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Evolution - Wdr.de

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Quarks & Co | <strong>Evolution</strong> - Wie wir wur<strong>de</strong>n, was wir sind | Sendung vom 10.02.09<br />

http://www.quarks.<strong>de</strong><br />

Quarks&Co<br />

Quarks & Co <strong>Evolution</strong> - Wie wir wur<strong>de</strong>n, was wir sind<br />

Autoren: Ulf Kneiding, Karsten Lin<strong>de</strong>r, Martin Rosenberg, Claudia Ruby, Markus Schall, Lars Westermann<br />

Redaktion: Lorenz Beckhardt / Thomas Kamp<br />

<strong>Evolution</strong> ist die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation – so weit<br />

das Lexikon. Charles Darwin war <strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r diese fundamentalen Zusammenhänge zwischen <strong>de</strong>n Lebewesen erforschte. Er ist<br />

<strong>de</strong>r Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Evolution</strong>sbiologie. Vor 150 Jahren erschien sein Hauptwerk „Die Entstehung <strong>de</strong>r Arten“. Aber was<br />

genau be<strong>de</strong>utet <strong>Evolution</strong>? Quarks & Co erklärt, wie wir wur<strong>de</strong>n, was wir sind, und zeigt, warum <strong>de</strong>r Mensch für viele <strong>Evolution</strong>s -<br />

biologen die Krone aller Irrtümer ist.<br />

Charles Darwin und die Entstehung <strong>de</strong>r Arten 4Charles Darwin (Jahrgang 1809) stellte die Theorie auf, dass alle Lebewesen einen<br />

gemeinsamen Ursprung haben und die Arten nicht gottgegeben sind, son<strong>de</strong>rn sich ständig verän<strong>de</strong>rn. Vor 150 Jahren war seine<br />

<strong>Evolution</strong>stheorie noch umstritten. Heute ist sie grundlegend für das Verständnis <strong>de</strong>r Entstehung und Entwicklung <strong>de</strong>s Lebens auf <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>. Quarks & Co stellt Darwin und seine revolutionäre Theorie vor.<br />

Die Schnecke, die von Sonnenlicht lebt 4Tiere müssen fressen, Pflanzen leben vom Sonnenlicht. So hält man grob Pflanzen und<br />

Tiere auseinan<strong>de</strong>r. Eine kleine Meeresschnecke unterläuft dieses Gesetz: Nach<strong>de</strong>m sie eine große Mahlzeit zu Beginn ihres<br />

Erwachsenen lebens verputzt hat, lebt diese Schnecke nur noch von Sonnenlicht. Amerikanische Forscher haben jetzt herausgefun<strong>de</strong>n,<br />

wie sie das macht. Quarks & Co stellt die Meeresschnecke Elysia und ihre pflanzlichen Eigenschaften vor.<br />

„Fehlschläge“ <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> 4<strong>Evolution</strong> verläuft zufällig und richtungslos. Und <strong>Evolution</strong> ist alles an<strong>de</strong>re perfekt! Es geht vielmehr<br />

darum, möglichst schadlos über Pleiten und Pannen hinwegzukommen, die sich im Laufe <strong>de</strong>r Zeit eingeschlichen haben. Albatrosse<br />

sind begna<strong>de</strong>te Flieger, die sich bei <strong>de</strong>r Landung oft die Glie<strong>de</strong>r brechen. Elefanten verhungern, weil ihnen die Zähne zu früh ausfallen.<br />

Und <strong>de</strong>r Mensch? Er ist für viele <strong>Evolution</strong>sbiologen sogar die Krone aller Irrtümer. Quarks & Co geht einigen evolutionären<br />

Fehlleistungen auf <strong>de</strong>n Grund.<br />

Epigenetik – Der Co<strong>de</strong> hinter <strong>de</strong>m Co<strong>de</strong> 4In <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong>stheorie galt bisher: Erworbene Eigenschaften lassen sich nicht vererben.<br />

Unsere Lebensweise beeinflusst zwar unser eigenes Leben, aber nicht das unserer Nachfahren. Doch stimmt dieser Grundsatz wirklich?<br />

Quarks & Co stellt ein neues Forschungsgebiet vor: die Epigenetik, <strong>de</strong>r Co<strong>de</strong> hinter <strong>de</strong>m Co<strong>de</strong>.


Quarks & Co | <strong>Evolution</strong> - Wie wir wur<strong>de</strong>n, was wir sind | Sendung vom 10.02.09<br />

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Der Albatros: in <strong>de</strong>r Luft ein Groß -<br />

meister – an Land ein Versager<br />

Rechte: dpa<br />

Die Backenzähne <strong>de</strong>s Elefanten wer <strong>de</strong>n<br />

im Laufe <strong>de</strong>s Lebens zwar regelmäßig<br />

erneuert. Doch trotz<strong>de</strong>m sind sie nach<br />

50 o<strong>de</strong>r 60 Jahren oftmals die To<strong>de</strong>s -<br />

ursache<br />

Die <strong>Evolution</strong> ist nicht perfekt<br />

Wenn Lebewesen die eigenen Fehler überleben müssen<br />

Albatrosse sind Hochseevögel, die perfekt an das Leben in <strong>de</strong>r Luft angepasst sind. Sie gehören<br />

zu <strong>de</strong>n besten Fliegern <strong>de</strong>r Vogelwelt. Weltweit gibt es 21 verschie<strong>de</strong>ne Arten. Die größte unter<br />

ihnen ist <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>ralbatros mit einer Spannweite von bis zu 3,30 Meter. Albatrosse nutzen<br />

Aufwin<strong>de</strong>, die von <strong>de</strong>n Wellen erzeugt wer<strong>de</strong>n. So können sie stun<strong>de</strong>nlang segeln, ohne viel<br />

Energie zu verbrauchen. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie <strong>de</strong>shalb fliegend über <strong>de</strong>n<br />

Ozeanen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>.<br />

Doch die Perfektion fin<strong>de</strong>t ein jähes En<strong>de</strong>, sobald die Albatrosse zum Brüten an Land müssen. Die<br />

Landungen laufen oft katastrophal ab: Forscher haben herausgefun<strong>de</strong>n, dass sich die Vögel beim<br />

Lan<strong>de</strong>n häufig die Flügel o<strong>de</strong>r die Beine brechen. Weil sie dann nicht mehr starten können, ist das<br />

ein sicheres To<strong>de</strong>surteil für die perfekten Flieger. Selbst wenn sie die Landung ohne größeren<br />

Scha<strong>de</strong>n überstehen, ist es ein Kraftakt wie<strong>de</strong>r in die Luft zu kommen. Die über zehn Kilogramm<br />

schweren Vögel brauchen min<strong>de</strong>stens 12 km/h Gegenwind, um starten zu können. Sonst sind sie<br />

auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n verdammt. Ist Gegenwind da, ist je<strong>de</strong>s Abheben eine körperliche Höchstleistung:<br />

Albatrosse haben einen Ruhepuls von 80. Je<strong>de</strong>r Start, und auch je<strong>de</strong>r Startversuch, treibt <strong>de</strong>n Puls<br />

auf 230 Schläge. Wäre die <strong>Evolution</strong> wirklich vollkommen, dann wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Albatros auch am<br />

Bo<strong>de</strong>n eine gute Figur machen – und nicht nur in <strong>de</strong>r Luft.<br />

Der grausame Tod <strong>de</strong>r Elefanten<br />

Dass die <strong>Evolution</strong> alles an<strong>de</strong>re als perfekt ist, bekommen auch Elefanten auf beson<strong>de</strong>rs erbarmungslose<br />

Art und Weise zu spüren. Die Pflanzenfresser sind bis zu sechs Tonnen schwer. Weil<br />

sie schlechte Futterverwerter sind, müssen sie bis zu 20 Stun<strong>de</strong>n pro Tag fressen: 150 bis 200 Kilo<br />

Gräser, Blätter und Früchte. Tag für Tag. Dieses Marathon-Fressen hat negative Auswirkungen auf<br />

die Zähne. Ein Backenzahn <strong>de</strong>s Elefanten ist zwar mehrere Kilo schwer und über 30 Zentimeter<br />

lang, aber durch das dauern<strong>de</strong> Fressen nützt auch er sich im Laufe <strong>de</strong>r Jahre ab. Am En<strong>de</strong> ist vom<br />

Zahnschmelz nicht mehr viel übrig. Der Elefant kann die Nahrung nicht mehr zerkauen. Er verhungert.<br />

Ganz langsam und qualvoll. Meistens ist <strong>de</strong>r Elefant dann zwar schon 50 o<strong>de</strong>r 60 Jahre alt.<br />

Aber er stirbt in vielen Fällen nur, weil seine Zähne nicht mehr funktionieren; alles an<strong>de</strong>re als eine<br />

perfekte Konstruktion <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong>.<br />

Auch die Photosynthese ist nicht vollkommen<br />

Der nie<strong>de</strong>rländische Botaniker Jan Ingenhousz ent<strong>de</strong>ckte 1779, dass Pflanzen nur bei Licht wachsen<br />

und Sauerstoff abgeben. Ingenhousz verstand damals zwar noch nicht, wie die Photosynthese<br />

genau abläuft, aber die Ent<strong>de</strong>ckung war eine wissenschaftliche Sensation. Mit einem Mal war klar,<br />

dass ohne die Photosynthese kein Leben auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> möglich wäre. Nach und nach erforschten<br />

Wissenschaftler, wie die Photosynthese in <strong>de</strong>r Zelle abläuft. Die Pflanze nimmt Kohlenstoffdioxid<br />

aus <strong>de</strong>r Luft auf und macht daraus – mit Hilfe <strong>de</strong>r Sonnenenergie – Zucker. Bei <strong>de</strong>r Reaktion entsteht<br />

Sauerstoff, <strong>de</strong>n die Pflanze an die Atmosphäre abgibt. Millionen, Milliar<strong>de</strong>n Kraftwerke in<br />

je<strong>de</strong>r Pflanze, die perfekt arbeiten. Aber nur scheinbar. Denn heute wissen die Forscher, dass auch<br />

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In <strong>de</strong>n Chloroplasten läuft die<br />

