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Unendlich ähnlich

Ein Bericht vom 1. Biologicum Almtal 2014

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Emotionen<br />

<strong>Unendlich</strong> <strong>ähnlich</strong><br />

Gefühle begleiten die Menschheit seit Jahrtausenden. Sie sind Stoff für große Literatur, brillante<br />

Kompositionen und epochales Drama. Was Gefühle und Emotionen bei uns auslösen und warum wir<br />

Menschen Säugetieren so <strong>ähnlich</strong> sind – das war das große Thema des ersten Biologicum Almtal.<br />

Text: Andrea Kerssenbrock<br />

SHUTTERSTOCK (3)


58 Emotionen<br />

59<br />

„FRAUEN SIND DIE CHEFINNEN DER FIRMA BEZIEHUNG.“<br />

BARBARA SCHWEDER<br />

E s ist ernüchternd. Das, was die Biologin<br />

Barbara Schweder, Expertin für Genderforschung<br />

und Emotionen, zu sagen hat, räumt<br />

wahrlich nicht mit Geschlechterklischees auf.<br />

Der kleine Unterschied zwischen Mann und Frau<br />

geht tief. Er wurzelt vor allem im emotionalen<br />

Bereich: „Frauen erkennen Traurigkeit beim<br />

Mann.“ Männer hingegen zeigen weniger Mitgefühl<br />

– das belegen Studien: Sie erkennen<br />

schlicht traurige Stimmungen nicht.<br />

Emotional ticken sie anders. Auch sprachlich<br />

sind sie dem weiblichen Geschlecht weit unterlegen.<br />

Und während kleine Mädchen gerne Blumen malen,<br />

wollen Jungs wild sein und sich bewegen. Das<br />

wiederum treibt die kleinen Kerle vermehrt zu<br />

Schulpsychologen. Dabei leben sie doch nur ihre<br />

ureigensten Instinkte. 60 Millionen Jahre Evolution<br />

lassen sich nicht einfach beiseitewischen.<br />

„Frauen wissen ganz genau, was sie wollen.<br />

Zielgerichtet senden sie ihre Signale, schießen<br />

ihre Wurfpfeile hinterher und sind bereit für die<br />

Annäherung“, so Schweder. Die Tochter von Verhaltensforscher<br />

Rupert Riedl macht nicht gerade<br />

den Eindruck, als hätte sie Blümchen gemalt.<br />

Sie nennt Frauen „die Chefinnen der Firma Beziehung“,<br />

das nimmt man ihr eher ab. Dass die<br />

Männer sich gerne auswählen ließen, um später<br />

den Testosteronpegel alltagstauglich abzusenken<br />

– das kommt dann doch ein wenig dick.<br />

Im barocken Pfarrhof von Grünau macht sich<br />

Unruhe breit. Schweders Befund wird nicht von<br />

allen geteilt. Draußen strahlt die Herbstsonne.<br />

Drinnen brauen sich Wolken des Unmuts zusammen.<br />

Das erste Biologicum in Grünau im<br />

Almtal ist in vollem Gang. Es erlebt sozusagen<br />

seinen ersten emotionalen Gipfelpunkt. Das ist<br />

schon wieder stimmig. Schließlich geht es bei diesem<br />

Symposium um Emotionen – jenen bei<br />

Mann und Frau und jenen bei Mensch und Tier.<br />

Es geht um Ähnlichkeiten und Unterschiede, um<br />

Erkennen und Verstehen, um Gefühle, Hingabe,<br />

Anpassung und Selbsterkenntnis.<br />

Verhaltensforscher gehen in dieser Hinsicht<br />

andere Wege als Philosophen, Sozialanthropologen<br />

oder Psychologen. Sie beobachten Mensch<br />

und Tier, sie ziehen Schlüsse, sie geben Antworten.<br />

Und ihre Antworten sind vielen nachvollziehbarer<br />

als Antworten aus anderen Feldern der<br />

Wissenschaft. Das trägt zur Popularität eines<br />

Konrad Lorenz, eines Otto König und heute eines<br />

