Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]
Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]
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<strong>Heft</strong> 3/<strong>2006</strong><br />
C 21234 ISSN 0940-4163<br />
Militärgeschichte im Bild: Generalleutnant Ulrich de Maizière (1912–<strong>2006</strong>)<br />
1806: Zweierlei Untergang<br />
Frühe Kriegsberichterstattung<br />
Deutsche Interessen im Kongo<br />
»Kriegsmaler« Richard Hohly
Impressum<br />
Editorial<br />
Militärgeschichte<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung<br />
Herausgegeben<br />
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt<br />
durch Oberst Dr. Hans Ehlert und<br />
Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.)<br />
Produktionsredakteur<br />
der aktuellen Ausgabe:<br />
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa<br />
Redaktion:<br />
Oberleutnant Julian-André Finke M.A. (jf)<br />
Oberleutnant Matthias Nicklaus M.A. (mn)<br />
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)<br />
Mag. phil. Michael Thomae (mt)<br />
Bildredaktion:<br />
Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />
Redaktionsassistenz:<br />
Stefan Stahlberg, Cand. Phil. (StS)<br />
Lektorat:<br />
Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />
Layout/Grafik:<br />
Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang<br />
Anschrift der Redaktion:<br />
Redaktion »Militärgeschichte«<br />
Militärgeschichtliches Forschungsamt<br />
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />
E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@<br />
bundeswehr.org<br />
Telefax: (<strong>03</strong> 31) 97 14 -507<br />
Homepage: www.mgfa.de<br />
Manuskripte für die Militärgeschichte werden<br />
an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte wird nicht gehaftet.<br />
Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt<br />
der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung,<br />
Übersetzung usw. Honorarabrechnung<br />
erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die<br />
Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter<br />
Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise,<br />
fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung<br />
sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung<br />
durch die Redaktion und mit Quellenangaben<br />
erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme<br />
in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen<br />
auf CD-ROM. Die Redaktion hat keinerlei<br />
Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte<br />
derjenigen Seiten, auf die in dieser <strong>Zeitschrift</strong><br />
durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb<br />
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Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt<br />
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und für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder<br />
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© <strong>2006</strong> für alle Beiträge beim<br />
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)<br />
Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber<br />
ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um<br />
Mitteilung.<br />
Druck:<br />
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />
ISSN 0940-4163<br />
Am 14. Oktober vor 200 Jahren erlitt die preußisch-sächsische Armee bei Jena<br />
und Auerstedt eine vernichtende Niederlage gegen die napoleonischen Truppen.<br />
Staat und Heer in Preußen wurden daraufhin weitreichenden Reformen<br />
unterzogen, die mit den Namen Gneisenau, Scharnhorst und Clausewitz eng<br />
verbunden sind. Die »Preußischen Reformen«<br />
bilden seit Bestehen der Bundeswehr<br />
eine der drei Traditionslinien<br />
unserer Streitkräfte.<br />
Das Jahr 1806 bedeutete aber auch das<br />
Ende des seit 962 bestehenden Heiligen<br />
Römischen Reiches Deutscher Nation,<br />
die Entstehung der Königreiche<br />
Bayern, Württemberg und Sachsen sowie<br />
die Gründung des Rheinbundes<br />
(1806–1813). Diese Entwicklungen<br />
haben uns unter anderem bis zum<br />
heutigen Tage ein wichtiges Element<br />
hinterlassen: den Föderalismus in<br />
der Bundesrepublik Deutschland. Bis<br />
1918 besaß auch die Militärverfassung<br />
des Deutschen Reiches föderative Elemente.<br />
Es blieben die Erinnerungen an ein kompliziertes Staatsgebilde und an<br />
ein einigendes Band zwischen den verschiedenen »deutschen Staaten«. Der<br />
erste Großbeitrag der vorliegenden Ausgabe der <strong>Zeitschrift</strong> Militärgeschichte<br />
informiert nicht nur grundsätzlich über das »Alte Reich«, sondern trägt auch<br />
insgesamt den Ereignissen des Jahres 1806 Rechnung.<br />
Bilder und Berichte über tagesaktuelle kriegerische Konflikte sind im Zeitalter<br />
der elektronischen Massenmedien allgegenwärtig. Wie entstehen solche<br />
Bilder und Berichte Welche Bilder sollen oder, vor allem, dürfen gezeigt werden,<br />
welche nicht Der Artikel »No dead bodies« von Klaus-Jürgen Bremm<br />
nimmt diese aktuelle Frage auf, indem er über die Anfänge der Kriegsberichterstattung<br />
im 19. Jahrhundert informiert. Einen aktuellen Bezug zum weltpolitischen<br />
Geschehen hat auch der Artikel »Deutsche Interessen im Kongo«<br />
von Wolfgang Petter, der sich ebenfalls auf das 19. Jahrhundert bezieht. Nicht<br />
zuletzt der derzeitige Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten zur Absicherung<br />
der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo hat die ehemalige<br />
belgische Kolonie und deren Geschichte auch hierzulande ins öffentliche<br />
Blickfeld gerückt.<br />
Mit der Überschrift »Russland zu sympathisch gesehen, propagandistisch<br />
nicht verwertbar«, wurden die Skizzen und Bilder des »Kriegsmalers« Richard<br />
Hohly von der Wehrmacht versehen. Dem Leben und Wirken dieses ungewöhnlichen<br />
Künstlers widmet sich der Großbeitrag von Eberhard Birk.<br />
Ein Wort in eigener Sache: Der uniformierte Teil der Redaktion Militärgeschichte<br />
ist durch das Ausscheiden von Heiner Bröckermann inzwischen<br />
eine reine »Air-Force-Crew« geworden. Sie bemüht sich allerdings, nicht abzuheben.<br />
Ich wünsche Ihnen viel Genuss bei der Lektüre des dritten <strong>Heft</strong>es <strong>2006</strong>.<br />
Dr. phil. Harald Potempa<br />
Oberstleutnant
Inhalt<br />
Zweierlei Untergang:<br />
Der Zusammenbruch des Alten<br />
Reichs (962–1806) und des alten<br />
Preußen im Jahre 1806<br />
Dr. Martin Rink, geboren 1966 in Kaufbeuren/<br />
Allgäu, Historiker; Dr. Harald Potempa, geboren<br />
1963 in Dorfen, Landkreis Erding/Oberbayern,<br />
Wissen schaftlicher Mitarbeiter am MGFA<br />
4<br />
Service<br />
Das historische Stichwort:<br />
Ungarn 1956 22<br />
Medien online/digital 24<br />
Lesetipp 26<br />
Ausstellungen 28<br />
Geschichte kompakt 30<br />
No dead bodies! Der moderne<br />
Krieg und die Anfänge der<br />
Kriegsberichterstattung<br />
10<br />
Militärgeschichte<br />
im Bild<br />
General Ulrich de Maizière<br />
(1912–<strong>2006</strong>) 31<br />
Dr. Klaus-Jürgen Bremm, geboren 1958 in Duisburg,<br />
Oberstleutnant d.R., Lehrbeauftragter für<br />
Neuere Geschichte an der Universität Osnabrück<br />
Deutsche Interessen<br />
im Kongo<br />
Dr. Wolfgang Petter, geboren 1942 in Erlangen,<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am MGFA, Potsdam<br />
14<br />
Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant<br />
Ulrich de Maizière (links),<br />
im Gespräch mit Bundesminister der<br />
Verteidigung Kai-Uwe von Hassel<br />
und Bundeskanzler Ludwig Erhard<br />
anlässlich des Besuches der Heeresunteroffizierschule,<br />
ca. 1965.<br />
Foto: Bundesregierung/Egon Steiner<br />
»Russland zu sympathisch<br />
gesehen, propagandistisch nicht<br />
verwertbar«. Der »Kriegsmaler«<br />
Richard Hohly<br />
Dr. Eberhard Birk, geboren 1967 in Heilbronn, Dozent<br />
an der Offizierschule der Luftwaffe Fürstenfeldbruck<br />
18<br />
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />
Major Heiner Bröckermann M.A., MGFA;<br />
Studienreferendar Christian Bunnenberg,<br />
Münster;<br />
Wiss. Oberrat Dr. Bernhard Chiari, MGFA;<br />
Oberstleutnant Dr. Helmut R. Hammerich,<br />
MGFA;<br />
Oberstleutnant Dr. Dieter H. Kollmer,<br />
MGFA;<br />
Hauptmann Marcus von Salisch, MGFA;<br />
Leiter Abteilung Forschung (komm.)<br />
MGFA Dr. Bruno Thoß
Zweierlei Untergang<br />
Der Zusammenbruch<br />
des<br />
Alten Reichs<br />
(962 –1806)<br />
und des alten<br />
Preußen im<br />
Jahre 1806<br />
agk-images<br />
Franz II. (1768–1835), der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches<br />
Deutscher Nation.<br />
Gemälde, vor 1806, von Joseph Kreutzinger (1757–1825).<br />
agk-images/Erich Lessing<br />
Napoleon Bonaparte (1769–1821)<br />
stand am Anfang der Neuordnung<br />
Deutschlands. Seine Siege zertrümmerten<br />
die hergebrachte Ordnung.<br />
Ölstudie, 1799, von Jacques-Louis<br />
David (1748–1825).<br />
1806–<strong>2006</strong>:<br />
Aspekte eines Jubiläums<br />
<strong>2006</strong> jährt sich zum 200. Mal die Schlacht<br />
bei Jena und Auerstedt. Am 14. Oktober<br />
1806 erlitten die preußi schen Truppen<br />
eine vernichtende Niederlage gegen<br />
die Truppen Napo leons I. Im selben<br />
Jahr fand aber auch das »Heilige Römische<br />
Reich deutscher Nation« , auch<br />
»Altes Reich« genannt, ein eher unrühmliches<br />
Ende. Am 6. August 1806<br />
legte Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserkrone<br />
nieder.<br />
So endete ein Staatsgebilde, das bereits<br />
im 17. Jahrhundert als »Monstrum«<br />
bezeichnet worden war. Weder<br />
war es Bundesstaat noch Staatenbund,<br />
weder Monarchie noch Aristokratie<br />
noch Demokratie – vielmehr war es<br />
von allem ein wenig. »Das Reich« umfasste<br />
im Revolutionsjahr 1789 nicht<br />
weniger als 299 mehr oder weniger<br />
faktisch souveräne Reichsstände, beginnend<br />
mit den Kurfürstentümern<br />
bis hin zu Reichsstädten und Reichsdörfern,<br />
besonders in Schwaben und<br />
Franken. Hinzu kamen 1475 Reichsritterschaften.<br />
Sie alle waren nur dem<br />
Kaiser untertan, sie alle hatten ihren<br />
Beitrag zur Reichsarmee zu leisten, die<br />
nur im Kriegsfall aufgestellt wurde. Ein<br />
»Deutsches« Reich war dies nicht wirklich:<br />
Bis 1806 gehörten auch Tschechen,<br />
Slowenen, Wallonen und Flamen dazu.<br />
Über Jahrhunderte gab es italienische,<br />
schweizerische, burgundische, lothringische<br />
und niederländische Teile des<br />
Reiches. Der Verweis auf das »Heilige«<br />
und »Römische« deutete darauf hin,<br />
dass der Kaiser mit universalem Anspruch<br />
auftrat.<br />
Das nationale französische Kaisertum<br />
des 19. Jahrhunderts widersprach<br />
dieser Reichsidee grundlegend. Napoleon<br />
Bonaparte nutzte ab 1799 die<br />
Chance der inneren Erneuerung Frankreichs.<br />
Seine Krönung zum »Kaiser der<br />
4 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
agk-images<br />
Die Goldene Bulle Kaiser Karl IV.<br />
von 1356 bildete ein wichtiges<br />
Grundgesetz des Reiches für die<br />
nächsten 450 Jahre.<br />
Franzosen« 1804 bedeutete einen »modernen«<br />
Legitimitätsanspruch: Er war<br />
der »Retter« der Nation, die ihm zum<br />
Kaiser erhob. Auf dem Höhepunkt seiner<br />
Macht, nach den Siegen von Ulm,<br />
Austerlitz und Jena 1805/06, verkörperte<br />
der Korse nicht nur gleichsam den<br />
»Kriegsgott selbst« (Clausewitz), sondern<br />
ordnete auch Deutschland neu.<br />
Demgegenüber wirkte das Alte Reich<br />
überlebt. Seine großen Territorialmächte,<br />
allen voran Österreich und Preußen,<br />
hatten sich längst verselbständigt.<br />
»Deutsche Stämme«<br />
als untaugliche Kategorie:<br />
Goldene Bulle 1356<br />
An der Spitze des Heiligen Römischen<br />
Reiches Deutscher Nation stand der<br />
Kaiser. Mit der Krönung Ottos I. 962<br />
war bewusst an den Frankenkönig Karl<br />
den Großen und dessen Anspruch als<br />
Erneuerer des (west-)römischen Kaiserreiches<br />
angeknüpft worden. Karl<br />
hatte sich 800 von Papst Leo III. zum<br />
Römischen Kaiser krönen lassen.<br />
Neben dem burgundischen und dem<br />
italienischen Teil bestand das Reich<br />
aus den Stammesherzogtümern Bayern,<br />
Franken, Sachsen, Schwaben und<br />
Thüringen. Im 13. und 14. Jahrhundert<br />
setzten die Schwächung der Zentralgewalt<br />
und die Stärkung der Regionalgewalten<br />
ein. Die königslose Zeit, aber<br />
auch das Auftreten von König und Gegenkönig<br />
warfen die Frage auf, wer<br />
denn berechtigt sei, einen Kandidaten<br />
für das Amt des Kaisers aufzustellen<br />
und zu wählen. Die im Jahr 1356 erlassene<br />
Goldene Bulle Kaiser Karls IV.<br />
gab die Antwort für die nächsten 450<br />
Jahre. Sieben Kurfürsten wurden per<br />
Reichsgesetz definiert, die zur Wahl<br />
des Kaisers berechtigt waren. Statt<br />
der Stammesherzöge waren dies nun<br />
drei geistliche Würdenträger: die Erzbischöfe<br />
von Köln, Mainz und Trier.<br />
– sowie vier weltliche Herrscher: der<br />
König von Böhmen (der einzige dieses<br />
Ranges), der Pfalzgraf bei Rhein (Kurfürst<br />
von der Pfalz), die Kurfürsten von<br />
Brandenburg und Sachsen. 300 Jahre<br />
später kamen Bayern (1623/28) und<br />
Hannover (1692) als Kurfürstentümer<br />
dazu. Die alten Stammesherzogtümer<br />
waren verkleinert und verändert worden.<br />
Der Aufbau von Landesherrschaft<br />
und künftiger Großmächte geschah in<br />
den Markgrafschaften, so etwa in der<br />
Mark Brandenburg (Preußen) und der<br />
»ostwärtigen Mark« (Österreich).<br />
Der deutsche König wurde auf Lebenszeit<br />
gewählt, der Titel war nicht erblich.<br />
Erst die Weihe durch den Papst<br />
verlieh dem deutschen König die Kaiserwürde.<br />
Den Kurfürsten mussten jeweils<br />
Wahlversprechen in Form von<br />
Rechten, Ländereien oder schlicht Geld<br />
gemacht werden. Seit Maximilian I.<br />
nannte sich er neugewählte König<br />
auch »Erwählter Römischer Kaiser«,<br />
die Krönung durch den Papst entfiel<br />
fortan – von einer Ausnahme (Karl. V)<br />
abgesehen. Tatsächlich war die Kaiserwürde<br />
von 1438 bis 1806 fast durchgängig<br />
fest in den Händen der habsburgischen<br />
(Erz-)Herzöge von Österreich,<br />
die ab 1526 gleichzeitig Könige von<br />
Böhmen waren. Als Erben des größten<br />
Territorialbesitzes verfügten die<br />
Habsburger über eine Hausmacht, die<br />
sie mit den Mitteln versah, die Königswahl<br />
der Kurfürsten in ihrem Sinne zu<br />
beeinflussen. Allerdings war es einigen<br />
von ihnen gelungen, eine Standeserhöhung<br />
zu erlangen, was zunächst nur<br />
außerhalb des Reichsgebietes möglich<br />
war: So trugen zeitweise der sächsische<br />
Kurfürst die polnische, der hannoversche<br />
ab dem 18. Jahrhundert die englische<br />
Königskrone; seit 1701 kam der<br />
brandenburgische Kurfürst als »König<br />
in Preußen« dazu. Auch benachbarte<br />
Groß- oder Regionalmächte wie<br />
Frankreich, Schweden und Dänemark<br />
spielten ihre Rolle im Reich, da sie in<br />
Personalunion ihrer Herrscher über<br />
Reichsterritorien verfügten und deshalb<br />
in den Reichsgremien unmittelbar<br />
ihre Interessen vertreten konnten<br />
– natürlich auch bei der Kaiserwahl.<br />
Die Sieben Kurfürsten vor dem Kaiserthron. Links die drei geistlichen, rechts die<br />
vier weltlichen Kurfürsten. Kolorierter Holzschnitt aus H. Schedel, Liber chronicarum,<br />
Nürnberg 1493; Sign. Inc. 119, fol. 183 v, 184 r, Herzogin Anna Amalia<br />
Bibliothek, Weimar, Stiftung Weimarer Klassik.<br />
agk-images<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
5
Zweierlei Untergang<br />
»Abgeordnete«, Geld und<br />
Militär<br />
Entscheidungen wurden auf den<br />
Reichs tagen getroffen. Sie bildeten<br />
eine (un-)regelmäßige Versammlung<br />
aller Reichsstände in Anwesenheit des<br />
Kaisers, deren Beschlüsse man in den<br />
»Reichsabschieden« schriftlich niederlegte.<br />
Im Gegensatz zu modernen Parlamenten<br />
waren die Teilnehmer der<br />
Reichstage ebenso wenig vom Volk<br />
gewählt wie die Ständevertretungen<br />
(Kirche, Adel, Bürger) in den einzelnen<br />
Reichsständen. Dies war kein deutsches<br />
Phänomen, sondern galt in ganz<br />
Europa. Dennoch hat der moderne Parlamentarismus<br />
seine Vorläufer in den<br />
Ständevertretungen. Die Reichstage<br />
wurden bei Bedarf abgehalten, u.a. in<br />
den (Reichs-)Städten Augsburg, Nürnberg,<br />
Frankfurt a.M., Regensburg,<br />
Spey er und Worms. Der Reichstag zu<br />
Worms 1495 schuf die organisatorische<br />
Zwischenebene der »Reichskreise«. Es<br />
gab ihrer zehn, sie waren regional organisiert<br />
und hatten in ihrem Bereich<br />
Beschlüsse des Reichstages durchzusetzen,<br />
u.a. das Steueraufkommen zu<br />
organisieren. Sie waren aber auch für<br />
die Aufstellung der Kontingente der<br />
Reichsarmee im Kriegsfall zuständig.<br />
Die Reichsstände hatten die aufgebotene<br />
Armee zu bezahlen, denn ein Stehendes<br />
Reichsheer existierte nicht.<br />
Der Landfrieden wurde durch die<br />
Reichskreise garantiert. Der Wormser<br />
Reichstag von 1521 präzisierte den<br />
Umfang und die Leistungen an die<br />
Reichsarmee. Diese bestand aus 20 000<br />
Mann Infanterie und 4000 Mann Kavallerie.<br />
Die Reichsstände hatten gemäß<br />
einer festen Quote entweder Soldaten<br />
und Pferde oder aber das Geld für deren<br />
Anwerbung und Unterhalt aufzubringen.<br />
Der Augsburger Reichstag<br />
von 1555, abgehalten unter dem Eindruck<br />
der Reformation und des Bauernkrieges<br />
in Deutschland, präzisierte<br />
die Kreiseinteilung und legte die militärischen<br />
Rechte und Pflichten der Mitglieder<br />
bezüglich Zahlung und Oberbefehl<br />
fest. Auch verstärkte er die Rolle<br />
der Reichskreise bei »Reichsexekutionen«,<br />
also militärischen Unternehmen<br />
einzelner Reichsstände in kaiserlichem<br />
Auftrag gegen sich widersetzende<br />
Reichsstände.<br />
1681:<br />
Reichsheer und Stehende Heere<br />
Der Reichstag als die Versammlung der Reichsstände unter Vorsitz des Kaisers,<br />
hier ein Reichstag zu Regensburg unter Ferdinand I. Radierung von Jost Amman<br />
(1539–1591).<br />
agk-images<br />
Die »Reichsdefensionalordnung«<br />
(Reichsverteidigungsordnung) von<br />
1681 fußte auf zwei Reichsgutachten<br />
zur »öffentlichen Sicherheit« und bildete<br />
bis 1806 die Reichskriegsverfassung.<br />
Maßgebend waren dabei der Osnabrücker<br />
Friedensvertrag von 1648 (also der<br />