Photosynthese ab<br />

Auch <strong>de</strong>r Mensch ist keine perfekte<br />

Konstruktion <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong><br />

Rechte: dpa<br />

die Photosynthese längst nicht so perfekt ist, wie man immer dachte. Denn sie ist uneffektiv.<br />

Pflanzen spucken etwa ein Drittel <strong>de</strong>s aufgenommenen Kohlenstoffdioxids wie<strong>de</strong>r aus. Wür<strong>de</strong>n sie<br />

das nicht tun, könnten sie weitaus mehr Zucker herstellen und schneller wachsen. Etwa 95 Prozent<br />

<strong>de</strong>r Landpflanzen betreiben diese relativ uneffektive Photosynthese. Man nennt sie 4C3-Photo -<br />

synthese. Nur fünf Prozent <strong>de</strong>r Pflanzen betreiben eine effektivere Photosynthese, die sogenannte<br />

4C4-Photosynthese. 4C3-/C4-Photosynthese _______________________________________________________________________________________<br />

95 Prozent <strong>de</strong>r Pflanzen leben von einer relativ uneffektiven Photosynthese. Biologen nennen sie C3-Photosynthese o<strong>de</strong>r auch C3-Zyklus, weil das erste fassbare Photosyntheseprodukt ein C3-Körper ist – also ein Molekül mit drei<br />

Kohlenstoffatomen. Nur etwa fünf Prozent <strong>de</strong>r Pflanzen betreiben eine effektivere Photosynthese, die sogenannte<br />

C4-Photosynthese (erstes fassbares Photosyntheseprodukt ist ein C4-Körper). Das Beson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>n C4-Pflanzen: Sie haben CO2-Pumpen. Damit schaffen sie es, dass fast das komplette Kohlenstoffdioxid in Biomasse umgebaut<br />

wird. Mais ist zum Beispiel eine C4-Pflanze. Deshalb wächst er so extrem schnell. Unsere meisten an<strong>de</strong>ren<br />

Nutzpflanzen wie Weizen, Gerste, Kartoffeln, Tomaten o<strong>de</strong>r Möhren sind hingegen C3-Pflanzen. Der Mensch – das höchstentwickelte Wesen?<br />

Der Mensch ist für viele <strong>Evolution</strong>sbiologen die Krone aller Irrtümer. Der aufrechte Gang wur<strong>de</strong> zum<br />

Beispiel nur durch eine sehr enge Beckenstellung möglich. Die Konsequenz ist, dass die menschliche<br />

Geburt wohl zu <strong>de</strong>n kompliziertesten im gesamten Tierreich gehört und ohne Hilfe von an<strong>de</strong>ren<br />

kaum möglich ist. Durch die Entwicklung <strong>de</strong>s aufrechten Ganges wer<strong>de</strong>n auch Wirbelsäule<br />

samt Bandscheiben sowie das Knie in Mitlei<strong>de</strong>nschaft gezogen. Auch das Auge <strong>de</strong>s Menschen ist<br />

alles an<strong>de</strong>re als perfekt: Weil sich die Netzhaut in <strong>de</strong>r Embryonalentwicklung aus <strong>de</strong>m zentralen<br />

Nervensystem ausstülpt, muss das Licht erst durch Blut und Gefäße hindurch, bevor es auf Rezep -<br />

toren trifft. Am sogenannten blin<strong>de</strong>n Fleck verfügt unser Auge über gar keine Rezeptoren, weil hier<br />

<strong>de</strong>r Sehnerv verläuft.<br />

Die perfekte <strong>Evolution</strong>? Die gibt es nicht. Mit je<strong>de</strong>m Tag ent<strong>de</strong>cken Forscher neue Beispiele, die klar<br />

machen: In <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> geht es nicht darum, irgen<strong>de</strong>twas zu perfektionieren. Son<strong>de</strong>rn darum, die<br />

eigenen Fehler möglichst zu überleben.<br />

Autor: Markus Schall<br />

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Die Fun<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r fünfjährigen<br />

Forschungsreise sind die Basis für<br />

Darwins Theorie<br />

Auf <strong>de</strong>n Galapagos-Inseln ent<strong>de</strong>ckt<br />

Darwin die ersten Varietäten einer Art<br />

Darwin erkennt früh, dass seine<br />

Erkenntnisse die Schöpfungsgeschichte<br />

in Frage stellen<br />

Die Darwin-Theorie<br />

Wie Darwin zur <strong>Evolution</strong> kam<br />

Die Naturforschung war Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts eingebettet in die sogenannte „Natürliche<br />

Theologie“. Danach schuf Gott Himmel und Er<strong>de</strong> sowie Pflanzen und alle Lebewesen. Die Vielfalt<br />

<strong>de</strong>s Lebens, die Schönheit <strong>de</strong>r Pflanzen und Tiere und <strong>de</strong>ren perfekte Anpassung an die Natur galten<br />

als Belege für die Macht Gottes. Den Gedanken, dass die Entwicklung <strong>de</strong>s Lebens auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

von <strong>de</strong>r biblischen Schöpfungsgeschichte abweicht, gab es bereits vor Darwin. Zu <strong>de</strong>n bekanntesten<br />

Wissenschaftlern, die mit <strong>de</strong>m Gedanken <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> spielten, gehört <strong>de</strong>r französische<br />

Botaniker und Zoologe Jean-Baptiste <strong>de</strong> Lamarck, <strong>de</strong>r die Umwandlung von Arten in <strong>de</strong>r Vererbung<br />

von Anpassungen sah, die die Eltern an die Folgegeneration weitergaben. Seine I<strong>de</strong>en, die er<br />

Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts veröffentlichte, wur<strong>de</strong>n in England als eine Bedrohung <strong>de</strong>r politischen<br />

und religiösen Ordnung betrachtet und von Wissenschaftlern und Klerikern heftig bekämpft.<br />

Die Liebe zur Natur<br />

Charles Robert Darwin kam mit <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen I<strong>de</strong>en während seines Theologiestudiums in<br />

Cambridge in Berührung. Dort besann er sich seiner Liebe zur Natur und beschäftigte sich mit<br />

Insektenkun<strong>de</strong>, Botanik und Geologie. Auf Empfehlung <strong>de</strong>s Botanikprofessors John Stevens<br />

Henslow heuerte er 1831 als Naturforscher auf <strong>de</strong>m Forschungsschiff HMS Beagle an. Die fünf Jahre<br />

dauern<strong>de</strong> Weltumseglung ist ohne Zweifel die Grundlage für seine weltberühmten Erkenntnisse.<br />

Bei seiner Heimkehr 1836 hatte <strong>de</strong>r damals 33-jährige Darwin Arbeit für sein restliches Leben im<br />

Gepäck: 1.529 Tiere in Spiritus, 3.907 Felle, Knochen und Pflanzen und über 2.500 Seiten mit<br />

Skizzen und Notizen zu Zoologie, Geologie sowie persönlichen Tagebucheintragungen.<br />

Der Weg zur Theorie<br />

Die Möglichkeit, ausführlich zu forschen, hatte sich Darwin selbst erarbeitet: Während <strong>de</strong>r Reise<br />

schickte er eine Reihe von Briefen unter <strong>de</strong>m Titel „Letter on Geology“ („Geologische Briefe“) an<br />

seinen Mentor John Stevens Henslow. Dieser verlas 1835 Auszüge vor <strong>de</strong>r Cambridge Philosophical<br />

Society und ließ sie auf eigene Kosten als Buch drucken. Auf diese Weise erarbeitete sich Darwin<br />

vor seiner Rückkehr einen wissenschaftlichen Ruf.<br />

Die ersten Gedanken zum Artenwan<strong>de</strong>l hatte Darwin in <strong>de</strong>n Jahren nach <strong>de</strong>r Forschungsreise.<br />

Ausschlag gaben unter an<strong>de</strong>rem die heute unter <strong>de</strong>m Namen Darwin-Finken bekannten Vögel auf<br />

<strong>de</strong>n Galapagos-Inseln. Darwin stellte fest, dass auf je<strong>de</strong>r Insel miteinan<strong>de</strong>r verwandte Vögel leben,<br />

die sich in <strong>de</strong>r Form ihrer Schnäbel unterschei<strong>de</strong>n. Ähnliches gilt für die Galapagos-Schildkröten.<br />

Sie haben auf je<strong>de</strong>r Insel unterschiedlich geformte Panzer. Darwin hatte die ersten Beispiele dafür<br />

gefun<strong>de</strong>n, dass sich Tier- und Pflanzenarten je nach Umgebungen unterschiedlich entwickeln können<br />

– zu sogenannten Varietäten.<br />

Darwin wur<strong>de</strong> immer klarer, dass die Ergebnisse seiner Forschung <strong>de</strong>r Naturforschung <strong>de</strong>r<br />

Natürlichen Theologie wi<strong>de</strong>rspricht. Je klarer seine Erkenntnisse wur<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>sto größer wur<strong>de</strong> seine<br />

Scheu, sie zu veröffentlichen. Deshalb forschte er weiter, um seine Theorie so gut wie möglich zu<br />

untermauern.<br />

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Erst nach fast vierzig Jahren Forschung<br />

veröffentlicht Darwin seine Theorie,<br />

dass Mensch und Affe gleiche Vorfahren<br />

haben.<br />

Die Grundlagen <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong>stheorie<br />

wer<strong>de</strong>n von heutigen Wissenschaftlern<br />

nicht mehr angezweifelt<br />

Mut zur Veröffentlichung<br />

Erst im Jahre 1858 wagte er <strong>de</strong>n Schritt an die Öffentlichkeit. Auslöser war ein Brief seines<br />

Kollegen Alfred Russel Wallace, <strong>de</strong>r bei seinen Forschungsreisen zu vergleichbaren Schluss folge -<br />

rungen gelangt war. Der Vortrag am 1. Juli 1858 vor <strong>de</strong>r Linné‘schen Gesellschaft bewirkte zwar<br />

keine große Reaktion, jedoch war <strong>de</strong>r Damm gebrochen. Darwin schrieb seine Erkenntnisse nie<strong>de</strong>r<br />

und brachte 1859 das Werk heraus, welches das Weltbild und Selbstverständnis <strong>de</strong>s Menschen für<br />

immer verän<strong>de</strong>rn sollte: „Die Entstehung <strong>de</strong>r Arten“.<br />

