich trotz großer<br />

Schwächen als äußerst langlebig.<br />

Es war fast 850 Jahre Bezugspunkt der<br />

Politik in Europa, in Deutschland und<br />

in den deutschen Einzelterritorien gewesen.<br />

Der Föderalismus der Bundesrepublik<br />

Deutschland ist ohne einen<br />

Blick auf dieses Reich schwer verständlich.<br />

Gleichwohl hat auch die Zerschlagung<br />

des Reiches Spuren hinterlassen.<br />

Die Grenzen der heutigen Bundesländer,<br />

der Regierungsbezirke und andere<br />

Verwaltungsgrenzen sind oft solche,<br />

die im Zuge der Säkularisierung und<br />

Mediatisierung entstanden sind.<br />

Das oft komplex wirkende Aushandeln<br />

von Interessen durch die betroffenen<br />

Gebietskörperschaften, Verbände<br />

und berufliche Standesvertretungen<br />

in der Bundesrepublik Deutschland<br />

heute erinnert an Mechanismen, die<br />

eher dem Verfahrensweisen im Alten<br />

Reich ähneln als dem Ideal des bürokratisch-absolutistischen<br />

Staates des<br />

19. Jahrhunderts. Gleiches gilt für die<br />

Verfahrensweisen im militärischen<br />

Aufgabenspektrum des angebrochenen<br />

21. Jahrhunderts: Oft ist hier ein hochkomplexes<br />

Gefüge zwischen verbündeten<br />

Kontingenten, Teilstreitkräften,<br />

zivilen Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen<br />

zu berücksichtigen.<br />

Das Alte Reich ist tot, doch<br />

Spuren seiner Geschichte sind nach wie<br />

vor lebendig.<br />

Martin Rink und Harald Potempa<br />

agk-images<br />

In der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt (hier: Jena) wurde die sächsischpreußische<br />

Armee am 14. Oktober 1806 von Napoleon vernichtend geschlagen.<br />

Zeitgen. Lithographie.<br />

Literaturtipps:<br />

Axel Gotthard, Das Alte Reich 1495–1806, Darmstadt 20<strong>03</strong><br />

Peter Claus Hartmann, Das Heilige Römische Reich<br />

deutscher Nation in der Neuzeit 1486–1806, Stuttgart 2005<br />

Barbara Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich<br />

Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806,<br />

München <strong>2006</strong><br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

9


No dead bodies!<br />

Der moderne<br />

Krieg und<br />

die Anfänge<br />

der Kriegsberichterstattung<br />

No dead<br />

bodies!<br />

1855 im Krimkrieg: eine Gruppe<br />

britischer Soldaten des<br />

47. (Lancashire) Infanterieregiments<br />

in Winter ausrüstung,<br />

fotografiert von Roger Fenton.<br />

akg-images/Roger Fenton<br />

Der Krimkrieg von 1853 bis 1856<br />

gilt als erster mili tä ri scher Konflikt<br />

des Industrie zeit alters.<br />

Dampfbetriebene Kriegs schif fe, weitreichende<br />

Gewehre und Ge schütze<br />

mit Sprengmunition bestimmten seinen<br />

Verlauf. Modern an der Auseinandersetzung<br />

zwischen dem zaristischen<br />

Russland und den mit dem Osmanischen<br />

Reich verbündeten Westmächten<br />

Frankreich und Großbritannien<br />

war allerdings auch, dass die Öffentlichkeit<br />

in London und Paris erstmals<br />

zeitnah Nachrichten von der Front erhielt.<br />

Telegrafie und Fotografie bedienten<br />

im Zeitalter der Massenheere und<br />

des aufkommenden Nationalismus<br />

ein stetig wachsendes Interesse der Öffentlichkeit<br />

an der Kriegführung. Zu<br />

Hause wollte man nun wissen, wie es<br />

um die Söhne und Ehemänner im Felde<br />

stand.<br />

Kriegsberichterstatter<br />

auf der Krim<br />

Noch zu Beginn des Jahrhunderts hatte<br />

Arthur Wellesley, der Herzog von<br />

Wellington (1769–1852), befürchtet,<br />

der Feind könne aus der Presse Informationen<br />

über Stärke und Position seiner<br />

Armee gewinnen. Die Anwesenheit<br />

von Kriegsberichterstattern auf<br />

der Krim hätte jedoch auch der »Eiserne<br />

Herzog« kaum verhindern können.<br />

Der Bekannteste von ihnen war der Ire<br />

William Howard Russell (1821–1907),<br />

der im Auftrag der Londoner Tageszeitung<br />

The Times schrieb. Seine Berichte<br />

von den untragbaren Zuständen<br />

auf der umkämpften Halbinsel Krim<br />

im Winter 1854/55 sorgten in London<br />

für ein ungeahntes Aufsehen. Militärische<br />

Inkompetenz hatte zu schlechter<br />

Verpflegung, haarsträubenden hygienischen<br />

Verhältnissen und extrem hohen<br />

Krankenständen geführt. Auf den<br />

harten Winter vor der belagerten Festung<br />

Sewastopol war die britische Armee<br />

kaum vorbereitet. Als die Details<br />

in London bekannt wurden, richtete<br />

das Unterhaus nach heftigen Debatten<br />

einen Untersuchungsausschuss ein<br />

und Ende Januar 1855 wurde schließlich<br />

eine neue Regierung ernannt. Dank<br />

der Berichte Russells und anderer Korrespondenten<br />

war der Krieg nicht mehr<br />

länger eine Angelegenheit ausschließlich<br />

der Armee, des Kriegsministe riums<br />

und des Kabinetts, sondern Sache der<br />

ganzen Nation geworden.<br />

Dass Russell seine Berichte noch auf<br />

dem Seeweg nach London schickte, wo<br />

sie erst zwei oder drei Wochen später<br />

eintrafen, minderte kaum ihre Wirkung.<br />

Auch als die Telegrafenverbindung<br />

von der Krim nach Großbritannien<br />

im Frühjahr 1855 endlich zustande<br />

kam, verließ sich Russel weiter auf den<br />

traditionellen Postweg, der es ihm erlaubte,<br />

ausführlichere Berichte zu schicken.<br />

Eine Steigerung des Realismus in der<br />

jungen Kriegsberichterstattung versprach<br />

eine weitere technische Neuentwicklung:<br />

die Fotografie. Alexander<br />

Gardner (1821–1882), der bekannte Fotograf<br />

des Amerikanischen Bürgerkrieges,<br />

glaubte sogar, dass im Vergleich<br />

zu den sprachlichen Beschreibungen<br />

des Kriegsgeschehens die fotografischen<br />

Wiedergaben von der Nachwelt<br />

mit »zweifelsfreiem Vertrauen« aufgenommen<br />

würden.<br />

Vorerst erforderte die Technik jedoch<br />

noch eine minutenlange Belichtung,<br />

so dass bewegte Szenen und besonders<br />

Kampfaufnahmen sich nach wie<br />

vor der fotografischen Abbildung entzogen.<br />

Unter den ersten 15 Kriegsfotografen<br />

auf der Krim machte besonders<br />

der Brite Roger Fenton (1819–1869) von<br />

sich reden. Seine 360 Fotografien vom<br />

Geschehen vor Sewastopol fanden in<br />

Großbritannien die weiteste Verbreitung<br />

und prägten nachdrücklicher als<br />

jede Berichterstattung die Vorstellungen<br />

seiner Landsleute vom Krimkrieg.<br />

Doch die auf Glasplatten festgehaltenen<br />

Aufnahmen des ehemaligen Malers<br />

hatten wenig mit den Realitäten<br />

im Kampfgebiet zu tun. Unklar ist, ob<br />

Fenton tatsächlich vom britischen Königshaus<br />

mit der Auflage: »No dead<br />

bodies« auf die Krim geschickt wurde,<br />

um eine durch Russels Berichte irritierte<br />

Öffentlichkeit zu beruhigen. Vor allem<br />

die britische Oberschicht schätzte<br />

10 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Ein Bild aus dem<br />

Amerikanischen<br />

Bürgerkrieg:<br />

Alexander Gardner<br />

fotografierte nach<br />

der Schlacht bei Gettysburg<br />

im Juli 1863<br />

einen Gefallenen.<br />

akg-images/Alexander Gardner<br />

Fentons Aufnahmen in der bildästhetischen<br />

Tradition der früheren Genremalerei.<br />

Auf ihnen erschien der Krieg<br />

als ein gesellig-gemütliches Unternehmen,<br />

wobei geschickt hinzu arrangierte<br />

Krankenschwestern oder Soldatenfrauen<br />

beim Betrachter den Eindruck<br />

der völligen Harmlosigkeit der Szenerie<br />

hervorriefen. Daher galt der Krimkrieg<br />

in Großbritannien schon bald nur<br />

noch als »Picknick War«. Couragiertere<br />

Fotografen erreichten mit ihren Aufnahmen<br />

der zerschossenen Sewastopoler<br />

Befestigungen längst nicht Fentons<br />

Wirkung.<br />

Im Amerikanischen Bürgerkrieg<br />

Während Fenton seinem Publikum allenfalls<br />

Bilder der Gräber gefallener Offiziere<br />

zugemutet hatte, wagte der Amerikaner<br />

Mathew B. Brady (1823–1896)<br />

im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–<br />

1865) erstmals die Leichen der Gefallenen<br />

unmittelbar auf dem Schlachtfeld<br />

aufzunehmen. Die Toten der Schlachten<br />

von Antietam (17. September 1862)<br />

und Gettysburg (1. bis 3. Juli 1863) waren<br />

ein Meilenstein der realistischen<br />

Kriegsfotografie. Das gewiss härter gesottene<br />

amerikanische Publikum interessierte<br />

sich jedoch kaum für Bradys<br />

schockierende Aufnahmen von aufgetriebenen<br />

und ausgeraubten Toten im<br />

Regen. Freilich gelangten seine Kriegsfotografien<br />

vorerst auch nicht auf dem<br />

direkten Wege zu den Lesern der neuen<br />

Illustrierten Zeitungen wie Harper’s<br />

Weekly oder The Illustrated London News.<br />

Zur drucktechnischen Vervielfältigung<br />

mussten die Fotografien anfangs noch<br />

aufwendig zu Holzstichen umgearbeitet<br />

werden. Dieser Umweg entfiel erst<br />

1881 mit der Erfindung des Verfahrens<br />

der Autotypie (Netzätzung).<br />

Trotz dieser Beschränkungen kann<br />

der Amerikanische Bürgerkrieg als erster<br />

Medienkrieg angesehen werden. Damals<br />

standen sich Truppen der Nordstaaten<br />

(Union) und der abgespaltenen<br />

Südstaaten (Konföderierte) gegenüber.<br />

Mehr als 500 Kriegsreporter waren<br />

zeitweise im Einsatz und belieferten<br />

die Zeitungen mit oft übertriebenen<br />

oder sogar erfundenen Berichten. Im<br />

Sommer 1864 meldete eine Zeitung die<br />

Einnahme von Atlanta durch Unionstruppen<br />

schon fünf Tage vor dem tatsächlichen<br />

Beginn des Kampfes um<br />

die Stadt. Im Kriegsgebiet oft ganz auf<br />

sich allein gestellt, schlossen sich viele<br />

Korrespondenten schließlich zu einem<br />

eigenen Verband zusammen, den sie<br />

ironisch die »Bohemian Brigade« nannten.<br />

Während es vom Krimkrieg vielleicht<br />

einige tausend Aufnahmen gab,<br />

wuchs nun die Zahl der Kriegsfotografien<br />

auf über eine Million. Mit Zensurbestimmungen<br />

versuchte der Kriegsminister<br />

der Union Edwin M. Stanton<br />

(1814–1869) eine allzu realistische Darstellung<br />

des Kriegsgeschehens und vor<br />

allem die Veröffentlichung auch für<br />

den Feind wichtiger Details zu verhindern.<br />

Von ständig schlechten Nachrichten<br />

geplagt, schreckte er sogar vor<br />

Verhaftungen unbequemer Korrespondenten<br />

nicht zurück und sorgte vereinzelt<br />

auch höchstpersönlich für eine beschönigende<br />

Darstellung der Verluste<br />

bei den Unionstruppen.<br />

Der mit seinen Reportagen von der<br />

Krim berühmt gewordene Russell war<br />

1861 ebenfalls von der Londoner Times<br />

auf den Kriegsschauplatz geschickt<br />

worden, fiel aber durch seine nüchterne<br />

und schonungslose Analyse der<br />

Niederlage der Union bei Bull Run<br />

(21. Juli 1861) im Norden schnell in Ungnade.<br />

Da sich zudem sein Londoner<br />

Chefredakteur John Thadeus Delane<br />

(1817–1879) offen für die Konföderation<br />

erklärt hatte, musste der Ire die Vereinigten<br />

Staaten vorzeitig verlassen.<br />

Europäische Schlachtfelder<br />

Anders als vom Amerikanischen Bürgerkrieg<br />

gingen von den Deutschen Einigungskriegen<br />

der Jahre 1864 bis 1871<br />

kaum neue Impulse für die Kriegsfotografie<br />

aus. Fotografen und Kriegsberichterstatter<br />

auf preußisch-deutscher<br />

Seite standen unter strenger Kontrolle<br />

des Militärs. Die wenigen am Krieg von<br />

1864 beteiligten Fotografen handelten<br />

im Auftrag der Armee. Hohe Investitionen<br />

für eine fototechnische Ausstat-<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

11


No dead bodies!<br />

tung und die geringen Möglichkeiten,<br />

die Aufnahmen zu verbreiten, engten<br />

den Kreis der Kriegsfotografen ohnehin<br />

stark ein.<br />

Auf eigene Rechnung begleitete der<br />

Flensburger Fotograf Friedrich Brandt<br />

(1823–1891) als einer von vier »Lichtbildnern«<br />

das preußisch-österreichische<br />

Expeditionskorps auf die Schlachtfelder<br />

nach Schleswig. Ganz in Fentons<br />

Stil lieferte er Aufnahmen der Düppeler<br />

Schanzen nach ihrer Erstürmung<br />

oder Fotos der von den Dänen geräumten<br />

Festung Fredericia, dazu inszenierte<br />

Gruppenaufnahmen siegreicher<br />

Kämpfer. Doch nirgendwo finden sich<br />

auf den Aufnahmen Hinweise auf die<br />

7500 Toten des Deutsch-Dänischen<br />

Krieges von 1864.<br />

Dagegen war der Deutsch-Französische<br />

Krieg 1870/71 für die Entwicklung<br />

der Kriegsberichterstattung von<br />

großer Bedeutung. Otto von Bismarck<br />

versorgte über eine eigene Pressestelle<br />

die regierungsfreundlichen Zeitungen<br />

in Norddeutschland regelmäßig mit<br />

Kriegsnachrichten. Auf besondere Einladung<br />

Preußens begleitete wiederum<br />

Russell die deutschen Armeen auf ihrem<br />

Vormarsch nach Paris. Frankreich<br />

hatte den Einsatz von ausländischen<br />

Kriegskorrespondenten anfangs abgelehnt,<br />

während Bismarck die Anwesenheit<br />

von britischen Kriegsberichterstattern<br />

im eigenen Lager sehr begrüßte.<br />

Mit Blick auf die öffentliche Meinung<br />

in Großbritannien und in den Vereinigten<br />

Staaten konnte es nach Ansicht<br />

des damaligen Kanzlers des Norddeutschen<br />

Bundes für Preußen nur von Vorteil<br />

sein, wenn ihre beiden einflussreichsten<br />

Zeitungen über die Erfolge<br />

seiner Armeen berichteten. Genau dies<br />

befürchtete aber die britische Regierung.<br />

Zu strikter Neutralität entschlossen,<br />

wollte sie nach der französischen<br />

Weigerung zunächst überhaupt keine<br />

Korrespondenten ausreisen lassen. Erst<br />

die Intervention Delanes, des einflussreichen<br />

Chefredakteurs der Times, beseitigte<br />

dieses Hindernis.<br />

Doch nicht Russell avancierte diesmal<br />

zum Medienstar, sondern sein<br />

Konkurrent Archibald Forbes (1838 bis<br />

1900) von den Daily News. Der ehemalige<br />

Offizier der Royal Dragoons nutzte<br />

konsequent die technischen Möglichkeiten<br />

und konnte daher seine Berichte<br />

schneller als sein journalistisches Vorbild<br />

Russell in London präsentieren.<br />

akg-images/ George N. Barnard<br />

Der Amerikanische Bürgerkrieg traf die Zivilbevölkerung des Südens besonders<br />

hart; hier eine Aufnahme vom Capitol Hill auf die zerstörte Stadt Columbia in<br />