eine Teil des Westfälischen Friedens)<br />
und der sogenannte Jüngste Reichsabschied<br />
von 1654. Mit dem Jahr 1681 erfuhr<br />
die Organisation der Reichstage<br />
eine grundlegende Veränderung. Nun<br />
erfolgte in Regensburg die Einrichtung<br />
eines dauernden Gesandtenkongresses<br />
der Reichsstände, der als »Immerwährender<br />
Reichstag« bezeichnet wurde.<br />
Das Heeresaufkommen im Kriegsfall<br />
wurde von 20 000 Mann auf 40 000<br />
Mann (28 000 Mann Infanterie und<br />
12 000 Mann Kavallerie) erhöht. Diese<br />
Truppenstärke bildete das »Simplum«,<br />
das bei Bedarf verdoppelt, verdreifacht<br />
oder gar vervierfacht werden konnte.<br />
Verantwortlich für die Kreiskasse waren<br />
die jeweiligen Kreisobristen der<br />
Reichskreise.<br />
Die Landesherren hatten von nun<br />
an die Möglichkeit, Stehende Heere<br />
zu unterhalten, d.h. Armeen, die auch<br />
im Frieden bestanden. Dazu wurden<br />
von den Ständen des Landes Steuern<br />
erhoben. Bislang waren Armeen nach<br />
Kriegsende aufgelöst oder abgemustert<br />
worden. Größere Reichsstände<br />
machten von dieser Möglichkeit ohne<br />
Zögern Gebrauch. So entwickelten<br />
sich Stehende Heere etwa in Brandenburg<br />
(ab 1644), in Bayern (ab 1682) und<br />
Sachsen (ab 1682). Die Reichsarmee<br />
blieb dagegen ein Kontingentheer. Sie<br />
wurde nur im Kriegsfall aktiviert, war<br />
also kein Stehendes Heer. Im Verlauf<br />
des 17. Jahrhunderts erwarben sich die<br />
Herrscher der größeren Reichsterritorien<br />
mit ihren Stehenden Heeren das<br />
Instrument, welches ihnen letztlich die<br />
Durchsetzungsfähigkeit innerhalb des<br />
Reiches (teils mit Ausstrahlung darüber<br />
hinaus) sowie die zunehmende tatsächliche<br />
Souveränität innerhalb ihrer<br />
Territorien ermöglichte. Zudem erforderte<br />
die Aufrechterhaltung stehender<br />
Truppen, ihrer Ausrüstung, Personalergänzung,<br />
Unterbringung, Verpflegung<br />
und regelmäßigen Entlohnung den<br />
Aufbau eines zunehmend umfassender<br />
werdenden Staats- und Beamtenapparates.<br />
Die größeren Reichsfürsten<br />
gaben hier das Tempo vor. Der strafferen<br />
Staatsorganisation der frühneuzeitlichen<br />
Groß- und Regionalmächte<br />
entsprach die straffer werdende Disziplin<br />
ihrer Heere. Bei Ausbildung und<br />
Gefecht kam nun zu dem bekannten<br />
6 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Soll-Zusammensetzung der Reichsarmee gemäß Reichsdefensionalordnung<br />
Kavallerie<br />
Infanterie<br />
Österreichischer Kreis 2 522 5 507<br />
Burgundischer Kreis 1 321 2 708<br />
Kurrheinischer Kreis 600 2 707<br />
Fränkischer Kreis 980 1 902<br />
Bayrischer Kreis 800 1 494<br />
Schwäbischer Kreis 1 321 2 707<br />
Oberrheinischer Kreis 491 2 853<br />
Niederrheinisch-Westfälischer Kreis 1 321 2 708<br />
Obersächsischer Kreis 1 322 2 707<br />
Niedersächsischer Kreis 1 322 2 707<br />
Summe 12 000 28 000<br />
Exerzieren geschlossener Formationen<br />
die Aufgabe hinzu, Marsch, Bewegung,<br />
Ladetätigkeiten und Schussfolge<br />
zu koordinieren. Das allgegenwärtige<br />
Rezept lautete: Drill. Zum buchstäblichen<br />
Paradebeispiel hierzu avancierte<br />
der ehemalige Außenseiter Preußen im<br />
späten 17. und im 18. Jahrhundert.<br />
Reichskriegsherr war der Kaiser, die<br />
Armee unterstand dem Reichsgeneralfeldmarschall.<br />
Ihm waren ein Reichsgeneralfeldmarschallleutnant,<br />
ein Reichsgeneralfeldzeugmeister<br />
(Artillerie und<br />
Pioniere), ein Reichsgeneral der Kavallerie<br />
und ein Reichsgeneralwachtmeister<br />
unterstellt. Aufgrund des im<br />
Westfälischen Frieden fixierten Religionskompromisses<br />
mussten diese<br />
Funktionen paritätisch mit evangelischen<br />
und katholischen Amtsinhabern<br />
besetzt werden. Nur ein einziges Mal,<br />
1707, konnte man sich ohne Komplikationen<br />
auf einen Oberbefehlshaber einigen:<br />
den überall geachteten Prinzen<br />
Eugen von Savoyen als Reichsgeneralfeldmarschall.<br />
Bewährung oder Scheitern in<br />
der Praxis 1682–1805<br />
Die Reichsarmee wurde bei Reichskriegen<br />
und Reichsexekutionen eingesetzt,<br />
so 1674 im Französisch-Niederländischen<br />
Krieg, in den Türkenkriegen ab<br />
1683, im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689,<br />
ab 1702 im Spanischen Erbfolgekrieg,<br />
1734 im Polnischen Erbfolgekrieg, im<br />
Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–<br />
1748), im Siebenjährigen Krieg (1756–<br />
1763) gegen Preußen und in den Revolutionskriegen<br />
gegen Frankreich ab<br />
1793. Soll- und Ist-Stärke der Truppe<br />
wichen dabei immer voneinander ab.<br />
Die Ist-Stärke betrug:<br />
1658 10 000 Mann<br />
1686 40 000 Mann<br />
1691 19 000 Mann<br />
1700 14 000 Mann<br />
1702 44 000 Mann<br />
1795 42 400 Mann<br />
Prinz Eugen von Savoyen<br />
(1663–1736) im Feld.<br />
Er war u.a. Reichsgeneralfeldmarschall<br />
und damit Oberbefehlshaber<br />
der Reichsarmee. Gemälde<br />
von Pietro Longhi (1702–1785).<br />
Diese Schwankungen sind ein deutlicher<br />
Beleg dafür, dass es mit der Souveränität<br />
des Reiches nicht zum Besten<br />
bestellt war. Zum Mentekel für die<br />
Reichsarmee geriet die Schlacht bei<br />
Roßbach am 5. November 1757, wo<br />
sie ruhmlos durch den preußischen<br />
»Reichsfeind« Friedrich II. zerschlagen<br />
wurde; offenkundig führte der Versuch<br />
dieser Reichsexekution zur weiteren<br />
moralischen Unterminierung des Reiches.<br />
Dennoch – trotz aller Schwierigkeiten<br />
bei der Zusammenstellung, der<br />
Anwerbung, dem Oberbefehl, der Koalitionskriegführung<br />
und vieler anderer<br />
Dinge – bildete die Reichsarmee noch<br />
immer einen Ordnungsfaktor und zugleich<br />
militärisches Potential.<br />
Preußen: Aufstieg im Reich –<br />
Ausstieg aus dem Reich<br />
Preußen konnte sich im späten 17. Jahrhundert<br />
zur Regionalmacht, im 18. Jahrhundert<br />
zur Militärmacht und schließlich<br />
mit dem geglückten Risikospiel<br />
Friedrichs II. zur europäischen Großmacht<br />
aufschwingen. Der Schlüssel<br />
zum Erfolg lag nicht im Prinzip »Abstimmung<br />
und Koordination« mit europäischen<br />
Mächten, mit dem Reich und<br />
inmitten der eigenen Gebiete. Den Erfolg<br />
erzielten die Hohenzollernkurfürsten<br />
und -könige durch eine maximale<br />
Steigerung der innerstaatlichen<br />
Effizienz. Erst durch Vereinheitlichung<br />
von Verwaltung, Steuerwesen und Armee<br />
wurde aus ihren Herrschaftsgebieten<br />
ein preußischer Staat – im Singular.<br />
Freilich war das auch in Preußen ein<br />
langer Prozess, der erst mit den preußischen<br />
Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />
seinen Abschluss fand.<br />
Das auf vielfältigen Ebenen auf dem<br />
Prinzip einer ausgewogenen Abstimmung<br />
zwischen den politischen Akteuren<br />
basierende Reich wurde letztlich<br />
durch die rigorose Kräftebündelung<br />
innerhalb der größeren Territorialstaaten<br />
unterminiert. Preußen schritt hier<br />
voran. In den Kriegen zwischen 1740<br />
und 1763 forderte es die drei bisherigen<br />
Ordnungsfaktoren Kaiser, Reich<br />
und europäische Garantiemächte erfolgreich<br />
heraus. In der Schlacht bei<br />
Roßbach am 5. November 1757 wurde<br />
die militärische Ohnmacht des Reiches<br />
demonstrativ zur Schau gestellt und<br />
die mit der französischen Armee verbündete<br />
Reichsarmee regelrecht niedergeritten.<br />
Unter den 10 500 Verlusten<br />
der Schlacht befanden sich nur 500<br />
Preußen. Was von deren Gegnern noch<br />
übrig war, zerstob in wilder Flucht.<br />
Das Bild der Reichsarmee als »Reißaus-Armee«<br />
wirkte sehr nachdrücklich<br />
und verband sich mit einem preußischen<br />
Mythos, der vor allem in Norddeutschland<br />
und in der Tradition der<br />
preußisch-deutschen Armee wirksam<br />
blieb.<br />
agk-images/cameraphoto<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
7
Zweierlei Untergang<br />
Unabhängig vom Reich und zum Teil<br />
eben gegen das Reich war spätestens<br />
nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–<br />
1763) Preußens Aufstieg zur europäischen<br />
Großmacht geglückt – wenn<br />
auch auf Abruf. Friedrich II. verkörperte<br />
geradezu den aufgeklärten Absolutismus:<br />
Als »erster Diener seines<br />
Staates« entsprach er dem neuen Ideal<br />
des durch Leistung legitimierten Monarchen.<br />
Nicht prunkvolle Schlösser<br />
und Hofzeremoniell bildeten den Kristallisationspunkt<br />
seiner Herrschaft,<br />
sondern die Bürokratie und vor allem<br />
das stehende, gedrillte und meist siegreiche<br />
Heer. Neben persönlichen Fähigkeiten,<br />
rücksichtslosen Ambitionen<br />
und purem Glück lag der Grund<br />
für Friedrichs Erfolg in einem höheren<br />
Grad der inneren Kohäsion seines<br />
Territoriums. Der absolutistische Staat<br />
setzte sich gegen das ältere Modell des<br />
Ständestaats durch.<br />
In allen größeren Reichsterritorien<br />
voll zogen sich eine Fülle von Reformen<br />
in der Binnenorganisation: in Verwaltung,<br />
Heer und Bildungswesen.<br />
Da mit wurden althergebrachte ständische<br />
Rechte nach und nach zurückgedrängt.<br />
Ende und Anfang: 1806 und die<br />
»Deutsche Frage«<br />
agk-images<br />
Am 5. November 1757 siegte König Friedrich II (1712 + 1786) bei Roßbach über<br />
die Reichsarmee und die französische Armee. Kupferstich, 1801, von Johann<br />
Friedrich Bolt (1769–1836).<br />
Mit der Französischen Revolution 1789<br />
vollzog sich ein grundlegender Wandel.<br />
Viele Projekte der Reformabsolutisten<br />
wurden von der französischen Regierung<br />
und ab 1799 von Napoleon umgesetzt.<br />
Zugleich aber wurde die Nation<br />
als Trägerin des Staates begriffen und<br />
die Bevölkerung für die Armee mobilisiert,<br />
um die revolutionären Errungenschaften<br />
zu sichern. Dem zunehmend<br />
ausgehöhlten und von starken Einzelterritorien<br />
durchsetzten Reich war nun<br />
ein Nachbar entstanden, dessen administrative<br />
und militärische Effizienz an<br />
der Spitze der Möglichkeiten der Zeit<br />
stand; dies alles gepaart mit einem<br />
Machtwillen, dem nichts Gleichwertiges<br />
gegenüberstand. Das Deutschland<br />
links des Rheins fiel mit dem Frieden<br />
von Lunéville 1801 an Frankreich. Zusammen<br />
mit dem »Reichsdeputationshauptschluss«<br />
von 18<strong>03</strong> bedeutete dies<br />
das Ende vieler weltlicher und aller<br />
geistlichen Reichsstände. Die weltlichen<br />
Fürsten links des Rheins wurden<br />
territorial entschädigt oder entschädigten<br />
sich selbst auf Kosten der geistlichen<br />
Reichsstände. Im Inneren dieser<br />
Staaten begann mit der Säkularisierung<br />
der Sturm auf die Besitzungen der Kirchen<br />
und Klöster; im Reich wurden<br />
Reichsklöster und Hochstifte »verstaatlicht«.<br />
Während der folgenden Jahre erfolgte<br />
die »Mediatisierung« der meisten<br />
Reichsstädte, Reichsritterschaften<br />
und Reichsdörfer, also deren Einverleibung<br />
durch die Flächenstaaten. Der<br />
vielzitierte »Fleckenteppich« des Reiches<br />
war durch den verlorenen Krieg<br />
des Reiches gegen Frankreich »bereinigt«<br />
worden. Mit der Auflösung der<br />
Reichsstände war ein wichtiger Teil der<br />
traditionellen Hausmacht des Kaisers<br />
vernichtet worden. Langfristig profitierten<br />
davon sowohl Frankreich als<br />
auch die »modernen« deutschen Staaten.<br />
Auf dem Höhepunkt napoleonischer<br />
Macht zerbrach jedoch nicht nur<br />
das Alte Reich, sondern auch das alte<br />
Preußen. Es hatte sich am rücksichtslosesten<br />
auf Kosten des Reichs profiliert.<br />
Nun steuerte es sich in einen militärischen<br />
Konflikt hinein, den es nur<br />
zertrümmert überlebte. Aus dem ersten<br />
Koalitionskrieg (1792–1797) war<br />
Preußen 1795 mit dem Frieden von Basel<br />
vorzeitig ausgeschert. Mit der Zusicherung<br />
der Rheingrenze an Frankreich<br />
konnte sich Preußen sogar nun<br />
der Aufteilung Polens widmen und damit<br />
sein Territorium erheblich erweitern.<br />
Mit dem Ausgreifen Frankreichs<br />
über den Rhein, besonders der Besetzung<br />
Kur-Hannovers und der preußischen<br />
Gebiete Ansbach-Bayreuth einerseits,<br />
dem preußischen Schwanken<br />
zwischen Frankreich und der Koalition<br />
andererseits verspielte es jedoch bald<br />
jede Glaubwürdigkeit. Nachdem sich<br />
der russische Zar im Herbst 1805 lange<br />
persönlich, aber vergeblich um ein<br />
preußisch-russisches Bündnis bemüht<br />
hatte, zog er an der Seite Österreichs in<br />
den Krieg, der am 2. Dezember 1805 mit<br />
der Niederlage von Austerlitz endete.<br />
Der Friede von Preßburg läutete 1805<br />
die letzte Runde des Alten Reiches ein.<br />
Am 1. Januar 1806 wurden Bayern und<br />
Württemberg durch Napoleons Gnaden<br />
zu Königreichen erhoben. Sie und<br />
14 andere Reichsstände erklärten die<br />
Zugehörigkeit zum Reich für beendet<br />
und gründeten am 12. Juli 1806 den an<br />
Frankreich angelehnten »Rheinbund«.<br />
Ihm schlossen sich bis 1808 insgesamt<br />
20 weitere deutsche Staaten an.<br />
Wie im Alten Reich existierte auch im<br />
Rheinbund eine Kontingentsarmee. Sie<br />
umfasste nun 63 000 Mann, die sich aus<br />
den einzelnen Armeen speisten, und<br />
sie hatte für die napoleonischen Feldzüge<br />
Truppen zu stellen. Ausbildung,<br />
Einsatz, Kriegsverfassung und Anfänge<br />
einer allgemeinen Wehrpflicht orientierten<br />
sich am französischen Vorbild.<br />
Nur Österreich, Preußen, Hessen<br />
und Braunschweig traten dem Rheinbund<br />
nicht bei, waren aber zeitweilig<br />
Verbündete Frankreichs. Auf ein Ultimatum<br />
Napoleons hin legte der letzte<br />
»deutsche« Kaiser am 6. August 1806<br />
die Kaiserkrone des Heiligen Römischen<br />
Reiches Deutscher Nation nie-<br />
8 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
der, die Geschichte des Reiches war beendet.<br />
Das Jahr 1805 brachte Preußen Vorteile:<br />
Im Frieden von Schönbrunn sicherte<br />
es sich die Inbesitznahme Hannovers<br />
im Tausch gegen die fränkischen Gebiete.<br />
Nie zuvor hatte Preußens Territorium<br />
eine solche Ausdehnung erreicht.<br />
Umso tiefer war dann der Fall: Preußen<br />
musste sich entscheiden. Es führte<br />
einerseits Geheimverhandlungen mit<br />
dem russischen Zarenhof, andererseits<br />
gab es französische Gebietsübertretungen<br />
nach Westfalen. Das Misstrauen<br />
zwischen Frankreich und Preußen<br />
eskalierte in einen von beiden letztlich<br />
nicht gewollten Krieg. Am 14. Oktober<br />
1806 wurde die preußische Armee in<br />
zwei Schlachten bei Jena und Auerstedt<br />
vernichtend geschlagen. Im Frieden<br />
von Tilsit 1807 wurde Preußens Beute<br />
aus den polnischen Teilungen als Großherzogtum<br />
Warschau, das gesamte Gebiet<br />
westlich der Elbe zusammen mit<br />
Braunschweig und Kurhessen als »Königreich<br />
Westfalen« abgetrennt. Dazu<br />
kam eine riesige Summe an Entschädigungen,<br />
die Armee wurde um 80 Prozent<br />
reduziert. Die bittere Niederlage<br />
wurde erst sechs Jahre später und nur<br />
mit russischer Hilfe in den »Befreiungskriegen«<br />
überwunden. Sie blieb eine<br />
schwärende Wunde im preußischen<br />
kollektiven Bewusstsein. Sie war Anstoß<br />
für die grundlegende Reform von<br />
Militär- und Staatswesen 1807–1813,<br />
bildete aber auch den Anknüpfungspunkt<br />
für einen preußisch-deutschen<br />
Revanchismus, der bis ins 20. Jahrhundert<br />
hineinwirkte.<br />
Ende und Anfang:<br />
bleibende Wirkungen<br />
Mit dem Untergang des Alten Reiches<br />
ging für Gesamtdeutschland in staatsrechtlicher<br />
Hinsicht das »einigende«<br />
Band verloren. Die »deutschen« Staaten<br />
waren nunmehr vollständig souverän<br />
geworden, was im Wiener Kongress<br />
1814/15 auch bestätigt wurde. Der von<br />
1815 bis 1866 existierende Deutsche<br />
Bund bildete einen Staatenbund unter<br />
letztlich österreichischer Führung,<br />
auch er kannte Kontingentstreitkräfte.<br />
In der Revolution 1848/49 wurde der<br />
(erfolglose) Versuch einer demokratischen<br />
Einigung »von unten« gewagt.<br />
Während der Einigungskriege 1864,<br />
1866 und 1870/71 wurde die deutsche<br />
Frage mit der militärischen Lösung<br />
»von oben« beantwortet; Österreich<br />
war staatsrechtlich ausgeschlossen.<br />
Reste der deutschen Pluralität blieben<br />
im Militärwesen des Kaiserreichs ab<br />
1871 erhalten: Bis 1918 existierte eine<br />
Kontingentarmee aus preußischen,<br />
bayerischen, württembergischen und<br />
sächsischen Truppen.<br />
Das Alte Reich erlag also letztlich<br />
den »modernen« Territorialstaaten<br />
wie dem aufkommenden Nationalgefühl.<br />
Dennoch erwies es sich trotz großer<br />
Schwächen als äußerst langlebig.<br />
Es war fast 850 Jahre Bezugspunkt der<br />
Politik in Europa, in Deutschland und<br />
in den deutschen Einzelterritorien gewesen.<br />
Der Föderalismus der Bundesrepublik<br />
Deutschland ist ohne einen<br />
Blick auf dieses Reich schwer verständlich.<br />
Gleichwohl hat auch die Zerschlagung<br />
des Reiches Spuren hinterlassen.<br />
Die Grenzen der heutigen Bundesländer,<br />
der Regierungsbezirke und andere<br />
Verwaltungsgrenzen sind oft solche,<br />
die im Zuge der Säkularisierung und<br />
Mediatisierung entstanden sind.<br />
Das oft komplex wirkende Aushandeln<br />
von Interessen durch die betroffenen<br />
Gebietskörperschaften, Verbände<br />
und berufliche Standesvertretungen<br />
in der Bundesrepublik Deutschland<br />
heute erinnert an Mechanismen, die<br />
eher dem Verfahrensweisen im Alten<br />
Reich ähneln als dem Ideal des bürokratisch-absolutistischen<br />
Staates des<br />
19. Jahrhunderts. Gleiches gilt für die<br />
Verfahrensweisen im militärischen<br />
Aufgabenspektrum des angebrochenen<br />
21. Jahrhunderts: Oft ist hier ein hochkomplexes<br />
Gefüge zwischen verbündeten<br />
Kontingenten, Teilstreitkräften,<br />
zivilen Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen<br />
zu berücksichtigen.<br />
Das Alte Reich ist tot, doch<br />
Spuren seiner Geschichte sind nach wie<br />
vor lebendig.<br />
Martin Rink und Harald Potempa<br />
agk-images<br />
In der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt (hier: Jena) wurde die sächsischpreußische<br />
Armee am 14. Oktober 1806 von Napoleon vernichtend geschlagen.<br />
Zeitgen. Lithographie.<br />
Literaturtipps:<br />
Axel Gotthard, Das Alte Reich 1495–1806, Darmstadt 20<strong>03</strong><br />
Peter Claus Hartmann, Das Heilige Römische Reich<br />
deutscher Nation in der Neuzeit 1486–1806, Stuttgart 2005<br />
