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EMMENEGGER, SUSAN/ GEISSELER, ROBERT, Ausgewählte Fragen der SVG-Haftpflicht, in:<br />

Susan Emmenegger/Franz Werro (Hrsg.), Strassenverkehrsrechtstagung 2004,<br />

Freiburg 2004, S. 5-48.<br />

Departement für Privatrecht an der Universität Freiburg<br />

Susan Emmenegger/Franz Werro (Hrsg.)<br />

Strassenverkehrsrechts-Tagung<br />

Universität Freiburg<br />

11./12. März 2004<br />

Tagungsleitung<br />

Susan Emmenegger


ISBN 3-9522852-0-X<br />

Diese Unterlage wurde vom Departement für Privatrecht der Universität Freiburg erstellt. Die<br />

Tagungsleitung dankt Herrn lic. iur. Martin Hofer für die wertvolle Mitarbeit.


Strassenverkehrsrechts-Tagung 2004<br />

Universität Freiburg<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Ausgewählte Fragen der SVG-Haftung..................................................................................... 3<br />

S. Emmenegger/R. Geisseler<br />

Die Sanktionierung von Verkehrsdelikten nach der Strafrechtsreform .............................. 65<br />

F. Riklin<br />

Von der Vision Zero zur neuen Strassen-Verkehrssicherheitspolitik ................................ 105<br />

Y. Schreier<br />

Die Neuregelung der Fahrberechtigung ................................................................................ 125<br />

A. Roth<br />

Abschied vom Haftungsprivileg (Art. 44 UVG) .................................................................... 143<br />

B. Kahil-Wolff<br />

No Fear, No Fun: Adventure Sport und Haftpflichtrecht ................................................... 157<br />

W. Fellmann<br />

Schadensschätzung und Reservierung .................................................................................. 161<br />

M. Schaetzle/S. Weber<br />

Der Tierschaden ...................................................................................................................... 183<br />

R. Brehm<br />

Die neuen Rechte des Halters eines getöteten oder verletzten Tieres –<br />

Wie neu sind sie wirklich ...................................................................................................... 193<br />

G. Chappuis<br />

Versicherungsaufsicht im Umbruch: Die Revision des VAG .............................................. 203<br />

H. Gschwind<br />

Skater, Roller, Blader: Rechtlos oder ruchlos Zehn Thesen zum Verkehrsopferschutz<br />

bei Unfällen mit nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern ................................... 207<br />

S. Fuhrer<br />

Neueste Urteile ......................................................................................................................... 225<br />

A. Roth/M. Müller-Chen/F. Riklin


Abkürzungsverzeichnis<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

a.A.<br />

anderer Ansicht<br />

a.a.O.<br />

am angegebenen Ort<br />

AB<br />

Amtsbericht<br />

Abs.<br />

Absatz<br />

AHVG Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (SR<br />

831.10)<br />

AJP<br />

Aktuelle juristische Praxis<br />

AGVE<br />

Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide<br />

altUVG Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG), Stand zum Zeitpunkt<br />

des Inkrafttretens am 1.1.1984 (AS 1982 1676)<br />

a.M.<br />

anderer Meinung<br />

Amtl. Bull NR Amtliches Bulletin der Bundesversammlung. Nationalrat<br />

AR<br />

Appenzell Ausserrhoden<br />

Art.<br />

Artikel<br />

AS<br />

Amtliche Sammlung der eidgenössischen Gesetze<br />

ASTRA Bundesamt für Strassen<br />

AT<br />

Allgemeiner Teil<br />

ATSG<br />

Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des<br />

Sozialversicherungsrechts (SR 830.1)<br />

Aufl.<br />

Auflage<br />

AVB<br />

Allgemeine Versicherungsbedingungen<br />

BBl<br />

Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft<br />

Bd.<br />

Band<br />

BGE<br />

Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts, Amtliche Sammlung. Generell:<br />

Bundesgerichtsentscheid<br />

BGer<br />

Bundesgericht<br />

BJM<br />

Basler juristische Mitteilungen<br />

BS<br />

Basel-Stadt<br />

bspw.<br />

beispielsweise<br />

BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101)<br />

BVG<br />

Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und<br />

Invalidenvorsorge (SR 831.40)<br />

bzw.<br />

beziehunsweise<br />

ca.<br />

circa<br />

CP Code pénal suisse du 21 décembre 1937 (SR 311.0)<br />

cm<br />

Zentimeter<br />

cm 3<br />

Kubikzentimeter<br />

ders.<br />

derselbe<br />

dies.<br />

dieselbe<br />

Diss.<br />

Dissertation<br />

E. Erwägung<br />

EFKO<br />

Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt der Armee<br />

EHG<br />

Bundesgesetz vom 28. März 1905 über die Haftpflicht der Eisenbahn- und<br />

Dampfschiffahrtsunternehmungen und der schweizerischen Post<br />

EJPD<br />

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement<br />

EKHG<br />

(österreichisches) Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz<br />

EMRK Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten<br />

(SR 0.101)<br />

etc.<br />

et cetera<br />

EU<br />

Europäische Union<br />

EGV<br />

Entscheide der Gerichts- und Verwaltungsbehörden des Kantons Schwyz<br />

EVG<br />

Eidgenössisches Versicherungsgericht<br />

EWR<br />

Europäischer Wirtschaftsraum<br />

f./ff.<br />

und folgende (Seite/n)<br />

FABER Fahrberechtigungsregister<br />

I


Abkürzungsverzeichnis<br />

FäG<br />

Fahrzeugähnliche Geräte<br />

Fn.<br />

Fussnote<br />

gl. M.<br />

gleicher Meinung<br />

GVP<br />

Gerichts- und Verwaltungspraxis (des Kantons St. Gallen bzw. des Kantons Zug)<br />

HAVE<br />

(Zeitschrift für) Haftpflicht und Versicherung<br />

Hrsg.<br />

Herausgeber/Herausgeberin/Herausgebende<br />

KGer<br />

Kantonsgericht<br />

km/h<br />

Stundenkilometer (auch km/Std.)<br />

i.S.<br />

im Sinne<br />

IVG Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (SR 831.20)<br />

i.V.m.<br />

in Verbindung mit<br />

JdT<br />

Journal des Tribunaux (auch JT)<br />

LCR Loi du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (RS 741.01)<br />

lit.<br />

litera<br />

M oder m Meter<br />

max.<br />

maximal<br />

m.E<br />

meines Erachtens<br />

MFG<br />

Bundesgesetz vom 15. März 1932 über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr(abgelöst<br />

durch das SVG)<br />

Mio.<br />

Million/Millionen<br />

m.w.N. mit weiteren Nachweisen<br />

N<br />

Note<br />

N o<br />

numéro<br />

n.p.<br />

Nicht publiziert<br />

Nr.<br />

Nummer<br />

NZZ<br />

Neue Zürcher Zeitung<br />

OGer<br />

Obergericht<br />

OR<br />

Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen<br />

Zivilgesetzbuchs (Fünfter Teil: Obligationenrecht; SR 220)<br />

p. page<br />

PKG<br />

Die Praxis des Kantonsgerichtes von Graubünden<br />

Pra<br />

Die Praxis (des Bundesgerichts)<br />

PS<br />

Pferdestärke/n<br />

RB<br />

Rechenschaftsbericht<br />

RBO<br />

Rechenschaftsbericht des Obergerichts, der Rekurskommission und der Kriminalkammer des<br />

Kantons Thurgau<br />

RDAT<br />

Rivista di diritto amministrativo, Ticino<br />

RFJ<br />

Revue fribourgeoise de jurisprudence<br />

RJJ<br />

Revue jurassienne de jurisprudence<br />

RJN<br />

Recueil de jurisprudence neuchâteloise<br />

Rn.<br />

Randnote<br />

RVJ<br />

Revue valaisanne de jurisprudence<br />

S. Seite<br />

SAKE<br />

Schweizerische Arbeitskräfteerhebung<br />

SchKG Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SR 281.1)<br />

SJ<br />

La semaine judiciaire (auch Sem. Jud oder Semjud)<br />

SJK<br />

Schweizerische Juristische Kartothek<br />

SJZ<br />

Schweizerische Juristenzeitung<br />

sog.<br />

so genannt<br />

SOG<br />

Solothurnische Gerichtspraxis<br />

SR<br />

Systematische Sammlung des Bundesrechts<br />

Sten. Bull NR Amtliches stenographisches Bulletin der Bundesversammlung. Nationalrat<br />

Sten. Bull SR Amtliches stenographisches Bulletin der Bundesversammlung. Ständerat<br />

StGB Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR 311.0)<br />

StVG<br />

Strassenverkehrsgesetz (Deutschland)<br />

SVG Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SR 741.01)<br />

SVK<br />

Schweizerischer Versicherungskurier<br />

SVZ<br />

Schweizerische Versicherungszeitschrift<br />

SSV Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SR 741.21)<br />

II


Abkürzungsverzeichnis<br />

SZS<br />

Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge<br />

TCS<br />

Touring club suisse/schweiz/svizzero<br />

u.a.<br />

unter anderem bzw. und andere<br />

u.s.w.<br />

und so weiter<br />

u.U.<br />

unter Umstände<br />

UVG Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (SR 832.20 )<br />

UVV Verordnung vom 20. Dezember 1982 über die Unfallversicherung (SR 832.202)<br />

VBS<br />

Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport<br />

v.a.<br />

vor allem<br />

VAG<br />

Bundesgesetz vom 23. Juni 1978 betreffend die Aufsicht über die privaten<br />

Versicherungseinrichtungen (Versicherungsaufsichtsgesetz; SR 961.01)<br />

VE<br />

Vorentwurf<br />

vgl.<br />

vergleiche<br />

vol.<br />

Volume<br />

VPB<br />

Verwaltungspraxis der Bundesbehörden<br />

VRV Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (SR 741.11)<br />

VStGB 3 Verordnung 3 vom 16. Dezember 1985 zum Schweizerischen Strafgesetzbuch (SR 311.03)<br />

VTS<br />

Verordnung vom 19. Juni 1995 über die technischen Anforderungen an<br />

Strassenfahrzeuge (SR 741.41)<br />

VVG Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (SR 221.229.1)<br />

VVV Verordung über Haftpflicht und Versicherung im Strassenverkehr vom 20. November 1959<br />

(Verkehrsversicherungsverordnung; SR 741.31)<br />

VwVG Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (SR 172.021)<br />

VZV<br />

Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum<br />

Strassenverkehr (SR 741.51)<br />

z.B.<br />

zum Beispiel<br />

ZBJV<br />

Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins<br />

ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210)<br />

Ziff.<br />

Ziffer<br />

zit.<br />

zitiert<br />

ZR<br />

Blätter für Zürcherische Rechtsprechung<br />

ZSR<br />

Zeitschrift für Schweizerisches Recht<br />

ZStrR<br />

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht<br />

ZStW<br />

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft<br />

z.T.<br />

zum Teil<br />

III


Strassenverkehrsrechts-Tagung 2004<br />

Universität Freiburg<br />

Ausgewählte Fragen der<br />

SVG-Haftung<br />

Susan Emmenegger<br />

Robert Geisseler


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Inhalt<br />

ERSTER TEIL ................................................................................................................................ 5<br />

I. Die Halterschaft ......................................................................................................... 5<br />

1. Elemente der Halterschaft ....................................................................................... 6<br />

2. Hitparade der Halter-Determinanten ....................................................................... 7<br />

3. Halterschaft im Arbeitskontext ............................................................................... 8<br />

4. Halterschaft im Familienkontext ............................................................................. 9<br />

a) Problemstellung ................................................................................................. 9<br />

b) Auffangkriterien für den Grauzonenbereich .................................................... 11<br />

aa) Technische Verantwortung ....................................................................... 11<br />

bb) Mithalterschaft .......................................................................................... 11<br />

cc) Verwirklichung der Betriebsgefahr .......................................................... 12<br />

dd) Formelle Haltereigenschaft ...................................................................... 13<br />

ee) Eigentum .................................................................................................. 13<br />

5. Ergebnis zur Halterschaft ...................................................................................... 13<br />

II. Der Betrieb ............................................................................................................... 14<br />

1. Grundfälle: Fortbewegung .................................................................................... 14<br />

2. Sonderfall: Stillstehende Fahrzeuge ...................................................................... 15<br />

a) Ausgangslage ................................................................................................... 15<br />

b) Stillstehende Fahrzeuge am Fahrbahnrand ...................................................... 16<br />

c) Stillstehende Fahrzeuge auf der Fahrbahn ....................................................... 17<br />

d) Zeitabhängiger Betriebsbegriff ....................................................................... 17<br />

e) Haftungsbegrenzung über Art. 59 SVG ........................................................... 18<br />

f) Fazit .................................................................................................................. 19<br />

3. Sonderfall: Arbeitsmotorwagen ............................................................................ 19<br />

a) Ausgangslage ................................................................................................... 19<br />

b) Easy Cases ........................................................................................................ 20<br />

c) Hard Cases ....................................................................................................... 20<br />

4. Ergebnis zum Betrieb ............................................................................................ 21<br />

III. Reine Vermögensschäden im SVG......................................................................... 22<br />

1. Der Entscheid Rathgeb .......................................................................................... 22<br />

2. Doktrin: Reine Vermögensschäden de lege lata ................................................... 23<br />

a) Punktueller Regelungsanspruch von Art. 58 Abs. 1 SVG ............................... 23<br />

b) Lückenhaftigkeit Art. 58 Abs. 1 SVG .............................................................. 23<br />

c) Alternativität der Ansprüche ............................................................................ 24<br />

3. Reine Vermögensschäden de lege ferenda ............................................................ 25<br />

4. Zum besonderen Problem der Anwaltskosten ....................................................... 25<br />

5. Fazit ....................................................................................................................... 26<br />

3


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

ZWEITER TEIL ............................................................................................................................ 28<br />

I. Bedeutung und Gewichtung der Betriebsgefahr im Hinblick auf die<br />

Haftungsquoten bei Personenschäden ................................................................... 28<br />

1. Die latente Betriebsgefahr als Haftungsgrund ....................................................... 28<br />

2. Verkehrsopferschutz als Haftungsziel ................................................................... 29<br />

II. Haftungskollisionen und Haftungsquoten ............................................................. 30<br />

1. Allgemeines ........................................................................................................... 30<br />

2. Motorfahrzeughaftung contra Verschuldenshaftung ............................................. 31<br />

a) Im Allgemeinen ................................................................................................ 31<br />

aa) Fälle beidseitigen Verschuldens ............................................................... 32<br />

bb) Fälle mit schuldlosem Halter .................................................................... 33<br />

b) Sonderfälle ....................................................................................................... 33<br />

aa) Haftung gegenüber Kindern ..................................................................... 33<br />

bb) Haftung gegenüber Passagieren ............................................................... 35<br />

c) Problemfälle ..................................................................................................... 37<br />

aa) Haftung des Halters gegenüber dem Lenker seines eigenen Fahrzeugs ... 37<br />

bb) Haftung des Lenkers gegenüber dem Halter ............................................ 38<br />

3. Motorfahrzeughaftung contra milde Kausalhaftung ............................................. 39<br />

a) Kollision mit Werkeigentümerhaftung ............................................................ 39<br />

b) Kollision mit Tierhalterhaftung ........................................................................ 41<br />

c) Kollision mit Haftung des Familienoberhauptes .............................................. 41<br />

4. Motorfahrzeughalterhaftung contra andere Gefährdungshaftung ......................... 42<br />

5. Halter contra Halter ............................................................................................... 42<br />

LITERATUR ................................................................................................................................. 44<br />

ANHANG ...................................................................................................................................... 48<br />

4


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

ERSTER TEIL<br />

Die Bestimmung Art. 58 Abs. 1 SVG lautet wie folgt: „Wird durch den Betrieb eines<br />

Motorfahrzeuges ein Mensch getötet oder verletzt oder Sachschaden verursacht, so haftet der<br />

Halter für den Schaden“. Die Haftung setzt ein Vierfaches voraus: Ein Motorfahrzeug ist in<br />

Betrieb und verursacht dadurch kausal einen Schaden. Rechtsfolge dieses Vorgangs ist, dass<br />

der Halter für den Schaden haftet. Drei dieser Elemente sollen nachfolgend untersucht<br />

werden: Die Halterschaft, der Betrieb und schliesslich der Schaden. Diese Themen sind<br />

sodann weiter einzugrenzen und auf aktuelle Problembereiche zu fokussieren. Im Zusammenhang<br />

mit der Halterschaft sollen die besonderen Probleme im Arbeits- und im Familienkontext<br />

aufgegriffen werden (I). Beim Betrieb liegt der Fokus auf den stillstehenden Fahrzeugen<br />

und den Arbeitsmotorwagen (II). Mit Blick auf den Schaden richtet sich das Augenmerk<br />

auf die Ersatzfähigkeit der sogenannten „reinen Vermögensschäden“ (III).<br />

I. Die Halterschaft<br />

Das Gesetz enthält keine Definition des Halterbegriffs. Die Konkretisierung bleibt Lehre und<br />

Rechtsprechung überlassen 1 . Relevant wird die Frage der Halterschaft vor allem in vier Fällen:<br />

1. Ungenügende Versicherungsdeckung 2 . Die Geschädigte muss für den Restbetrag direkt<br />

gegen die Verantwortlichen vorgehen. Dabei richtet sie ihre Ansprüche mit Vorteil gegen<br />

den kausal haftenden Halter und nicht gegen die verschuldenshaftpflichtige Lenkerin.<br />

2. Fehlende Versicherung. Ist ein Motorfahrzeug in einem Schadensfall impliziert, ohne<br />

dass eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen wurde, so wird die Halterfrage für den<br />

Regress relevant. Der nationale Garantiefonds kann gegen den Halter Rückgriff nehmen,<br />

falls das Fahrzeug keine Kontrollschilder hatte (Art. 76 V SVG), der Kanton greift auf den<br />

Halter zurück, wenn die Kontrollschilder bereits abgegeben waren (Art. 77 II SVG).<br />

3. Verletzung der Lenkerin. Die vom Halter verschiedene Lenkerin gilt als Geschädigte im<br />

Sinne des SVG und hat damit einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (Art.<br />

65 Abs. 1 SVG), der für die Kausalhaftung des Halters einzustehen hat. Handelt es sich<br />

bei der verletzten Lenkerin hingegen gleichzeitig um die Halterin, so stehen ihr keine Ansprüche<br />

gegen ihre eigene Halterversicherung zu 3 .<br />

4. Verletzung des mitfahrenden Halters. Fährt der Halter in seinem eigenen Fahrzeug als<br />

Beifahrer mit und wird er verletzt, so hat er zwar seit der Revision von 1995 einen direkten<br />

Anspruch gegen seine Halterversicherung (Art. 63 Abs. 3 lit. a SVG). Der Anspruch stützt<br />

sich aber nach wie vor auf Art. 41 OR; zudem hat der Halter die Betriebsgefahr seines<br />

Fahrzeugs zu vertreten. Ist die Lenkerin Mithalterin des Fahrzeugs, befindet man sich<br />

nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ausserhalb des Kausalhaftungssystems des<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Zur doktrinellen Auseinandersetzung mit dem Halterbegriff vgl. die Nachweise bei Giger, Strassenverkehrsgesetz,<br />

177.<br />

Zur ungenügenden Versicherungssumme im aktuellen Recht (CHF 3 Mio. für Personenwagen,<br />

CHF 4 Mio. für Autocars) vgl. Fuhrer, HAVE 2002, 356.<br />

Vgl. Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 41; Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 310;<br />

Schaffhauser/Zellweger; Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 849; Rusconi, responsabilité du<br />

détenteur, 429.<br />

5


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

SVG. Die Ansprüche des verletzten Beifahrer-Mithalters beurteilen sich nach allgemeinem<br />

Deliktsrecht 4 .<br />

Vor allem die beiden letzten Konstellationen zeigen: Halterschaft ist ein Nachteil. Erstens<br />

haften Halterinnen und Halter kausal. Zweitens müssen sie für den Schadensausgleich auf die<br />

Sozialversicherungen zurückgreifen, falls es am Anspruch gegenüber einer fremden Halterversicherung<br />

fehlt (Selbstunfall). Die Sozialversicherung bietet aber wegen des beschränkten<br />

Obligatoriums der Unfallversicherungen und den Höchstgrenzen bei UV und IV im Vergleich<br />

zur Halterversicherung nur einen begrenzten Versicherungsschutz. Drittens müssen sie sich<br />

bei der Festsetzung der Haftungsquoten die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs anrechnen lassen 5 .<br />

Ob Halterschaft vorliegt oder nicht, hat also weitreichende Konsequenzen.<br />

1. Elemente der Halterschaft<br />

Nach konstanter Rechtsprechung gilt als Halter derjenige, auf dessen eigene Rechnung und<br />

Gefahr der Betrieb des Fahrzeugs erfolgt und der zugleich die tatsächliche und unmittelbare<br />

Verfügung darüber besitzt. Die Rechtsprechung legt dem SVG mithin nicht einen formellen,<br />

sondern einen materiellen Halterbegriff zugrunde 6 .<br />

Die Konstanz in der Formulierung steht in keinem Verhältnis zur Varianz der Inhalte, die<br />

in die bundesgerichtliche Halterformel einfliessen und dieser Rechtsfigur ihr jeweiliges<br />

Gesicht verleihen. Das Bundesgericht übt sich in postmodernem Eklektizismus und erklärt,<br />

generell gültige Antworten zur Halterschaft gebe es nicht, vielmehr müsse in jedem Einzelfall<br />

auf die konkreten Umstände abgestellt werden 7 .<br />

Welche Elemente verstecken also sich im schwarzen Hut, aus dem das Bundesgericht seine<br />

jeweiligen Halter und Halterinnen hervorzaubert<br />

– Die effektive Verfügungsmacht. Halterverdächtig ist zunächst diejenige Person, „welche<br />

entscheidet, wer das Fahrzeug wann und unter welchen Umständen benutzen darf.“ 8<br />

– Betriebs- und Unterhaltskosten. Ein Indiz für die Halterschaft liegt vor, wenn die betreffende<br />

Person bereit ist, die aus dem Betrieb eines Fahrzeugs fliessenden Lasten zu tragen.<br />

Wer die Kosten der Ausstattung, des Unterhalts und des Betriebs, die Steuern und Vesicherungsprämien<br />

wenigstens in der Hauptsache trägt, ist halterverdächtig 9 .<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

BGE 99 II 315 (320). Vgl. auch Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 81; a.M. Keller,<br />

Haftpflicht im Privatrecht I, 284 f.<br />

Dies jedenfalls bei Anwendung der sektoriellen Methode, deren Anwendung bei der Haftung unter<br />

Haltern (Art. 61 Abs. 1 SVG) umstritten ist. Siehe dazu hinten S. 43 (Halter contra Halter).<br />

BGE 129 III 102 (103), m.w.N.; BGE 117 II 609 (613); BGE 92 II 39 (42). So schon die<br />

Rechtsprechung zu Art. 37 MFG, vgl. BGE 70 II 179 (180); BGE 63 II 209 (211); BGE 62 II<br />

138 f.<br />

BGE 117 II 609 (613). Über die Schwierigkeiten und Nachteile des Begriffs des Halters schon<br />

Huber, SJZ (27) 1931, 353 ff.<br />

BGE 4C.208/2002 E. 1.1; BGE 129 III 102 (104); BGE 70 II 179 (180); BGE 62 II 138 (139).<br />

Vgl. auch Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 92.<br />

So etwa in BGE 117 II 609 (613): Ehemann ist für den Betrieb des Fahrzeugs verantwortlich und<br />

bestreitet dessen Unterhalts- und Betriebskosten. Vgl. auch Brehm, responsabilité civile automobile,<br />

Rn. 54; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 91.<br />

6


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

– Das Interesse am Fahrzeug. Halterverdächtig ist schliesslich, wer ein dauerndes Interesse<br />

an der Inverkehrsetzung des Fahrzeugs besitzt: „Die kausale Haftung aus einer Gefährdung<br />

soll tragen, wer den unmittelbaren Nutzen aus dem gefährlichen Betrieb hat.“ 10<br />

Nicht durchzusetzen vermochte sich bislang Hans Giger, der die bundesgerichtliche Formel<br />

so auslegen möchte, dass auf die Betriebsverantwortung, also die Verantwortung für Betriebstauglichkeit,<br />

Betriebsbereitschaft und Betriebssicherheit eines Fahrzeugs, abzustellen<br />

sei 11 . Das Bundesgericht zeigt sich auch in seiner jüngsten Rechtsprechung von der bemerkens-<br />

und bedenkenswerten Argumentation, die sich auf historische, teleologische und normlogische<br />

Auslegungselemente stützt, gänzlich unbeeindruckt 12 .<br />

Unmassgeblich sind sodann gemäss höchstrichterlicher Auffassung die formellen Halterdeterminanten,<br />

namentlich der Eintrag im Fahrzeug- und im Versicherungsausweis 13 . Das ist<br />

zu relativieren. Denn im Regelfall ist die Person, auf deren Namen der Fahrzeugausweis und<br />

der Versicherungsausweis lautet 14 , auch Halterin im haftpflichtrechtlichen Sinne. Diese Dokumente<br />

liefern „ein aus der Erfahrung gewonnenes Indiz dafür, wer nach Art. 58 SVG belangbar<br />

sei.“ 15<br />

Auch das sachenrechtliche Verhältnis spielt für die Determination der Haltereigenschaft<br />

keine überragende Rolle, obwohl im Regelfall der Halter Eigentümer und Besitzer des fraglichen<br />

Fahrzeugs ist 16 .<br />

2. Hitparade der Halter-Determinanten<br />

Die verschiedenen Elemente der Haltereigenschaft sind längst nicht immer in derselben Person<br />

vereint:<br />

– Die Nichte benutzt das Auto ihrer Tante nach Belieben. Die Betriebskosten übernimmt die<br />

Tante 17 .<br />

– Dem Handelsreisenden steht während der Woche der Geschäftswagen zur Verfügung. Das<br />

massgebliche Interesse am Betrieb des Fahrzeugs hat die Firma.<br />

– Der kranke Ehemann ist für seine Mobilität auf die Fahrdienste seiner Ehefrau angewiesen,<br />

die sich um Betrieb und Unterhalt kümmert und als einzige den Wagen fährt. Die Kosten<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

BGE 4C.208/2002 E. 1.1.; BGE 129 III 102 (104). Vgl. sodann BGE 92 II 39 (43); BGE 70 II 179<br />

(180); BGE 63 II 209 (211).<br />

Giger, Strassenverkehrsgesetz, 174 ff. So schon Giger/Simmen, Strassenverkehrsgesetz, 154 f.<br />

Vgl. BGE 129 III 102 (104). Dass dem Bundesgericht diese Argumentation vorlag, kann trotz der<br />

