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Es gibt tau - Sylvia Lott

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Fan oder Star auf den ersten Blick ist das nicht zu erkennen. Beim ,,Wahren Grand Prix" in München<br />

<strong>Es</strong> <strong>gibt</strong> <strong>tau</strong><br />

Kitsch ist Kult, Verkleiden Fun! Wie auf zahllosen Schlagerpartys im Lande feiern schrill<br />

t<br />

li<br />

!1<br />

aufgerüschte Fans Hits der 50er und 60er -,,Ffu Gaaabi tu' ich alles!"- und neue, begnadete Texte wie: ,.Ich<br />

10 wi<br />

1<br />

I fl


zeigt sich der Schlagerboom von seiner komischen Seite, das Publikurn spielt dabei die Hauptrolle.<br />

send gute Gründe, dich<br />

zu lieben...<br />

Dies ist die Ceschichte einer Reporterin, die sich aufmachte, den bewegenden<br />

Schwung des deutschen Schlagers zu ergründen. Und dabei verblüfft erkannte,<br />

daß diese Rhythmen selbst gefestigte Persönlichkeiten nicht kaltlassen<br />

TEXT: SYtVlA LOTT . FOTOS: ttlEtANlE DREYSSE<br />

fand das ganz große Glück/im Zug nach OsnabrücVbeim llalt in Leverkusen/fingen wir an zu schmrrsen"