Barbara Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich<br />
Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806,<br />
München <strong>2006</strong><br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
9
No dead bodies!<br />
Der moderne<br />
Krieg und<br />
die Anfänge<br />
der Kriegsberichterstattung<br />
No dead<br />
bodies!<br />
1855 im Krimkrieg: eine Gruppe<br />
britischer Soldaten des<br />
47. (Lancashire) Infanterieregiments<br />
in Winter ausrüstung,<br />
fotografiert von Roger Fenton.<br />
akg-images/Roger Fenton<br />
Der Krimkrieg von 1853 bis 1856<br />
gilt als erster mili tä ri scher Konflikt<br />
des Industrie zeit alters.<br />
Dampfbetriebene Kriegs schif fe, weitreichende<br />
Gewehre und Ge schütze<br />
mit Sprengmunition bestimmten seinen<br />
Verlauf. Modern an der Auseinandersetzung<br />
zwischen dem zaristischen<br />
Russland und den mit dem Osmanischen<br />
Reich verbündeten Westmächten<br />
Frankreich und Großbritannien<br />
war allerdings auch, dass die Öffentlichkeit<br />
in London und Paris erstmals<br />
zeitnah Nachrichten von der Front erhielt.<br />
Telegrafie und Fotografie bedienten<br />
im Zeitalter der Massenheere und<br />
des aufkommenden Nationalismus<br />
ein stetig wachsendes Interesse der Öffentlichkeit<br />
an der Kriegführung. Zu<br />
Hause wollte man nun wissen, wie es<br />
um die Söhne und Ehemänner im Felde<br />
stand.<br />
Kriegsberichterstatter<br />
auf der Krim<br />
Noch zu Beginn des Jahrhunderts hatte<br />
Arthur Wellesley, der Herzog von<br />
Wellington (1769–1852), befürchtet,<br />
der Feind könne aus der Presse Informationen<br />
über Stärke und Position seiner<br />
Armee gewinnen. Die Anwesenheit<br />
von Kriegsberichterstattern auf<br />
der Krim hätte jedoch auch der »Eiserne<br />
Herzog« kaum verhindern können.<br />
Der Bekannteste von ihnen war der Ire<br />
William Howard Russell (1821–1907),<br />
der im Auftrag der Londoner Tageszeitung<br />
The Times schrieb. Seine Berichte<br />
von den untragbaren Zuständen<br />
auf der umkämpften Halbinsel Krim<br />
im Winter 1854/55 sorgten in London<br />
für ein ungeahntes Aufsehen. Militärische<br />
Inkompetenz hatte zu schlechter<br />
Verpflegung, haarsträubenden hygienischen<br />
Verhältnissen und extrem hohen<br />
Krankenständen geführt. Auf den<br />
harten Winter vor der belagerten Festung<br />
Sewastopol war die britische Armee<br />
kaum vorbereitet. Als die Details<br />
in London bekannt wurden, richtete<br />
das Unterhaus nach heftigen Debatten<br />
einen Untersuchungsausschuss ein<br />
und Ende Januar 1855 wurde schließlich<br />
eine neue Regierung ernannt. Dank<br />
der Berichte Russells und anderer Korrespondenten<br />
war der Krieg nicht mehr<br />
länger eine Angelegenheit ausschließlich<br />
der Armee, des Kriegsministe riums<br />
und des Kabinetts, sondern Sache der<br />
ganzen Nation geworden.<br />
Dass Russell seine Berichte noch auf<br />
dem Seeweg nach London schickte, wo<br />
sie erst zwei oder drei Wochen später<br />
eintrafen, minderte kaum ihre Wirkung.<br />
Auch als die Telegrafenverbindung<br />
von der Krim nach Großbritannien<br />
im Frühjahr 1855 endlich zustande<br />
kam, verließ sich Russel weiter auf den<br />
traditionellen Postweg, der es ihm erlaubte,<br />
ausführlichere Berichte zu schicken.<br />
Eine Steigerung des Realismus in der<br />
jungen Kriegsberichterstattung versprach<br />
eine weitere technische Neuentwicklung:<br />
die Fotografie. Alexander<br />
Gardner (1821–1882), der bekannte Fotograf<br />
des Amerikanischen Bürgerkrieges,<br />
glaubte sogar, dass im Vergleich<br />
zu den sprachlichen Beschreibungen<br />
des Kriegsgeschehens die fotografischen<br />
Wiedergaben von der Nachwelt<br />
mit »zweifelsfreiem Vertrauen« aufgenommen<br />
würden.<br />
Vorerst erforderte die Technik jedoch<br />
noch eine minutenlange Belichtung,<br />
so dass bewegte Szenen und besonders<br />
Kampfaufnahmen sich nach wie<br />
vor der fotografischen Abbildung entzogen.<br />
Unter den ersten 15 Kriegsfotografen<br />
auf der Krim machte besonders<br />
der Brite Roger Fenton (1819–1869) von<br />
sich reden. Seine 360 Fotografien vom<br />
Geschehen vor Sewastopol fanden in<br />
Großbritannien die weiteste Verbreitung<br />
und prägten nachdrücklicher als<br />
jede Berichterstattung die Vorstellungen<br />
seiner Landsleute vom Krimkrieg.<br />
Doch die auf Glasplatten festgehaltenen<br />
Aufnahmen des ehemaligen Malers<br />
hatten wenig mit den Realitäten<br />
im Kampfgebiet zu tun. Unklar ist, ob<br />
Fenton tatsächlich vom britischen Königshaus<br />
mit der Auflage: »No dead<br />
bodies« auf die Krim geschickt wurde,<br />
um eine durch Russels Berichte irritierte<br />
Öffentlichkeit zu beruhigen. Vor allem<br />
die britische Oberschicht schätzte<br />
10 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Ein Bild aus dem<br />
Amerikanischen<br />
Bürgerkrieg:<br />
Alexander Gardner<br />
fotografierte nach<br />
der Schlacht bei Gettysburg<br />
im Juli 1863<br />
einen Gefallenen.<br />
akg-images/Alexander Gardner<br />
Fentons Aufnahmen in der bildästhetischen<br />
Tradition der früheren Genremalerei.<br />
Auf ihnen erschien der Krieg<br />
als ein gesellig-gemütliches Unternehmen,<br />
wobei geschickt hinzu arrangierte<br />
Krankenschwestern oder Soldatenfrauen<br />
beim Betrachter den Eindruck<br />
der völligen Harmlosigkeit der Szenerie<br />
hervorriefen. Daher galt der Krimkrieg<br />
in Großbritannien schon bald nur<br />
noch als »Picknick War«. Couragiertere<br />
Fotografen erreichten mit ihren Aufnahmen<br />
der zerschossenen Sewastopoler<br />
Befestigungen längst nicht Fentons<br />
Wirkung.<br />
Im Amerikanischen Bürgerkrieg<br />
Während Fenton seinem Publikum allenfalls<br />
Bilder der Gräber gefallener Offiziere<br />
zugemutet hatte, wagte der Amerikaner<br />
Mathew B. Brady (1823–1896)<br />
im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–<br />
1865) erstmals die Leichen der Gefallenen<br />
unmittelbar auf dem Schlachtfeld<br />
aufzunehmen. Die Toten der Schlachten<br />
von Antietam (17. September 1862)<br />
und Gettysburg (1. bis 3. Juli 1863) waren<br />
ein Meilenstein der realistischen<br />
Kriegsfotografie. Das gewiss härter gesottene<br />
amerikanische Publikum interessierte<br />
sich jedoch kaum für Bradys<br />
schockierende Aufnahmen von aufgetriebenen<br />
und ausgeraubten Toten im<br />
Regen. Freilich gelangten seine Kriegsfotografien<br />
vorerst auch nicht auf dem<br />
direkten Wege zu den Lesern der neuen<br />
Illustrierten Zeitungen wie Harper’s<br />
Weekly oder The Illustrated London News.<br />
Zur drucktechnischen Vervielfältigung<br />
mussten die Fotografien anfangs noch<br />
aufwendig zu Holzstichen umgearbeitet<br />
werden. Dieser Umweg entfiel erst<br />
1881 mit der Erfindung des Verfahrens<br />
der Autotypie (Netzätzung).<br />
Trotz dieser Beschränkungen kann<br />
der Amerikanische Bürgerkrieg als erster<br />
Medienkrieg angesehen werden. Damals<br />
standen sich Truppen der Nordstaaten<br />
(Union) und der abgespaltenen<br />
Südstaaten (Konföderierte) gegenüber.<br />
Mehr als 500 Kriegsreporter waren<br />
zeitweise im Einsatz und belieferten<br />
die Zeitungen mit oft übertriebenen<br />
oder sogar erfundenen Berichten. Im<br />
Sommer 1864 meldete eine Zeitung die<br />
Einnahme von Atlanta durch Unionstruppen<br />
schon fünf Tage vor dem tatsächlichen<br />
Beginn des Kampfes um<br />
die Stadt. Im Kriegsgebiet oft ganz auf<br />
sich allein gestellt, schlossen sich viele<br />
Korrespondenten schließlich zu einem<br />
eigenen Verband zusammen, den sie<br />
ironisch die »Bohemian Brigade« nannten.<br />
Während es vom Krimkrieg vielleicht<br />
einige tausend Aufnahmen gab,<br />
wuchs nun die Zahl der Kriegsfotografien<br />
auf über eine Million. Mit Zensurbestimmungen<br />
versuchte der Kriegsminister<br />
der Union Edwin M. Stanton<br />
(1814–1869) eine allzu realistische Darstellung<br />
des Kriegsgeschehens und vor<br />
allem die Veröffentlichung auch für<br />
den Feind wichtiger Details zu verhindern.<br />
Von ständig schlechten Nachrichten<br />
geplagt, schreckte er sogar vor<br />
Verhaftungen unbequemer Korrespondenten<br />
nicht zurück und sorgte vereinzelt<br />
auch höchstpersönlich für eine beschönigende<br />
Darstellung der Verluste<br />
bei den Unionstruppen.<br />
Der mit seinen Reportagen von der<br />
Krim berühmt gewordene Russell war<br />
1861 ebenfalls von der Londoner Times<br />
auf den Kriegsschauplatz geschickt<br />
worden, fiel aber durch seine nüchterne<br />
und schonungslose Analyse der<br />
Niederlage der Union bei Bull Run<br />
(21. Juli 1861) im Norden schnell in Ungnade.<br />
Da sich zudem sein Londoner<br />
Chefredakteur John Thadeus Delane<br />
(1817–1879) offen für die Konföderation<br />
erklärt hatte, musste der Ire die Vereinigten<br />
Staaten vorzeitig verlassen.<br />
Europäische Schlachtfelder<br />
Anders als vom Amerikanischen Bürgerkrieg<br />
gingen von den Deutschen Einigungskriegen<br />
der Jahre 1864 bis 1871<br />
kaum neue Impulse für die Kriegsfotografie<br />
aus. Fotografen und Kriegsberichterstatter<br />
auf preußisch-deutscher<br />
Seite standen unter strenger Kontrolle<br />
des Militärs. Die wenigen am Krieg von<br />
1864 beteiligten Fotografen handelten<br />
im Auftrag der Armee. Hohe Investitionen<br />
für eine fototechnische Ausstat-<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
11
No dead bodies!<br />
tung und die geringen Möglichkeiten,<br />
die Aufnahmen zu verbreiten, engten<br />
den Kreis der Kriegsfotografen ohnehin<br />
stark ein.<br />
Auf eigene Rechnung begleitete der<br />
Flensburger Fotograf Friedrich Brandt<br />
(1823–1891) als einer von vier »Lichtbildnern«<br />
das preußisch-österreichische<br />
Expeditionskorps auf die Schlachtfelder<br />
nach Schleswig. Ganz in Fentons<br />
Stil lieferte er Aufnahmen der Düppeler<br />
Schanzen nach ihrer Erstürmung<br />
oder Fotos der von den Dänen geräumten<br />
Festung Fredericia, dazu inszenierte<br />
Gruppenaufnahmen siegreicher<br />
Kämpfer. Doch nirgendwo finden sich<br />
auf den Aufnahmen Hinweise auf die<br />
7500 Toten des Deutsch-Dänischen<br />
Krieges von 1864.<br />
Dagegen war der Deutsch-Französische<br />
Krieg 1870/71 für die Entwicklung<br />
der Kriegsberichterstattung von<br />
großer Bedeutung. Otto von Bismarck<br />
versorgte über eine eigene Pressestelle<br />
die regierungsfreundlichen Zeitungen<br />
in Norddeutschland regelmäßig mit<br />
Kriegsnachrichten. Auf besondere Einladung<br />
Preußens begleitete wiederum<br />
Russell die deutschen Armeen auf ihrem<br />
Vormarsch nach Paris. Frankreich<br />
hatte den Einsatz von ausländischen<br />
Kriegskorrespondenten anfangs abgelehnt,<br />
während Bismarck die Anwesenheit<br />
von britischen Kriegsberichterstattern<br />
im eigenen Lager sehr begrüßte.<br />
Mit Blick auf die öffentliche Meinung<br />
in Großbritannien und in den Vereinigten<br />
Staaten konnte es nach Ansicht<br />
des damaligen Kanzlers des Norddeutschen<br />
Bundes für Preußen nur von Vorteil<br />
sein, wenn ihre beiden einflussreichsten<br />
Zeitungen über die Erfolge<br />
seiner Armeen berichteten. Genau dies<br />
befürchtete aber die britische Regierung.<br />
Zu strikter Neutralität entschlossen,<br />
wollte sie nach der französischen<br />
Weigerung zunächst überhaupt keine<br />
Korrespondenten ausreisen lassen. Erst<br />
die Intervention Delanes, des einflussreichen<br />
Chefredakteurs der Times, beseitigte<br />
dieses Hindernis.<br />
Doch nicht Russell avancierte diesmal<br />
zum Medienstar, sondern sein<br />
Konkurrent Archibald Forbes (1838 bis<br />
1900) von den Daily News. Der ehemalige<br />
Offizier der Royal Dragoons nutzte<br />
konsequent die technischen Möglichkeiten<br />
und konnte daher seine Berichte<br />
schneller als sein journalistisches Vorbild<br />
Russell in London präsentieren.<br />
akg-images/ George N. Barnard<br />
Der Amerikanische Bürgerkrieg traf die Zivilbevölkerung des Südens besonders<br />
hart; hier eine Aufnahme vom Capitol Hill auf die zerstörte Stadt Columbia in<br />
South Carolina im Jahr 1865, fotografiert von George N. Barnard.<br />
Während der Belagerung von Paris hatte<br />
Forbes mit der preußischen Armeeführung<br />
vereinbart, dass er seine Nachrichten<br />
an jeder beliebigen preußischen<br />
Poststation in der Umgebung der Stadt<br />
aufgeben könne, so dass sie ein Postzug<br />
noch am selben Tage nach Saarbrücken<br />
bringen konnte, wo ein sorgfältig instruierter<br />
Telegrafist für die sofortige<br />
Weiterleitung von Forbes´ Nachrichten<br />
nach London sorgte. So hatte der findige<br />
Brite sichergestellt, dass seine Nachrichten<br />
innerhalb von nur 24 Stunden<br />
in London eintrafen.<br />
Der bereits kriegserfahrene Amerikaner<br />
George W. Smalley (1833–1916)<br />
von der New York Tribune organisierte<br />
während des Krieges sogar die erste internationale<br />
Presseagentur. Die angeschlossenen<br />
Korrespondenten durften<br />
auch die Informationen anderer Kollegen<br />
benutzen, sofern sie selbst ihre Berichte<br />
dem Nachrichtenpool zur Verfügung<br />
stellten. Sämtliche Nachrichten<br />
wurden zunächst auf schnell stem<br />
Wege nach London telegrafiert, wo<br />
ein Redaktionsteam die verschiedenen<br />
Quellen zu vollständigen Beiträgen<br />
zusammensetzte. So erreichte die Meldung<br />
von der Schlacht von Grave lotte<br />
(18. August 1870) bereits zwei Tage<br />
später New York. Das Telegramm via<br />
Überseekabel hatte immerhin 5000 US-<br />
Dollar gekostet. Die Berichterstattung<br />
verlor jedoch an literarischer Qualität,<br />
wurde direkter und beschränkte sich<br />
zusehends auf das noch heute aktuelle<br />
Grundmuster des Wer – Wie – Wo<br />
– Wann – Warum.<br />
Auch die Zeitungen in Deutschland<br />
hatten Korrespondenten nach<br />
Frankreich entsandt. Für die Berliner<br />
National-Zeitung waren bis zu zehn<br />
Berichterstatter tätig und für die Kölnische<br />
Zeitung arbeitete der Schriftsteller<br />
Hans Wachenhusen (1827–1898),<br />
der sich schon 1854 als Kriegskorrespondent<br />
im Gefolge der osmanischen<br />
Armee an der Donau befunden hatte.<br />
Wie Russell hatte Wachenhusen seither<br />
über alle militärischen Konflikte in Europa<br />
berichtet und 1860 sogar den italienischen<br />
Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi<br />
(1807–1882) in Sizilien begleitet.<br />
Vier Jahre später, am 18. April 1864,<br />
beobachtete er mit einem Fernglas von<br />
einem Sicherungsturm aus den preußischen<br />
Sturm auf die Düppeler Schanzen.<br />
Auch der Publizist und Schriftsteller<br />
Gustav Freytag (1816–1895) reiste<br />
für seinen Grenzboten 1870 nach Frankreich<br />
und durfte sich dem Hauptquartier<br />
des preußischen Kronprinzen anschließen.<br />
Typisch für die damalige<br />
Berichterstattung war das freie und<br />
daher auch gefährliche Herumstreifen<br />
von Reportern im Kriegsgebiet. Korrespondenten<br />
wurden von der Gegenseite<br />
oft als Agenten angesehen und gefangen<br />
genommen. Das prominenteste<br />
Opfer war wohl der Schriftsteller Theodor<br />
Fontane (1819–1898), der als Kriegsberichterstatter<br />
am 5. Oktober 1870 bei<br />
Domrémy in französische Hände fiel.<br />
12 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
akg-images<br />
Theodor Fontane, Schriftsteller und<br />
Kriegsberichterstatter im Deutsch-<br />
Französischen Krieg 1870/71.<br />
Die Porträtaufnahme entstand um<br />
1874. In dieser Zeit erschien auch<br />
Fontanes zweibändiges Werk<br />
„Der Krieg gegen Frankreich 1870/71“.<br />
Schlimmer noch erging es einem Berichterstatter<br />
der Londoner Times, der<br />
am 1. September 1870 bei Douay von<br />
einer französischen Kugel tödlich getroffen<br />
wurde.<br />
Die Pariser Kommune<br />
und die Kriegsfotografie<br />
Die Niederschlagung der revolutionären<br />
Pariser Kommune vom 21. bis<br />
28. Mai 1871 eröffnete ein neues Kapitel<br />
der Kriegsfotografie. Aufnahmen von<br />
Tod und Zerstörung in den umkämpften<br />
Straßen wirkten zwar realistischer,<br />
doch ließen sie sich mehr noch als die<br />
geschönten Aufnahmen zur Propaganda<br />
missbrauchen. Kommunarden und<br />
übergelaufene Nationalgardisten ließen<br />
sich bereitwillig gemeinsam vor<br />
der umgestürzten Napoleon-Säule<br />
auf der Place Vendôme ablichten. Geschäftstüchtige<br />
Fotografen wie Bruno<br />
Braquehais (1823–1875) stellten sogar<br />
noch während der Kämpfe ihre Aufnahmen<br />
in den Schaufenstern der Pariser<br />
Schreibwarenhändler aus. Mit<br />
einem Gespür für die neuen Möglichkeiten<br />
der Selbstdarstellung posierten<br />
selbst Frauen mit ihren Kindern vor<br />
den Barrikaden, ohne allerdings zu ahnen,<br />
dass die Pariser Polizei später ihre<br />
Aufnahmen zu Ermittlungszwecken<br />
nutzen würde. Auch Bildmanipulationen<br />
zur politischen Propaganda kamen<br />
vor. Der Fotograf Ernest Eugène Appert<br />
(1830–1891), ein erklärter Gegner<br />
der »Commune«, stellte für seine elfteilige<br />
Bilderserie »Crimes de la Commune«<br />
einzelne Szenen des Aufstandes<br />
mit Hilfe von Schauspielern und Statisten<br />
nach. Seine Fotomontagen von Hinrichtungen<br />
durch die Kommunarden,<br />
die nie stattgefunden hatten, gelten sogar<br />
als bekannteste frühe Bildfälschungen.<br />
Schließlich verbot die Regierung<br />
1872 die Verbreitung von Aufnahmen<br />
der Ereignisse und Beteiligten des Aufstandes.<br />
Kein Krieg ohne Presse<br />
Nach ihren ersten erfolgreichen Ansätzen<br />
im Krimkrieg und im Amerikanischen<br />
Bürgerkrieg nahm die Kriegsberichterstattung<br />
bis zum Ersten Welt krieg<br />
mehr und mehr propagandistische<br />
Züge an. Bei Ausbruch des Krieges erließen<br />
alle Kriegsparteien sofort strikte<br />
Zensurbestimmungen für ihre Korrespondenten.<br />
So verschaffte sich die<br />
britische Regierung im Ursprungsland<br />
der Pressefreiheit durch den berüchtigten<br />
»Realm Act« vom 8. August 1914<br />
die Kontrolle über sämtliche ein- und<br />
ausgehenden Pressemeldungen vom<br />
Kontinent. Wer gegen den Act verstieß,<br />
konnte ohne Gerichtsverfahren<br />
inhaftiert werden. Das War Office<br />
Bureau sorgte dafür, dass Tatsachen<br />
propagandistisch entstellt<br />
oder verschwiegen wurden. Sogar<br />
völlig frei erfundene Berichte<br />
wurden veröffentlicht, wie<br />
etwa die über abgehackte Kinderhände<br />
im besetzten Belgien<br />
