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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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echt & <strong>gesellschaft</strong><br />

mit verfassungs<strong>recht</strong>lichen Argumenten<br />

unterfüttert, obwohl sich weder aus<br />

Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte<br />

des entsprechenden Art 6 I GG,<br />

der „Ehe und Familie unter den besonderen<br />

Schutze der staatlichen Ordnung“<br />

stellt, die Unzulässigkeit der eingetragenen<br />

Lebenspartnerschaft ergab. 20 Erreicht<br />

werden konnte eine Unzulässigkeit<br />

nur über eine christlich-katholische<br />

(Mann/Frau-)Festlegung der Verfassung,<br />

die es ebenfalls nicht gibt. 21 Auch<br />

hier wurde mit Hinweis auf angebliche<br />

„Sprachlogik“ 22 der Verfassung die eigentlich<br />

gebotene politische (und daher<br />

zunächst nicht-juristische) Diskussion<br />

um die soziologische Bedeutung der<br />

Ehe, dem Wandel der Geschlechterrollen,<br />

der Rettung aus dem „demographischen<br />

Abgrund“ 23 etc etc bewusst verstellt.<br />

24 Wo tatsächlich einmal Sachargumente<br />

fielen, waren sie dann auch,<br />

vorsichtig ausgedrückt, bisweilen<br />

schwer verdaulich. 25<br />

............................................<br />

20 Zu Recht BVerfG, NJW 2002,<br />

2543.<br />

21 Ennuschat, Gott und Grundgesetz,<br />

NJW 1998, 953; Zuleeg in GG-<br />

Alternativkommentar 3 (2001), Präambel,<br />

Rn 10 f.<br />

22 Braun, Das Lebenspartnerschaftsgesetz<br />

auf dem Prüfstand, Juristische-<br />

Schulung 2003, 21(22).<br />

23 Di Fabio, Am demographischen<br />

Abgrund, Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

v. 12.10.02, 14.<br />

24 Pointiert soziologisch-politische<br />

Argumente jenseits des Verfassungs<strong>recht</strong>s<br />

immerhin bei Roellecke, Kommen<br />

Kinder aus der Klinik, NJW<br />

2002, 2539.<br />

25 Haarsträubend Adomeit, NJW<br />

2002. Das Lebenspartnerschaftsgesetz<br />

bewirke, dass „unentschiedene<br />

Gemüter, die ihre „sexuelle Identität“<br />

(...) noch nicht gefunden“ haben,<br />

„unentrinnbar auf der falschen Seite<br />

fixiert bleiben“, „kein Anlass sie zu fördern,<br />

sie zu dulden ist schon viel“.<br />

Und: Mit LPartG zu Zeiten Thomas<br />

Manns hätte dieser sich nicht bedroht<br />

fühlen müssen, worauf „uns literarisch<br />

einiges entgangen wäre“ (alles bei<br />

1622). Sachlich dagegen Braun,<br />

Gleichgeschlechtliche Partnerschaft<br />

und Ehe – Reflexionen über den Sinn<br />

einer überkommenen Institution, Zeitschrift<br />

für Rechtspolitik 2001, 14.<br />

26 Säcker, Zeitschrift für Rechtspolitik<br />

2002, 1623; plastisch Ladeur, The<br />

German Proposal of an „Anti-Discrimination“<br />

Law: Anti-constitutional and<br />

Anti-common sense, German Law<br />

Journal 2002 Vol 3 No 5, der „Vandalismus“<br />

am BGB feststellt (zugänglich<br />

unter http://www.germanlawjournal.com).<br />

27 Eingehend jetzt Busche, Privatautonomie<br />

und Kontrahierungszwang<br />

(1999).<br />

3. BGB-Mythen<br />

Der Aufschrei im Namen der Vertragsfreiheit<br />

erfolgt regelmäßig auch im Namen<br />

des BGB. Die liberale Grundhaltung<br />

des Gesetzbuches, das man jetzt<br />

offenbar gerne als Kulturgut wiederentdecken<br />

möchte, werde, so die Kritik,<br />

insbesondere durch die dann „explosionsartig<br />

vermehrten Fülle von Kontrahierungszwängen“,<br />

im Kern ge-, ja zerstört.<br />

26 Der vom Entwurf vorgesehene<br />

Kontrahierungszwang ist freilich keine<br />

Erfindung des Justizministeriums. Er ist<br />

eine altbekannte (wenn auch nicht gerade<br />

übererforschte) Figur im Privat<strong>recht</strong>.<br />

27 1980 listete Wolfgang Kilian allein<br />

mindestens 33 (!) verschiedene<br />

Normen auf, die im deutschen Recht einen<br />

Kontrahierungszwang vorsehen. 28<br />

Über einen Kontrahierungszwang wegen<br />

Sittenverstoßes gem §§ 826, 249<br />

BGB bei Monopolmißbrauch für lebenswichtige<br />

Güter etwa ist man sich<br />

weitgehend einig. 29 Es erscheint wenig<br />

plausibel, dass diese Rechtsfolge für<br />

diskriminierendes Verhalten schlechthin<br />

nicht in Betracht kommen soll. Wie<br />

könnte rassische Diskriminierung nicht<br />

gegen die guten Sitten verstoßen, wenn<br />

Monopolmissbrauch hiergegen verstößt<br />

Die Rhetorik dieser Frage stützt<br />

sich gerade nicht auf „politisch verordnete<br />

Moral“. Sittenwidrigkeit ist ein<br />

