Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft
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homosexualität und der freiheitsbegriff der verfassung der vereinigten staaten<br />
kussion kaum auftauchte. 35 Dabei ging<br />
das BGB zweifellos von Privatautonomie<br />
als Prinzip aus – unausgesprochen,<br />
weil selbstverständlich. 36 Ihre „soziale<br />
Aufgabe“ haben die Autoren des BGB<br />
aber bedacht. An nicht wenigen (wichtigen)<br />
Stellen sind sie ihr sogar ge<strong>recht</strong><br />
geworden. 37 Ungebändigte Freiheit jedenfalls<br />
war zu keiner Zeit das Antlitz<br />
des BGB. Es fügte sich damit ein in die<br />
spezifisch deutsche wohlfahrtsstaatliche<br />
Tradition, die letztlich unempfänglich<br />
geblieben ist gegen einen liberalistischen<br />
Impetus, wie er etwa in den<br />
USA wirkmächtig war und ist. 38 Soziale<br />
Verantwortung, öffentliche Wohlfahrt,<br />
gute Ordnung etc sind so die<br />
Schlüsselbegriffe deutscher (Rechts-<br />
)Geschichte. 39 Die Feststellung der Kritiker<br />
des Anti-Diskriminierungsgesetzes:<br />
„Der liberale Staat schreibt dem<br />
Einzelnen (...) zu Recht nicht vor, was<br />
ge<strong>recht</strong>, tugendsam, vernünftig und gut<br />
für ihn ist“ 40 , muss vor diesem Hintergrund<br />
eher als Postulat gelesen werden.<br />
Auch hier sollte man sich durch die Geschichte<br />
in Verlegenheit setzen lassen.<br />
4. Hypertrophie des Rechts<br />
Den europa<strong>recht</strong>lichen Vorgaben wird<br />
man letztlich nicht ausweichen können.<br />
41 Das Anti-Diskriminierungs<strong>recht</strong><br />
wird kommen. Ob Diskriminierungsschutz<br />
durch Recht „ge<strong>recht</strong>“ ist, 42 sei<br />
dahingestellt. Es wäre im politischen<br />
Diskurs zu klären. Jedenfalls – und dies<br />
unerwähnt zu lassen, ist vielleicht das<br />
bedenklichste Versäumnis der Kritik –<br />
entspricht der Entwurf völlig der Natur<br />
............................................<br />
35 S. Hofer, Freiheit ohne Grenzen<br />
Privat<strong>recht</strong>stheoretische Diskussionen<br />
im 19. Jhdt (2001).<br />
26 Ob das für das heutige BGB auch<br />
noch gilt, ist eine andere Frage. Siehe<br />
konkret Oestmann, Erlaubnisnormen<br />
im Miet<strong>recht</strong> – ein Prinzipienbruch,<br />
NZM 2003, 1; zu den „neuen“ Privat<strong>recht</strong>skonzepten<br />
siehe nur G.-P.Callies,<br />
Das Zivil<strong>recht</strong> der Zivil<strong>gesellschaft</strong>, in<br />
Joerges/Teubner (Hrsg), Rechtsverfassungs<strong>recht</strong><br />
(2003) (im Erscheinen).<br />
37 Eingehend nachgewiesen von<br />
Repgen, Die soziale Aufgabe des Privat<strong>recht</strong>s<br />
(2001); ders, Was war und<br />
wo blieb das soziale Öl, ZNR 2000,<br />
406.<br />
38 Siehe nur M. Friedman, Capitalism<br />
and Freedom (1962); Posner, The<br />
Economics of Justice (1983); zu nennen<br />
sind auch die noch radikalere<br />
(und sehr auflagenstarke) Richtung<br />
der „Anarcho Capitalists“ in der Tradition<br />
der „Austrian Economics“, siehe<br />
Benson, The Enterprise of Law<br />