Kurt Kotrschal durchaus bei.<br />

Barbara Schweder gönnt dem Publikum unterdessen<br />

keine Pause. Nicht nur emotional sind<br />

Männer in gewisser Weise eingeschränkt. „Auch<br />

das Sprachzentrum von Frauen ist weitaus vielschichtiger“,<br />

stellt sie fest. Also nutzen diese ihren<br />

Sprachschatz, um sich zu beruhigen. „Aufgrund<br />

ihrer sprachlichen Unterlegenheit können<br />

Männer ihr Innenleben gar nicht so gut kennen<br />

wie Frauen“, lässt Schweder eine weitere Keule<br />

auf das Publikum niedergehen.<br />

Unser soziales Gehirn<br />

Den Grund dafür macht sie in der evolutionären<br />

Nutzung des Stammhirns aus. Männer gehen<br />

emotionale Anforderungen anders an. Sie neigen<br />

zu „fight and flight“ (kämpfen und fliehen), Frauen<br />

zu „tend and befriend“ (hüten und unterstützen).<br />

Ist also doch alles hoffnungslos zwischen<br />

den Geschlechtern Und die Menschheit nur ein<br />

großer Irrtum Da beruhigt Schweder die teilweise<br />

aufgewühlten Gemüter wieder. Es ist nur<br />

die Herangehensweise, die sich unterscheidet: „In<br />

Wahrheit sind wir füreinander und nicht gegeneinander<br />

geschaffen. Wenn nun der Unterschied<br />

zwischen Mann und Frau so manifest ist, wie groß<br />

müssen dann die emotionalen Unterschiede erst<br />

zwischen Mensch und Tier sein<br />

Kurt Kotrschal ist in seinem Element. Der Initiator<br />

und wissenschaftliche Leiter des Biologicum<br />

Almtal, das im Oktober zum ersten Mal<br />

stattgefunden hat, hat mit der Auftaktveranstaltung<br />

zum Thema „Gefühle“ seines ab nun<br />

jährlichen Symposiums der Naturwissenschaften<br />

voll ins Schwarze getroffen. Auch der Ort ist<br />

wohlgewählt. Grünau im Almtal liegt wie eine<br />

Enklave der Wissenschaft im vielleicht romantischsten<br />

Eck Österreichs. Seit Konrad Lorenz<br />

wird hier geforscht, Graugänse, Kolkraben und<br />

Waldrappen sind die bekanntesten Tiere der Forschungsstelle.<br />

Die Wissenschaft mischt sich sehr<br />

Menschen und<br />

Hunde fühlen<br />

durchaus <strong>ähnlich</strong>:<br />

Die Zufriedenheit,<br />

die unsere Kumpantiere<br />

mit uns<br />

erleben, wenn wir<br />

gemeinsam etwas<br />

unternehmen –<br />

da sei Glück mit<br />

dabei, sagt der<br />

Verhaltensforscher<br />

Kurt Kotrschal.<br />

SHUTTERSTOCK<br />

Universum Magazin 11 | 2014


60 61<br />

Emotionen<br />

„WIR SIND VON NATUR AUS GETRIMMT, EMOTIONEN WAHRZUNEHMEN.“<br />

CLAUS LAMM<br />

sympathisch ins Leben der Almtaler. Forschung<br />

auf Augenhöhe ist angesagt. Das fühlt sich gut<br />

und richtig an.<br />

Gut und richtig fühlt sich auch die emotionale<br />

Beziehung an, die uns mit Tieren verbindet.<br />

Das soziale Gehirn des Hundes etwa funktioniert<br />

wie unseres. Kotrschal und die Hunde, das ist<br />

eine eigene Geschichte: Wenn der populäre Biologe<br />

darüber spricht, dass Hunde ein positives<br />

Gefühl für uns haben, meint man die zwei Dutzend<br />

Exemplare im Saal zustimmend nicken zu<br />

sehen. Ja, auf diesem Wissenschaftssymposium<br />

sind Hunde explizit erlaubt und erwünscht!<br />

Ansteckende Gefühle<br />

„<strong>Unendlich</strong> <strong>ähnlich</strong> gestrickt“, seien wir, sagt Kotrschal<br />