South Carolina im Jahr 1865, fotografiert von George N. Barnard.<br />

Während der Belagerung von Paris hatte<br />

Forbes mit der preußischen Armeeführung<br />

vereinbart, dass er seine Nachrichten<br />

an jeder beliebigen preußischen<br />

Poststation in der Umgebung der Stadt<br />

aufgeben könne, so dass sie ein Postzug<br />

noch am selben Tage nach Saarbrücken<br />

bringen konnte, wo ein sorgfältig instruierter<br />

Telegrafist für die sofortige<br />

Weiterleitung von Forbes´ Nachrichten<br />

nach London sorgte. So hatte der findige<br />

Brite sichergestellt, dass seine Nachrichten<br />

innerhalb von nur 24 Stunden<br />

in London eintrafen.<br />

Der bereits kriegserfahrene Amerikaner<br />

George W. Smalley (1833–1916)<br />

von der New York Tribune organisierte<br />

während des Krieges sogar die erste internationale<br />

Presseagentur. Die angeschlossenen<br />

Korrespondenten durften<br />

auch die Informationen anderer Kollegen<br />

benutzen, sofern sie selbst ihre Berichte<br />

dem Nachrichtenpool zur Verfügung<br />

stellten. Sämtliche Nachrichten<br />

wurden zunächst auf schnell stem<br />

Wege nach London telegrafiert, wo<br />

ein Redaktionsteam die verschiedenen<br />

Quellen zu vollständigen Beiträgen<br />

zusammensetzte. So erreichte die Meldung<br />

von der Schlacht von Grave lotte<br />

(18. August 1870) bereits zwei Tage<br />

später New York. Das Telegramm via<br />

Überseekabel hatte immerhin 5000 US-<br />

Dollar gekostet. Die Berichterstattung<br />

verlor jedoch an literarischer Qualität,<br />

wurde direkter und beschränkte sich<br />

zusehends auf das noch heute aktuelle<br />

Grundmuster des Wer – Wie – Wo<br />

– Wann – Warum.<br />

Auch die Zeitungen in Deutschland<br />

hatten Korrespondenten nach<br />

Frankreich entsandt. Für die Berliner<br />

National-Zeitung waren bis zu zehn<br />

Berichterstatter tätig und für die Kölnische<br />

Zeitung arbeitete der Schriftsteller<br />

Hans Wachenhusen (1827–1898),<br />

der sich schon 1854 als Kriegskorrespondent<br />

im Gefolge der osmanischen<br />

Armee an der Donau befunden hatte.<br />

Wie Russell hatte Wachenhusen seither<br />

über alle militärischen Konflikte in Europa<br />

berichtet und 1860 sogar den italienischen<br />

Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi<br />

(1807–1882) in Sizilien begleitet.<br />

Vier Jahre später, am 18. April 1864,<br />

beobachtete er mit einem Fernglas von<br />

einem Sicherungsturm aus den preußischen<br />

Sturm auf die Düppeler Schanzen.<br />

Auch der Publizist und Schriftsteller<br />

Gustav Freytag (1816–1895) reiste<br />

für seinen Grenzboten 1870 nach Frankreich<br />

und durfte sich dem Hauptquartier<br />

des preußischen Kronprinzen anschließen.<br />

Typisch für die damalige<br />

Berichterstattung war das freie und<br />

daher auch gefährliche Herumstreifen<br />

von Reportern im Kriegsgebiet. Korrespondenten<br />

wurden von der Gegenseite<br />

oft als Agenten angesehen und gefangen<br />

genommen. Das prominenteste<br />

Opfer war wohl der Schriftsteller Theodor<br />

Fontane (1819–1898), der als Kriegsberichterstatter<br />

am 5. Oktober 1870 bei<br />

Domrémy in französische Hände fiel.<br />

12 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


akg-images<br />

Theodor Fontane, Schriftsteller und<br />

Kriegsberichterstatter im Deutsch-<br />

Französischen Krieg 1870/71.<br />

Die Porträtaufnahme entstand um<br />

1874. In dieser Zeit erschien auch<br />

Fontanes zweibändiges Werk<br />

„Der Krieg gegen Frankreich 1870/71“.<br />

Schlimmer noch erging es einem Berichterstatter<br />

der Londoner Times, der<br />

am 1. September 1870 bei Douay von<br />

einer französischen Kugel tödlich getroffen<br />

wurde.<br />

Die Pariser Kommune<br />

und die Kriegsfotografie<br />

Die Niederschlagung der revolutionären<br />

Pariser Kommune vom 21. bis<br />

28. Mai 1871 eröffnete ein neues Kapitel<br />

der Kriegsfotografie. Aufnahmen von<br />

Tod und Zerstörung in den umkämpften<br />

Straßen wirkten zwar realistischer,<br />

doch ließen sie sich mehr noch als die<br />

geschönten Aufnahmen zur Propaganda<br />

missbrauchen. Kommunarden und<br />

übergelaufene Nationalgardisten ließen<br />

sich bereitwillig gemeinsam vor<br />

der umgestürzten Napoleon-Säule<br />

auf der Place Vendôme ablichten. Geschäftstüchtige<br />

Fotografen wie Bruno<br />

Braquehais (1823–1875) stellten sogar<br />

noch während der Kämpfe ihre Aufnahmen<br />

in den Schaufenstern der Pariser<br />

Schreibwarenhändler aus. Mit<br />

einem Gespür für die neuen Möglichkeiten<br />

der Selbstdarstellung posierten<br />

selbst Frauen mit ihren Kindern vor<br />

den Barrikaden, ohne allerdings zu ahnen,<br />

dass die Pariser Polizei später ihre<br />

Aufnahmen zu Ermittlungszwecken<br />

nutzen würde. Auch Bildmanipulationen<br />

zur politischen Propaganda kamen<br />

vor. Der Fotograf Ernest Eugène Appert<br />

(1830–1891), ein erklärter Gegner<br />

der »Commune«, stellte für seine elfteilige<br />

Bilderserie »Crimes de la Commune«<br />

einzelne Szenen des Aufstandes<br />

mit Hilfe von Schauspielern und Statisten<br />

nach. Seine Fotomontagen von Hinrichtungen<br />

durch die Kommunarden,<br />

die nie stattgefunden hatten, gelten sogar<br />

als bekannteste frühe Bildfälschungen.<br />

Schließlich verbot die Regierung<br />

1872 die Verbreitung von Aufnahmen<br />

der Ereignisse und Beteiligten des Aufstandes.<br />

Kein Krieg ohne Presse<br />

Nach ihren ersten erfolgreichen Ansätzen<br />

im Krimkrieg und im Amerikanischen<br />

Bürgerkrieg nahm die Kriegsberichterstattung<br />

bis zum Ersten Welt krieg<br />

mehr und mehr propagandistische<br />

Züge an. Bei Ausbruch des Krieges erließen<br />

alle Kriegsparteien sofort strikte<br />

Zensurbestimmungen für ihre Korrespondenten.<br />

So verschaffte sich die<br />

britische Regierung im Ursprungsland<br />

der Pressefreiheit durch den berüchtigten<br />

»Realm Act« vom 8. August 1914<br />

die Kontrolle über sämtliche ein- und<br />

ausgehenden Pressemeldungen vom<br />

Kontinent. Wer gegen den Act verstieß,<br />

konnte ohne Gerichtsverfahren<br />

inhaftiert werden. Das War Office<br />

Bureau sorgte dafür, dass Tatsachen<br />

propagandistisch entstellt<br />

oder verschwiegen wurden. Sogar<br />

völlig frei erfundene Berichte<br />

wurden veröffentlicht, wie<br />

etwa die über abgehackte Kinderhände<br />

im besetzten Belgien<br />

oder über eine deutsche<br />

Leichenverwertungsanstalt.<br />

Selbst weltbekannte Autoren<br />

wie H.G. Wells (1866–1946)<br />

zögerten damals nicht, das<br />

unglaubliche Gemetzel an<br />

der Westfront zu beschönigen.<br />

Er wisse, so beteuerte<br />

der Autor des Sience-Fiction-Romans<br />

»Krieg der<br />

Welten«, dass sein Risiko,<br />

von einer Kugel getroffen<br />

zu werden, unendlich<br />

geringer sei als<br />

die Gefährdung der<br />

Kampfmoral durch<br />

allzu grausame Bilder und übertriebene<br />

Ansichten. Mit der Realität des blutigen<br />

Grabenkrieges an der Westfront,<br />

dem Millionen von Soldaten zum Opfer<br />

fielen, hatte das jedoch nichts<br />

mehr zu tun. Wenn die Leute tatsächlich<br />

die Wahrheit wüssten, wäre der<br />

Krieg morgen schon beendet, bemerkte<br />

im Dezember 1917 der britische Premier<br />

David Lloyd George gegenüber<br />

einem befreundeten Zeitungsverleger.<br />

Immerhin bewirkte 1915 ein junger<br />

australischer Korrespondent mit<br />

seiner Berichterstattung den Abbruch<br />

des britischen Landungsunternehmens<br />

auf der osmanischen Halbinsel Gallipoli<br />

und sogar die Ablösung des verantwortlichen<br />

britischen Generals. Sein<br />

Name lautete Keith Murdoch; er war<br />

der Vater des »Medienzaren« Rupert<br />

Murdoch.<br />

Klaus-Jürgen Bremm<br />

Literaturtipps:<br />

Ute Daniel (Hrsg.), Augenzeugen.<br />

Kriegsbericht erstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert,<br />

Göttingen <strong>2006</strong><br />

Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder.<br />

Die Visualisierung des modernen Krieges,<br />

Paderborn 2004<br />

Die Titelseite der Abendausgabe der<br />

Vossischen Zeitung vom 31. August 1914<br />

mit Meldungen vom Kriegsgeschehen<br />

akg-images/Sammlung Archiv für Kunst & Geschichte<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

13


Deutsche Interessen im Kongo<br />

Deutsche<br />

Interessen im Kongo<br />

Offizier und Afrikaforscher Hermann von Wissmann verhandelt nach Anlegung eines Stützpunktes (Station Mkwadji) mit<br />

den um die »Schauri« (Palaverhütte) versammelten Eingeborenen.<br />

pa/akg<br />

Das neu errichtete Deutsche<br />

Reich meldete ab 1871 bei der<br />

Aufteilung Afrikas in Kolonialgebiete<br />

zunehmend seine »Rechte« an.<br />

Deutsche Missionare, Wissenschaftler<br />

und Reisende waren schon seit der Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts an der Erschließung<br />

des »schwarzen Kontinents«<br />

be teiligt. Der Kaiser und die Reichsregierung<br />

suchten deren Aktivitäten zu<br />

kontrollieren. Als klare wirtschaftliche<br />

Interessen erkennbar wurden, griffen<br />

beide lenkend ein, insbesondere im<br />

Kongobecken. Obwohl für das Deutsche<br />

Reich die Bedeutung kolonialer<br />

Erwerbungen bis zum Ersten Weltkrieg<br />

im Vergleich zu anderen Mächten gering<br />

blieb, beschäftigten die Vorgänge<br />

in Afrika die deutsche Öffentlichkeit in<br />

starkem Maße.<br />

Die Deutsche Afrikanische<br />

Gesellschaft<br />

Erst zwischen 1874 und 1877 wurde das<br />

Kongobecken von dem britisch-amerikanischen<br />

Journalisten Henry M. Stanley<br />

(1841–1904) erforscht und von 1878<br />

bis 1884 teilweise erschlossen. Auf dieses<br />

Gebiet richteten sich große Erwartungen<br />

auf reiche Rohstoffvorkommen<br />

und tropische Produkte. Von 1874 an<br />

erkundete der deutsche Geograph Paul<br />

Pogge (1838–1884) gleichzeitig den<br />

Südwestteil des Landes. 1876 gründete<br />

König Leopold II. von Belgien eine Internationale<br />

Afrikanische Gesellschaft<br />

(Association Internationale Africaine),<br />

die das Kongobecken »im internationalen<br />

Interesse« und »nach europäischen<br />

Zivilisationsstandards« nutzbar<br />

machen sollte. Als deutsche Sektion<br />

bildete sich die Deutsche Afrikanische<br />

Gesellschaft (DAG). Sie war besonders<br />

aktiv und stellte mit Professor Eduard<br />

Pechuel-Loesche (1840–1913) in dieser<br />

Zeit der Erschließung Stanleys Stellvertreter.<br />

Mit den zahlreichen Reisenden<br />

der DAG begann 1878 eine regelrechte<br />

»deutsche Erforschungsphase« des<br />

noch unerschlossenen zentralafrikanischen<br />

Gebiets. Reichskanzler Otto von<br />

Bismarck unterstützte die DAG und<br />

ihre Expeditionen mittels seines »Afrikafonds«,<br />

um dem Deutschen Reich gebührenden<br />

Einfluss in Zentralafrika zu<br />

verschaffen. Zusammen mit dem französischen<br />

Regierungschef Jules Ferry<br />

förderte Bismarck König Leopolds<br />

Pro jekt, das sich schließlich 1884 zum<br />

»Kongo-Freistaat« (État Indépendant<br />

du Congo) entwickelte.<br />

Die Berliner »Kongokonferenz«<br />

1884/85<br />

Der deutsche Reichskanzler verband<br />

mit der Einflussnahme in Afrika weitere<br />

Interessen: Eine gemeinsame Politik<br />

mit Frankreich im Fall des Kongo kam<br />

seiner Politik der Zähmung des westlichen<br />

Nachbarn entgegen, der »Revanche«<br />

für den verlorenen Deutsch-<br />

Französischen Krieg von 1870/71<br />

for derte. Als Portugal mit britischer<br />

Unterstützung die Mündung des Kongo<br />

unter Berufung auf die Entdeckung<br />

Ende des 15. Jahrhunderts als Besitz<br />

reklamierte, anberaumte Bismarck in<br />

Absprache mit Ferry eine »Kongokonferenz«<br />

der europäischen Mächte, des<br />

Osmanischen Reichs und der Vereinigten<br />

Staaten in Berlin (15. November<br />

1884 bis 26. Februar 1885). Großbritannien,<br />

das dank bilateraler Verträge mit<br />

Portugal als einzige Wirtschaftsmacht<br />

von der Abschottung des Kongobe-<br />

14 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Hermann von Wissmann<br />

pa/dpa<br />

Hermann von Wissmann wurde am 4. September<br />

1853 in Frankfurt/Oder geboren.<br />

Sein Vater war preußischer Regierungsrat.<br />

Wissmann besuchte die Berliner Kriegsschule<br />

und gehörte dem dortigen Kadettenkorps<br />

an. Ab 1874 studierte er an der Universität<br />

Rostock Naturwissenschaften, Geographie<br />

und Ethnologie. 1881/82 durchquerte er<br />

Äquatorialafrika von West nach Ost und erforschte<br />

von 1883 bis 1885 im Auftrag von<br />

König Leopold II. die spätere belgische Kolonie<br />

Kongo. Nach einer erneuten Reise durch<br />

Afrika 1886/87 baute Wissmann als Reichskommissar<br />

für Deutsch-Ostafrika zwischen<br />

1889 und 1891 eine Schutztruppe auf, mit der<br />

er die Küstenaraber und Sklavenhändler im<br />

Krieg um die Herrschaft im Lande besiegte.<br />

Für seine Verdienste wurde Wissmann vom<br />

deutschen Kaiser geadelt und zum Major befördert.<br />

1895/96 schickte er als Gouverneur<br />

Oberst Lothar von Trotha, der 1904 durch die<br />

Massakrierung der Herero in Deutsch-Südwestafrika<br />

bekannt werden sollte, auf Expedition<br />

ins Landesinnere und befriedete<br />

Deutsch-Ostafrika während einer neuen Krise<br />

durch Autorität und Diplomatie. 1896 kehrte<br />

Hermann von Wissmann aus gesundheitlichen<br />

Gründen nach Deutschland zurück. Er<br />

starb 1905 bei einem Jagdunfall.<br />

Bernhard Chiari<br />

ckens profitierte, gab angesichts der<br />

deutsch-französischen Koalition nach<br />

und gestand die Internationalisierung<br />

von Kongomündung und Kongostrom<br />

zu, ebenso wie die Übertragung der<br />

Landeshoheit und -verwaltung an den<br />

»internationalen« Kongo-Freistaat.<br />

Die Konferenz von Berlin gab ganz<br />

Afrika zur Kolonialisierung durch europäische<br />

Mächte frei und legte dafür die<br />

Regeln fest. Europäische Konflikte sollten<br />

möglichst nicht in Afrika fortgeführt<br />

werden (Art. 10 der »Kongoakte«). Darüber<br />

hinaus wurde ganz Zentralafrika,<br />

wenn die Interessen mehrerer Staaten<br />

aufeinander trafen, unbeschadet seiner<br />

politischen Aufteilung wirtschaftlich<br />

als »Kongo-Freihandelszone« für<br />

alle Teilnehmer des Kongresses geöffnet.<br />

Deutschland hatte zu diesem Zeitpunkt<br />

bereits in West-, Südwest- und<br />

Ostafrika Fuß gefasst und ließ sich<br />

dort Schutzgebiete international garantieren.<br />

Es machte seine Interessen<br />

allerdings nur mäßig geltend, da Bismarck<br />

– zu Recht, wie sich zeigen sollte<br />

– den Verwaltungs- und Sicherungsaufwand<br />

als unverhältnismäßig hoch<br />

einschätzte. Mit dem freien Zugang in<br />

ein Gebiet, in dem überwiegend andere<br />

Mächte die Kosten für Erschließung<br />

und Landfrieden trugen, war er dagegen<br />

überzeugt, »etwas Bedeutendes<br />

und Haltbares gemacht zu haben«.<br />

Deutsche Kongoforscher<br />

<br />

<br />

Die deutsche Mitbestimmung am Kongo<br />

ließ Bismarck durch Expeditionen<br />

der DAG demonstrieren, die er kontrollierte<br />

und bei Eigenmächtigkeiten<br />

fallen ließ. Von 1884 bis 1886 erforschten<br />

die Leutnante Richard Kund und<br />

Hans Tappenbeck sowie der Botaniker<br />

Richard Büttner den Kongo flussaufwärts.<br />

Die wichtigsten Unternehmungen<br />

verbinden sich aber mit dem<br />

Namen Hermann von Wissmann, der,<br />

nach ersten Expeditionen 1881/82, in<br />

den Jahren 1884/85 für den Kongo-Freistaat<br />

den Bereich des Kasai erforschte,<br />

wo er die Stadt Luluabourg (heute<br />

Kananga) gründete. Die besondere<br />

Bedeutung dieser mit dem deutschen<br />

Kronprinzen und Bismarck abgesprochenen<br />

Mission lag darin, dass sie trotz<br />

Beauftragung durch König Leopold<br />

unter der deutschen statt der kongolesischen<br />

Flagge erfolgte, um die Internationalität<br />

der Kongo-Unternehmungen<br />

zu demonstrieren. Als letzter bedeutender<br />

deutscher Kongoforscher führte<br />

nach Wissmanns Erkrankung der<br />

Stabsarzt Ludwig Wolf den Auftrag zu<br />

Ende. 1886/87 durchquerte Wissmann<br />

das Kongobecken ein weiteres Mal,<br />

diesmal, um Erkundigungen über die<br />

arabischen Sklavenhändler einzuholen.<br />

Sie waren die eigentlichen Machthaber<br />

Innerafrikas. Der belgische Major<br />

Francis de Dhanis beseitigte später<br />

deren Herrschaft, wobei Wissmann im<br />

deutschen Tanganjika/Njassa-Seengebiet<br />

die Operationen des Belgiers flankierte<br />

(1893).<br />

Machtverlust des<br />

Deutschen Reiches im Kongo<br />

Bereits zwei Wochen nach Abschluss<br />

der Kongokonferenz setzte sich in<br />

Frankreich die populäre »Revanchepartei«<br />

wieder durch. Sie wollte sich durch<br />

eine Politik unter dem Motto »vom<br />

Rhein zum Kongo« nicht ablenken lassen.<br />

Die »Boulanger-Krise« – der neu<br />

ernannte französische Kriegsminister<br />

Georges Boulanger trat als Befürworter<br />

<br />

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Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