Kritiker ebnen <strong>de</strong>n Weg für Darwins zweiten „Paukenschlag“<br />

Wie befürchtet liefen bibeltreue Wissenschaftler und Kirchenmänner Sturm gegen Darwins Evolu -<br />

tionstheorie. Obwohl Darwin in weiser Voraussicht die Abstammung <strong>de</strong>s Menschen darin bewusst<br />

auslässt, entwickelten Kritiker schnell die Formel <strong>de</strong>r „Abstammung vom Affen“. Nach <strong>de</strong>m vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

Weltbild entsprechend, dass <strong>de</strong>r Mensch die Krone <strong>de</strong>r Schöpfung sei, war das<br />

natürlich un<strong>de</strong>nkbar und sollte Darwins Theorie ad absurdum führen. Darwin forschte unbeirrbar<br />

weiter und veröffentlichte regelmäßig seine Erkenntnisse über die Entwicklung von Orchi<strong>de</strong>en,<br />

Insek ten und Haustieren. Erst 1871 folgt <strong>de</strong>r zweite große Paukenschlag: das Buch „Die Abstam -<br />

mung <strong>de</strong>s Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“. Darin erklärt er zum ersten Mal, dass<br />

Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben.<br />

Grundsätze <strong>de</strong>r Theorie<br />

Ein Kernpunkt <strong>de</strong>r Darwin‘schen Theorie ist die natürliche Selektion. Danach gibt es in einer<br />

Generation viele Individuen mit unterschiedlichen Merkmalen. Die am besten an die Umwelt angepassten<br />

Exemplare geben ihre Gene an die folgen<strong>de</strong> Generation weiter. Tiere und Pflanzen können<br />

sich so an Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Umwelt o<strong>de</strong>r unterschiedliche Bedingungen an verschie<strong>de</strong>nen Orten<br />

anpassen.<br />

Weitere Kernaussagen <strong>de</strong>r Darwin‘schen <strong>Evolution</strong>stheorie sind:<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

1. Alles Leben auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> hat einen gemeinsamen Ursprung.<br />

2. Es gibt eine <strong>Evolution</strong>: das heißt, die Arten sind nicht unverän<strong>de</strong>rlich.<br />

3. Es gilt das Prinzip <strong>de</strong>r natürlichen Auslese / Selektion.<br />

4. Die <strong>Evolution</strong> verläuft allmählich in ununterbrochener Generationenfolge.<br />

5. Aus <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung folgt eine Vervielfachung von Arten.<br />

Heute wer<strong>de</strong>n einzelne Punkte <strong>de</strong>r ursprünglichen Theorie angezweifelt. Ein Beispiel: Es ist nicht<br />

bewiesen, dass die Entwicklung <strong>de</strong>r Arten als kontinuierlicher Prozess stattfin<strong>de</strong>t. Jedoch stellen<br />

Darwins Erkenntnisse nach wie vor die Grundlage <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Biologie dar.<br />

Bereits zu seiner Zeit hatte Darwin nicht nur Gegner. Schon zu seinen Lebzeiten setzte sich seine<br />

Theorie bei mo<strong>de</strong>rnen Wissenschaftlern immer mehr durch. Wachsen<strong>de</strong> Erkenntnisse zur<br />

Vererbung und die aufkommen<strong>de</strong> Genetik führten dazu, dass Darwins <strong>Evolution</strong>stheorie heute von<br />

keinem seriösen Wissenschaftler mehr angezweifelt wird.<br />

Autoren: Ulf Kneiding, Carsten Lin<strong>de</strong>r<br />

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Für lange Zeit waren Bakterien die einzi-<br />

gen Lebewesen auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. Trotz ihrer<br />

Einfachheit sind sie erstaunlich gut<br />

angepasst. Rechte: Cytographics<br />

Die hellen Mitochondrien in <strong>de</strong>r großen<br />

Zelle sind die Nachfahren endosymbion-<br />

tischer Bakterien<br />

Die höheren Zellen entstan<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r<br />

Verschmelzung bakterienartiger Vorfah ren<br />

Wie entstan<strong>de</strong>n die Zellen <strong>de</strong>r Pflanzen und Tiere?<br />

NRW-Forscher revolutioniert Theorie über die Entstehung <strong>de</strong>r Zellen<br />

Lange Zeit nach <strong>de</strong>r Entstehung <strong>de</strong>s Lebens war die Er<strong>de</strong> ein Planet <strong>de</strong>r Bakterien. Relativ ein fache<br />

Mikroorganismen ohne Zellkern und Organellen. Bakterien sind zwar vergleichsweise simpel aufgebaut,<br />

weisen aber eine enorme Vielseitigkeit auf. Dann tauchen Einzeller auf, die erheblich<br />

größer sind, einen Zellkern haben und sich alle in ihrem Aufbau sehr ähneln. Die Entwicklung von<br />

<strong>de</strong>n Bakterien zu <strong>de</strong>n höheren Zellen ist in <strong>de</strong>n Dimensionen <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> ein gewaltiger Schritt<br />

und kaum zu erklären.<br />

Die Endosymbiontentheorie o<strong>de</strong>r die Geschichte „von <strong>de</strong>n zwei Bakterien, die sich sehr lieb<br />

hatten“.<br />

In <strong>de</strong>n 1960er-Jahren kam dann eine Theorie auf, die <strong>de</strong>n Übergang von <strong>de</strong>n Bakterien zu <strong>de</strong>n<br />

höheren Zellen erklären sollte: die Endosymbiontentheorie. Diese Theorie geht davon aus, dass<br />

einige <strong>de</strong>r Mikroorganismen im Laufe <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> immer größer wur<strong>de</strong>n und sich von an<strong>de</strong>ren,<br />

kleineren Bakterien ernährten. Irgendwann entwickelten diese Zellen eine Membran, die ihre DNS<br />

vom Rest <strong>de</strong>s Zellinnenraumes abschirmte – <strong>de</strong>r Zellkern war entstan<strong>de</strong>n.<br />

Einige Male nahmen diese größeren Zellen, <strong>de</strong>r Theorie zu Folge, Bakterien auf, ohne diese zu verdauen.<br />

Die kleinen Bakterien lebten in <strong>de</strong>r großen Zelle weiter und gaben immer Lebensfunktionen<br />

auf. Dabei wur<strong>de</strong>n sie immer kleiner. Sie wur<strong>de</strong>n zu 4Organellen und verschmolzen mit <strong>de</strong>r<br />

Wirtszelle zu einer neuen Zelle mit neuen Eigenschaften. So sollen die höheren Zellen aus <strong>de</strong>n<br />

Bakterien entstan<strong>de</strong>n sein. Diese Theorie steht noch heute in vielen Schulbüchern, ist aber nicht<br />

vollends schlüssig. Richtig ist allerdings, dass die Zellen <strong>de</strong>r Pflanzen und Tiere aus zwei unterschiedlichen<br />

Zellen entstan<strong>de</strong>n, die miteinan<strong>de</strong>r verschmolzen.<br />

4Organellen<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

Organellen sind Bestandteile <strong>de</strong>r Zelle, die bestimmte Funktionen haben; beispielsweise Zellkern, Mitochondrium,<br />

Golgi-Apparat, endoplasmatisches Retikulum u.a.<br />

Die Verschmelzung zweier Bakterien zu etwas Neuem!<br />

„Die Endosymbiontentheorie beantwortet viele entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Fragen nicht“, sagt <strong>de</strong>r<br />

Düsseldorfer <strong>Evolution</strong>sbiologe Bill Martin. „Es müsste Übergangsformen zwischen höheren Zellen<br />

und Bakterien geben, die gibt es aber nicht. Außer<strong>de</strong>m gibt es heute Zelltypen, <strong>de</strong>ren Entstehen<br />

so nicht erklärt wer<strong>de</strong>n kann.“ Bill Martin hat vor einigen Jahren eine neue passen<strong>de</strong>re Theorie<br />

entwickelt, die jetzt nach und nach Eingang in die Lehrbücher fin<strong>de</strong>t. Nach seiner Ansicht haben<br />

sich die Bakterien nicht gegenseitig gefressen, son<strong>de</strong>rn sie sind echte stabile Symbiosen miteinan<strong>de</strong>r<br />

eingegangen. Beispielsweise hat ein Bakterium, das sich von Wasserstoff ernährt, die Nähe<br />

eines an<strong>de</strong>ren Bakteriums gesucht, welches Wasserstoff ausschei<strong>de</strong>t. Die bei<strong>de</strong>n sind dann eine<br />

enge Verbindung miteinan<strong>de</strong>r eingegangen. Das Wasserstoff ausschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Bakterium hat einige<br />

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Der in Düsseldorf forschen<strong>de</strong> und leh-<br />

ren<strong>de</strong> Texaner Professor William Martin<br />

hat eine neue Endosymbiontentheorie<br />

formuliert, die in <strong>de</strong>r Wissenschaft auf<br />

Akzeptanz stößt<br />

seiner Gene in das an<strong>de</strong>re Bakterium verlagert, das nun einige Lebensfunktionen für dieses übernimmt.<br />

Später hat dann das Wasserstoff fressen<strong>de</strong> Bakterium das an<strong>de</strong>re ganz in sich aufgenommen.<br />

Die bei<strong>de</strong>n verschmolzen zu einer neuen Zelle. Die frem<strong>de</strong>n Gene in <strong>de</strong>r DNS <strong>de</strong>r größeren<br />

Zelle führten die Bildung einer Kernmembran herbei. Der kleinere 4Endosymbiont wur<strong>de</strong> immer<br />

weiter reduziert, bis er schließlich ein 4Mitochondrium war. Mitochondrien kommen nur bei <strong>de</strong>n<br />

höher entwickelten Zellen vor, also bei <strong>de</strong>n Zellen von Pflanzen und Tieren. Sie bil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Unterschied zwischen Bakterien und höheren Zellen.<br />