Gleichzeitigkeit von Urteilsverkündung und Bucherscheinung (November 2002) unterstellt werden,<br />

da Giger im betreffenden Fall Geschädigtenvertreter war.<br />

Vgl. BGE 4C.208/2002, m.w.N.<br />

Vgl. Art. 4 VVV.<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 104. So auch Bussy/Rusconi,<br />

circulation routière, N o 2.5. ad LCR 58; Schaffhauser/Zellweger, Grundriss Strassenverkehrsrecht<br />

II, Rn. 866. Im Ergebnis gleich Giger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz, 174, unter Hinweis<br />

auf den Urkundencharakter des Fahrzeugausweises und der damit verbundenen Beweiskraft (Art.<br />

9 ZGB).<br />

Vgl. ZR 41 Nr. 83, 196. Stark, Berner Kommentar, N 52 zu Art. 919 ZGB; Deschenaux/Tercier,<br />

responsabilité civile, § 15 Rn. 69; Endtner, Haftpflicht und Versicherung, 19. Das Gegenteil trifft<br />

allerdings nicht zu: nicht jeder Besitzer des Fahrzeugs auch Halter, vgl. nur Oftinger/Stark,<br />

Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 100.<br />

BGE 63 II 209 (211 f.): Die Nichte ist Halterin. Vgl. auch Endtner, Haftpflicht und Versicherung,<br />

19.<br />

7


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

werden über das Geschäft des Ehemannes finanziert, das seit seiner Krankheit von der<br />

Ehefrau geführt wird 18 .<br />

– Das Gemeinwesen requiriert für wenige Stunden ein privates Fahrzeug für einen katastrophenbedingten<br />

Einsatz. Die reguläre Verfügungsgewalt sowie die Betriebskosten trägt<br />

die Eigentümerin 19 .<br />

Sind die Halterelemente auf verschiedene Personen verteilt, ist eine Gewichtung der Halterdeterminanten<br />

vorzunehmen, um zu entscheiden, bei wem die Halterschaft vorliegt oder ob<br />

allenfalls Mithalterschaft gegeben ist.<br />

In der Hitparade der für die Halterschaft massgeblichen Elemente figuriert die effektive<br />

Verfügungsgewalt über das Fahrzeug gemäss Lehre auf dem ersten Platz 20 . Die Vorrangstellung<br />

ist ihr allerdings nicht in jedem Fall gewiss. So hat etwa das Bundesgericht bei den vorerwähnten<br />

Beispielen die Halterschaft der Nichte bejaht 21 , diejenige der Ehefrau aber verneint<br />

22 .<br />

3. Halterschaft im Arbeitskontext<br />

Im Arbeitskontext kommen Arrangements bezüglich der Nutzung und Finanzierung von Fahrzeugen<br />

in fast beliebiger Varianz vor. Zu den „easy cases“ gehörten schon immer die Folgenden:<br />

– Pauschalbeitrag an die Unterhaltskosten. Auch wenn der Arbeitnehmer den Wagen teilweise<br />

im Interesse der Arbeitnehmerin einsetzt, bleibt er alleiniger Halter 23 .<br />

– Geschäftsauto im Wagenpark. Die Arbeitgeberin verfügt über einen Wagenpark, aus dem<br />

sie die Wagen den einzelnen Mitarbeitenden zuteilt. Sie bleibt alleinige Halterin der Fahrzeuge<br />

24 .<br />

Offen war hingegen im Zeitraum zwischen 1936 25 und 2002 die Frage, ob einem Angestellter<br />

die Haltereigenschaft zukommt, wenn die Arbeitgeberin die Kosten trägt, er aber über das<br />

Auto auch ausserhalb der geschäftlichen Tätigkeit nach seinem Gutdünken verfügen kann.<br />

Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid aus dem Jahre 2002 die Haltereigenschaft des Arbeitnehmers<br />

(Generaldirektor) bejaht 26 .<br />

18<br />

19<br />

20<br />

21<br />

22<br />

23<br />

24<br />

25<br />

26<br />

BGE 92 II 39 (42): Der Ehemann ist Halter. Kritik am Entscheid bei Brehm, responsabilité civile<br />

automobile, Rn. 69 (ergebnisorientiert); Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25<br />

Rn. 123, Fn. 247 (zu weitgehend); Schaffhauser/Zellweger, Grundriss Strassenverkehrsrecht II,<br />

Rn. 872; Stark, Haftpflichtrecht, Rn. 898.<br />

BGE 129 III 410 (414): Das Gemeinwesen ist Halterin.<br />

Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 53; Deschenaux/Tercier, responsabilité civile, § 15<br />

Rn. 65; Gassmann, Energiehaftung, 196 ff.; Bussy, SJK 907, 5; Strebel, Kommentar, N 62 zu Art.<br />

37 MFG.<br />

BGE 63 II 209 (211 f.).<br />

BGE 92 II 39 (43).<br />

Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 76.<br />

OGer BE, Urteil vom 29. September 1933, in : ZBJV 70 (134), 243 f. ; Brehm, responsabilité<br />

civile automobile, Rn. 76.<br />

BGE 62 II 138.<br />

BGE 129 III 102. So schon Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 119.<br />

8


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Umstritten war bislang auch, ob einem Angestellten die Haltereigenschaft zukommt, wenn<br />

er das Geschäftsauto für gelegentliche Privatfahrten benutzen darf 27 . Aus dem eben erwähnten<br />

Bundesgerichtsentscheid ist zu schliessen, dass diesfalls die Haltereigenschaft bei<br />

der Arbeitgeberin verbleibt 28 .<br />

Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist die minimale Zeitspanne, in der die freie<br />

Verfügbarkeit gegeben sein muss, um die Haltereigenschaft des Angestellten zu bejahen. Das<br />

Bundesgericht hat diese Frage ausdrücklich offen gelassen 29 und sie jedenfalls für den konkreten<br />

Fall bei einer Verfügbarkeit von vier Monaten vor dem Unfall und voraussichtlichen<br />

weiteren drei bis vier Monaten bejaht.<br />

Die Rechtsprechung zur Fahrzeugmiete liefert für die Frage der minimalen Zeitspanne<br />

keine brauchbaren Anhaltspunkte. Bislang hat das Bundesgericht nur entschieden, dass bei<br />

einer Mietdauer von einem halben Tag die Halterschaft des Mieters nicht gegeben sei 30 . Die<br />

Lehre schwankt zwischen drei Tagen 31 , einem Monat 32 und drei Monaten 33 .<br />

Im Arbeitskontext sollte primär auf die voraussichtliche Verfügbarkeit abgestellt werden.<br />

Wer damit rechnet, über einen längeren Zeitraum frei über das Geschäftsauto verfügen<br />

zu können, wird Halter. Dabei scheint ein Zeitraum von drei Monaten angemessen.<br />

Im Ergebnis können dank der erfolgten Präzisierungen in der Rechtsprechung die wichtigsten<br />

Fragen der Haltereigenschaft bei Geschäftsfahrzeugen als geklärt gelten.<br />

4. Halterschaft im Familienkontext<br />

a) Problemstellung<br />

Problemgeladen ist die Frage der Halterschaft im Familienkontext. Hier stehen zwei Konstellationen<br />

im Vordergrund:<br />

– Familie Müller hat ein Auto. Frau Müller fährt nachts auf vereister Strasse und erleidet<br />

einen Selbstunfall.<br />

– Herr und Frau Müller fahren ins Theater. Herr Müller zu Frau Müller: „Fährst Du“ Frau<br />

Müller: „Kein Problem“. Auf der Fahrt kommt es zum Unfall. Beide sind verletzt.<br />

In beiden Fällen ist die Frage der Halterschaft für das Haftungsverhältnis bzw. den Schadensausgleich<br />

von massgeblicher Bedeutung.<br />

– Selbstunfall der Ehefrau. Ist Herr Müller Alleinhalter des Fahrzeugs, so hat Frau Müller<br />

einen Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung von Herrn Müller. Ist Frau Müller<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

32<br />

33<br />

Gemäss Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 76, bleibt die Arbeitgeberin alleinige Halterin.<br />

Anderer Ansicht Bussy, SJK 907, 5; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2,<br />

§ 25 Rn. 119; Stark, Haftpflichtrecht, Rn. 899.<br />

Vgl. BGE 129 III 102 (103): „Steht das Fahrzeug dem Arbeitnehmer in diesem Fall nicht bloss zu<br />

geschäftlichen Zwecken zur Verfügung und kann er damit nicht bloss gelegentlich private Fahrten<br />

ausführen, sondern im Wesentlichen frei über die Verwendung entscheiden, so wird er zum Halter.“<br />

(Hervorhebung durch die Autorenschaft).<br />

BGE 129 III 102 (106).<br />

BGE 62 II 189 (189 f.); BGE 70 II 179 (180); vgl. auch OGer AR vom 27.5.1957, besprochen in<br />

SJZ (57) 1961, 188 Nr. 62.<br />

Full, Zivilrechtliche Haftung, Rn. 213 zu StVG 7 (Deutschland).<br />

Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 298; Stark, Haftpflichtrecht, Rn. 900.<br />

Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 60 ; Hentschel, Strassenverkehrsrecht, Rn. 16 zu § 7<br />

Abs. 1 StVG (Deutschland).<br />

9


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Halterin oder Mithalterin des Fahrzeugs, entfällt der Anspruch gegen die Haftpflichtversicherung.<br />

Frau Müller ist für den Schadensausgleich auf ihre Unfallversicherung angewiesen.<br />

– Gemeinsamer Unfall. Beide sind verletzt. Hier ist zu unterscheiden:<br />

– Ist Herr Müller Alleinhalter, so hat er als Passagier zwar seit der SVG-Revision einen<br />

Direktanspruch gegen seine Halterversicherung für seinen Körperschaden (Art. 63 Abs.<br />

3 lit. a SVG i.V.m. Art. 65 Abs. 1 SVG). Die Rechtsgrundlage ist aber die Verschuldenshaftung<br />

gemäss Art. 41 OR. Er muss sich also namentlich die Betriebsgefahr<br />

seines Fahrzeugs anrechnen lassen. Frau Müller als Lenkerin hat dagegen einen<br />

Anspruch gegen die Halterversicherung gestützt auf die Kausalhaftung in Art. 58 SVG.<br />

– Ist Frau Müller Alleinhalterin und lenkt sie das Fahrzeug, hat Herr Müller einen direkten<br />

Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer (Art. 65 Abs. 1 SVG). Frau Müller hat<br />

keinen Anspruch gegen ihre eigene Motorhaftpflichtversicherung. Sie ist für den<br />

Schadensausgleich auf ihre Unfallversicherung angewiesen.<br />

– Sind Herr und Frau Müller Mithaltende, so entfällt ihr Anspruch gegen die Halterversicherung.<br />

Zwischen ihnen gilt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Verschuldenshaftung<br />

des Obligationenrechts 34 . Die Rechtsprechung findet überwiegend<br />

Zustimmung 35 .<br />

An den vorerwähnten Beispielen zeigt sich: Die Haltereigenschaft hat haftungstechnisch weitgehende<br />

Konsequenzen. Im Familienkontext wirft die Zweiteilung des Haftungsregimes besondere<br />

Probleme auf, weil sich die Frage nach der Haltereigenschaft oft nicht klar beantworten<br />

lässt:<br />

Wie es schon das gesetzliche Leitbild in Art. 159 ZGB festhält, wahren die Ehepartner das<br />

Wohl der Gemeinschaft in einträchtigem Zusammenwirken. Im informellen, partnerschaftlich<br />

ausgerichteten Beziehungsgewebe zwischen Eheleuten lassen sich die Begriffselemente<br />

der Halterschaft selten mit der gewünschten Eindeutigkeit einer einzigen Person zuweisen.<br />

Gewisse Elemente können die Indizwirkung gänzlich verlieren, so etwa die Betriebs- und<br />

Unterhaltskosten, die regelmässig als Beitrag zum Familienunterhalt im Sinne von Art. 163<br />

ZGB geleistet werden 36 . Aber auch die effektive Verfügungsmacht ist in der partnerschaftlichen<br />

Realität nicht ohne weiteres einem der Ehepartner zuzuordnen. Häufig erfolgt der Gebrauch<br />

in gegenseitiger Absprache („in einträchtigem Zusammenwirken“). Dasselbe gilt für<br />

die Frage des Nutzungsinteresses. Aus dem Fahrzeug ziehen regelmässig beide Ehegatten<br />

einen unmittelbaren Nutzen.<br />

In der Rechtsprechung lässt sich die Tendenz beobachten, bei Halterschaftsfragen im Familienkontext<br />

eine Präsumption der ehemännlichen Halterschaft aufzustellen 37 . Dies mit<br />

34<br />

35<br />

36<br />

37<br />

BGE 99 II 315 (321).<br />

Zustimmend Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 81; Oftinger/Stark, Schweizerisches<br />

Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 117 und § 26 Rn. 104; Stark, Haftpflichtrecht, Rn. 895; Schaffhauser/Zellweger,<br />

Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 1086. Kritisch Kummer, ZBJV 1975, 135<br />

f. Ablehnend Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 284 f.<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, § 25 Rn. 123.<br />

Besonders deutlich BGE 92 II 39 (43) – Verfügungsmacht der Ehefrau, Betrieb und Unterhalt<br />

durch Ehefrau. Zur kritischen Würdigung des Entscheids durch die Doktrin vgl. oben Fn. 18. Vgl.<br />

wieter BGE 4C.208/2002, Partnerin; Vgl. zudem BGE 117 II 609 (613), Ehefrau; BGE 101 II 133<br />

(136 f.), Geliebte.<br />

10


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

dem (stillschweigenden) Ziel eines möglichst lückenlosen Versicherungsschutzes zugunsten<br />

der Ehefrauen, die – zumindest bei traditioneller Rollenverteilung – nicht unter das Obligatorium<br />

der Unfallversicherung fallen, mit der Folge, dass sich für sie die Halterschaft doppelt<br />

nachteilig auswirkt.<br />

Das Ziel eines lückenlosen Versicherungsschutzes ist an sich unbestritten. Fraglich ist<br />

aber, ob es sich rechtfertigt, das Haftungssystem des SVG auf dieses rechtspolitische Postulat<br />

hin zu „modellieren“ und das SVG als Kompensationsinstrument für die fehlende Sozialversicherung<br />

einzusetzen. Die Haftpflichtordnung des SVG soll Schäden, die aus dem Betrieb<br />

eines Motorfahrzeugs entstehen, aus einem Geldfonds ausgleichen, der von einer Risikogemeinschaft<br />

von Autofahrern durch Prämienleistungen aufgebracht worden ist 38 . Es gehört<br />

nicht zu seinen Aufgaben, die Lücke im Sozialversicherungsschutz zu füllen.<br />

Mit Blick auf die praktischen Schwierigkeiten der Bestimmung des Halters oder der Halterin<br />

im familiären Nahbereich muss also nach einem Auffangkriterium gesucht werden, das im<br />

Zweifelsfall über die Halterschaft entscheidet.<br />

b) Auffangkriterien für den Grauzonenbereich<br />

In Lehre und Rechtsprechung werden verschiedene Auffangkriterien vorgeschlagen:<br />

aa) Technische Verantwortung<br />

Angesichts der praktischen Schwierigkeiten der Halterdeterminierung im Familienkontext<br />

wollen Oftinger/Stark auf die technische Verantwortung für das Fahrzeug abstellen. Halter<br />

oder Halterin wäre demnach, wer dafür sorgt, dass der Wagen gewartet und kontrolliert wird,<br />

dass die Winterpneus rechtzeitig montiert und die Abgaskontrollen vorgenommen werden 39 .<br />

Das Abstellen auf die technische Verantwortung läuft in der sozialen Lebenswirklichkeit tendenziell<br />

auf die Präsumption der ehemännlichen Halterschaft hinaus 40 .<br />

Abgesehen davon, dass auch die technische Verantwortung im familiären Beziehungsgeflecht<br />

nicht in jedem Fall eindeutig zuweisbar ist, beschränkt sich diese angesichts des High-<br />

Tech-Charakters der heutigen Motorfahrzeuge effektiv auf die regelmässige Ablieferung in<br />

der Autogarage. Als ausschlaggebendes Kriterium für die Halterschaft scheint daher die technische<br />

Verantwortung wenig sachgerecht.<br />

bb) Mithalterschaft<br />

Naheliegend als Auffangkriterium ist die Annahme der Mithalterschaft der Ehepartner. Lassen<br />

sich Verfügungsmacht, Kostentragung und Nutzen über das Fahrzeug nicht klar zuordnen,<br />

wäre also von der Mithalterschaft auszugehen. Eine solche Auslegung würde sich zudem mit<br />

dem gesetzlichen Leitbild der Ehe decken, wie sie in Art. 159 ZGB festgehalten ist.<br />

Die Überzeugungskraft der Mithalterschaft als Auffangkriterium scheitert an rein praktischen<br />

Überlegungen. Solange das Bundesgericht – unter dem Begleitschutz der<br />

herrschenden der Lehre – Ansprüche unter Mithaltern dem Obligationenrecht unterstellt 41 ,<br />

kann die Mithalterschaft als Auffangkriterium im Ehekontext nicht ernsthaft in Erwägung gezogen<br />

werden: Bei Zweifeln über die Halterschaft wäre sonst jeder gemeinsame Unfall der<br />

Ehepartner vom Haftungssystem des SVG ausgeschlossen.<br />

38<br />

39<br />

40<br />

41<br />

Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 377.<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, § 25 Rn. 123.<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, § 25 Rn. 123.<br />

BGE 99 II 315 (320). Zur Doktrin vgl. oben Fn. 35.<br />

11


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Rechtsdogmatisch zwingend ist die Auffassung des Bundesgerichts über das Haftungsverhältnis<br />

unter Mithaltern allerdings nicht. Das Bundesgericht argumentierte in seinem Grundsatzentscheid,<br />

es gehe für den Mithalter gleich wie für den Alleinhalter um nichts anderes als<br />

um ausschliesslich selbstverursachte Schadenszufügung an eigener Person und an eigener Sache.<br />

Das aber sei kein Haftungstatbestand des SVG 42 . Diese Rechtsprechung ist schon deshalb<br />

überholt, weil es heute sehr wohl die Konstellation gibt, in der ein Halter gegen seine<br />

eigene Halterversicherung einen Direktanspruch hat: Dies ist der Fall des Halters, der als mitfahrender<br />

Passagier verletzt wird (Art. 63 Abs. 3 lit. a SVG i.V.m. Art. 65 Abs. 1 SVG) 43 .<br />

Ansprüche gegen die eigene Halterversicherung sind also nicht mehr per se ausgeschlossen.<br />

Zudem legt das Bundesgericht seinem Entscheid die Auffassung zugrunde, dass die Mithalter<br />

sich zu einer einzigen Halterperson verschmelzen. Das trifft nicht zu. Vielmehr kommt<br />

jedem Mithalter jeweils die volle Haltereigenschaft zu. Es besteht daher für jeden Mithalter<br />

eine selbständige Haftung und ein selbständiger Versicherungsschutz. Das zeigt sich ohne<br />

weiteres im Aussenverhältnis: Hier würde – bei Ausklammerung des Direktanspruchs gegen<br />

die Versicherung – jeder Mithalter solidarisch für den bei Dritten entstandenen Schaden haften,<br />

und zwar gestützt auf die Kausalhaftung von Art. 58 Abs. 1 SVG. Jeder Mithalter hat also<br />

im Aussenverhältnis die volle Betriebsgefahr zu verantworten, gegen jeden Mithalter besteht<br />

ein eigenständiger Anspruch auf Ersatz des Gesamtschadens. Der Direktanspruch gegen<br />

die Versicherung (Art. 65 Abs. 1 SVG) ändert an dieser Rechtslage nichts; er dient einzig dazu,<br />

das Risiko der Zahlungsunfähigkeit der Halterpersonen auszuschalten. Kommt aber<br />

jedem Mithalter die volle Haltereigenschaft zu, so hat im Schadensfall zwischen Mithaltern<br />

nicht der Mithalter sich selbst, sondern einen anderen Halter geschädigt. Die Haftung beurteilt<br />

sich demzufolge nach Art. 61 Abs. 1 SVG 44 . Wie Keller treffend bemerkt, spielt es<br />

keine Rolle, dass die beiden Halter die Betriebsgefahr aus demselben Fahrzeug beziehen. Die<br />

Haftungskollision nach Art. 61 Abs. 1 SVG entsteht zwar – wie auch dem Wortlaut zu entnehmen<br />

ist – meist unter Beteiligung zweier Fahrzeuge, ist aber rechtlich gesehen ein Zusammenprall<br />

zweier Haftungsgründe 45 .<br />

cc) Verwirklichung der Betriebsgefahr<br />

Sodann könnte man bei Zweifeln über die Halterschaft im Familienkontext darauf abstellen,<br />

wer im konkreten Fall die Verwirklichung der Betriebsgefahr zu verantworten hat. Auffangkriterium<br />

wäre demnach die Eigenschaft als Lenkerin des Unfallwagens.<br />

Dagegen spricht, dass gemäss Grundentscheid des SVG-Gesetzgebers nicht die Lenkerschaft,<br />

sondern die Halterschaft den Bezugspunkt der spezialgesetzlichen Haftungsordnung<br />

bildet 46 . Dieses Argument ist aber sogleich zu relativieren, denn der Grundsatzentscheid des<br />

SVG wird mit der vorgeschlagenen Lösung nicht in Frage gestellt. Es soll nicht die Lenkerin<br />

zum neuen Haftungssubjekt des SVG gekürt werden – das wäre angesichts des klaren Wortlauts<br />

des Gesetzes auch gar nicht möglich. Wo aber die üblichen Begriffselemente der Halterschaft<br />

zu keinem Ergebnis führen, weil Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten im<br />

Familienkontext nicht nur faktisch, sondern auch normativ (Art. 159 ZGB!) anders verlaufen,<br />

sollte der Halterbegriff um ein weiteres Element – die Lenkerschaft – ergänzt werden.<br />

42<br />

43<br />

44<br />

45<br />

46<br />

BGE 99 II 315 (320).<br />

BBl 1995 I, 49 ff. Vgl. weiter Vogel, SVZ 64 (1996), 26.<br />

So auch Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 285.<br />

Keller, Haftpflicht und Privatrecht I, 285.<br />

Das Bundesgericht verneint in ständiger Rechtsprechung die Relevanz der konkreten Betriebsgefahr<br />

als Kriterium für die Haftungsbegründung oder den Haftungsumfang, vgl. nur BGE 117 II<br />

609 (620), m.w.N.<br />

12


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Für diese Lösung spricht ihre Praktikabilität. Die Feststellung der Lenkerschaft wird<br />

nämlich im Einzelfall wenig Schwierigkeiten bereiten. Zweitens erscheint das Abstellen auf<br />

die Lenkerschaft auch deshalb sachgerecht, weil damit dem Leitgedanken der Haftungsordnung<br />

im SVG Rechnung getragen wird, wonach haften soll, wer die Betriebsgefahr zu verantworten<br />

hat. Ist im familiären Kontext die Halterschaft unklar und hat ein Familienmitglied<br />

die Betriebsgefahr konkret und nachweisbar zu verantworten, so soll dies ausschlaggebend<br />

sein für die Bejahung der Halterschaft.<br />

dd) Formelle Haltereigenschaft<br />

Abstellen könnte man im Zweifelsfall sodann auf die im Fahrzeug- und Versicherungsausweis<br />

eingetragene Person. Zwar wird das Bundesgericht nicht müde zu betonen, dass dem SVG<br />

nicht ein formeller, sondern ein materieller Halterbegriff zugrunde liegt, weshalb es keine<br />

Rolle spiele, wer im Fahrzeug- oder im Versicherungsausweis als Halter eingetragen sei 47 .<br />

Indessen wird zu recht darauf hingewiesen, dass sich das Bundesgericht hier die Sache etwas<br />

leicht macht. Ein Fahrzeugausweis ist eine öffentliche Urkunde, dem gemäss Art. 9 ZGB die<br />

Beweiskraft für die Richtigkeit der darin verurkundeten Tatsachen zukommt. Die Absage des<br />

Bundesgerichts hinsichtlich der Massgeblichkeit des Fahrzeugausweises ist – jedenfalls in<br />

seiner Pauschalität – fragwürdig 48 .<br />

Im übrigen würde es der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis nicht widersprechen, wenn<br />

im Zweifelsfall – d.h. wenn die üblichen materiellen Halterelemente zu keinem klaren Ergebnis<br />

führen – der Fahrzeugausweis den Ausschlag für die Halterschaft gibt. Auf jeden Fall<br />

wäre diese Lösung einer Vorgehensweise vorzuziehen, die ergebnisorientiert die einzelnen<br />

Anhaltspunkte der Halterschaft derart gewichtet, dass es zur Alleinhalterschaft des einen oder<br />

anderen Ehepartners kommt.<br />

ee) Eigentum<br />

Als Auffangdeterminante könnte man schliesslich darauf abstellen, wer Eigentümerin oder<br />

Eigentümer des Fahrzeugs ist. Auch hier gilt: Lehre und Rechtsprechung lehnen die Massgeblichkeit<br />

des sachenrechtlichen Elements für die Bestimmung der Halterschaft grundsätzlich<br />

ab 49 . Als Auffangkriterium wäre dieses Element aber deshalb attraktiv, weil es im<br />

Regelfall leicht feststellbar ist und es der Lebenserfahrung („wer zahlt, befiehlt“) entspricht,<br />

dass mit der Eignerschaft auch eine umfassende Verfügungsmacht verbunden ist.<br />

5. Ergebnis zur Halterschaft<br />

Die Frage der Halterschaft gibt auch heute noch Anlass zu Überlegungen. Nachdem das Bundesgericht<br />

in seiner jüngeren Rechtsprechung die zentralen Fragen im Arbeitskontext gelöst<br />

hat, bleibt als problematischer Bereich vor allem das familiäre Umfeld. Die Schwierigkeiten,<br />

die sich hinsichtlich der Bestimmung der Haltereigenschaft ergeben, würden teilweise entschärft,<br />

wenn man die bisherige Sicht auf die Haftungsansprüche unter Mithaltenden kritisch<br />

überdenken würde. Gänzlich entschärft würden sie allerdings erst, wenn man sich dazu<br />

durchringen könnte, die Halterversicherung durch eine allgemeine Verkehrsopferschutzversicherung<br />

zu ersetzen. Bis dahin ist die Festlegung einer Auffangdeterminante für die<br />

Halterschaft zu überlegen, die bei Zweifelsfällen das ausschlaggebende Kriterium sein würde.<br />

47<br />

48<br />

49<br />

Zuletzt BGE 4C.208/2002.<br />

So auch Giger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz, 174.<br />

Vgl. ZR 41, Nr. 83, 196. Stark, Berner Kommentar, N 52 zu Art. 919 ZGB; Deschenaux/Tercier,<br />

responsabilité civile, § 15 Rn. 69; Endtner, Haftpflicht und Versicherung, 19.<br />