Rechtsbegriff, sie muss allein aus der<br />

positiven Rechtsordnung gewonnen<br />

werden. 30 Ranghöchstes Recht ist die<br />

Verfassung. Schwere Verstöße gegen<br />

verfassungs<strong>recht</strong>liche Vorgaben müssen<br />

dann die guten Sitten verletzen, und<br />

müssen die in den gesetzlichen Vorschriften<br />

vorgesehen Rechtsfolgen herbeiführen.<br />

31 Im Staudinger gibt es dagegen<br />

auf 188 (!) Seiten zu § 826 nicht<br />

eine einzigen Hinweis auf die Möglichkeit<br />

eines Sittenverstoßes durch rassische<br />

oder ethnische Diskriminierung. 32<br />

Gerade weil sich Gerichte und Wissenschaft<br />

nicht gerade einig waren (und<br />

sind) über diese Möglichkeit und weil<br />

für Opfer in der Regel nur ein gewöhnlich<br />

unbefriedigendes Schmerzensgeld<br />

gewährt wird, ist es vor dem Hintergrund<br />

der verfassungs<strong>recht</strong>lichen Vorgaben<br />

sehr plausibel, hier sogar einen<br />

28 Kilian, Kontrahierungszwang und<br />

Zivil<strong>recht</strong>ssystem, AcP 1980, 53.<br />

29 Staudinger-Bork, BGB, Vorbem<br />

zu §§ 145ff. (1996) Rn 12-35.<br />

30 In der Ausbildungsliteratur selten<br />

so klar wie bei D. Schwab, Einführung<br />

in das Zivil<strong>recht</strong> (2000) Rn 586.<br />

31 Siehe Bezzenberger, Ethnische<br />

Diskriminierung, Gleichheit und Sittenordnung<br />

im bürgerlichen Recht, AcP<br />

(1996) 295.<br />

32 Staudinger-Oechsler, § 826 BGB<br />

(1998).<br />

33 Eingehend Nickel, Gleichheit und<br />

Differenz in der vielfältigen Republik<br />

(1999); die Praxis zeigt ders, Rechtlicher<br />

Schutz gegen Diskriminierung.<br />

Ein Leitfaden (1996).<br />

34 D. Schwab, Das BGB und seine<br />

Kritiker, ZNR 2000, 325; Luig, Römische<br />

und germanische Rechtsanschauung,<br />

individualistische und<br />

soziale Ordnung, in Rückert/Willoweit<br />

staatlichen Handlungsauftrag anzunehmen,<br />

der darin besteht, wirksamen<br />

Schutz vor und wirksame Abhilfe gegen<br />

Diskriminierungen zu errichten. 33<br />

Woher also die Empörung Sie hängt<br />

ganz wesentlich mit der populären Vorstellung<br />

zusammen, nach der das BGB<br />

vor der verfassungs<strong>recht</strong>lichen Invasion<br />

durch das Bundesverfassungsgericht<br />

ein Hort unberührter und unberührbarer<br />

Freiheit war. Es handelt sich um eine<br />

alte Prämisse in neuem Gewand. Danach<br />

ist das BGB Produkt einer von sozialen<br />

Erwägungen sich weitgehend<br />

frei wissenden liberalistisch-individualstischen<br />

Jurisprudenz. Sie hat eine bemerkenswerte<br />

Karriere hinter sich:<br />

Ausgehend von Gierkes und Mengers<br />

wortgewaltiger BGB-Kritik, fortgeführt<br />

von der anti-individualistisch/<br />

anti-„positivistischen“ BGB-Kritik der<br />

1930er Jahre und nach Kriegsende reformuliert<br />

durch Franz Wieackers berühmtes<br />

Wort vom liberalistischen „Sozialmodell“<br />

des BGB, dient sie seit den<br />

1960er Jahren zur Rechtfertigung „sozialer“<br />

Eingriffe ins Gesetzbuch. 34 Jetzt<br />

soll sie offenbar dem gegenteiligen<br />

Zweck dienen.<br />

Es handelt sich dennoch um einen<br />

Mythos. Das BGB ist nicht das Produkt<br />

weltfremder Pandektisten, die in blindem<br />

Gehorsam gegenüber einem individualistischen<br />

römischen Recht sich<br />

sakraler Freiheitsverehrung hingaben.<br />

Soziale Erwägungen waren in der Tat so<br />

dominant in der Rechtswissenschaft des<br />

19. Jahrhunderts, dass der Begriff „Privatautonomie“<br />

in der juristischen Dis-<br />

(Hrsg), Die Deutsche Rechtsgeschichte<br />

in der NS-Zeit: ihre Vorgeschichte<br />

und ihre Nachwirkungen<br />

(1995) 95; Wieacker, Das Sozialmodell<br />

der klassischen Privat<strong>recht</strong>sgesetzbücher<br />

und die Entwicklung der<br />

modernen Gesellschaft, wieder abgedruckt<br />

in ders, Industrie<strong>gesellschaft</strong><br />

und Privat<strong>recht</strong>sordnung (1974) 9; zur<br />

notwendigen Einordnung Rückert,<br />

Geschichte des Privat<strong>recht</strong>s als Apologie<br />

des Juristen – Franz Wieacker<br />

zum Gedächtnis, Quaderni fiorentini<br />

1995, 531 (insb 553 ff). Dass auch die<br />

„Schuld<strong>recht</strong>sreform“ von diesen Vorstellungen<br />

getrieben war, zeigen amüsant<br />

Schröder/Thiessen, Von<br />

Windscheid zu Beckenbauer – die<br />

Schuld<strong>recht</strong>sreform im Deutschen<br />

Bundestag, JZ 2002, 325.<br />

Seite 190 juridicum 4 / 2003

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