4Endosymbiont<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

Ein Endosymbiont ist ein Lebewesen, das im Inneren eines an<strong>de</strong>ren Organismus lebt, ohne diesen zu schädigen.<br />

4Mitochondrium<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

Mitochondrien sind Organellen in <strong>de</strong>r Zelle. Sie versorgen mit Hilfe chemischer und physikalischer Umwand -<br />

lungsprozesse die Zelle mit Energie. Sie sind die Nachfahren von Bakterien, die als Endosymbiont in einem größeren<br />

Bakterium gelebt haben. Im Laufe <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> haben sie viele Gene und Lebensprozesse an ihren Wirt abgegeben,<br />

<strong>de</strong>r sie am Leben hält. Mitochondrien und Zellkern sind charakteristisch für die höheren Zellen, aus <strong>de</strong>nen<br />

Pflanzen und Tiere bestehen.<br />

Ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Moment in <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong>!<br />

Die Theorie von Bill Martin klingt unwahrscheinlich. Zu viel muss exakt so funktioniert haben, wie<br />

<strong>de</strong>r Biologe es beschreibt. Dadurch aber fühlt sich <strong>de</strong>r Düsseldorfer Texaner bestätigt. „Unwahr -<br />

schein lich ist es auf je<strong>de</strong>n Fall, aber das passt zu <strong>de</strong>n Beobachtungen, <strong>de</strong>nn es ist in <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong><br />

nur ein einziges Mal passiert. Und wenn es nicht passiert wäre, dann wür<strong>de</strong> es uns heute nicht<br />

geben.“ Die gelungene Verschmelzung zweier Zellen zu einem neuen Lebewesen hat also nur ein<br />

einziges Mal stattgefun<strong>de</strong>n, so wie die Entstehung <strong>de</strong>s Mon<strong>de</strong>s zum Beispiel. Wären diese einmaligen<br />

Ereignisse nicht eingetreten, wäre unsere Welt heute eine an<strong>de</strong>re.<br />

Autor: Lars Westermann<br />

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Die Schnecke, die ein bisschen eine Pflanze ist<br />

Einige Meeresschnecken sind darauf spezialisiert, an<strong>de</strong>ren Tieren Organe zu stehlen<br />

Es gibt sie in fast allen Farben und Größen. Manche von ihnen fressen Nesseltiere und stehlen diesen<br />

ihre Nesselkapseln. Diese Abwehrzellen verdauen sie nicht, son<strong>de</strong>rn lagern sie in ihre eigene<br />

Haut ein, um ihrerseits Fein<strong>de</strong> abzuwehren. An<strong>de</strong>re fressen Algen, um mit ihrer Hilfe von <strong>de</strong>r<br />

Photosynthese zu leben. Autor: Lars Westermann<br />

Diese Fa<strong>de</strong>nschnecke ernährt sich von kleinen Nesseltieren.<br />

Die Nesselzellen <strong>de</strong>r kleinen Polypen lagert sie in ihren<br />

Anhän gen auf <strong>de</strong>m Rücken ein: zur eigenen Verteidigung. Sie<br />

bleiben voll funktionsfähig. Wie die Schnecke das macht, ist<br />

noch ein Rätsel<br />

Die Meeresschnecke Placobranchus ocellatus ernährt sich von<br />

Algen. Die Chloroplasten aus <strong>de</strong>n Algen lagert sie ein und<br />

macht damit selber Photosynthese. Hat die Schnecke erst<br />

einmal eine große Algenmalzeit zu sich genommen, braucht<br />

sie fast ihr ganzes Leben nicht mehr zu fressen. Weil die<br />

Chloroplasten bei Lichteinstrahlung weiterhin Photosynthese<br />

beitreiben, wird die Schnecke von ihnen automatisch mit<br />

Nährstoffen versorgt.<br />

Elysia ist in <strong>de</strong>r Nutzung <strong>de</strong>r Photosyntheseorgane beson<strong>de</strong>rs<br />

effektiv. Die Photosyntheserate sinkt erst, wenn die Lebens -<br />

spanne <strong>de</strong>r Schnecke sowieso zu En<strong>de</strong> geht. Ame rikanische<br />

Forscher glauben, dass sie die gestohlenen Chloroplasten in<br />

Zukunft vielleicht sogar an ihre Nachkommen ver erben kann.<br />

Dann gäbe es ein neues Wesen: eine Mischung aus Pflanze<br />

und Tier. Rechte: WDR/University of Maine<br />

Phyllo<strong>de</strong>smium briareum ist eine Nacktschnecke, die auf<br />

Korallen lebt. Sie sieht <strong>de</strong>n Korallen zum Verwechseln ähnlich.<br />

Sie verspeist die Polypen <strong>de</strong>r Korallen und lagert die Alge, die<br />

mit <strong>de</strong>r Koralle in Symbiose lebt in ihren Anhängen ein. Die<br />

Algen leben weiter und versorgen die Schnecke bei Helligkeit<br />

durch ihre Photosynthese mit Nährstoffen.<br />

Elysia chlorotica lebt ebenfalls von Algen. Amerikanische<br />

Forscher haben jetzt herausgefun<strong>de</strong>n, dass Elysia <strong>de</strong>n Algen<br />

nicht nur die Chloroplasten stiehlt, son<strong>de</strong>rn, dass die<br />

Schnecke über Gene verfügt, die aus <strong>de</strong>n Algen stammen. Es<br />

hat also ein Gentransfer von <strong>de</strong>r Alge auf die Schnecke stattgefun<strong>de</strong>n.<br />

So etwas war bislang unbekannt. Wahrscheinlich<br />

kann die Schnecke <strong>de</strong>shalb die Chloroplasten so lange am<br />

Leben erhalten. Rechte: WDR/University of Maine<br />

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Eine geheimnisvolle Waffe: Tetrodotoxin<br />

Ein tödliches Tiergift gibt Biologen Rätsel auf<br />

Gifte sind im Tierreich nichts Außergewöhnliches. Verwandte Tiere besitzen meist auch ähnliche<br />

Gifte. Eine Substanz aber stellt Wissenschaftler vor ein Rätsel: Das Nervengift Tetrodotoxin fin<strong>de</strong>t<br />

sich bei Arten, die praktisch überhaupt nicht miteinan<strong>de</strong>r verwandt sind: Eine Kröte, die dasselbe<br />

Gift enthält wie ein Krake? Ein Fisch, <strong>de</strong>r sich mit <strong>de</strong>rselben Substanz schützt, wie eine Krabbe?<br />

Solch eine Biowaffe gibt es tatsächlich. Sie heißt Tetrodotoxin: ein Gift, das zu einer Lähmung führt.<br />

Vergiftete Menschen ersticken qualvoll, da ihre Atemmuskulatur aussetzt. Zu <strong>de</strong>n Besitzern von<br />

Tetrodotoxin, gehören die unterschiedlichsten Arten. Unsere Galerie zeigt die interessantesten.<br />

Autor: Lars Westermann<br />

Der Kammseestern lebt im Mittelmeer und an<strong>de</strong>ren mäßig<br />

warmen und tropischen Meeren. Forscher rätseln, woher er<br />

das Tetrodotoxin hat. Einige vermuten, dass er es mit seiner<br />

Nahrung aufnimmt, vielleicht mit Bakterien am Meeresgrund.<br />

Rechte: blickwinkel/H.Goetl<br />

Die Steinkrabbe schütz sich außer mit ihrem Panzer auch mit<br />

Tetrodotoxin. Wie sie an das Gift kommt, ist unbekannt. Wie<br />

alle tetrodotoxinhaltigen Tiere ist sie jedoch resistent gegen<br />

das Gift. Ihre Natriumkanäle reagieren nicht auf das Gift.<br />

Rechte: picture-alliance<br />

Der blaugeringelte Oktopus lebt an <strong>de</strong>n Küsten Australiens.<br />

Menschen vergiften sich gelegentlich, wenn sie als<br />

Schnorchler <strong>de</strong>n kleinen Tintenfisch aufspüren und mit ihm<br />

spielen. Sein Biss wird meist nicht bemerkt. Einige Zeit nach<br />

<strong>de</strong>m Biss kommt es zu ersten Vergiftungserscheinungen, wie<br />

Taubheitsgefühl, Schwin<strong>de</strong>l und Lähmungen. Kurz danach<br />

setzt <strong>de</strong>r Atemstillstand ein. Wenn jetzt keine Möglichkeit zur<br />

künstlichen Beatmung vorhan<strong>de</strong>n ist, ist <strong>de</strong>r Tod die Folge.<br />

Rechte: Natural History New Zealand<br />

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Die Harlekinkröte (Atelopus barbotini) lebt im tropischen<br />

Amerika. Ihr Lebensraum ist <strong>de</strong>r Regenwald. Dort lebt sie am<br />

Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Nähe von Wasserläufen. Die Harle -<br />

kin kröte hat lange Zeit Rätsel aufgegeben. Ihr Aussehen<br />

erinnert eher an einen Frosch. Eine anatomische Beson<strong>de</strong>rheit,<br />

das Bid<strong>de</strong>r’sche Organ, weist sie aber zweifelsfrei als Kröte<br />

aus. Bei diesem Organ han<strong>de</strong>lt es sich um einen rudimentä-<br />

ren Eierstock, <strong>de</strong>r auch bei männlichen Tieren vorhan<strong>de</strong>n ist.<br />

Manche Experten weichen auch vom Artnamen „barbotini“ ab<br />

und gehen davon aus, dass sie zu einem Artkomplex gehört.<br />

So fin<strong>de</strong>t man die Harlekinkröte in <strong>de</strong>r Literatur auch als<br />

Atelopus spumarius. Die nur wenige Zentimeter große Kröte<br />

ist tagaktiv und ernährt sich von Insekten. Die Lebens -<br />

erwartung beträgt zehn Jahre. Wie viele Frösche und Kröten,<br />

ist auch Atelopus bedroht. Zoos in <strong>de</strong>r ganzen Welt bemühen<br />

sich <strong>de</strong>shalb um die Erhaltung dieser Lurchart. Einer davon ist<br />