Freund besorgt: ,,Hofkeine<br />

Nebenwirkungen. "<br />

ihn und versprach,<br />

lich in das Projekt einiagte<br />

ich mich insgediesen<br />

Auftrag nicht<br />

angenommen hatte.<br />

Er lautete: ,,Der deutsche Schlager boomt.<br />

Finden Sie heraus, wo, wie und warum er<br />

nicht totzukriegen ist."<br />

Zwanzig Jahre lang hatte ich ihn<br />

gemieden wie Bata Illic das geschlossene<br />

,,e" (disch erköön isch mit göschlossnön<br />

Augön...). Und jetzt erwischte es mich<br />

doch noch. War's der Mondenschein?<br />

Nein, nein, ein heller Frühlingstag. Oder<br />

urar's der Wein? No, no, es gab nur Kaffee.<br />

Bossa Nova tanzten sie in der Redaktion<br />

ausnahmsweise auch nicht. <strong>Es</strong> war wohl<br />

die Lenduft, die mich dazu brachte.<br />

Inzwischen liegen mehr als zwei<br />

Monate intensiver Recherchen hinter mir.<br />

Und jetzt weiß ich: Die Welt ist voller<br />

Schlager! Was die Neue Deutsche Welle<br />

1983 übenollte, <strong>tau</strong>cht wieder bunt und<br />

glitzernd aus dem Schlamm der Geschichte<br />

auf. Schlagartig scheint sich das Volk<br />

einig zu sein: Ein bifchen Spoß muti sein,<br />

dann ist die Welt voll Sonnenschein!<br />

Alte, wiederauferstandene und j.,nge<br />

Schlagersänger treten einzeln oder im<br />

Kombi-Pack in ausverkauften Tourneesälen<br />

auf. Siebzigerjahre-Schlagerpartys<br />

steigen allüberdl zwischen Neumünster<br />

";, S .11,<br />

Echte Hitparaden-Fans fühlen mit, wenn Leonard singt: ,,Du bist meine<br />

und Nürnberg, in U-Bahnhöfen, Fabrikgebauden,<br />

in plüschigen Cafds, Szene-<br />

Bars und Techno-Discos.<br />

Das Erdbeben von Hamburg Ende<br />

April war in Wirklichkeit ,,nur" der<br />

Begeisterungssturm von 350O Besuchern<br />

im Einkaufszentrum Schenefeld für Sexy<br />

Rexy - den Originalen Gildo (Beinamen:<br />

Rex Dildo und Saurus Rex), dem ein<br />

Ehrenplatz in der deutschen Schlagergeschichte<br />

sicher ist. Nicht zuletzt dank<br />

,,bebenden Nasenflügeln und bezaubernden<br />

Kostümen", wie das neue, von Germanistik-Professoren<br />

und Kulturkritikern<br />

verfaßte Reclam-Werk ,,Schlager, die wir<br />

nie vergessen" (18 Mark) hervorhebt. In<br />

der Open-air-Arena von Bad Segeberg, wo<br />

sich sonst Winnetou und Old Shatterhand<br />

verbrüdern, feierten Aof"og Mai 10000(!)<br />

Fans im Taumel des Wir-Gefühls ,,Die<br />

Nacht des Deutschen Schlagers".<br />

Und dann die vielen, vielen Fernsehund<br />

Radiosendungen, die Schlag auf<br />

Schlag deutsches Liedgut verbreiten! Wie<br />

konnte ich nur so lange Bohnen in die<br />

Ohr'n haben?! Seit Anfang der 90er läiuft<br />

der Schlager-Boom bereits, erklären mir<br />

Experten bei den Plattenfirmen, die sich<br />

immer noch Plattenfuma nennen, obwohl<br />

sie inzwischen ganz andere ,,Tonträger"<br />

verbreiten. Sie bringen neugemixte CDs<br />

mit Oldies der TOer und 6(kr heraus, die<br />

sich so goldig verkaufen, daß selbst Teenies<br />

Spaniens Nächte immer spanischer<br />

vorkommen müssen. Aber auc! richtig<br />

neue Schlager von neuen richtigen Stars<br />

wie Claudia Jung oder Leonard oder<br />

Kristina Bach oder den Paldauern lassen<br />

die elektronischen Kassen piepen. Und<br />

natürlich Wolfgang Petry: Zwanzig Jahre<br />

war er mittel bis mies im Geschäft - dann<br />

kam plötzlich der Megaaufstieg zum<br />

erfolgreichsten deutschen Schlagersänger<br />

der 9oer. Wie kann's nur angehen? ,,Fin<br />

wenig überrascht war ich schon", kommentiert<br />

er knapp, ,,weder ich noch ande<br />

re konnten es erklären." Bleibt uns nur die<br />

dte Epsteinsche Welterklärungs-Formel:<br />

Wunder <strong>gibt</strong> es immer utie-hie-der...<br />

Onkel Jtirgen, auch als lbrnfeld-Drerüs<br />

bekannt, weckt mich morgens mit seinem<br />

neusten Hit: Warum immer ichfwaram<br />

frag ich dich . .. Zwecks Recherche habe ich<br />

alle Radios auf Schlagersender mit ganz<br />

lustigen und lieben Sprechern umgestellt,<br />

Legen Gesangs-Dinos wie Peggy March oder Drafi Deutscher richtig los, <strong>gibt</strong>'s


ewe<br />

Sr>nne bei Tag und Nacht" uncl Krist.ina Bach llirtet: ,,Erst ein Cappuccino/dann ein bißchen Vino<br />

die auch ,,niegelnagelneue" Singles einspielen.<br />

Mein Freund singt unter der<br />

Dusche ,,Wctruftr immer ich f u,arum", fragt<br />

er mich dann, ,,können rvir nicht r,venigstens<br />

im Schlafzimmer normale Musik<br />

hören?" ,,Du hist cler Wincl, der metne<br />

Fltigel trogt", antworte ich ihm. ,,Okar"',<br />

sagt er besänftigt, ,,wenigstens komme ich<br />

bei diesem Sender nicht in Versuchung,<br />

mich noch mal umzudrehen."<br />

<strong>Es</strong> <strong>gibt</strong> zwei Lager: die Stars, die's ernst<br />