15


Deutsche Interessen im Kongo<br />

eines Revanche-Kriegs gegen Deutschland<br />

auf –, mit der französische Nationalisten<br />

die Phase der Kongoharmonie<br />

beendeten, konnte dank der hastigen<br />

Ausrüstung der deutschen Armee mit<br />

einem (allerdings noch unausgereiften)<br />

Mehrlader, dem Gewehr 88, eingedämmt<br />

werden. Ohne den französischen<br />

Kooperationspartner war aber<br />

Bismarck nicht in der Lage zu verhindern,<br />

dass König Leopold den Kongo-<br />

Freistaat systematisch von den internationalen<br />

Bezügen abtrennte und in<br />

sein eigenes, privates Ausbeutungsobjekt<br />

umwandelte. Deutschlands afrikanischer<br />

Einfluss beschränkte sich bald<br />

auf die eigenen vier Schutzgebiete Kamerun,<br />

Togo, Deutsch-Südwestafrika<br />

und Deutsch-Ostafrika, deren geringe<br />

Bedeutung Bismarck nach dem Wiederaufleben<br />

militärischer Spannungen in<br />

Europa einem eifrigen Kolonialpublizisten<br />

gegenüber wie folgt umschrieb:<br />

»Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön<br />

[...] Aber hier liegt Russland und hier<br />

liegt Frankreich, und wir sind in der<br />

Mitte – das ist meine Karte von Afrika!«<br />

Aus dem Protest gegen die nicht<br />

ausreichend gewürdigte Mäßigung in<br />

Ostafrika und am Kongo entwickelte<br />

sich der chauvinistische »Alldeutsche<br />

Verband«, dessen Agitation die deutsche<br />

Politik in der Folge schwer belasten<br />

und schließlich mit in den Ersten<br />

Weltkrieg treiben sollte.<br />

Von der Kolonie Belgisch-Kongo<br />

bis in die Gegenwart<br />

Leopold II. schottete den Kongo-Freistaat<br />

derart gegen die Welt ab, dass die<br />

dort an der lokalen Bevölkerung begangenen<br />

Gräuel, die bis 1908 vermutlich<br />

bis zu zehn Millionen Einheimische<br />

das Leben kosteten, erst ab 1904<br />

in das öffentliche Bewusstsein traten.<br />

Askarikompanie in Deutsch-Ostafrika. Farbdruck nach Aquarell, aus: Deutschland<br />

in Waffen, Stuttgart u.a.: DVA [1913].<br />

Askaris: einheimische Soldaten Afrikas im Dienste der Kolonialmächte<br />

Askari ist ein an Arabisch und Persisch angelehntes bzw. dem Swahili entliehenes Wort und bedeutet<br />

»Soldat«. Es wurde für einheimische Soldaten verwendet, die in Ostafrika und im Mittleren<br />

Osten freiwillig den europäischen Kolonialmächten dienten. Der Begriff umfasste aber auch Polizisten<br />

und Wachleute im Allgemeinen.<br />

Ein herausragendes Beispiel für die Askaris waren jene 11 000 Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in<br />

Deutsch-Ostafrika unter dem Kommando des Offiziers Paul Erich von Lettow-Vorbeck trotz erheblicher<br />

numerischer Unterlegenheit vier Jahre lang ungeschlagen den Kolonialtruppen des Vereinigten<br />

Königreiches widerstanden.<br />

Während des Apartheidregimes in Südafrika wurden Rebellen, die durch die südafrikanische Armee<br />

zum Wechsel der Seiten bewegt werden konnten, Askaris genannt. Der gleiche Ausdruck war<br />

im Zweiten Weltkrieg für russische Überläufer gebräuchlich, die sich freiwillig der SS anschlossen.<br />

Dieter H. Kollmer<br />

Akg<br />

Der drohenden Re-Internationalisierung,<br />

die insbesondere in Großbritannien<br />

und Amerika gefordert wurde,<br />

kam Leopold durch Übertragung des<br />

Landes aus seinem Privatbesitz an das<br />

Königreich Belgien zuvor. Der diskreditierte<br />

Kongo-Freistaat wurde 1908<br />

in die Kolonie Belgisch-Kongo umgewandelt.<br />

In der Phase der Unsicherheit<br />

über das endgültige Schicksal des<br />

Kongo zeigte Deutschland ein gesteigertes<br />

Interesse an der Übernahme<br />

des Landes. Im Marokko-Kongo-Vertrag<br />

gelang es Deutschland 1911, eine<br />

Territorialverbindung von Kamerun<br />

zum Kongo zu schaffen. Die Rückführung<br />

des Kongo in die Internationalität<br />

misslang jedoch, zumal deutsch-britische<br />

Gespräche über die Aufteilung<br />

der portugiesischen Kolonien im Fall<br />

eines Staatsbankrotts die Vision des<br />

Projekts »Deutsch-Mittelafrika« erkennbar<br />

werden ließen, das die Alldeutschen<br />

propagierten. Die deutsche<br />

Wirtschaft äußerte sich in diesem Zusammenhang<br />

zurückhaltender. In der<br />

deutschen Kriegszieldebatte während<br />

des Ersten Weltkrieges galt die Übernahme<br />

des Kongo dann aber als selbstverständlich.<br />

Die Kriegszieldebatte wirkte sich allerdings<br />

kontraproduktiv aus, weil<br />

Belgien im Gegenzug Deutsch-Ostafrika<br />

angriff, um ein Faustpfand zu gewinnen.<br />

Die belgische Kongo-Armee<br />

(Force Publique) unterstützte die britischen<br />

und südafrikanischen Truppen<br />

bei den schweren Schlachten um das<br />

Deutsche Schutzgebiet. Der Militärkommandeur<br />

des Schutzgebietes, Paul<br />

Erich von Lettow-Vorbeck (1870–1964),<br />

wich mit seinen einheimischen Soldaten,<br />

den Askaris, aus. 1917/18 wurde<br />

der Kampf schließlich auf portugiesischem<br />

und britischem Kolonialboden<br />

fortgesetzt.<br />

Der Versailler Vertrag sprach Bel gien<br />

1919 die deutsch-ostafrikanischen, Residenturen<br />

genannten Verwaltungseinheiten<br />

Ruanda und Urundi als<br />

Mandatsgebiete zu. Umgekehrt sah<br />

die nationalsozialistische Kolonialplanung<br />

von 1940 bis 1943 konkret den<br />

Anschluss des Kongo an »Deutsch-Mittelafrika«<br />

vor. Gegen die USA, die sich<br />

ab 1942 in Belgisch-Kongo militärisch<br />

festsetzten, wäre die Annexion aber<br />

kaum durchsetzbar gewesen. Das kongolesische<br />

Uran war die Voraussetzung<br />

für den Bau der Atombombe, den die<br />

16 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Amerikaner bereits betrieben und unter<br />