13


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Dabei bietet es sich an, auf die Lenkerschaft abzustellen, weil diese im Schadensfall ohne<br />

weiteres feststellbar ist (Praktikabilität) und weil die Person, die am Steuer sitzt, die Betriebsgefahr<br />

konkret zu verantworten hat. Auch die formelle Haltereigenschaft erscheint als taugliche<br />

Auffangdeterminante für Zweifelsfälle. Sie stünde im Einklang mit der Beweiskraft, die<br />

Art. 9 ZGB den öffentlichen Urkunden zuweist. Für die Ehepartnerinnen und Ehepartner<br />

wäre zudem nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Autonomie geschaffen, weil sie mit<br />

dem Entscheid über die formelle Halterschaft gleichzeitig die Lösung für den Zweifelsfall<br />

treffen. Dass dabei auch Überlegungen zum möglichst weitgehenden Versicherungsschutz<br />

einfliessen können, ist nicht zu beanstanden. Erwägenswert als Auffangkriterium wäre<br />

schliesslich das Eigentum am Fahrzeug, weil auch dies relativ leicht feststellbar ist und weil<br />

sich nach der Lebenserfahrung mit dem Eigentum auch die Kontrolle über die Nutzung verbindet.<br />

II.<br />

Der Betrieb<br />

Die Gefährdungshaftung von Art. 58 SVG Abs. 1 wird aktiviert, wenn ein Schaden durch den<br />

Betrieb eines Motorfahrzeugs verursacht worden ist. Massgeblich ist mit Blick auf die Teleologie<br />

des Gesetzes das dem Motorfahrzeug eigentümliche Gefahrenmoment, das sich aktualisiert<br />

oder das zumindest nachwirkt. So wurde in den parlamentarischen Beratungen zum<br />

SVG betont, es müssten alle Kräfte mobilisiert werden, „um menschliches Leben und<br />

menschliche Gesundheit gegenüber dem Ansturm der modernen Verkehrstechnik in optimaler<br />

Wiese zu schützen.“ 50 Hat sich die spezielle Betriebsgefahr nicht ausgewirkt, bleibt die Gefährdungshaftung<br />

aus dem Spiel. Neben den Grundfällen des Betriebs (1) sollen nachfolgend<br />

zwei Sonderkonstellationen behandelt werden: Die stillstehenden Fahrzeuge (2) und die<br />

Arbeitsmotorwagen (3).<br />

1. Grundfälle: Fortbewegung<br />

Klare Fälle sind jene, bei denen sich der schädigende Gebrauch eines Motorfahrzeugs bereits<br />

auf den ersten Blick mit der höchstrichterliche Lesart des Betriebsbegriffs decken. Das<br />

Bundesgericht hält sich dabei vordergründig an den sogenannten maschinentechnischen Betriebsbegriff.<br />

Nach dieser Konzeption muss Ursache des beim Unfall entstandenen Personenoder<br />

Sachschadens der Betrieb der maschinellen Einrichtungen des Fahrzeugs sein. Massgeblich<br />

für den Betriebsbegriff ist die besondere (Unfall-)Gefahr, die bei der Aktivierung der<br />

maschinellen Einrichtungen eines Fahrzeugs resultiert 51 . Betrieb ist damit bei blossem Erscheinen<br />

im Verkehr nicht gegeben. Das Bundesgericht hat dieses weiter gefasste, auf dem so<br />

genannten verkehrstechnischen Betriebsbegriff beruhende Begriffsverständnis zumindest in<br />

formeller Hinsicht stets abgelehnt 52 .<br />

Welches sind nun also im Rahmen eines maschinentechnischen Ansatzes die klaren Fälle<br />

von Betrieb Dazu gehören auf jeden Fall die motorisierte Fahrt von Fahrzeugen 53 . Ihr ist<br />

50<br />

51<br />

52<br />

53<br />

Sten. Bull. 1956 NR, S. 285.<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 345 ff., 350. Vgl. auch Brehm, responsabilité<br />

civile automobile, Rn. 122.<br />

BGE 114 II 380 (381); BGE 97 II 161 (164 f.); BGE 82 II 43 (47); BGE 72 II 217 (220). Vgl. zur<br />

Geltung des verkehrstechnischen Betriebsbegriffs in Deutschland Hentschel, Strassenverkehrsrecht,<br />

Rn. 5 zu § 7 StVG.<br />

So schon BGE 63 II 267 (269). Zu den einzelnen Gefahrenmomenten bei der Fahrt (je mit wieteren<br />

Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur) Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht<br />

14


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

aufgrund expliziter höchstrichterlicher Stellungnahme auch das bewusste Ausnutzen der<br />

eigenen Schwerkraft gleichzustellen 54 . Schliesslich zählt zu den klaren Fällen des Betriebs<br />

gemeinhin auch das Blenden der Scheinwerfer eines Fahrzeugs 55 . Letzteres erhält aber heute<br />

nicht mehr ungeteilt Zustimmung 56 .<br />

Die klaren Fälle zum Nichtvorliegen des Betriebs ergeben sich durch Invertierung des<br />

Gesagten: Unfälle mit Beteiligung eines Motorfahrzeugs, die sich nicht auf die maschinellen<br />

Einrichtungen desselben zurückführen lassen, stehen ausserhalb des Geltungsbereichs von<br />

Art. 58 Abs. 1 SVG. Als eindeutiges Beispiel kann der Fall des Einklemmens eines Fingers<br />

beim Schliessen der Fahrzeugtür dienen 57 . In solchen Fällen stellt sich die Frage der<br />

(Verschuldens-)Haftung nach Art. 58 Abs. 2 SVG 58 , nicht aber der Gefährdungshaftung nach<br />

Art. 58 Abs. 1 SVG.<br />

2. Sonderfall: Stillstehende Fahrzeuge<br />

Abwechslungsreich gestaltet sich die Anwendung von Art. 58 Abs. 1 SVG bei stillstehenden<br />

Fahrzeugen. Hier wird der Betrieb einmal bejaht, dann aber wieder verneint.<br />

a) Ausgangslage<br />

Verkehr ist Bewegung. Ein stillstehendes Fahrzeug erscheint dabei oft als Hindernis, manchmal<br />

auch als Unfallursache. Obwohl gleichfalls Maschine, ist das stillstehende Fahrzeug in<br />

aller Regel nicht in Betrieb. Es bildet mithin ein Hindernis wie andere unbewegliche Sachen<br />

auch: Tote Masse, wie das Bundesgericht sagt 59 . So waren beispielsweise folgende stillstehende<br />

Fahrzeuge nicht in Betrieb:<br />

– Der Lastwagen, der im Dunkeln unbeleuchtet am Strassenrand stand, woraufhin ein Fahrradfahrer<br />

mit diesem Hindernis kollidierte 60 .<br />

54<br />

55<br />

56<br />

57<br />

58<br />

59<br />

60<br />

II/2, § 25 Rn. 352. Vgl. aber die Annäherung an den verkehrstechnischen Betriebsbegriff in BGE<br />

110 II 423 (424).<br />

BGE 63 II 267 (269 f.). Kritisch zur Beschränkung auf bewusste Ausnutzung der Schwerkraft<br />

Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 129; Bussy, SJK 909, 3 (Fn. 12); Nef, Betrieb des<br />

Motorfahrzeugs, 361 f.<br />

BGE 63 II 267 (269); BGE 78 II 161 (163) und explizit haftungsbegründend in BGE 63 II 339<br />

(342). Zustimmend Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 361; Brehm, responsabilité<br />

automobile civile, Rn. 140; Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 290; Deschenaux/Tercier,<br />

responsabilité civile, § 15 Rn. 104; Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, Rn. 1292.<br />

Kritisch insbesondere Nef, Betrieb des Motorfahrzeugs, 365: Das Blenden der Scheinwerfer vermag<br />

zwar beim plötzlichen Auftauchen des Fahrzeugs den Gegenverkehr zu irritieren. Die Gefahr<br />

ergibt sich aber nur im Verein mit der Fortbewegung des Fahrzeugs, weshalb die Zuordnung zum<br />

Betrieb beim stillstehenden Fahrzeug unangebracht ist; zweifelnd auch schon Bussy, SJK 909, 6<br />

Fn. 34.<br />

BGE 63 II 267 (270); BGE 107 II 269 (271). Für die weitere Kasuistik sei hier auf die Darstellungen<br />

der Standardwerke verwiesen: Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 293 f.; Oftinger/Stark,<br />

Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 365 Ziff. 2.; Schaffhauser/Zellweger, Strassenverkehrsrecht<br />

II, Rn. 1072 f.<br />

Zu den Voraussetzungen Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 382;<br />

Schaffhauser/Zellweger, Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 1072 ff. Die praktische Relevanz<br />

von Art. 58 Abs. 2 SVG ist gering geblieben. Entweder fehlte es am Tatbestandsmerkmal des<br />

Verschuldens: z.B. BGE 97 II 161 (167 ff.) und BGE 102 II 281 (283 ff.). Oder es fehlte am Tatbestandsmerkmal<br />

des Verkehrsunfalls: z.B. BGE 107 II 269 (276); BGE 114 II 376 (378).<br />

BGE 97 II 161 (166).<br />

BGE 72 II 217 (222 f.).<br />

15


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

– Der am Strassenrand stehende Personenwagen mit (unbeleuchtetem) Anhänger, auf den ein<br />

Motorradfahrer auffuhr 61 .<br />

Der am Strassenrand parkierte Personenwagen mit eingeschalteten Positionslichtern, dessen<br />

gegen die Fahrbahn geöffnete Tür einen Motorradfahrer zu Fall bringt 62 .<br />

– Der Lastwagen, der mit ausgeschaltetem Motor, aber eingeschaltetem Blinker nahe einer<br />

Baustelle anhält. Der Lenker war ausgestiegen, um zu überprüfen, ob er eine gefüllte Mulde<br />

aufladen könne 63 .<br />

– Das Taxi, das mit ausgeschaltetem Motor in einer Strassenausbuchtung vor einem Hotel<br />

anhält, um einen Fahrgast aussteigen zu lassen 64 .<br />

– Der Lastwagen, der am Strassenrand abgestellt ist, um Waren auf- und abzuladen. Ein<br />

nachfolgender Autobus kollidiert aufgrund des Hindernisses mit einem entgegenkommenden<br />

Tram 65 .<br />

Zuweilen ist aber auch das stillstehende Fahrzeug in Betrieb. Gemäss bundesgerichtlicher<br />

Rechtsprechung etwa in folgenden Fällen:<br />

– Der mit zwei Rädern auf dem Trottoir parkierte Personenwagen, dessen eingeschaltete<br />

Scheinwerfer einen anderen Autofahrer blenden, der daraufhin einen Fussgänger anfährt<br />

(Scheinwerferfall) 66 .<br />

– Der Personenwagen, der stoppt, um die Kollision mit einem Velofahrer zu vermeiden 67 .<br />

– Der Lastenzug, dessen Anhänger auf einem Bahnübergang umkippt, was wenige Minuten<br />

später den Zusammenstoss mit einem Zug zur Folge hat (Bahngeleisefall) 68 .<br />

– Der Lastenzug, der aufgrund einer Panne im Tunnel zu stehen kommt. Anderthalb Minuten<br />

später kommt es zum Zusammenstoss mit einem nachfolgenden Lastwagen (Tunnelfall) 69 .<br />

– Das still stehende Pistenfahrzeug, auf das ein Skifahrer auffährt (Pistenfahrzeugfall) 70 .<br />

Welches Muster liegt nun diesen Entscheidungen zugrunde Eine erste Richtlinie bietet die<br />

Frage, ob ein Fahrzeug ausserhalb der Fahrbahn oder aber auf der Fahrbahn steht.<br />

b) Stillstehende Fahrzeuge am Fahrbahnrand<br />

Steht ein Fahrzeug ausserhalb der Fahrbahn, so wird der Betrieb vom Bundesgericht regelmässig<br />

verneint 71 . Das ist auch die Auffassung der herrschenden Lehre 72 . Eine Ausnahme<br />

61<br />

62<br />

63<br />

64<br />

65<br />

66<br />

67<br />

68<br />

69<br />

70<br />

71<br />

BGE 78 II 161 (161).<br />

BGE 88 II 455 (458).<br />

BGE 97 II 161 (166).<br />

BGE 100 II 49 (51).<br />

BGE 102 II 281 (283).<br />

BGE 63 II 339 (343).<br />

BGE 64 II 237 (240).<br />

BGE 110 II 423 (424).<br />

BGE 113 II 323 (329).<br />

BGE 116 II 214, nicht publizierte Erwägung. Vgl. Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 291.<br />

Vgl. die oben aufgeführte Rechtsprechung. Ablehnend Yung, circulation routière, 17. Etwas wieter<br />

geht aufgrund der Geltung des verkehrstechnischen Betriebsbegriffs die Haftung in Deutschland.<br />

Parkierte Fahrzeuge sind hiernach solange in Betrieb, wie sie den Verkehr irgendwie beeinflussen<br />

können. Vgl. hierzu die Hinweise in Hentschel, Strassenverkehrsrecht, N 7 f. zu § 7 StVG.<br />

16


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

bildet das am Strassenrand parkierte Auto mit eingeschalteten Scheinwerfern 73 . Das ergibt<br />

sich indes bereits aus dem heute herrschenden Verständnis des maschinentechnischen Betriebsbegriffs:<br />

Die Scheinwerfer gehören zu denjenigen maschinellen Einrichtungen eines<br />

Fahrzeugs, die aufgrund ihrer Blendwirkung eine besondere (Unfall-)Gefahr in sich tragen 74 .<br />

c) Stillstehende Fahrzeuge auf der Fahrbahn<br />

Anders verhält es sich, wenn sich der Stillstand auf der Fahrbahn ereignet. Hier hat das<br />

Bundesgericht den Betrieb – und damit die Haftung nach Art. 58 Abs. 1 SVG – regelmässig<br />

bejaht 75 . Die motorischen Kräfte entfalten also eine Nachwirkung und lösen damit den maschinentechnischen<br />

Betriebsbegriff aus einem allzu engen Korsett.<br />

d) Zeitabhängiger Betriebsbegriff<br />

Wann und wie lange ist ein nachwirkender Betrieb anzunehmen Das Bundesgericht stellt auf<br />

eine Gesamtbetrachtung ab 76 . Die Doktrin setzt unterschiedliche Schwerpunkte: Für die<br />

einen ist die Intention zur (Weiter-)fahrt massgeblich, für die anderen die Plötzlichkeit des<br />

Stillstands und das damit verbundene Überraschungsmoment 77 . Betont wird zumeist die Notwendigkeit<br />

eines engen zeitlichen Zusammenhangs mit der Fortbewegung 78 : Mit fortschreitendem<br />

Zeitablauf werde das stillstehende Fahrzeug zum gewöhnlichen Hindernis, das unter<br />

die Bestimmung über den Nicht-Betrieb in Art. 58 Abs. 2 SVG falle.<br />

Wie verhält es sich mit der zeitbedingten Metamorphose von der explosiven Gefahrenquelle<br />

zur toten Masse Abgesehen von der im juristischen Diskurs ungewohnten Esoterik vermag<br />

bei stillstehenden Fahrzeugen auf der Fahrbahn der zeitabhängige Betriebsbegriff aus<br />

mehreren Gründen nicht zu überzeugen:<br />

– Aus den Materialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber stillstehende Fahrzeuge auf der<br />

Fahrbahn der Gefährdungshaftung von Art. 58 Abs. 1 SVG unterstellen wollte. Die Nicht-<br />

72<br />

73<br />

74<br />

75<br />

76<br />

77<br />

78<br />

Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 134 f.; Bussy/Rusconi, circulation routière, N o 4.1. ad<br />

LCR 58; Giger, Strassenverkehrsgesetz, 189; Grec, situation du détenteur, 38; Keller, Haftpflicht<br />

im Privatrecht I, 290; Nef, Betrieb des Motorfahrzeugs, 364, 378; Oftinger/Stark, Schweizerisches<br />

Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 355; Tercier, Haftpflicht des Halters, 16.<br />

Siehe oben Fn. 55, 56.<br />

Siehe oben S. 14 (Grundfälle).<br />

Vgl. aber BGE 102 II 281 (283): Zehnminütiger Stillstand auf der Fahrbahn zwecks Abladen. Betrieb<br />

verneint. Kritisch Tercier, Haftung des Halters, 16.<br />

z.B. BGE 64 II 237 (240).<br />

Zur Intention der Weiterfahrt vgl. Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 355 und Brehm,<br />

résponsabilité civile automobile, Rn. 151. Vgl. alledings ders., a.a.O., Rn. 129. Zum Überraschungsmoment<br />

Nef, Betrieb des Motorfahrzeugs, 364.<br />

Pointiert Nef, Betrieb des Motorfahrzeugs, 364. Vgl. aber Giger, Strassenverkehrsgesetz, 190; Oftinger/Stark,<br />

Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 360; Baur, Kollision, 21. Skeptisch<br />

zur Bedeutung des zeitlichen Aspekts Tercier, Haftpflicht des Halters, 16 und Schaffhauser/Zellweger,<br />

Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 944. A.A. Bussy/Rusconi, Circulation routière, N o<br />

4.1. ad LCR 58: Ein im Verkehr stillstehendes Fahrzeug ist grundsätzlich in Betrieb; Bussy, SJK<br />

909, 11. Zum Zeitelement auch BGE 102 II 281 (283); BGE 113 II 323 (326 f.); BGE 110 II 423<br />

(425).<br />

17


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

betriebs-Fälle, die die Diskussion um Art. 58 Abs. 2 SVG beherrschten, betrafen durchweg<br />

am Strassenrand parkierte Fahrzeuge 79 .<br />

– Die Gleichbehandlung von fahrenden und stillstehenden Fahrzeugen auf der Fahrbahn entspricht<br />

auch dem Telos des Gesetzes. Art. 58 Abs. 1 SVG sollte den besonderen Gefahren<br />

Rechnung tragen, die mit dem Aufkommen der modernen Verkehrstechnik verbunden<br />

waren 80 . Zentraler Gefahrenort ist die Fahrbahn. Sie ist sozusagen die natürliche Gefahrenumgebung<br />

des Fahrzeugs, diejenige Sphäre, in der sich die dem Fahrzeug inhärente<br />

Gefahr typischerweise aktualisiert. Die Fahrbahn ist auf Bewegung ausgerichtet; ein stillstehendes<br />

Fahrzeug ist damit genauso ein Gefahrenherd wie ein fahrendes.<br />

– Die Gesetzessystematik spricht nicht gegen eine solche Auslegung. Zwar darf die Kausalhaftung<br />

des Art. 58 Abs. 1 SVG nicht so weit ausgedehnt werden, dass für die Nichtbetriebsunfälle<br />

in Art. 58 Abs. 2 SVG kein Anwendungsbereich verbleibt. Das trifft aber<br />

nicht zu, da stillstehende Fahrzeuge ausserhalb der Fahrbahn nach wie vor dem Regime<br />

von Art. 58 Abs. 2 SVG unterstehen.<br />

– Die Anwendung der Gefährdungshaftung auf stillstehende Fahrzeuge im effektiven Fahrbahnbereich<br />

leistet einen Beitrag zur Rechtssicherheit. Denn bei aller Beschwörung auf<br />

die zeitbedingte Existenz des Betriebs bleibt vage, wann der Betrieb zum Nichtbetrieb mutiert,<br />

bzw. wann das Haftungsregime von der Gefährdungshaftung auf die Verschuldenshaftung<br />

umgestellt wird.<br />

– Die Unterstellung stillstehender Fahrzeuge im effektiven Fahrbahnbereich unter Art. 58<br />

Abs. 1 SVG entspricht im Ergebnis auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Das<br />

Gericht hat den Betrieb solcher Fahrzeuge regelmässig bejaht. Mehr noch: Trotz gegenteiliger<br />

Beteuerung liebäugelt das Bundesgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung mit dem<br />

verkehrstechnischen Betriebsbegriff. Im Bahngeleisefall hielt das höchste Gericht fest:<br />

"En l'espèce [le chauffeur] circulait sur la voie publique. Le camion était donc à<br />

l'emploi." 81<br />

e) Haftungsbegrenzung über Art. 59 SVG<br />

Auch bei einem weit gefassten Betriebsbegriff haftet der Halter des auf der Fahrbahn stillstehenden<br />

Fahrzeugs nicht unbeschränkt. Die Korrektur ergibt sich aus Art. 59 SVG. Hat der<br />

Halter des stillstehenden Fahrzeugs die erforderlichen Unfallpräventionsmassnahmen 82 ergriffen<br />

(einseitige Schuldlosigkeit), so wird man demjenigen Geschädigten, der sie ignoriert, ein<br />

grobes Selbstverschulden anlasten können. Ist zudem der Unfall nicht auf die fehlerhafte Be-<br />

79<br />

80<br />

81<br />

82<br />

Vgl. BBl 1955, 45. Aus den parlamentarischen Debatten zu Art. 58 SVG ergibt sich nichts anderes,<br />

vgl. etwa Sten.Bull SR 1958, 146 (unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung zu den<br />

stillstehenden Fahrzeugen am Strassenrand, wo der Betrieb verneint wurde).<br />

Dass der Gesetzgeber anstelle der Gefahr den Betrieb als Anknüpfungspunkt wählte, hat den Vorteil,<br />

dass sich dieser Begriff leichter umschreiben lässt. Vgl. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht,<br />

§ 25 Rn. 346.<br />

BGE 110 II 423 (424). Nichts anderes ergibt sich aus dem Kreiselmäherfall : „Das besondere Erfordernis<br />

der Kausalhaftung ist ... als erfüllt anzusehen, wenn das schädigende Ereignis in seiner<br />

Gesamtheit betrachtet als adäquate Folge der Gefahr erscheint, die durch den Gebrauch der<br />

maschinellen Einrichtungen (Motor, Scheinwerfer usw.) des Fahrzeuges geschaffen wird. Trifft<br />

dies zu, so kommt nichts darauf an, ob das Fahrzeug sich im Zeitpunkt des Unfalls in Bewegung<br />

befand oder stillstand und ob seine maschinellen Einrichtungen ordnungsgemäss funktionierten<br />

oder nicht.“ BGE 114 II 376 (379).<br />

Vgl. hierzu Giger, Kommentar SVG, 158 f.<br />

18


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

schaffenheit des Halterfahrzeugs zurückzuführen, hat der Geschädigte den Schaden alleine zu<br />

tragen (Art. 59 Abs. 1 SVG).<br />

Erfolgten die erforderlichen Präventionsmassnahmen nicht, so wird dennoch zu prüfen<br />

sein, ob den Geschädigten kein Selbstverschulden trifft (Art. 59 Abs. 2 SVG). Dieser hat namentlich<br />

sein Fahrzeug zu beherrschen und mit angepasster Geschwindigkeit zu fahren 83 .<br />

Hierüber hat das Bundesgericht nie Zweifel aufkommen lassen: ein „Recht auf freie Fahrbahn“<br />

gibt es nicht 84 .<br />

f) Fazit<br />

Stillstehende Fahrzeuge auf der Fahrbahn sind grundsätzlich in Betrieb. Das entspricht im<br />

Ergebnis der Linie des Bundesgerichts und ergibt sich zudem aus den Materialien und der<br />

Zielsetzung des Gesetzes. Bei Lichte besehen nähert sich das Bundesgericht dem im<br />

deutschen und österreichischen Recht gebräuchlichen verkehrstypischen Betriebsbegriff, ohne<br />

ihn allerdings vollständig zu übernehmen: Fahrzeuge, die sich ausserhalb des Fahrbereichs<br />

befinden, sind von der Kausalhaftungsnorm in Art. 58 Abs. 1 SVG nicht erfasst. Für sie gilt<br />

Art. 58 Abs. 2 SVG. Insofern wird auch der Warnung Rechnung getragen, wonach „deutsche<br />

Lehrsätze hierzulande nur mit der gebotenen Vorsicht und keinesfalls unkritisch“ zu übernehmen<br />

sind 85 .<br />

3. Sonderfall: Arbeitsmotorwagen<br />

Auch das Haftungsregime für Arbeitsmotorwagen verdient einen Platz unter den Sonderfällen.<br />

Das Bundesgericht trennt Arbeitsvorgang und Fortbewegung und unterstellt nur letzteres<br />

der Kausalhaftung in Art. 58 Abs. 1 SVG.<br />

a) Ausgangslage<br />

Nach der Legaldefinition in Art. 7 I SVG ist ein Motorfahrzeug „jedes Fahrzeug mit eigenem<br />

Antrieb, durch den es auf dem Erdboden unabhängig von Schienen fortbewegt wird.“ Dabei<br />

muss die Fortbewegung nicht der primäre Zweck des Fahrzeugs sein: Arbeitsmotorwagen<br />

sind Fahrzeuge im Sinne des SVG 86 , auch wenn sie bestimmungsgemäss hauptsächlich arbeiten<br />

und nicht fahren: „Ungefügen Dinosauriern vergleichbar sind sie für den, der in ihre<br />

Nähe kommt, nicht minder bedrohlich als der Tiger im Tank eines gewöhnlichen Automobils.“<br />

87 . Voraussetzung ist nur, dass sie sich überhaupt eigenständig fortbewegen können 88 .<br />

83<br />

84<br />

85<br />

86<br />

87<br />

88<br />

Vgl. Art. 32 Abs. 1 SVG, Art. 4 VRV.<br />

Einschlägig BGE 93 IV 115 (angepasste Geschwindigkeit angesichts zu erwartender Hindernisse<br />

auf der Autobahn). Zuletzt bestätigt in BGE 126 IV 91.<br />

Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Obligationenrecht I, Rn. 1467.<br />

Art. 7 Abs. 1 SVG i.V.m. 13 VTS. Siehe auch Keller, HAVE 2003, 20 f.; Schaffhauser/Dähler,<br />

Anmerkungen zum Bagger-Küde-Fall, 443; Schmid, Betrieb einer Arbeitsmaschine, 460 f.<br />

Keller, Haftpflicht im Privatrecht II, 286 f. Vgl. auch Deschenaux/Tercier, résponsabilité civile,<br />

§ 15 Rn. 46.<br />

Die Antriebskraft muss aber nicht zwingend auf dem Fahrzeug entwickelt werden; sie kann auch<br />

von aussen her bezogen und auf dem Fahrzeug umgesetzt werden, vgl. Keller, Haftpflicht im Privatrecht<br />

I, 286.<br />

19


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Irrelevant ist dagegen, wie schnell die Fortbewegung erfolgt und ob das Gerät für den Verkehr<br />

auf öffentlichen Strassen bestimmt ist 89 .<br />

Abgrenzungsfragen stellen sich aber auch hier wiederum mit Blick auf den Betrieb und<br />

die damit verbundene Kausalhaftung. Was gilt, wenn die Vibrationen einer Vibrationswalze 90<br />

einen offenen Leitungsgraben neben der Strasse zum Einsturz bringen, oder wenn sich dadurch<br />

