Fachtagung, Vortrag Fr. Dr. Gädeke - Zentrum für Neurologie und ...
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Kinder<br />
psychisch kranker Eltern<br />
Fallvorstellung<br />
<strong>Dr</strong>. Verena <strong>Gädeke</strong><br />
Tagesklinik Pionierstraße
Anamnese<br />
17 Jahre alter Jugendliche<br />
Unregelmäßiger Schulbesuch seit 4 Jahren, deshalb Wechsel<br />
Gymnasium – Realschule – Hauptschule (Abschlusszeugnis)<br />
Zunehmende Adipositas permagna (150 kg + 30 kg), verstärkt durch<br />
Trennung der Eltern vor 4.5 Jahren <strong>und</strong> anschließend stark depressiver<br />
<strong>und</strong> teilweise suizidaler Symptomatik der Mutter, Identifikation mit der<br />
Mutter<br />
Kompletter Kontaktabbruch zum Vater nach dessen Umzug<br />
Depressive Stimmungslage, sozialer Rückzug/ soziale Phobie nach<br />
Mobbing in der Schule, übermäßiger PC-Konsum<br />
Starke Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls, „alles ist peinlich“
Anamnese<br />
Bisherige Maßnahmen:<br />
Ambulante Psychotherapie<br />
Ablehnung einer vollstationären Behandlung <strong>und</strong><br />
Abbruch der ambulanten Therapie
Familienanamnese<br />
Kindheit der Mutter <strong>und</strong> Stellung in der<br />
Herkunftsfamilie:<br />
jüngstes Kind<br />
2 ältere Brüder, die bis heute starken Einfluss<br />
nehmen (Schutz <strong>und</strong> Kontrolle)<br />
Vater „milder“ Alkoholiker<br />
enger Familieverband
Familienanamnese<br />
Familiäre Bedingungen<br />
Bei Geburt: unerwünschte 2.Schwangerschaft (Patient)<br />
Mutter Alleinverdienerin, schwierige finanzielle Situation<br />
emotional abhängige Beziehung der Mutter zum Ehemann<br />
Erwägen eines Schwangerschaftsabbruchs<br />
Verlauf:<br />
zwischenzeitlich wechselnde Präsenz des Vaters<br />
Scheitern der Ehe vor 4.5 Jahren, Wegzug des Vaters<br />
kurz danach Tod beider Großeltern mütterlicherseits
Psychische Symptomatik der Mutter bei<br />
Aufnahme des Patienten<br />
Schuldgefühle seit der Schwangerschaft, Versagensängste,<br />
Verlustängste. Deutlich depressive Stimmungslage seit<br />
Jahren, zeitweise Suizidgedanken, Schwingungsfähigkeit<br />
leicht reduziert, Aufmerksamkeit wirkt kurzfristig durch<br />
starke emotionale Belastung beeinträchtigt, Schlafstörung,<br />
Z.n. Essstörung, Antriebsstörung, niedriges<br />
Selbstwertgefühl, Resignation<br />
Starke Schuldzuweisung an den Ehemann.<br />
Intrafamiliäre Kommunikation mit Tochter/ älterer<br />
Schwester stark beeinträchtigt durch Schuldzuweisungen
Therapieziele<br />
• Regelmäßig kommen, auch wenn es schwer fällt<br />
• Aktiver werden, auf andere zugehen<br />
• Selbstbewusster werden<br />
• Essverhalten ändern<br />
• Alleine aus dem Haus gehen
Therapeutisches / Pädagogisches Angebot<br />
• Alltag in der Gruppe (8 Jugendliche) unter pädagogischer<br />
Anleitung<br />
• Einzeltherapie<br />
• Gruppentherapie<br />
• Familientherapie (Therapeutin <strong>und</strong> Pädagoge)<br />
• Sozialarbeiterische Beratung (Klärung der schwierigen<br />
finanziellen Situation)<br />
• Schule<br />
• Medizinische Betreuung (Adipositas, Hypertonie)
Spezifische Schwierigkeiten durch<br />
mütterliche Erkrankung<br />
Parentifizierung<br />
• dominantes Verhalten gegenüber der Mutter<br />
• Rückstellung der eigenen Befindlichkeit <strong>und</strong> eigener<br />
Bedürfnisse<br />
• Zurückstellen eigener Entwicklungsschritte <strong>und</strong> altersentsprechender<br />
Ablösungstendenzen zu Gunsten<br />
einer emotionalen Stabilisierung der Mutter<br />
• Aktivierung der mütterl. Ressourcen <strong>und</strong> Aufheiterungsaktionen<br />
<strong>für</strong> die Mutter (Anregung zum Kochen von<br />
Marmelade, Herstellung eines Adventskranzes,<br />
Backen, etc.)