keinen Umständen Hitler ermöglichen<br />

wollten.<br />

In das Bewusstsein der deutschen<br />

Öffentlichkeit rückte der Kongo nach<br />

1945 verstärkt in den 1960er Jahren, als<br />

der Deutsche Siegfried Müller, Söldner<br />

im kongolesischen Bürgerkrieg, von<br />

sich reden machte. Die Bundesrepublik<br />

Deutschland hat sich aus dem Kongo<br />

der Nachkolonialzeit und seinen<br />

Wirren weitgehend herausgehalten.<br />

Deutsche Beteiligungen an Nichtregierungsorganisationen,<br />

insbesondere<br />

an kirchlich-missionarischen (Franziskaner),<br />

bestanden schon in belgischer<br />

Zeit; es gab und gibt sie weiterhin im<br />

Bildungs- und Gesundheitswesen. Erst<br />

in letzter Zeit engagiert sich auch die<br />

Bundesregierung in der Demokratischen<br />

Republik Kongo. Im Jahr 20<strong>03</strong><br />

hat sie 13 Millionen Euro für zivile<br />

Projekte, 25 Millionen zur Demobilisierung<br />

und Reintegration von Kombattanten<br />

sowie fünf Millionen für die<br />

Krisenprävention bereitgestellt.<br />

Literaturtipps:<br />

Wolfgang Petter<br />

Bernhard Chiari und Dieter H. Kollmer,<br />

Wegweiser zur Geschichte: Demokratische Republik Kongo,<br />

Paderborn [u.a.] <strong>2006</strong><br />

Christian Bunnenberg, Der »Kongo-Müller«: Eine deutsche<br />

Söldnerkarriere Münster <strong>2006</strong> (= Europa – Übersee, Bd 19)<br />

pa/dpa<br />

Siegfried Müller (rechts) bei der<br />

Ausbildung einer multinationalen,<br />

weißen Söldnertruppe im September<br />

1964 im Militärlager Kamina in<br />

Katanga.<br />

»Kongo-Müller«:<br />

Eine deutsche Söldnerkarriere<br />

Im Herbst 1964 berichteten westdeutsche Zeitungen<br />

wiederholt über den Einsatz weißer<br />

Söldner im kongolesischen Bürgerkrieg. Der<br />

SPIEGEL meldete am 23. September, dass sich<br />

der Deutsche »Siegfried Müller […] Träger des<br />

Eisernen Kreuzes I. Klasse […] als einer der ersten<br />

für die weiße Söldnertruppe im Kongo« gemeldet<br />

habe. Schnell bekam der deutsche Söldneroffizier<br />

von der Presse einen Kriegsnamen verliehen:<br />

»Kongo-Müller«.<br />

Angeworben als »military technical assistance<br />

volunteers«, sich selbst als »Kongo-Freiwillige«<br />

bezeichnend, kämpften unter den vornehmlich<br />

aus Belgien, Großbritannien, Rhodesien und<br />

Südafrika rekrutierten modernen Landsknechten<br />

auch etwa drei Dutzend Deutsche auf Seiten<br />

der Zentralregierung gegen die »Simbas«<br />

(Löwen). Deren Anführer hatten 1964 im damaligen<br />

Stanleyville (Kisangani) die »Volksrepublik<br />

Kongo« ausgerufen und innerhalb weniger<br />

Wochen weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle<br />

gebracht. Von der ehemaligen Kolonialmacht<br />

Belgien und den Vereinigten Staaten unterstützt,<br />

koordinierten Ministerpräsident Moïse<br />

Tshombé und General Joseph Désiré Mobutu<br />

den Einsatz der weißen Söldner und der kongolesischen<br />

Nationalarmee. Der Auftrag: 300 Söldner<br />

sollten, eingeteilt in sechs »Kommandos«,<br />

Stanleyville zurückgewinnen.<br />

Am 9. September 1964 begann für die meisten<br />

Deutschen der Einsatz im »Kommando 52« – geführt<br />

von Hauptmann Müller. Referenz für die<br />

Übernahme des Kommandos war Müllers Lebenslauf:<br />

1920 im damals brandenburgischen<br />

Crossen an der Oder (heute Krosno Odrzańskie),<br />

trat er nach Hitlerjugend, Abitur und Reichsarbeitsdienst<br />

1939 in die Wehrmacht ein, kämpfte<br />

in Polen, Frankreich und zuletzt als Panzerjäger<br />

an der Ostfront. Als Oberfähnrich geriet er gegen<br />

Kriegsende schwer verwundet in amerikanische<br />

Gefangenschaft. 1948, ein Jahr nach seiner<br />

Entlassung, wurde Müller wieder Soldat<br />

– nun unter amerikanischem Kommando in einer<br />

aus Deutschen bestehenden »Labour Service<br />

Unit«, zuletzt eingesetzt als Zugführer einer<br />

Objektschutzeinheit im Dienstgrad Oberleutnant.<br />

Als 1956 eine Übernahme in die Bundeswehr<br />

scheiterte, räumte Müller gutbezahlt für<br />

eine britische Erdölfirma in der Sahara Minen<br />

des Afrikakorps. Inzwischen verheiratet und<br />

Vater einer Tochter, wanderte er 1962 nach Südafrika<br />

aus. Mit den ersten 38 Söldnern flog Müller<br />

1964 in den Kongo und wurde im Anschluss an<br />

einen ersten Einsatz zur Befreiung Albertvilles<br />

zum Hauptmann befördert.<br />

Aus der Provinzhauptstadt Coquilhatville (Mbandaka)<br />

sollte das »Kommando 52« über Ingende<br />

auf Boende vorstoßen und dadurch die Provinz<br />

Équatorial befreien. Müller urteilte später: »Die<br />

ist fast so groß wie die Bundesrepublik. Die habe<br />

ich mit meinen 40 Mann und vielleicht weiteren<br />

hundertfünfzig Mann Schwarzen erledigt. Die<br />

habe ich geschafft. Zehn Wochen.« Dieses »Erledigen«<br />

bedeutete, schnelle und tödliche Angriffe<br />

mit Jeeps, leichten Radpanzern, Mörsern, Maschinen-<br />

und Sturmgewehren durchzuführen.<br />

Rasch erwarben sich die Söldner durch ihr schonungsloses<br />

Vorgehen bei der Bevölkerung die<br />

Bezeichnung »Les Affreux« (Die Schrecklichen).<br />

Im November 1964 wurde Müller Major und<br />

übernahm bis Mai 1965 die Söldnerbasis in Kamina.<br />

Müller beschrieb seinen Einsatz als Kampf<br />

gegen den Kommunismus und »für die Idee des<br />

Westens«. Die meisten Söldner lockte allerdings<br />

das Geld – 1500 Mark plus Gefahrenzulage.<br />

Kurzzeitig zurück in Deutschland, wurde Müller<br />

zu einem Politikum, nicht zuletzt durch zahlreiche<br />

Presseberichte und seine »Schnapsbeichte«,<br />

in der er unwissend und stark angetrunken<br />

einem Fernsehteam aus der DDR ein Interview<br />

gab. Filme und Bücher über »Kongo-Müller« und<br />

das auf Schallplatte gepresste Interview unterstützten<br />

in der Folge eine breit angelegte Propagandaaktion<br />

gegen die Bundesrepublik, die<br />

»als Handlanger des US-Imperialismus« bezeichnet<br />

wurde.<br />

Christian Bunnenberg<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

17


»Kriegsmaler« Hohly<br />

»Russland zu sympathisch<br />

gesehen,<br />

propagan distisch<br />

nicht verwertbar.«<br />

Der »Kriegsmaler«<br />

Richard Hohly<br />

Todesmarsch von Stalingrad, 1942/48<br />

Die Kriegsmalerei in der<br />

Wehrmacht<br />

Kunst war in der Geschichte selten<br />

frei; die Abhängigkeit des<br />

Künstlers von Auftraggebern<br />

und vom zeitlichen Kontext zog Grenzen<br />

des künstlerischen Gestaltungsanspruches.<br />

Diktaturen erkennen in<br />

der »freien« Kunst Kritik am politischen<br />

Herrschaftssystem und akzeptieren<br />

Kunst nur unter Kontrolle von<br />

enggesetzten weltanschaulichen Normen.<br />

Für autoritäre und totalitäre Staaten,<br />

und dies galt insbesondere für das<br />

NS-Regime, geht es deshalb nicht um<br />

Sinn und Eigenständigkeit von Kunst,<br />

sondern primär um deren Zweckgebundenheit;<br />

Kunst unterliegt der Ideologisierung,<br />

wird manipuliert und als<br />

Werkzeug machtpolitischer Ideologien<br />

sowie als Mittel der Herrschaftsstabilisierung<br />

betrachtet.<br />

Dementsprechend wurde im Dritten<br />

Reich regimetreue Kunst staatlich gefördert<br />

und ihr die »entartete Kunst«<br />

gegenübergestellt. Staatliche Reglementierungs-<br />

und Repressionsmaßnahmen<br />

auf der Basis »völkischer«<br />

Kunst- und Kulturauffassung gingen<br />

Hand in Hand mit einer geistig-kulturellen<br />

»Selbstgleichschaltung« der<br />

Künstler.<br />

Der totale Staat des Dritten Reiches<br />

wollte auch kulturpolitisch nichts dem<br />

Zufall überlassen. Sein weltanschaulicher<br />

Machtanspruch erstreckte sich<br />

– maßgeblich gesteuert über die sogenannte<br />

Reichskulturkammer unter<br />

dem Vorsitz des Propagandaministers<br />

Joseph Goebbels – neben vielen anderen<br />

Bereichen auch auf die bildende<br />

Kunst, die ihren Beitrag zur »geistigen<br />

Mobilmachung« zu leisten hatte. Hierfür<br />

stand mit dem Mitteilungsblatt der<br />

RKdbK (Reichskammer der bildenden<br />

Künste) ein eigenes Publikationsorgan<br />

zur Verfügung.<br />

Für diese »geistige Mobilmachung«<br />

der Soldaten wurde im Frühjahr 1939<br />

unter der Leitung von Oberst Hasso von<br />

Wedel die Abteilung Wehrmachtpropaganda<br />

im Wehrmachtführungsstab<br />

des Oberkommandos der Wehrmacht<br />

(OKW/WPr) eingerichtet. Im Sommer<br />

1940 folgte die Schaffung einer zentralen<br />

Ausbildungsstätte in Form einer<br />

Propaganda-Ersatz-Abteilung in Potsdam.<br />

Dadurch sollte das im Rahmen<br />

der Vorbereitungen für das »Unternehmen<br />

Barbarossa« zusätzlich gewonnene<br />

Personal »geschult« werden. Während<br />

des Krieges wurde der Einsatz der<br />

Maler zentral aus Potsdam gelenkt; sie<br />

wurden einzeln oder in Gruppen für<br />

mehrere Monate in die Operationsgebiete<br />

der Wehrmacht kommandiert. Sie<br />

zogen mit Panzern oder Infanterie ins<br />

Gefecht, flogen Einsätze der Luftwaffe<br />

mit oder fuhren zur See. Ihre während<br />

des Kriegseinsatzes angefertigten Skizzen<br />

hatten sie in einem anschließenden<br />

Arbeitsurlaub zu vervollständigen und<br />

zu heroisierenden Schlachtengemälden<br />

auszugestalten. Die verfolgte Zielrichtung<br />

dieser Werke wurde 1940 treffend<br />

in der <strong>Zeitschrift</strong> Die Kunst im Dritten<br />

Reich formuliert:<br />

»Die Kunst, die das Kriegserlebnis<br />

unserer Generation würdig und gültig<br />

gestalten will [...] soll den Widerschein<br />

der Seele auf die Feuerbrände der<br />

Schlacht in sich tragen [...] mit der Bejahung<br />

des soldatischen Einsatzes und<br />

seiner letzten Steigerung im Opfer ein<br />

Sinnbild unserer Zeit schaffen [...] Das<br />

Auge des gestaltenden Künstlers sei<br />

berufen [...] die Macht des deutschen<br />

Soldatentums, die Entbehrungsbereitschaft<br />

der kämpfenden deutschen Nation<br />

in Waffen darzustellen, die tausend<br />

Zeugnisse der Tapferkeit und der<br />

Todesbereitschaft festzuhalten.«<br />

18 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Am 10. Juni 1940, gegen Ende des<br />

Frankreichfeldzuges, ordnete Goebbels<br />

an, »dass wohl die Härte, die Größe<br />

und das Opfervolle des Krieges gezeigt<br />

werden soll, dass aber eine übertrieben<br />

realistische Darstellung, die statt<br />

dessen nur das Grauen vor dem Kriege<br />

fördern könne, auf jeden Fall zu unterbleiben<br />

habe«. Angesichts der relativ<br />

geringen Verluste in diesem Krieg<br />

scheint seine Wunschvorstellung bereits<br />

auf die folgenden Kriege, Feldzüge<br />

und Schlachten im Osten Europas<br />

zu verweisen.<br />

Grundsätzlich war es aber ebenso<br />

erwünscht, dass in ruhigeren Zeiten<br />

durchaus auch Landschaftsbilder und<br />

Porträts gezeichnet werden sollten,<br />

wie im Februar 1940 die Propagandakompanien<br />

von der Wehrmachtpropagandaabteilung<br />

angewiesen wurden.<br />

Die Zielrichtung war eine doppelte:<br />

Einerseits sollte – wie 1942 formuliert<br />

wurde – damit erreicht werden, dass<br />

die Kriegsmalerei »der Mitwelt den<br />

Kriegsraum vor Augen führt, den heute<br />

die deutschen Waffen beherrschen«,<br />

andererseits erhoffte man sich eine<br />

ideologisierte Motivation der Soldaten,<br />

insbesondere der Soldaten der Waffen-<br />

SS, die damit ein »Sinnbild« ihres gemeinsamen<br />

Erlebens, der Treue und<br />

Kameradschaft vermittelt bekommen<br />

sollten. Diese erste Zielsetzung wurde<br />

jedoch aufgrund des sich zu weit vom<br />

militärischen Raum entfernenden Sujets<br />

(Landschaftsbilder) allmählich zugunsten<br />

der rein an der ursprünglichen<br />

Absicht ausgerichteten genuinen<br />

Kriegsdarstellung in nationalsozialistischem<br />

Sinne zurückgedrängt. Demnach<br />

galt es für die Kriegsmalerei, »die<br />

großen und entscheidenden Aufgaben<br />

der Soldaten« – d.h. das Gefecht – propagandistisch<br />

zu unterstützen.<br />

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

wurden gemäß dem Potsdamer<br />

Abkommen 1947 über 8000 der angefertigten<br />

Werke in die USA verschifft.<br />

1985 wurde ein Teil von ihnen – etliche<br />

der NS-Bilder hingen jahrzehntelang<br />

in den Büros des Pentagon – als »German-War-Art-Collection«,<br />

d.h. Kriegsund<br />

Nazikunst aus Deutschland, an die<br />

Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben.<br />

Wenngleich beim Gesamtkomplex<br />

Wehrmacht, Zweiter Weltkrieg und<br />

Kriegsmalerei generell der Aussage<br />

zuzustimmen ist, dass »die während<br />

Richard Hohly, 1930<br />

des Zweiten Weltkrieges geschaffenen<br />

Stücke Bestandteil einer nach innen gerichteten<br />

geistigen Kriegführung« waren,<br />

»die mit dem Herausstellen der<br />

Leistungen deutscher Soldaten die<br />

Kampfmoral stützen sollten«, so gilt es<br />

andererseits darauf zu verweisen, dass<br />

es Beispiele von »Kriegsmalern« gab,<br />

die mit ihren geschaffen Werken genau<br />

diese Zielsetzung unterliefen.<br />

Der Maler Richard Hohly<br />

Löwenstein, 1978<br />

Einer dieser »Kriegsmaler« war der<br />

1902 in der kleinen württembergischen<br />

Bergstadt Löwenstein geborene<br />

Richard Hohly, dessen Vorfahren sich<br />

bis auf einen General Hohly zurückführen<br />

lassen, der sich im 15. Jahrhundert<br />

im Umfeld des böhmischen Reformators<br />

Jan Hus bewegte. Die alte, 1287<br />

von Rudolf von Habsburg zur Stadt erhobene<br />

Ortschaft Löwenstein, die bewaldeten<br />

Höhenzüge, die verfallene<br />

Burgruine, das nahe gelegene Zisterzienser-Nonnenkloster<br />

Lichtenstern<br />

und das alte Schloss auf dem schmalen<br />

Vorsprung der Löwensteiner Berge<br />

erzeugten in dem jungen Künstler<br />

eine sein künstlerisches Schaffen prägende<br />

Erfahrungs(um)welt: eine Mischung<br />

aus »Burgromantik, altbürgerlichen<br />

Kleinstadtverhältnissen und<br />

einer überaus wild-schönen, unzerstörten,<br />

gesunden Landschaft«, die eine lebenslange<br />

mentale Verbundenheit mit<br />

seiner Heimat schuf.<br />

Im Zuge seiner Lehr- und Wanderjahre<br />

kam Hohly 1930 in Kontakt mit Edvard<br />

Munch sowie den Farbenlehren<br />

von Johann Wolfgang von Goethes und<br />

Rudolf Steiners. Die Werke des Kunstlehrers<br />

und Malers Richard Hohly<br />

standen bereits seit 1936 auf der Liste<br />

der »entarteten Kunst«, dennoch wurde<br />

Hohly am 12. November 1941 nach<br />

bereits erfolgter Einziehung zum Zoll<br />

in Ludwigsburg durch ein Telegramm<br />

nach Potsdam beordert. Ohne sein Wissen<br />

hatte seine Ehefrau über verwandtschaftliche<br />

Beziehungen zu Oberst von<br />

Wedel dafür gesorgt. Unter dessen<br />

Schutz sollte Hohly in einem Lehrgang<br />

zum sogenannten Wehrmachtspropagandisten<br />

ausgebildet werden.<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

19


»Kriegsmaler« Hohly<br />

Stellungen vor Stalingrad, 1942<br />

Anfang Juli 1942 erhielt Hohly als<br />

»Kriegsmaler Sonderführer« (im Rang<br />

eines Leutnants) seinen Einsatzbefehl<br />

nach Charkow (Ukraine), wo er den<br />

Auftrag erhielt, im eroberten Gebiet<br />

Land und Leute zu studieren sowie Soldaten<br />

und Eroberungszüge in Skizzen<br />

festzuhalten. Diese sollten die Grundlage<br />

für künstlerisch verarbeitete, idealisierte<br />

Schlachtengemälde bilden.<br />

Für die Soldaten und Offiziere waren<br />

die Kriegsmaler aber nur unmilitärische<br />

Anhängsel, die unnötigerweise in<br />

den ohnehin nicht ausreichenden Fahrzeugen<br />

Platz wegnahmen und störten.<br />

Darüber hinaus wurde Hohly von den<br />

Soldaten beinahe durchweg als »Verrückter«<br />

eingestuft, wenn er sich mit<br />

seinem Malzeug auf den Schlachtfeldern<br />

bewegte.<br />

Versunken in seine Wahrnehmung<br />

der Landschaften, wurde Hohly von<br />

seiner Einheit sogar einmal vergessen.<br />

Ein Offizier einer anderen Einheit nahm<br />

ihn mit; er brachte ihn zu General Bruno<br />

Ritter von Hauenschild, dem Kommandeur<br />

der 24. Panzerdivision. Dieser<br />

war sichtlich darüber erfreut, nun<br />

einen »eigenen Kriegsberichterstatter«<br />

zu haben. Er stellte Hohly ein Fahrzeug<br />

mit Chauffeur zur Verfügung, verlangte<br />

aber auch, dass der Maler bei den<br />

Angriffen seiner Division mitfuhr: »Sie<br />

schließen sich dem Nachrichten-Offizier<br />

an; das ist derjenige, der bei einem<br />

Angriff hinter dem Panzer des Kommandeurs<br />

fährt«, was zweimal geschah<br />

und Hohly wider Willen beinahe das<br />

Eiserne Kreuz einbrachte.<br />

Nachdem Hohly von seiner Einheit<br />

wieder ausfindig gemacht worden war,<br />

wurde ihm am 29. Oktober 1942 mitgeteilt,<br />

dass er »um eine Ordnungsstrafe<br />

verpasst zu bekommen [...] wegen<br />

völlig unmilitärischen Verhaltens sofort<br />

zurückzuverfügen« sei, entweder<br />

zum Sitz des Armeeoberkommandos<br />

oder zur Kompaniestelle nach Charkow.<br />

Über die Zwischenstation Charkow<br />

wurde Hohly gleich weiterkommandiert<br />

– zurück nach Potsdam. Dort<br />

gab er seine ca. 50 Studien ab, die negativ<br />

beurteilt und bis zur vorgesehenen<br />

Vernichtung in den Keller verbannt<br />

wurden. Im Zuge eines angeordneten<br />

Arbeitsurlaubes sollte Hohly seine<br />

Kriegseindrücke komplett neu- und<br />

nach den vorgegebenen Gesichtspunkten<br />

überarbeiten, was allerdings nie geschah.<br />

Im März 1943 wurde Hohly nach<br />

Paris kommandiert. Vor seiner Abreise<br />

konnte er die abgegebenen Skizzen<br />

und Malstudien wieder in seinen Besitz<br />

bringen, so dass sie den Krieg unbeschadet<br />

überstanden.<br />

Das Kriegsende erlebte Hohly nach<br />

den »Irrungen und Wirrungen« des<br />

sich auflösenden Deutschen Reiches in<br />

Bietigheim, wo er sich ein letztes Mal<br />

in Uniform beim französischen Stadtkommandanten<br />

meldete. Der bis zu Beginn<br />

der 1980er Jahre weiter malende<br />

Künstler erhielt 1978 für sein umfangreiches<br />

künstlerisches Lebenswerk der<br />

Nachkriegszeit den Verdienstorden des<br />

Landes Baden-Württemberg. Er starb<br />

am 11. April 1995 und wurde in seiner<br />

Heimatstadt Löwenstein auf dem Bergfriedhof<br />

beigesetzt.<br />

Das Werk des<br />

»Kriegsmalers« Hohly<br />

Der Grund für die vernichtende Kritik<br />

übergeordneter Stellen war evident:<br />

Weder die von Hohly skizzierte<br />

Bevölkerung noch die deutschen Soldaten<br />

und die dargestellten Kampfhandlungen<br />

entsprachen den von der<br />

Wehrmachtführung auf der Grundlage<br />

»arischer Überlegenheit« gegenüber<br />

den als »slawischen Untermenschen«<br />

eingestuften Völkern im Osten<br />

Europas geforderten ideologischen<br />

NS-Kunstdarstellungen. Sie konnten<br />

daher in keiner Hinsicht propagandistisch<br />

verwertet werden. Seine 1942 angefertigten<br />

Bilder zeigen, wie zahlreiche<br />

andere angefertigte Studien, seine<br />

besondere Wahrnehmung der Bevölkerung<br />

in den eroberten Gebieten: Mit<br />

den vorrückenden deutschen Truppen<br />

nahm Hohly immer mehr neue Eindrücke<br />

von dem eroberten Land auf, die<br />

er in seiner Autobiographie beschrieb<br />

und in seinen Bildern festhielt: fruchtbare<br />

Landschaften mit blühenden Wiesen<br />

und riesigen Sonnenblumenfeldern,<br />

Dörfer mit blau angestrichenen<br />

Kirchen, friedliche und vertrauensselige<br />

Menschen mit stolzer Zurückhaltung.<br />

Ukrainischer Bürgermeister, 1942<br />

20 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Alte Russin mit Kind, 1942<br />