oder über eine deutsche<br />
Leichenverwertungsanstalt.<br />
Selbst weltbekannte Autoren<br />
wie H.G. Wells (1866–1946)<br />
zögerten damals nicht, das<br />
unglaubliche Gemetzel an<br />
der Westfront zu beschönigen.<br />
Er wisse, so beteuerte<br />
der Autor des Sience-Fiction-Romans<br />
»Krieg der<br />
Welten«, dass sein Risiko,<br />
von einer Kugel getroffen<br />
zu werden, unendlich<br />
geringer sei als<br />
die Gefährdung der<br />
Kampfmoral durch<br />
allzu grausame Bilder und übertriebene<br />
Ansichten. Mit der Realität des blutigen<br />
Grabenkrieges an der Westfront,<br />
dem Millionen von Soldaten zum Opfer<br />
fielen, hatte das jedoch nichts<br />
mehr zu tun. Wenn die Leute tatsächlich<br />
die Wahrheit wüssten, wäre der<br />
Krieg morgen schon beendet, bemerkte<br />
im Dezember 1917 der britische Premier<br />
David Lloyd George gegenüber<br />
einem befreundeten Zeitungsverleger.<br />
Immerhin bewirkte 1915 ein junger<br />
australischer Korrespondent mit<br />
seiner Berichterstattung den Abbruch<br />
des britischen Landungsunternehmens<br />
auf der osmanischen Halbinsel Gallipoli<br />
und sogar die Ablösung des verantwortlichen<br />
britischen Generals. Sein<br />
Name lautete Keith Murdoch; er war<br />
der Vater des »Medienzaren« Rupert<br />
Murdoch.<br />
Klaus-Jürgen Bremm<br />
Literaturtipps:<br />
Ute Daniel (Hrsg.), Augenzeugen.<br />
Kriegsbericht erstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert,<br />
Göttingen <strong>2006</strong><br />
Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder.<br />
Die Visualisierung des modernen Krieges,<br />
Paderborn 2004<br />
Die Titelseite der Abendausgabe der<br />
Vossischen Zeitung vom 31. August 1914<br />
mit Meldungen vom Kriegsgeschehen<br />
akg-images/Sammlung Archiv für Kunst & Geschichte<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
13
Deutsche Interessen im Kongo<br />
Deutsche<br />
Interessen im Kongo<br />
Offizier und Afrikaforscher Hermann von Wissmann verhandelt nach Anlegung eines Stützpunktes (Station Mkwadji) mit<br />
den um die »Schauri« (Palaverhütte) versammelten Eingeborenen.<br />
pa/akg<br />
Das neu errichtete Deutsche<br />
Reich meldete ab 1871 bei der<br />
Aufteilung Afrikas in Kolonialgebiete<br />
zunehmend seine »Rechte« an.<br />
Deutsche Missionare, Wissenschaftler<br />
und Reisende waren schon seit der Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts an der Erschließung<br />
des »schwarzen Kontinents«<br />
be teiligt. Der Kaiser und die Reichsregierung<br />
suchten deren Aktivitäten zu<br />
kontrollieren. Als klare wirtschaftliche<br />
Interessen erkennbar wurden, griffen<br />
beide lenkend ein, insbesondere im<br />
Kongobecken. Obwohl für das Deutsche<br />
Reich die Bedeutung kolonialer<br />
Erwerbungen bis zum Ersten Weltkrieg<br />
im Vergleich zu anderen Mächten gering<br />
blieb, beschäftigten die Vorgänge<br />
in Afrika die deutsche Öffentlichkeit in<br />
starkem Maße.<br />
Die Deutsche Afrikanische<br />
Gesellschaft<br />
Erst zwischen 1874 und 1877 wurde das<br />
Kongobecken von dem britisch-amerikanischen<br />
Journalisten Henry M. Stanley<br />
(1841–1904) erforscht und von 1878<br />
bis 1884 teilweise erschlossen. Auf dieses<br />
Gebiet richteten sich große Erwartungen<br />
auf reiche Rohstoffvorkommen<br />
und tropische Produkte. Von 1874 an<br />
erkundete der deutsche Geograph Paul<br />
Pogge (1838–1884) gleichzeitig den<br />
Südwestteil des Landes. 1876 gründete<br />
König Leopold II. von Belgien eine Internationale<br />
Afrikanische Gesellschaft<br />
(Association Internationale Africaine),<br />
die das Kongobecken »im internationalen<br />
Interesse« und »nach europäischen<br />
Zivilisationsstandards« nutzbar<br />
machen sollte. Als deutsche Sektion<br />
bildete sich die Deutsche Afrikanische<br />
Gesellschaft (DAG). Sie war besonders<br />
aktiv und stellte mit Professor Eduard<br />
Pechuel-Loesche (1840–1913) in dieser<br />
Zeit der Erschließung Stanleys Stellvertreter.<br />
Mit den zahlreichen Reisenden<br />
der DAG begann 1878 eine regelrechte<br />
»deutsche Erforschungsphase« des<br />
noch unerschlossenen zentralafrikanischen<br />
Gebiets. Reichskanzler Otto von<br />
Bismarck unterstützte die DAG und<br />
ihre Expeditionen mittels seines »Afrikafonds«,<br />
um dem Deutschen Reich gebührenden<br />
Einfluss in Zentralafrika zu<br />
verschaffen. Zusammen mit dem französischen<br />
Regierungschef Jules Ferry<br />
förderte Bismarck König Leopolds<br />
Pro jekt, das sich schließlich 1884 zum<br />
»Kongo-Freistaat« (État Indépendant<br />
du Congo) entwickelte.<br />
Die Berliner »Kongokonferenz«<br />
1884/85<br />
Der deutsche Reichskanzler verband<br />
mit der Einflussnahme in Afrika weitere<br />
Interessen: Eine gemeinsame Politik<br />
mit Frankreich im Fall des Kongo kam<br />
seiner Politik der Zähmung des westlichen<br />
Nachbarn entgegen, der »Revanche«<br />
für den verlorenen Deutsch-<br />
Französischen Krieg von 1870/71<br />
for derte. Als Portugal mit britischer<br />
Unterstützung die Mündung des Kongo<br />
unter Berufung auf die Entdeckung<br />
Ende des 15. Jahrhunderts als Besitz<br />
reklamierte, anberaumte Bismarck in<br />
Absprache mit Ferry eine »Kongokonferenz«<br />
der europäischen Mächte, des<br />
Osmanischen Reichs und der Vereinigten<br />
Staaten in Berlin (15. November<br />
1884 bis 26. Februar 1885). Großbritannien,<br />
das dank bilateraler Verträge mit<br />
Portugal als einzige Wirtschaftsmacht<br />
von der Abschottung des Kongobe-<br />
14 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Hermann von Wissmann<br />
pa/dpa<br />
Hermann von Wissmann wurde am 4. September<br />
1853 in Frankfurt/Oder geboren.<br />
Sein Vater war preußischer Regierungsrat.<br />
Wissmann besuchte die Berliner Kriegsschule<br />
und gehörte dem dortigen Kadettenkorps<br />
an. Ab 1874 studierte er an der Universität<br />
Rostock Naturwissenschaften, Geographie<br />
und Ethnologie. 1881/82 durchquerte er<br />
Äquatorialafrika von West nach Ost und erforschte<br />
von 1883 bis 1885 im Auftrag von<br />
König Leopold II. die spätere belgische Kolonie<br />
Kongo. Nach einer erneuten Reise durch<br />
Afrika 1886/87 baute Wissmann als Reichskommissar<br />
für Deutsch-Ostafrika zwischen<br />
1889 und 1891 eine Schutztruppe auf, mit der<br />
er die Küstenaraber und Sklavenhändler im<br />
Krieg um die Herrschaft im Lande besiegte.<br />
Für seine Verdienste wurde Wissmann vom<br />
deutschen Kaiser geadelt und zum Major befördert.<br />
1895/96 schickte er als Gouverneur<br />
Oberst Lothar von Trotha, der 1904 durch die<br />
Massakrierung der Herero in Deutsch-Südwestafrika<br />
bekannt werden sollte, auf Expedition<br />
ins Landesinnere und befriedete<br />
Deutsch-Ostafrika während einer neuen Krise<br />
durch Autorität und Diplomatie. 1896 kehrte<br />
Hermann von Wissmann aus gesundheitlichen<br />
Gründen nach Deutschland zurück. Er<br />
starb 1905 bei einem Jagdunfall.<br />
Bernhard Chiari<br />
ckens profitierte, gab angesichts der<br />
deutsch-französischen Koalition nach<br />
und gestand die Internationalisierung<br />
von Kongomündung und Kongostrom<br />
zu, ebenso wie die Übertragung der<br />
Landeshoheit und -verwaltung an den<br />
»internationalen« Kongo-Freistaat.<br />
Die Konferenz von Berlin gab ganz<br />
Afrika zur Kolonialisierung durch europäische<br />
Mächte frei und legte dafür die<br />
Regeln fest. Europäische Konflikte sollten<br />
möglichst nicht in Afrika fortgeführt<br />
werden (Art. 10 der »Kongoakte«). Darüber<br />
hinaus wurde ganz Zentralafrika,<br />
wenn die Interessen mehrerer Staaten<br />
aufeinander trafen, unbeschadet seiner<br />
politischen Aufteilung wirtschaftlich<br />
als »Kongo-Freihandelszone« für<br />
alle Teilnehmer des Kongresses geöffnet.<br />
Deutschland hatte zu diesem Zeitpunkt<br />
bereits in West-, Südwest- und<br />
Ostafrika Fuß gefasst und ließ sich<br />
dort Schutzgebiete international garantieren.<br />
Es machte seine Interessen<br />
allerdings nur mäßig geltend, da Bismarck<br />
– zu Recht, wie sich zeigen sollte<br />
– den Verwaltungs- und Sicherungsaufwand<br />
als unverhältnismäßig hoch<br />
einschätzte. Mit dem freien Zugang in<br />
ein Gebiet, in dem überwiegend andere<br />
Mächte die Kosten für Erschließung<br />
und Landfrieden trugen, war er dagegen<br />
überzeugt, »etwas Bedeutendes<br />
und Haltbares gemacht zu haben«.<br />
Deutsche Kongoforscher<br />
<br />
<br />
Die deutsche Mitbestimmung am Kongo<br />
ließ Bismarck durch Expeditionen<br />
der DAG demonstrieren, die er kontrollierte<br />
und bei Eigenmächtigkeiten<br />
fallen ließ. Von 1884 bis 1886 erforschten<br />
die Leutnante Richard Kund und<br />
Hans Tappenbeck sowie der Botaniker<br />
Richard Büttner den Kongo flussaufwärts.<br />
Die wichtigsten Unternehmungen<br />
verbinden sich aber mit dem<br />
Namen Hermann von Wissmann, der,<br />
nach ersten Expeditionen 1881/82, in<br />
den Jahren 1884/85 für den Kongo-Freistaat<br />
den Bereich des Kasai erforschte,<br />
wo er die Stadt Luluabourg (heute<br />
Kananga) gründete. Die besondere<br />
Bedeutung dieser mit dem deutschen<br />
Kronprinzen und Bismarck abgesprochenen<br />
Mission lag darin, dass sie trotz<br />
Beauftragung durch König Leopold<br />
unter der deutschen statt der kongolesischen<br />
Flagge erfolgte, um die Internationalität<br />
der Kongo-Unternehmungen<br />
zu demonstrieren. Als letzter bedeutender<br />
deutscher Kongoforscher führte<br />
nach Wissmanns Erkrankung der<br />
Stabsarzt Ludwig Wolf den Auftrag zu<br />
Ende. 1886/87 durchquerte Wissmann<br />
das Kongobecken ein weiteres Mal,<br />
diesmal, um Erkundigungen über die<br />
arabischen Sklavenhändler einzuholen.<br />
Sie waren die eigentlichen Machthaber<br />
Innerafrikas. Der belgische Major<br />
Francis de Dhanis beseitigte später<br />
deren Herrschaft, wobei Wissmann im<br />
deutschen Tanganjika/Njassa-Seengebiet<br />
die Operationen des Belgiers flankierte<br />
(1893).<br />
Machtverlust des<br />
Deutschen Reiches im Kongo<br />
Bereits zwei Wochen nach Abschluss<br />
der Kongokonferenz setzte sich in<br />
Frankreich die populäre »Revanchepartei«<br />
wieder durch. Sie wollte sich durch<br />
eine Politik unter dem Motto »vom<br />
Rhein zum Kongo« nicht ablenken lassen.<br />
Die »Boulanger-Krise« – der neu<br />
ernannte französische Kriegsminister<br />
Georges Boulanger trat als Befürworter<br />
<br />
<br />
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<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
15
Deutsche Interessen im Kongo<br />
eines Revanche-Kriegs gegen Deutschland<br />
auf –, mit der französische Nationalisten<br />
die Phase der Kongoharmonie<br />
beendeten, konnte dank der hastigen<br />
Ausrüstung der deutschen Armee mit<br />
einem (allerdings noch unausgereiften)<br />
Mehrlader, dem Gewehr 88, eingedämmt<br />
werden. Ohne den französischen<br />
Kooperationspartner war aber<br />
Bismarck nicht in der Lage zu verhindern,<br />
dass König Leopold den Kongo-<br />
Freistaat systematisch von den internationalen<br />
Bezügen abtrennte und in<br />
sein eigenes, privates Ausbeutungsobjekt<br />
umwandelte. Deutschlands afrikanischer<br />
Einfluss beschränkte sich bald<br />
auf die eigenen vier Schutzgebiete Kamerun,<br />
Togo, Deutsch-Südwestafrika<br />
und Deutsch-Ostafrika, deren geringe<br />
Bedeutung Bismarck nach dem Wiederaufleben<br />
militärischer Spannungen in<br />
Europa einem eifrigen Kolonialpublizisten<br />
gegenüber wie folgt umschrieb:<br />
»Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön<br />
[...] Aber hier liegt Russland und hier<br />
liegt Frankreich, und wir sind in der<br />
Mitte – das ist meine Karte von Afrika!«<br />
Aus dem Protest gegen die nicht<br />
ausreichend gewürdigte Mäßigung in<br />
Ostafrika und am Kongo entwickelte<br />
sich der chauvinistische »Alldeutsche<br />
Verband«, dessen Agitation die deutsche<br />
Politik in der Folge schwer belasten<br />
und schließlich mit in den Ersten<br />
Weltkrieg treiben sollte.<br />
Von der Kolonie Belgisch-Kongo<br />
bis in die Gegenwart<br />
Leopold II. schottete den Kongo-Freistaat<br />
derart gegen die Welt ab, dass die<br />
dort an der lokalen Bevölkerung begangenen<br />
Gräuel, die bis 1908 vermutlich<br />
bis zu zehn Millionen Einheimische<br />
das Leben kosteten, erst ab 1904<br />
in das öffentliche Bewusstsein traten.<br />
Askarikompanie in Deutsch-Ostafrika. Farbdruck nach Aquarell, aus: Deutschland<br />
in Waffen, Stuttgart u.a.: DVA [1913].<br />
Askaris: einheimische Soldaten Afrikas im Dienste der Kolonialmächte<br />
Askari ist ein an Arabisch und Persisch angelehntes bzw. dem Swahili entliehenes Wort und bedeutet<br />
»Soldat«. Es wurde für einheimische Soldaten verwendet, die in Ostafrika und im Mittleren<br />
Osten freiwillig den europäischen Kolonialmächten dienten. Der Begriff umfasste aber auch Polizisten<br />
und Wachleute im Allgemeinen.<br />
Ein herausragendes Beispiel für die Askaris waren jene 11 000 Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in<br />
Deutsch-Ostafrika unter dem Kommando des Offiziers Paul Erich von Lettow-Vorbeck trotz erheblicher<br />
numerischer Unterlegenheit vier Jahre lang ungeschlagen den Kolonialtruppen des Vereinigten<br />
Königreiches widerstanden.<br />
Während des Apartheidregimes in Südafrika wurden Rebellen, die durch die südafrikanische Armee<br />
zum Wechsel der Seiten bewegt werden konnten, Askaris genannt. Der gleiche Ausdruck war<br />
im Zweiten Weltkrieg für russische Überläufer gebräuchlich, die sich freiwillig der SS anschlossen.<br />
Dieter H. Kollmer<br />
Akg<br />
Der drohenden Re-Internationalisierung,<br />
die insbesondere in Großbritannien<br />
und Amerika gefordert wurde,<br />
kam Leopold durch Übertragung des<br />
Landes aus seinem Privatbesitz an das<br />
Königreich Belgien zuvor. Der diskreditierte<br />
Kongo-Freistaat wurde 1908<br />
in die Kolonie Belgisch-Kongo umgewandelt.<br />
In der Phase der Unsicherheit<br />
über das endgültige Schicksal des<br />
Kongo zeigte Deutschland ein gesteigertes<br />
Interesse an der Übernahme<br />
des Landes. Im Marokko-Kongo-Vertrag<br />
gelang es Deutschland 1911, eine<br />
Territorialverbindung von Kamerun<br />
zum Kongo zu schaffen. Die Rückführung<br />
des Kongo in die Internationalität<br />
misslang jedoch, zumal deutsch-britische<br />
Gespräche über die Aufteilung<br />
der portugiesischen Kolonien im Fall<br />
eines Staatsbankrotts die Vision des<br />
Projekts »Deutsch-Mittelafrika« erkennbar<br />
werden ließen, das die Alldeutschen<br />
propagierten. Die deutsche<br />
Wirtschaft äußerte sich in diesem Zusammenhang<br />
zurückhaltender. In der<br />
deutschen Kriegszieldebatte während<br />
des Ersten Weltkrieges galt die Übernahme<br />
des Kongo dann aber als selbstverständlich.<br />
Die Kriegszieldebatte wirkte sich allerdings<br />
kontraproduktiv aus, weil<br />
Belgien im Gegenzug Deutsch-Ostafrika<br />
angriff, um ein Faustpfand zu gewinnen.<br />
Die belgische Kongo-Armee<br />
(Force Publique) unterstützte die britischen<br />
und südafrikanischen Truppen<br />
bei den schweren Schlachten um das<br />
Deutsche Schutzgebiet. Der Militärkommandeur<br />
des Schutzgebietes, Paul<br />
Erich von Lettow-Vorbeck (1870–1964),<br />
wich mit seinen einheimischen Soldaten,<br />
den Askaris, aus. 1917/18 wurde<br />
der Kampf schließlich auf portugiesischem<br />
und britischem Kolonialboden<br />
fortgesetzt.<br />
Der Versailler Vertrag sprach Bel gien<br />
1919 die deutsch-ostafrikanischen, Residenturen<br />
genannten Verwaltungseinheiten<br />
Ruanda und Urundi als<br />
Mandatsgebiete zu. Umgekehrt sah<br />
die nationalsozialistische Kolonialplanung<br />
von 1940 bis 1943 konkret den<br />
Anschluss des Kongo an »Deutsch-Mittelafrika«<br />
vor. Gegen die USA, die sich<br />
ab 1942 in Belgisch-Kongo militärisch<br />
festsetzten, wäre die Annexion aber<br />
kaum durchsetzbar gewesen. Das kongolesische<br />
Uran war die Voraussetzung<br />
für den Bau der Atombombe, den die<br />
16 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Amerikaner bereits betrieben und unter<br />
keinen Umständen Hitler ermöglichen<br />
wollten.<br />
In das Bewusstsein der deutschen<br />
Öffentlichkeit rückte der Kongo nach<br />
1945 verstärkt in den 1960er Jahren, als<br />
der Deutsche Siegfried Müller, Söldner<br />
im kongolesischen Bürgerkrieg, von<br />
sich reden machte. Die Bundesrepublik<br />
Deutschland hat sich aus dem Kongo<br />
der Nachkolonialzeit und seinen<br />
Wirren weitgehend herausgehalten.<br />
Deutsche Beteiligungen an Nichtregierungsorganisationen,<br />
insbesondere<br />
an kirchlich-missionarischen (Franziskaner),<br />
bestanden schon in belgischer<br />
Zeit; es gab und gibt sie weiterhin im<br />
Bildungs- und Gesundheitswesen. Erst<br />
in letzter Zeit engagiert sich auch die<br />
Bundesregierung in der Demokratischen<br />
Republik Kongo. Im Jahr 20<strong>03</strong><br />
hat sie 13 Millionen Euro für zivile<br />
Projekte, 25 Millionen zur Demobilisierung<br />
und Reintegration von Kombattanten<br />
sowie fünf Millionen für die<br />
Krisenprävention bereitgestellt.<br />
Literaturtipps:<br />
Wolfgang Petter<br />
Bernhard Chiari und Dieter H. Kollmer,<br />
Wegweiser zur Geschichte: Demokratische Republik Kongo,<br />
Paderborn [u.a.] <strong>2006</strong><br />
Christian Bunnenberg, Der »Kongo-Müller«: Eine deutsche<br />
Söldnerkarriere Münster <strong>2006</strong> (= Europa – Übersee, Bd 19)<br />
pa/dpa<br />
Siegfried Müller (rechts) bei der<br />
Ausbildung einer multinationalen,<br />
weißen Söldnertruppe im September<br />
1964 im Militärlager Kamina in<br />
Katanga.<br />
»Kongo-Müller«:<br />
Eine deutsche Söldnerkarriere<br />
Im Herbst 1964 berichteten westdeutsche Zeitungen<br />
wiederholt über den Einsatz weißer<br />
Söldner im kongolesischen Bürgerkrieg. Der<br />
SPIEGEL meldete am 23. September, dass sich<br />
der Deutsche »Siegfried Müller […] Träger des<br />
Eisernen Kreuzes I. Klasse […] als einer der ersten<br />
für die weiße Söldnertruppe im Kongo« gemeldet<br />
habe. Schnell bekam der deutsche Söldneroffizier<br />
von der Presse einen Kriegsnamen verliehen:<br />
»Kongo-Müller«.<br />
Angeworben als »military technical assistance<br />
volunteers«, sich selbst als »Kongo-Freiwillige«<br />
bezeichnend, kämpften unter den vornehmlich<br />
aus Belgien, Großbritannien, Rhodesien und<br />
Südafrika rekrutierten modernen Landsknechten<br />