und verweist auf die Synchronisation des<br />

Hundes mit uns Menschen. Die Zufriedenheit,<br />

die unsere Kumpantiere mit uns erleben, wenn<br />

PAOLO BONA / SHUTTERSTOCK.COM<br />

Mitgefühl bringen wir besonders jenen Menschen entgegen,<br />

die uns in ihrer Kultur, ihren Lebensumständen<br />

oder sogar der Vereinszugehörigkeit nahestehen.<br />

wir gemeinsam etwas unternehmen, da sei Glück<br />

mit dabei. Kotrschal spricht auch die Beziehung<br />

zu „seinen“ Wölfen an, die sich jeweils mit der<br />

Intensität und der Qualität des Trainings ändert.<br />

Er sei zwar nicht der Fachmann für Pferde,<br />

aber er könne sich durchaus vorstellen, dass auch<br />

diese mit ihren Menschen synchron agieren.<br />

Dass sie das Angebot zur gemeinsamen Arbeit<br />

annehmen und gemeinsame Erlebnisse, wie etwa<br />

schöne Ausritte, Glück auf beiden Seiten erzeugt<br />

– davon kann ausgegangen werden.<br />

Schon Plinius der Ältere (23/24–79 n. Chr.)<br />

wusste: „Auch von Tieren, welche in unserer Gesellschaft<br />

leben, sind viele einer nähern Betrachtung<br />

wert“, und weiter: „… am treuesten unter<br />

allen sind der Hund und das Pferd dem Menschen<br />

ergeben“. Er berichtet von der Fürsorge<br />

des Hundes selbst über den Tod hinaus (Bestrafung<br />

des Titius Sabinos) und von der Rache des<br />

Pferdes, nachdem sein Reiter in der Schlacht gefallen<br />

war.<br />

Die Geschichte der Beziehung zwischen<br />

Mensch und Tier ist alt. Uralt. Es ist eine Beziehung,<br />

die ganz wesentlich auf Emotionen beruht.<br />

Auf Emotionen von beiden Seiten. Einseitig ist<br />

hier gar nichts.<br />

Das Füreinander ist es auch, was Mensch und<br />

Tier zusammenschweißt. Emotionen sind ansteckend,<br />

und ein positives Gefühl manifestiert sich<br />

ebenso wie Angst. Diese ist hochgradig ansteckend,<br />

sie überträgt sich vom Menschen auf<br />

das Tier und umgekehrt und sorgt für Stress. ><br />

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Seit es uns Menschen gibt, versuchen wir uns ein Bild von der<br />

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Ergründung des Universums ist ungebrochen.<br />

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bei ihrem Werden und Vergehen und ergründet die kosmischen<br />