Insbesondere die in fast allen Bauernhäusern<br />

gefundenen Ikonen und die<br />

Beobachtung, dass russische Flüchtlinge<br />

in ihrem Unterschlupf zuerst das orthodoxe<br />

Kreuz aufstellten, zeigten ihm,<br />

dass das Christentum durch die stalinistische<br />

Herrschaft noch nicht vollständig<br />

ausgerottet worden war.<br />

Hohly konnte in diesen Menschen<br />

nicht den »slawischen Untermenschen«<br />

erkennen. Für ihn waren sie<br />

einfache, christlich-orthodox geprägte<br />

Bauern; deshalb zeichnete und malte<br />

er sie als das, wofür er sie ansah – als<br />

Menschen.<br />

Besonders beeindruckend wirkten<br />

auf Hohly auch die unvergessenen<br />

Sonnenuntergänge in der Steppe und<br />

die Nächte unter einem tiefblauen, mit<br />

Sternen übersäten Himmel in der unermesslichen<br />

Weite des Kosmos.<br />

Seine Bilder zeigten den Tod in fremder<br />

Erde als ausdruckslos und sinnlos<br />

im Gegensatz zu der verklärenden<br />

Darstellung toter Wehrmachtssoldaten<br />

durch die offizielle Kriegsmalerei,<br />

die den Gefallenen meist als schlafenden<br />

Jüngling oder heroisch im Kampf<br />

sterbenden Frontkämpfer stilisierte.<br />

Auch das in den Grundzügen 1942/43<br />

entstandene und 1948 vollendete, eindrucksvolle<br />

Gemälde »Todesmarsch<br />

von Stalingrad« begreift den Zug zehntausender<br />

deutscher Soldaten der 6. Armee<br />

nach der Schlacht um Stalingrad in<br />

die sowjetische Gefangenschaft als einen<br />

kalten kontur- und hoffnungslosen,<br />

stets anklagenden Todesmarsch.<br />

Dieses wichtige Werk deutscher Kriegsmalerei<br />

befindet sich heute im Wehrgeschichtlichen<br />

Museum in Rastatt.<br />

Im März 1943 wurde Hohly nach<br />

Paris kommandiert, wo er nicht mehr<br />

als offizieller Kriegsmaler, sondern im<br />

Nachrichtendienst eingesetzt war. Hier<br />

stand er auch in Kontakt mit Ernst Jünger,<br />

der als Hauptmann im Schutze von<br />

General der Infanterie Carl-Heinrich<br />

von Stülpnagel im Hotel Majestic in Paris<br />

stationiert war. Auch hier in Frankreich,<br />

wo er bis Ende 1944 blieb, malte<br />

Hohly weiter. So riss er, als ihn der<br />

»Drang nach malerischer Gestaltung«<br />

überkam und da er keine Leinwand<br />

besaß, ohne »Gewissensbisse« die auf<br />

dem Dach des Hotels Majestic wehende<br />

Hakenkreuzfahne ab und benutzte<br />

sie als Malfläche für sein Bild »Heimatlos«.<br />

Darin skizzierte Hohly einen<br />

schemenhaft erkennbaren Flüchtlingszug<br />

zum fernen, unbekannten Ort.<br />

Die durchschimmernde rote Farbe der<br />

Fahne ist noch immer deutlich auf dem<br />

Bild erkennbar.<br />

Resümee<br />

Ein Resümee über das Werk Hohlys<br />

im Kriege könnte daher zu folgendem<br />

Ergebnis kommen: Im Gegensatz zum<br />

offiziellen Auftrag der Darstellung aktionsgetragener<br />

Heroisierung, einer<br />

Apotheose des Kampfes, einer neuen,<br />

auf den Grundlagen nationalsozialistischer<br />

Weltanschauung aufbauenden<br />

sogenannten germanischen Kunstvorstellung,<br />

zeichnete Hohly – fundamental<br />

von diesem Auftrag abweichend –<br />

defensiv, einfühlsam und emphatisch.<br />

Dabei legte er den Blick frei auf die<br />

tiefere Wahrheit des von ihm als weiterhin<br />

dem christlichen Glauben verbunden<br />

eingestuften und wahrgenommenen<br />

russischen und ukrainischen<br />

Volkes sowie der im Vernichtungskrieg<br />

geschundenen Kreatur Mensch<br />

im 20. Jahrhundert.<br />

Hohly ist somit einer der ganz wenigen<br />

bekannten Beispiele für eine<br />

die offizielle »Leitkultur»« negierende<br />

Haltung. Sein bisher zu wenig beachtetes<br />

Oeuvre der Kriegszeit zeigt<br />

ihn als kritischen Geist in einer Zeit,<br />

in der nur unkritische Blicke ausgezeichnet<br />

wurden. Das gültige Urteil<br />

über seine Werke dieser Schaffensperiode<br />

erfuhr Hohly bereits aus dem Kreise<br />

seiner Kameraden, der »einfachen«<br />

Soldaten: »So ist es, genauso, wie Sie es<br />

malen. Und nicht so, wie es die Illustrierten<br />

publizieren.« Und damit wurde<br />

auch Hohlys Kunstverständnis verifiziert:<br />

danach gilt es – so schrieb er<br />

1972 – »das Lebensgefühl oder die Lebensauffassung<br />

seiner Zeitgenossen<br />

auf die künstlerische Form [zu] bringen,<br />

dass sie nicht nur Gleichschaltung<br />

gestaltet, sondern zukunftsweisend ist.<br />

Darin liegt das Unverstandensein des<br />

Schaffenden und das Vorbeileben seiner<br />

Zeitgenossen.«<br />

Eberhard Birk<br />

Heimatlos, 1943/46<br />

Literaturtipps:<br />

Dorothea Rapp, Richard Hohly. Leben und Werk, Stuttgart 1980<br />

Wolfgang Schmidt, »Maler an der Front«. Zur Rolle der<br />

Kriegsmalerei und Pressezeichner der Wehrmacht im Zweiten<br />

Weltkrieg. In: Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann<br />

(Hrsg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München<br />

1999, S. 635-684<br />

Bilder von Richard Hohly sind zu sehen in:<br />

»Felsengalerie«, Wobachstraße 49, 74321 Bietigheim<br />

Tel. Voranmeldung unter (07142) 5 16 69<br />

Abbildungen aus: Richard Hohly. Leben und Werk, Stuttgart 1980<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

21


Service<br />

Das historische Stichwort<br />

Am 23. Oktober 1956<br />

beginnt in Budapest der<br />

Volksaufstand. Demonstranten<br />

zerstören das<br />

Stalin-Denkmal als sichtbares<br />

Zeichen des alten<br />

Regimes.<br />

Volksaufstand<br />

in Ungarn 1956<br />

»Ungarisches Volk! Die Nationalregierung,<br />

erfüllt von tiefem Verantwortungsgefühl<br />

gegenüber dem ungarischen Volk<br />

und der Geschichte, erklärt die Neutralität<br />

der Ungarischen Volksrepublik ...«<br />

Mit diesen Worten verkündete der<br />

ungarische Ministerpräsident<br />

Imre Nagy (1896–1958) am 1. November<br />

1956 im Rundfunk den Austritt seines<br />

Landes aus der Warschauer Vertragsorganisation.<br />

Nur zwei Tage später<br />

kam es aufgrund sowjetischer Intervention<br />

zur Bildung einer Gegenregierung<br />

unter János Kádár (1912–1989), der bis<br />

dahin ordentliches Regierungsmitglied<br />

und Staatsminister gewesen war. Am<br />

4. November 1956 rückten fünf sowjetische<br />

Divisionen in Budapest ein, weitere<br />

Einheiten überschritten die ungarische<br />

Staatsgrenze noch am selben<br />

Tag. Hilferufe Nagys an die Westmächte<br />

und die Vereinten Nationen blieben<br />

ohne Erfolg. Am 12. November verkündete<br />

die staatliche Presse die Absetzung<br />

Imre Nagys, die Zusammensetzung<br />

der neuen Regierung unter Kádár<br />

wurde bestätigt. Nagy selbst wurde am<br />

22. November trotz gegenteiliger Zusicherung<br />

der Sowjets verhaftet, zunächst<br />

nach Rumänien deportiert und schließlich<br />

1958 in Budapest hingerichtet. Die<br />

Unruhen in Ungarn hielten jedoch bis<br />

in das Jahr 1957 an. Sie wurden schließlich<br />

von ungarischen Sicherheits- und<br />

sowjetischen Streitkräften blutig unterdrückt.<br />

Der Versuch, in Ungarn einen<br />

»Sozialismus mit menschlichem Antlitz«<br />

zu errichten, war gescheitert.<br />

Die Ungarn-Krise kam nicht aus heiterem<br />

Himmel. Nach dem Tod Josef Stalins<br />

(geb. 1878) am 5. März 1953 hatte<br />

sich die sowjetische Staatsführung von<br />

dessen Personenkult abgewandt und<br />

ein System der »kollektiven Führung«<br />

eingeführt. Diese politische Neuorientierung<br />

der Sowjetunion wurde auf andere<br />

Länder des sozialistischen Lagers<br />

übertragen. In Ungarn hatte bis dahin<br />

Mátyás Rákosi (1892 –1971) das Amt<br />

des Präsidenten des Ministerrates sowie<br />

des Generalsekretärs der Ungarischen<br />

Partei der Werktätigen (MDP) in<br />

seiner Person vereint. Aufgrund staatlicher<br />

Repressionen war Rákosi in der<br />

ungarischen Bevölkerung unbeliebt.<br />

Die Korrektur der politischen Richtlinien<br />

in der Sowjetunion machte auch im<br />

stalinistisch geprägten Ungarn eine Revision<br />

nötig. Im Juni 1953 wurde daher<br />

eine ungarische Delegation im Kreml<br />

empfangen. Sie erhielt detaillierte Anweisungen<br />

für einen politischen »Neuen<br />

Kurs«, der auf Repressionen und<br />

überspannte Wirtschaftspläne verzichten<br />

sollte. Zwar blieb Rákosi Generalsekretär<br />

der MDP, zum Ministerpräsidenten<br />

wurde jedoch Imre Nagy ernannt.<br />

Der Verzicht auf eine grundlegende<br />

personelle Neubesetzung der politischen<br />

Ämter hatte zur Folge, dass die<br />

Politik Imre Nagys von den Vertretern<br />

des alten Regimes untergraben wurde.<br />

Zwar beinhaltete der »Neue Kurs« wesentliche<br />

Reformen, wie beispielsweise<br />

die Abschaffung des Zwanges zur Kollektivierung<br />

in der Landwirtschaft sowie<br />

den Aufbau einer gewissen Rechtssicherheit,<br />

trotzdem häuften sich im<br />

Laufe des Jahres 1954 die Auseinandersetzungen<br />

mit dem von Rákosi dominierten<br />

Politischen Ausschuss. Imre<br />

Nagy sprach sich für eine »Machtteilung«<br />

im Staat aus, die einseitige Wechselwirkung<br />

zwischen kommunistischer<br />

Partei und Gesellschaft sollte überwunden<br />

werden. Aus diesem Grund wurde<br />

am 24. Oktober 1954 die Patriotische<br />

Volksfront neu gegründet, eine Massenorganisation<br />

von Parteilosen.<br />

Vor allem der daraufhin gegen den<br />

Ministerpräsidenten erhobene Vorwurf,<br />

nationalistische Politik zu betreiben,<br />

erweiterte sich zu der Grundsatzdiskussion,<br />

ob politisch lediglich die<br />

radikale Rechte oder aber auch die radikale<br />

Linke zu bekämpfen sei. Rákosi<br />

überzeugte die sowjetischen Parteiführer<br />

davon, dass die Politik Nagys eine<br />

Gefahr für alle sozialistischen Staaten<br />

darstelle. Am 18. April 1955 wurde<br />

Nagy vom Amt des Ministerpräsiden-<br />

22 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


ten entbunden, im Dezember 1955 sogar<br />

aus der Partei ausgeschlossen.<br />

Rákosi war in der Folge weder willens<br />

noch fähig, ernsthafte politische Reformen<br />

durchzuführen. Die zunächst noch<br />

parteiinterne Opposition zur von Rákosi<br />

forcierten stalinistischen Restauration<br />

erfasste im Frühjahr 1956 auch Angehörige<br />

der Intelligenz und gesellschaftlicher<br />

Organisationen. Hauptforum war<br />

seit März 1956 der sogenannte Petöfi-<br />

Kreis, ein lockerer Zusammenschluss<br />

von Studenten und Schriftstellern. Den<br />

kommunistischen Führern in der Sowjetunion<br />

blieb die breite gesellschaftliche<br />

Front gegen den ungarischen<br />

Regierungschef nicht verborgen. Das<br />

Präsidium der Kommunistischen Partei<br />

der Sowjetunion (KPdSU) beschloss<br />

daher in Folge der Entstalinisierungspolitik<br />

am 12. Juli 1956, dass Rákosi<br />

von allen politischen Ämtern zu entheben<br />

sei. Nachfolger wurde Ernö Gerö<br />

(1898–1980). Zwar rehabilitierte Gerö<br />

zahlreiche Opfer des Stalinismus, die<br />

innenpolitischen Probleme vermochte<br />

er jedoch nicht zu lösen.<br />

Vor dem Hintergrund der politischen<br />

Umwälzungen in Polen im Laufe des<br />

Oktobers 1956 kam es in Ungarn zu<br />

Sympathiekundgebungen, die anfangs<br />

noch solidarischen Charakter hatten,<br />

aber rasch eine Eigendynamik gewannen.<br />

Am 22. Oktober verabschiedeten<br />

Studenten der Budapester Technischen<br />

Universität eine 14-Punkte-Resolution,<br />

in der u.a. der Abzug der sowjetischen<br />

Truppen, Neuwahlen sowie eine neue<br />

Regierung unter Imre Nagy gefordert<br />

Die Niederschlagung des Volksaufstandes<br />

in Ungarn rief international tiefe<br />

Bestürzung hervor, ein militärisches<br />

Eingreifen wurde allerdings nicht gewagt.<br />

Zur Niederschlagung des Aufstandes werden sowjetische Truppen eingesetzt, die<br />