<strong>de</strong>r Kölner Zoo, wo wir unsere Aufnahmen gemacht haben.<br />

Auch Kugelfische schützen sich mit Tetrodotoxin. In Japan<br />

wer<strong>de</strong>n sie trotz<strong>de</strong>m gegessen. Beson<strong>de</strong>re „Fugu-Köche“<br />

müssen jahrelang lernen, wie man <strong>de</strong>n Fisch sicher zerlegt,<br />

um das Leben ihrer Kundschaft nicht zu gefähr<strong>de</strong>n. Beliebter<br />

als <strong>de</strong>r Geschmack ist bei <strong>de</strong>n Japanern <strong>de</strong>r „Kick“ wenn die<br />

Lippen nach Berührung mit <strong>de</strong>m Fleisch taub wer<strong>de</strong>n und es<br />

in <strong>de</strong>r einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Körperregion beginnt zu kribbeln.<br />

Trotz <strong>de</strong>r strengen Ausbildung <strong>de</strong>r Köche kommt es immer<br />

wie<strong>de</strong>r zu lebensgefährlichen Vergiftungen. In Europa ist <strong>de</strong>r<br />

Fugu als Speisefisch <strong>de</strong>shalb verboten.<br />

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Ein gefährliches Geschäft: Der Putzer -<br />

fisch bei <strong>de</strong>r Arbeit Rechte: TV-Ontario<br />

Betrug im Salon <strong>de</strong>r Putzerfische: Der<br />

Hautschleim schmeckt am besten<br />

Der Putzerfisch achtet auf seinen<br />

guten Ruf<br />

Im Wellness-Salon <strong>de</strong>s Putzerfisches<br />

Marktwirtschaft im Korallenriff<br />

Der Gemeine Putzerlippfisch wartet immer an <strong>de</strong>rselben Stelle im Riff auf Kun<strong>de</strong>n. Im Laufe eines<br />

Tages kommen die unterschiedlichsten Fische vorbei, um gesäubert zu wer<strong>de</strong>n. Selbst Hoch see -<br />

fische wie Mantas lassen sich im Salon die Parasiten entfernen. Auch die gefährlichsten Raubfische<br />

verhalten sich an <strong>de</strong>r Putzerstation friedlich. Sie verharren reglos, legen sich auf eine Seite o<strong>de</strong>r<br />

stehen kopfüber im Wasser, um <strong>de</strong>m Putzer <strong>de</strong>n friedlichen Zweck ihres Besuches zu signalisieren.<br />

Ungerührt schwimmen die nur elf Zentimeter langen Lippfische in das Maul und in die Kiemenhöhle<br />

<strong>de</strong>r Räuber, um überall Parasiten, Pilze und abgestorbene Hautreste zu entfernen. Auch Wun<strong>de</strong>n<br />

reinigen sie bei ihrer Arbeit. Über 1.200 Parasiten sammelt <strong>de</strong>r Putzerfisch im Laufe eines Tages<br />

ein. Wenn sein Kun<strong>de</strong> weiterziehen möchte, reicht eine kleine Bewegung, und schon verlässt <strong>de</strong>r<br />

Putzer die gefährliche Zone und been<strong>de</strong>t seine Arbeit.<br />

Der Manager-Fisch<br />

Zwischen <strong>de</strong>n Putzerfischen und ihren Kun<strong>de</strong>n hat sich im Laufe <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> eine fein abgestimmte<br />

Kommunikation entwickelt. Seit langem gilt diese Beziehung als ein Para<strong>de</strong>beispiel für<br />

<strong>de</strong>n sogenannten 4Mutualismus – eine Beziehung zwischen zwei Arten zum bei<strong>de</strong>rseitigen<br />

Nutzen. „Nahrung gegen Hygiene“ heißt in diesem Fall <strong>de</strong>r Tauschhan<strong>de</strong>l. Doch die Geschäfts be -<br />

ziehung zwischen <strong>de</strong>m Salonbesitzer und seinen Kun<strong>de</strong>n ist weitaus komplexer als die Wissen -<br />

schaftler lange glaubten. Verhaltensforscher haben herausgefun<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>r Putzerfisch gar nicht<br />

beson<strong>de</strong>rs wild auf die Parasiten ist, die ihm seine Kun<strong>de</strong>n anbieten. Viel lieber mag er <strong>de</strong>n nahrhaften<br />

Schleim, <strong>de</strong>r die Haut von Barsch & Co umgibt. Im alltäglichen Geschäft ist dieser sogenannte<br />

Mucus jedoch verbotenes Terrain, <strong>de</strong>nn Fische sind auf eine intakte Schleimschicht angewiesen.<br />

4Mutualismus<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

Mutualismus ist eine Form <strong>de</strong>r Symbiose. In <strong>de</strong>r Ökologie wird so eine Wechselbeziehung zwischen Lebewesen<br />

unterschiedlicher Art bezeichnet, aus <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong> Partner einen Nutzen ziehen.<br />

Verbotene Früchte schmecken am besten<br />

Der Putzerfisch scheint genau zu wissen, dass <strong>de</strong>r Mucus eine verbotene Frucht ist und beherrscht<br />

sich – meistens zumin<strong>de</strong>st. Ab und zu jedoch wird die Versuchung zu groß, und <strong>de</strong>r Putzer beißt<br />

einmal kräftig zu. Ein Betrug, <strong>de</strong>r we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Kun<strong>de</strong>n noch potenziellen Zuschauern verborgen<br />

bleibt, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Gebissene zuckt daraufhin kräftig zusammen. Allerdings gehen die Putzerfische<br />

taktisch äußerst geschickt vor: Raubfische zum Beispiel beißt <strong>de</strong>r Putzerfisch nie. Der Betrug<br />

könnte tödlich en<strong>de</strong>n. Die meisten Kun<strong>de</strong>n jedoch sind harmlose Friedfische. Sie können sich nicht<br />

unmittelbar rächen, etwa nach <strong>de</strong>m Motto „wie du mir, so ich dir“. Eine Möglichkeit jedoch haben<br />

auch sie: Wenn es <strong>de</strong>r Putzerfisch zu doll treibt, suchen sie sich irgendwann einen an<strong>de</strong>ren<br />

„Salon“. Doch <strong>de</strong>r Putzerfisch passt auf, dass es nicht so weit kommt. „Hat er einen Kun<strong>de</strong>n zu oft<br />

gebissen“, erzählt <strong>de</strong>r Verhaltensforscher Redouan Bshary, „versöhnt er ihn anschließend mit<br />

einem beson<strong>de</strong>ren Service.“ Der Geschädigte bekommt zum Beispiel eine Massage gratis. Der<br />

Putzer reitet dann wippend auf <strong>de</strong>m Rücken seines Kun<strong>de</strong>n. O<strong>de</strong>r er wird beim nächsten Termin<br />

beson<strong>de</strong>rs gründlich und ohne Bisse bedient.<br />

Autorin: Claudia Ruby


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Stadt-Amseln haben die Angst vor <strong>de</strong>m<br />

Menschen weitgehend verloren<br />

Durch <strong>de</strong>n Fischereidruck wird <strong>de</strong>r<br />

Durchschnittsfisch immer kleiner<br />

Auch so beeindrucken<strong>de</strong> Landschaften<br />

wie die Rhön sind ein Werk <strong>de</strong>s<br />

Menschen Rechte: HR<br />

<strong>Evolution</strong>sfaktor Mensch<br />

Wie menschliches Han<strong>de</strong>ln die Richtung <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> bestimmt<br />

Vor allem Singvögel fühlen sich von Städten angezogen. Im Sommer kann man fast überall <strong>de</strong>n<br />

Gesang <strong>de</strong>r Vögel hören und im Winter kann man sie an Futterstellen beobachten. Geringer Druck<br />

durch Fressfein<strong>de</strong>, ein mil<strong>de</strong>res Mikroklima und ein gutes Nahrungsangebot bil<strong>de</strong>n einen interessanten<br />

Lebensraum. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn nur einige Vögel haben <strong>de</strong>n Sprung<br />

in die Städte geschafft. An<strong>de</strong>re, die auf ganz beson<strong>de</strong>re Lebensräume spezialisiert sind, nehmen<br />

dagegen in ihrem Bestand ab. Forscher haben nun nachgewiesen, dass sich die Stadtvögel von<br />

Individuen <strong>de</strong>rselben Art unterschei<strong>de</strong>n, die ihrem alten Lebensraum treu geblieben sind.<br />

Die Amsel zum Beispiel ist eigentlich ein Waldvogel. In unseren Städten ist sie aber inzwischen<br />

<strong>de</strong>r häufigste Vogel. Die Stadt-Amseln haben sich angepasst. Sie sind stressresistenter und haben<br />

die Angst vor Menschen weitgehend verloren. Inzwischen kann man sie anhand ihres Hormon -<br />

status und ihrer Gene von Waldamseln unterschei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn Stadtamseln haben in ihrem Blut eine<br />

geringere Konzentration an Stresshormonen.<br />

Ein an<strong>de</strong>res Beispiel ist <strong>de</strong>r Spatz o<strong>de</strong>r Haussperling: Er hat sich <strong>de</strong>m Menschen als Kulturfolger<br />

schon sehr früh angeschlossen. Er profitierte vor allem von <strong>de</strong>r Landwirtschaft und nistete in <strong>de</strong>n<br />

Nischen unserer Gebäu<strong>de</strong>. Aber unsere mo<strong>de</strong>rnen Häuser bieten kaum noch Nistmöglichkeiten und<br />

so wer<strong>de</strong>n die Spatzen immer weniger.<br />

Mensch, warum schrumpfst Du die Fische?<br />

Selbst die weiten Ozeane sind vom evolutionären Einfluss <strong>de</strong>s Menschen betroffen. Der Druck <strong>de</strong>r<br />

Fischerei ist inzwischen so groß gewor<strong>de</strong>n, dass er die Richtung <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> bestimmt. Denn<br />

gefangen wer<strong>de</strong>n vor allem die großen Fische, nur kleinere haben die Möglichkeit zu entkommen<br />

und sich zu vermehren. Es fin<strong>de</strong>t eine Entwicklung in Richtung Kleinwüchsigkeit statt. Die Forscher<br />

beunruhigt das, <strong>de</strong>nn wenn die Fische kleiner wer<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n auch die Erträge geringer, vor allem<br />

aber schrumpfen wahrscheinlich auch Eier und Larven. die dann vielleicht Schwierigkeiten beim<br />