meinen oder wenigstens<br />

so tun -<br />

mit Fans, die's<br />

ernst nehmen.<br />

Und die (Möchtegern-)Stars,<br />

die's<br />

spaßig meinen<br />

oder so tun - mit<br />

Fans, die sich kaputtlachen wollen. Anführer<br />

des kleineren Lagers sind ,,die singende<br />

Fönwelle" Dieter Thomas Kuhn<br />

und ,.der Meister": Guildo Horn mit seiner<br />

Band ,,Die orthopädischen Stnimpfe".<br />

Die Fönrvelle setzt auf Parodie, der Meister<br />

auf kollektive Kopflosigkeit als Therapie<br />

für mehr Gefuhl ohne Verlogenheit.<br />

Meine erste große Schlagerveranstaltung :<br />

.,Musik liegt in der Luft" mit Dieter<br />

Thomas Heck. 1000 Plätze ( ,50 bis<br />

74,5O Mark) im Hamburger CCH sind<br />

ausverkauft. Das Publikum: ordentliche<br />

Leute. Mutter hat ihre roten Pumps rausgeholt<br />

und die kurze graue Dauerwellenfrisur<br />

doppelt gespravt. Einige Fans verlieren<br />

gegen Ende die Beherrschung und<br />

halten keck ein Leuchtlämpchen hoch.<br />

Am Ausgang werden Freiexemplare von<br />

,.Das Goldene Blatt" großzugig verteilt.<br />

Ich darf hinter die Bühne. Heck<br />

schäkert mit zwei rosa Wolken, die sich als<br />

Tänzerinnen des Fernsehballetts entpuppen.<br />

Und dann sitze ich Peter Kraus gegenüber.<br />

Von nahem ist er doch 58. Auf der<br />

Bühne rockt und swingt er wie ein<br />

20jähriger, diesen Sommer geht er wieder<br />

auf Solotournee. ,,ln meine Konzerte kommen<br />

auch junge Leute im 70er-Jahre-Outfit,<br />

mit Transparenten, auf denen steht<br />

,Peter, Du bist der Größte!' Die singen alle<br />

Texte auswendig mit. Klar, freut mich das.<br />

Für die ist das eine Form des Happenings."<br />

Ach, was für ein schönes, nostalgisches<br />

7Oer-Jahre-Wort: Happening.<br />

Aber damals hatten Happenings noch<br />

einen hochpolitischen Hintergrund ...<br />

,,Warum", frage ich, ,,boomt der deutsche<br />

Schlager jetzt?" Sugar-Baby-Peter<br />

guckt etwas kraus: ,,Mit dem heutigen<br />

Schlager hab' ich nichts am Hut." Er überlegt<br />

doch und meint dann: ,,<strong>Es</strong> ist handgestrickte<br />

Musik gewesen, aus dem Bauch<br />

raus gespielt", während heute alles ,,dieselbe<br />

Soße mit dem gleichen Grundrhvthmus"<br />

sei und Interpreten für Songs<br />

besetzt würden wie fürs Musical: ein<br />

blonder Tvp, ein schwarzer, ein brünetter<br />

... ,,Früher wurde ein Mensch mit eigener<br />

Persönlichkeit, mit eigenem Flair<br />

gesucht." Ja, und diese Unterschiede<br />

würden die Leute heute wohl soüren. Ein<br />

Standing O\'.1tions wi 13


Parodie-Fans wissen haargenau, worauf es beim Schlager-Revival-Kult ankommt - auf die Perücke!<br />