Spezifische Schwierigkeiten durch<br />
mütterliche Erkrankung<br />
„Retter“-Fantasien – Erwartung, selbst gerettet zu<br />
werden, Abgabe von Eigenverantwortung<br />
Verleugnung von aggressiven Impulsen der<br />
„hilflosen“ Mutter gegenüber<br />
Starke Identifikation mit der Mutter<br />
Schuldzuweisungen an Vater <strong>und</strong> Schwester als<br />
„Verursacher“ der mütterlichen Depression
Pädagogische / Therapeutische Maßnahmen<br />
Strukturiertes Umfeld in einer Gruppe, Anleitung im<br />
Umgang mit anderen Jugendlichen in <strong>für</strong> ihn<br />
angstbesetzten Situationen<br />
Häufige pädagogische Einzelgespräche: Anleitung,<br />
Aktivierung, Konfrontation bei provokativem oder<br />
verweigerndem Verhalten<br />
deutlicher Wunsch nach Kontakt <strong>und</strong><br />
Auseinandersetzung mit Pädagogen / Therapeuten
Pädagogische / Therapeutische Maßnahmen<br />
Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe der<br />
Jugendlichen im Rahmen von geführten<br />
pädagogischen Interaktionsgruppen<br />
Erläuterung der eigenen Behandlungsziele gegenüber<br />
den anderen Jugendlichen
Wesentliche Themen der Familientherapie<br />
• Familienanamnese, insbesondere Beleuchtung der<br />
mütterlichen Schuldgefühle<br />
• intrafamiliäre Kommunikation, Versuch der Klärung<br />
von verwirrenden Kommunikationstilen<br />
• Klärung der Eltern-Kind-Ebene<br />
• Unterstützung der Mutter bei der Suche eines<br />
psychotherapeutischen Angebotes (zunächst<br />
ambulante Therapie, dann Tagesklinik)
Veränderungen der Mutter<br />
• Größere Achtsamkeit den eigenen Bedürfnissen gegenüber, Klärung<br />
der eigenen schwierigen beruflichen Situation<br />
• Reduktion der mütterlichen Schuldgefühle zu Gunsten einer<br />
altersgemäß fordernden Haltung dem Sohn gegenüber<br />
• eindeutigere Haltung der Mutter/ Klärung der Eltern-Kind-Ebene<br />
(Reduktion der Parentifizierung)<br />
• Klärung der Beziehung zur Tochter <strong>und</strong> dadurch Entlastung beider<br />
Kinder von gegenseitigen Beschuldigungen<br />
• Differenzierung der unterschiedlichen Wahrnehmung von Mutter <strong>und</strong><br />
Sohn, Klärung unterschiedlicher individueller Haltungen <strong>und</strong> in<br />
bestimmten Bereichen<br />
• Ermunterung des Sohnes, eigene Kontakte außerhalb des Hauses zu<br />
etablieren, Unterstützung bei Grenzsetzung
Einfluss der Stabilisierung des psych. Zustandes der Mutter<br />
auf den Behandlungsverlauf des Jugendlichen<br />
• Reduktion des parentifizierten Verhaltens<br />
• Deutliche Verbesserung der Beziehung zur<br />
Schwester<br />
• Beginn einer Beziehung zu einer Mitpatientin<br />
(Mutterübertragung)<br />
• leichte Gewichtsabnahme, Entscheidung <strong>für</strong> eine<br />
vollstationäre spezifische Behandlung mit<br />
dem Ziel einer Gewichtsreduktion
Familiäre Ressourcen<br />
• starke emotionale Verb<strong>und</strong>enheit<br />
• in der frühen Kindheit vertrauensvolle Beziehung<br />
zur Großmutter<br />
• Einsichtsfähigkeit der Mutter in die eigene<br />
Erkrankung<br />
• hohe Reflektionsfähigkeit <strong>und</strong><br />
-bereitschaft bei Mutter <strong>und</strong> Sohn
Vielen Dank <strong>für</strong> Ihre<br />
Aufmerksamkeit