am 24. Oktober 1956 in Budapest einrücken<br />

wurden. Am 23. Oktober fand in Budapest<br />

eine Großdemonstration statt,<br />

die nach dem gewaltsamen Eingreifen<br />

von ungarischen Sicherheitskräften<br />

eskalierte. Das monumentale Stalin-Denkmal<br />

in Budapest wurde von<br />

den Demonstranten zerstört, es kam<br />

zu bewaffneten Zusammenstößen mit<br />

der Staatssicherheit. Imre Nagy, seit<br />

dem 13. Oktober wieder Mitglied der<br />

MDP, hatte zuvor versprochen, sich innerhalb<br />

der Partei für die Forderungen<br />

der Bevölkerung einzusetzen. Am gleichen<br />

Abend wurde er vom Zentralkomitee<br />

erneut zum Ministerpräsidenten<br />

berufen, gleichzeitig wurde aber eine<br />

bewaffnete Niederschlagung des als<br />

»Konterrevolution« gewerteten Aufstands<br />

der Bevölkerung mit Hilfe der<br />

in Ungarn stationierten sowjetischen<br />

Streitkräfte beschlossen.<br />

Bereits am 24. Oktober rückten erste<br />

sowjetische Einheiten in Budapest<br />

ein, stießen jedoch auf erbitterten Widerstand<br />

der Demonstranten. Überall<br />

in Ungarn kam es zu Widerstands- und<br />

Protestaktionen, die auch nach Beschwichtigungsversuchen<br />

Imre Nagys<br />

nicht eingestellt wurden. Die Auseinandersetzung<br />

zwischen Bevölkerung<br />

und Regierung gewann zunehmend<br />

den Charakter eines nationalen Kampfes<br />

des ungarischen Volkes gegen die<br />

sowjetischen Besatzer. Eine sowjetische<br />

Delegation, die die ungarische Regierung<br />

bei den Unruhen unterstützen<br />

sollte, sprach sich zunächst für eine<br />

friedliche Lösung des Konflikts durch<br />

die politische Gewinnung der Massen<br />

aus. Nagy setzte daraufhin am 30. Oktober<br />

die Wiedereinführung des Mehrparteiensystems<br />

durch, die MDP wurde<br />

aufgelöst und am 31. Oktober unter<br />

dem Namen MSZMP (Magyar Szocialista<br />

Munkáspárt) neugegründet. Spätestens<br />

die einen Tag später deklarierte<br />

Neutralität Ungarns wurde von der<br />

sowjetischen Parteiführung nicht mehr<br />

toleriert, es kam zur militärischen Intervention<br />

und zur Bildung einer sowjetisch<br />

gestützten Gegenregierung unter<br />

János Kádár, der vorher noch Mitglied<br />

der Regierung Nagy gewesen war. Die<br />

letzten größeren Kämpfe zwischen sowjetischen<br />

Truppen und Aufständischen<br />

endeten am 11. November 1956<br />

in Budapest. Insgesamt kostete die Ungarn-Krise<br />

mehr als 20 000 ungarischen<br />

Staatsangehörigen das Leben, mehr als<br />

200 000 Bürger verließen das Land aufgrund<br />

der im November 1956 einsetzenden<br />

politischen Verfolgungen und<br />

Säuberungen gen Westen.<br />

In den Vereinten Nationen boykottierte<br />

die Sowjetunion alle westlichen<br />

Initiativen in der Ungarn-Krise, so dass<br />

seitens der Westmächte lediglich humanitäre<br />

Hilfe geleistet wurde. Die internationale<br />

Entrüstung war groß, ein<br />

militärisches Eingreifen der Westmächte<br />

kam jedoch aufgrund der militärischen<br />

Lage in Europa nicht in Frage.<br />

Das Verhalten der USA in der Ungarn-<br />

Krise bedeutete faktisch die Abkehr der<br />

westlichen Supermacht von der aktiven<br />

Politik des »roll back« und die Anerkennung<br />

der sowjetischen Einflusssphäre<br />

in Osteuropa. Ungarn behielt<br />

im Ostblock dennoch eine gewisse Sonderstellung:<br />

Durch wirtschaftliche Reformen<br />

und dem daraus resultierenden<br />

»Gulaschkommunismus« konnte ein<br />

vergleichsweise hoher Lebensstandard<br />

der Bevölkerung garantiert werden.<br />

Julian-André Finke<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

23


Service<br />

Medien online/digital<br />

world wide web<br />

http://www.lebensgeschichten.net/<br />

Einzelschicksale<br />

Neben Museen und Sonderausstellungen<br />

sind es vor allen Dingen Gedenkstätten<br />

und Mahnmale, die den Zweiten<br />

Weltkrieg und den Holocaust in der<br />

öffentlichen Erinnerung in unserer Gesellschaft<br />

wach halten. Einen digitalen<br />

Einstieg in das Gedenken und Erinnern<br />

versucht ein Projekt des Arbeitskreises<br />

NS-Gedenkstätten NRW e.V. mit der<br />

Webseite »Das Lebensgeschichtliche<br />

Netz«. Die von Martin Rüther redaktionell<br />

bearbeitete Seite »ermöglicht aufschlussreiche<br />

Einblicke in die Geschichte<br />

der Jahre 1933 bis 1945« anhand von<br />

Einzelbiographien. Das »Netz« baut<br />

die Schicksale der vorgestellten Personen,<br />

die exemplarisch ausgewählt wurden,<br />

in die Geschichte des Nationalsozialismus<br />

ein, verknüpft die relevanten<br />

Themenbereiche und bietet dazu unterschiedliche<br />

Zugänge an.<br />

Momentan sind die Biographien<br />

von 28 Tätern und Opfern des Zweiten<br />

Weltkrieges auf der Seite zu finden.<br />

Die Lebensläufe einzelner Personen erleichtern<br />

den Zugang zur Zeit des Nationalsozialismus.<br />

Durch die Darstellung<br />

der Geschichte der Jüdin Käthe<br />

Stern, der einzigen Holocaust-Überlebenden<br />

von sieben Geschwistern, der<br />

1939 die Auswanderung gelungen war,<br />

oder des SS-Gruppenführers und Generalleutnants<br />

der Polizei Otto Schumann,<br />

des »Schreibtischtäters«, gelingt<br />

es, dem Betrachter ein vielseitiges Bild<br />

der Regimezeit zu vermitteln, wodurch<br />

diese für ihn »anschaulicher, nachvollziehbarer<br />

und verständlicher« wird.<br />

Über die vier Hauptmenüpunkte »Einstieg«,<br />

»Nachschlagen«, »Dialog« und<br />

»Die Idee«, welche die Unterkapitel<br />

enthalten, kann man durch die Seite<br />

navigieren. Durch einen Klick auf »Lebensgeschichten«<br />

öffnet sich eine Seite<br />

zur Vorauswahl. Hier lassen sich die<br />

gewünschten Personen nach alphabetischer<br />

Sortierung, nach den Geburtsjahrgängen<br />

und nach Orten aufrufen.<br />

Ist die gesuchte Person durch den entsprechenden<br />

Link ausgewählt, findet<br />

man im mittleren Fenster eine Kurzbiographie<br />

und unter dem Porträt im rechten<br />

Fenster kann man auf die jeweilige<br />

Lebensgeschichte zugreifen.<br />

In den einzelnen Biographien besteht<br />

nun die Möglichkeit, beliebig zwischen<br />

den Hauptinformationen, lexikalischen<br />

Begriffsdefinitionen, den zum chronologischen<br />

Zeitpunkt passenden Hintergrundinformationen<br />

und der Regionalgeschichte<br />

zu springen.<br />

Egal in welchem Kapitel man sich gerade<br />

auf der Seite befindet, man gelangt<br />

von überall durch einen Link in der oberen<br />

linken Ecke in die gewünschte Ebene<br />

und zurück auf die Hauptseite. Von<br />

»Geschichte« oder »Regionalgeschichte«<br />

aus bekommt man auch Zugriff auf<br />

chronologisch sortierte Informationen<br />

zur Welt- und Lokalgeschichte der Jahre<br />

1914 bis 1990. Besonderer Wert wird<br />

natürlich auf die NS-Zeit 1933 bis 1945<br />

gelegt. Jedoch hört die Geschichte der<br />

Opfer und Täter nicht immer und überall<br />

mit dem Kriegsende auf. Vielmehr<br />

zeigt auch hier das »Netz« in verknüpfender<br />

Art und Weise, wie politische<br />

oder wirtschaftliche Geschehnisse sich<br />

in den Einzelschicksalen niederschlagen.<br />

Besonders interessant sind die digitalisierten<br />

Originaldokumente, aus<br />

denen die biographischen Informationen<br />

zum Teil stammen. In diesen spiegelt<br />

sich dann nicht nur Authentizität<br />

der Aussagen wider, sondern dem Leser<br />

erscheinen die Personen realer und<br />

fassbarer. So ist die Notdienstverpflichtung,<br />

durch die der damals 15-jährige<br />

Henry Beissel im September 1944 zum<br />

Arbeitseinsatz am »Westwall« herangezogen<br />

wurde, in digitaler Form einsehbar;<br />

sie macht den Kriegsalltag anschaulicher.<br />

»Das Lebensgeschichtliche Netz« ist<br />

allerdings noch längst nicht fertig geknüpft.<br />

Interessenten sind aufgerufen,<br />

sich an dem Weiterbau und der Fortführung<br />

des Projektes zu beteiligen. Neben<br />

dem moderierten Forum, auf dem<br />

zur Kritik aufgerufen und um Beiträge<br />

gebeten wird, soll das Projekt eben<br />

auch um mehr Biographien erweitert<br />

und dadurch stärker vernetzt werden.<br />

Hierzu kann man sich direkt an die Redaktion<br />

wenden oder eine der beteiligten<br />

Einrichtungen kontaktieren.<br />

Vietnam<br />

Frühjahr 1968: Das militärische Engagement<br />

der USA dauerte bereits sieben<br />

Jahre an, 15 058 amerikanische Soldaten<br />

waren gefallen, weitere 109 527 verwundet<br />

worden. In den USA wurden<br />

die Stimmen derjenigen immer lauter,<br />

die die Beendigung des Krieges forderten.<br />

Am 25. April 1968 verließ der junge<br />

Gary Canant seine Frau Maxie, mit der<br />

er erst 18 Tage verheiratet war. Er wurde<br />

benötigt, um Kondolenzbriefe an<br />

die Angehörigen gefallener Soldaten<br />

zu schreiben. Mit seiner Frau hielt er<br />

die ganze Zeit bis zu seiner Rückkehr<br />

schriftlichen Kontakt. Der erste Brief an<br />

Maxie aus Vietnam stammt vom 7. Mai<br />

1968. Auf den Tag genau 38 Jahre später<br />

veröffentlichte Canant nun die Briefe<br />

an seine Frau im Internet. Jeden Tag einen,<br />

insgesamt über 200 Briefe.<br />

24 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Fast hautnah bekommt man den Krieg<br />

in den Briefen zu spüren. Als Canant<br />

am 15. Mai, genau zwei Monate verheiratet,<br />

seiner Frau schrieb, musste er<br />

während des Schreibens aufgrund eines<br />

Alarms in einen Unterstand wechseln<br />

und bei Kerzenlicht weiterschreiben,<br />

während eine halbe Meile entfernt<br />

Geschosse einschlugen. Gleichzeitig<br />

»beschwerte« er sich darüber – Krieg<br />

macht sarkastisch –, dass die Nordvietnamesen<br />

nicht jüdisch seien und keinen<br />

Respekt vor dem Sabbath hätten.<br />

Von Müdigkeit bis hin zu Aggression<br />

liest man aus den Briefen die Erfahrungen<br />

und Emotionen des Soldatenlebens<br />

heraus. Obwohl Canant nicht einmal direkt<br />

in der kämpfenden Truppe an der<br />

Front den Kriegsalltag erfährt, wünscht<br />

er sich doch nichts sehnlicher, als gesund<br />

und heil nach Hause zu kommen.<br />

Das Aufsetzen der Kondolenzbriefe<br />

macht auch für ihn den Tod alltäglich.<br />

Eine simple Menüsteuerung der Seite<br />

vereinfacht den Überblick. Direkt nach<br />

einer kurzen Vorstellung und Einleitung<br />

folgen die beiden wichtigsten Seiten.<br />

In »Today‘s Mail« werden jeden Tag<br />

die eingescannten und – der Leserlichkeit<br />

halber – noch einmal abgetippten<br />

Briefe veröffentlicht. Die »Shoe Box«<br />

ermöglicht es, vorangegangene Briefe<br />

nachzuschlagen. Unter »Maxi« ist<br />

ein längerer Kommentar von Canant‘s<br />

Frau nachzulesen und unter »Kevin«<br />

findet man die ersten Briefe und Bilder<br />

von seinem Sohn Kevin aus dem Irak<br />

von 20<strong>03</strong>.<br />

In den nächsten Menüpunkten kann<br />

sich der Leser neben Gedanken von<br />

digital<br />

Deutsche Geschichten<br />

http://www.dearmaxie.com<br />

Canant über seinen Kameraden Lieutenant<br />

Joyner, das Vietnam Memorial in<br />

Washington DC und einen ausgewählten<br />

Gästebucheintrag eines australischen<br />

Vietnam-Veteranen auch die<br />

ersten und letzten Einträge des veröffentlichten<br />

Buches anschauen. Dieses<br />

kann als PDF-Dokument auf CD bestellt<br />

werden und enthält neben einer<br />

umfangreichen Fotogalerie auf 123 Seiten<br />

zahlreiche ausgewählte Briefausschnitte<br />

mit Kommentaren.<br />

Vietnam wurde bereits in zahlreichen<br />

Veröffentlichungen und Filmen thematisiert.<br />

Doch die persönlichen und authentischen<br />

Zeugnisse dieser Seite lassen<br />

die allgegenwärtigen menschlichen<br />

Emotionen im Krieg wie Angst, Sehnsucht<br />

und Wut anschaulich werden.<br />

Ein weiteres Online-Projekt, das sich als<br />

»Work in Progress« präsentiert, wurde<br />

von der Bundeszentrale für politische<br />

Bildung und dem Cine Plus Media<br />

Service ins Internet gestellt. Diese auf<br />

Mitarbeit der Nutzer ausgelegte Seite<br />

versucht neben der Darstellung der<br />

historischen Fakten auch über Zeitzeugeninterviews<br />

und zeitnahe Aufnahmen<br />

über 100 Jahre deutscher<br />

Geschichte informativ und anschaulich<br />

zugänglich zu machen.<br />

Die Jahre 1890 bis 2005 werden<br />

in sechs Zeiträumen präsentiert.<br />

Darin lassen sich jeweils<br />

Informationen zu den<br />

wichtigsten und bekanntesten<br />

Themengebieten abrufen.<br />

Über den Link »Mediathek« erreicht<br />

man die im chronologischen Rahmen gewählten,<br />

abrufbaren Audio- und Videodateien,<br />

die leider bisher nur mit dem<br />

Realplayer abgespielt werden können.<br />

Gerade dieser zentrale Zugriff auf Tonund<br />

Filmdokumente macht eine schnelle<br />

und bequeme Informa tion für die politische<br />

und historische Bildung möglich.<br />

Eine Stichwort-Suchfunktion erleichtert<br />

das Auffinden spezieller Themen<br />

und lässt auch eine Eingrenzung gewünschter<br />

Dateiformate zu. Neben<br />

mehreren Veranstaltungshinweisen<br />

findet man auf der Hauptseite Links<br />

zur Journalseite, die monatlich mit einer<br />

Biographie, einem Schlaglicht und<br />

Literatur bestückt wird. StS<br />

http://www.deutschegeschichten.de<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

25


Service<br />

Lesetipp<br />

Ungarn 1956<br />

Am 22. Oktober fordern ungarische<br />

Studenten in einer 14-Punkte-Resolution<br />

Ungeheuerliches, darunter<br />

auch den Abzug der sowjetischen<br />

Truppen – auf jeden Fall allemal genug,<br />

um lange Zeit in kommunistischen Kerkern<br />

zu schmachten.<br />

Der ungarische Schriftsteller György<br />

Dalos führt vor Augen, wie er als Dreizehnjähriger<br />

diese Forderungen aufnahm<br />

und die Tage des Aufstands<br />

1956 selbst erlebte. Neben einer detailreichen<br />

Schilderung der Ereignisse<br />

werden anschaulich deren Vor- und<br />

Wirkungsgeschichte dargestellt. Den<br />

Gang der Dinge erfährt der Leser aus<br />

unterschiedlichsten Blickwinkeln: der<br />

obersten Führung im Kreml, der sowjetischen<br />

Botschaft in Ungarn und natürlich<br />

der ungarischen Beteiligten. Auch<br />

wie der Mann und die Frau von der<br />

Straße die Zeit erlebten, wird eindringlich<br />

geschildert. Dalos zitiert zahlreiche<br />

Schriftstellerkollegen.<br />

Vor allem hier wird immer wieder deutlich,<br />

welche Bedeutung der Aufstand<br />

im kollektiven Bewusstsein der Ungarn<br />

gewonnen hat, das, zumindest bis 1989,<br />

»die Zeit automatisch in ›davor‹ und<br />

›danach‹ aufteilte«. Öffentlich über den<br />

Aufstand zu sprechen war verboten,<br />

weshalb er eine »Privatangelegenheit<br />

der Nation« wurde, so der Autor.<br />

Dalos legt ein Buch vor, das abgerundet<br />

durch ein kommentiertes Personenregister,<br />

eine Zeittafel und 17 Fotos von<br />

Erich Lessing zweierlei ist: das Buch eines<br />

Historikers mit seiner ganzen traurigen<br />

Bilanz sowie eines über das Erinnern<br />

– das eigene und das einer ganzen<br />

Nation.<br />

mt<br />

50 Jahre Luftwaffe<br />

Kein bloßer Jubelband präsentiert<br />

sich anlässlich 50 Jahre Luftwaffe<br />

der Bundeswehr. Der Herausgeber<br />

Hans-Werner Jarosch konnte bei der<br />

Vorbereitung des Buches auf die Fachkenntnisse<br />

und das Engagement von<br />

30 Autoren sowie vieler Berater vertrauen.<br />

Gelungen ist das umfangreiche<br />

Werk durch die Breite der Darstellung<br />

von der Gründung der Luftwaffe<br />

bis zur Luftwaffe im Einsatz, aber auch<br />

durch das Bemühen, die unterschiedlichen<br />

Facetten des »Teams Luftwaffe«<br />

mit seinen Menschen und der Technik<br />

darzustellen.<br />

Dass Flugzeuge und Fliegendes Personal<br />

im Mittelpunkt des Buches stehen,<br />

verwundert sicher nicht. Menschen, die<br />

die Luftwaffe prägten, wer den in kleinen<br />

Porträts beschrieben, so etwa Johannes<br />

Steinhoff, Ludger Hölker (siehe<br />

Militärgeschichte, <strong>Heft</strong> 1+2/2005),<br />

Eberhard Eimler und Bernhard Mende.<br />

Unteroffiziere und Mannschaften<br />

der Luftwaffe werden als Gruppe vorgestellt.<br />

Darüber hinaus finden sich interessante<br />

Beiträge, die über die eher »unbekannten«<br />

Verbände und Dienste informieren,<br />

sowie Texte zur Flugabwehrraketentruppe,<br />

den Führungsdiensten,<br />

Lo gistikverbänden und der Objektschutztruppe.<br />

Gerade dort lag die »militärische<br />

Heimat« der meisten Soldaten<br />

und Reservisten der Luftwaffe. Ein wenig<br />

Exotik bieten der Beitrag des deutschen<br />

Astronauten Thomas Reiter zur<br />

bemannten Raumfahrt und der Aufsatz<br />

von Hanspeter Broekelschen zu<br />

Luftwaffensoldaten »in der Diaspora«.<br />

Trotz aller Historie, der »Spirit« dieses<br />

Buches weist auf die Zukunft hin.<br />

Heiner Bröckermann<br />

Generale und Admirale<br />

der Bundeswehr<br />

Wer sich über die Militärelite der<br />

DDR informieren will, findet<br />

schnell Hilfe. Wer sich hingegen mit den<br />

ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr<br />

beschäftigen möchte, hat es schwerer.<br />

Die wenigen Veröffentlichungen zum<br />

Thema gehen oft nicht über eine Zusammenstellung<br />

der Lebensdaten hinaus.<br />

Bände wie die von Gerd F. Heuer<br />

oder von Clemens Range über die<br />

höchsten militärischen Führer der Bundeswehr<br />

bis 1990 sind die Ausnahme.<br />

György Dalos, 1956. Der Aufstand in<br />

Ungarn, München <strong>2006</strong>. ISBN 3-406-<br />

54973-X; 247 S., 19,40 Euro<br />

Hans-Werner Jarosch (Hrsg.), Immer im<br />

Einsatz. 50 Jahre Luftwaffe, Hamburg, Berlin<br />

und Bonn 2005. ISBN 3-8132-0837-0;<br />

256 S., 29,90 Euro<br />

Dieter E. Kilian, Elite im Halbschatten.<br />

Generale und Admirale der Bundeswehr,<br />

Bielefeld und Bonn 2005. ISBN 3-<br />

9806268-3-0; 556 S., 28,00 Euro<br />

26 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Diese Lücke wurde nun zu einem erheblichen<br />