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62 63<br />

Emotionen<br />

„... AM TREUESTEN UNTER ALLEN TIEREN SIND DER HUND UND DAS PFERD<br />

DEM MENSCHEN ERGEBEN.“<br />

PLINIUS D. Ä.<br />

Die Geschichte der Beziehung zwischen<br />

Mensch und Tier ist uralt. Sie beruht laut<br />

Experten ganz wesentlich auf Emotionen –<br />

und zwar auf Emotionen von beiden Seiten.<br />

SHUTTERSTOCK<br />

Stress schaltet die geistige und soziale Leistung<br />

des Gehirns ab. Claus Lamm ist Psychologe<br />

und Neurobiologe an der Universität Wien. Er<br />

hat faszinierende Einblicke ins menschliche Gehirn<br />

parat. Emotionen unterteilt er in Kategorien:<br />

die Ansteckung (motorische Synchronisation<br />

wie etwa das Gähnen), die Empathie, das Mitgefühl<br />

und den Altruismus (prosoziales Verhalten).<br />

Lamm präsentiert die Ergebnisse seiner Forschung<br />

gelassen – wenngleich sie ernüchternd<br />

sind. Denn Mitgefühl bringen wir besonders jenen<br />

Menschen entgegen, die uns in ihrer Kultur,<br />

ihren Lebensumständen, der Hautfarbe oder sogar<br />

der Vereinszugehörigkeit nahestehen. Das<br />

heißt im Klartext: Je enger das Verhältnis zwischen<br />

Menschen ist, desto empathischer sind sie.<br />

Vergleichende Studien belegen, dass etwa ein Rapidfan<br />

eher mitfühlend mit einem Spieler seiner<br />

Mannschaft ist, als etwa mit einem Spieler des<br />

Gegners (Austria).<br />

Gefühle trainieren<br />

Das eigene Empfinden kann also dem beobachteten<br />

<strong>ähnlich</strong> sein. „Eine typische Reaktion auf<br />

Emotion ist die Übernahme der Gefühle bei einem<br />

Horrorfilm. Wenn die Empathie zu stark<br />

wird, muss der Zuschauer sich aus der Situation<br />

nehmen. Denn eine Perspektivübernahme ist<br />

negativer Stress.“ Das bedeutet nichts anderes,<br />

als dass zu starkes Mitgefühl zu Distress und in<br />

der Folge zum Rückzug führt.<br />

„Wir sind von Natur aus getrimmt, Emotionen<br />

wahrzunehmen“, führt Claus Lamm aus, wir<br />

müssen sie nur selektieren und kontrollieren.<br />

Denn egal, wie stark unsere Gefühle sind, sie sind<br />

in jedem Fall für unser Verhalten relevant. Emotionen<br />

sind also flexibel, sie lassen sich trainieren<br />

und helfen uns dabei, unser Verhalten an entscheidende<br />

Situationen anzupassen. Das klingt<br />

beruhigend. Denn wir kennen die Hochschaubahn<br />

der eigenen Gefühle nur zu gut, wir können<br />

sie nur oft nicht erklären.<br />

Beruhigend ist auch das Plätschern der Alm,<br />

jenem Fluss, der dem Tal seinen Namen gibt. Der<br />

Wasserexperte Hubert Blatterer stellte sich im<br />

Neopren-Overall ins eiskalte Wasser und eröffnete<br />

eine neue Dimension dieses Biologicums.<br />

Ein Gefühl für die Vielfalt stellte sich ein – Kriebbelmückenlarven,<br />

Algen, Krebse, Wassermilben<br />

und einiges andere Getier findet sich im Kescher<br />

wieder. Die Faszination für die ausgeklügelten<br />

Überlebenssysteme der Flussbewohner ist groß.<br />

Die Wissenschaft im Almtal passt perfekt in die<br />

entspannte Landschaft. Man möchte verharren.<br />

Doch im Pfarrsaal wartet ein Stargast.<br />

Sieben Grundgefühle<br />

Mit Jaak Panksepp betritt ein evolutionärer Wirbelwind<br />

die Bühne im Tal der Forschung. Jener<br />

Psychologe, der tief in Tierseelen blickt, forscht<br />

seit Jahrzehnten im unendlichen Feld der Neuronen.<br />

Er hat Ratten durch Kitzeln zum Lachen<br />

gebracht und Krebse kokainsüchtig gemacht.<br />

Seine Botschaft trägt er um den Globus: „We will<br />

never understand the human mind without the<br />

animal mind.“ Also: „Wir werden den menschlichen<br />

Geist niemals ohne den tierischen Geist verstehen.“<br />

Der Sitz unserer Gefühle im Stammhirn, dem<br />

ältesten Teil des Gehirns, sei „dramatisch <strong>ähnlich</strong>“,<br />

veranschaulicht der Wissenschaftler die<br />

Übereinstimmung von Mensch und Tier. Er zeigt<br />

Bilder eines Kindes, dessen Gesicht Emotionen<br />

wie Lachen und Ärger spiegelt, obwohl es ohne<br />

Großhirn geboren wurde. Das ist dann doch ein<br />

wenig gruselig.<br />

Mit seiner Unterscheidung der sieben Grundgefühle<br />

Appetenz, Aggression, Furcht/Angst,<br />

Lust, Fürsorge, Liebe/Bindung, Panik und Spiel<br />

(seeking, rage, fear, lust, care, attachment, panic<br />

und play) steuert der Popstar<br />

der Biologie auf das Finale zu.<br />

„Humans and other mammals<br />

share the same basic emotional<br />

systems“, gibt er uns noch mit<br />

auf den Weg. („Menschen und<br />

andere Säugetiere haben die<br />

gleichen grundlegenden emotionalen<br />

Systeme.“) Wir wussten<br />

es doch!<br />

Ω<br />

Das nächste Biologicum<br />

findet von 8. bis 11. Oktober<br />

2015 wieder in Grünau<br />

im Almtal statt. Es widmet<br />

sich dem Thema „Denken.<br />

Die Biologie des Verstandes“.<br />

Wissenschaftliche<br />

Leitung: Kurt Kotrschal<br />

www.biologicum-almtal.at

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