Sandsteinblöcke lösen, die auf darunterliegende Häuser prallen<br />

b) Easy Cases<br />

Unproblematisch sind diejenigen Fälle, in denen das Arbeitsvehikel nur fährt oder nur arbeitet:<br />

Begibt sich der Bagger von einem Ort zum anderen, operiert er ausschliesslich als Motorfahrzeug.<br />

Wird beim stillstehenden Tiefgangwagen lediglich die Seilwinde aktiviert, hat<br />

man es mit einem reinen Arbeitsvorgang zu tun. Letzteres Beispiel bildete Gegenstand eines<br />

als Seilwindenfall bekannt gewordenes kantonales Urteil, das noch unter dem Regime des<br />

MFG erging 91 :<br />

Ein Arbeitnehmer wollte zu Transportzwecken eine Sägemaschine auf<br />

einen Tiefgangwagen verladen. Hierfür verwendete er die Seilwinde<br />

des stillstehenden Tiefgangwages. Die Maschine kippte um und<br />

zerquetschte ihm die Hand. Das Gericht hielt unter Hinweis auf<br />

Doktrin fest, dass Arbeitsvehikel nicht in Betrieb seien, solange ihre<br />

Triebkraft zur Arbeit und nicht zur Fortbewegung eingesetzt werde.<br />

c) Hard Cases<br />

Schwieriger wird es, wenn Arbeitsvorgang und Fortbewegung ineinandergreifen, oder wenn<br />

gar das Arbeiten die Fortbewegung des Vehikels zwingend voraussetzt. Das Bundesgericht<br />

hat sich wiederholt mit solchen Schadensfällen beschäftigt. Zu erwähnen sind zunächst einmal<br />

die Stromkabelfälle: hier wurden mit Schaufelbaggern und Tieflockerungsgeräten Beschädigungen<br />

verursacht 92 . Zu erwähnen ist weiter der Pistenfahrzeugfall: hier kollidierte ein<br />

Skifahrer mit einem Pistenfahrzeug 93 . Auch der Unfall mit einer Dampfwalze bildete schon<br />

Gegenstand eines höchstrichterlichen Entscheids 94 . Überlegungen zur Problematik der Arbeitsfahrzeuge<br />

werden allerdings einzig im Kreiselmäherfall 95 angestellt:<br />

Von einem am Traktor befestigter Kreiselmäher wurden bei der Fahrt<br />

zwei Schneideblätter weggeschleudert. Eines davon durchtrennte eine<br />

Fahrleitung einer Bahnstrecke. Das Bundesgericht verneinte in casu<br />

den Betrieb mit der Begründung, der Schaden sei ausschliesslich auf<br />

89<br />

90<br />

91<br />

92<br />

93<br />

94<br />

95<br />

BGE 116 II 214 (214). So auch die herrschende Lehre, vgl. Brehm, responsabilité civile automobile,<br />

Rn. 115 f., m.w.N.; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 54 ff.<br />

Überholt JdT 1969 I, 446.<br />

Vibrationswalzen werden zur Verdichtung des Strassenbelags und Kieskoffers eingesetzt. Nach<br />

Aussagen aus der Fachwelt „tanzt, wer neben einer Vibrationswalze steht“.<br />

KGer St. Gallen, Urteil vom 11.3.1965, teilweise abgedruckt in: SJZ 65 (1969), 12. Der Fall war<br />

nach dem MFG zu beurteilen.<br />

BGE 102 II 85; BGE 106 II 75.<br />

BGE 116 II 214,<br />

BGE 104 II 376. Rückwärtsfahrende Dampfalze tötet einen Arbeitnehmer.<br />

BGE 114 II 376.<br />

20


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

den Arbeitsvorgang und nicht auf die Fortbewegung zurückzuführen<br />

96 .<br />

Das Echo der Lehre war gemischt: Ungeteilte bis verhaltene Zustimmung bei den einen,<br />

Kritik bei den anderen 97 .<br />

Neue Impulse erhielt die Diskussion im Rahmen der doktrinellen Nachlese zum sogenannten<br />

Bagger-Küde-Fall, dessen haftpflichtrechtliche Aspekte zwar nicht die Gerichte,<br />

umso mehr aber die Versicherungen und ihre Rechtsgutachter beschäftigt haben. Ein Betrunkener<br />

hatte in filmreifer Amokfahrt mit einem Bagger eine Absperrung niedergewalzt, ein<br />

Haus und etliche Fahrzeuge beschädigt und Menschen bedroht. Einzelne Schäden resultierten<br />

aus der Kraft der Fortbewegung, andere aus dem Einsatz der Baggerschaufel 98 .<br />

Bei strikter Anwendung der Kreiselmäher-Rechtsprechung wären hier die einzelnen Vorgänge<br />

auseinander zu dividieren, um sie anschliessend entweder als Arbeitsrisiko oder als Betriebsrisiko<br />

einzustufen. Der Bagger-Küde-Fall offenbart nun aber eine konzeptionelle<br />

Schwäche in der Salami-Doktrin, wie sie im Kreiselmäherfall angelegt ist: Wo Fahrt und Arbeitsvorgang<br />

ineinandergreifen und gleichzeitig mehrere Schäden entstehen, führt das Ausdividieren<br />

des Geschehens zu einer Atomisierung der Anspruchsgrundlagen. Ein Haftungsregime<br />

in Scheibchen ist aber aus Gründen der Praktikabilität und vor allem der Rechtssicherheit<br />

abzulehnen. Zudem verstösst die Salami-Doktrin gegen einen anderen höchstrichterlichen<br />

SVG-Grundsatz: Denjenigen der Gesamtbetrachtung, wie ihn das Bundesgericht im<br />

Zusammenhang mit den stillstehen Fahrzeugen aufgestellt hat. Danach wird die Betriebsgefahr<br />

nicht bei jedem Stillstand des Fahrzeugs unterbrochen, um bei jeder Bewegung wieder<br />

aufzuleben. Das „Stop-and-Go“ in der Kolonne wird also nicht als Wechsel von Betrieb und<br />

Nichtbetrieb wahrgenommen, sondern insgesamt als Betrieb. Zum gleichen Ergebnis gelangt<br />

die Lehre hinsichtlich des Bagger-Küde-Falls: Bei abwechselnder Arbeits- und Betriebsgefahr<br />

sei der Gesamtvorgang der SVG-Haftung zu unterstellen 99 .<br />

4. Ergebnis zum Betrieb<br />

Was das Bundesgericht bei den stillstehenden Fahrzeugen begann, führt die Doktrin bei den<br />

Arbeitsmaschinen weiter: Unter dem Titel der Gesamtbetrachtung wird ein weites Verständnis<br />

des Betriebsbegriffs gepflegt. Im Ergebnis wird damit der Anwendungsbereich der<br />

Kausalhaftung in Art. 58 Abs. 1 SVG ausgedehnt. Dieses Ergebnis fügt sich in die allgemeinen<br />

Entwicklungslinien des Haftpflichtrechts ein. So sieht etwa der Vorentwurf zur Revision<br />

des Haftpflichtrechts in Art. 50 eine Auffang-Kausalhaftung für besonders gefährliche<br />

Tätigkeiten vor 100 . Damit sollen Lücken geschlossen werden, die aus dem Fehlen eines<br />

96<br />

BGE 114 II 376 (383).<br />

97<br />

Zustimmend: Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 144 und Widmer, Servir et disparaître,<br />

570 (Fn. 34); Giger, Strassenverkehrsgesetz, 189. Verhalten: Oftinger/Stark, Schweizerisches<br />

Haftpflichtrecht II/2, Rn. 395 (Fn. 601). Zweifelnd: Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 292. Ablehnend:<br />

Nef, Betrieb des Motorfahrzeugs, 370.<br />

98<br />

Zum Bagger-Küde-Fall vgl. Keller, HAVE 2003, 18 ff.; Schaffhauser/Dähler, Anmerkungen zum<br />

Bagger-Küde-Fall, 441 ff.<br />

99<br />

Pointiert Keller, HAVE 2003, 24. Gleicher Auffassung Schaffhauser/Dähler, Anmerkungen zum<br />

Bagger-Küde-Fall, 453 f. So auch die überwiegende Lehre im Hinblick auf Arbeitsmaschinen im<br />

Allgemeinen, vgl. die Nachweise bei Schmid, Betrieb einer Arbeitsmaschine, 464. Zustimmend<br />

auch ders., a.a.O., 464.<br />

100 Vgl. Art. 50 Abs. 1 VE: Wird ein Schaden dadurch verursacht, dass sich das charakteristische Risiko<br />

einer besonders gefährlichen Tätigkeit verwirklicht, so haftet dafür die Person, die diese betreibt,<br />

selbst wenn es sich um eine von der Rechtsordnung geduldete Tätigkeit handelt.<br />

21


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

spezialgesetzlichen Tatbestands oder seiner restriktiven Anwendung resultieren. Die Autoren<br />

des Vorentwurfs verweisen dabei explizit auf den Kreiselmäherfall und monieren, die Verneinung<br />

des Betriebsrisikos durch das Bundesgericht stehe in ungerechtem Gegensatz zu anderen<br />

Fällen, wo infolge der offeneren Kausalhaftungsnormen eine Erfassung von Grenzfällen zugelassen<br />

worden sei 101 .<br />

III.<br />

Reine Vermögensschäden im SVG<br />

Die Haftung des Motorfahrzeughalters setzt voraus, dass ein Schaden entstanden ist. Im<br />

Schadensrecht unterscheidet man gemeinhin Personen-, Sach- und sonstige Schäden. Art. 58<br />

Abs. 1 SVG spricht allerdings nur von den ersten beiden Schadensarten. Damit stellt sich die<br />

Frage nach der Ersatzfähigkeit der sonstigen Schäden, zu denen auch die sogenannten<br />

„reinen Vermögensschäden“ 102 gehören.<br />

1. Der Entscheid Rathgeb<br />

Bekanntlich verneinte das Bundesgericht im Entscheid Rathgeb 103 die Ersatzfähigkeit reiner<br />

Vermögensschäden gestützt auf Art. 58 Abs. 1 SVG. Zerstört der Landwirt mit seinem am<br />

Traktor befestigten Tieflockerungsgerät eine Stromleitung und hat dies den Betriebsausfall<br />

zweier Produktionsstätten zur Folge, so ist der aus dem Betriebsausfall resultierende reine<br />

Vermögensschaden nicht ersatzpflichtig.<br />

Anders entschied das Bundesgericht in Kabel- und Leitungsbruchfällen im Anwendungsbereich<br />

des gemeinen Deliktsrechts (Art. 41 OR, Art. 55 OR), wo es Ersatz für Schäden aus<br />

Betriebsausfall unter Hinweis auf das Vorliegen der notwendigen Schutznorm gewährte 104 .<br />

Wann allerdings das Bundesgericht Art. 58 Abs. 1 SVG und wann es die Bestimmungen des<br />

gemeinen Deliktsrechts anwendet, lässt sich nicht ohne weiteres sagen:<br />

– Beschädigt ein Schaufelbagger 105 eine im Boden verlegte Stromleitung, so richtet sich die<br />

Haftung nach dem gemeinen Deliktsrecht 106 .<br />

– Werden von einem am Traktor befestigten Kreiselmäher während der Fahrt zwei Schneideblätter<br />

weggeschleudert und durchtrennt eines davon die Fahrleitung einer Bahnstrecke, so<br />

ist auch dieser Schadensfall auf der Grundlage des gemeinen Deliktsrechts zu beurteilen 107 .<br />

101 Widmer/Wessner, Bericht, 137. Vgl. auch Widmer, servir et disparaître, 570 f.<br />

102 Zum Begriff etwa Tercier, Distinction, 254; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, § 2<br />

Rn. 60 (Fn. 84).<br />

103 BGE 106 II 75.<br />

104 Vgl. BGE 97 II 221: Arbeiter beschädigt mit Presslufthammer eine Stromleitung, die eine Kunstseidenfabrik<br />

mit Strom versorgt. Der Bauunternehmer haftet gestützt auf Art. 55 OR für den aus<br />

dem Betriebsausfall entstandenen Schaden. BGE 101 Ib 252: Armeeangehöriger zerstört Wasserleitung,<br />

die eine Zementfabrik mit Wasser versorgt. Der Staat haftet gestützt auf Art. 22 des Militärorganisationsgesetzes<br />

für den aus dem Betriebsausfall entstehenden Schaden. Schutznorm: Art.<br />

239 StGB. BGE 102 II 85: Arbeiter beschädigt mit Schaufellader eine Stromleitung, die eine Papier-<br />

und Zinkfabrik mit Strom versorgt. Der Bauunternehmer haftet gestützt auf Art. 55 OR für<br />

den aus dem Betriebsausfall entstehenden Schaden. Schutznorm: Art. 239 StGB.<br />

105 Beim Schaufelbagger handelt es sich unstreitig um ein Motorfahrzeug gemäss SVG. Vgl. Art. 7<br />

Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 1, 13 VTS.<br />

106 BGE 102 II 85 (86 ff.). Das Gericht spricht – etwas unüblich – von Schaufellader.<br />

22


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

– Beschädigt das am Traktor befestigte Tieflockerungsgeräts die im Boden verlegte Stromleitung,<br />

richtet sich die Haftung nach Art. 58 Abs. 1 SVG – das ist der Entscheid<br />

Rathgeb 108 .<br />

2. Doktrin: Reine Vermögensschäden de lege lata<br />

Der Entscheid Rathgeb fand in der Doktrin vereinzelt Zustimmung 109 , überwiegend erntete er<br />

aber Kritik. Während für einzelne Kritiker eine Haftungserweiterung nur de lege ferenda<br />

möglich ist 110 , besteht für andere diese Möglichkeit bereits de lege lata. Dabei werden im<br />

Wesentlichen drei Wege beschritten:<br />

a) Punktueller Regelungsanspruch von Art. 58 Abs. 1 SVG<br />

Nach der einen Meinung gilt Art. 58 Abs. 1 SVG exklusiv, doch regelt er nur punktuell: Geregelt<br />

ist nur die Haftung bei Sach- und Personenschäden. Hier verdrängt Art. 58 Abs. 1 SVG<br />

das gemeine Deliktsrecht. Für die reinen Vermögensschäden hingegen trifft Art. 58 Abs. 1<br />

SVG bewusst keine Regelung. Wo es aber an einem Regelungsanspruch der lex specialis<br />

fehlt, beurteilt sich die Rechtslage nach dem gemeinen Deliktsrecht 111 .<br />

Der Behauptung einer Residualgeltung der obligationenrechtlichen Grundordnung steht allerdings<br />

Art. 1 SVG entgegen, der nicht einen punktuellen, sondern einen umfassenden Regelungsanspruch<br />

der Spezialordnung statuiert: „Dieses Gesetz ordnet die Haftung für Schäden,<br />

die durch Motorfahrzeuge und Fahrräder verursacht werden.“<br />

b) Lückenhaftigkeit Art. 58 Abs. 1 SVG<br />

Nach einer anderen Meinung gilt Art. 58 Abs. 1 SVG exklusiv und umfassend: Die Spezialbestimmung<br />

verdrängt das gemeine Deliktsrecht und will für alle Schadensarten eine Regelung<br />

treffen. Doch weist sie mit Blick auf reine Vermögensschäden eine planwidrige Unvollständigkeit<br />

auf, die unter analoger Anwendung von Art. 41 OR zu schliessen ist 112 . Auf alle<br />

drei Schadensarten kommt also das SVG zur Anwendung, im Falle der Sach- und Personenschäden<br />

unmittelbar, im Falle der reinen Vermögensschäden unter analoger Anwendung von<br />

Art. 41 OR.<br />

Dieser Lösung steht der Wortlaut von Art. 58 Abs. 1 SVG entgegen, der sich trotz der etablierten<br />

Dreiteilung der Schadensarten auf die Regelung von Sach- und Personenschäden beschränkt.<br />

107 BGE 114 II 376 (382). Begründung: Der Schaden ist nicht einer spezifischen Betriebsgefahr des<br />

Motorfahrzeugs zuzuschreiben (S. 382) und ein Nichtbetriebsunfall im Sinne von Art. 58 Abs. 2<br />

SVG liegt nicht vor (S. 378).<br />

108 BGE 106 II 75 (77).<br />

109 Rey, Haftpflichtrecht, Rn. 1272.<br />

110 Vgl. Giovannoni, SVZ 1980, 280; Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 67 f.<br />

111 Vgl. Deschenaux/Tercier, responsabilité civile, § 15 Rn. 24, 51; Lorandi, recht 1990, 20 f. Schaffhauser/Zellweger,<br />

Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 963.<br />

112 Vgl. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 297 f.; Vgl. auch dies., Haftpflichtrecht<br />

I, § 13 Rn. 35.<br />

23


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

c) Alternativität der Ansprüche<br />

Nach einer dritten Meinung beansprucht Art. 58 Abs. 1 SVG keine Exklusivität: Die Spezialnorm<br />

des SVG und die Deliktsnormen des OR sind vielmehr alternativ anwendbar 113 .<br />

Dieser Ansatz stellt auf die Grundsätze der Methodenlehre zur Normenkonkurrenz ab.<br />

Danach entfaltet eine Spezialnorm gegenüber der Generalnorm nur dann zwingend eine<br />

derogative Wirkung (Exklusivität), wenn sich die beiden Normen widersprechen 114 . In solchen<br />

Fällen des Rechtsfolgenwiderspruchs kann nur eine von beiden – naturgemäss die Spezialnorm<br />

– gelten, weil davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber nicht gleichzeitig X und<br />

Nicht-X gebieten wollte 115 . Sehen hingegen die beiden Konkurrenznormen dieselbe<br />

Rechtsfolge vor (Rechtsfolgenidentität), so ist durch Auslegung im Einzelfall zu ermitteln,<br />

welches Verhältnis zwischen ihnen herrschen soll 116 . Neben der Konkurrenzfolge der Derogation<br />

ist in diesen Fällen auch die alternative oder gar die kumulative Anwendung der konkurrierenden<br />

Rechtsnormen möglich.<br />

Sowohl Art. 58 Abs. 1 SVG als auch Haftungsnormen des OR ordnen für den Schadensfall<br />

die Schadenersatzpflicht an. Es liegt also kein Rechtsfolgenwiderspruch, sondern eine<br />

Rechtsfolgenidentität vor 117 . Ob hier eine Derogationswirkung, eine alternative oder gar<br />

eine kumulative Anwendung beider Normen intendiert war, ist eine Frage der Auslegung, die<br />

nach den gängigen Auslegungsmitteln – also der grammatikalischen, historischen, systematischen<br />

und teleologischen Methode – vorzunehmen ist. Die kumulative Anwendung scheidet<br />

aus, weil sie nach dem gängigen Verständnis dieser Konkurrenzfolge zur doppelten Ersatzpflicht<br />

führen würde 118 , was vom Gesetzgeber mit Sicherheit nicht intendiert war. Für die<br />

Entscheidung zwischen der ausschliesslichen Geltung von Art. 58 Abs. 1 SVG (Derogation)<br />

und der alternativen Anwendung beider Haftungsordnungen steht die Teleologie des SVG im<br />

Vordergrund 119 . Die Zielsetzung besteht in der Verbesserung des Geschädigtenschutzes,<br />

was sich namentlich in der vorgesehen Kausalhaftung niederschlägt 120 . Dieser Zielsetzung<br />

würde es aber widersprechen, wenn bei gemeinen Schadensfällen die reinen Vermögensschäden<br />

bei gegebenen Voraussetzungen (namentlich dem Vorliegen einer entsprechenden<br />

113 Grundlegend Kramer, recht 1984, 129 ff. Vgl. weiter Hulliger, Haftungsverhältnisse, 14 f.;<br />

Roberto, Haftpflichtrecht, Rn. 499, 524; Honsell, Haftpflichtrecht, § 20 Rn. 24; Schwenzer, Obligationenrecht,<br />

Rn. 54.04. So auch die ausdrückliche Regelung im deutschen und oesterreichischen<br />

Strassenverkehrsrecht. Zum deutschen Recht vgl. Hentschel, Strassenverkehrsrecht, N 1, 4 ff. zu<br />

§ 16 StVG. Siehe sodann die Nachweise bei Kramer, recht 1984, 130.<br />

114 Larenz, Methodenlehre, 268.<br />

115 Vgl. nur Schreiber, Logik, 60: "Würde ein solcher Widerspruch in der Rechtsordnung existieren,<br />

so müsste er das Rechtssystem zerstören."<br />

116 Larenz, Methodenlehre, 267 f.; Kramer, recht 1984, 130 Fn. 7; Ott, Methode der Rechtsanwendung,<br />

197. Vgl. weiter Forstmoser, Einführung, 366.<br />

117 Vgl. dazu auch Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 221.<br />

118 Das ist insofern ungenau, als es bei der Kumulation um die Anwendung beider Rechtsnormen als<br />

gültige Anspruchsgrundlage geht. Vgl. Ennecerus/Nipperdey, AT Bd. 1, § 60 I: Dass die Erfüllung<br />

wirtschaftlich nur einmal geschuldet ist, bedeutet nicht, dass die Ansprüche nicht selbständig<br />

bestehen und selbständig zu beurteilen sind. Der eine Anspruch erlischt nur insoweit, als damit<br />

der Konkurrenzanspruch wirtschaftlich abgedeckt ist.<br />

119 Vgl. Kramer, recht 1984, 130 (unter Einbezug der Gesetzessystematik). Vgl. auch Keller/Gabi,<br />

Haftpflichtrecht, 159 und Guhl/Koller, Obligationenrecht, 203, wonach zwar die spezieller Haftungsnorm<br />

häufig Exklusivität geniesst, dies aber für jeden Einzelfall begründungsbedürftig ist:<br />

„In allen Fällen ist aber nicht in formallogischer Ableitung, sondern zurückgehend auf die vom<br />

Gesetzgeber verfolgten Zwecke zu entscheiden, welche Rechtsfolge gilt“ (Rn. 33).<br />

120 Vgl. etwa BBl 1930 II 868.<br />

24


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Schutznorm) ersatzpflichtig wären, während dies bei Schadensfällen im Verkehrszusammenhang<br />

nicht der Fall wäre 121 .<br />

Folglich ist also von der Alternativität der Ansprüche auszugehen. Die Geschädigten<br />

haben die Wahl, ob sie nach SVG oder nach OR vorgehen wollen. Bei Sach- und Personenschäden<br />

werden sie üblicherweise das SVG wählen, bei reinen Vermögensschäden können sie<br />

– bei gegebenen Voraussetzungen 122 – nach gemeinem Deliktsrecht vorgehen.<br />

3. Reine Vermögensschäden de lege ferenda<br />

Was die Zukunft angeht, so steht diese ganz im Zeichen der alternativen Anwendung von gemeinem<br />

und spezialgesetzlichem Deliktsrecht. Art. 53 des Vorentwurfs für ein neues Haftpflichtrecht<br />

setzt als Grundsatz die Alternativität der Anspruchsgrundlagen. Exklusivität soll<br />

in Zukunft nur dann gelten, wenn die betreffende Haftpflichtbestimmung dies ausdrücklich<br />

vorsieht. Der im Zuge der Haftpflichtrevision neu formulierte Art. 58 SVG sieht eine solche<br />

Beschränkung nicht vor.<br />

Schwierigkeiten würden sich hingegen ergeben, wenn man die reinen Vermögensschäden<br />

unmittelbar auf den neuen Art. 58 SVG stützen möchte. Zwar wird dieser zukünftig in einen<br />

einzigen (kurzen) Absatz gefasst, der generell vom Ersatz des Schadens spricht 123 . Die<br />

fehlende Ersatzpflicht ergibt sich indessen aus Art. 45 Abs. 3 VE HPG, wonach bei Gefährdungshaftungen<br />

reine Vermögensschäden nur dann ersatzpflichtig sind, wenn das Gesetz dies<br />

ausdrücklich vorsieht 124 .<br />

4. Zum besonderen Problem der Anwaltskosten<br />

Ein häufiger Schadensposten ist der für die Schadensregulierung erforderliche Aufwand an<br />

Anwaltskosten 125 . In der Doktrin wird vereinzelt vertreten, bei den Anwaltskosten handle es<br />

sich um reine Vermögensschäden 126 . Die Auffassung findet sich auch in der älteren Rechtsprechung<br />

127 . Folgt man gleichzeitig der Auffassung des Bundesgerichts, wonach reine Vermögensschäden<br />

im SVG-Kontext nicht ersatzfähig seien 128 , so fehlt für den Ersatz solcher<br />

Kosten die materiellrechtliche Rechtsgrundlage. Ihre Deckung wäre diesfalls nur im Rahmen<br />

einer allfälligen prozessualen Kostengutsprache gesichert.<br />

121 Kramer, recht 1984, 130; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 14 f.; Schaffhauser/Zellweger, Grundriss<br />

Strassenverkehrsrecht II, Rn. 963. Vgl. auch Gauch, recht 1998, 209 f., für die Frage des Verhältnisses<br />

zwischen EHG und OR.<br />

122 Schaden, Widerrechtlichkeit (Vorliegen einer Schutznorm), Kausalität, Verschulden.<br />

123 Art. 58 VE-SVG: „Der Halter eines Motorfahrzeugs haftet für den Schaden, der dadurch verwirklicht<br />

wird, dass sich die dem Betrieb des Fahrzeugs innewohnenden charakteristischen Risiken<br />

verwirklichen.“<br />

124 Art. 45 Abs. 3 VE HPG: „Im Bereich der Gefährdungshaftung ist unter Vorbehalt anderslautender<br />

Bestimmungen nur der Schaden ersatzfähig, der durch Tötung, durch Einwirkung auf die körperliche<br />

oder geistige Unversehrtheit, auf Sachen oder auf die Umwelt entsteht.“ Vgl. auch Widmer/-<br />

Wessner, Bericht, 366.<br />

125 Zum Einfluss der prozessrechtlichen Parteientschädigung vgl. Gauch, recht 1994, 194 f. Zum Ersatz<br />

der Anwaltskosten bei Überklagen vgl. Berger, HAVE 2003, 136 ff.<br />

126 Für die vorprozessualen Anwaltskosten jedenfalls Stein, ZSR 1987, 647; Weber, W.C., Prozessentschädigung,<br />

127 f. Im Ergebnis auch Hütte, SVZ 55 (1987), 335. Hulliger, Haftungsverhältnisse,<br />

13.<br />

127 Vgl. BGE 113 II 323 (340); OGer BS, Entscheid vom 29.5.1984, in: SJZ 81 (1985), 133 f.<br />

128 BGE 106 II 75 (77 ff.).<br />

25


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Nach richtiger Ansicht sind die Anwaltskosten nicht in jedem Fall als reine Vermögensschäden<br />

zu qualifizieren. Entstehen sie im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines<br />