paar Kabinen weiter sitzt Frank Schöbel,<br />

56, der größte Schlager-, Rock- und Popstar<br />

der Ex-DDR. Sympathisch, bescheiden,<br />

Minipli im Haar. Er <strong>gibt</strong> rund IOO<br />

Konzerte pro Jahr, ,,aber komischerweise<br />

nur im Osten". Wer kann im Westen<br />

schon Schöbels Mega-Hit von 1974 Wie<br />

ein Stern mitsingen? Andererseits finden<br />

im Osten nur wenige die Parodien westdeutscher<br />

Oldies komisch. Der Schlager<br />

teilt unser Land immer noch. Schöbel vergleicht<br />

die Situation mit einem lange<br />

geschiedenen Paar, das es wieder miteinander<br />

versuchen will. ,,Normal wäre es zu<br />

sagen: ,Komm, zeig mir deins, ich zeig dir<br />

meins.' Aber so ist es ja nicht." Obwohl<br />

DDR-Bürger viel mehr über den Westen<br />

gewußt hätten als umgekehrt, sei die<br />

Anpassung an die neuen Bedingungen<br />

eine schwierige Aufgabe: ,,Und jetzt<br />

schon drüber zu lachen ist vielleicht ein<br />

bißchen viel verlangt."<br />

Inzwischen kriselt's bei mir zu Hause.<br />

Der Wind, der meine Flügel tögt, findet es<br />

blöde, in seinem Cabrio zu fahren,<br />

während aus den Boxen dröhnt: Wenn ein<br />

Schwan singt, schu.teigen die Tiere.Ich versuche,<br />

meinen Freund aufzumuntern. Mit<br />

Karten fur die ZDF-Hitparade.<br />

Seit l9E9 wird sie von einem gewissen<br />

Uwe Hübner moderiert. <strong>Es</strong> <strong>gibt</strong> sogar Kaffeebecher<br />