Teil von Oberst a.D. Dieter<br />

E. Kilian geschlossen. In seinem Band<br />

»Elite im Halbschatten« stellt er nicht<br />

nur die Spitzenmilitärs der Bundeswehr,<br />

sondern auch die (west-)deutschen<br />

Verteidigungsminister vor. Darüber<br />

hinaus bietet Kilian im Abschnitt<br />

»Licht und Schatten« eine Auswahl<br />

von Offizieren, die in die Geschichte<br />

der deutschen Streitkräfte eingegangen<br />

sind. Die Kurzbiographien basieren<br />

allerdings oft nur auf bereits vorliegenden<br />

Publikationen. Für den ersten<br />

Überblick reicht dies zwar aus, für<br />

die Forschung bleibt jedoch ein wissenschaftlicher<br />

Sammelband über die<br />

Gründergeneration wünschenswert.<br />

Vorangestellt ist den über 60 biographischen<br />

Skizzen eine ausführliche Einleitung,<br />

die das Problem der Bundeswehr<br />

als »geduldete Armee« (Clemens<br />

Range) thematisiert. Ein nützlicher<br />

Anhang mit Tabellen und Übersichten<br />

rundet den insgesamt gelungenen<br />

Band ab.<br />

Helmut R. Hammerich<br />

Kriegsverbrechen<br />

In den Jahren 1935/36 griff Mussolinis<br />

faschistisch geführtes Italien den<br />

letzten unabhängigen afrikanischen<br />

Staat an, um sich ebenfalls einen »Platz<br />

an der Sonne« zu erobern.<br />

Der Schweizer Historiker Aram Mattioli<br />

widerlegt die Bilder eines zivilisatorisch<br />

geprägten Kolonialismus und<br />

eines »sauberen« Krieges in Äthiopien.<br />

Er stellt in eindrucksvoller Weise die<br />

Leiden des äthiopischen Volkes während<br />

des Krieges und der bis 1941 dauernden<br />

Besatzungszeit dar, das nicht<br />

nur unter völkerrechtswidrigen Exzessen<br />

der italienischen Invasoren litt, sondern<br />

darüber hinaus vom Völkerbund<br />

im Stich gelassen wurde. Der Einsatz<br />

moderner Waffen, Panzer, Flugzeuge<br />

und von Giftgas, kombiniert mit Kollektivstrafen<br />

und Exekutionen, vermittelt<br />

eine neue Art von Kriegführung.<br />

Hier tritt ein rassenideologischer Vernichtungswille<br />

zutage, der weniger zur<br />

Geschichte des Kolonialismus passt als<br />

vielmehr zur Vorgeschichte des Zweiten<br />

Weltkrieges. Die These vom »Experimentierfeld<br />

der Gewalt« wird gründlich<br />

nachgewiesen und historisch<br />

eingeordnet.<br />

Eine überaus lesenswerte Darstellung,<br />

die einen tiefen Eindruck hinterlässt,<br />

dem Leser Denkanstöße vermittelt und<br />

den Blick zum Teil auch auf aktuelle<br />

Krisen lenkt.<br />

StS<br />

Aram Mattioli, Experimentierfeld der<br />

Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine<br />

internationale Bedeutung 1935–1941.<br />

Mit einem Vorwort von Angelo Del Boca<br />

(= Kultur – Philosophie – Geschichte.<br />

Reihe des Kulturwissenschaftlichen<br />

Instituts Luzern, Bd 3), Zürich 2005. ISBN<br />

3-280-06062-1; 239 S., 38,80 Euro<br />

Krieg als Dienstleistung<br />

Die internationale Gemeinschaft<br />

sieht sich seit Ende des Ost-West-<br />

Konflikts, spätestens aber seit dem<br />

11. September 2001, mit einer neuen<br />

Form von Konflikten konfrontiert.<br />

Die westlichen Staaten haben auf diese<br />

»asymmetrische Bedrohung«, die<br />

Kriegführung zwischen einem regulären<br />

Staat und irregulären Kräften, bislang<br />

eher hilflos reagiert. Aus diesem<br />

Grund wird derzeit wissenschaftlich<br />

untersucht, ob es derartige Konflikte<br />

schon früher gab, und ob Parallelen<br />

zur heutigen Situation gezogen werden<br />

können. Ein Forschungsschwerpunkt<br />

liegt auf dem vor allem durch den Irak-<br />

Konflikt in den Medien präsenten Söldnerwesen.<br />

Ein Vergleich von Vergangenheit<br />

und Gegenwart kann aber nur<br />

dann gelingen, wenn für beides fundierte<br />

Analysen vorliegen.<br />

Rolf Uesseler untersucht daher in<br />

seiner Publikation »Krieg als Dienstleistung«<br />

das heutige Söldnerwesen.<br />

Schon der Untertitel »Private Militärfirmen<br />

zerstören die Demokratie« deutet<br />

an, welche Gefahren durch die »Privatisierung<br />

der Gewalt in den westlichen<br />

Ländern« drohen.<br />

Der Band bietet aber weitaus mehr:<br />

Im Rahmen der Globalisierung wird<br />

die »Kernkompetenz« moderner Söldner<br />

als militärische Dienstleister aufgezeigt.<br />

Private Militärfirmen und deren<br />

Auftraggeber werden analysiert. Einem<br />

geschichtlichen Abriss der »privaten<br />

Kriegswirtschaft« sowie der heutigen<br />

Rahmenbedingungen folgen Ausführungen<br />

über Konsequenzen dieser Entwicklung<br />

und ein Ausblick, wie Konflikte<br />

ohne den Einsatz von Söldnern<br />

gemeistert werden könnten. Die im<br />

Anhang befindlichen Literaturhinweise<br />

sowie eine Auflistung von Websites<br />

privater Militärfirmen bieten auch über<br />

die Publikation hinaus für jeden Interessierten<br />

die Möglichkeit, tiefer in die<br />

Materie einzudringen.<br />

jf<br />

Rolf Uesseler, Krieg als Dienstleistung.<br />

Private Militärfirmen zerstören die<br />

Demokratie, Berlin <strong>2006</strong>. ISBN 3-86153-<br />

385-5; 240 S., 14,90 Euro<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

27


Service<br />

Ausstellungen<br />

Berlin<br />

Boris Ignatowitsch. Fotografien<br />

von 1927 bis 1946<br />

Deutsch-Russisches<br />

Museum Berlin-Karlshorst<br />

Zwieseler Straße 4<br />

(Ecke Rheinsteinstraße)<br />

D-1<strong>03</strong>18 Berlin<br />

Telefon: <strong>03</strong>0 / 50 15 08-10<br />

Telefax: <strong>03</strong>0 / 50 15 08 40<br />

e-Mail: kontakt@museumkarlshorst.de<br />

Internet:<br />

www.museum-karlshorst.de<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt frei<br />

17. November <strong>2006</strong> bis<br />

11. Februar 2007<br />

Eröffnung Donnerstag,<br />

16. November <strong>2006</strong>,<br />

18.00 Uhr<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

S-Bahn: bis S-Bahnhof Karlshorst:<br />

Ausgang Treskowallee,<br />

dann zu Fuß Rheinsteinstraße<br />

(ca. 15 min. Fußweg),<br />

bis S-Bahnhof<br />

Karlshorst (S3), dann Bus 396<br />

oder mit der U-Bahn bis<br />

U-Bahnhof Tierpark (U5),<br />

dann Bus 396<br />

Heiliges Römisches Reich<br />

Deutscher Nation<br />

962 –1806. Altes Reich und<br />

neuer Staat 1495–1806<br />

Deutsches Historisches<br />

Museum – PEI Bau<br />

Hinter dem Gießhaus 3<br />

10117 Berlin<br />

Telefon: (<strong>03</strong>0) 20 30 40<br />

Telefax: (<strong>03</strong>0) 20 30 45 43<br />

website: www.dhm.de<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

28. August bis<br />

10. Dezember <strong>2006</strong><br />

Verkehrsanbindungen:<br />

S-Bahn: Stationen<br />

»Hackescher Markt« und<br />

»Friedrichstraße«; U-Bahn:<br />

Stationen »Französische<br />

Straße«, »Hausvogteiplatz«<br />

und »Friedrichstraße«;<br />

Linienbus: 100, 157, 200 und<br />

348, Haltestellen: »Staatsoper«<br />

oder »Lustgarten«<br />

<br />

50 Jahre Luftwaffe der<br />

Bundeswehr. 1956–<strong>2006</strong><br />

Luftwaffenmuseum der<br />

Bundeswehr<br />

Kladower Damm 182<br />

D-14089 Berlin-Gatow<br />

Telefon: <strong>03</strong>0 / 36 87 26 01<br />

Telefax: <strong>03</strong>0 / 36 87 26 10<br />

e-Mail: LwMuseumBw<br />

Eingang@Bundeswehr.org<br />

Internet:<br />

www.Luftwaffenmuseum.com<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt frei<br />

(letzter Einlass 16.30 Uhr)<br />

15. September <strong>2006</strong> bis<br />

31. August 2007<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

Eintritt zum Museum: Ritterfelddamm/Am<br />

Flugfeld Gatow<br />

Ingolstadt<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Garnison Ingolstadt<br />

Bayerisches Armeemuseum<br />

– Reduit Tilly (Klenzepark)<br />

Paradestraße 4<br />

85049 Ingolstadt<br />

Telefon: (08 41) 9 37 70<br />

Telefax: (08 41) 9 37 72 00<br />

e-Mail: sekretariat@<br />

bayerisches-armeemuseum<br />

website: www.bayerischesarmeemuseum.de<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

8.45 bis 16.30 Uhr<br />

30. Mai <strong>2006</strong> bis<br />

6. Januar 2007<br />

Karlsruhe<br />

Von der Reformation zu<br />

den Erbfolgekriegen –<br />

16. und 17. Jh.<br />

Badisches Landesmuseum<br />

Karlsruhe<br />

Schloss<br />

D-76131 Karlsruhe<br />

Telefon: 0721 / 92 66 514<br />

Telefax: 0721 / 92 66 537<br />

e-Mail:<br />

info@landesmuseum.de<br />

Internet:<br />

www.landesmuseum.de<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Donnerstag<br />

10.00 bis 21.00 Uhr<br />

Eintritt: 4,00 €<br />

ermäßigt: 3,00 €<br />

Schüler 0,50 €<br />

11. November <strong>2006</strong> bis<br />

11. März 2007<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

Straßenbahn: Vom Hauptbahnhof<br />

(Blickrichtung rechts,<br />

Hbf im Rücken) mit den<br />

Linien 2, S1, S4, S11 bis<br />

Haltestelle »Marktplatz«<br />

Koblenz<br />

Die Maschinenpistole.<br />

Entwicklung und<br />

Geschichte einer Waffe<br />

unter besonderer Berücksichtigung<br />

der MP2-UZI<br />

Wehrtechnische Studiensammlung<br />

Mayener Straße 85–87<br />

D-56070 Koblenz<br />

Telefon: 0261 / 40 01 42 3<br />

Telefax: 0261 / 40 01 42 4<br />

e-Mail: WTS@bwb.org<br />

Internet: www.bwb.org/wts<br />

täglich von 9.30 bis<br />

16.30 Uhr<br />

Eintritt: 1,50 €<br />

(für Soldaten und<br />

Bw-Verwaltung frei)<br />

24. August <strong>2006</strong> bis<br />

9. September 2007<br />

(Rosenmontag und vom<br />

24. Dezember <strong>2006</strong> bis<br />

1. Januar 2007 geschlossen)<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

PKW: Eine Anfahrtsskizze<br />

gibt es unter<br />

http://www.bwb.org/<br />

01DB022000000001/<br />

CurrentBaseLink/<br />

W26EJCH3<strong>03</strong>4INFODE;<br />

Bahn/Bus: Ab Bahnhof Koblenz<br />

(Busbahnhof gegenüber)<br />

Linien 5 oder 15 bis »Langemarckplatz«<br />

Ludwigsburg<br />

Vor 50 Jahren Jahren –<br />

Die Bundeswehr kommt<br />

nach Ludwigsburg<br />

Garnisonmuseum<br />

Ludwigsburg<br />

im Asperger Torhaus<br />

Asperger Straße 52<br />

D-71634 Ludwigsburg<br />

Telefon: 07141 / 91 02 412<br />

Telefax: 07141 / 91 02 342<br />

Internet: www.garnison<br />

museum-ludwigsburg.de<br />

e-Mail: stadtarchiv@<br />

stadt.ludw i g s b urg.de<br />

Mittwoch 15.00 bis<br />

18.00 Uhr<br />

Sonnabend 13.00 bis<br />

17.00 Uhr und nach<br />

Vereinbarung<br />

Eintritt: 2,00 €<br />

ermäßigt: 1,00 €<br />

23. September bis<br />

28. April 2007<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

S-Bahn: Linien S4 und S5<br />

(von Stuttgart bzw. Bietigheim)<br />

bis zur Station<br />

»Ludwigsburg«<br />

28 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Munster<br />

50 Jahre Bundeswehr in<br />

Munster<br />

Deutsches Panzermuseum<br />

Munster<br />

Hans-Krüger-Straße 33<br />

D-29633 Munster<br />

Telefon: 0519 / 22 55 2<br />

Telefax: 0519 / 21 30 215<br />

e-Mail:<br />

panzermuseum@munster.de<br />

Internet:<br />

www.munster.de/pzm<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 5,00 €<br />

Ermäßigt: 2,50 €<br />

März bis November <strong>2006</strong><br />

montags geschlossen<br />

(letzter Einlass 17.00 Uhr)<br />

An den Feiertagen auch<br />

montags geöffnet<br />

Verkehrsanbindungen:<br />

PKW: Eine Anfahrtsskizze<br />

gibt es unter<br />

www.munster.de/pzm/content/<br />

kontakt/anfahrt.htm<br />

Von der Bahn: vom Bahnhof<br />

MUNSTER entweder mit Taxi<br />

oder zu Fuß über Bahnhofsstraße,<br />

Wagnerstraße und<br />

Söhlstraße zur Hans-Krüger-<br />

Straße (ca. 15 Minuten Fußweg)<br />

Entschieden für Frieden –<br />

50 Jahre Bundeswehr<br />

Soldatenheim Munster<br />

»Zum Örtzetal«<br />

Danziger Str. 74-76<br />

29633 Munster<br />

Telefon: (0 51 92) 12 23 70<br />

11. bis 24. Oktober <strong>2006</strong><br />

Niederstetten<br />

Bundeswehr im Einsatz –<br />

Von der Bündnisverteidigung<br />

zum Einsatz<br />

im Bündnis<br />

Hermann-Köhl-Kaserne<br />

97996 Niederstetten<br />

Telefon: (0 79 32) 971 - 4154<br />

e-Mail: Westmann/Heer/<br />

BMVg/DE@BUNDESWEHR<br />

25. Oktober bis<br />

8. November <strong>2006</strong><br />

Nordholz<br />

Lili Marleen. Ein Schlager<br />

macht Geschichte<br />

Aeronauticum<br />

Deutsches Luftschiff- und<br />

Marinefliegermuseum<br />

Peter-Strasser-Platz 3<br />

D-27637 Nordholz<br />

Telefon: 04741 / 18 19 0<br />

Telefax: 04741 / 18 19 15<br />

e-Mail: info@aeronauticum.de<br />

Internet:<br />

www.aeronauticum.de<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

(Von November bis Februar<br />

letzter Einlass 16.30 Uhr)<br />

Eintritt:<br />

6,50 € (Erwachsene)<br />

1,50 € (Kinder)<br />

4. Oktober <strong>2006</strong> bis<br />

6. Januar 2007<br />

Verkehrsanbindung:<br />

PKW: Eine Anfahrtsskizze<br />

gibt es unter<br />

www.aeronauticum.de/<br />

deutsch/service/<br />

anfahrtskarte.html<br />

Paderborn<br />

Canossa – Erschütterung<br />

der Welt. Geschichte,<br />

Kunst und Kultur am<br />

Anfang der Romanik<br />

Ausstellung an drei<br />

Standorten<br />

Museum in der Kaiserpfalz<br />

Erzbischöfliches<br />

Diözesanmuseum<br />

Städtische Galerie<br />

Am Abdinghof<br />

Telefon: (0 52 51) 88 29 80<br />

Telefax: (0 52 51) 88 29 90<br />

e-mail:<br />

canossa<strong>2006</strong>@paderborn.de<br />

website: www.canossa<strong>2006</strong>.de<br />

Dienstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 20.00 Uhr<br />

Eintritt: 9,00 Euro<br />

ermäßigt: 6,00 Euro<br />

21. Juli bis<br />

5. November <strong>2006</strong><br />

Verkehrsanbindungen:<br />

Alle drei Objekte sind direkt<br />

im Stadtzentrum und zu Fuß<br />

sehr gut zu erreichen<br />

Sonthofen<br />

Entschieden für Frieden –<br />

50 Jahre Bundeswehr<br />

Schule für Feldjäger und<br />

Stabsdienst<br />

Generaloberst-Beck-<br />

Kaserne<br />

Hofener Straße 16<br />

87527 Sonthofen<br />

Telefon: (0 83 21) 278-54 80<br />

oder 54 82<br />

6. bis 24. November <strong>2006</strong><br />

Stuttgart<br />

Das Königreich<br />

Württemberg 1806–1918.<br />

Monarchie und Moderne<br />

Württembergisches<br />

Landesmuseum Stuttgart<br />

Altes Schloss<br />

Schillerplatz 6<br />

D-70173 Stuttgart<br />

Telefon: 0711 / 27 93 498<br />

Telefax: 0711 / 27 93 492<br />

e-Mail: info@landesmuseumstuttgart.de<br />

Internet: www.koenigreichwuerttemberg.de<br />

täglich (außer Montag)<br />

10.00 bis 20.00 Uhr,<br />

(während des Weihnachtsmarktes<br />

<strong>2006</strong><br />

täglich von 10.00 bis<br />

20.30 Uhr)<br />

Eintritt: 10,00 €<br />

Ermäßigt: 7,00 €<br />

22. September <strong>2006</strong> bis<br />

4. Februar 2007<br />

Kinder (14–18 Jahre): 2,00 €<br />

Kinder bis 14 Jahre frei<br />

Wilhelmshaven<br />

Blaue Jungs im Bündnis.<br />

50 Jahre Marine der Bundesrepublik<br />

Deutschland<br />

Deutsches Marinemuseum<br />

Südstrand 125<br />

D-26382 Wilhelmshaven<br />

Telefon: 04421 / 41 06 1,<br />

Kasse -45 58 65<br />

Telefax: 04421 / 41 06 3<br />

e-Mail:<br />

info@marinemuseum.de<br />

Internet:<br />

www.marinemuseum.de<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 8,50 €<br />