Personen- oder Sachschadens – etwa im Rahmen der Sozialversicherungsverfahren 129 –, so<br />

gehören sie selbst zum Personen- oder Sachschaden; sie treten als „Kosten-Schaden“ zum<br />

ursprünglichen „Grundschaden“ hinzu 130 . In diesen wichtigen Fällen kommt es also nicht darauf<br />

an, ob reine Vermögensschäden nach SVG ersatzfähig sind.<br />

Damit bleiben noch diejenigen Fälle, in denen die Anwaltskosten nicht unmittelbar im Zusammenhang<br />

mit der Geltendmachung eines Personen- oder Sachschaden entstehen. Hauptanwendungsfall<br />

sind die Anwaltskosten – überhaupt die Verteidigungskosten –, die im Zusammenhang<br />

mit einem Strafverfahren entstehen, an dem der Geschädigte als Angeklagter<br />

teilnimmt 131 . Diese Kosten dienen der Abwehr gegen eine Verurteilung; sie sind nicht Folge<br />

eines Sach- oder Personenschadens, sondern ein reiner Vermögensschaden, weshalb sie<br />

jedenfalls nach SVG nicht ersatzfähig wären 132 . Gerade hier zeigt sich nun aber das Bundesgericht<br />

grosszügig: In dem Umfang, in dem die Verteidigungskosten dazu dienen, Fragen im<br />

Zusammenhang mit der Haftpflicht und dem Schaden zu klären, die Gegenstand des anschliessenden<br />

Haftpflichtprozesses bilden, sind sie auch unter dem Regime von Art. 58 Abs. 1<br />

SVG ersatzpflichtig 133 . Denn nach Auffassung des Bundesgerichts ist ein Nachteil, der einem<br />

Sachschaden ähnliche Folgen nach sich zieht, als solcher und nicht bloss als reiner Vermögensschaden<br />

zu behandeln 134 .<br />

Konsequent weitergedacht würde dies zur Aufhebung der verschiedenen Schadensarten<br />

führen, denn jeder Schaden wirkt sich als Vermögensverminderung aus und zieht demnach<br />

ähnliche Folgen nach sich wie ein Sachschaden 135 . Für die Frage der Ersatzfähigkeit reiner<br />

Vermögensschäden im SVG-Kontext aber kann gesagt werden, dass sich die Rathgeb-Rechtsprechung<br />

jedenfalls in diesem Bereich nicht nachteilig auswirkt.<br />

5. Fazit<br />

Im neuen System des Haftpflichtrechts wird sich die Frage der Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden<br />

im SVG-Kontext nicht mehr stellen. Schon heute muss man sich aber fragen,<br />

ob der Entscheid Rathgeb die ausschliessliche Geltung des SVG so starr vorgibt, wie dies die<br />

Kritik am Entscheid suggeriert. Der Schlüsselsatz in Rathgeb lautet: „Die Auffassung der<br />

Vorinstanz, der Beklagte hafte einzig und ausschliesslich, sofern die Voraussetzungen von<br />

Art. 58 Abs. 1 SVG erfüllt sind, ist unangefochten geblieben.“ 136 Selbst nimmt das Bundesgericht<br />

zum Verhältnis der beiden Teilrechtsordnungen nicht Stellung. Damit verletzt es den<br />

Grundsatz „iura novit curia“. Einen klaren Präzendenzfall zugunsten der exklusiven Geltung<br />

129 Zum Diskussionsstand über die Ersatzpflicht von Anwaltskosten aus der Vertretung gegenüber den<br />

Sozialversicherern vgl. Berger, HAVE 2003, 135.<br />

130 Vgl. Gauch, recht 192 f. (von ihm stammt auch die Terminologie „Kosten-Schaden“, „Grundschaden“).<br />

Gleicher Ansicht Weber, SVZ 61 (1993), 5. Im Ergebnis auch Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht<br />

I, § 2 Rn. 33 f., mit Fn. 42.<br />

131 Nimmt der Geschädigte am Verfahren teil, um seine zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Angeklagten<br />

zu wahren, so handelt es sich um einen klassischen Fall eines Kosten-Schadens. Vgl. auch<br />

BGE 117 II 101 (106) = Pra 80 (1991) Nr. 163, 732 (735 f.).<br />

132 So auch Gauch, recht 1994, 197.<br />

133 BGE 117 II 101 (106 f.) = Pra 80 (1991) Nr. 163, 732 (735 f.). Zustimmend Berger, HAVE 2003,<br />

134 f.<br />

134 BGE 117 II 101 (106) = Pra 80 (1991) Nr. 163, 732 (734 f.).<br />

135 Gauch, recht 1994, 198. Kritisch zur Begründung auch Weber, SVZ 61 (1993), 6 Fn. 18.<br />

136 BGE 106 II 75 (77).<br />

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S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

des SVG hat es mit Rathgeb aber nicht geschaffen. Führt man sich zudem vor Augen, dass<br />

das Bundesgericht zwischenzeitlich im Picasso-Fall die alternative Anwendung verschiedener<br />

Rechtsgrundlagen zum zivilrechtlichen Koordinationsgrundsatz erhoben hat 137 , so spricht alles<br />

dafür, dass reine Vermögensschäden im SVG-Kontext bereits heute ersatzpflichtig sind.<br />

137 BGE 114 II 131 (136).<br />

27


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

ZWEITER TEIL<br />

Neben den im Haftpflichtrecht in letzter Zeit vorab debattierten Fragen des Quantitativs 138<br />

gibt in der Praxis immer wieder die Bestimmung der Haftungsquote zu Differenzen Anlass.<br />

Dem Problem wird zwar bei der Direktschadenserledigung häufig durch das dem Geschädigten<br />

zustehende Quotenvorrecht (Art. 73 Abs. 1 ATSG) die Spitze gebrochen 139 . Dies gilt aber<br />

nur bezüglich der mit Sozialversicherungsleistungen identischen Schadensposten (Art. 74<br />

ATSG). Bei der Regulierung nicht kongruenter Positionen, spätestens aber im Rahmen des<br />

Sozialversicherungsregresses muss die Quote ausdiskutiert und nötigenfalls gerichtlich festgelegt<br />

werden.<br />

Der Umstand, dass das Gesetz es dem richterlichen Ermessen anheim stellt, den Umfang<br />

der Ersatzpflicht „unter Würdigung aller Umstände“ zu bestimmen (Art. 59 Abs. 2 SVG; vgl.<br />

auch Art. 60 Abs. 2 Satz 1 SVG), ist einer einheitlichen und rechtsgleichen Praxis, die gerade<br />

im Haftpflichtrecht weit überwiegend eine aussergerichtliche ist 140 , nicht gerade förderlich 141 .<br />

Natürlich wäre es vermessen, für alle denkbaren Haftungskonstellationen zum vornherein<br />

allgemein gültige Haftungsanteile festlegen zu wollen. Haftungsquoten können lediglich der<br />

Klärung des Prinzips dienen 142 . Das setzt allerdings einen gewissen Konsens bezüglich der<br />

Prinzipien voraus. Dabei stellt sich die grundsätzliche Frage, welcher Stellenwert dem Betrieb<br />

eines Motorfahrzeugs im Verhältnis zu anderen Schadensursachen, vorab dem Verschulden<br />

eines oder mehreren Beteiligten zukommt. Es geht um die Differenzierung der Ursachen<br />

nach ihrer Wesentlichkeit.<br />

I. Bedeutung und Gewichtung der Betriebsgefahr im Hinblick auf die<br />

Haftungsquoten bei Personenschäden<br />

1. Die latente Betriebsgefahr als Haftungsgrund<br />

Die strenge Kausalhaftung des Motorfahrzeughalters gründet in der Überlegung, dass vom<br />

Betrieb eines Motorfahrzeugs eine erhöhte, von der Allgemeinheit hingenommene und vom<br />

Gesetzgeber geduldete Gefährdung ausgeht, die potentiell geeignet ist, häufige und gravierende<br />

Schäden anzurichten 143 . Haftungsgrund ist das jedem Motorfahrzeug latent innewohnende<br />

charakteristische Risiko (z.B. Kraft, Dynamik, Geschwindigkeit, Masse).<br />

Der Haftungsfall tritt ein, wenn sich die Betriebsgefahr eines Motorfahrzeuges im Einzelfall<br />

verwirklicht, d.h. zur Schädigung führt. Im Normalfall, wenn der Verkehr in geordneten<br />

Bahnen verläuft, die Fahrzeuge mängelfrei sind und alle Verkehrsteilnehmer, seien sie motorisiert,<br />

als Fussgänger oder mit dem Fahrrad unterwegs, sich an die Verkehrsregeln halten,<br />

kommt es weder zur Verwirklichung der Betriebsgefahr noch zu einer Schädigung. Dessen<br />

ungeachtet knüpft die Haftung nach SVG, jedenfalls was das Haftungssubjekt betrifft, nicht<br />

138 Vgl. z. B. Weber/Schaetzle, Entwicklungen, 107 ff.<br />

139 Vgl. hierzu Kieser, Kommentar ATSG, N 2 ff. zu Art. 73 ATSG. Zum Quotenvorrecht im Allgemeinen<br />

Rumo-Jungo, Haftpflicht und Sozialversicherung, Rn. 1011 ff.<br />

140 Statt vieler Schmid, HAVE 2002, 294.<br />

141 Vgl. zu den praktizierten Haftungsquoten die Anhänge I und II.<br />

142 Vgl. dazu Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 380; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht<br />

I, § 9 Rn. 23.<br />

143 Vgl. dazu Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 24 Rn. 22 ff.<br />

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S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

an die Verwirklichung der Betriebsgefahr an, die meist (nicht immer) ein Fehlverhalten eines<br />

oder mehrerer Verkehrsteilnehmer voraussetzt. Massgebend ist für die Frage der Zurechnung<br />

vielmehr die abstrakte Betriebsgefahr, welche die blosse Möglichkeit einer Schädigung beinhaltet,<br />

nicht das (in der Regel vom Lenker) realisierte Risiko. Das Bundesgericht verwirft<br />

eine Unterscheidung zwischen latenter und verwirklichter Betriebsgefahr. Es ist der Ansicht,<br />

dass es für die Verwirklichung einer Betriebsgefahr genügt, „dass das Unfallereignis mit der<br />

Eigenart des Betriebes des Fahrzeuges zusammenhängt“ 144 . Haftungssubjekt ist und bleibt<br />

der Halter, auch wenn er nichts zur konkreten Verwirklichung der Betriebsgefahr beizutragen<br />

hat, ja selbst wenn er an einem Unfallereignis gar nicht beteiligt ist. Er haftet, weil er sich den<br />

Luxus leistet, „ein gefährlich Ding“ zu halten. Dass er es selbst betreibt, d.h. mit ihm herumfährt,<br />

ist irrelevant. Damit ist nicht gesagt, dass der Halter immer für den vollen Schaden aufzukommen<br />

hat. Spielen neben der von ihm zu vertretenden Betriebsgefahr weitere Schadensursachen<br />

mit, sei es auf Seiten des Schädigers oder des Geschädigten, gilt es eine Ursachenabwägung<br />

vorzunehmen, die einzelnen unfallkausalen Elemente zu gewichten und so zur Haftungsquote<br />

zu gelangen.<br />

2. Verkehrsopferschutz als Haftungsziel<br />

Die an die latente Gefährdung anknüpfende Begründung der strengen Kausalhaftung wird zunehmend<br />

durch rechtssoziale Erwägungen ergänzt. Der Verkehrsopferschutz hat bei der Haftungs-Beurteilung<br />

systematisch an Bedeutung zugelegt 145 . Die Ansicht, dass die volkswirtschaftlichen<br />

Auswirkungen des Blutzolls auf unseren Strassen durch die Gemeinschaft derjenigen<br />

zu tragen ist, welche aus der motorisierten Mobilität ihre Vorteile ziehen, steht heute<br />

im Vordergrund. Letztlich geht es um die Frage, ob die Sozialversicherer (IV-, UVG-Versicherer),<br />

welche im Regelfall Personenschäden zu einem grossen Teil liquidieren, mit den<br />

Folgekosten des Verkehrs belastet werden sollen oder ob (via Regress) die Entschädigungspflicht<br />

verursachergerecht auf die Motorfahrzeughalter abgewälzt werden soll.<br />

Die letzten Revisionen des IV. Titels des SVG (Haftpflicht und Versicherung) zielten denn<br />

auch auf die Besserstellung der Unfallopfer. Realisiert wurde dies u. a. durch die Ausdehnung<br />

der Versicherungsdeckung auf Ansprüche aus Personenschäden von nahen Verwandten<br />

146 und des Halters 147 . Im Verbund mit der legislativen Erweiterung des Versicherungsschutzes<br />

scheint auch in der Rechtsprechung der Gedanke des Verkehrsopferschutzes gegenüber<br />

der traditionellen ratio legis der Gefährdungshaftung als Haftungsgrund an Bedeutung zu<br />

gewinnen 148 . Es besteht eine gewisse Tendenz, dass getreulich dem Motto „c’est l’assurance<br />

qui crée le risque“ die Versicherungsdeckung die Haftung überlagert.<br />

Solange sich der Gesetzgeber nicht zum Ersatz der Haftungsordnung durch eine generelle<br />

Verkehrsopferschutzversicherung durchringen kann, erscheint die Intention, die Haftung<br />

nach dem Versicherungsschutz auszurichten, als rechtlich bedenklich und systemwidrig. Es<br />

kann und darf nicht so sein, dass der Versicherungsschutz den Haftungsumfang bestimmt,<br />

vielmehr setzt nach der heute noch geltenden Ordnung die Versicherungsdeckung die Haftung<br />

voraus. Dem Verkehrsopferschutz wird durch die Zwangsversicherung (Art. 63 SVG) und<br />

das direkte Forderungsrecht (Art. 65 Abs. 1 SVG) Rechnung getragen.<br />

144 BGE 105 II 209 (213 f.).<br />

145 Vgl. zur Entwicklung des Verkehrsopferschutzes Fuhrer, HAVE 2002, 353 ff.<br />

146 Revision von Art. 63 Abs. 3 lit. b SVG im Jahre 1975.<br />

147 Revision von Art. 63 Abs. 3 lit. a SVG im Jahre 1995.<br />

148 Vgl. etwa BGE 123 III 110 (Regeste), wo für die kausale Zurechnung des Schadens die „rechtspolitische<br />

Zielsetzung“ als ausschlaggebend bezeichnet wird.<br />

29


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

II.<br />

Haftungskollisionen und Haftungsquoten<br />

1. Allgemeines<br />

Die Sinnhaftigkeit und Aussagekraft einzelfallunabhängiger Haftungsquoten für verschiedene<br />

Varianten möglicher Haftungskollision 149 ist, wie bereits erwähnt, nicht unproblematisch.<br />

Denn „wir können die Ursachen- und hernach Haftungsanteile nicht messen, sondern höchstens<br />

bemessen, zumessen, ermessen“ 150 . Auf der anderen Seite erscheint es der Rechtssicherheit<br />

und Rechtsgleichheit wenig zuträglich, wenn – wie in der Rechtsprechung zum Teil praktiziert<br />

– bei ähnlicher Ausgangslage die dem Halter auferlegten Haftungsquoten von Fall zu<br />

Fall in erheblichem Masse variieren. Insofern besteht Handlungsbedarf, was in der Literatur<br />

namentlich von Brehm und Hulliger erkannt wurde. Sie liefern uns sehr detaillierte Quotenvorschläge<br />

für alle Lebenslagen 151 . So weit können wir im Rahmen der vorliegenden Untersuchung<br />

nicht gehen. Wir beschränken uns auf das Herausschälen von Grundsätzen und versuchen<br />

daraus Schlüsse zu ziehen mit dem Ziel, der Ausfransung von Quoten für mehr oder<br />

weniger identische Kollisionskonstellationen entgegenzuwirken.<br />

Bevor nachstehend auf die einzelnen Kollisionssachverhalte eingegangen wird, ist ein<br />

Dreifaches festzuhalten:<br />

– Das SVG enthält (neben den Spezialnormen für die Haftung des Radfahrers, der Unternehmen<br />

des Motorfahrzeuggewerbes, der Veranstalter motor- und radsportlicher Anlässe, des<br />

Strolchs usw.) zwei wesentliche Haftungsnormen, nämlich Art. 58 SVG und Art. 61<br />

SVG. Die erste Bestimmung regelt die Haftung gegenüber jewelchen Geschädigten, die<br />

nicht selbst Motorfahrzeughalter sind. Die zweite Bestimmung befasst sich demgegenüber<br />

mit dem „Schadenersatz zwischen Motorfahrzeughaltern“. Gemeint ist damit die Haftung<br />

von Haltern für Schäden von Haltern.<br />

– Für die Gewichtung der Betriebsgefahr einerseits und des Verschulden anderseits gelten<br />

für die beiden Fallgruppen unterschiedliche Kriterien. Bei den unter Art. 58 SVG zu subsumierenden<br />

Fällen überwiegt die Bedeutung der Betriebsgefahr; sie bleibt als Schadenursache<br />

selbst dann haftungsrelevant, wenn den Geschädigten ein einseitiges Verschulden<br />

trifft. Selbst wenn das Selbstverschulden grob ist, genügt dies noch nicht zur Entlastung<br />

des Halters. Dieser hat seinerseits noch den Exkulpationsbeweis zu erbringen und überdies<br />

nachzuweisen, dass sein Fahrzeug mängelfrei war 152 . Anders nach Art. 61 SVG. Hier erfolgt<br />

die Schadensaufteilung nach Massgabe der Verschuldensproportionen. Den Betriebsgefahren<br />

kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie fallen lediglich als Korrekturfaktoren<br />

in Betracht, wenn sie unterschiedlich gross sind (was selten der Fall ist) 153 .<br />

149 Unter Haftungskollision verstehen wir das Aufeinanderprallen zweier Haftungen. Voraussetzung<br />

dazu ist nicht, dass auf beiden Seiten Schaden entstanden sein muss. Die Regeln der Haftungskollision<br />

gelten auch, wenn nur eine der beteiligten Personen geschädigt ist. Vgl. Keller, Haftpflicht<br />

im Privatrecht I, 382; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 78.<br />

150 Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 380.<br />

151 Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 346 ff.; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 82 ff.<br />

152 Vgl. dazu Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 330 ff.; Oftinger/Stark, Schweizerisches<br />

Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 427 f.; Schaffhauser/Zellweger, Grundriss Strassenverkehrsrecht II,<br />

Rn. 1010, 1013 ff. Kritisch zum Exkulpationsbeweis, der selbst bei „culpa levissima“ Entlastung<br />

des Halters verunmöglicht, sowie zur Beweislastumkehr: Widmer, servir et disparaître, 575.<br />

153 Ferner können hier noch andere „Umstände“ für die Haftungsquote von Bedeutung sein. Vgl. unten<br />

S. 34 (Sonderfälle).<br />

30


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

– Unterstrichen wird die Sonderregelung bei Haftungskollision unter Haltern, bei welcher<br />

die Betriebsgefahr nur ausnahmsweise von Belang ist, durch Art. 60 Abs. 2 SVG, welcher<br />

die interne Aufteilung des Schadens bei Haftungskonkurrenz regelt. Extern haftet ein Halter,<br />

der zusammen mit einem Verschuldenshaftpflichtigen, einem Tierhalter, einem Bahnbetrieb<br />

usw. ein Drittperson schädigt, solidarisch. Intern wird der Schaden „unter Würdigung<br />

aller Umstände“ aufgeteilt (Art. 60 Abs. 2 Satz 1 SVG). Bei mehreren Haltern, die<br />

extern solidarisch haften, wird demgegenüber in Übereinstimmung mit der Regelung bei<br />

Haftungskollisionen in der Regel unter Vernachlässigung der Betriebsgefahren nach Massgabe<br />

des Verschuldens aufgeteilt.<br />

Entsprechend der umschriebenen Zweiteilung wird nachstehend zunächst das Zusammentreffen<br />

von Betriebshaftung einerseits und Verschuldenshaftung, milder Kausalhaftung<br />

sowie – beispielhaft anhand des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes – einer anderen Gefährdungshaftung<br />

andererseits abgehandelt. Anschliessend wird zur Haftung unter Haltern, für die nach<br />

Art. 61 SVG spezielle Aufteilungskriterien gelten, Stellung bezogen.<br />

2. Motorfahrzeughaftung contra Verschuldenshaftung<br />

a) Im Allgemeinen<br />

Paradebeispiele für das Zusammentreffen von Motorfahrzeughaftung und Verschuldenshaftung<br />

sind die Kollisionen eines Motorfahrzeuges mit einem Fussgänger oder einem Radfahrer.<br />

Mit Verschulden und Betriebsgefahr begegnen sich Schadenursachen, die kaum vergleichbar<br />

sind. Trotzdem kommt man nicht umhin, die beiden Faktoren gegeneinander abzuwägen und<br />

zu gewichten. Für die Ermittlung der Haftungsquote mögen folgende allgemeinen Aussagen<br />

dienlich sein:<br />

Das Verschulden gilt gemeinhin als qualifizierter und vorherrschender Haftungsgrund 154 .<br />

Das zeigt sich nicht zuletzt in der zwar viel kritisierten, aber ins Gesetz gemeisselten Rangordnung<br />

der Haftungsgründe gemäss Art. 51 Abs. 2 OR. In der Kaskadenordnung (Verschulden,<br />

Vertrag, Gesetzesvorschrift = Kausalhaftung) nimmt das Verschulden die ungünstigste<br />

Position ein. Im internen Verhältnis mehrerer Haftpflichtversicherer kann der ganze Schaden<br />

letztlich auf den Schuldigen abgewälzt werden. So besehen würde dem Verschulden bei der<br />

Schadenaufteilung ein Vorrang zukommen. Ob die Rangordnung gemäss Art. 51 Abs. 2 OR<br />

auch für den Regresstatbestand des Art. 60 Abs. 2 Satz 1 SVG gilt, ist allerdings umstritten 155 .<br />

Selbst wenn man die Frage bejaht, heisst dies nicht zwingend, dass die gemeinrechtliche Regressordnung,<br />

welche auf die Haftungskonkurrenz mehrerer extern solidarisch Haftpflichtiger<br />

zugeschnitten ist, auch auf Haftungskollisionen gemäss SVG übertragbar ist.<br />

Wir vertreten die Ansicht, dass die vorrangige Bedeutung des Verschuldens entfällt, wenn<br />

– wie in Art. 58 SVG – eine spezifische verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung spezialgesetzlich<br />

normiert ist. Die Verschuldenshaftung ist hier eine subsidiäre 156 . Qualifizierter<br />

Haftungsgrund ist die Betriebsgefahr 157 . Es ist deshalb bei der Kollision von Betriebsgefahr<br />

154 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, § 5 Rn. 2 und II/2 Rn. 708.<br />

155 Pro: Giger, Strassenverkehrsgesetz, 198; Tercier/Gauch, Mehrheit von Ersatzpflichtigen, 34; Oftinger/Stark,<br />

Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 708. Contra: Brehm, responsabilité<br />

civile automobile, Rn. 759; Schaffhauser/Zellweger, Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 1469;<br />

Hulliger, Haftungsverhältnisse, 75; Geisseler, Haftpflicht und Versicherung, 67.<br />

156 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, § 5 Rn. 2.<br />

157 Siehe vorne S. 28 (Die latente Betriebsgefahr als Haftungsgrund).<br />

31


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

und Verschulden die erstere stärker zu gewichten 158 . Das hat zur Konsequenz, dass die Betriebsgefahr<br />

in erheblichem Umfange haftungsrelevant bleibt, wenn ihr ein einseitiges Verschulden<br />

des nach Art. 41 OR Haftpflichtigen entgegensteht. Es gilt der Grundsatz, dass der<br />

Halter wegen der von ihm zu vertreten Betriebsgefahr unabhängig von den Verschuldensproportionen<br />

als Geschädigter vorweg einen Teil seines eigenen Schadens selbst zu tragen bzw.<br />

als belangter Haftpflichtiger zu ersetzen hat 159 . Vorbehalten bleibt selbstverständlich der Fall,<br />

wo die Betriebsgefahr wegen groben Verschuldens des Verschuldenshaftpflichtigen als adäquat-kausale<br />

Unfallursache ausser Betracht fällt (Art. 59 Abs. 1 SVG).<br />

Zu welcher Haftungsquote gelangt nun die Praxis vor dem beschriebenen Hintergrund Die<br />

Antwort bedingt die Aufschlüsselung der Fälle. Von jenen des beidseitigen Verschuldens ist<br />

die Konstellation mit schuldlosem Halter zu unterscheiden. Die Bandbreite der praktizierten<br />

Quoten wird in Anlehnung an die akribische Kasuistik von Brehm 160 in den Anhängen illustriert<br />

und schematisiert.<br />

aa) Fälle beidseitigen Verschuldens<br />

Die Crux liegt vorab in der Taxation der Verschuldensintensität. Klassisch ist die Dreiteilung<br />

in grobes, mittleres und leichtes Verschulden. Leider ergibt sich aus der Rechtsprechung<br />

nicht immer mit der nötigen Klarheit, welche Verschuldensschwere im konkreten Fall angenommen<br />

wurde. Die eher unverbindliche Qualifikation des Verschuldens als „erheblich“<br />

oder „nicht unerheblich“, die sich in vielen Urteilen findet, mag eine ergebnisorientierte Beurteilung<br />

erleichtern. Sie erschwert jedoch den Nachvollzug der Quote. Geht man von den<br />

oben erwähnten dreifaltigen Verschuldensgraden aus, ergeben sich – wenn nicht noch unterschiedliche<br />

Betriebsgefahren berücksichtigt werden – eine Vielzahl von Kollisionsvarianten,<br />

die im Anhang detailliert dargestellt werden.<br />

Hat der Halter neben der Betriebsgefahr ein Verschulden zu vertreten, so wird dieses nicht<br />

durch ein gleichgewichtiges Selbstverschulden des Verschuldenshaftpflichtigen neutralisiert,<br />

so dass die verbleibende Betriebsgefahr zu voller Haftung führen würde. In Lehre und Rechtsprechung<br />

ist man sich darüber einig, dass nicht die Kompensationstheorie, sondern die sektorielle<br />

Verteilung die richtige ist 161 . Bei der Quotenbildung ist allen Unfallsachen ein Sektor<br />

vorbehalten, d.h. beim Halter die Betriebsgefahr und das Verschulden. Er besetzt damit<br />

zwei Sektoren, wogegen auf den Verschuldenshaftpflichtigen nur ein Sektor fällt. Das führt<br />

in etwa gleichwertigen Verschuldensgraden zwingend zu einer 50% übersteigenden Haftungsquote<br />

zu Lasten des Halters. Im Einzelnen folgt daraus:<br />

– Bei gleichgewichtigem Verschulden auf beiden Seiten ist eine Haftungsquote zwischen<br />

70 und 80% zu Lasten des Halters angemessen 162 .<br />

– Bei überwiegendem Verschulden des Halters ist eine Quote von 80 - 100% zu postulieren.<br />