mit seinem Bild für 19 Mark.<br />

Weil die Interpreten seit 1993 wieder live<br />

singen müssen und weil der deutsche<br />

Schlager, wie Uwe Hübner sagt, wieder<br />

Ecken und Kanten und eine Botschaft hat<br />

und die Texte konsequent, logisch und<br />

gesund sind, hat die ZDF-Hitparade auch<br />

ihr Renommee-Tief überwunden und ist<br />

dieses Jahr zum ersten Mal seit l5 Jahren<br />

14wi<br />

wieder auf Deutschland-Tournee, und sie<br />

darf seit dem 28. Mai sogar wieder auf<br />

ihrem alten Sendeplatzam Samstag abend<br />

strahlen. Im Foyer kann man Handtücher<br />

mit dem Aufdruck ,,Nach dem Bade- Hitparade"<br />

kaufen.<br />

Hier ist ein ganz anderes Publikum<br />

versammelt. Nie habe ich so viele schicke<br />

Frauen mit blondierten, durchgestuften<br />

Mähnen und Glitzerapplikationen an<br />

Pullovern oder Schuhen auf einmal gesehen.<br />

Die meisten Besucher, mit denen<br />

ich spreche, sagen, sie sind wegen Peggy<br />

March oder Drafi Deutscher da. Schlager<br />

finden sie toll, weil man die Texte verstehen<br />

und mitsingen und drauf tanzen<br />

kann. <strong>Es</strong> sind auch Twens hier, die<br />

kichern: ,,Ist doch<br />

Kult, ZDF-Hitparade<br />

und Biene Maja - das<br />

ist meine Kindheit."<br />

Wie schön, daß sich<br />

so viele gern erinnern.<br />

An eine Zeit der<br />

Geborgenheit, als noch<br />

alles aufwärts ging<br />

und sicher schien...<br />

Experten halten<br />

Stil-Recycling für ein<br />

typisches Fin-de-siöcle-<br />

Phänomen: Angst vor<br />

einem neuen Jahrhundert<br />

lasse Menschen<br />

immer rückwärts<br />

blicken. Und wir stehen<br />

gar vor einem<br />

neuen Jahr<strong>tau</strong>send...<br />

Der Saal tobt. Feuerzeuge<br />

und diese Begeisterungslämpli,<br />

die<br />

man im Fover erwer-<br />

Tips<br />

für die wahre<br />

Schlager-Pafi<br />

ben kann, schwenken wie besoffene<br />

Glühwürmchen durch die Luft. Klatschen,<br />

Trampeln, ,,aah"-Rufe, Pfiffe.<br />

Andreas Martin singt <strong>Es</strong> <strong>gibt</strong> 1000<br />

gute Gründe, dich zu lieben und noch mehr,<br />

und wenig später singt Kristina Bach<br />

<strong>Es</strong> <strong>gibt</strong> 10000 Gründe, disch nie wieder<br />

zu sehen.<br />

Mich freut besonders, daß Drafi Deutscher,<br />

der eine Motorik wie Joe Cocker<br />

entwickelt hat, wieder so erfolgreich ist.<br />

Bei Marmor, Stein und Eisen bricht, aber<br />

unsere Lie-hie-be nicht singe ich aus vollem<br />

Herzen mit. Ja, es ist ein Rausch! Fremde<br />

lachen mir zu. Hey, das ist toll, befreiend!<br />

Ich bin Teil eines Ganzen!<br />

Dann bringt Drafi ein neues Lied, über<br />

Gott, das reimt sich<br />

Die Vorbereitung:<br />

auch: <strong>Es</strong> <strong>gibt</strong> einenf der<br />

mich festhölt ldas ist<br />

Erf Yeah.In der Pause<br />

verteilt Uwe Hübner<br />

. Partyraum mit Flokati, Bravo- seine Autogrammkar-<br />

Postern, Matratzen, Lachsack, ten. Eine Rentnerin<br />

Discokugel. o Food:5amos, Lam- schenkt mir drei dabrusco,<br />

Sunkist, Sinalco, Bluna, von: ,,Eigentlich mag<br />

Pepsi, Jägermeister, Whiskey- ich ihn ja gar nicht so.<br />

Cola, N udelsa lat, Käse-lgel. Aber ich stand gerade<br />

Mode und Auftritt:<br />

hier. Hat mir vier Kar-<br />

o Schlaghose, Plateauabsatz, ten gegeben." Warum<br />

Knautsch leder, Hä kelkleid, Mus- Schlager? ,,Der eine<br />

term ix. Fönwel le, Mittelscheitel, mag dies, der andere<br />

Rattenschwänze, grüner oder mag das. Man hat ja<br />

blauer Perl-Lidschatten. o Das sonst nichts."<br />

Outfit für Männer: Omas Kurz- Zwei Freundinnen<br />

haa rperücke, Brusttou pet, Gold- aus Elmshorn tragen<br />

kette.. Namen wie Uschi, Ursu- T-Shirts mit Leonardla,<br />

Michael oder Howie für den Porträt. Das Foto ha-<br />

Abend annehmen. o Die Gestik<br />

schulen - ausladende Armbeben<br />

sie selbst geschossen,<br />

beim Schlagerwegungen<br />

machen, ruckartig<br />

gespreizte Hand ballen; einen<br />

weichen Akzent zu legen.<br />

festival. Sie mögen an


...und völli los elöst<br />

Wer mit deutschen Schlagern groß wird, sucht irgendwann die Live-Begegnung mit seinen Stars<br />