(1990); D. D. Friedman, The Machinery<br />
of Freedom (1989); Rothbard, The<br />
Ethics of Liberty (1998); siehe bereits<br />
Holmes, The Common Law 34 (1949)<br />
96: „State interference is an evil,<br />
where it cannot be shown to be a<br />
good.“ Symptomatisch für die deutsche<br />
Diskussion dagegen etwa Reuter,<br />
Die ethischen Grundlagen der Privat<strong>recht</strong>s<br />
– formale Freiheitsethik oder<br />
materiale Verantwortungsethik, AcP<br />
1989, 199.<br />
39 Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates<br />
und das öffentliche<br />
Recht, ZNR 1989, 129; Benöhr, Wirtschaftsliberalismus<br />
und Gesetzgebung<br />
am Ende des 19. Jahrhunderts,<br />
ZfA 1977, 187.<br />
40 Säcker, Zeitschrift für Rechtspolitik<br />
2002, 287.<br />
41 Dazu Nickel, NJW 2001, 2668 ff;<br />
Thüsing, NZA 2001, 1061 ff; zum<br />
wichtigen Hintergrund Somek, A Constitution<br />
for Antidiscrimination – Exploring<br />
the Vanguard Moment of<br />
Community Law, European Law Journal<br />
1999, 243.<br />
42 So Baer, Zeitschrift für Rechtspolitik<br />
2002, 294; dazu Rüthers, Das<br />
Unge<strong>recht</strong>e an der Ge<strong>recht</strong>igkeit. Defizite<br />
eines Begriffs 2 (1993).<br />
43 Für das Gebiet des Arbeits<strong>recht</strong>s<br />
Kocher, Vom Diskriminierungsverbot<br />
zum „Mainstreaming“ – Anforderungen<br />
an eine Gleichstellungspolitik für<br />
die Privatwirtschaft, RdA 2002, 167.<br />
44 Zuck, Der totale Rechtsstaat,<br />
NJW 1999, 1517.<br />
45 Grimm, Verfassungs<strong>recht</strong>liche<br />
Anmerkungen zum Thema Prävention,<br />
KritV 1986, 38.<br />
46 Siehe nur C. Schäfer, Strafe und<br />
Prävention im Bürgerlichen Recht,<br />
AcP 2002, 397.<br />
47 Siehe die Kritik von Somek, Neoliberale<br />
Ge<strong>recht</strong>igkeit: Die Problematik<br />
des Antidiskriminierungs<strong>recht</strong>s,<br />
des modernen Rechts: Dieses breitet<br />
sich unaufhörlich, unaufhaltsam aus.<br />
Das nicht erst seit gestern. Man sollte<br />
sich daher nicht überrascht geben. Seit<br />
Recht die transzendentalen Autoritäten<br />
ersetzen muss, ist ihr Hypertrophie immanent.<br />
Solange noch Lücken vorhanden<br />
sind, die der Regelung bedürfen, einer<br />
sonstigen (verbindlichen!) Meta-<br />
Regel aber entbehren, wird das Recht<br />
sie schließen. Das gilt für das Anti-Diskriminierungs<strong>recht</strong><br />
besonders. 43 So<br />
kann man den Schutz vor privater Diskriminierung<br />
durch Recht auch als Ersetzung<br />
einer eigentlich zu fordernden,<br />
aber eben nicht (nicht mehr/noch<br />
nicht) vorhandenen sozialen Toleranznorm<br />
lesen. Damit wird in Bereiche<br />
persönlicher Entscheidung eingegriffen,<br />
die man für „unantastbar“ halten<br />
durfte. Man mag das, wenig begriffssensibel,<br />
als „totalen Rechtsstaat“ 44 bezeichnen,<br />
ändern läßt es sich nicht. Jedenfalls<br />
nicht bloß durch apodiktische<br />
Hinweise auf ein doch liberales Privat<strong>recht</strong>,<br />
auf apriorische Freiheitssphären<br />
oder durch Kantsche Bonmots. Denn<br />