auch etwa drei Dutzend Deutsche auf Seiten<br />
der Zentralregierung gegen die »Simbas«<br />
(Löwen). Deren Anführer hatten 1964 im damaligen<br />
Stanleyville (Kisangani) die »Volksrepublik<br />
Kongo« ausgerufen und innerhalb weniger<br />
Wochen weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle<br />
gebracht. Von der ehemaligen Kolonialmacht<br />
Belgien und den Vereinigten Staaten unterstützt,<br />
koordinierten Ministerpräsident Moïse<br />
Tshombé und General Joseph Désiré Mobutu<br />
den Einsatz der weißen Söldner und der kongolesischen<br />
Nationalarmee. Der Auftrag: 300 Söldner<br />
sollten, eingeteilt in sechs »Kommandos«,<br />
Stanleyville zurückgewinnen.<br />
Am 9. September 1964 begann für die meisten<br />
Deutschen der Einsatz im »Kommando 52« – geführt<br />
von Hauptmann Müller. Referenz für die<br />
Übernahme des Kommandos war Müllers Lebenslauf:<br />
1920 im damals brandenburgischen<br />
Crossen an der Oder (heute Krosno Odrzańskie),<br />
trat er nach Hitlerjugend, Abitur und Reichsarbeitsdienst<br />
1939 in die Wehrmacht ein, kämpfte<br />
in Polen, Frankreich und zuletzt als Panzerjäger<br />
an der Ostfront. Als Oberfähnrich geriet er gegen<br />
Kriegsende schwer verwundet in amerikanische<br />
Gefangenschaft. 1948, ein Jahr nach seiner<br />
Entlassung, wurde Müller wieder Soldat<br />
– nun unter amerikanischem Kommando in einer<br />
aus Deutschen bestehenden »Labour Service<br />
Unit«, zuletzt eingesetzt als Zugführer einer<br />
Objektschutzeinheit im Dienstgrad Oberleutnant.<br />
Als 1956 eine Übernahme in die Bundeswehr<br />
scheiterte, räumte Müller gutbezahlt für<br />
eine britische Erdölfirma in der Sahara Minen<br />
des Afrikakorps. Inzwischen verheiratet und<br />
Vater einer Tochter, wanderte er 1962 nach Südafrika<br />
aus. Mit den ersten 38 Söldnern flog Müller<br />
1964 in den Kongo und wurde im Anschluss an<br />
einen ersten Einsatz zur Befreiung Albertvilles<br />
zum Hauptmann befördert.<br />
Aus der Provinzhauptstadt Coquilhatville (Mbandaka)<br />
sollte das »Kommando 52« über Ingende<br />
auf Boende vorstoßen und dadurch die Provinz<br />
Équatorial befreien. Müller urteilte später: »Die<br />
ist fast so groß wie die Bundesrepublik. Die habe<br />
ich mit meinen 40 Mann und vielleicht weiteren<br />
hundertfünfzig Mann Schwarzen erledigt. Die<br />
habe ich geschafft. Zehn Wochen.« Dieses »Erledigen«<br />
bedeutete, schnelle und tödliche Angriffe<br />
mit Jeeps, leichten Radpanzern, Mörsern, Maschinen-<br />
und Sturmgewehren durchzuführen.<br />
Rasch erwarben sich die Söldner durch ihr schonungsloses<br />
Vorgehen bei der Bevölkerung die<br />
Bezeichnung »Les Affreux« (Die Schrecklichen).<br />
Im November 1964 wurde Müller Major und<br />
übernahm bis Mai 1965 die Söldnerbasis in Kamina.<br />
Müller beschrieb seinen Einsatz als Kampf<br />
gegen den Kommunismus und »für die Idee des<br />
Westens«. Die meisten Söldner lockte allerdings<br />
das Geld – 1500 Mark plus Gefahrenzulage.<br />
Kurzzeitig zurück in Deutschland, wurde Müller<br />
zu einem Politikum, nicht zuletzt durch zahlreiche<br />
Presseberichte und seine »Schnapsbeichte«,<br />
in der er unwissend und stark angetrunken<br />
einem Fernsehteam aus der DDR ein Interview<br />
gab. Filme und Bücher über »Kongo-Müller« und<br />
das auf Schallplatte gepresste Interview unterstützten<br />
in der Folge eine breit angelegte Propagandaaktion<br />
gegen die Bundesrepublik, die<br />
»als Handlanger des US-Imperialismus« bezeichnet<br />
wurde.<br />
Christian Bunnenberg<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
17
»Kriegsmaler« Hohly<br />
»Russland zu sympathisch<br />
gesehen,<br />
propagan distisch<br />
nicht verwertbar.«<br />
Der »Kriegsmaler«<br />
Richard Hohly<br />
Todesmarsch von Stalingrad, 1942/48<br />
Die Kriegsmalerei in der<br />
Wehrmacht<br />
Kunst war in der Geschichte selten<br />
frei; die Abhängigkeit des<br />
Künstlers von Auftraggebern<br />
und vom zeitlichen Kontext zog Grenzen<br />
des künstlerischen Gestaltungsanspruches.<br />
Diktaturen erkennen in<br />
der »freien« Kunst Kritik am politischen<br />
Herrschaftssystem und akzeptieren<br />
Kunst nur unter Kontrolle von<br />
enggesetzten weltanschaulichen Normen.<br />
Für autoritäre und totalitäre Staaten,<br />
und dies galt insbesondere für das<br />
NS-Regime, geht es deshalb nicht um<br />
Sinn und Eigenständigkeit von Kunst,<br />
sondern primär um deren Zweckgebundenheit;<br />
Kunst unterliegt der Ideologisierung,<br />
wird manipuliert und als<br />
Werkzeug machtpolitischer Ideologien<br />
sowie als Mittel der Herrschaftsstabilisierung<br />
betrachtet.<br />
Dementsprechend wurde im Dritten<br />
Reich regimetreue Kunst staatlich gefördert<br />
und ihr die »entartete Kunst«<br />
gegenübergestellt. Staatliche Reglementierungs-<br />
und Repressionsmaßnahmen<br />
auf der Basis »völkischer«<br />
Kunst- und Kulturauffassung gingen<br />
Hand in Hand mit einer geistig-kulturellen<br />
»Selbstgleichschaltung« der<br />
Künstler.<br />
Der totale Staat des Dritten Reiches<br />
wollte auch kulturpolitisch nichts dem<br />
Zufall überlassen. Sein weltanschaulicher<br />
Machtanspruch erstreckte sich<br />
– maßgeblich gesteuert über die sogenannte<br />
Reichskulturkammer unter<br />
dem Vorsitz des Propagandaministers<br />
Joseph Goebbels – neben vielen anderen<br />
Bereichen auch auf die bildende<br />
Kunst, die ihren Beitrag zur »geistigen<br />
Mobilmachung« zu leisten hatte. Hierfür<br />
stand mit dem Mitteilungsblatt der<br />
RKdbK (Reichskammer der bildenden<br />
Künste) ein eigenes Publikationsorgan<br />
zur Verfügung.<br />
Für diese »geistige Mobilmachung«<br />
der Soldaten wurde im Frühjahr 1939<br />
unter der Leitung von Oberst Hasso von<br />
Wedel die Abteilung Wehrmachtpropaganda<br />
im Wehrmachtführungsstab<br />
des Oberkommandos der Wehrmacht<br />
(OKW/WPr) eingerichtet. Im Sommer<br />
1940 folgte die Schaffung einer zentralen<br />
Ausbildungsstätte in Form einer<br />
Propaganda-Ersatz-Abteilung in Potsdam.<br />
Dadurch sollte das im Rahmen<br />
der Vorbereitungen für das »Unternehmen<br />
Barbarossa« zusätzlich gewonnene<br />
Personal »geschult« werden. Während<br />
des Krieges wurde der Einsatz der<br />
Maler zentral aus Potsdam gelenkt; sie<br />
wurden einzeln oder in Gruppen für<br />
mehrere Monate in die Operationsgebiete<br />
der Wehrmacht kommandiert. Sie<br />
zogen mit Panzern oder Infanterie ins<br />
Gefecht, flogen Einsätze der Luftwaffe<br />
mit oder fuhren zur See. Ihre während<br />
des Kriegseinsatzes angefertigten Skizzen<br />
hatten sie in einem anschließenden<br />
Arbeitsurlaub zu vervollständigen und<br />
zu heroisierenden Schlachtengemälden<br />
auszugestalten. Die verfolgte Zielrichtung<br />
dieser Werke wurde 1940 treffend<br />
in der <strong>Zeitschrift</strong> Die Kunst im Dritten<br />
Reich formuliert:<br />
»Die Kunst, die das Kriegserlebnis<br />
unserer Generation würdig und gültig<br />
gestalten will [...] soll den Widerschein<br />
der Seele auf die Feuerbrände der<br />
Schlacht in sich tragen [...] mit der Bejahung<br />
des soldatischen Einsatzes und<br />
seiner letzten Steigerung im Opfer ein<br />
Sinnbild unserer Zeit schaffen [...] Das<br />
Auge des gestaltenden Künstlers sei<br />
berufen [...] die Macht des deutschen<br />
Soldatentums, die Entbehrungsbereitschaft<br />
der kämpfenden deutschen Nation<br />
in Waffen darzustellen, die tausend<br />
Zeugnisse der Tapferkeit und der<br />
Todesbereitschaft festzuhalten.«<br />
18 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Am 10. Juni 1940, gegen Ende des<br />
Frankreichfeldzuges, ordnete Goebbels<br />
an, »dass wohl die Härte, die Größe<br />
und das Opfervolle des Krieges gezeigt<br />
werden soll, dass aber eine übertrieben<br />
realistische Darstellung, die statt<br />
dessen nur das Grauen vor dem Kriege<br />
fördern könne, auf jeden Fall zu unterbleiben<br />
habe«. Angesichts der relativ<br />
geringen Verluste in diesem Krieg<br />
scheint seine Wunschvorstellung bereits<br />
auf die folgenden Kriege, Feldzüge<br />
und Schlachten im Osten Europas<br />
zu verweisen.<br />
Grundsätzlich war es aber ebenso<br />
erwünscht, dass in ruhigeren Zeiten<br />
durchaus auch Landschaftsbilder und<br />
Porträts gezeichnet werden sollten,<br />
wie im Februar 1940 die Propagandakompanien<br />
von der Wehrmachtpropagandaabteilung<br />
angewiesen wurden.<br />
Die Zielrichtung war eine doppelte:<br />
Einerseits sollte – wie 1942 formuliert<br />
wurde – damit erreicht werden, dass<br />
die Kriegsmalerei »der Mitwelt den<br />
Kriegsraum vor Augen führt, den heute<br />
die deutschen Waffen beherrschen«,<br />
andererseits erhoffte man sich eine<br />
ideologisierte Motivation der Soldaten,<br />
insbesondere der Soldaten der Waffen-<br />
SS, die damit ein »Sinnbild« ihres gemeinsamen<br />
Erlebens, der Treue und<br />
Kameradschaft vermittelt bekommen<br />
sollten. Diese erste Zielsetzung wurde<br />
jedoch aufgrund des sich zu weit vom<br />
militärischen Raum entfernenden Sujets<br />
(Landschaftsbilder) allmählich zugunsten<br />
der rein an der ursprünglichen<br />
Absicht ausgerichteten genuinen<br />
Kriegsdarstellung in nationalsozialistischem<br />
Sinne zurückgedrängt. Demnach<br />
galt es für die Kriegsmalerei, »die<br />
großen und entscheidenden Aufgaben<br />
der Soldaten« – d.h. das Gefecht – propagandistisch<br />
zu unterstützen.<br />
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
wurden gemäß dem Potsdamer<br />
Abkommen 1947 über 8000 der angefertigten<br />
Werke in die USA verschifft.<br />
1985 wurde ein Teil von ihnen – etliche<br />
der NS-Bilder hingen jahrzehntelang<br />
in den Büros des Pentagon – als »German-War-Art-Collection«,<br />
d.h. Kriegsund<br />
Nazikunst aus Deutschland, an die<br />
Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben.<br />
Wenngleich beim Gesamtkomplex<br />
Wehrmacht, Zweiter Weltkrieg und<br />
Kriegsmalerei generell der Aussage<br />
zuzustimmen ist, dass »die während<br />
Richard Hohly, 1930<br />
des Zweiten Weltkrieges geschaffenen<br />
Stücke Bestandteil einer nach innen gerichteten<br />
geistigen Kriegführung« waren,<br />
»die mit dem Herausstellen der<br />
Leistungen deutscher Soldaten die<br />
Kampfmoral stützen sollten«, so gilt es<br />
andererseits darauf zu verweisen, dass<br />
es Beispiele von »Kriegsmalern« gab,<br />
die mit ihren geschaffen Werken genau<br />
diese Zielsetzung unterliefen.<br />
Der Maler Richard Hohly<br />
Löwenstein, 1978<br />
Einer dieser »Kriegsmaler« war der<br />
1902 in der kleinen württembergischen<br />
Bergstadt Löwenstein geborene<br />
Richard Hohly, dessen Vorfahren sich<br />
bis auf einen General Hohly zurückführen<br />
lassen, der sich im 15. Jahrhundert<br />
im Umfeld des böhmischen Reformators<br />
Jan Hus bewegte. Die alte, 1287<br />
von Rudolf von Habsburg zur Stadt erhobene<br />
Ortschaft Löwenstein, die bewaldeten<br />
Höhenzüge, die verfallene<br />
Burgruine, das nahe gelegene Zisterzienser-Nonnenkloster<br />
Lichtenstern<br />
und das alte Schloss auf dem schmalen<br />
Vorsprung der Löwensteiner Berge<br />
erzeugten in dem jungen Künstler<br />
eine sein künstlerisches Schaffen prägende<br />
Erfahrungs(um)welt: eine Mischung<br />
aus »Burgromantik, altbürgerlichen<br />
Kleinstadtverhältnissen und<br />
einer überaus wild-schönen, unzerstörten,<br />
gesunden Landschaft«, die eine lebenslange<br />
mentale Verbundenheit mit<br />
seiner Heimat schuf.<br />
Im Zuge seiner Lehr- und Wanderjahre<br />
kam Hohly 1930 in Kontakt mit Edvard<br />
Munch sowie den Farbenlehren<br />
von Johann Wolfgang von Goethes und<br />
Rudolf Steiners. Die Werke des Kunstlehrers<br />
und Malers Richard Hohly<br />
standen bereits seit 1936 auf der Liste<br />
der »entarteten Kunst«, dennoch wurde<br />
Hohly am 12. November 1941 nach<br />
bereits erfolgter Einziehung zum Zoll<br />
in Ludwigsburg durch ein Telegramm<br />
nach Potsdam beordert. Ohne sein Wissen<br />
hatte seine Ehefrau über verwandtschaftliche<br />
Beziehungen zu Oberst von<br />
Wedel dafür gesorgt. Unter dessen<br />
Schutz sollte Hohly in einem Lehrgang<br />
zum sogenannten Wehrmachtspropagandisten<br />
ausgebildet werden.<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
19
»Kriegsmaler« Hohly<br />
Stellungen vor Stalingrad, 1942<br />
Anfang Juli 1942 erhielt Hohly als<br />
»Kriegsmaler Sonderführer« (im Rang<br />
eines Leutnants) seinen Einsatzbefehl<br />
nach Charkow (Ukraine), wo er den<br />
Auftrag erhielt, im eroberten Gebiet<br />
Land und Leute zu studieren sowie Soldaten<br />
und Eroberungszüge in Skizzen<br />
festzuhalten. Diese sollten die Grundlage<br />
für künstlerisch verarbeitete, idealisierte<br />
Schlachtengemälde bilden.<br />
Für die Soldaten und Offiziere waren<br />
die Kriegsmaler aber nur unmilitärische<br />
Anhängsel, die unnötigerweise in<br />
den ohnehin nicht ausreichenden Fahrzeugen<br />
Platz wegnahmen und störten.<br />
Darüber hinaus wurde Hohly von den<br />
Soldaten beinahe durchweg als »Verrückter«<br />
eingestuft, wenn er sich mit<br />
seinem Malzeug auf den Schlachtfeldern<br />
bewegte.<br />
Versunken in seine Wahrnehmung<br />
der Landschaften, wurde Hohly von<br />
seiner Einheit sogar einmal vergessen.<br />
Ein Offizier einer anderen Einheit nahm<br />
ihn mit; er brachte ihn zu General Bruno<br />
Ritter von Hauenschild, dem Kommandeur<br />
der 24. Panzerdivision. Dieser<br />
war sichtlich darüber erfreut, nun<br />
einen »eigenen Kriegsberichterstatter«<br />
zu haben. Er stellte Hohly ein Fahrzeug<br />
mit Chauffeur zur Verfügung, verlangte<br />
aber auch, dass der Maler bei den<br />
Angriffen seiner Division mitfuhr: »Sie<br />
schließen sich dem Nachrichten-Offizier<br />
an; das ist derjenige, der bei einem<br />
Angriff hinter dem Panzer des Kommandeurs<br />
fährt«, was zweimal geschah<br />
und Hohly wider Willen beinahe das<br />
Eiserne Kreuz einbrachte.<br />
Nachdem Hohly von seiner Einheit<br />
wieder ausfindig gemacht worden war,<br />
wurde ihm am 29. Oktober 1942 mitgeteilt,<br />
dass er »um eine Ordnungsstrafe<br />
verpasst zu bekommen [...] wegen<br />
völlig unmilitärischen Verhaltens sofort<br />
zurückzuverfügen« sei, entweder<br />
zum Sitz des Armeeoberkommandos<br />
oder zur Kompaniestelle nach Charkow.<br />
Über die Zwischenstation Charkow<br />
wurde Hohly gleich weiterkommandiert<br />
– zurück nach Potsdam. Dort<br />
gab er seine ca. 50 Studien ab, die negativ<br />
beurteilt und bis zur vorgesehenen<br />
Vernichtung in den Keller verbannt<br />
wurden. Im Zuge eines angeordneten<br />
Arbeitsurlaubes sollte Hohly seine<br />
Kriegseindrücke komplett neu- und<br />
nach den vorgegebenen Gesichtspunkten<br />
überarbeiten, was allerdings nie geschah.<br />
Im März 1943 wurde Hohly nach<br />
Paris kommandiert. Vor seiner Abreise<br />
konnte er die abgegebenen Skizzen<br />
und Malstudien wieder in seinen Besitz<br />
bringen, so dass sie den Krieg unbeschadet<br />
überstanden.<br />
Das Kriegsende erlebte Hohly nach<br />
den »Irrungen und Wirrungen« des<br />
sich auflösenden Deutschen Reiches in<br />
Bietigheim, wo er sich ein letztes Mal<br />
in Uniform beim französischen Stadtkommandanten<br />
meldete. Der bis zu Beginn<br />
der 1980er Jahre weiter malende<br />
Künstler erhielt 1978 für sein umfangreiches<br />
künstlerisches Lebenswerk der<br />
Nachkriegszeit den Verdienstorden des<br />
Landes Baden-Württemberg. Er starb<br />
am 11. April 1995 und wurde in seiner<br />
Heimatstadt Löwenstein auf dem Bergfriedhof<br />
beigesetzt.<br />
Das Werk des<br />
»Kriegsmalers« Hohly<br />
Der Grund für die vernichtende Kritik<br />
übergeordneter Stellen war evident:<br />
Weder die von Hohly skizzierte<br />
Bevölkerung noch die deutschen Soldaten<br />
und die dargestellten Kampfhandlungen<br />
entsprachen den von der<br />
Wehrmachtführung auf der Grundlage<br />
»arischer Überlegenheit« gegenüber<br />
den als »slawischen Untermenschen«<br />
eingestuften Völkern im Osten<br />
Europas geforderten ideologischen<br />
NS-Kunstdarstellungen. Sie konnten<br />
daher in keiner Hinsicht propagandistisch<br />
verwertet werden. Seine 1942 angefertigten<br />
Bilder zeigen, wie zahlreiche<br />
andere angefertigte Studien, seine<br />
besondere Wahrnehmung der Bevölkerung<br />
in den eroberten Gebieten: Mit<br />
den vorrückenden deutschen Truppen<br />
nahm Hohly immer mehr neue Eindrücke<br />
von dem eroberten Land auf, die<br />
er in seiner Autobiographie beschrieb<br />
und in seinen Bildern festhielt: fruchtbare<br />
Landschaften mit blühenden Wiesen<br />
und riesigen Sonnenblumenfeldern,<br />
Dörfer mit blau angestrichenen<br />
Kirchen, friedliche und vertrauensselige<br />
Menschen mit stolzer Zurückhaltung.<br />
Ukrainischer Bürgermeister, 1942<br />
20 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Alte Russin mit Kind, 1942<br />
Insbesondere die in fast allen Bauernhäusern<br />
gefundenen Ikonen und die<br />
Beobachtung, dass russische Flüchtlinge<br />
in ihrem Unterschlupf zuerst das orthodoxe<br />
Kreuz aufstellten, zeigten ihm,<br />
dass das Christentum durch die stalinistische<br />
Herrschaft noch nicht vollständig<br />
ausgerottet worden war.<br />
Hohly konnte in diesen Menschen<br />
nicht den »slawischen Untermenschen«<br />
erkennen. Für ihn waren sie<br />
einfache, christlich-orthodox geprägte<br />
Bauern; deshalb zeichnete und malte<br />
er sie als das, wofür er sie ansah – als<br />
Menschen.<br />
Besonders beeindruckend wirkten<br />
auf Hohly auch die unvergessenen<br />
Sonnenuntergänge in der Steppe und<br />
die Nächte unter einem tiefblauen, mit<br />
Sternen übersäten Himmel in der unermesslichen<br />
Weite des Kosmos.<br />
Seine Bilder zeigten den Tod in fremder<br />
Erde als ausdruckslos und sinnlos<br />
im Gegensatz zu der verklärenden<br />
Darstellung toter Wehrmachtssoldaten<br />
durch die offizielle Kriegsmalerei,<br />
die den Gefallenen meist als schlafenden<br />
Jüngling oder heroisch im Kampf<br />
sterbenden Frontkämpfer stilisierte.<br />
Auch das in den Grundzügen 1942/43<br />
entstandene und 1948 vollendete, eindrucksvolle<br />
Gemälde »Todesmarsch<br />
von Stalingrad« begreift den Zug zehntausender<br />
deutscher Soldaten der 6. Armee<br />
nach der Schlacht um Stalingrad in<br />
die sowjetische Gefangenschaft als einen<br />
kalten kontur- und hoffnungslosen,<br />
stets anklagenden Todesmarsch.<br />
Dieses wichtige Werk deutscher Kriegsmalerei<br />