Volle Haftung ist dann gerechtfertigt, wenn das überwiegende Verschulden des Halters<br />

im Verbund mit der Betriebsgefahr einem geringfügigen Verschulden des Verschul-<br />

158 Etwas anderes gilt – je nach Auffassung – bei der in Art. 61 eigens geregelten Haftung unter Haltern.<br />

Siehe dazu unten S. 43 (Halter contra Halter).<br />

159 Zum Prinzip der (partiellen) Selbsttragung des eigenen Schadens durch den Halter siehe<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, § 9 Rn. 28.<br />

160 Brehm, responsibilité civile automobile, Rn. 346 ff.<br />

161 Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 378, zeigt dies anschaulich am Bild des Kuchens auf.<br />

162 Das gilt unabhängig vom Verschuldensgrad. Für diese Quote auch Brehm, responsabilité civile<br />

automobile, Rn. 423, und Hulliger, Haftungsverhältnisse, 84, jedenfalls für das beidseitige leichte<br />

Verschulden.<br />

32


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

denshaftpflichtigen gegenüber steht und Letzteres in der Gesamtbetrachtung als nebensächliche<br />

Mitursache erscheint 163 .<br />

– Bei überwiegendem Verschulden des Verschuldenshaftpflichtigen reduziert sich die<br />

Quote für den Halter auf 40 - 60%, ausnahmsweise, bei schwerem Verschulden des Nichthalters<br />

und leichtem Verschulden des Halters, auf bis zu 20 - 30%.<br />

Abweichungen können sich ergeben, wenn auf Seiten des Gefährdungshaftpflichtigen (z.B.<br />

bei erhöhter Betriebsgefahr) oder des Verschuldenshaftpflichtigen (z.B. bei Gefälligkeitsfahrt)<br />

besondere Umstände hinzutreten.<br />

bb) Fälle mit schuldlosem Halter<br />

Es greift die Regelung gemäss Art. 59 Abs. 1 und 2 SVG. Den Halter trifft die Beweislast für<br />

fehlendes Verschulden seiner eigenen Person und derjenigen Personen, für die er verantwortlich<br />

ist. Ist (einseitige) Schuldlosigkeit erstellt und überdies der Beweis erbracht, dass keine<br />

fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzeuges zum Unfall beigetragen hat, so sind vier Fälle zu<br />

unterscheiden:<br />

– Trifft den Nichthalter kein Verschulden (oder kann ihm dies nicht rechtsgenüglich nachgewiesen<br />

werden), mithin bei beidseitiger Schuldlosigkeit, ist volle Haftung des Halters<br />

gegeben; dies auf Grund der Betriebsgefahr, die als alleinige Schadenursache zurückbleibt.<br />

– Ein einseitiges leichtes Verschulden des Nichthalters wird in der Regel mit einer Reduktion<br />

der Quote des Haltes auf 60 - 80% geahndet 164 .<br />

– Ein einseitiges mittleres Verschulden des Nichthalters führt zu Quoten zwischen 40 und<br />

60% zu Lasten des Halters 165 .<br />

– Bei Grobfahrlässigkeit des (verschuldenshaftpflichtigen) Nichthalters entfällt – was allerdings<br />

eher selten ist und wie gesagt den Exkulpationsbeweis des Halters voraussetzt – jegliche<br />

Haftung. Misslingt dem Halter der Entlastungsbeweis gemäss Art. 59 Abs. 2 SVG,<br />

bleibt die anteilsmässige Schadenstragung des Halters im Rahmen der Betriebsgefahr, die<br />

mit 25 - 35% zu gewichten ist 166 .<br />

b) Sonderfälle<br />

aa) Haftung gegenüber Kindern<br />

Als Sonderfälle erscheinen die durch Kinder mitverursachten Verkehrsunfälle. Dies<br />

– eingedenk derer eingeschränkter kognitiver Fähigkeiten 167 – im Hinblick auf die Verschuldenssituation.<br />

Ein nach "erwachsenen Ellen“ gemessenes Fehlverhalten kann einem Kond<br />

163 Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 387.<br />

164 Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 404, und Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 317 und<br />

387, propagieren eine Quote von 66 - 75%, Hulliger, Haftungsverhältnisse, 87, eine solche von<br />

60 - 80%.<br />

165 Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 404; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 87; Keller,<br />

Haftpflicht im Privatrecht I, 317, 387. Letzterer sieht bei einem an grobe Fahrlässigkeit grenzenden<br />

Selbstverschulden eine Reduktionsmöglichkeit von 50% und mehr.<br />

166 Hulliger, Haftungsverhältnisse, 87, schlägt eine Haftungsquote von 20 - 40%, Brehm, responsabilité<br />

civile automobile, Rn. 404, eine solche von 10 - 25% vor.<br />

167 Vgl. Nachweise zur naturwissenschaftlichen Forschung in Steinegger/Luginbühl, schuldhaftes<br />

Verhalten, 723 ff..<br />

33


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

oder einem Jugendlichen nur beschränkt, eventuell gar nicht als Verschulden angelastet werden<br />

168 . Entsprechend steigt die Haftungsquote des unfallbeteiligten Motorfahrzeughalters.<br />

Welche Grundsätze gelten hier<br />

Ausgeschlossen ist ein Verschulden bei Kindern im Vorschulalter: Ihnen fehlt es mit<br />

Blick auf die Gefahren der Strasse am nötigen Urteilsvermögen; sie sind diesbezüglich verschuldensunfähig<br />

169 . Führt die fehlende Urteilsfähigkeit des Kindes zur vollen Haftung des<br />

Halters, obwohl das Kind objektiv gesehen ein Verschulden trifft, so stellt sich die Frage der<br />

Haftungsreduktion des Halters gestützt auf die analoge Anwendung der obligationenrechtlichen<br />

Billigkeitshaftung (Art. 54 OR). Relevant wird sie angesichts des Versicherungsobligatoriums<br />

für Halter allerdings nur bei ungenügendem Versicherungsschutz und ungleich<br />

besserer Finanzkraft des geschädigten Kindes – insgesamt eine seltene Konstellation. Tritt sie<br />

dennoch ein, ist Art. 54 OR analog anwendbar 170 .<br />

Liegt die Verschuldensfähigkeit an sich vor, so ist nach der Möglichkeit für das haftungsausschliessende<br />

Verschulden (Art. 59 Abs. 1 SVG) zu fragen. Dass ein grobes Verschulden<br />

erst bei einem gewissen Alter vorliegen kann, ist unbestritten. Hingegen scheinen die Gerichte<br />

die Altersgrenze tendenziell tiefer anzusetzen als die Lehre:<br />

– Klar ist angesichts der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, dass vor dem Alter von neun<br />

Jahren ein grobes Verschulden des Kindes ausscheidet 171 .<br />

– Hingegen bejahte ein kantonales Gericht das grobe Verschulden eines elfjährigen Knaben,<br />

der in einer Kreuzung unmittelbar nach links abschwenkte, obwohl das entgegenkommende<br />

Fahrzeug sich schon sehr nahe an der Kreuzung befand 172 .<br />

– Das Bundesgericht sah in einem unpublizierten Entscheid ein grobes Verschulden bei<br />

einem dreizehnjährigen Fahrradfahrer, der mit hoher Geschwindigkeit von einer schlecht<br />

sichtbaren Nebenstrasse unvermittelt in die Hauptstrasse einbog und dort mit einem langsam<br />

fahrenden Laster zusammenprallte 173 . Andererseits hielt es in einem jüngeren Entscheid<br />

aber auch fest, dass bei der Bemessung des Verschuldens eines fünfzehnjährigen<br />

Jugendlichen das Alter zu berücksichtigen sei 174 .<br />

– In der Doktrin liegt die Schwelle allemal höher: Sie schwankt zwischen vierzehn und<br />

sechzehn Jahren 175 .<br />

168 Vgl. etwa Geissler, Kinder im Strassenverkehr, 35; Szöllösy, Haftungsherabsetzendes Verschulden,<br />

277.<br />

169 Vgl. die Nachweise bei Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 356.<br />

170 Vgl. Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 391. Die analoge Anwendbarkeit von Art. 54<br />

OR grundsätzlich bejahend: Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 571.<br />

171 Vgl. BGE 111 II 89 (91): Ein neunjähriger Knabe überquert auf seinem Fahrrad vorschriftswidrig<br />

eine stark befahrene Hauptstrasse. BGE 104 II 184 (189): Ein neunjähriger Knabe schiesst mit<br />

Pfeil und Bogen auf einen Spielkameraden, der dabei ein Auge verliert.<br />

172 Bürlet/Zürich, Schwyz, 18.2.1963, zitiert in Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 364.<br />

173 Tscherrig/Helvetia, BGer vom 18.1.1955, zitiert in Brehm, responsabilité civile automobile,<br />

Rn. 364. Auch im Fall Regoz ging das Bundesgericht von einer verminderten Urteilsunfähigkeit<br />

einer 13 1/2-jährigen Gymnasiastin aus. Das Mädchen war auf einen fahrenden Zug aufgesprungen.<br />

Vgl. BGE 102 II 363.<br />

174 BGE 124 III 182 (187). Der Jugendliche fuhr als Passagier auf einem gestohlenen Motorrad, im<br />

Wissen darum, dass der Lenker keinen Führerausweis hatte.<br />

175 Für das Alter von 14 Jahren: Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 365. Für das Alter von<br />

15 Jahren: Keller, Haftpflicht im Privatrecht, 313; Geisseler, Kinder im Strassenverkehr, 36; Steinegger/Luginbühl,<br />

schuldhaftes Verhalten, 729. Für das Alter von 16 Jahren: Szöllösy,<br />

Haftungsherabsetzendes Verschulden, 285. Warnend vor einem abstrakten Abstützen auf starren<br />

34


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Fällt ein haftungsausschliessendes Verschulden des jugendlichen Nichthalters im Sinne von<br />

Art. 59 Abs. 1 SVG ausser Betracht, so ist das Verschulden immer noch im Rahmen von Art.<br />

59 Abs. 2 SVG zu berücksichtigen und bewirkt dort möglicherweise eine entsprechende Haftungsminderung.<br />

bb) Haftung gegenüber Passagieren<br />

Die Besonderheit, die sich bei der Schädigung eines Passagiers ergibt, ist ebenfalls eine verschuldensspezifische:<br />

Wer sich chauffieren lässt, gibt unstreitig seine Einwilligung zu einer<br />

gefährlichen Handlung. Fraglich ist, ob damit im Schadensfall die Haftung des Halters reduziert<br />

werden müsste (Art. 44 Abs. 1 OR).<br />

Das Bundesgericht ist zurückhaltend. Grundsätzlich trifft die Gefahr aus dem Betrieb des<br />

Fahrzeugs den Halter und wird nicht auf den Mitfahrer überwälzt 176 . Davon bestehen Ausnahmen:<br />

– Ein haftungsherabsetzendes Mitverschulden im Sinne einer acceptation du risque wird darin<br />

erblickt, dass für den Passagier die besondere Gefährlichkeit der anstehenden Fahrt<br />

erkennbar war oder erkennbar sein musste 177 . Exemplarisch sind hierfür vor allem diejenigen<br />

Fälle, in denen der Mitfahrer um die Trunkenheit des Fahrers wusste 178 . Mitverantwortung<br />

und damit einen Teil seines Schadens trägt auch, wer sich wissentlich einem Lenker<br />

anvertraut, der über keinen Fahrausweis verfügt, oder gar das Fahrzeug für eine Spritzfahrt<br />

entwendet hat 179 . Das Mitfahren auf dem Rücksitz eines Motorrads sieht das Bundesgericht<br />

hingegen nicht mehr als spezifisch gefährliche Fahrt 180 .<br />

– Daneben ist eine Senkung der Haftungsquote des Halters ausserdem denkbar bei der Verletzung<br />

(verkehrsrechtlich statuierter) Regeln, die der Sicherheit des Passagiers dienen.<br />

Hier ist insbesondere an die Helmtragungspflicht 181 und an das Gurtenobligatorium 182 zu<br />

denken. Im Sozialversicherungsrecht gilt die Missachtung dieser Pflichten als grobfahrlässiges<br />

Selbstverschulden 183 . So weit gehen die Lausanner Richter nicht. In BGE 117 II 617<br />

führte die Missachtung der Gurtentragpflicht bei einer Lenkerin zu einem Abzug von<br />

10 %, was die bundesgerichtliche Annahme eines leichten Selbstverschuldens nahe legt 184 .<br />

Hierzu ist folgendes anzumerken:<br />

- Erstens entspricht die Kürzung von 10% im Ergebnis dem Abzug, den das EVG in der<br />

Regel unter dem Titel der Grobfahrlässigkeit vornahm – wobei daran zu erinnern ist,<br />

dass leichtes oder mittleres Verschulden keine Kürzung erlaubte (Art. 37 Abs. 2<br />

Altersgrenzen Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 356; Geissler, Kinder im<br />

Strassenverkehr, 12. Interessant die Rechtslage in Frankreicht (Loi Badinter): Haftung unter 16<br />

Jahren nur bei Vorsatz.<br />

176 Vgl. BGE 84 II 292 (296 f.).<br />

177 Vgl. BGE 124 II 182 (184); BGE 84 II 292 (297).<br />

178 Vgl. BGE 79 II 395 (397); BGE 91 II 218 (222); BGE 84 II 292 (297); BGE 99 II 366 (274).<br />

179 Vgl. BGE 124 III 182 (184).<br />

180 Vgl. die Hinweise auf die Rechtsprechung in Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 370.<br />

181 Art. 57 Abs. 5 lit. b SVG. Art. 3b VRV. Die Helmtragungspflicht gilt – anders als etwa in England<br />

– auch für den Sikh. Das ist gemäss Feststellung der Europäischen Menschenrechtskommission<br />

auch EMRK-konform. Vgl. BGE 119 IV 260 (261 f.).<br />

182 Art. 57 Abs. 5 lit. a SVG; Art. 3a VRV.<br />

183 BGE 121 V 45 (48): Helmtragungspflicht. BGE 114 V 315 (317 unten); 118 V 305 (307): Sicherheitsgurten.<br />

184 Abzug von 10% auch in Gilléron/Winterthur (Waadt, n.p.), zitiert in Brehm, responsabilité civile<br />

automobile, Rn. 372.<br />

35


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

aUVG). Trotz unterschiedlicher Qualifikation waren also die realen Kürzungskonsequenzen<br />

dieselben 185 .<br />

- Zweitens sieht das revidierte UVG im Grundsatz Kürzungen nur noch bei absichtlicher<br />

Herbeiführung der Schädigung vor 186 . Das Nichttragen der Sicherheitsgurten wird<br />

keinen Kürzungstatbestand mehr bilden, womit auch das Problem der unterschiedlichen<br />

Verschuldensbemessung im Sozialversicherungs- und Haftpflichtrecht entfällt.<br />

- Drittens lagen den bisherigen Haftpflichtentscheiden zur Gurtentragungspflicht Sachverhalte<br />

zugrunde, die sich vor der Einführung des Gurtenobligatoriums ereigneten 187 .<br />

Mit Blick auf die geltende Rechtslage scheint heute ein höhere Gewichtung des Verschuldens<br />

gerechtfertigt, wobei als Richtlinie von einem Abzug von 20 - 25% auszugehen<br />

ist 188 .<br />

– Schliesslich kann sich haftungsmindernd für den Halter der Umstand der Gefälligkeitsfahrt<br />

auswirken. Vor der Revision des SVG von 1975 konnte der Richter die Entschädigung<br />

ermässigen oder gar ausschliessen, wenn der Passagier unentgeltlich mitgeführt wurde<br />

oder ihm das Fahrzeug unentgeltlich überlassen worden war (Art. 59 Abs. 3 aSVG) 189 .<br />

Die Bestimmung wurde ersatzlos gestrichen. Die Haftungsreduktion für Gefälligkeitsfahrten<br />

steht aber weiterhin zur Debatte: Art. 62 SVG verweist für die Bemessung des Schadens<br />

auf das Obligationenrecht und damit auch auf Art. 43 Abs. 1 OR 190 . Umfang und<br />

Modalitäten der Reduktion sind umstritten, wie das auch das Bundesgericht festhält 191 .<br />

Die praktische Bedeutung der Frage ist im Zusammenhang mit Gratispassagieren eher gering.<br />

Pointierter präsentiert sich die Problematik hingegen bei der unentgeltlichen Überlassung<br />

des Fahrzeugs 192 .<br />

185 BGE 118 V 305 (308) begründet die unterschiedliche Verschuldensqualifikation mit dem unterschiedlichen<br />

Haftungssystem der beiden Teilrechtsordnungen. Im SVG besteht bei Annahme<br />

eines groben Selbstverschuldens die Möglichkeit eines vollständigen Haftungsausschlusses (Art.<br />

59 Abs. 1 SVG).<br />

186 Vgl. Art. 37 Abs. 1 UVG. Eine Kürzung ist sodann vorgesehen, wenn der Unfall im Zusammenhang<br />

mit der nicht vorsätzlichen Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens erfolgte (Art. 37<br />

Abs. 3 UVG). Eine Rolle spielt die Grobfahrlässigkeit lediglich noch beim Taggeld bei Nichtberufsunfällen.<br />

Im ATSG ist eine Kürzung bei Grobfahrlässigkeit nicht vorgesehen (Art. 21 ATSG).<br />

187 In BGE 117 II 617: 1979. Für den nicht publizierten Entscheid Gilléron/Winterthur (1983) siehe<br />

den Hinweis bei Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 373.<br />

188 Weniger streng Brehm, La responsabilité civile automobile, Rn. 373, der eine solche Kürzung nur<br />

annehmen will, wenn der Passagier aufgrund der Umstände (Strassenzustand, nächtliche Fahrt) zu<br />

besonderer Vorsicht verpflichtet ist.<br />

189 Damit sollten die Fahrgewohnheiten zugunsten einer besseren Fahrzeugauslastung geändert werden.<br />

Rusconi, responsabilité, 431, bringt diesen Punkt der Revision entsprechend mit der Ölkrise<br />

der 70er Jahre in Verbindung. Vgl. zur Motivation der Gesetzesänderung auch Oftinger/Stark,<br />

Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 582.<br />

190 BGE 127 III 446 (447 f.) und vor allem BGE 117 II 609 (618). Für die Lehre statt anderer<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 583. Der Grundsatz, wonach die<br />

Gefälligkeit seitens des Haftpflichtigen dessen Ersatzpflicht beeinflussen kann, ergibt sich auch<br />

aus Art. 99 Abs. 2 OR. Dazu Geisseler, Haftpflicht und Versicherung, 20 f.<br />

191 BGE 117 II 609 (618).<br />

192 Siehe dazu sogleich unten (Haftung des Halters gegenüber dem Lenker seines eigenen Fahrzeugs).<br />

36


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

c) Problemfälle<br />

aa) Haftung des Halters gegenüber dem Lenker seines eigenen Fahrzeugs<br />

Der vom Halter verschiedene Lenker kommt – gleich wie ein Fussgänger oder ein Passagier –<br />

grundsätzlich in den vollen Genuss der Gefährdungshaftung nach Art. 58 SVG. Er selbst<br />

untersteht der Verschuldenshaftung 193 . Das gilt auch dann, wenn der Halter sein Fahrzeug<br />

einer Drittperson überlässt, dieser einen Unfall verursacht und dabei geschädigt wird. Trifft<br />

den Lenker ein Verschulden, liegt der Fall einer Kollision von Motorfahrzeughalter- mit Verschuldenshaftung<br />

vor. Haftungsmindernd oder -entlastend für den Halter fällt das Selbstverschulden<br />

des Lenkers in Betracht. Das Betriebsrisiko bleibt beim Halter. Diese Lösung ist<br />

– zumindest, was den Halter ohne zusätzliches Verschulden (z. B. in Form des mangelhaften<br />

Fahrzeugzustandes) betrifft – nicht selbstverständlich und gibt auch Anlass zu Kritik 194 .<br />

In der Tat ist schwer einzusehen, weshalb ein unbeteiligter und schuldloser Halter für den<br />

Schaden desjenigen aufzukommen hat, dem er das Fahrzeug zum Gebrauch überlassen hat<br />

und der am Steuer sein Schicksal buchstäblich in eigenen Händen hält. Keller schreibt dazu:<br />

„Und wenn ein Lenker nichts Gescheiteres zu tun weiss, als in einen Baum zu fahren, so wäre<br />

es ja wirklich abwegig, in ihm noch das arme, ersatzberechtigte Opfer der Betriebsgefahr zu<br />

sehen.“ 195 Die jüngere Rechtsprechung geht andere Wege 196 :<br />

– Im Ergebnis besonders erstaunlich ist BGE 117 II 609: Die Ehefrau des Halters verunglückte<br />

bei einem Glatteisunfall. Die Vorinstanz hat die Halterhaftung um je 10% wegen<br />

leichten Selbstverschuldens und wegen Nichttragens der Sicherheitsgurten reduziert. Das<br />

Bundesgericht hat die Haftungsquote von 80 % zu Lasten des Halters bestätigt.<br />

– In BGE 127 III 446 ging es um einen Lenker, der mit dem Auto seines Cousins in einer<br />

scharfen Linkskurve von der Fahrbahn abkam und dabei erhebliche Verletzungen erlitt.<br />

Hier wurde das Selbstverschulden des Lenkers mit 30% veranschlagt. Dazu kam ein Gefälligkeitsabzug<br />

von 30%, so dass die Schadenersatzpflicht des Halters insgesamt auf 40%<br />

des Gesamtschadens festgelegt wurde 197 .<br />

Noch offen ist, wie dem Malaise beizukommen ist. So wird beispielsweise de lege ferenda<br />

vorgeschlagen, den Halter nur noch haften zu lassen, wenn ihn selbst ein Verschulden trifft 198 .<br />

Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich das Problem nicht auch de lege lata lösen liesse.<br />

Ein Ansatzpunkt wäre ein Splitting der Betriebsgefahr in latente Gefährdung und konkrete<br />

Verwirklichung. Oder es könnte das Risiko, welches das Lenken eines Motorfahrzeuges be-<br />

193 Vgl. Bussy/Rusconi, circulation routière, N o 3.4. ad art. 58 LCR; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 5;<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 71; Schaffhauser/Zellweger,<br />

Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 930.<br />

194 Rusconi, responsabilité, 429 ff.; Vaverka, Überlegungen, 198 ff. Kritisch bei der unentgeltlichen<br />

Überlassung des Fahrzeugs auch Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 310. Positiv dagegen<br />

Hulliger, Haftungsverhältnisse, 6.<br />

195 Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 309.<br />

196 Vgl. immerhin BGE 88 II 305 f.: Der Lenker fuhr in einen Baum. Das Bundesgericht nahm ein<br />

haftungsausschliessendes Verhalten an.<br />

197 Im Unterschied zu BGE 117 II 609 wurde in BGE 127 III 446 die Gefälligkeit des Halters haftungsreduzierend<br />

berücksichtigt. Ausschlaggebend war die Begründung der Vorinstanz: Die Überlassung<br />

des Fahrzeugs – unentgeltlich und ohne Eigeninteresse – habe das selbst unter Verwandten<br />

allgemein übliche Mass an Grosszügigkeit überschritten.<br />

198 Vgl. Vaverka, Überlegungen, 202; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 6, erachtet eine solche Gesetzesänderung<br />

nicht als dringend.<br />

37


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

inhaltet, als Umstand im Sinne von Art. 44 OR qualifiziert werden 199 . Solche Betrachtungsweisen<br />

wurden jedoch vom Bundesgericht bisher nicht goutiert 200 .<br />

bb) Haftung des Lenkers gegenüber dem Halter<br />

Im Vordergrund stehen Fälle, in denen der Halter in seinem eigenen Wagen als Beifahrer zu<br />

Schaden kommt. Seit der Revision von Art. 63 Abs. 3 lit. a SVG im Jahre 1995 können Personenschadenansprüche<br />

des Halters gegenüber dem Lenker (und anderer mitwirkender Hilfspersonen,<br />

für die er gemäss Art. 58 Abs. 4 SVG verantwortlich ist) nicht mehr von der<br />

Zwangsversicherung ausgeschlossen werden 201 . Der Halter-Passagier hat damit einen Direktanspruch<br />

gegen seine eigene Halterversicherung 202 .<br />

Ziel der Revision war die Gleichstellung des mitfahrenden Fahrzeughalters mit den<br />

anderen mitfahrenden Passagieren 203 . Verwirklicht wurde es nur zum Teil: Die Neufassung<br />

von Art. 63 Abs. 3 lit. a SVG bringt zwar eine Deckungserweiterung, aber keine Änderung<br />

der Haftungsgrundlagen 204 – wobei fraglich ist, ob dies vom Gesetzgeber erkannt wurde 205 .<br />

Im Ergebnis gilt nach wie vor das Prinzip der Vorwegtragung eines Schadenanteils des Halters<br />

wegen der von ihm zu vertretenden Betriebsgefahr. Als Passagier kann sich der Halter<br />

nicht auf die Kausalhaftung berufen und hat die Betriebsgefahr des Fahrzeuges selbst zu vertreten<br />

206 . Der Lenker haftet nach Art. 41 OR nur für Verschulden. Zur Diskussion steht mithin<br />

wiederum eine Haftungskollision zwischen Verschuldens- und Halterhaftung. Es stellen<br />

sich – mit umgekehrten Vorzeichen – dieselben Fragen, denen wir bei der Haftung des Halters<br />

gegenüber dem Lenker begegnet sind.<br />

Unterstellt man Schuldlosigkeit des Halters und Mängelfreiheit des Fahrzeuges und trägt man<br />

der vom Bundesgericht verpönten Verwirklichung der Betriebsgefahr durch den Lenker nicht<br />

Rechnung, ergeben sich folgende Lösungen:<br />

– Bei Schuldlosigkeit des Lenkers hat der Halter wegen der von ihm zu vertretenden<br />

Betriebsgefahr (die bei sektorieller Aufteilung als einzige Schadenursache zu berücksichtigen<br />

ist) den eigenen Schaden vollumfänglich selbst zu tragen. Es entfällt mangels Haftpflicht<br />

einer Drittperson auch jedwelcher Anspruch gegenüber dem eigenen Haftpflichtversicherer.<br />