zugleich sollen (und müssen) Freiheitsbeschränkungen<br />
nicht nur abgewehrt,<br />
sondern von vornherein verhindert werden.<br />
45 Das geplante Recht strebt genau<br />
dies an: Es will zukünftige Diskriminierungen<br />
durch Abschreckung verhindern.<br />
Ein Ziel, dessen Verfolgung durch<br />
Privat<strong>recht</strong> übrigens mehr als legitim<br />
ist. 46<br />
Insofern arbeitet Recht auch hier nur<br />
punktuell, gezielt, marginal. Aus dem<br />
(erheblich größeren, komplexeren) sozialen<br />
Gesamtzusammenhang des Phänomens<br />
Diskriminierung wird der (jedenfalls<br />
offen/unmittelbar) Diskriminierende<br />
als Rechtssubjekt<br />
herausgegriffen und verantwortlich gemacht.<br />
Diskriminierungsverbote über<br />
Privat<strong>recht</strong> sind also insofern unzureichend,<br />
als sie jenen <strong>gesellschaft</strong>lichen<br />
Gesamtzusammenhang ausblenden<br />
(müssen), der Diskriminierung erst<br />
möglich macht – und „lohnend“ für<br />
jene (es sind nicht die wenigsten), die<br />
aufgrund rationaler (dh marktmäßiger)<br />
Erwägungen andere diskriminieren. 47<br />
Um Moral geht es also gerade nicht.<br />
Das moralische Problem sozialer Diskriminierungen<br />
wird durch den Entwurf<br />
in keiner Weise gelöst. Recht transferiert<br />
lediglich das Problem auf eine andere<br />
Ebene, von der aus es, in neuem<br />
Kontext reformuliert, handhabbar gemacht<br />
werden kann. Das ist keine Taktik<br />
des Gesetzgebers, sondern elementarer<br />
Wesenszug von Recht. 48 Deshalb<br />
wird es ein Antidiskriminierungsgesetz<br />
geben: Der soziale Konflikt ist auf der<br />
Basis sozialer Moral unlösbar. Möglich<br />
ist nur seine Überführung in <strong>recht</strong>liche<br />
Argumentationen („Abwägung“, „Konkordanz“<br />
[„praktische“!], „historischteleologische<br />
Auslegung“, „Erst-<strong>recht</strong>-<br />
Schluss“ etc). Diese Verschiebung ist<br />
das Schicksal (post-)moderner<br />
Gesellschaften 49 . Angesichts der Alternative<br />
staatlicher Moralproduktion ist<br />
es nicht das Schlechteste.<br />
Viktor Winkler studiert Rechtswissenschaften<br />
in Frankfurt.<br />
DZPhil 2003, 45; und eingehend (insb<br />
zu der Frage rationaler Diskriminierung<br />
und ihrer <strong>recht</strong>lichen Behandlung)<br />
ders, Rationalität und<br />
Diskriminierung. Zur Bindung der<br />
Gesetzgebung an das Gleichheits<strong>recht</strong><br />
(2001).<br />
48 Teubner/Zumbansen, Rechtsentfremdungen:<br />
Zum <strong>gesellschaft</strong>lichen<br />
Mehrwert des Zwölften Kamels, Zeitschrift<br />
für Rechtssoziologie 2000, 189.<br />
49 Ob und wie sehr diese Aufgabe<br />
einmal vom spontanen „Soft Law“<br />
einer Welt<strong>gesellschaft</strong> übernommen<br />
werden kann, wird sich zeigen, dazu<br />
Ehricke, Soft Law – Aspekte einer<br />
Rechtsquelle, NJW 1989, 1906; Teubner,<br />
Privatregimes: Neo-Spontanes<br />
Recht und duale Sozialverfassungen<br />
in der Welt<strong>gesellschaft</strong>, in Simon/<br />
Weiss (Hrsg), Zur Autonomie des Individuums<br />
(2000) 437.<br />
juridicum 4 / 2003 Seite 191