Fressen ihrer Nahrung bekommen können. Die frisch geschlüpften Larven sind dann unter Umstän -<br />

<strong>de</strong>n zu klein, ihre Beute zu überwältigen beziehungsweise sie zu fressen.<br />

Wertvolle Lebensräume aus Menschenhand<br />

Selbst da, wo scheinbar Natur pur herrscht, ist <strong>de</strong>r Mensch am Werk gewesen. Natürliche Lebens -<br />

räume gibt es in Mitteleuropa nicht mehr. Als Folge menschlicher Eingriffe entstehen aber nicht<br />

nur Betonwüsten und Monokulturen. Auch die Hei<strong>de</strong> und die offene Landschaft <strong>de</strong>r Rhön sind menschengemacht.<br />

Sie sind die Folge jahrhun<strong>de</strong>rtelanger Wei<strong>de</strong>wirtschaft. Dadurch sind beispielsweise<br />

Mager-Rasenflächen entstan<strong>de</strong>n, die jetzt Heimat seltener Pflanzen und Insekten sind. Auch<br />

das fast ausgestorbene Birkhuhn hat in <strong>de</strong>r Rhön eines seiner letzten Rückzugsgebiete gefun<strong>de</strong>n.<br />

Die Zeiten <strong>de</strong>r großen Schaf- und Rin<strong>de</strong>rher<strong>de</strong>n sind allerdings vorbei, weswegen nun Natur -<br />

schützer aktiv gewor<strong>de</strong>n sind, diese einmaligen Landschaften aus Menschenhand zu erhalten.<br />

Während die offenen Landschaften <strong>de</strong>r Rhön und <strong>de</strong>r Lüneburger Hei<strong>de</strong> stets erhalten blieben, sind<br />

natürliche Habitate, wie zum Beispiel die Auwäl<strong>de</strong>r, zerstört wor<strong>de</strong>n. Mit ihnen starben extrem<br />

angepasste Arten, wie <strong>de</strong>r Laubfrosch, fast aus. Denn sie sind stark auf ihren jeweiligen Lebens -<br />

raum angewiesen und können sich nicht mehr an an<strong>de</strong>re Lebensumstän<strong>de</strong> anpassen.<br />

Autor: Lars Westermann<br />

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Vor 15.000 bis 20.000 Jahren zogen die<br />

Menschen die ersten Wolfswelpen mit<br />

<strong>de</strong>r Hand auf<br />

Wölfe und Hun<strong>de</strong> sind in ihrer Kommu -<br />

nikation und ihrem Verhalten sehr<br />

unterschiedlich<br />

Hun<strong>de</strong> lassen sich in <strong>de</strong>r Regel gut<br />

trainieren und ausbil<strong>de</strong>n, Wölfe arbeiten<br />

nur gegen Futter<br />

Der Hund – ein Son<strong>de</strong>rfall <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong>?<br />

Wie sich <strong>de</strong>r Wolf <strong>de</strong>n Menschen zunutze machte – und darüber zum Hund wur<strong>de</strong><br />

Hun<strong>de</strong> sind aus unserem Leben kaum noch wegzu<strong>de</strong>nken, egal ob wir nun in <strong>de</strong>r Stadt leben o<strong>de</strong>r<br />

in einer einsamen Gegend auf <strong>de</strong>m Land. Sie erfüllen zahlreiche Aufgaben als Spür- und Rettungs -<br />

hun<strong>de</strong>, als Hüte- o<strong>de</strong>r Jagdhun<strong>de</strong>. Die meisten Hun<strong>de</strong> aber leben als ganz normale Familienhun<strong>de</strong><br />

mit ihren Menschen. Der Hund ist <strong>de</strong>r älteste tierische Begleiter <strong>de</strong>s Menschen. Der wichtigste<br />

Grund dafür ist wahrscheinlich, dass sich Mensch und Hund im Wortsinne gut verstehen. Sie leben<br />

in ähnlichen Sozialstrukturen und sind sehr kommunikativ.<br />

Der Wolf hat sich <strong>de</strong>n Menschen auserwählt<br />

Ganz sicher sind sich die Wissenschaftler nicht, aber vieles spricht dafür, dass <strong>de</strong>r Wolf <strong>de</strong>n ersten<br />

Schritt tat. Als erster Kulturfolger suchte er die Nähe <strong>de</strong>s Menschen. Das gilt allerdings nur für einige<br />

Tiere. Möglicherweise profitierten sie von <strong>de</strong>n Jagdaktivitäten <strong>de</strong>s Menschen. Sicher haben<br />

diese steinzeitlichen Jäger irgendwann die ersten jungen Wölfe mit <strong>de</strong>r Hand aufgezogen. Studien<br />

bei heute noch steinzeitlichen Völkern in Südamerika und Asien legen die Vermutung nahe, dass<br />

das zunächst völlig zweckfrei geschah. Denn auch bei ihnen haben die meisten Hun<strong>de</strong> keine Auf -<br />

gabe. Aber die Menschen vor 15000 bis 20000 Jahren müssen schnell gemerkt haben, dass man<br />

Wölfen auch etwas beibringen kann. Wolf und Mensch gewöhnten sich aneinan<strong>de</strong>r und die Wölfe<br />

verän<strong>de</strong>rten sich. Äußerlich ähnelten sie noch lange ihren wil<strong>de</strong>n Vorfahren, aber sie wur<strong>de</strong>n zahmer<br />

und fixierten sich mehr auf <strong>de</strong>n Menschen als Begleiter.<br />

Wolf und Hund - verwandt und doch verschie<strong>de</strong>n<br />

Im Wolfsforschungszentrum im österreichischen Grünau versuchen Wissenschaftlerinnen, die<br />

Unter schie<strong>de</strong> von Wölfen und Hun<strong>de</strong>n zu erforschen. Die Verwandten sind sich ähnlich und doch<br />

unterschei<strong>de</strong>n sie sich in vielen Punkten. Wölfe sind Wildtiere und angepasst an ein Leben in <strong>de</strong>r<br />

Natur. Sie sind stets misstrauisch, wachsam und sehr an Nahrung interessiert. Der Hund hat <strong>de</strong>n<br />

Menschen als seine ökologische Nische ent<strong>de</strong>ckt. Er versteht es ausgezeichnet, seine Bedürfnisse<br />

mitzuteilen und <strong>de</strong>n Menschen für seine Belange einzuspannen. Sein Sozialpartner ist <strong>de</strong>r Mensch.<br />

Im Forschungszentrum kann man das an einem einfachen Experiment beobachten: Stellt man einen<br />

Teller mit Fleisch in einen Käfig, <strong>de</strong>n Wolf und Hund nicht selbstständig öffnen können, versucht<br />

<strong>de</strong>r Wolf mit Kraft und Gewalt an das Futter zu kommen. Der Hund wen<strong>de</strong>t sich – sobald er die<br />

Aussichtslosigkeit <strong>de</strong>r Lage erahnt – mit Blicken und Lauten an seinen Menschen. Dieser soll die<br />

Türe öffnen. Im übertragenen Sinne machen Hun<strong>de</strong>besitzer das je<strong>de</strong>n Tag: Sie öffnen Schränke,<br />

Tüten und Dosen, sie kaufen Futter und tragen es nach Hause. Der Hund bekommt seine Nahrung,<br />

ohne etwas dafür zu tun o<strong>de</strong>r gar etwas riskieren zu müssen und wird er krank, wird er sogar zum<br />

Arzt gebracht. Diese evolutionär erfolgreiche Strategie lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. Allein<br />

in Deutschland leben über fünf Millionen Hun<strong>de</strong>. Wölfe gibt es nur noch einige Tausend weltweit.<br />

Die Anpassung an <strong>de</strong>n Menschen war für die Vorfahren <strong>de</strong>r Hun<strong>de</strong> also <strong>de</strong>r erfolgreiche Schritt in<br />

<strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong>, <strong>de</strong>r ihnen eine hohe Nachkommenzahl und eine große Formenvielfalt bescherte –<br />

<strong>de</strong>nn das ist evolutionärer Erfolg.<br />

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Auch die schwarzen Timberwölfe<br />

haben ihre Farbe wahrscheinlich von<br />

einem o<strong>de</strong>r mehreren Hun<strong>de</strong>n, die sich<br />

vor langer Zeit mit Wölfen gepaart<br />

haben. Inzwischen haben rund 30 Pro -<br />

zent <strong>de</strong>r nordamerikanischen Wölfe<br />

ein schwarzes Fell<br />

Wolf und Hund – nur eng verwandt o<strong>de</strong>r eine Art?<br />

Ob Wolf und Hund enge Verwandte sind – o<strong>de</strong>r doch eine Art: Darüber sind sich Hun<strong>de</strong>forscher<br />

nicht ganz einig. Die klassische biologische Art-Definition sagt, dass Individuen dann eine Art sind,<br />

wenn sie zusammen gesun<strong>de</strong> und fruchtbare Nachkommen zeugen können. Das trifft auf Wolf und<br />

Hund zu. Allerdings gelingt das nur in Gefangenschaft unter Einfluss <strong>de</strong>s Menschen o<strong>de</strong>r aus Man -<br />

gel an an<strong>de</strong>ren Partnern. Lebensweise und ökologische Spezialisierung sind zu unterschiedlich. Ein<br />

Hund, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Natur in ein ganzes Wolfsru<strong>de</strong>l geriete, hätte wahrscheinlich kaum eine Überlebenschance.<br />

Forscher, die mit Hun<strong>de</strong>n und Wölfen arbeiten, sprechen davon, dass diese bei<strong>de</strong>n<br />

am Beginn einer Aufspaltung in getrennte Arten stehen, diese aber wahrscheinlich nie ganz abgeschlossen<br />

wird, da <strong>de</strong>r Mensch immer wie<strong>de</strong>r Wölfe in Hun<strong>de</strong>linien einkreuzt und verwil<strong>de</strong>rte<br />

Hun<strong>de</strong> sich mit Wölfen paaren.<br />

Autor: Lars Westermann<br />

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Amsterdam 1944: Hat die Hungersnot<br />