199 So Brehm, reponsabilité civile automobile, Rn. 382.<br />

200 BGE 105 II 209 (213 f.); BGE 113 II 323 (329 f.); BGE 117 II 609 (620). Zur Problematik siehe<br />

oben S. 28 (Betriebsgefahr als Haftungsgrund).<br />

201 Die Versicherungen machten von dieser Ausschlussmöglichkeit durchweg Gebrauch, vgl. Vogel,<br />

SVZ 64 (1996), 26.<br />

202 Bussy/Rusconi, circulation routière, N o 2.3.4. ad art. 63 LCR, monieren, die Motorhaftpflichtversicherung<br />

mutiere zur Unfallversicherung.<br />

203 BBl 1995 I, 55: „[Der Halter] soll künftig bei Personenschäden die gleichen Ansprüche gegen seinen<br />

Haftpflichtversicherer haben wie andere im Fahrzeug mitfahrende Personen.“<br />

204 Vgl. hierzu Bussy/Rusconi, circulation routière, N o 2.3.4. ad art. 63 LCR; Vogel, SVZ 64 (1996),<br />

26 f. Im weiteren Weber, Privatversicherungen, § 4 Rn. 4.76.<br />

205 Vgl. BBl 1995 I, 55; Amt. Bull NR 1995, 1212 (Bundesrat Koller), wo durchweg von der Gleichstellung<br />

des mitfahrenden Halters mit den anderen mitfahrenden Personen die Rede ist: „[Der<br />

Halter] soll künftig bei Personenschäden die gleichen Ansprüche gegen seinen Haftpflichtversicherer<br />

haben wie andere im Fahrzeug mitfahrende Personen.“ Und: „Mit dieser Vorlage wird der<br />

Halter ... den anderen im Fahrzeug mitfahrenden Personen gleichgestellt.“<br />

206 Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 310.<br />

38


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

– Bei grobfahrlässigem Verschulden des Lenkers, das geeignet ist, die Kausalität zwischen<br />

Betriebsgefahr und Schaden auszuschalten, erhält der Halter den Schaden voll ersetzt.<br />

– Bei sonstigem einseitigem Verschulden des Lenkers hat sich der Halter je nach Verschuldensgrad<br />

mit einer Quote von 20 - 60% zu begnügen 207 .<br />

– Einen Abzug muss sich der Halter unter Umständen auch gefallen lassen, wenn der Lenker<br />

ihm gegenüber eine Gefälligkeit erweist, beispielsweise, wenn er nach durchzechter Nacht<br />

nach Hause oder bei akuter Erkrankung ins Spital chauffiert wird. Allerdings bedarf es<br />

einer Gefälligkeit, die das übliche und zumutbare Mass eines Freundschaftsdienstes übersteigt.<br />

3. Motorfahrzeughaftung contra milde Kausalhaftung<br />

Da im SVG eine griffige Kollisionsregel für diese Haftungskonstellation fehlt, haben Rechtsprechung<br />

und Doktrin eigene Leitlinien entwickelt. Grundsätzlich kann man davon ausgehen,<br />

dass die Verwirklichung einer Betriebsgefahr (Gefährdungshaftung) gravierender ist als<br />

die Verwirklichung des den einfachen Kausalhaftungen zugrunde liegenden Haftungstatbestandes<br />

208 . Das Ergebnis wäre in etwa eine Schadenstragung des Motorfahrzeughalters zu<br />

zwei Dritteln 209 . Die Dichotomie der Kausalhaftungen schlägt also im Kollisionsfall auf die<br />

Schadensverteilung durch. Von praktischer Bedeutung ist insbesondere das Zusammentreffen<br />

einer Motorfahrzeughalterhaftung mit einer Werkeigentümerhaftung (Art. 58 OR) oder einer<br />

Tierhalterhaftung (Art. 56 OR).<br />

a) Kollision mit Werkeigentümerhaftung<br />

Im Rahmen von Art. 58 OR ist die mangelhafte Strasse seit jeher ein prominentes Beispiel<br />

eines Werkes. Entsprechend üppig ist dokumentiert, wer sich mit den Feinheiten dieses Themas<br />

vertraut machen will 210 . Im Allgemeinen auferlegt sich die Rechtsprechung bei der<br />

Beurteilung der Haftung des Gemeinwesens für mangelhaften Strassenunterhalt recht weitgehende<br />

Zurückhaltung 211 . Das gilt insbesondere bei Glatteisunfällen. In BGE 129 III 65<br />

(Tessiner Glatteisentscheid) 212 rechtfertigt das Bundesgericht den Umstand, dass „bis heute<br />

bei Unfällen ausserorts mit Motorfahrzeugen noch nie eine Haftung des Strasseneigentümers<br />

angenommen wurde“ 213 , mit dem Hinweis darauf, dass es am Fahrzeuglenker liege, seine Geschwindigkeit<br />

den Strassenverhältnissen anzupassen. Dessen ungeachtet hat das Bundesgericht<br />

im erwähnten Entscheid erstmals die Teilhaftung des Gemeinwesens wegen unterlassener<br />

Verhütung von Glatteisbildung bejaht. Bei der Festlegung der Haftungsquote<br />

führte das „nicht unerhebliche“ Verschulden des Motorfahrzeuglenkers, der in einer Kurve<br />

207 Überträgt man BGE 117 II 609 auf die vorliegende Konstellation, ergibt sich zu Lasten des Lenkers<br />

eine Haftungsquote von 20 %. Der Halter hätte wegen der Betriebsgefahr 80 % des Schadens<br />

selbst zu tragen.<br />

208 Vgl. etwa Brehm, responsabilité civile automobile, N. 439 m. w. N.<br />

209 Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 389, der diese Quote insbesondere beim Zusammenstoss einer<br />

Motorfahrzeug- und Tierhalterhaftung als angemessen empfindet.<br />

210 Siehe z. B. Brehm, Berner Kommentar, Rn. 161 ff. zu Art. 58 OR; Fleischmann, Werkeigentümerhaftung,<br />

140 ff.; Werro, responsabilité de l’Etat, 6 ff., jeweils m. w. N.<br />

211 Vgl. aber Fleischmann, Werkeigentümerhaftung, 148, der in BGE 116 II 645 und weiteren kanntonalen<br />

Urteilen eine gewisse Trendwende zu erkennen glaubt.<br />

212 Besprochen von Hofer/Bolle, erscheint in: HAVE 1/2004.<br />

213 Übersetzung gemäss Praxis 2003, Nr. 121, 643 (646).<br />

39


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

wegen Glatteises von der Fahrbahn abkam und mit einem Baum kollidierte, vorab zu einem<br />

Abzug von 35%. Der vom Motorfahrzeughalter zu vertretenden Betriebsgefahr wurde ein Ursachenanteil<br />

von 25% zugemessen, so dass eine Haftungsquote von 40% zu Lasten des<br />

(schuldlosen) Strasseneigentümers resultierte.<br />

Dieses Ergebnis ist nicht stringent; umso weniger, als das Bundesgericht selbst eingeräumt<br />

hat, dass „grundsätzlich die der Betriebsgefahr zugrunde liegende Haftung schwerer wiegt als<br />

die des Strasseneigentümers“ 214 . Bei der Kollision der Gefährdungshaftung mit einer gewöhnlichen<br />

Kausalhaftung wäre folgerichtig bei der sektoriellen Verteilung dem Gefährdungshaftpflichtigen<br />

wegen der Betriebsgefahr ein grösserer Sektor anzulasten als dem milde<br />

Kausalhaftpflichtigen wegen des Werkmangels 215 . Ohne Berücksichtigung eines Verschuldens<br />

auf der einen oder der anderen Seite müsste unseres Erachtens die Betriebsgefahr mit<br />

60 - 70%, der Werkmangel mit 30 - 40% gewichtet werden. Bei einem nicht nur geringfügigen<br />

einseitigen Verschulden des Motorfahrzeughalters stellt sich die Frage, ob eine Teilhaftung<br />

des (schuldlosen) Werkeigentümers gerechtfertigt ist. Nach den Regeln der sektoriellen<br />

Verteilung ist die Frage zu bejahen. Auf der anderen Seite ist nicht ohne weiteres einzusehen,<br />

weshalb ein allein schuldiger Motorfahrzeughalter bei Kollision mit einem anderen Halter<br />

nach Art. 61 SVG leer ausgehen 216 , er hingegen vom mild kausal haftpflichtigen Werkeigentümer<br />

einen Teil des Schadens ersetzt erhalten soll. Damit soll nicht einer analogen Anwendung<br />

von Art. 61 Abs. 1 SVG auf die Kollisionsfälle von Motorfahrzeughalter und gewöhnlichen<br />

Kausalhaftungen das Wort geredet werden. Es geht lediglich darum klarzustellen, dass<br />

die Betriebsgefahr, welche eine scharfe Kausalhaftung begründet, stärker zu gewichten ist als<br />

ein Werkmangel 217 . Zumindest ein mittleres Verschulden des Motorfahrzeughalters dürfte im<br />

Verbund mit der Betriebsgefahr eine Haftung des (schuldlosen) Werkeigentümers ausschliessen<br />

218 .<br />

Auch wenn der Tessiner Glatteisentscheid kritisch zu würdigen ist, weil das Bundesgericht<br />

die stärkere Gewichtung der scharfen Kausalhaftung in Art. 58 SVG gegenüber der einfachen<br />

Kausalhaftung in Art. 58 OR zwar anerkennt, aber nicht danach handelt, so vermag dies angesichts<br />

der bisherigen Rechtsprechung nicht zu erstaunen:<br />

– Bis zum Entscheid in BGE 108 II 51 (Berner Torbogenfall) wurde mit Blick auf die Schadensverteilung<br />

zwischen Fahrzeughalter und Werkeigentümer die Betriebsgefahr als Kriterium<br />

für den Verteilungsschlüssel durchweg ignoriert 219 . Dies führte zu einer Rechtsprechung,<br />

bei der im Falle des schuldlosen Halters eine volle Haftung des Werkeigentümers<br />

angenommen wurde 220 .<br />

– Im Torbogenfall selbst stand auf der einen Seite die Betriebsgefahr, auf der anderen Seite<br />

der Werkmangel sowie ein (nicht weiter qualifiziertes) Verschulden des Werkeigentümers.<br />

Die Halterhaftung wurde auf einen Drittel, die Werkeigentümerhaftung auf zwei Drittel<br />

festgesetzt. Aus dem Entscheid kann zudem gefolgert werden, dass das Bundesgericht bei<br />

214 Übersetzung gemäss Praxis 2003, Nr. 121, 643 (652).<br />

215 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, § 9 Rn. 41.<br />

216 Dies zumindest unter dem Titel der Kompensationsmethode, deren Massgeblichkeit im Bereich<br />

von Art. 61 Abs. 1 SVG allerdings nicht unbestritten ist. Siehe dazu unten S. 43 (Halter contra<br />

Halter).<br />

217 In BGE 108 II 51 (57 f.) ging das Bundesgericht von einer hälftigen Haftung des Werkeigentümers<br />

aus. Wegen zusätzlichen Verschuldens wurde die Haftungsquote zu Lasten des Werkeigentümers<br />

auf 2/3 erhöht.<br />

218 So auch Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 477 f.<br />

219 Reiche Kasuistik bei Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 479 ff.<br />

220 Vgl. die Nachweise bei Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 480.<br />

40


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

fehlendem Verschulden auf beiden Seiten von einer Haftung zu etwa der Hälfte ausgegangen<br />

wäre 221 .<br />

– In BGE 116 II 645 (Strassenbelag Grosser St. Bernhard) standen sich Betriebsgefahr und<br />

(nicht qualifiziertes) Verschulden einerseits und Werkmangel andererseits gegenüber.<br />

Dies führte zu einer Quote von zwei Dritteln zulasten des Halters und von einem Drittel<br />

zulasten der Werkeigentümerin. Bei fehlendem Verschulden auf beiden Seiten würde man<br />

sich also wiederum im Bereich der hälftigen Teilung bewegen.<br />

– In derselben Sitzung beurteilte das Bundesgericht einen ähnlichen Schadensfall, der sich an<br />

derselben Stelle ereignet hatte. Es erkannte auf die hälftige Teilung des Schadens 222 , ohne<br />

zur abweichenden Verteilung Stellung zu nehmen.<br />

Dies zeigt: Der Tessiner Glatteisfall ist kein Ausreisser, sondern er liegt auf der Linie der bisherigen<br />

bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Kontinuität ist allerdings kein Garant für<br />

Richtigkeit. Die scharfe und die einfache Kausalhaftung sind im Falle der Kollision unterschiedlich<br />

zu gewichten, und zwar nicht nur im Grundsatz, sondern auch bei der effektiven<br />

Zuteilung der Haftungsquoten.<br />

b) Kollision mit Tierhalterhaftung<br />

Die genannten Kriterien gelten auch für die Kollision von Motorfahrzeughalter- und Tierhalterhaftung.<br />

Die Praxis nimmt bei beidseitiger Schuldlosigkeit eine Quote zu Lasten des<br />

Motorfahrzeughalters von 2/3 an 223 . Auch hier gilt es zu berücksichtigen, dass die Gefährdungshaftung<br />

des Motorfahrzeughalters einen ausgeprägteren Haftungsgrund darstellt als die<br />

gewöhnliche Kausalhaftung des Tierhalters.<br />

c) Kollision mit Haftung des Familienoberhauptes<br />

Hinzuweisen ist darauf, dass, wo im Namen verunfallter Kinder Ansprüche gegen den Motorfahrzeughalter<br />

geltend gemacht werden, keine Kollision mit der Haftung nach Art. 333 ZGB<br />

vorliegt, da dem Kind die mangelnde Beaufsichtigung durch die Eltern nicht als Selbstverschulden<br />

entgegenhalten und angerechnet werden kann 224 . Haftungsausschliessendes (also<br />

grobes) Drittverschulden der Eltern im Sinne von Art. 59 Abs. 1 SVG wird in der Regel nicht<br />

angenommen 225 . Halter und Familienoberhaupt haften solidarisch (Art. 60 Abs. 1 SVG) 226 .<br />

Wird der Halter – bzw. was üblich sein dürfte – dessen Versicherer belangt, so muss dieser<br />

den ganzen Schaden tragen und ist für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Eltern<br />

auf den Regressweg verwiesen 227 . Anwendbare Regressnorm ist Art. 60 Abs. 2 Satz 1 SVG.<br />

221 Ausdrücklich verwirft das Bundesgericht eine Schadensverteilung, wie sie bei der verschuldensfreien<br />

Kollision von Fahrzeughalterhaftung und Tierhalterhaftung angewendet wird, nämlich: 2/3<br />

Halter, 1/3 Tierhalter. Die Risiken, die dem Strassenverkehr aus der Werkeigentümerhaftung entstehen<br />

liessen, seien grösser. Vgl. BGE 108 II 51 (57).<br />

222 Fall zitiert in Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 487.<br />

223 BGE 108 II 51 (57); Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 389; Brehm, responsabilité civile automobile,<br />

Rn. 444 ff.; Schaffhauser/Zellweger Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 1387;<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, § 9 Rn. 41.<br />

224 Allgemein zur Haftung des Familienoberhauptes siehe Girsberger, Basler Kommentar zu Art. 333<br />

ZGB.<br />

225 Baur, Kollision, 59 f.<br />

226 Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 490.<br />

227 Baur, Kollision, 60.<br />

41


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Eine Kollision zwischen den in Art. 58 SVG und Art. 333 ZGB statuierten Haftungsgründen<br />

liegt nur im Fall vor, dass Eltern im Zusammenhang mit dem Tod ihres Kindes Ersatz für<br />

selbst erlittenen Schaden (Versorgerschaden) verlangen. Dabei ist wiederum, ja gegenüber<br />

Kollisionskonstellationen mit Art. 56 und 58 OR vermehrt 228 , in Rechnung zu stellen, dass die<br />

Betriebsgefahr als Unfallursache stärker ins Gewicht fällt als die mangelnde Beaufsichtigung<br />

durch die Eltern. Das dürfte bei beidseitiger Schuldlosigkeit zu einer Quote von mindestens<br />

3/4 zu Lasten des Motorfahrzeugshalters führen. Verschiebungen ergeben sich selbstredend,<br />

wenn auf der einen oder anderen Seite oder beidseits ein Verschulden mitspielt.<br />

4. Motorfahrzeughalterhaftung contra andere Gefährdungshaftung<br />

„Neuralgischer Punkt“ dieser Art von Haftungskollision ist der Bahnübergang 229 . Wir beschränken<br />

uns hier auf Bemerkungen zur Kollision mit der Haftung nach dem Bundesgesetz<br />

vom 28. März 1905 über die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffahrtsunternehmungen<br />

und der Schweizerischen Post (EHG). Übereinstimmend wird in Doktrin und Rechtsprechung<br />

die Meinung vertreten, dass die Bahn wegen fehlender Ausweichmöglichkeiten,<br />

längerem Bremsweg und höherer Wucht der bewegten Masse eine höhere Betriebsgefahr zu<br />

vertreten hat als der Automobilist. Bei der Verteilung der Betriebsgefahren fallen in der Regel<br />

2/3 auf die Bahn und 1/3 auf das Motorfahrzeug 230 . Interessant ist in diesem Zusammenhang<br />

das Urteil des Bundesgerichts vom 20. Juli 2001 (5C.7/2001). Zur Diskussion stand die Kollision<br />

der Seetalbahn mit einem Personenwagen auf einem unbewachten Bahnübergang. Ausgehend<br />

von einem groben Verschulden der Motorfahrzeughalterin und einer auf Grund der<br />

konkreten Umstände als erhöht qualifizierten Betriebsgefahr der (schuldlosen) Bahn, erachtete<br />

das Bundesgericht eine Haftungsquote von 1/3 zu Lasten der Bahn als angemessen. Trotz<br />

groben Verschuldens der Verunfallten wurde keine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges<br />

angenommen, weil der Bahn eine erhöhte Betriebsgefahr angelastet werden musste 231 .<br />

5. Halter contra Halter<br />

Für die Haftungskollision unter Haltern gilt die spezielle Regelung des Art. 61 Abs. 1 SVG,<br />

wonach der Schaden den Haltern aller beteiligten Motorfahrzeuge nach Massgabe des von<br />

ihnen zu vertretenden Verschuldens auferlegt wird, wenn nicht besondere Umstände, namentlich<br />

die Betriebsgefahren, eine andere Verteilung rechtfertigen. Die identische Formulierung<br />

findet sich in Art. 60 Abs. 2 Satz 2 SVG, der bei Haftungskonkurrenz die interne Aufteilung<br />

mehrerer extern solidarischer haftpflichtiger Halter zum Gegenstand hat. Das Problem ist in<br />

beiden Fällen dasselbe: Sollen die wechselseitig sich verwirklichenden Betriebsgefahren in<br />

Anwendung des Wortlautes des Gesetztes „neutralisiert“ werden (Kompensationsmethode)<br />

oder sind bei der Schadensverteilung in jedem Fall alle Schadensursachen zu berücksichtigen<br />

(sektorielle Verteilung) Zur Debatte steht hier nur der Personenschaden 232 . Dass dieser<br />

228 Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 491.<br />

229 Zuletzt BGE 5C.7/2001.<br />

230 Vgl. Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 392 und die dort aufgelistete Kasuistik; Brehm, responsabilité<br />

civile automobile, Rn. 494 ff., insb. Rn. 539; Schaffhauser/Zellweger, Grundriss Strassenverkehrsrecht<br />

II, Rn. 1353.<br />

231 Eine (kritische) Besprechung des Entscheids findet sich bei Tercier, RFJ 2004 (im Erscheinen).<br />

232 Vgl. für den Sachschaden Art. 61 Abs. 2 SVG und die entsprechenden Abhandlungen der Lehre<br />

bei Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 690 ff.; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 132 ff.;<br />

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht II/2, § 25 N. 677 ff.; Schaffhauser/Zellweger,<br />

Grundriss Strassenverkehrsrecht II, Rn. 1345 ff.<br />

42


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

Streit, was gesetzliche Grundlage und zugehörige Rechtsprechung betrifft, eine wechselhafte<br />

Vergangenheit hat, ist sattsam bekannt. Sie sei hier aber dennoch kurz wiedergegeben: Im<br />

MFG wurde die Ersatzpflicht nach der Grösse ihres Verschuldens verteilt 233 . Entsprechend<br />

gewichtete das Bundesgericht das Verschulden stärker als die Betriebsgefahr. Das SVG<br />

schrieb dann bis zur Revision von 1975 eine hälftige Schadenteilung vor, was bei Vorliegen<br />

besonderer Umstände (insbesondere Verschulden) korrigiert werden konnte. Nach anfänglichem<br />

Mäandrieren hat das Bundesgericht diese Regel schliesslich invertiert 234 : Verschulden<br />

als ausschlaggebender Faktor, Beachtung der Betriebsgefahr lediglich als Korrekturmöglichkeit.<br />

Der Gesetzgeber hat 1975 diese Praxis in die heute geltende Regel in Art. 60 und 61<br />

SVG umgesetzt 235 .<br />

Der Wortlaut des Gesetzes spricht klar für die Kompensationsmethode. Diese wird denn<br />

auch vom Bundesgericht favorisiert, um nicht zu sagen konsequent angewendet. Bei einseitigem<br />

Verschulden hat ein Halter unabhängig von den Betriebsgefahren grundsätzlich den ganzen<br />

Schaden zu tragen. Eine andere Haftungsaufteilung auf Grund besonderer Umstände<br />

rechtfertigt sich nur, wenn den allein schuldigen Halter nur ein geringfügiges bzw. ganz leichtes<br />

Verschulden trifft oder sich die Betriebsgefahr bei einem Halter besonders stark ausgewirkt<br />

hat 236 . Unter Motorfahrzeugen werden die Betriebsgefahren als gleich gross vermutet.<br />

Das gilt selbst zwischen Auto und Motorrad, weil die grössere Gefährlichkeit des Autos für<br />

andere Verkehrsteilnehmer durch die grössere Verletzlichkeit des Motorradfahrers ausgeglichen<br />

wird.<br />

Bei beidseitiger Schuldlosigkeit kommt es (wie schon zurzeit der Geltung des alten Art. 61<br />

Abs. 1 SVG) zur Schadentragung zu gleichen Teilen. Hier erhalten die Betriebsgefahren wieder<br />

ihre Funktion als primäre Verteilfaktoren.<br />

Dem Wortlaut und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Trotz wird in der Literatur<br />

zum Teil nach wie vor der sektoriellen Verteilung das Wort geredet 237 .<br />

Unter dem Aspekt der Praktikabilität ist die bundesgerichtlich approbierte Kompensationsmethode<br />

vorziehen 238 .<br />

233 Art. 37 Abs. 1 MFG. Nur wenn ein solches nicht nachgewiesen werden konnte, wurde zu gleichen<br />

Teilen gehaftet (Satz 2).<br />

234 Meilenstein ist der Fall „Meienberg“ (BGE 99 II 93 ff.).<br />

235 Vgl. zur „Entwicklungsgeschichte“ die detaillierten Darstellungen bei Brehm, responsabilité civile<br />

automobile, Rn. 552 ff.; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 93 ff.; Geisseler, Haftpflicht und Versicherung,<br />

75 ff.<br />

236 BGE 123 III 277 (279); BGE 4C.3/2001.<br />

237 Glavas, Verschulden, 255; Hulliger, Haftungsverhältnisse, 128 ff.; Oftinger/Stark, Schweizerisches<br />

Haftpflichtrecht II/2, § 25 Rn. 649 ff.; Tercier/Gauch, Mehrheit von Ersatzpflichtigen, 33;<br />

Weber, Ausgleich unter Haltern, SVK 1994, 34 ff. Diese Meinung vertritt auch S. Emmenegger.<br />

238 Zurückhaltende Zustimmung bei Brehm, responsabilité civile automobile, Rn. 559, 643.<br />

43


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, SVG-Haftung<br />

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mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, vol. 15, S. 9 - 45.<br />

47


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

Anhang<br />

48


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

DIE KOLLISION VON HALTERHAFTUNG UND VERSCHULDENSHAFTUNG<br />

Die nachfolgende Darstellung der Haftungsquoten wurde von Herrn lic. iur. MARTIN HOFER<br />

zusammengestellt. Die aufgenommene Rechtsprechung übernimmt im Wesentlichen die<br />

Kasuistik von ROLAND BREHM, responsabilité civile automobile, Bern 1999. Die Literaturangaben<br />

beziehen sich auf BREHM, a.a.O., URBAN HULLIGER, Die Haftungsverhältnisse nach<br />

Art. 60 und 61 SVG, Freiburg 2003, ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Band I,<br />

Bern 2002 und RENÉ SCHAFFHAUSER/JAKOB ZELLWEGER, Grundriss des schweizerischen<br />

Strassenverkehrsrechts, Band II, Bern 1988.<br />

Anmerkung: Dargestellt ist jeweils die Haftungsquote des Halters.<br />

1. Einseitiges leichtes Verschulden des Verschuldenshaftpflichtigen<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– BGE 4C.278/1999 (E. 2e). Haftung des Halters zu 60%. Seine Ehefrau hatte einen Velofahrer angefahren,<br />

der beim Versuch, sich an einen Mopedfahrer anzuhängen auf die Strasse gestürzt war. Objektiv betrachtet<br />

liegt weder ein leichtes, noch ein schweres Verschulden vor (E. 2 d, aa). Die Gesamtwürdigung der Umstände<br />

(Alter: 14 Jahre, normale Intelligenz, aber generell Mühe in disziplinarischen Belangen, eventuell ungenügende<br />

Ausbildung in Sachen Strassenverkehr), liess das Verschulden in casu als vermindert erscheinen.<br />

– BGE 117 II 609 (617/620). Selbstunfall. Der Halter, Ehemann der verunfallten Lenkerin, haftet zu 80%.<br />

Abzug von je 10% wegen Nichttragens der Sicherheitsgurte und wegen unangepasster Geschwindigkeit.<br />

– BGE 111 II 89 (93). Der Halter haftet zu 80%. Das schwere Verschulden des angefahrenen Fahrradfahrers,<br />

der unvorsichtig eine viel befahrenen Strasse ausserorts überquerte, wurde aufgrund dessen Alter ( 9 ½ Jahre)<br />

als gering taxiert. Dem Halter wurde aufgrund der hohen (aber damals erlaubten) Geschwindigkeit von 130 -<br />

140 km/h eine erhöhte Betriebsgefahr angerechnet.<br />

– BGE 96 II 446, n. p. E. 5. Der Halter haftet zu 50%. Er hatte bei einem "Stopp" nur knapp rechtzeitig anhalten<br />

können. Der erschreckte (vortrittsberechtigte) Lenker (Nichthalter) verursacht durch ein übertriebenes<br />

Ausweichmanöver einen Unfall. Vgl. Brehm, Rn. 397.<br />

Kantonale Gerichte<br />

– Tribunal cantonal vaudois, Urteil vom 24.3.1965, in: JdT 1969 I, Nr. 62, 447 f. Der Halter (eines Scooters)<br />

haftet zu 50%. Der angefahrene Fussgänger hatte nachts und bei Regen eine stark befahrene Strasse überquert,<br />

wobei er nicht genügend aufmerksam war.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 404): 66 - 75%. Hulliger (S. 87): 60 - 80%. Keller (S. 387): 66 - 75%.<br />

49


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

2. Einseitiges mittleres Verschulden des Verschuldenshaftpflichtigen<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

.<br />

Kantonale Entscheide<br />

– Handelsgericht Zürich, Urteil vom 21.9.1967, in: ZR (67) 1968 Nr. 39, 155 (157). Haftung des Halters zu<br />