befindet sich heute im Wehrgeschichtlichen<br />
Museum in Rastatt.<br />
Im März 1943 wurde Hohly nach<br />
Paris kommandiert, wo er nicht mehr<br />
als offizieller Kriegsmaler, sondern im<br />
Nachrichtendienst eingesetzt war. Hier<br />
stand er auch in Kontakt mit Ernst Jünger,<br />
der als Hauptmann im Schutze von<br />
General der Infanterie Carl-Heinrich<br />
von Stülpnagel im Hotel Majestic in Paris<br />
stationiert war. Auch hier in Frankreich,<br />
wo er bis Ende 1944 blieb, malte<br />
Hohly weiter. So riss er, als ihn der<br />
»Drang nach malerischer Gestaltung«<br />
überkam und da er keine Leinwand<br />
besaß, ohne »Gewissensbisse« die auf<br />
dem Dach des Hotels Majestic wehende<br />
Hakenkreuzfahne ab und benutzte<br />
sie als Malfläche für sein Bild »Heimatlos«.<br />
Darin skizzierte Hohly einen<br />
schemenhaft erkennbaren Flüchtlingszug<br />
zum fernen, unbekannten Ort.<br />
Die durchschimmernde rote Farbe der<br />
Fahne ist noch immer deutlich auf dem<br />
Bild erkennbar.<br />
Resümee<br />
Ein Resümee über das Werk Hohlys<br />
im Kriege könnte daher zu folgendem<br />
Ergebnis kommen: Im Gegensatz zum<br />
offiziellen Auftrag der Darstellung aktionsgetragener<br />
Heroisierung, einer<br />
Apotheose des Kampfes, einer neuen,<br />
auf den Grundlagen nationalsozialistischer<br />
Weltanschauung aufbauenden<br />
sogenannten germanischen Kunstvorstellung,<br />
zeichnete Hohly – fundamental<br />
von diesem Auftrag abweichend –<br />
defensiv, einfühlsam und emphatisch.<br />
Dabei legte er den Blick frei auf die<br />
tiefere Wahrheit des von ihm als weiterhin<br />
dem christlichen Glauben verbunden<br />
eingestuften und wahrgenommenen<br />
russischen und ukrainischen<br />
Volkes sowie der im Vernichtungskrieg<br />
geschundenen Kreatur Mensch<br />
im 20. Jahrhundert.<br />
Hohly ist somit einer der ganz wenigen<br />
bekannten Beispiele für eine<br />
die offizielle »Leitkultur»« negierende<br />
Haltung. Sein bisher zu wenig beachtetes<br />
Oeuvre der Kriegszeit zeigt<br />
ihn als kritischen Geist in einer Zeit,<br />
in der nur unkritische Blicke ausgezeichnet<br />
wurden. Das gültige Urteil<br />
über seine Werke dieser Schaffensperiode<br />
erfuhr Hohly bereits aus dem Kreise<br />
seiner Kameraden, der »einfachen«<br />
Soldaten: »So ist es, genauso, wie Sie es<br />
malen. Und nicht so, wie es die Illustrierten<br />
publizieren.« Und damit wurde<br />
auch Hohlys Kunstverständnis verifiziert:<br />
danach gilt es – so schrieb er<br />
1972 – »das Lebensgefühl oder die Lebensauffassung<br />
seiner Zeitgenossen<br />
auf die künstlerische Form [zu] bringen,<br />
dass sie nicht nur Gleichschaltung<br />
gestaltet, sondern zukunftsweisend ist.<br />
Darin liegt das Unverstandensein des<br />
Schaffenden und das Vorbeileben seiner<br />
Zeitgenossen.«<br />
Eberhard Birk<br />
Heimatlos, 1943/46<br />
Literaturtipps:<br />
Dorothea Rapp, Richard Hohly. Leben und Werk, Stuttgart 1980<br />
Wolfgang Schmidt, »Maler an der Front«. Zur Rolle der<br />
Kriegsmalerei und Pressezeichner der Wehrmacht im Zweiten<br />
Weltkrieg. In: Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann<br />
(Hrsg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München<br />
1999, S. 635-684<br />
Bilder von Richard Hohly sind zu sehen in:<br />
»Felsengalerie«, Wobachstraße 49, 74321 Bietigheim<br />
Tel. Voranmeldung unter (07142) 5 16 69<br />
Abbildungen aus: Richard Hohly. Leben und Werk, Stuttgart 1980<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
21
Service<br />
Das historische Stichwort<br />
Am 23. Oktober 1956<br />
beginnt in Budapest der<br />
Volksaufstand. Demonstranten<br />
zerstören das<br />
Stalin-Denkmal als sichtbares<br />
Zeichen des alten<br />
Regimes.<br />
Volksaufstand<br />
in Ungarn 1956<br />
»Ungarisches Volk! Die Nationalregierung,<br />
erfüllt von tiefem Verantwortungsgefühl<br />
gegenüber dem ungarischen Volk<br />
und der Geschichte, erklärt die Neutralität<br />
der Ungarischen Volksrepublik ...«<br />
Mit diesen Worten verkündete der<br />
ungarische Ministerpräsident<br />
Imre Nagy (1896–1958) am 1. November<br />
1956 im Rundfunk den Austritt seines<br />
Landes aus der Warschauer Vertragsorganisation.<br />
Nur zwei Tage später<br />
kam es aufgrund sowjetischer Intervention<br />
zur Bildung einer Gegenregierung<br />
unter János Kádár (1912–1989), der bis<br />
dahin ordentliches Regierungsmitglied<br />
und Staatsminister gewesen war. Am<br />
4. November 1956 rückten fünf sowjetische<br />
Divisionen in Budapest ein, weitere<br />
Einheiten überschritten die ungarische<br />
Staatsgrenze noch am selben<br />
Tag. Hilferufe Nagys an die Westmächte<br />
und die Vereinten Nationen blieben<br />
ohne Erfolg. Am 12. November verkündete<br />
die staatliche Presse die Absetzung<br />
Imre Nagys, die Zusammensetzung<br />
der neuen Regierung unter Kádár<br />
wurde bestätigt. Nagy selbst wurde am<br />
22. November trotz gegenteiliger Zusicherung<br />
der Sowjets verhaftet, zunächst<br />
nach Rumänien deportiert und schließlich<br />
1958 in Budapest hingerichtet. Die<br />
Unruhen in Ungarn hielten jedoch bis<br />
in das Jahr 1957 an. Sie wurden schließlich<br />
von ungarischen Sicherheits- und<br />
sowjetischen Streitkräften blutig unterdrückt.<br />
Der Versuch, in Ungarn einen<br />
»Sozialismus mit menschlichem Antlitz«<br />
zu errichten, war gescheitert.<br />
Die Ungarn-Krise kam nicht aus heiterem<br />
Himmel. Nach dem Tod Josef Stalins<br />
(geb. 1878) am 5. März 1953 hatte<br />
sich die sowjetische Staatsführung von<br />
dessen Personenkult abgewandt und<br />
ein System der »kollektiven Führung«<br />
eingeführt. Diese politische Neuorientierung<br />
der Sowjetunion wurde auf andere<br />
Länder des sozialistischen Lagers<br />
übertragen. In Ungarn hatte bis dahin<br />
Mátyás Rákosi (1892 –1971) das Amt<br />
des Präsidenten des Ministerrates sowie<br />
des Generalsekretärs der Ungarischen<br />
Partei der Werktätigen (MDP) in<br />
seiner Person vereint. Aufgrund staatlicher<br />
Repressionen war Rákosi in der<br />
ungarischen Bevölkerung unbeliebt.<br />
Die Korrektur der politischen Richtlinien<br />
in der Sowjetunion machte auch im<br />
stalinistisch geprägten Ungarn eine Revision<br />
nötig. Im Juni 1953 wurde daher<br />
eine ungarische Delegation im Kreml<br />
empfangen. Sie erhielt detaillierte Anweisungen<br />
für einen politischen »Neuen<br />
Kurs«, der auf Repressionen und<br />
überspannte Wirtschaftspläne verzichten<br />
sollte. Zwar blieb Rákosi Generalsekretär<br />
der MDP, zum Ministerpräsidenten<br />
wurde jedoch Imre Nagy ernannt.<br />
Der Verzicht auf eine grundlegende<br />
personelle Neubesetzung der politischen<br />
Ämter hatte zur Folge, dass die<br />
Politik Imre Nagys von den Vertretern<br />
des alten Regimes untergraben wurde.<br />
Zwar beinhaltete der »Neue Kurs« wesentliche<br />
Reformen, wie beispielsweise<br />
die Abschaffung des Zwanges zur Kollektivierung<br />
in der Landwirtschaft sowie<br />
den Aufbau einer gewissen Rechtssicherheit,<br />
trotzdem häuften sich im<br />
Laufe des Jahres 1954 die Auseinandersetzungen<br />
mit dem von Rákosi dominierten<br />
Politischen Ausschuss. Imre<br />
Nagy sprach sich für eine »Machtteilung«<br />
im Staat aus, die einseitige Wechselwirkung<br />
zwischen kommunistischer<br />
Partei und Gesellschaft sollte überwunden<br />
werden. Aus diesem Grund wurde<br />
am 24. Oktober 1954 die Patriotische<br />
Volksfront neu gegründet, eine Massenorganisation<br />
von Parteilosen.<br />
Vor allem der daraufhin gegen den<br />
Ministerpräsidenten erhobene Vorwurf,<br />
nationalistische Politik zu betreiben,<br />
erweiterte sich zu der Grundsatzdiskussion,<br />
ob politisch lediglich die<br />
radikale Rechte oder aber auch die radikale<br />
Linke zu bekämpfen sei. Rákosi<br />
überzeugte die sowjetischen Parteiführer<br />
davon, dass die Politik Nagys eine<br />
Gefahr für alle sozialistischen Staaten<br />
darstelle. Am 18. April 1955 wurde<br />
Nagy vom Amt des Ministerpräsiden-<br />
22 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
ten entbunden, im Dezember 1955 sogar<br />
aus der Partei ausgeschlossen.<br />
Rákosi war in der Folge weder willens<br />
noch fähig, ernsthafte politische Reformen<br />
durchzuführen. Die zunächst noch<br />
parteiinterne Opposition zur von Rákosi<br />
forcierten stalinistischen Restauration<br />
erfasste im Frühjahr 1956 auch Angehörige<br />
der Intelligenz und gesellschaftlicher<br />
Organisationen. Hauptforum war<br />
seit März 1956 der sogenannte Petöfi-<br />
Kreis, ein lockerer Zusammenschluss<br />
von Studenten und Schriftstellern. Den<br />
kommunistischen Führern in der Sowjetunion<br />
blieb die breite gesellschaftliche<br />
Front gegen den ungarischen<br />
Regierungschef nicht verborgen. Das<br />
Präsidium der Kommunistischen Partei<br />
der Sowjetunion (KPdSU) beschloss<br />
daher in Folge der Entstalinisierungspolitik<br />
am 12. Juli 1956, dass Rákosi<br />
von allen politischen Ämtern zu entheben<br />
sei. Nachfolger wurde Ernö Gerö<br />
(1898–1980). Zwar rehabilitierte Gerö<br />
zahlreiche Opfer des Stalinismus, die<br />
innenpolitischen Probleme vermochte<br />
er jedoch nicht zu lösen.<br />
Vor dem Hintergrund der politischen<br />
Umwälzungen in Polen im Laufe des<br />
Oktobers 1956 kam es in Ungarn zu<br />
Sympathiekundgebungen, die anfangs<br />
noch solidarischen Charakter hatten,<br />
aber rasch eine Eigendynamik gewannen.<br />
Am 22. Oktober verabschiedeten<br />
Studenten der Budapester Technischen<br />
Universität eine 14-Punkte-Resolution,<br />
in der u.a. der Abzug der sowjetischen<br />
Truppen, Neuwahlen sowie eine neue<br />
Regierung unter Imre Nagy gefordert<br />
Die Niederschlagung des Volksaufstandes<br />
in Ungarn rief international tiefe<br />
Bestürzung hervor, ein militärisches<br />
Eingreifen wurde allerdings nicht gewagt.<br />
Zur Niederschlagung des Aufstandes werden sowjetische Truppen eingesetzt, die<br />
am 24. Oktober 1956 in Budapest einrücken<br />
wurden. Am 23. Oktober fand in Budapest<br />
eine Großdemonstration statt,<br />
die nach dem gewaltsamen Eingreifen<br />
von ungarischen Sicherheitskräften<br />
eskalierte. Das monumentale Stalin-Denkmal<br />
in Budapest wurde von<br />
den Demonstranten zerstört, es kam<br />
zu bewaffneten Zusammenstößen mit<br />
der Staatssicherheit. Imre Nagy, seit<br />
dem 13. Oktober wieder Mitglied der<br />
MDP, hatte zuvor versprochen, sich innerhalb<br />
der Partei für die Forderungen<br />
der Bevölkerung einzusetzen. Am gleichen<br />
Abend wurde er vom Zentralkomitee<br />
erneut zum Ministerpräsidenten<br />
berufen, gleichzeitig wurde aber eine<br />
bewaffnete Niederschlagung des als<br />
»Konterrevolution« gewerteten Aufstands<br />
der Bevölkerung mit Hilfe der<br />
in Ungarn stationierten sowjetischen<br />
Streitkräfte beschlossen.<br />
Bereits am 24. Oktober rückten erste<br />
sowjetische Einheiten in Budapest<br />
ein, stießen jedoch auf erbitterten Widerstand<br />
der Demonstranten. Überall<br />
in Ungarn kam es zu Widerstands- und<br />
Protestaktionen, die auch nach Beschwichtigungsversuchen<br />
Imre Nagys<br />
nicht eingestellt wurden. Die Auseinandersetzung<br />
zwischen Bevölkerung<br />
und Regierung gewann zunehmend<br />
den Charakter eines nationalen Kampfes<br />
des ungarischen Volkes gegen die<br />
sowjetischen Besatzer. Eine sowjetische<br />
Delegation, die die ungarische Regierung<br />
bei den Unruhen unterstützen<br />
sollte, sprach sich zunächst für eine<br />
friedliche Lösung des Konflikts durch<br />
die politische Gewinnung der Massen<br />
aus. Nagy setzte daraufhin am 30. Oktober<br />
die Wiedereinführung des Mehrparteiensystems<br />
durch, die MDP wurde<br />
aufgelöst und am 31. Oktober unter<br />
dem Namen MSZMP (Magyar Szocialista<br />
Munkáspárt) neugegründet. Spätestens<br />
die einen Tag später deklarierte<br />
Neutralität Ungarns wurde von der<br />
sowjetischen Parteiführung nicht mehr<br />
toleriert, es kam zur militärischen Intervention<br />
und zur Bildung einer sowjetisch<br />
gestützten Gegenregierung unter<br />
János Kádár, der vorher noch Mitglied<br />
der Regierung Nagy gewesen war. Die<br />
letzten größeren Kämpfe zwischen sowjetischen<br />
Truppen und Aufständischen<br />
endeten am 11. November 1956<br />
in Budapest. Insgesamt kostete die Ungarn-Krise<br />
mehr als 20 000 ungarischen<br />
Staatsangehörigen das Leben, mehr als<br />
200 000 Bürger verließen das Land aufgrund<br />
der im November 1956 einsetzenden<br />
politischen Verfolgungen und<br />
Säuberungen gen Westen.<br />
In den Vereinten Nationen boykottierte<br />
die Sowjetunion alle westlichen<br />
Initiativen in der Ungarn-Krise, so dass<br />
seitens der Westmächte lediglich humanitäre<br />
Hilfe geleistet wurde. Die internationale<br />
Entrüstung war groß, ein<br />
militärisches Eingreifen der Westmächte<br />
kam jedoch aufgrund der militärischen<br />
Lage in Europa nicht in Frage.<br />
Das Verhalten der USA in der Ungarn-<br />
Krise bedeutete faktisch die Abkehr der<br />
westlichen Supermacht von der aktiven<br />
Politik des »roll back« und die Anerkennung<br />
der sowjetischen Einflusssphäre<br />
in Osteuropa. Ungarn behielt<br />
im Ostblock dennoch eine gewisse Sonderstellung:<br />
Durch wirtschaftliche Reformen<br />
und dem daraus resultierenden<br />
»Gulaschkommunismus« konnte ein<br />
vergleichsweise hoher Lebensstandard<br />
der Bevölkerung garantiert werden.<br />
Julian-André Finke<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
23
Service<br />
Medien online/digital<br />
world wide web<br />
http://www.lebensgeschichten.net/<br />
Einzelschicksale<br />
Neben Museen und Sonderausstellungen<br />
sind es vor allen Dingen Gedenkstätten<br />
und Mahnmale, die den Zweiten<br />
Weltkrieg und den Holocaust in der<br />
öffentlichen Erinnerung in unserer Gesellschaft<br />
wach halten. Einen digitalen<br />
Einstieg in das Gedenken und Erinnern<br />
versucht ein Projekt des Arbeitskreises<br />
NS-Gedenkstätten NRW e.V. mit der<br />
Webseite »Das Lebensgeschichtliche<br />
Netz«. Die von Martin Rüther redaktionell<br />
bearbeitete Seite »ermöglicht aufschlussreiche<br />
Einblicke in die Geschichte<br />
der Jahre 1933 bis 1945« anhand von<br />
Einzelbiographien. Das »Netz« baut<br />
die Schicksale der vorgestellten Personen,<br />
die exemplarisch ausgewählt wurden,<br />
in die Geschichte des Nationalsozialismus<br />
ein, verknüpft die relevanten<br />
Themenbereiche und bietet dazu unterschiedliche<br />
Zugänge an.<br />
Momentan sind die Biographien<br />
von 28 Tätern und Opfern des Zweiten<br />
Weltkrieges auf der Seite zu finden.<br />
Die Lebensläufe einzelner Personen erleichtern<br />
den Zugang zur Zeit des Nationalsozialismus.<br />
Durch die Darstellung<br />
der Geschichte der Jüdin Käthe<br />
Stern, der einzigen Holocaust-Überlebenden<br />
von sieben Geschwistern, der<br />
1939 die Auswanderung gelungen war,<br />
oder des SS-Gruppenführers und Generalleutnants<br />
der Polizei Otto Schumann,<br />
des »Schreibtischtäters«, gelingt<br />
es, dem Betrachter ein vielseitiges Bild<br />
der Regimezeit zu vermitteln, wodurch<br />
diese für ihn »anschaulicher, nachvollziehbarer<br />
und verständlicher« wird.<br />
Über die vier Hauptmenüpunkte »Einstieg«,<br />
»Nachschlagen«, »Dialog« und<br />
»Die Idee«, welche die Unterkapitel<br />
enthalten, kann man durch die Seite<br />
navigieren. Durch einen Klick auf »Lebensgeschichten«<br />
öffnet sich eine Seite<br />
zur Vorauswahl. Hier lassen sich die<br />
gewünschten Personen nach alphabetischer<br />
Sortierung, nach den Geburtsjahrgängen<br />
und nach Orten aufrufen.<br />
Ist die gesuchte Person durch den entsprechenden<br />
Link ausgewählt, findet<br />
man im mittleren Fenster eine Kurzbiographie<br />
und unter dem Porträt im rechten<br />
Fenster kann man auf die jeweilige<br />
Lebensgeschichte zugreifen.<br />
In den einzelnen Biographien besteht<br />
nun die Möglichkeit, beliebig zwischen<br />
den Hauptinformationen, lexikalischen<br />
Begriffsdefinitionen, den zum chronologischen<br />
Zeitpunkt passenden Hintergrundinformationen<br />
und der Regionalgeschichte<br />
zu springen.<br />
Egal in welchem Kapitel man sich gerade<br />
auf der Seite befindet, man gelangt<br />
von überall durch einen Link in der oberen<br />
linken Ecke in die gewünschte Ebene<br />
und zurück auf die Hauptseite. Von<br />
»Geschichte« oder »Regionalgeschichte«<br />
aus bekommt man auch Zugriff auf<br />
chronologisch sortierte Informationen<br />
zur Welt- und Lokalgeschichte der Jahre<br />
1914 bis 1990. Besonderer Wert wird<br />
natürlich auf die NS-Zeit 1933 bis 1945<br />
gelegt. Jedoch hört die Geschichte der<br />
Opfer und Täter nicht immer und überall<br />
mit dem Kriegsende auf. Vielmehr<br />
zeigt auch hier das »Netz« in verknüpfender<br />
Art und Weise, wie politische<br />
oder wirtschaftliche Geschehnisse sich<br />
in den Einzelschicksalen niederschlagen.<br />
Besonders interessant sind die digitalisierten<br />
Originaldokumente, aus<br />
denen die biographischen Informationen<br />
zum Teil stammen. In diesen spiegelt<br />
sich dann nicht nur Authentizität<br />
der Aussagen wider, sondern dem Leser<br />
erscheinen die Personen realer und<br />
fassbarer. So ist die Notdienstverpflichtung,<br />
durch die der damals 15-jährige<br />
Henry Beissel im September 1944 zum<br />
Arbeitseinsatz am »Westwall« herangezogen<br />
wurde, in digitaler Form einsehbar;<br />
sie macht den Kriegsalltag anschaulicher.<br />
»Das Lebensgeschichtliche Netz« ist<br />
allerdings noch längst nicht fertig geknüpft.<br />
Interessenten sind aufgerufen,<br />
sich an dem Weiterbau und der Fortführung<br />
des Projektes zu beteiligen. Neben<br />
dem moderierten Forum, auf dem<br />
zur Kritik aufgerufen und um Beiträge<br />
gebeten wird, soll das Projekt eben<br />
auch um mehr Biographien erweitert<br />
und dadurch stärker vernetzt werden.<br />
Hierzu kann man sich direkt an die Redaktion<br />
wenden oder eine der beteiligten<br />
Einrichtungen kontaktieren.<br />
Vietnam<br />
Frühjahr 1968: Das militärische Engagement<br />
der USA dauerte bereits sieben<br />
Jahre an, 15 058 amerikanische Soldaten<br />
waren gefallen, weitere 109 527 verwundet<br />
worden. In den USA wurden<br />
die Stimmen derjenigen immer lauter,<br />
die die Beendigung des Krieges forderten.<br />
Am 25. April 1968 verließ der junge<br />
Gary Canant seine Frau Maxie, mit der<br />