Leonard ,,die Musik und die Texte". Ach<br />

ja, ,,und das Aussehen".<br />

Mein Lebenspartner verfällt an diesem<br />

Abend in eine Art Duldungsstarre.<br />

Nur ab und zu murmelt er Total uerrückt,<br />

was mit mir geschiehtf nananananananana.<br />

Da beschließe ich, doch lieber allein zum<br />

fünften Wahren Grand Prix ,,Neue deutsche<br />

Schlager 97" nach München zu fahren<br />

Veranstalterin und Plattenproduzentin<br />

Conny Su Prem erklärt mir, daß sie<br />

dem Nachwuchs eine echte Chance geben.<br />

,,Am Anfang war's Augenzwinkern. Aber<br />

unsere Künstler meinen es schon ernst,<br />

die wollen gewinnen. <strong>Es</strong> ist lustig, aber<br />

keine lrbtanchung. Unser Traum ist es, in<br />

die Hitpiäden zu kommen."<br />

Wie immer moderieren Petra Perle, die<br />

singende Hausfrau: ,,Hossa!", und Rex<br />

Kildo alias Thomas Nowak: ,,<strong>Es</strong> <strong>gibt</strong> nur<br />

einen Wahren Grand Prix!" l5OO Menschen<br />

drängen sich im ausverkauften<br />

,,Colosseum": schreiend komisch kostümiert,<br />

kitschig, kultig im Bad-Taste- bis<br />

Seventies-Styling. Jeder ist ein Star!<br />

l7- bis über 50jährige, viele Schwule. Die<br />

größten Selbstdarsteller stammen eindeutig<br />

aus der Maja-Epoche, sind in den<br />

Zwanzigern. Sie haben die Karnevalskisten<br />

ihrer Eltern geplündert, brüllen<br />

,,Mendocino ist so schrill", immer wieder<br />

,,Hossa!" und reißen die Arme hoch wie<br />

beim Lassowerfen. Karl-Jörg Schlagerfeld<br />

zum Beispiel: roter Anzug, knallgrünes<br />

Hemd, Stirnband. Er reiste extra mit seinen<br />

Pullunder- und Perücken-Freunden<br />

aus Nürnberg an. Sie sind Zivis und Stu-<br />

denten und unheimlich gut drauft ,,Das<br />

ist Lebensgefühl - Spaß, Ungezwungenheit,<br />

Freude am Leben. Jeder mag jeden.<br />

Jeder geht aus sich heraus." Anders als in<br />

coolen Discos mit Computermusik.<br />

Cindy und Bert haben die Schirmherrschaft.<br />

Für sie sei es wie ein zweiter<br />

musikalischer Frühling, sagt Bert. Und<br />

daß sie sich sauwohl und sehr, sehr geehrt<br />

fühlen. Die Jury mit Altstars wie Michael<br />

Holm und Bata Illic wird frenetisch<br />

begrüßt. Irgendwie tut mir das auch weh.<br />

Vor allem, als sie Bata bejohlen; er wirkt<br />

wie das schwarze Schaf einer ehrenwerten<br />

Vampir-Dynastie aus Transsilvanien.<br />

Dann wechseln Ajajajei, orientalische<br />

Klönge mit Dschingis-Khan-inspirierter<br />

Choreographie von ,,Vulcano". Hilde Gard<br />

kommt direkt aus dem Frisuren-Studio.<br />

Johnny Gold schmalzt, als wär's ein Stück<br />

von Chulio: Adioldu hast den Kaffee in der<br />

Hand f und sagst Adio. Die Maskenbildnerin<br />

tupft der Jury Schweißperlen ab. <strong>Es</strong><br />

sind etwa 4O Grad, und die meisten Zuschauer<br />

müssen stehen, weil nur wichtige<br />

Plattenleute Sitzplätze kriegen, aber dafür<br />

darf man rauchen, und jetzt<br />

reiße ich auch ab und zu die<br />

Arme hoch, um den Kreislauf<br />

in Schwung zu halten.<br />

In der Pause htipft eine<br />

Polonaise durch die Halle.<br />

Über IOOO Menschen<br />

leben ihre Sehnsucht nach<br />

Gemeinschaft und Wärme<br />

und Stimmung durch<br />

hymnisches Mitsingen von<br />

Er gehört zu mir und /cä<br />

Gunstbeweise der Fans: Plastikrosen, Stofftiere oder BHs<br />

16 |#ü<br />

\<br />

,t<br />

f<br />

wünsch dir Liebe ohne Leiden aus, getarnt<br />

als Lächerlichkeit, und Petra Perle ruft<br />

wieder ,,Hossa!", und die Maskenbildnerin<br />

reißt eine neue Kleenex-Packung auf.<br />

Meine Favoritin ist Betty Jost. Sie kann<br />

zwar auch nicht singen - Johnny Gold ist<br />

da die Ausnahme -, aber mir gefällt ihr<br />

Text: Ich beam mich einfach weg, alles<br />

andre hat kein Zweck. Den ersten Platz<br />

machen Cliffund Rexonah, ,,das sauberste<br />

Duo seit Meister Propper und Clementine",<br />

mit dem Titel /cft fand das ganz<br />

grol)e Glücklim Zug nach Osnabrück.<br />

Die After-Show-Party floppt, kaum<br />

ein Star da. Michael Holm ist genervt und<br />

erkältet, aber Vollprofi und findet es gaanz<br />

wunderbar, daß die Leute wieder an<br />

Mendocino Spaß haben. Und ich verspüre<br />

plötzlich gaanz heftig den Wunsch, mich<br />

wegzubeamen. Die Dosis war wohl doch<br />

zu hoch. Ich wünsch' den Kids, daß sie<br />

mal was eigenes Neues erfinden.<br />

Zu Hause empftingt mich mein Freund<br />

mit den Worten: ,,Lal3 uns das Leben tinkenf<br />

wie Spaniens roten wein " Noch drei<br />

Jahre bis zur Jahr<strong>tau</strong>sendwende...<br />

'a{<br />

/)

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