Spuren in <strong>de</strong>n Genen hinterlassen?<br />

Rechte: Netherlands Information Service<br />

Großeltern ...<br />

... und Enkel: Die Verbindung ist enger<br />

als bisher angenommen<br />

Spurensuche im Genom<br />

Kann Stress zu vererbbaren Verän<strong>de</strong>rungen führen?<br />

Am 26. Juni 2000 verkün<strong>de</strong>te Bill Clinton die Entschlüsselung <strong>de</strong>s menschlichen Erbgutes. „Unser<br />

Wissen wird die Medizin revolutionieren“, so <strong>de</strong>r ehemalige US-Präsi<strong>de</strong>nt. Doch die Euphorie<br />

wur<strong>de</strong> enttäuscht. Die Entschlüsselung <strong>de</strong>s Erbgutes war nur ein erster Schritt, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r<br />

Buchstabenco<strong>de</strong> <strong>de</strong>r DNS verrät längst nicht alle Geheimnisse <strong>de</strong>r Vererbung. Die Lebensumstän<strong>de</strong><br />

unserer Vorfahren scheinen einen viel größeren Einfluss auf Kin<strong>de</strong>r und Enkel zu haben, als die<br />

Forscher lange dachten. An <strong>de</strong>r Universitätsklinik Amsterdam ist Tessa Roseboom dabei, eine bislang<br />

unbekannte Verbindung zwischen <strong>de</strong>n Generationen zu entschlüsseln. Sie studiert Unterlagen<br />

aus <strong>de</strong>m Winter 1944/45. Damals herrschte Krieg, und in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> gehungert.<br />

Unter <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Besatzung brach die Nahrungsmittelversorgung komplett zusammen. Ess ba -<br />

res gab es nur gegen Lebensmittelkarten. Die Tagesration lag zeitweise bei unter 400 Kalo -<br />

rien – viel zu wenig. Fast 20.000 Menschen überlebten <strong>de</strong>n letzten Kriegswinter nicht. Frauen, die<br />

während dieser Zeit schwanger waren, brachten untergewichtige Kin<strong>de</strong>r zur Welt. Das kennt man<br />

auch aus an<strong>de</strong>ren Krisengebieten. Das Überraschen<strong>de</strong> jedoch: Die Folgen sind bis heute zu spüren.<br />

In <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> alles genau dokumentiert: Geburten und Sterbefälle, das Gewicht<br />

<strong>de</strong>r Neugeborenen und spätere Krankheiten. Das ermöglicht es <strong>de</strong>n Forschern heute, die Gescheh -<br />

nisse zurückzuverfolgen.<br />

Eine rätselhafte Verbindung zwischen <strong>de</strong>n Generationen<br />

Nach über 50 Jahren ist es <strong>de</strong>n Forschern gelungen, diejenigen Personen ausfindig zu machen, die<br />

im Hungerwinter geboren wur<strong>de</strong>n. Rund 900 Menschen beteiligten sich an <strong>de</strong>r Studie. Als die<br />

Untersuchung begann, waren sie alle um die 50 Jahre alt. „Sie litten doppelt so oft an Herz-<br />

Kreislauf-Erkrankungen wie ihre Altersgenossen“, erzählt Tessa Roseboom. „Sie hatten häufiger<br />

Brustkrebs und Übergewicht.“ Das erstaunlichste Ergebnis jedoch: Die Frauen, die damals mit<br />

geringem Geburtsgewicht zur Welt kamen, brachten später selbst kleinere Kin<strong>de</strong>r zur Welt, obwohl<br />

es natürlich längst wie<strong>de</strong>r genug zu essen gab. Und auch diese Kin<strong>de</strong>r, also die Enkel <strong>de</strong>r<br />

Kriegsgeneration, litten noch unter einem höheren Krankheitsrisiko! Wie kann das sein? Wie ist die<br />

Information über die Lebensbedingungen <strong>de</strong>r Großeltern zu <strong>de</strong>n Enkeln gelangt?<br />

Das Gedächtnis <strong>de</strong>r Gene<br />

Seit Darwin vor 150 Jahren die <strong>Evolution</strong>stheorie veröffentlich hat, steht fest: erworbene Eigen -<br />

schaften lassen sich nicht vererben. Die Lebensweise <strong>de</strong>r Großeltern hat keinen direkten Einfluss<br />

auf die Gene <strong>de</strong>r Nachkommen. Muss diese Überzeugung korrigiert wer<strong>de</strong>n? Ausführlich beschäftigen<br />

sich die Forscher <strong>de</strong>r Uniklinik Amsterdam mit <strong>de</strong>r Enkelgeneration. Sie erheben <strong>de</strong>n genauen<br />

Gesundheitszustand und untersuchen Blutproben <strong>de</strong>r Betroffenen. Das Erbgut wird sequenziert.<br />

Endgültige Ergebnisse gibt es noch nicht. Fest steht jedoch, dass die Hungersnot keine<br />

Auswirkungen auf <strong>de</strong>n Buchstabenco<strong>de</strong> <strong>de</strong>r DNS hatte. „Die Hungersnot hat vermutlich bei einigen<br />

Genen <strong>de</strong>n Schalter umgelegt“, sagt Tessa Roseboom. Extreme Ereignisse können Gene an-<br />

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Extreme Ereignisse können <strong>de</strong>n gene -<br />

tischen Schaltplan verän<strong>de</strong>rn.<br />

o<strong>de</strong>r ausschalten. Ein wichtiger Regulationsmechanismus: Die Gene selbst sind nur <strong>de</strong>r Text im<br />

Buch <strong>de</strong>s Lebens. Entschei<strong>de</strong>nd ist, was damit gemacht wird. Kleine Schalter – sogenannte Methyl -<br />

gruppen – heften sich an die DNS und schalten so einzelne Gene an o<strong>de</strong>r aus. 4Epigenetik heißt<br />

<strong>de</strong>r neue Forschungszweig, <strong>de</strong>r sich mit <strong>de</strong>r Regulation unseres Erbgutes beschäftigt. Darwin<br />

konnte von all <strong>de</strong>m nichts wissen. Zu seiner Zeit war selbst die 4DNS noch unbekannt. Umso<br />

erstaunlicher, dass er wichtige Mechanismen <strong>de</strong>r Vererbung sehr zutreffend beschrieben hat. Erst<br />

jetzt ent<strong>de</strong>cken die Wissenschaftler das neue Feld <strong>de</strong>r Epigenetik. Noch steht die Forschung ganz<br />

am Anfang, doch sie hat enorme Konsequenzen: Denn ob wir schlemmen o<strong>de</strong>r hungern, rauchen<br />

o<strong>de</strong>r trinken – all das hat nicht nur Folgen für unsere eigene Gesundheit. Es beeinflusst auch die<br />

Gene unserer Kin<strong>de</strong>r und Enkel.<br />

4 Epigenetik<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

Die Epigenetik beschäftigt sich mit <strong>de</strong>n komplexen Mechanismen <strong>de</strong>r Regulation unserer Gene. Bei epigenetischen<br />

Verän<strong>de</strong>rungen bleibt die Sequenz <strong>de</strong>r DNS unverän<strong>de</strong>rt. Lediglich die Aktivität einzelner Gene wird verän<strong>de</strong>rt.<br />

Ein häufiger Mechanismus ist die sogenannte Methylierung. Dabei heften sich kleine Moleküle an die DNS und<br />

schalten so bestimmte Gene an o<strong>de</strong>r aus.<br />

4 DNS<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

In <strong>de</strong>m Molekül Desoxyribonukleinsäure ist die Erbinformation gespeichert. Mit Ausnahme von einigen speziellen<br />

Viren enthalten alle Lebewesen das Erbmolekül DNS.<br />

Verän<strong>de</strong>rn Traumata in frühester Jugend die Gene?<br />

Am Münchener Max-Planck-Institut für Psychiatrie will Florian Holsboer herausfin<strong>de</strong>n, ob auch<br />

Stress und Traumata unsere Gene verän<strong>de</strong>rn können. Und weil man bestimmte Versuche mit<br />

Menschen nicht machen kann, arbeiten die Forscher hier mit Mäusen: Mehrere Stun<strong>de</strong>n am Tag<br />

wer<strong>de</strong>n Mäusebabys von ihrer Mutter getrennt. Für die Kleinen be<strong>de</strong>utet das Lebensgefahr, <strong>de</strong>nn<br />

sie wer<strong>de</strong>n noch gesäugt. Wirkt sich <strong>de</strong>r Stress, <strong>de</strong>n sie in <strong>de</strong>n ersten Lebenswochen erlei<strong>de</strong>n, bis<br />

ins Erwachsenenalter aus? Ein Verhaltenstest soll diese Frage klären.<br />

Im Erwachsenenalter wer<strong>de</strong>n die Mäuse in eine Art Labyrinth gesetzt. Es gibt geschlossene<br />

dunkle Gänge und offene helle. Die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage: Wagt sich die Maus in die offenen und<br />

hellen Gänge? Das Ergebnis ist ein<strong>de</strong>utig: Mäuse, die ohne schlechte Erfahrungen aufgewachsen<br />

sind, balancieren mutig im Hellen umher. Ihre traumatisierten Artgenossen dagegen bevorzugen<br />

die Sicherheit im dunklen Gang. Stress in früher Jugend führt also zu einem ängstlichen Verhalten<br />

im späteren Mäuseleben. Im nächsten Schritt durchforsten die Wissenschaftler das Erbmaterial <strong>de</strong>r<br />

Mäuse. Tatsächlich hat <strong>de</strong>r Stress Spuren im Genom hinterlassen: Einige Gene wur<strong>de</strong>n aktiviert,<br />

an<strong>de</strong>re abgeschaltet. Traumata verän<strong>de</strong>rn also <strong>de</strong>n genetischen Schaltplan. Die Verhältnisse beim<br />

Menschen sind komplexer. Doch Professor Holsboer ist überzeugt, dass sich die Prinzipien aus <strong>de</strong>m<br />

Mäuseversuch auch auf <strong>de</strong>n Menschen übertragen lassen. „Die Epigenetik ist lange unterschätzt<br />