er erst 18 Tage verheiratet war. Er wurde<br />
benötigt, um Kondolenzbriefe an<br />
die Angehörigen gefallener Soldaten<br />
zu schreiben. Mit seiner Frau hielt er<br />
die ganze Zeit bis zu seiner Rückkehr<br />
schriftlichen Kontakt. Der erste Brief an<br />
Maxie aus Vietnam stammt vom 7. Mai<br />
1968. Auf den Tag genau 38 Jahre später<br />
veröffentlichte Canant nun die Briefe<br />
an seine Frau im Internet. Jeden Tag einen,<br />
insgesamt über 200 Briefe.<br />
24 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Fast hautnah bekommt man den Krieg<br />
in den Briefen zu spüren. Als Canant<br />
am 15. Mai, genau zwei Monate verheiratet,<br />
seiner Frau schrieb, musste er<br />
während des Schreibens aufgrund eines<br />
Alarms in einen Unterstand wechseln<br />
und bei Kerzenlicht weiterschreiben,<br />
während eine halbe Meile entfernt<br />
Geschosse einschlugen. Gleichzeitig<br />
»beschwerte« er sich darüber – Krieg<br />
macht sarkastisch –, dass die Nordvietnamesen<br />
nicht jüdisch seien und keinen<br />
Respekt vor dem Sabbath hätten.<br />
Von Müdigkeit bis hin zu Aggression<br />
liest man aus den Briefen die Erfahrungen<br />
und Emotionen des Soldatenlebens<br />
heraus. Obwohl Canant nicht einmal direkt<br />
in der kämpfenden Truppe an der<br />
Front den Kriegsalltag erfährt, wünscht<br />
er sich doch nichts sehnlicher, als gesund<br />
und heil nach Hause zu kommen.<br />
Das Aufsetzen der Kondolenzbriefe<br />
macht auch für ihn den Tod alltäglich.<br />
Eine simple Menüsteuerung der Seite<br />
vereinfacht den Überblick. Direkt nach<br />
einer kurzen Vorstellung und Einleitung<br />
folgen die beiden wichtigsten Seiten.<br />
In »Today‘s Mail« werden jeden Tag<br />
die eingescannten und – der Leserlichkeit<br />
halber – noch einmal abgetippten<br />
Briefe veröffentlicht. Die »Shoe Box«<br />
ermöglicht es, vorangegangene Briefe<br />
nachzuschlagen. Unter »Maxi« ist<br />
ein längerer Kommentar von Canant‘s<br />
Frau nachzulesen und unter »Kevin«<br />
findet man die ersten Briefe und Bilder<br />
von seinem Sohn Kevin aus dem Irak<br />
von 20<strong>03</strong>.<br />
In den nächsten Menüpunkten kann<br />
sich der Leser neben Gedanken von<br />
digital<br />
Deutsche Geschichten<br />
http://www.dearmaxie.com<br />
Canant über seinen Kameraden Lieutenant<br />
Joyner, das Vietnam Memorial in<br />
Washington DC und einen ausgewählten<br />
Gästebucheintrag eines australischen<br />
Vietnam-Veteranen auch die<br />
ersten und letzten Einträge des veröffentlichten<br />
Buches anschauen. Dieses<br />
kann als PDF-Dokument auf CD bestellt<br />
werden und enthält neben einer<br />
umfangreichen Fotogalerie auf 123 Seiten<br />
zahlreiche ausgewählte Briefausschnitte<br />
mit Kommentaren.<br />
Vietnam wurde bereits in zahlreichen<br />
Veröffentlichungen und Filmen thematisiert.<br />
Doch die persönlichen und authentischen<br />
Zeugnisse dieser Seite lassen<br />
die allgegenwärtigen menschlichen<br />
Emotionen im Krieg wie Angst, Sehnsucht<br />
und Wut anschaulich werden.<br />
Ein weiteres Online-Projekt, das sich als<br />
»Work in Progress« präsentiert, wurde<br />
von der Bundeszentrale für politische<br />
Bildung und dem Cine Plus Media<br />
Service ins Internet gestellt. Diese auf<br />
Mitarbeit der Nutzer ausgelegte Seite<br />
versucht neben der Darstellung der<br />
historischen Fakten auch über Zeitzeugeninterviews<br />
und zeitnahe Aufnahmen<br />
über 100 Jahre deutscher<br />
Geschichte informativ und anschaulich<br />
zugänglich zu machen.<br />
Die Jahre 1890 bis 2005 werden<br />
in sechs Zeiträumen präsentiert.<br />
Darin lassen sich jeweils<br />
Informationen zu den<br />
wichtigsten und bekanntesten<br />
Themengebieten abrufen.<br />
Über den Link »Mediathek« erreicht<br />
man die im chronologischen Rahmen gewählten,<br />
abrufbaren Audio- und Videodateien,<br />
die leider bisher nur mit dem<br />
Realplayer abgespielt werden können.<br />
Gerade dieser zentrale Zugriff auf Tonund<br />
Filmdokumente macht eine schnelle<br />
und bequeme Informa tion für die politische<br />
und historische Bildung möglich.<br />
Eine Stichwort-Suchfunktion erleichtert<br />
das Auffinden spezieller Themen<br />
und lässt auch eine Eingrenzung gewünschter<br />
Dateiformate zu. Neben<br />
mehreren Veranstaltungshinweisen<br />
findet man auf der Hauptseite Links<br />
zur Journalseite, die monatlich mit einer<br />
Biographie, einem Schlaglicht und<br />
Literatur bestückt wird. StS<br />
http://www.deutschegeschichten.de<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
25
Service<br />
Lesetipp<br />
Ungarn 1956<br />
Am 22. Oktober fordern ungarische<br />
Studenten in einer 14-Punkte-Resolution<br />
Ungeheuerliches, darunter<br />
auch den Abzug der sowjetischen<br />
Truppen – auf jeden Fall allemal genug,<br />
um lange Zeit in kommunistischen Kerkern<br />
zu schmachten.<br />
Der ungarische Schriftsteller György<br />
Dalos führt vor Augen, wie er als Dreizehnjähriger<br />
diese Forderungen aufnahm<br />
und die Tage des Aufstands<br />
1956 selbst erlebte. Neben einer detailreichen<br />
Schilderung der Ereignisse<br />
werden anschaulich deren Vor- und<br />
Wirkungsgeschichte dargestellt. Den<br />
Gang der Dinge erfährt der Leser aus<br />
unterschiedlichsten Blickwinkeln: der<br />
obersten Führung im Kreml, der sowjetischen<br />
Botschaft in Ungarn und natürlich<br />
der ungarischen Beteiligten. Auch<br />
wie der Mann und die Frau von der<br />
Straße die Zeit erlebten, wird eindringlich<br />
geschildert. Dalos zitiert zahlreiche<br />
Schriftstellerkollegen.<br />
Vor allem hier wird immer wieder deutlich,<br />
welche Bedeutung der Aufstand<br />
im kollektiven Bewusstsein der Ungarn<br />
gewonnen hat, das, zumindest bis 1989,<br />
»die Zeit automatisch in ›davor‹ und<br />
›danach‹ aufteilte«. Öffentlich über den<br />
Aufstand zu sprechen war verboten,<br />
weshalb er eine »Privatangelegenheit<br />
der Nation« wurde, so der Autor.<br />
Dalos legt ein Buch vor, das abgerundet<br />
durch ein kommentiertes Personenregister,<br />
eine Zeittafel und 17 Fotos von<br />
Erich Lessing zweierlei ist: das Buch eines<br />
Historikers mit seiner ganzen traurigen<br />
Bilanz sowie eines über das Erinnern<br />
– das eigene und das einer ganzen<br />
Nation.<br />
mt<br />
50 Jahre Luftwaffe<br />
Kein bloßer Jubelband präsentiert<br />
sich anlässlich 50 Jahre Luftwaffe<br />
der Bundeswehr. Der Herausgeber<br />
Hans-Werner Jarosch konnte bei der<br />
Vorbereitung des Buches auf die Fachkenntnisse<br />
und das Engagement von<br />
30 Autoren sowie vieler Berater vertrauen.<br />
Gelungen ist das umfangreiche<br />
Werk durch die Breite der Darstellung<br />
von der Gründung der Luftwaffe<br />
bis zur Luftwaffe im Einsatz, aber auch<br />
durch das Bemühen, die unterschiedlichen<br />
Facetten des »Teams Luftwaffe«<br />
mit seinen Menschen und der Technik<br />
darzustellen.<br />
Dass Flugzeuge und Fliegendes Personal<br />
im Mittelpunkt des Buches stehen,<br />
verwundert sicher nicht. Menschen, die<br />
die Luftwaffe prägten, wer den in kleinen<br />
Porträts beschrieben, so etwa Johannes<br />
Steinhoff, Ludger Hölker (siehe<br />
Militärgeschichte, <strong>Heft</strong> 1+2/2005),<br />
Eberhard Eimler und Bernhard Mende.<br />
Unteroffiziere und Mannschaften<br />
der Luftwaffe werden als Gruppe vorgestellt.<br />
Darüber hinaus finden sich interessante<br />
Beiträge, die über die eher »unbekannten«<br />
Verbände und Dienste informieren,<br />
sowie Texte zur Flugabwehrraketentruppe,<br />
den Führungsdiensten,<br />
Lo gistikverbänden und der Objektschutztruppe.<br />
Gerade dort lag die »militärische<br />
Heimat« der meisten Soldaten<br />
und Reservisten der Luftwaffe. Ein wenig<br />
Exotik bieten der Beitrag des deutschen<br />
Astronauten Thomas Reiter zur<br />
bemannten Raumfahrt und der Aufsatz<br />
von Hanspeter Broekelschen zu<br />
Luftwaffensoldaten »in der Diaspora«.<br />
Trotz aller Historie, der »Spirit« dieses<br />
Buches weist auf die Zukunft hin.<br />
Heiner Bröckermann<br />
Generale und Admirale<br />
der Bundeswehr<br />
Wer sich über die Militärelite der<br />
DDR informieren will, findet<br />
schnell Hilfe. Wer sich hingegen mit den<br />
ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr<br />
beschäftigen möchte, hat es schwerer.<br />
Die wenigen Veröffentlichungen zum<br />
Thema gehen oft nicht über eine Zusammenstellung<br />
der Lebensdaten hinaus.<br />
Bände wie die von Gerd F. Heuer<br />
oder von Clemens Range über die<br />
höchsten militärischen Führer der Bundeswehr<br />
bis 1990 sind die Ausnahme.<br />
György Dalos, 1956. Der Aufstand in<br />
Ungarn, München <strong>2006</strong>. ISBN 3-406-<br />
54973-X; 247 S., 19,40 Euro<br />
Hans-Werner Jarosch (Hrsg.), Immer im<br />
Einsatz. 50 Jahre Luftwaffe, Hamburg, Berlin<br />
und Bonn 2005. ISBN 3-8132-0837-0;<br />
256 S., 29,90 Euro<br />
Dieter E. Kilian, Elite im Halbschatten.<br />
Generale und Admirale der Bundeswehr,<br />
Bielefeld und Bonn 2005. ISBN 3-<br />
9806268-3-0; 556 S., 28,00 Euro<br />
26 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Diese Lücke wurde nun zu einem erheblichen<br />
Teil von Oberst a.D. Dieter<br />
E. Kilian geschlossen. In seinem Band<br />
»Elite im Halbschatten« stellt er nicht<br />
nur die Spitzenmilitärs der Bundeswehr,<br />
sondern auch die (west-)deutschen<br />
Verteidigungsminister vor. Darüber<br />
hinaus bietet Kilian im Abschnitt<br />
»Licht und Schatten« eine Auswahl<br />
von Offizieren, die in die Geschichte<br />
der deutschen Streitkräfte eingegangen<br />
sind. Die Kurzbiographien basieren<br />
allerdings oft nur auf bereits vorliegenden<br />
Publikationen. Für den ersten<br />
Überblick reicht dies zwar aus, für<br />
die Forschung bleibt jedoch ein wissenschaftlicher<br />
Sammelband über die<br />
Gründergeneration wünschenswert.<br />
Vorangestellt ist den über 60 biographischen<br />
Skizzen eine ausführliche Einleitung,<br />
die das Problem der Bundeswehr<br />
als »geduldete Armee« (Clemens<br />
Range) thematisiert. Ein nützlicher<br />
Anhang mit Tabellen und Übersichten<br />
rundet den insgesamt gelungenen<br />
Band ab.<br />
Helmut R. Hammerich<br />
Kriegsverbrechen<br />
In den Jahren 1935/36 griff Mussolinis<br />
faschistisch geführtes Italien den<br />
letzten unabhängigen afrikanischen<br />
Staat an, um sich ebenfalls einen »Platz<br />
an der Sonne« zu erobern.<br />
Der Schweizer Historiker Aram Mattioli<br />
widerlegt die Bilder eines zivilisatorisch<br />
geprägten Kolonialismus und<br />
eines »sauberen« Krieges in Äthiopien.<br />
Er stellt in eindrucksvoller Weise die<br />
Leiden des äthiopischen Volkes während<br />
des Krieges und der bis 1941 dauernden<br />
Besatzungszeit dar, das nicht<br />
nur unter völkerrechtswidrigen Exzessen<br />
der italienischen Invasoren litt, sondern<br />
darüber hinaus vom Völkerbund<br />
im Stich gelassen wurde. Der Einsatz<br />
moderner Waffen, Panzer, Flugzeuge<br />
und von Giftgas, kombiniert mit Kollektivstrafen<br />
und Exekutionen, vermittelt<br />
eine neue Art von Kriegführung.<br />
Hier tritt ein rassenideologischer Vernichtungswille<br />
zutage, der weniger zur<br />
Geschichte des Kolonialismus passt als<br />
vielmehr zur Vorgeschichte des Zweiten<br />
Weltkrieges. Die These vom »Experimentierfeld<br />
der Gewalt« wird gründlich<br />
nachgewiesen und historisch<br />
eingeordnet.<br />
Eine überaus lesenswerte Darstellung,<br />
die einen tiefen Eindruck hinterlässt,<br />
dem Leser Denkanstöße vermittelt und<br />
den Blick zum Teil auch auf aktuelle<br />
Krisen lenkt.<br />
StS<br />
Aram Mattioli, Experimentierfeld der<br />
Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine<br />
internationale Bedeutung 1935–1941.<br />
Mit einem Vorwort von Angelo Del Boca<br />
(= Kultur – Philosophie – Geschichte.<br />
Reihe des Kulturwissenschaftlichen<br />
Instituts Luzern, Bd 3), Zürich 2005. ISBN<br />
3-280-06062-1; 239 S., 38,80 Euro<br />
Krieg als Dienstleistung<br />
Die internationale Gemeinschaft<br />
sieht sich seit Ende des Ost-West-<br />
Konflikts, spätestens aber seit dem<br />
11. September 2001, mit einer neuen<br />
Form von Konflikten konfrontiert.<br />
Die westlichen Staaten haben auf diese<br />
»asymmetrische Bedrohung«, die<br />
Kriegführung zwischen einem regulären<br />
Staat und irregulären Kräften, bislang<br />
eher hilflos reagiert. Aus diesem<br />
Grund wird derzeit wissenschaftlich<br />
untersucht, ob es derartige Konflikte<br />
schon früher gab, und ob Parallelen<br />
zur heutigen Situation gezogen werden<br />
können. Ein Forschungsschwerpunkt<br />
liegt auf dem vor allem durch den Irak-<br />
Konflikt in den Medien präsenten Söldnerwesen.<br />
Ein Vergleich von Vergangenheit<br />
und Gegenwart kann aber nur<br />
dann gelingen, wenn für beides fundierte<br />
Analysen vorliegen.<br />
Rolf Uesseler untersucht daher in<br />
seiner Publikation »Krieg als Dienstleistung«<br />
das heutige Söldnerwesen.<br />
Schon der Untertitel »Private Militärfirmen<br />
zerstören die Demokratie« deutet<br />
an, welche Gefahren durch die »Privatisierung<br />
der Gewalt in den westlichen<br />
Ländern« drohen.<br />
Der Band bietet aber weitaus mehr:<br />
Im Rahmen der Globalisierung wird<br />
die »Kernkompetenz« moderner Söldner<br />
als militärische Dienstleister aufgezeigt.<br />
Private Militärfirmen und deren<br />
Auftraggeber werden analysiert. Einem<br />
geschichtlichen Abriss der »privaten<br />
Kriegswirtschaft« sowie der heutigen<br />
Rahmenbedingungen folgen Ausführungen<br />
über Konsequenzen dieser Entwicklung<br />
und ein Ausblick, wie Konflikte<br />
ohne den Einsatz von Söldnern<br />
gemeistert werden könnten. Die im<br />
Anhang befindlichen Literaturhinweise<br />
sowie eine Auflistung von Websites<br />
privater Militärfirmen bieten auch über<br />
die Publikation hinaus für jeden Interessierten<br />
die Möglichkeit, tiefer in die<br />
Materie einzudringen.<br />
jf<br />
Rolf Uesseler, Krieg als Dienstleistung.<br />
Private Militärfirmen zerstören die<br />
Demokratie, Berlin <strong>2006</strong>. ISBN 3-86153-<br />
385-5; 240 S., 14,90 Euro<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
27
Service<br />
Ausstellungen<br />
Berlin<br />
Boris Ignatowitsch. Fotografien<br />
von 1927 bis 1946<br />
Deutsch-Russisches<br />
Museum Berlin-Karlshorst<br />
Zwieseler Straße 4<br />
(Ecke Rheinsteinstraße)<br />
D-1<strong>03</strong>18 Berlin<br />
Telefon: <strong>03</strong>0 / 50 15 08-10<br />
Telefax: <strong>03</strong>0 / 50 15 08 40<br />
e-Mail: kontakt@museumkarlshorst.de<br />
Internet:<br />
www.museum-karlshorst.de<br />
Dienstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt frei<br />
17. November <strong>2006</strong> bis<br />
11. Februar 2007<br />
Eröffnung Donnerstag,<br />
16. November <strong>2006</strong>,<br />
18.00 Uhr<br />
Verkehrsanbindungen:<br />
S-Bahn: bis S-Bahnhof Karlshorst:<br />
Ausgang Treskowallee,<br />
dann zu Fuß Rheinsteinstraße<br />
(ca. 15 min. Fußweg),<br />
bis S-Bahnhof<br />
Karlshorst (S3), dann Bus 396<br />
oder mit der U-Bahn bis<br />
U-Bahnhof Tierpark (U5),<br />
dann Bus 396<br />
Heiliges Römisches Reich<br />
Deutscher Nation<br />
962 –1806. Altes Reich und<br />
neuer Staat 1495–1806<br />
Deutsches Historisches<br />
Museum – PEI Bau<br />
Hinter dem Gießhaus 3<br />
10117 Berlin<br />
Telefon: (<strong>03</strong>0) 20 30 40<br />
Telefax: (<strong>03</strong>0) 20 30 45 43<br />
website: www.dhm.de<br />
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />
28. August bis<br />
10. Dezember <strong>2006</strong><br />
Verkehrsanbindungen:<br />
S-Bahn: Stationen<br />
»Hackescher Markt« und<br />
»Friedrichstraße«; U-Bahn:<br />
Stationen »Französische<br />
Straße«, »Hausvogteiplatz«<br />
und »Friedrichstraße«;<br />
Linienbus: 100, 157, 200 und<br />
348, Haltestellen: »Staatsoper«<br />
oder »Lustgarten«<br />
<br />
50 Jahre Luftwaffe der<br />
Bundeswehr. 1956–<strong>2006</strong><br />
Luftwaffenmuseum der<br />
Bundeswehr<br />
Kladower Damm 182<br />
D-14089 Berlin-Gatow<br />
Telefon: <strong>03</strong>0 / 36 87 26 01<br />
Telefax: <strong>03</strong>0 / 36 87 26 10<br />
e-Mail: LwMuseumBw<br />
Eingang@Bundeswehr.org<br />
Internet:<br />
www.Luftwaffenmuseum.com<br />
Dienstag bis Sonntag<br />
9.00 bis 17.00 Uhr<br />
Eintritt frei<br />
(letzter Einlass 16.30 Uhr)<br />
15. September <strong>2006</strong> bis<br />
31. August 2007<br />
Verkehrsanbindungen:<br />
Eintritt zum Museum: Ritterfelddamm/Am<br />
Flugfeld Gatow<br />
Ingolstadt<br />
<br />
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<br />
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<br />
Garnison Ingolstadt<br />
Bayerisches Armeemuseum<br />
– Reduit Tilly (Klenzepark)<br />
Paradestraße 4<br />
85049 Ingolstadt<br />
Telefon: (08 41) 9 37 70<br />
Telefax: (08 41) 9 37 72 00<br />
e-Mail: sekretariat@<br />
bayerisches-armeemuseum<br />
website: www.bayerischesarmeemuseum.de<br />
Dienstag bis Sonntag<br />
8.45 bis 16.30 Uhr<br />
30. Mai <strong>2006</strong> bis<br />
6. Januar 2007<br />
Karlsruhe<br />
Von der Reformation zu<br />
den Erbfolgekriegen –<br />
16. und 17. Jh.<br />
Badisches Landesmuseum<br />
Karlsruhe<br />
Schloss<br />
D-76131 Karlsruhe<br />
Telefon: 0721 / 92 66 514<br />
Telefax: 0721 / 92 66 537<br />
e-Mail:<br />
info@landesmuseum.de<br />
Internet:<br />
www.landesmuseum.de<br />
Dienstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Donnerstag<br />
10.00 bis 21.00 Uhr<br />
Eintritt: 4,00 €<br />
ermäßigt: 3,00 €<br />
Schüler 0,50 €<br />
11. November <strong>2006</strong> bis<br />
11. März 2007<br />
Verkehrsanbindungen:<br />
Straßenbahn: Vom Hauptbahnhof<br />
(Blickrichtung rechts,<br />
Hbf im Rücken) mit den<br />
Linien 2, S1, S4, S11 bis<br />
Haltestelle »Marktplatz«<br />
Koblenz<br />
Die Maschinenpistole.<br />
Entwicklung und<br />
Geschichte einer Waffe<br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
der MP2-UZI<br />
Wehrtechnische Studiensammlung<br />
Mayener Straße 85–87<br />
D-56070 Koblenz<br />
Telefon: 0261 / 40 01 42 3<br />
Telefax: 0261 / 40 01 42 4<br />
e-Mail: WTS@bwb.org<br />
Internet: www.bwb.org/wts<br />
täglich von 9.30 bis<br />
16.30 Uhr<br />
Eintritt: 1,50 €<br />
(für Soldaten und<br />
Bw-Verwaltung frei)<br />
24. August <strong>2006</strong> bis<br />
9. September 2007<br />
(Rosenmontag und vom<br />
24. Dezember <strong>2006</strong> bis<br />
1. Januar 2007 geschlossen)<br />
Verkehrsanbindungen:<br />