Ermäßigt: ab 4,00 €<br />

24. Mai <strong>2006</strong> bis<br />

30. November <strong>2006</strong><br />

Verkehrsanbindungen:<br />

PKW: Über die A29 Richtung<br />

Wilhelmshaven bis Ausfahrt<br />

Stadtmitte.<br />

Über die B210 aus Richtung<br />

Jever nach Wilhelmshaven.<br />

Innerorts den blauen Hinweisschildern<br />

»Maritime Meile«<br />

folgen, bis »Deutsches Marinemuseum«<br />

ausgeschildert ist.<br />

Alternativ der Beschilderung<br />

»Südstrand« oder »Helgolandkai«<br />

folgen.<br />

Stadtpläne befinden sich auf<br />

den Infosäulen an den Ortseingängen.<br />

Bahn/Bus:<br />

Von Mitte Mai bis Mitte September<br />

kann man vom ZOB<br />

aus mit der Buslinie 8 direkt<br />

zum Deutschen Marinemuseum<br />

fahren<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

29


Service<br />

Militärgeschichte kompakt<br />

AP agk-images<br />

14. Oktober 1781<br />

Sturm auf Yorktown, Virginia<br />

Am 4. Juli 1776 erklärten 13 britische Kolonien Amerikas<br />

ihre Unabhängigkeit. Ihnen waren hohe Abgaben<br />

auferlegt, jegliche Mitspracherechte aber verweigert<br />

worden. Der »Kontinentalarmee« unter George<br />

Washington standen reguläre Truppen aus Großbritannien,<br />

Hessen-Kassel und Ansbach-Bayreuth gegenüber,<br />

verstärkt durch Englandtreue Siedler und Indianer.<br />

Die Briten waren in Organisation und Ausrüstung<br />

über-, an Zahl aber unterlegen. Sie hatten logistische<br />

Probleme, zersplitterten ihre Kräfte in der Weite des Raumes und führten keine<br />

Entscheidung herbei. Ab 1778 unterstützten Frankreich, Spanien und die<br />

Niederlande die Aufständischen militärisch.<br />

Im Juli 1781 schuf sich der britische General Charles Cornwallis mit 7500 Mann<br />

in der Hafenstadt Yorktown, Virginia, eine feste Operationsbasis. Eine französischen<br />

Flotte brachte den Aufständischen Verstärkung, da es der Royal Navy<br />

nicht gelang, sie abzudrängen. Yorktown war zudem von See abgeschnitten.<br />

Washington belagerte ab 14. September mit ca. 20 000 Mann Yorktown. In der<br />

Stadt mangelte es rasch an Nahrung, Krankheiten breiteten sich aus. Es folgten<br />

mehrfache vernichtende Kanonaden und vergebliche Ausfallversuche. Am<br />

14. Oktober drangen französische und amerikanische Sturmtruppen mit dem<br />

Bajonett in die äußeren Verteidigungswerke ein. Cornwallis kapitulierte am<br />

19. Oktober 1781. Es wurden auf beiden Seiten viele Soldaten aus Deutschland<br />

eingesetzt, daher wird Yorktown auch als »deutsche Schlacht« bezeichnet.<br />

Der Krieg endete erst 1783, aber die Entscheidung über die Unabhängigkeit<br />

der USA war in Yorktown gefallen.<br />

Marcus von Salisch<br />

1906 –<strong>2006</strong><br />

General a.D. Johann Adolf<br />

Graf von Kielmansegg<br />

Graf Kielmansegg trat 1926 in das Reiterregiment 16<br />

(Erfurt) der Reichswehr ein, seine Generalstabsausbildung<br />

erfolgte bei der Wehrmacht. Er diente ab 1939<br />

in verschiedenen Truppen- und Stabsverwendungen<br />

in Polen, Frankreich und Russland. Als Mitwisser des<br />

20. Juli 1944 inhaftiert, wurde er als Regimentskommandeur<br />

zur »Bewährung« an die Westfront versetzt.<br />

Von 1946 bis 1950 arbeitete Graf Kielmansegg als Verlagskaufmann<br />

und freier Journalist. Danach war er im<br />

»Amt Blank« tätig, dem Vorläufer des Bundesministeriums<br />

der Verteidigung. Die Himmeroder Denkschrift<br />

wurde von Graf Kielmansegg zu Papier gebracht, wobei<br />

ihm der Abschnitt über die Innere Führung ein besonderes<br />

Anliegen war. 1955 ging der neu ernannte<br />

Berufssoldat zum ersten Mal zur NATO. Ab 1958 folgten Verwendungen als<br />

Stellv. Divisionskommandeur in Koblenz und als Kommandeur der 10. Panzerdivision<br />

in Sigmaringen. Sein Konzept der Inneren Führung bewährte sich<br />

in der Praxis. Als Oberbefehlshaber der Alliierten Landstreitkräfte bzw. der<br />

Streitkräfte in Europa-Mitte (LANDCENT/CINCENT)) konnte Graf Kielmansegg<br />

von 1963 bis 1968 die deutsche Stellung im Bündnis stärken. Nach seiner<br />

Pensionierung nahm er als gefragter Experte Einfluss auf die Weiterentwicklung<br />

der Streitkräfte.<br />

Graf Kielmansegg hat sowohl die innere Verfasstheit und die organisatorische<br />

Struktur der Bundeswehr als auch die Operationsplanungen der NATO in<br />

den 1960er Jahren maßgeblich beeinflusst. General a.D. de Maizière bezeichnete<br />

ihn nicht umsonst als den einflussreichsten Reformer, ja sogar als den wichtigsten<br />

»Gründervater« der Bundeswehr.<br />

Helmut R. Hammerich<br />

<strong>Heft</strong> 4/<strong>2006</strong><br />

Militärgeschichte<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung<br />

Vorschau<br />

Seit November 1966 trägt die Bundeswehrkaserne<br />

in Hardheim im fränkischen Odenwald<br />

den Namen von Carl Schurz. Wer genau war<br />

dieser Mann, der vor 100 Jahren im Mai 1906<br />

in New York starb und der vom gescheiterten<br />

Revolutionär 1848/49 zum Unionsgeneral<br />

und Innenminister der USA aufstieg Diese<br />

Frage wird uns in der nächsten Ausgabe der<br />

»Militärgeschichte« Wolfgang Hochbruck<br />

beantworten und zugleich aufzeigen, welche<br />

Bedeutung Carl Schurz noch heute als demokratisches<br />

Vorbild hat.<br />

Dabei ist Carl Schurz nicht der einzige<br />

emigrierte deutsche Demokrat, der geprägt<br />

durch die Revolution von 1848/49 im amerikanischen<br />

Bürgerkrieg auf der Seite der<br />

Nordstaaten wieder zu den Waffen griff. Die<br />

Geschichte der »Fortyeighter«und ihre Rolle<br />

im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861-1865<br />

wird Jürgen Dick in einem eigenen Beitrag<br />

eingehender beleuchten.<br />

Carl Schurz während des amerikanischen<br />

Bürgerkrieges in der Uniform eines<br />

Unionsgenerals.<br />

Im selben Jahr, in dem die Hardheimer Kaserne<br />

ihren neuen Namen erhielt, wurde Generalleutnant<br />

Johannes Steinhoff Inspekteur<br />

der Luftwaffe. Heute ist er selbst Namenspatron<br />

einer Bundeswehrkaserne in Berlin-<br />

Gatow sowie eines Jagdgeschwaders der<br />

Luftwaffe. Heiner Möllers wird uns in seinem<br />

Beitrag die Person Johannes Steinhoff näher<br />

bringen.<br />

Der bereits für das <strong>Heft</strong> 3 angekündigte Artikel<br />

von Friedrich Furrer über »Antike Kriegskosten«<br />

wird ebenfalls im kommenden <strong>Heft</strong><br />

erscheinen.<br />

mn<br />

ullstein bild<br />

30 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>


Militärgeschichte im Bild<br />

Ulrich de Maizière war Soldat in<br />

drei deutschen Armeen. Ausgebildet<br />

wurde er noch in der Reichswehr<br />

(1930–1933), weitere Prägung erfuhr<br />

er als Generalstabsoffizier der Wehrmacht<br />

(1933–1945), um schließlich bei<br />

Planung und Aufbau der Bundeswehr<br />

(1951–1972) führend mitzuwirken. Damit<br />

verbunden waren einschneidende<br />

Übergänge: von der Diktatur zur Demokratie,<br />

von der Nationalarmee zur<br />

Bündnisstreitmacht, vom Angehörigen<br />

eines herausgehobenen Kriegerstandes<br />

zum »Staatsbürger in Uniform«.<br />

Die »Gründergeneration« neuer und<br />

zunächst westdeutscher, seit 1990 gesamtdeutscher<br />

Streitkräfte stand somit<br />

vor ganz neuen Herausforderungen:<br />

Sicherheit würde es nach dem Untergang<br />

des Reiches künftig nicht mehr<br />

national, sondern nur noch im Bündnisrahmen<br />

geben. Die neuen Streitkräfte<br />

waren fest in die Ordnung des<br />

Grundgesetzes zu integrieren. Die<br />

Bundeswehr als Wehrpflichtarmee<br />

musste sich aber auch in ihrem inneren<br />

Zuschnitt an die gesellschaftlichen<br />

Veränderungen anpassen und zu einer<br />

kritischen Öffentlichkeit hin öffnen.<br />

In der Himmeroder Denkschrift<br />

von 1950 hatten die künftigen militärischen<br />

Planer zwar ein wichtiges Signal<br />

für Reformen gegeben, dass »ohne<br />

Anlehnung an die Formen der alten<br />

Wehrmacht heute grundlegend Neues<br />

zu schaffen ist«. Schaffen musste man<br />

dieses Neue aber mit dem Führerkorps<br />

aus den Streitkräften vor 1945, denn die<br />

Bündnispartner forderten mit Vorrang<br />

rasche und effiziente Verstärkungen ihrer<br />

Verbände gegen einen zahlenmäßig<br />

weit überlegenen Gegner.<br />

Dieser Spannungsbogen aus militärischen<br />

Forderungen von außen und<br />

inneren Vorgaben für eine Integration<br />

der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft<br />

lässt sich an der Laufbahn<br />

Ulrich de Maizière (1912–<strong>2006</strong>)<br />

Herausforderungen<br />

und Antworten eines<br />

Soldaten im Übergang<br />

von Ulrich de Maizière nachzeichnen.<br />

Schon der militärische Sachverständige<br />

in den Verhandlungen um einen westdeutschen<br />

Allianzbeitritt orientierte<br />

sich an einer Ausgewichtung des transatlantischen<br />

und des westeuropäischen<br />

Pfeilers im Bündnis. Nur so ließ sich<br />

dem eigentlichen Dilemma deutscher<br />

Verteidigung begegnen: der Abhängigkeit<br />

von atomarer Abschreckung zur<br />

Kriegsverhinderung, aber verbunden<br />

mit der Forderung nach einer wirksamen<br />

Verteidigung im Falle eines Krieges,<br />

um das eigene Territorium vor unannehmbaren<br />

Schäden zu bewahren.<br />

Dabei blieb der Rückgriff auf Atomwaffen<br />

aus Sicht der NATO auch dann<br />

noch notwendig, wenn deutsche Streitkräfte<br />

die größten Lücken im mitteleuropäischen<br />

Verteidigungsschild geschlossen<br />

haben würden. Daraus zog<br />

schon de Maizière als Leiter der Unterabteilung<br />

Führung im Bundesministerium<br />

für Verteidigung<br />

(1955–1958) zwei weitere<br />

Folgerungen, denen<br />

er seiner ganzen<br />

Laufbahn bis hin<br />

zum Generalinspekteur<br />

(1966–1972) treu<br />

blieb: Militärische<br />

Verteidigung musste<br />

mit dem Zivilschutz<br />

schon im Frieden so<br />

engmaschig verzahnt<br />

werden, dass daraus<br />

ein wirksames System<br />

der zivil-militärischen<br />

Gesamtverteidigung<br />

entstand.<br />

Und der neue Soldat<br />

musste die Werte des<br />

Grundgesetzes alltäglich<br />

erfahren können,<br />

um sie als »Staatsbürger<br />

in Uniform« im<br />

Kalten Krieg wie im<br />

Einsatz aus Überzeugung verteidigen<br />

zu wollen. Innere Führung war so gesehen<br />

kein taktisches Entgegenkommen<br />

an einen gewandelten Zeitgeist, sondern<br />

ein notwendiges Führungsinstrument<br />

zur Heranbildung und Führung<br />

des modernen Soldaten unter veränderten<br />

militärischen Herausforderungen.<br />

In den Augen mancher Kritiker der<br />

Gründergeneration der Bundeswehr<br />

(Heusinger, Graf Kielmansegg, Graf<br />

Baudissin und de Maizière) stellten solche<br />

komplexen Antworten ein zu großes<br />

Entgegenkommen an Politik und<br />

Öffentlichkeit dar. Sie übersahen, dass<br />

der Systemkonflikt zwischen Ost und<br />

West mit seinen politischen, ökonomischen,<br />

gesellschaftlichen und militärischen<br />

Bedrohungsmustern zu komplex<br />

war, um einfache, vermeintlich soldatischere<br />

Antworten zuzulassen.<br />

Bruno Thoß<br />

Die Erprobung der Brigadegliederung während der<br />

Lehr- und Versuchsübung (LV 58) im Herbst 1958.<br />

Brigadegeneral Ulrich de Maizière, Kommandeur der<br />

Kampfgruppe A 1 in Hannover, als Kommandeur einer<br />

Übungsbrigade<br />

Bundesregierung/Egon Steiner<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

31


NEUE PUBLIKATIONEN DES MGFA<br />

Johannes Berthold Sander-Nagashima, Die Bundesmarine 1950 bis 1972. Konzeption<br />

und Aufbau. Mit Beiträgen von Rudolf Arendt, Sigurd Hess, Hans-Joachim Mann, Klaus-<br />

Jürgen Steindorff, München: Oldenbourg , X, 606 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte<br />

der Bundesrepublik Deutschland, 4), 39,80 Euro,<br />

ISBN 10: 3-486-57972-X, ISBN 13: 978-3-486-57972-7<br />

Rudolf J. Schlaffer<br />

Der<br />

Wehrbeauftragte<br />

1951 bis 1985<br />

Rudolf J. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte 1951 bis 1985. Aus Sorge um den Soldaten,<br />

München: Oldenbourg <strong>2006</strong>, XIV, 386 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der<br />

Bundesrepublik Deutschland, 5), 26,80 Euro,<br />

ISBN 10: 3-486-58025-6, ISBN 13: 978-3-486-58025-9<br />

Aus Sorge um den Soldaten<br />

OLDENBOURG<br />

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Wegweiser zur Geschichte: Kongo. Im Auftrag des MgFA hrsg. von Bernhard Chiari<br />

und Dieter Kollmer, 2., durchges. Aufl., Paderborn: Ferdinand Schöningh <strong>2006</strong>, 216 S.<br />

(= Wegweiser zur Geschichte), 12,90 Euro,<br />

ISBN 10: 3-506-75745-8, ISBN 13: 978-3-506-75745-6<br />

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Wegweiser zur Geschichte: Kosovo. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Bernhard Chiari<br />

und Agilolf Keßelring, Paderborn: Ferdinand Schöningh <strong>2006</strong>, 240 S. (= Wegweiser zur<br />

Geschichte), 13,90 Euro, ISBN 10: 3-506-75665-6, ISBN 978-3-506-75665-3<br />

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Daniel Niemetz, Das feldgraue Erbe. Die Wehrmachteinflüsse im Militär der SBZ/DDR,<br />

Berlin: Ch. Links <strong>2006</strong>, X, 345 S. (= Militärgeschichte der DDR, 13), 29,90 Euro,<br />

ISBN -10: 3-86153-421-5, ISBN-13: 978-86153-421-1

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