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wor<strong>de</strong>n“, sagt er. „Heute aber wissen wir, dass die 20.000 Gene, die wir auf unserer Erbsubstanz<br />

tragen, nur eine sehr grobe Grundinformation liefern. Die Epigenetik orchestriert die Informationen,<br />

die auf unseren Genen sind. Und sie ist die Relais-Station gegenüber äußeren Umwelteinflüssen.“<br />

Extreme Ereignisse wie Hunger, Stress o<strong>de</strong>r Terror können also <strong>de</strong>n epigenetischen Schaltplan verän<strong>de</strong>rn.<br />

Professor Holsboer hat auch das Genom von Personen untersucht, die nach <strong>de</strong>m Attentat<br />

auf das World Tra<strong>de</strong> Center in New York unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten. Und<br />

tatsächlich hat er auch bei ihnen Verän<strong>de</strong>rung im Schaltplan <strong>de</strong>r Gene gefun<strong>de</strong>n. Im nächsten<br />

Schritt wollen die Forscher herausfin<strong>de</strong>n, ob solche Verän<strong>de</strong>rungen an die Nachkommen weitergeben<br />

wer<strong>de</strong>n. Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Forschung wer<strong>de</strong>n dann zunächst wie<strong>de</strong>r die Mäuse stehen.<br />

Autorin: Claudia Ruby<br />

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Lesetipps<br />

Tatsache <strong>Evolution</strong>: Was Darwin nicht wissen konnte<br />

Autor: Ulrich Kutschera<br />

Verlagsangaben: Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2009,<br />

ISBN: 978-3423247078<br />

Sonstiges: 320 Seiten, broschiert<br />

Preis: 14,90 Euro<br />

Das Buch bietet einen facettenreichen Querschnitt durch unterschiedlichste Bereiche <strong>de</strong>r Evo -<br />

lutionsbiologie. Immer wie<strong>de</strong>r – das spiegelt sich auch im Titel <strong>de</strong>s Buches wi<strong>de</strong>r – argumentiert<br />

<strong>de</strong>r Autor lei<strong>de</strong>nschaftlich gegen ein kreationistisches Weltbild. Der Autor ist Professor für<br />

Pflanzenphysiologie und <strong>Evolution</strong>sbiologie an <strong>de</strong>r Universität Kassel und Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Arbeitsgemeinschaft <strong>Evolution</strong>sbiologie im Verband Deutscher Biologen.<br />

Gifttiere: Ein Handbuch für Biologen, Toxikologen, Ärzte und Apotheker<br />

Autor: Dietrich Mebs<br />

Verlagsangaben: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 2000<br />

ISBN: 3-8047-1639-3<br />

Sonstiges: 350 Seiten<br />

Preis: 75,70 Euro<br />

Ein schönes, auch für Laien verständliches Buch, mit guter Struktur und vielen beeindrucken<strong>de</strong>n<br />

Fotos. Neben Informationen zu einzelnen Tieren und <strong>de</strong>ren Giften, wer<strong>de</strong>n auch Fallbeispiele von<br />

Vergiftungen geschil<strong>de</strong>rt und mögliche Gegenmaßnahmen erklärt.<br />

Die Pizza-Hun<strong>de</strong>: Freilandstudien an verwil<strong>de</strong>rten Haushun<strong>de</strong>n. Verhaltensvergleich mit Wölfen.<br />

Tipps für Hun<strong>de</strong>halter<br />

Autor: Günther Bloch<br />

Verlagsangaben: Kosmos, Stuttgart, 2007<br />

ISBN: 978-3-440-10482-8<br />

Sonstiges: 248 Seiten<br />

Preis: 19,95 Euro<br />

Der Hun<strong>de</strong>forscher Günther Bloch hat ein Ru<strong>de</strong>l verwil<strong>de</strong>rter Haushun<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Toskana beobachtet<br />

und seine Ergebnisse mit seinen Forschungen an Timberwölfen in Kanada verglichen. Das Buch<br />

zeigt anhand faszinieren<strong>de</strong>r Familiengeschichten, wie sich Hun<strong>de</strong> „natürlicherweise“ verhalten. Das<br />

Buch gibt Einblick in Jagdverhalten, Paarungsverhalten, Jungenaufzucht und Gruppendynamik. Der<br />

Autor gibt auch Tipps für Hun<strong>de</strong>besitzer, die ihrem besten Freund ein artgerechtes Leben bieten<br />

wollen.<br />

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Linktipps<br />

<strong>Evolution</strong> MegaLab<br />

http://www.evolutionmegalab.org/<strong>de</strong><br />

Ranga Yogeshwars Linktipp: Das <strong>Evolution</strong> MegaLab. Wer<strong>de</strong>n Sie <strong>Evolution</strong>sforscher! Beobachten<br />

und zählen Sie alle Arten von Bän<strong>de</strong>rschnecken in Wald und Flur o<strong>de</strong>r auch in Ihrem Garten.<br />

Dabei erleben Sie, wie die Regeln <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong> in Ihrer direkten Umgebung wirken.<br />

Abenteuer <strong>Evolution</strong> bei nano<br />

http://3sat.<strong>de</strong>/nano/diverses/darwin/darwin.html<br />

Der DarwinCo<strong>de</strong> – Charles Darwin, seine Reise, seine Theorie und die Folgen.<br />

<strong>Evolution</strong>sforschung bei Planet Wissen<br />

http://www.planet-wissen.<strong>de</strong>/pw/<br />

Artikel,,,,,,,479C8550BFE84BD8E0440003BA5E08BC,,,,,,,,,,,,,,,.html<br />

Die I<strong>de</strong>e, dass die Natur nicht unverän<strong>de</strong>rlich ist, son<strong>de</strong>rn sich langsam weiterentwickelt, brauchte<br />

lange, um sich durchzusetzen. Beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n christlich geprägten Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Welt gab es<br />

bis ins Mittelalter kaum Zweifel daran, dass Gott alle Pflanzen- und Tierarten geschaffen hat –<br />

und die Welt vollkommen ist. Die Geschichte <strong>de</strong>r <strong>Evolution</strong>sforschung ist <strong>de</strong>mentsprechend<br />

nicht geradlinig, son<strong>de</strong>rn sehr verwickelt verlaufen, da diese traditionelle Vorstellung erst mühsam<br />

überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n musste.<br />

Die Welt <strong>de</strong>s Mikrokosmos<br />

http://www.cytographics.com<br />

Eine Seite, auf <strong>de</strong>r es faszinieren<strong>de</strong> Einblicke in die Welt <strong>de</strong>r Bakterien und Einzeller gibt.<br />

Die Website <strong>de</strong>s <strong>Evolution</strong>sbiologen Bill Martin<br />

http://www.molevol.<strong>de</strong>/lab/martin.html<br />

Hier erklärt Bill Martin seine Arbeit und Theorien. Darunter eine, wie das Leben überhaupt entstand.<br />

W wie Wissen: Albatrosse – Massensterben in <strong>de</strong>r Antarktis<br />

http://www.daserste.<strong>de</strong>/wwiewissen/beitrag_dyn~uid,ddvdfhz4ecfsn085~cm.asp<br />

Albatrosse wer<strong>de</strong>n häufig Opfer von Fischereiflotten, weil sie von Kö<strong>de</strong>rn angelockt wer<strong>de</strong>n.<br />

Dabei kann <strong>de</strong>n imposanten Fliegern mit einfachen Mitteln geholfen wer<strong>de</strong>n.<br />

Museum Koenig: Bil<strong>de</strong>r von Elefantenzähnen<br />

http://www.zfmk.<strong>de</strong>/web/Museum/Museumsschule/Arbeitsmaterialien/Sugetierzhne/<br />

Elefant.pdf<br />

Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Gebisses <strong>de</strong>s Afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana, PDF, 256 kB)<br />

Universität Hamburg: C3-, C4- und CAM-Photosynthese<br />

http://www.biologie.uni-hamburg.<strong>de</strong>/b-online/d24/24b.htm<br />

Grafische Darstellung <strong>de</strong>r C3-, C4- und CAM-Photosynthese mit sehr <strong>de</strong>tailreichen<br />

Hintergrundinformationen.<br />

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Webseite von Redouan Bshary zu <strong>de</strong>n Putzerfischen<br />

http://www2.unine.ch/Jahia/site/ethol/lang/en_GB/pid/5736<br />

Seit Jahren analysiert <strong>de</strong>r Verhaltensforscher Redouan Bshary die Beziehung zwischen<br />

Putzerfischen und ihren Kun<strong>de</strong>n. (englisch)<br />

Das Biosphärenreservat Rhön<br />

http://brrhoen.<strong>de</strong>/<br />

Bun<strong>de</strong>samt für Naturschutz<br />

http://www.bfn.<strong>de</strong>/<br />

Naturschutzbund Deutschland<br />

http://www.nabu.<strong>de</strong>/<br />

Der Naturschutzbund Deutschland hält viele Informationen zur Situation <strong>de</strong>r Vogelwelt bereit.<br />

Das Wolfsforschungszentrum in Grünau<br />

http://www.wolfscience.at<br />

Die Seite <strong>de</strong>s Wolfsforschungszentrums in Grünau mit vielen interessanten Informationen zu<br />

Wolf und Hund.<br />

Der Hungerwinter in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n<br />

http://www.hongerwinter.nl/in<strong>de</strong>x.php?lang=english<br />

Ausführliche Informationen über die Studie zum Hungerwinter in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n (englisch)<br />

Epigenetik<br />

http://epigenome.eu/<strong>de</strong><br />

Informationen und Links rund um das Thema Epigenetik<br />

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http://www.quarks.<strong>de</strong><br />

Impressum:<br />

Herausgegeben<br />

vom West<strong>de</strong>utschen Rundfunk Köln<br />

Verantwortlich:<br />

Quarks & Co<br />

Claudia Heiss<br />

Redaktion:<br />

Lorenz Beckhardt/Thomas Kamp<br />

Gestaltung:<br />

Designbureau Kremer & Mahler<br />

Bildrechte:<br />

Alle: © WDR<br />

außer: angegeben<br />

© WDR 2009<br />

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