33%. Ein Fussgänger war unvorsichtig auf die Fahrbahn getreten, die er allerdings nicht überqueren wollte.<br />

Zudem konnte er die Abgrenzung zwischen Trottoir und Fahrbahn infolge Schneefalls nicht erkennen. Das<br />

Handelsgericht erachtete die Gewichtung des Betriebsgefahrsanteils zu einem Drittel als hinlänglich. Dies<br />

unter Hinweis auf BGE 84 II 304 (310), wonach das Verschulden verantwortungsmässig schwerer wiege als<br />

die Verwirklichung der Betriebsgefahr.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 404): 40 - 66%. Hulliger (S. 87): 40 - 60%. Keller (S. 387): Haftung unter 50%, bei einem Verschulden,<br />

das an grobe Fahrlässigkeit grenzt. Schaffhauser/Zellweger (Rn. 1379): Haftung unter 50%, falls Verschulden<br />

des Nichthalters erheblich, aber nicht so grob ist, dass sich der Halter entlasten kann.<br />

50


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

3. Einseitiges schweres Verschulden des Verschuldenshaftpflichtigen<br />

Im Prinzip keine Haftung des Halters (SVG 59). Graphisch dargestellt sind die Sonderfàlle, in denen der Halter<br />

dennoch haftet, hauptsächlich weil ihm der Entlastungsbeweis nicht gelingt. Für den letztgenannten Fall werden<br />

in der Literatur besondere Haftungsquoten propagiert (vgl. Graphik und untenstehende Literaturhinweise).<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– Urteil 4C.410/1999 (E. 4b). Haftung des Halters zu 60%. Die Quote kam aufgrund eines Vergleichs zustande<br />

gekommen, der angefochten wurde. Der Halter war mit einer Fahrradfahrerin zusammengestossen,<br />

die beim Linksabbiegen einhändig fuhr und deren Rad nicht betriebssicher war. Gemäss Vorinstanz stellt das<br />

Verschulden des Kindes (10 ¾ Jahre) in casu – und explizit im Gegensatz zu BGE 111 II 89 – ein schweres<br />

Verschulden dar. Das Bundesgericht konnte in dieser Qualifikation keine Bundesrechtswidrigkeit erkennen.<br />

– BGE 64 II 237 (243). Haftung des Halters zu 70%. Er kollidierte an einer Strassengabelung mit einem Fahrradfahrer,<br />

der auf abschüssiger Strecke mit stark übersetzter Geschwindigkeit unterwegs war. Er konnte<br />

nicht beweisen, dass der Richtungszeiger im entscheidenden Moment gestellt war. Ausserdem hätte sich der<br />

Automobilist vorsichtigerweise vor dem Einbiegen weiter rechts halten müssen. Das Verschulden des Automobilisten<br />

bezeichnet das Bundesgericht im Vergleich zu jenem des Fahrradfahrers als geringfügig. Letzterer<br />

verstarb infolge des Unfalls. Das Bundesgericht hat bei der Festsetzung der Haftungsquote die prekäre<br />

finanzielle Lage der Witwe berücksichtigt.<br />

Kantonale Entscheide<br />

– Cour de Justice civile de Genève, Urteil vom 29.9.1961, in: Semjud 1962, 532 (537). Haftung des Halters zu<br />

circa 50%. Es blieb unklar, ob der Fahrradfahrer – wie vom Halter behauptet – zwischen zwei parkierten<br />

Fahrzeugen hindurch plötzlich auf die Strasse gelangt sei und also nicht beweisen, dass der Halter keine<br />

Möglichkeit gehabt habe, den Unfall zu vermeiden.<br />

– Cour de Justice civile de Genève, Urteil vom 13.5.1960, in: Semjud 1961, 134 (144). Kollision mit einem<br />

Fussgänger, der ohne jede Vorsichtsmassnahme eine viel befahrene Strasse überquerte. Haftung des Halters<br />

zu 33%. Es war zweifelhaft, ob die Geschwindigkeit des Halters den Umständen angepasst war.<br />

– Cour de Justice civile de Genève, Urteil vom 21.3.1958, in: Semjud 1959, 255 (263). Haftung des Halters zu<br />

50%. Der Beweis misslang, dass die Lenkerin (Ehefrau des Halters) den schwer schuldhaft handelnden Fussgänger<br />

infolge eines Überholmanövers gar nicht genug früh hatte sehen können.<br />

Literatur<br />

Zum Scheitern des Entlastungsbeweises: Brehm (Rn. 404): 10 - 25%. Hulliger (S. 87): 20 - 40%.<br />

51


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

4. Beidseitiges geringes Verschulden<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– Urteil vom 5.10.1971, in: JdT 1973 I Nr. 55, 450. Haftung des Halters zu 80%. Dem Entscheid liegt die<br />

Kollision mit einem Kind (10 Jahre) zugrunde, das sich beim Linksabbiegen mit dem Fahrrad nicht umgesehen<br />

und die Kurve zu weit genommen hatte. Der Halter verletzte infolge übersetzter Geschwindigkeit das<br />

Vortrittsrecht des Fahrradfahrers.<br />

– BGE 64 II 312 (319). Haftung des Halters zu fünf Sechsteln (83%). Der Halter hatte, als er nach links abbiegen<br />

wollte, einen Motorradfahrer angefahren. Dieser wiederum hätte vor der Verzweigung nicht überholen<br />

dürfen. Die Verschuldensqualifikation ist bei beiden Parteien nicht ganz klar. Die Vorinstanz hatte den Motorfahrradlenker<br />

noch gänzlich von der Schadenstragung befreit. Das Bundesgericht spricht von einem nicht<br />

schweren Verhalten. Der Automobilist hatte nicht beweisen können, den Richtungszeiger rechtzeitig gestellt<br />

zu haben.<br />

– BGE 63 II 58 (62). Haftung des Halters zu 75%. Er hatte ein Kind mit einer Geschwindigkeit von 20 -<br />

25 km/h angefahren. Dies war angesichts der Umstände (enge Gasse) ein leicht überhöhtes Tempo. Beim<br />

Kind, das ohne jede Umsicht auf die Strasse rannte, wurde das geringe Alter (9 Jahre) berücksichtigt.<br />

– BGE 62 II 314 (318). Haftung des Halters (Motorrad) zu 70%. Als er ein landwirtschaftliches Fahrzeug<br />

kreuzte, sprang das dahinter gehendes Kind auf seine Fahrbahn. Das objektiv schwere Verschulden wurde<br />

angesichts der besonderen Umstände, insbesondere wegen des Alters (12 Jahre) als gering erachtet. Dem<br />

Halter wurde vorgeworfen, die allfällig hinter dem Fuhrwerk gehenden Personen vor dem Kreuzen nicht<br />

durch ein Signal gewarnt zu haben.<br />

Kantonale Rechtsprechung<br />

– Tribunal cantonal du canton du Valais, Urteil vom 20.3.1968, in: RVJ 1968, 355 (357) bzw. JdT 1969 I Nr.<br />

61, 446. Haftung des Halters zu 75%. Dessen Hilfsperson (Chauffeur) hatte schuldhaft die Risiken der Fahrt<br />

(schwerer Laster, mangelhafte Tragfähigkeit der Strasse) falsch eingeschätzt, jedoch war sich der geschädigte<br />

Mitfahrer der besonderen Gefahr bewusst und hatte zu seinem Schaden beigetragen, indem er die Tür offen<br />

gelassen hatte.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 423): 75 - 80%. Hulliger (S. 84 f.): 65 - 80%. Schaffhauser/Zellweger (Rn. 1375): 66 - 75%.<br />

52


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

5. Geringes Verschulden des Halters. Mittleres Verschulden aus OR 41<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– BGE 116 II 733 (736). Haftung des Halters zu 80%. Er hatte eine Fussgängerin auf dem Fussgängerstreifen<br />

angefahren. Das Lichtsignal der Fussgängerin hatte nicht funktioniert, jenes des Automobilisten zeigte grün.<br />

Es war Nacht und trotz Beleuchtung war die Sicht schlecht. Die ungenau formulierte<br />

Verschuldensqualifikation lässt keine restlos sichere Zuteilung des Falles zu ("un détenteur, .. qui a commis<br />

une faute d'inattention d'une certaine gravité mais moins grave que celle imputable au piéton").<br />

– N. p. Urteil vom 16.9.1986. Haftung des Halters zu 40%. Kollision des unaufmerksamen Halters eines Personenwagens<br />

mit einem nicht vortrittsberechtigten Mopedfahrer. Vgl. Brehm, Rn. 419.<br />

– N. p. Urteil vom 14.1.1957. Haftung des Halters zu 50%. Vgl. Brehm, Rn.419.<br />

Kantonale Rechtsprechung<br />

– Tribunal cantonal du canton du Valais, Urteil vom 7.1.1986, in: RVJ 1986, 369 (374). Haftung des Halters<br />

zu 40%. Er war bei der Kollision mit einem nicht vortrittsberechtigten Mopedfahrer nicht genügend aufmerksam,<br />

dessen Verschulden unter Berücksichtigung des Alters (14 Jahre) nicht als schwer taxiert wurde.<br />

– Tribunal cantonal du canton du Valais, Urteil vom 1.10.1965 Entscheid, in JdT 1966 I Nr. 42, 430. Haftung<br />

des Halters zu 33%. Fussgänger überquert nachts überraschend die Strasse. Anstelle sich selbst zu vergewissern,<br />

war sie einer vorausgehenden Kollegin gefolgt. Der Halter (Geschwindigkeit: 100 - 110 km/h) hätte die<br />

Fussgängerin bei voller Aufmerksamkeit früher sehen können.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 423): 50 - 66%. Hulliger (S. 85): 50 - 65%.<br />

53


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

6. Geringes Verschulden des Halters. Schweres Verschulden aus OR 41<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– BGE 88 II 455 (461). Haftung des Halters (Motorrad) zu 30%. Er fuhr mit abgefahrenen Pneus auf nasser<br />

Fahrbahn als er auf die Tür eines stillstehenden Personenwagens prallte. Der Halter des still stehenden<br />

Fahrzeugs haftete nach Art. 41 OR, da der Betrieb desselben in casu verneint wurde.<br />

– N. p. Urteil vom. 25.9.1951. Vgl. Brehm, Rn. 422. Haftung des Halters zu 20%.<br />

– N. p. Urteil vom 21.1.1942. Vgl. Brehm, Rn. 422. Haftung des Halters zu 50%.<br />

– N. p. Urteil vom 18.6.1940. Vgl. Brehm, Rn. 422. Haftung des Halters zu 33%.<br />

Kantonale Rechtsprechung<br />

– Cour de cassation civile de Neuchâtel, Urteil vom 19.9.1985, in: RJN 1985, 64 (66). Haftung des Halters zu<br />

33%. Ein Mopedfahrer fuhr verbotenerweise auf der Busspur. Der Halter des Personenwagens kollidierte mit<br />

ihm, als er (auf ein Zeichen eines ihm entgegenkommenden Lenkers hin) abbog.<br />

– Genf, n. p. Urteil vom 7.10.1984. Haftung des Halters zu 50%. Eine Fussgängerin hatte die Strasse an nicht<br />

dafür vorgesehener Stelle überquert. Die Haftungsverteilung nahm Rücksicht auf die schlechten finanziellen<br />

Verhältnisse der verunfallten Fussgängerin. Vgl. Brehm, Rn. 422.<br />

– Neuchâtel, n.p. Urteil vom 2.10.1963, Haftung des Halters zu 50%. Ein (angetrunkener) Fussgänger war unvermutet<br />

auf einen Fussgängerstreifen getreten. Dem Halter konnte lediglich eine kurze Unaufmerksam-keit<br />

vorgeworfen werden. Vgl. Brehm, Rn. 422.<br />

– Tribunal cantonal vaudois, Urteil vom 16.10.1962, in: JdT 1963 I Nr. 38, 420 (421). Haftung des Halters zu<br />

60%. Er war mit dem Pferd eines Reiters zusammengestossen. Dieser ritt im Zeitupnkt des Unfalls ganz<br />

links in einer Reihe von drei Reitern und machte weder durch Licht noch durch reflektierendes Material auf<br />

sich aufmerksam.<br />

– Wallis, n.p. Urteil vom 7.6.1961. Haftung des Halters zu 25%. Er fuhr mit 100 km/h auf gerader Strecke, als<br />

er einen im Schritttempo fahrenden Traktor überholen wollte. Der Geschädigte tauchte (zu Fuss) plötzlich<br />

hinter dem Anhänger auf. Dem Halter wurde vorgeworfen zu spät gehupt zu haben. Vgl. Brehm, Rn. 422.<br />

– Obergericht Zürich, Urteil vom 19.10.1954, in: ZR (54) 1955 Nr. 84, 156 (158). Haftung des Halters zu<br />

50%. Ein Fussgänger – seine Aufmerksamkeit war durch die Beobachtung einer Verkehrspanne abgelenkt –<br />

trat überraschend und ohne auf den Verkehr zu achten auf die Fahrbahn. Der Halter hatte zwar seine<br />

Geschwindigkeit reduziert (40 km/h), was aber immer noch nicht den Umständen angepasst war.<br />

– Cour de Justice civile de Genève, Urteil vom 4.7.1947, in: Semjud 1948, 321 (328). Haftung des Halters zu<br />

25%. Der Halter hatte die Kurve geschnitten. Der angefahrene Velofahrer fuhr nachts, betrunken und ohne<br />

Licht.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 423): 25 - 40%. Hulliger (S. 85): 25 - 50%.<br />

54


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

7. Mittleres Verschulden des Halters. Geringes Verschulden aus OR 41<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– Urteil vom 5.10.1971, in: Repertitorio di giurisprudenza patria 1971, 213 (223). Haftung des Halters (Autocar)<br />

zu 80%. Kollision mit einem Fahrradfahrer (Kind, 10 Jahre). Der Halter war nicht vortrittsberechtigt<br />

und zu schnell. Der Fahrradfahrer hatte in der Kurve zu weit ausgeholt.<br />

– Urteil vom 23.10.1951, in: JdT 1953 I Nr. 24, 450 (451). Haftung des Halters zu 66%. Er hatte beim Abbiegen<br />

in einer Kreuzung die Kurve geschnitten und dem (beim Unfall verstorbenen) Fahrradfahrer den Vortritt<br />

nicht gewährt. Dieser war zu schnell und nicht genügend aufmerksam.<br />

– BGE 67 II 49 (56). Schadenstragung der Erben des beim Unfall verstorbenen Halters zu 75%. Der Unfall<br />

geschah, als er mit seinem Mofa ein Kind rechts überholte, das zu weit links in der Fahrbahn fuhr. Das Kind<br />

fuhr mit einem zu grossen Fahrrad, jedoch erschien sein Verschulden angesichts des Alters (12 Jahre) als nur<br />

gering.<br />

– Urteil vom 23.12.1941, in: JdT 1942 I Nr. 18, 462. Haftung des Halters zu 85%. Er hatte beim rückwärts<br />

fahren weder in den Rückspiegel geschaut, noch gehupt und deshalb einen Fussgänger angefahren, der 60 cm<br />

neben dem Trottoir auf der Strasse ging.<br />

Kantonale Rechtsprechung<br />

– Cour de Justice civile de Genève, Urteil vom 7.1.1955, in: Semjud 1956, 218 (221). Haftung des Halters zu<br />

80%. Die Beurteilung allein der Verschuldenssituation hätte eine Schadenszuweisung zu zwei Dritteln zulasten<br />

des Halters ergeben. Die Berücksichtigung der Betriebsgefahr führte aber zu den genannten 80%.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 429): 80 - 85%. Hulliger (S. 85): 75 - 85%.<br />

55


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

8. Mittleres Verschulden des Halters. Mittleres Verschulden aus OR 41<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– BGE 95 II 573 (581). Der Halter war nachts mit einem Fahrradfahrer zusammengestossen. Letzterer war auf<br />

die Gegenfahrbahn ausgewichen, um mehrere Fussgänger am Strassenrand zu überholen. Der Automobilist<br />

– angesichts der Verhältnisse mit unangepasster Geschwindigkeit unterwegs – versuchte vergeblich mit<br />

einem Bremsmanöver die Kollision zu vermeiden. Das Verschulden des Fahrradfahrers wurde als nicht<br />

schwer bezeichnet, jenes des Automobilisten als offenkundig ("manifeste"). Da vom Halter nicht die Schadensverteilung,<br />

sondern die Haftung als solche bestritten war, blieb es bei dessen Haftung in der Höhe von<br />

40%. Das Bundesgericht hätte eine Haftung im Umfang von 50 - 66% für richtig gehalten.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 429): 66 - 75%. Hulliger (S. 85): 65 - 75%. Schaffhauser/Zellweger (Rn. 1375): 66 - 75%.<br />

56


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

9. Mittleres Verschulden des Halters. Schweres Verschulden aus OR 41<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– N. p. Urteil vom 19.1.1998. Haftung des Halters zu 60%. Der haftpflichtige Nichthalter (17-jähriger<br />

Mopedfahrer) bog – nicht vortrittsberechtigt – plötzlich aus einem Weg auf die Strasse ein. Vgl. Brehm,<br />

Rn. 428.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 429): 40 - 60%. Hulliger (S. 85): 50 - 65%.<br />

57


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

10. Schweres Verschulden des Halters. Leichtes Verschulden aus OR 41.<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– BGE 113 II 323 (328). Haftung der beteiligten Halter zu 7/9 (ca. 77%). Zusammenprall eines zu schnell<br />

fahrenden Lastwagens (Lenker als Nichthalter) mit einem infolge Defekts stehen gebliebenen Lastenzug. Bei<br />

beiden Fahrzeugen wurde eine erhöhte Betriebsgefahr angenommen (welche zufolge des Haftungsprivilegs<br />

des Arbeitgebers der Halter des Lastenzuges tragen musste). Das Verschulden wurde im Vergleich zur Betriebsgefahr<br />

doppelt gewichtet.<br />

– N. p. Urteil vom 30.5.1972. Haftung des Halters zu 90%. Er hatte (betrunken) einen Fussgänger angefahren,<br />

der am rechten Strassenrand ging. Vgl. Brehm, Rn. 431.<br />

– BGE 92 II 39 (48). Haftung des Halters zu 75%. Zusammenstoss zweier Personenwagen auf einer Kreuzung,<br />

wobei die Lenkerin des vortrittsberechtigten Fahrzeugs (Ehefrau des Halters) verstarb. Der Halter des<br />

anderen Wagens hielt sich zu Unrecht für vortrittsberechtigt und fuhr zu schnell. Die verstorbene Lenker<br />

hätte das andere Fahrzeug möglicherweise früher erkennen können.<br />

– BGE 63 II 221 (222). Haftung des Halters (Motorrad) zu ca. 90%. Er hatte einen Radfahrer zu dicht (ca. 30 -<br />

40 cm) und ohne ein Warnsignal zu geben überholt. Dem Radfahrer seinerseits war vorzuwerfen war, dass er<br />

zum Zeitpunkt des Überholens einen Schwenker nach links gemacht hatte.<br />

Kantonale Entscheide<br />

– Obergericht Zürich, Urteil vom 14.6.1983, in: SJZ (80) 1984 Nr. 31, 182 (183). Haftung der Halterin zu<br />

100%. Sie hatte beim Losfahren von einem „Stopp“ eine Mofafahrerin übersehen, die zwar auf der für den<br />

Bus reservierten Spur fuhr, aber nichtsdestotrotz vortrittsberechtigt war. Das Gericht hat das geringe Verschulden<br />

der Nichthalters kompensiert und die Halterin haftete daher zu 100%.<br />

– Tribunal cantonal du canton du Valais, Urteil vom 23.6.1959, in: Rapport du Tribunal Cantonal 1959, 69<br />

(72). Haftung des Halters zu 66%. Er war mit seinem Lastwagen (auf verschneiter und rutschiger Strasse)<br />

ohne hinter sich zu schauen rückwärts gefahren und überfuhr dabei ein Kind (2 ½ Jahre). Dieses war – kurz<br />

unbeaufsichtigt geblieben – von der an die Strasse grenzenden Skipiste an die spätere Unfallstelle gelangt<br />

(Verschulden der Mutter).<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 435): 85 - 90%. Hulliger (S. 85 f.): 85 - 90%.<br />

58


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

11. Schweres Verschulden des Halters. Mittleres Verschulden aus OR 41<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– BGE 84 II 292 (299). Haftung des (betrunkenen) Halters zu 66%. Er fuhr in einer Kurve geradeaus und<br />

kollidierte infolgedessen mit einem Lastwagen auf der Gegenfahrbahn. Der Halter und sein gleichfalls betrunkener<br />

Mitfahrer wurden getötet. Ein Drittel des Schadens wurde den Erben des Mitfahrers auferlegt, weil<br />

dieser sich trotz des angetrunkenen Zustandes des Fahrers hatte transportieren lassen.<br />

– N. p. Urteil vom 8.5.1957. Haftung des Halters zu 75%. Der Halter war bei dieser Kollision zwar vortrittsberechtigt,<br />

jedoch mit abgefahrenen Pneus auf nasser Strasse unterwegs. Vgl. Brehm, Rn. 433.<br />

– BGE 79 II 395 (398). Haftung des Halters zu 75%. Der Halter war betrunken und die äusseren Bedingungen<br />

der Fahrt waren schlecht (Nacht, generell schlechte Sicht). Der Mitfahrer hatte den ganzen Abend vor dem<br />

Unfall mit dem Halter gezecht und musste sich – auch wenn dieser nicht augenscheinlich fahruntüchtig war –<br />

des besonderen Risikos der Fahrt bewusst sein.<br />

– N. p. Urteil vom 13.11.1951. Haftung des Halters zu 80%. Er hatte einen Fussgänger angefahren, welcher<br />

eine vielbefahrene Strasse unvorsichtig überquerte. Dem Halter konnte Unachtsamkeit vorgeworfen werden.<br />

Vgl. Brehm, Rn. 433.<br />

– Urteil vom 28.5.1946, in: Semjud 1946, 531 (537 ff.). Haftung des Halters zu 80%. Sein "Verschuldensregister"<br />

anlässlich der Kollision mit einem (unbeleuchteten) Fuhrwerk: Fahrfehler, Fahren ohne Brille,<br />

Windschutzscheibe mit Rauhreif bedeckt, übersetzte Geschwindigkeit.<br />

– BGE 63 II 339 (343). Haftung des Halters zu 75%. Der angefahrene Fussgänger benutzte statt des vorhandenen<br />

Trottoirs die Strasse als Gehweg. Zwar wurde er durch die Scheinwerfer eines stillstehenden Fahrzeugs<br />

geblendet, jedoch hatte er seine Geschwindigkeit infolgedessen nicht genügend reduziert. Da ausserdem<br />

die Bremsen des Fahrzeugs schlecht eingestellt waren, konnte er (auf nasser Strasse) nicht rechtzeitig<br />

bremsen, um den Unfall zu vermeiden.<br />

Kantonale Rechtsprechung<br />

– Tribunal cantonal du canton du Valais, Urteil vom 26.1.1964, in: Rapport du tribunal cantonal 1964, 157<br />

(ohne nähere Sachverhaltsbeschreibung). Haftung des Halters 75%. Vgl. Brehm, Rn. 433.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 435): 75% - 85% . Hulliger (S. 86): 75 – 85%.<br />

59


S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

12. Schweres Verschulden des Halters. Schweres Verschulden aus OR 41<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Judikatur<br />

Literatur<br />

Bundesgericht<br />

– BGE 91 II 218 (224). Haftung des Halters zu 66%. Er war - wie auch sein mithaftender Passagier – betrunken.<br />

Letzterer wusste vom Zustand des Halters.<br />

Kantonale Rechtsprechung<br />

– Waadt, n. p. Urteil vom 1.6.1983. Der Sachverhalt ist jenem in BGE 91 II 218 ähnlich. In diesem Fall Haftung<br />

des Halters zu 65%. Vgl. Brehm, Rn. 434.<br />

– Wallis, n. p. Urteil vom 3.7.1969. Haftung des Halters zu 60%. Er fuhr zu schnell und war unaufmerksam<br />

als er mit einem Mopedfahrer kollidierte, der – nicht vortrittsberechtigt und ohne zu bremsen – in eine<br />

Kreuzung fuhr. Vgl. Brehm, Rn. 434.<br />

– Tribunal cantonal vaudois, n. p. Erwägung des Urteils vom 28.6.1968, in: JdT 1969 I Nr. 87, 474. Haftung<br />

des Halters zu 50%. Er fuhr schneller als es die Sichtverhältnisse erlaubten und war unaufmerksam. Das<br />

Verschulden des angefahrenen Fussgängers bestand darin, dass er sich auf der Mittellinie einer stark befahrenen<br />

Strasse aufhielt. Vgl. Brehm, Rn. 434.<br />

– Tribunal cantonal de Fribourg, Urteil vom 11.7.1966, in: Extraits des principaux arrêts 1966, 23 (27). Haftung<br />

des Halters zu 66%. Der Lenker (zugleich Halter) und der Mitfahrer waren beide betrunken. Zugunsten<br />

des Halters wirkte sich aus, dass es sich um eine Gefälligkeitsfahrt handelte, zugunsten des Mitfahrers, dass<br />

die Maximalgeschwindigkeit des Fahrzeug (Traktor) nur 20 km/h betrug und er also nur zu einem relativ geringfügigen<br />

Risiko eingewilligt hatte.<br />

– Tribunal cantonal du Valais, Urteil vom 6.11.1964, in: Rapport du tribunal cantonal 1964, 54 (56). Haftung<br />

des Halters zu 75%. Kollision mit einer Fussgängerin, welche in naher Distanz eines Fussgängerstreifens<br />

(20 m) unvorsichtig die Strasse überquert hatte. Der Halter war betrunken und zu schnell.<br />

– Tribunal cantonal de Fribourg (Cour d’appel), Urteil vom 11.1.1961, in: Extraits des principaux arrêts 1961,<br />

46 (53 f.). Haftung des Halters zu 33%. Er fuhr zu schnell und stiess nachts mit dem unbeleuchteten stillstehenden<br />

Gefährt eines Bauern zusammen.<br />

– Cour de Justice civile de Genève, Urteil vom 3.11.1936, in: Semjud 1937, 423 (428). Haftung des<br />

(betrunkenen) Lenkers (zugleich Halter) zu 66%. Das Verschulden des Mitfahrers, der sich trotz des alkoholisierten<br />

Zustands des Halters transportieren liess, wurde in casu als sehr schwerwiegende Unvorsicht bezeichnet.<br />

Literatur<br />

Brehm (Rn. 435): 60 - 75%. Hulliger (S. 86): 50 - 60%. Schaffhauser/Zellweger (Rn. 1375): 66 - 75%.<br />

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S. EMMENEGGER/R. GEISSELER, Anhang<br />

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