GL 4/2007 - der Lorber-Gesellschaft eV
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36 Kann man Richter sein über seinesgleichen <strong>GL</strong> 4/<strong>2007</strong><br />
Kann man Richter sein über seinesgleichen<br />
Über den Glauben bis ans Ende<br />
Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821 – 1881)<br />
„Denke vor allem daran, dass du niemandes Richter zu<br />
sein vermagst. Denn es kann auf Erden niemand Richter<br />
sein über einen Verbrecher, bevor nicht <strong>der</strong> Richter selber<br />
erkannt hat, dass er genau so ein Verbrecher ist wie <strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> vor ihm steht, und dass gerade er an dem Verbrechen<br />
des vor ihm Stehenden vielleicht mehr als alle an<strong>der</strong>en<br />
auch die Schuld trägt. Wenn er aber das erkannt hat, dann<br />
kann er auch Richter sein. Wie unsinnig dies auch<br />
F. M. Dostojewski<br />
Russischer<br />
Schriftsteller<br />
erscheinen mag, so ist es doch die Wahrheit. Denn wenn ich selbst gerecht<br />
wäre, würde es vielleicht auch den Verbrecher nicht geben. Vermagst du<br />
aber das Verbrechen des vor dir stehenden und von deinem Herzen<br />
verurteilten Verbrechers auf dich zu nehmen, so tue das ungesäumt, nimm<br />
es auf dich und leide selber an seiner statt, ihn aber entlasse ohne Vorwurf.<br />
Und selbst wenn das Gesetz dich zum Richter über ihn bestellt, so wirke<br />
doch auch dann in diesem Geiste, denn er wird weggehen und sich selbst<br />
noch viel bitterer verurteilen als dein Urteil es tun könnte. Sollte er aber<br />
mit deinem Kuss ungerührt davongehen, womöglich noch lachend und<br />
spottend über dich, so lasse dich auch dadurch nicht irremachen: es<br />
bedeutet nur, dass seine Stunde noch nicht gekommen ist; aber sie wird<br />
noch kommen zu ihrer Zeit. Und sollte sie für ihn auch nie kommen, so ist<br />
das doch nebensächlich: wenn nicht er, so wird ein an<strong>der</strong>er an seiner statt<br />
zur Erkenntnis gelangen und leiden, sich selbst richten und schuldig<br />
sprechen, und die Wahrheit wird dann anerkannt sein. Glaube daran,<br />
glaube unverbrüchlich daran, denn in eben diesem liegt ja die ganze<br />
Zuversicht und <strong>der</strong> ganze Glaube <strong>der</strong> Heiligen.<br />
Wirke unermüdlich. Wenn dir etwas noch spät abends einfällt, schon<br />
im Einschlafen, und du dir sagst: „Ich habe nicht getan, was hätte getan<br />
werden sollen“, so erhebe dich ungesäumt und tue es. Wenn du ringsum<br />
von boshaften und gefühllosen Menschen umgeben bist, die nicht auf<br />
dich hören wollen, so falle vor ihnen nie<strong>der</strong> und bitte sie um Vergebung,<br />
denn wahrlich bist auch du schuld daran, dass sie nicht auf dich hören<br />
wollen. Wenn es aber schon so weit ist, dass du mit den Verbitterten nicht<br />
mehr reden kannst, so diene ihnen schweigend und in Erniedrigung, ohne<br />
jemals die Hoffnung aufzugeben. Wenn aber alle dich verlassen, o<strong>der</strong><br />
sogar dich mit Gewalt hinausjagen, und du dann ganz allein dastehst, so