PKW: Eine Anfahrtsskizze<br />
gibt es unter<br />
http://www.bwb.org/<br />
01DB022000000001/<br />
CurrentBaseLink/<br />
W26EJCH3<strong>03</strong>4INFODE;<br />
Bahn/Bus: Ab Bahnhof Koblenz<br />
(Busbahnhof gegenüber)<br />
Linien 5 oder 15 bis »Langemarckplatz«<br />
Ludwigsburg<br />
Vor 50 Jahren Jahren –<br />
Die Bundeswehr kommt<br />
nach Ludwigsburg<br />
Garnisonmuseum<br />
Ludwigsburg<br />
im Asperger Torhaus<br />
Asperger Straße 52<br />
D-71634 Ludwigsburg<br />
Telefon: 07141 / 91 02 412<br />
Telefax: 07141 / 91 02 342<br />
Internet: www.garnison<br />
museum-ludwigsburg.de<br />
e-Mail: stadtarchiv@<br />
stadt.ludw i g s b urg.de<br />
Mittwoch 15.00 bis<br />
18.00 Uhr<br />
Sonnabend 13.00 bis<br />
17.00 Uhr und nach<br />
Vereinbarung<br />
Eintritt: 2,00 €<br />
ermäßigt: 1,00 €<br />
23. September bis<br />
28. April 2007<br />
Verkehrsanbindungen:<br />
S-Bahn: Linien S4 und S5<br />
(von Stuttgart bzw. Bietigheim)<br />
bis zur Station<br />
»Ludwigsburg«<br />
28 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Munster<br />
50 Jahre Bundeswehr in<br />
Munster<br />
Deutsches Panzermuseum<br />
Munster<br />
Hans-Krüger-Straße 33<br />
D-29633 Munster<br />
Telefon: 0519 / 22 55 2<br />
Telefax: 0519 / 21 30 215<br />
e-Mail:<br />
panzermuseum@munster.de<br />
Internet:<br />
www.munster.de/pzm<br />
Dienstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: 5,00 €<br />
Ermäßigt: 2,50 €<br />
März bis November <strong>2006</strong><br />
montags geschlossen<br />
(letzter Einlass 17.00 Uhr)<br />
An den Feiertagen auch<br />
montags geöffnet<br />
Verkehrsanbindungen:<br />
PKW: Eine Anfahrtsskizze<br />
gibt es unter<br />
www.munster.de/pzm/content/<br />
kontakt/anfahrt.htm<br />
Von der Bahn: vom Bahnhof<br />
MUNSTER entweder mit Taxi<br />
oder zu Fuß über Bahnhofsstraße,<br />
Wagnerstraße und<br />
Söhlstraße zur Hans-Krüger-<br />
Straße (ca. 15 Minuten Fußweg)<br />
Entschieden für Frieden –<br />
50 Jahre Bundeswehr<br />
Soldatenheim Munster<br />
»Zum Örtzetal«<br />
Danziger Str. 74-76<br />
29633 Munster<br />
Telefon: (0 51 92) 12 23 70<br />
11. bis 24. Oktober <strong>2006</strong><br />
Niederstetten<br />
Bundeswehr im Einsatz –<br />
Von der Bündnisverteidigung<br />
zum Einsatz<br />
im Bündnis<br />
Hermann-Köhl-Kaserne<br />
97996 Niederstetten<br />
Telefon: (0 79 32) 971 - 4154<br />
e-Mail: Westmann/Heer/<br />
BMVg/DE@BUNDESWEHR<br />
25. Oktober bis<br />
8. November <strong>2006</strong><br />
Nordholz<br />
Lili Marleen. Ein Schlager<br />
macht Geschichte<br />
Aeronauticum<br />
Deutsches Luftschiff- und<br />
Marinefliegermuseum<br />
Peter-Strasser-Platz 3<br />
D-27637 Nordholz<br />
Telefon: 04741 / 18 19 0<br />
Telefax: 04741 / 18 19 15<br />
e-Mail: info@aeronauticum.de<br />
Internet:<br />
www.aeronauticum.de<br />
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />
(Von November bis Februar<br />
letzter Einlass 16.30 Uhr)<br />
Eintritt:<br />
6,50 € (Erwachsene)<br />
1,50 € (Kinder)<br />
4. Oktober <strong>2006</strong> bis<br />
6. Januar 2007<br />
Verkehrsanbindung:<br />
PKW: Eine Anfahrtsskizze<br />
gibt es unter<br />
www.aeronauticum.de/<br />
deutsch/service/<br />
anfahrtskarte.html<br />
Paderborn<br />
Canossa – Erschütterung<br />
der Welt. Geschichte,<br />
Kunst und Kultur am<br />
Anfang der Romanik<br />
Ausstellung an drei<br />
Standorten<br />
Museum in der Kaiserpfalz<br />
Erzbischöfliches<br />
Diözesanmuseum<br />
Städtische Galerie<br />
Am Abdinghof<br />
Telefon: (0 52 51) 88 29 80<br />
Telefax: (0 52 51) 88 29 90<br />
e-mail:<br />
canossa<strong>2006</strong>@paderborn.de<br />
website: www.canossa<strong>2006</strong>.de<br />
Dienstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 20.00 Uhr<br />
Eintritt: 9,00 Euro<br />
ermäßigt: 6,00 Euro<br />
21. Juli bis<br />
5. November <strong>2006</strong><br />
Verkehrsanbindungen:<br />
Alle drei Objekte sind direkt<br />
im Stadtzentrum und zu Fuß<br />
sehr gut zu erreichen<br />
Sonthofen<br />
Entschieden für Frieden –<br />
50 Jahre Bundeswehr<br />
Schule für Feldjäger und<br />
Stabsdienst<br />
Generaloberst-Beck-<br />
Kaserne<br />
Hofener Straße 16<br />
87527 Sonthofen<br />
Telefon: (0 83 21) 278-54 80<br />
oder 54 82<br />
6. bis 24. November <strong>2006</strong><br />
Stuttgart<br />
Das Königreich<br />
Württemberg 1806–1918.<br />
Monarchie und Moderne<br />
Württembergisches<br />
Landesmuseum Stuttgart<br />
Altes Schloss<br />
Schillerplatz 6<br />
D-70173 Stuttgart<br />
Telefon: 0711 / 27 93 498<br />
Telefax: 0711 / 27 93 492<br />
e-Mail: info@landesmuseumstuttgart.de<br />
Internet: www.koenigreichwuerttemberg.de<br />
täglich (außer Montag)<br />
10.00 bis 20.00 Uhr,<br />
(während des Weihnachtsmarktes<br />
<strong>2006</strong><br />
täglich von 10.00 bis<br />
20.30 Uhr)<br />
Eintritt: 10,00 €<br />
Ermäßigt: 7,00 €<br />
22. September <strong>2006</strong> bis<br />
4. Februar 2007<br />
Kinder (14–18 Jahre): 2,00 €<br />
Kinder bis 14 Jahre frei<br />
Wilhelmshaven<br />
Blaue Jungs im Bündnis.<br />
50 Jahre Marine der Bundesrepublik<br />
Deutschland<br />
Deutsches Marinemuseum<br />
Südstrand 125<br />
D-26382 Wilhelmshaven<br />
Telefon: 04421 / 41 06 1,<br />
Kasse -45 58 65<br />
Telefax: 04421 / 41 06 3<br />
e-Mail:<br />
info@marinemuseum.de<br />
Internet:<br />
www.marinemuseum.de<br />
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: 8,50 €<br />
Ermäßigt: ab 4,00 €<br />
24. Mai <strong>2006</strong> bis<br />
30. November <strong>2006</strong><br />
Verkehrsanbindungen:<br />
PKW: Über die A29 Richtung<br />
Wilhelmshaven bis Ausfahrt<br />
Stadtmitte.<br />
Über die B210 aus Richtung<br />
Jever nach Wilhelmshaven.<br />
Innerorts den blauen Hinweisschildern<br />
»Maritime Meile«<br />
folgen, bis »Deutsches Marinemuseum«<br />
ausgeschildert ist.<br />
Alternativ der Beschilderung<br />
»Südstrand« oder »Helgolandkai«<br />
folgen.<br />
Stadtpläne befinden sich auf<br />
den Infosäulen an den Ortseingängen.<br />
Bahn/Bus:<br />
Von Mitte Mai bis Mitte September<br />
kann man vom ZOB<br />
aus mit der Buslinie 8 direkt<br />
zum Deutschen Marinemuseum<br />
fahren<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
29
Service<br />
Militärgeschichte kompakt<br />
AP agk-images<br />
14. Oktober 1781<br />
Sturm auf Yorktown, Virginia<br />
Am 4. Juli 1776 erklärten 13 britische Kolonien Amerikas<br />
ihre Unabhängigkeit. Ihnen waren hohe Abgaben<br />
auferlegt, jegliche Mitspracherechte aber verweigert<br />
worden. Der »Kontinentalarmee« unter George<br />
Washington standen reguläre Truppen aus Großbritannien,<br />
Hessen-Kassel und Ansbach-Bayreuth gegenüber,<br />
verstärkt durch Englandtreue Siedler und Indianer.<br />
Die Briten waren in Organisation und Ausrüstung<br />
über-, an Zahl aber unterlegen. Sie hatten logistische<br />
Probleme, zersplitterten ihre Kräfte in der Weite des Raumes und führten keine<br />
Entscheidung herbei. Ab 1778 unterstützten Frankreich, Spanien und die<br />
Niederlande die Aufständischen militärisch.<br />
Im Juli 1781 schuf sich der britische General Charles Cornwallis mit 7500 Mann<br />
in der Hafenstadt Yorktown, Virginia, eine feste Operationsbasis. Eine französischen<br />
Flotte brachte den Aufständischen Verstärkung, da es der Royal Navy<br />
nicht gelang, sie abzudrängen. Yorktown war zudem von See abgeschnitten.<br />
Washington belagerte ab 14. September mit ca. 20 000 Mann Yorktown. In der<br />
Stadt mangelte es rasch an Nahrung, Krankheiten breiteten sich aus. Es folgten<br />
mehrfache vernichtende Kanonaden und vergebliche Ausfallversuche. Am<br />
14. Oktober drangen französische und amerikanische Sturmtruppen mit dem<br />
Bajonett in die äußeren Verteidigungswerke ein. Cornwallis kapitulierte am<br />
19. Oktober 1781. Es wurden auf beiden Seiten viele Soldaten aus Deutschland<br />
eingesetzt, daher wird Yorktown auch als »deutsche Schlacht« bezeichnet.<br />
Der Krieg endete erst 1783, aber die Entscheidung über die Unabhängigkeit<br />
der USA war in Yorktown gefallen.<br />
Marcus von Salisch<br />
1906 –<strong>2006</strong><br />
General a.D. Johann Adolf<br />
Graf von Kielmansegg<br />
Graf Kielmansegg trat 1926 in das Reiterregiment 16<br />
(Erfurt) der Reichswehr ein, seine Generalstabsausbildung<br />
erfolgte bei der Wehrmacht. Er diente ab 1939<br />
in verschiedenen Truppen- und Stabsverwendungen<br />
in Polen, Frankreich und Russland. Als Mitwisser des<br />
20. Juli 1944 inhaftiert, wurde er als Regimentskommandeur<br />
zur »Bewährung« an die Westfront versetzt.<br />
Von 1946 bis 1950 arbeitete Graf Kielmansegg als Verlagskaufmann<br />
und freier Journalist. Danach war er im<br />
»Amt Blank« tätig, dem Vorläufer des Bundesministeriums<br />
der Verteidigung. Die Himmeroder Denkschrift<br />
wurde von Graf Kielmansegg zu Papier gebracht, wobei<br />
ihm der Abschnitt über die Innere Führung ein besonderes<br />
Anliegen war. 1955 ging der neu ernannte<br />
Berufssoldat zum ersten Mal zur NATO. Ab 1958 folgten Verwendungen als<br />
Stellv. Divisionskommandeur in Koblenz und als Kommandeur der 10. Panzerdivision<br />
in Sigmaringen. Sein Konzept der Inneren Führung bewährte sich<br />
in der Praxis. Als Oberbefehlshaber der Alliierten Landstreitkräfte bzw. der<br />
Streitkräfte in Europa-Mitte (LANDCENT/CINCENT)) konnte Graf Kielmansegg<br />
von 1963 bis 1968 die deutsche Stellung im Bündnis stärken. Nach seiner<br />
Pensionierung nahm er als gefragter Experte Einfluss auf die Weiterentwicklung<br />
der Streitkräfte.<br />
Graf Kielmansegg hat sowohl die innere Verfasstheit und die organisatorische<br />
Struktur der Bundeswehr als auch die Operationsplanungen der NATO in<br />
den 1960er Jahren maßgeblich beeinflusst. General a.D. de Maizière bezeichnete<br />
ihn nicht umsonst als den einflussreichsten Reformer, ja sogar als den wichtigsten<br />
»Gründervater« der Bundeswehr.<br />
Helmut R. Hammerich<br />
<strong>Heft</strong> 4/<strong>2006</strong><br />
Militärgeschichte<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung<br />
Vorschau<br />
Seit November 1966 trägt die Bundeswehrkaserne<br />
in Hardheim im fränkischen Odenwald<br />
den Namen von Carl Schurz. Wer genau war<br />
dieser Mann, der vor 100 Jahren im Mai 1906<br />
in New York starb und der vom gescheiterten<br />
Revolutionär 1848/49 zum Unionsgeneral<br />
und Innenminister der USA aufstieg Diese<br />
Frage wird uns in der nächsten Ausgabe der<br />
»Militärgeschichte« Wolfgang Hochbruck<br />
beantworten und zugleich aufzeigen, welche<br />
Bedeutung Carl Schurz noch heute als demokratisches<br />
Vorbild hat.<br />
Dabei ist Carl Schurz nicht der einzige<br />
emigrierte deutsche Demokrat, der geprägt<br />
durch die Revolution von 1848/49 im amerikanischen<br />
Bürgerkrieg auf der Seite der<br />
Nordstaaten wieder zu den Waffen griff. Die<br />
Geschichte der »Fortyeighter«und ihre Rolle<br />
im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861-1865<br />
wird Jürgen Dick in einem eigenen Beitrag<br />
eingehender beleuchten.<br />
Carl Schurz während des amerikanischen<br />
Bürgerkrieges in der Uniform eines<br />
Unionsgenerals.<br />
Im selben Jahr, in dem die Hardheimer Kaserne<br />
ihren neuen Namen erhielt, wurde Generalleutnant<br />
Johannes Steinhoff Inspekteur<br />
der Luftwaffe. Heute ist er selbst Namenspatron<br />
einer Bundeswehrkaserne in Berlin-<br />
Gatow sowie eines Jagdgeschwaders der<br />
Luftwaffe. Heiner Möllers wird uns in seinem<br />
Beitrag die Person Johannes Steinhoff näher<br />
bringen.<br />
Der bereits für das <strong>Heft</strong> 3 angekündigte Artikel<br />
von Friedrich Furrer über »Antike Kriegskosten«<br />
wird ebenfalls im kommenden <strong>Heft</strong><br />
erscheinen.<br />
mn<br />
ullstein bild<br />
30 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>
Militärgeschichte im Bild<br />
Ulrich de Maizière war Soldat in<br />
drei deutschen Armeen. Ausgebildet<br />
wurde er noch in der Reichswehr<br />
(1930–1933), weitere Prägung erfuhr<br />
er als Generalstabsoffizier der Wehrmacht<br />
(1933–1945), um schließlich bei<br />
Planung und Aufbau der Bundeswehr<br />
(1951–1972) führend mitzuwirken. Damit<br />
verbunden waren einschneidende<br />
Übergänge: von der Diktatur zur Demokratie,<br />
von der Nationalarmee zur<br />
Bündnisstreitmacht, vom Angehörigen<br />
eines herausgehobenen Kriegerstandes<br />
zum »Staatsbürger in Uniform«.<br />
Die »Gründergeneration« neuer und<br />
zunächst westdeutscher, seit 1990 gesamtdeutscher<br />
Streitkräfte stand somit<br />
vor ganz neuen Herausforderungen:<br />
Sicherheit würde es nach dem Untergang<br />
des Reiches künftig nicht mehr<br />
national, sondern nur noch im Bündnisrahmen<br />
geben. Die neuen Streitkräfte<br />
waren fest in die Ordnung des<br />
Grundgesetzes zu integrieren. Die<br />
Bundeswehr als Wehrpflichtarmee<br />
musste sich aber auch in ihrem inneren<br />
Zuschnitt an die gesellschaftlichen<br />
Veränderungen anpassen und zu einer<br />
kritischen Öffentlichkeit hin öffnen.<br />
In der Himmeroder Denkschrift<br />
von 1950 hatten die künftigen militärischen<br />
Planer zwar ein wichtiges Signal<br />
für Reformen gegeben, dass »ohne<br />
Anlehnung an die Formen der alten<br />
Wehrmacht heute grundlegend Neues<br />
zu schaffen ist«. Schaffen musste man<br />
dieses Neue aber mit dem Führerkorps<br />
aus den Streitkräften vor 1945, denn die<br />
Bündnispartner forderten mit Vorrang<br />
rasche und effiziente Verstärkungen ihrer<br />
Verbände gegen einen zahlenmäßig<br />
weit überlegenen Gegner.<br />
Dieser Spannungsbogen aus militärischen<br />
Forderungen von außen und<br />
inneren Vorgaben für eine Integration<br />
der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft<br />
lässt sich an der Laufbahn<br />
Ulrich de Maizière (1912–<strong>2006</strong>)<br />
Herausforderungen<br />
und Antworten eines<br />
Soldaten im Übergang<br />
von Ulrich de Maizière nachzeichnen.<br />
Schon der militärische Sachverständige<br />
in den Verhandlungen um einen westdeutschen<br />
Allianzbeitritt orientierte<br />
sich an einer Ausgewichtung des transatlantischen<br />
und des westeuropäischen<br />
Pfeilers im Bündnis. Nur so ließ sich<br />
dem eigentlichen Dilemma deutscher<br />
Verteidigung begegnen: der Abhängigkeit<br />
von atomarer Abschreckung zur<br />
Kriegsverhinderung, aber verbunden<br />
mit der Forderung nach einer wirksamen<br />
Verteidigung im Falle eines Krieges,<br />
um das eigene Territorium vor unannehmbaren<br />
Schäden zu bewahren.<br />
Dabei blieb der Rückgriff auf Atomwaffen<br />
aus Sicht der NATO auch dann<br />
noch notwendig, wenn deutsche Streitkräfte<br />
die größten Lücken im mitteleuropäischen<br />
Verteidigungsschild geschlossen<br />
haben würden. Daraus zog<br />
schon de Maizière als Leiter der Unterabteilung<br />
Führung im Bundesministerium<br />
für Verteidigung<br />
(1955–1958) zwei weitere<br />
Folgerungen, denen<br />
er seiner ganzen<br />
Laufbahn bis hin<br />
zum Generalinspekteur<br />
(1966–1972) treu<br />
blieb: Militärische<br />
Verteidigung musste<br />
mit dem Zivilschutz<br />
schon im Frieden so<br />
engmaschig verzahnt<br />
werden, dass daraus<br />
ein wirksames System<br />
der zivil-militärischen<br />
Gesamtverteidigung<br />
entstand.<br />
Und der neue Soldat<br />
musste die Werte des<br />
Grundgesetzes alltäglich<br />
erfahren können,<br />
um sie als »Staatsbürger<br />
in Uniform« im<br />
Kalten Krieg wie im<br />
Einsatz aus Überzeugung verteidigen<br />
zu wollen. Innere Führung war so gesehen<br />
kein taktisches Entgegenkommen<br />
an einen gewandelten Zeitgeist, sondern<br />
ein notwendiges Führungsinstrument<br />
zur Heranbildung und Führung<br />
des modernen Soldaten unter veränderten<br />
militärischen Herausforderungen.<br />
In den Augen mancher Kritiker der<br />
Gründergeneration der Bundeswehr<br />
(Heusinger, Graf Kielmansegg, Graf<br />
Baudissin und de Maizière) stellten solche<br />
komplexen Antworten ein zu großes<br />
Entgegenkommen an Politik und<br />
Öffentlichkeit dar. Sie übersahen, dass<br />
der Systemkonflikt zwischen Ost und<br />
West mit seinen politischen, ökonomischen,<br />
gesellschaftlichen und militärischen<br />
Bedrohungsmustern zu komplex<br />
war, um einfache, vermeintlich soldatischere<br />
Antworten zuzulassen.<br />
Bruno Thoß<br />
Die Erprobung der Brigadegliederung während der<br />
Lehr- und Versuchsübung (LV 58) im Herbst 1958.<br />
Brigadegeneral Ulrich de Maizière, Kommandeur der<br />
Kampfgruppe A 1 in Hannover, als Kommandeur einer<br />
Übungsbrigade<br />
Bundesregierung/Egon Steiner<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
31
NEUE PUBLIKATIONEN DES MGFA<br />
Johannes Berthold Sander-Nagashima, Die Bundesmarine 1950 bis 1972. Konzeption<br />
und Aufbau. Mit Beiträgen von Rudolf Arendt, Sigurd Hess, Hans-Joachim Mann, Klaus-<br />
Jürgen Steindorff, München: Oldenbourg , X, 606 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte<br />
der Bundesrepublik Deutschland, 4), 39,80 Euro,<br />
ISBN 10: 3-486-57972-X, ISBN 13: 978-3-486-57972-7<br />
Rudolf J. Schlaffer<br />
Der<br />
Wehrbeauftragte<br />
1951 bis 1985<br />
Rudolf J. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte 1951 bis 1985. Aus Sorge um den Soldaten,<br />
München: Oldenbourg <strong>2006</strong>, XIV, 386 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der<br />
Bundesrepublik Deutschland, 5), 26,80 Euro,<br />
ISBN 10: 3-486-58025-6, ISBN 13: 978-3-486-58025-9<br />
Aus Sorge um den Soldaten<br />
OLDENBOURG<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Wegweiser zur Geschichte: Kongo. Im Auftrag des MgFA hrsg. von Bernhard Chiari<br />
und Dieter Kollmer, 2., durchges. Aufl., Paderborn: Ferdinand Schöningh <strong>2006</strong>, 216 S.<br />
(= Wegweiser zur Geschichte), 12,90 Euro,<br />
ISBN 10: 3-506-75745-8, ISBN 13: 978-3-506-75745-6<br />
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Wegweiser zur Geschichte: Kosovo. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Bernhard Chiari<br />
und Agilolf Keßelring, Paderborn: Ferdinand Schöningh <strong>2006</strong>, 240 S. (= Wegweiser zur<br />
Geschichte), 13,90 Euro, ISBN 10: 3-506-75665-6, ISBN 978-3-506-75665-3<br />
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Daniel Niemetz, Das feldgraue Erbe. Die Wehrmachteinflüsse im Militär der SBZ/DDR,<br />
Berlin: Ch. Links <strong>2006</strong>, X, 345 S. (= Militärgeschichte der DDR, 13), 29,90 Euro,<br />
ISBN -10: 3-86153-421-5, ISBN-13: 978-86153-421-1