11.01.2015 Aufrufe

Substantivflexion - Universität Bielefeld

Substantivflexion - Universität Bielefeld

Substantivflexion - Universität Bielefeld

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Morphologie & Syntax Sommersmester 2012 <strong>Substantivflexion</strong><br />

<strong>Substantivflexion</strong><br />

Die traditionellen Substantivklassen (Eisenberg 2000)<br />

• Das traditionelle Substantivparadigma weist acht Positionen auf, die sich daraus ergeben,<br />

dass die vier Kasus (Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv) und die zwei Numeri (Singular<br />

und Plural) als Elemente einer Haupteinteilung aufgefasst werden.<br />

1. Typ 1: starke Maskulina und Neutra:<br />

‐(e)s im Genitiv Singular; kein –(e)n im Nominativ Plural<br />

(Eisenberg 2000: 152‐154)<br />

Berges, Berge;<br />

Kindes, Kinder.<br />

2. Typ 2: schwache Maskulina:<br />

‐(e)n im Genitiv Singular und im Nominativ Plural<br />

Menschen, Menschen;<br />

Löwen, Löwen.<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Dr. Said Sahel Seite 1


Morphologie & Syntax Sommersmester 2012 <strong>Substantivflexion</strong><br />

3. Typ 3: gemischte Maskulina und Neutra:<br />

‐(e)s im Genitiv Singular; ‐(e)n im Nominativ Plural<br />

Staates, Staaten;<br />

Endes, Enden.<br />

4. Typ 4: Feminina:<br />

eine einheitliche Form im Singular (die Grundform)<br />

Burg, Wand (in allen vier Kasus im Singular )<br />

Neuere Systematisierungsansätze für die <strong>Substantivflexion</strong> (Wiese 2000, 2006)<br />

• Substantivparadigmen, die von einem Ordnungssystem mit acht Positionen ausgehen,<br />

können den Asymmetrien, die dem Paradigmenbau innewohnen, nur ungenügend Rechnung<br />

tragen.<br />

• Denn verschiedene Paradigmenpositionen (Kombinationen aus je einem Kasus und einem<br />

Numerus) sind funktional nicht gleichrangig.<br />

• Eine solche funktionale Asymmetrie lässt sich darauf zurückführen, dass die verschiedenen<br />

Kasus, Numeri und Genera einen unterschiedlichen Markiertheitsgrad aufweisen.<br />

unmarkiert<br />

markiert<br />

hochmarkiert<br />

(Wiese 2006: 20)<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Dr. Said Sahel Seite 2


Morphologie & Syntax Sommersmester 2012 <strong>Substantivflexion</strong><br />

• Während das traditionelle Kasus‐Numerus‐Schema in (a) keinerlei Unterschied zwischen den<br />

acht Positionen vornimmt, werden diese im Markierungsschema in (b) je nach<br />

Markiertheitsgrad in einen unmarkierten, einen markierten und einen hochmarkierten<br />

Bereich.<br />

• Diese drei Markiertheitsstufen ergeben sich aus dem unterschiedlichen Markiertheitsgrad<br />

der vier Kasus bzw. der zwei Numeri:<br />

o Der Singular ist der unmarkierte, der Plural der markierte Numerus und<br />

o die non‐obliquen Kasus (Nominativ und Akkusativ) sind die unmarkierten, die<br />

obliquen Kasus (Dativ und Genitiv) die markierten Kasus.<br />

• Daraus ergibt sich Folgendes:<br />

o Der Nominativ und Akkusativ Singular stellen den unmarkierten Bereich dar, da<br />

sowohl die non‐obliquen Kasus als auch der Singular die unmarkierten Kategorien<br />

sind.<br />

o Der Dativ und Genitiv Singular weisen einen höheren Markiertheitsgrad auf, da die<br />

obliquen Kasus die markierten Kasus darstellen; dieser Bereich gilt daher als<br />

markiert.<br />

o Dem hochmarkierten Bereich entsprechen die Positionen, die sowohl kasus‐ als auch<br />

numerusmarkiert sind: oblique Kasus (Dativ und Genitiv) im markierten Numerus<br />

Plural.<br />

Markiertheitsordnung bei Kasus<br />

• Die Unterscheidung oblique vs. non‐oblique Kasus basiert primär auf den Funktionen, die<br />

die beteiligten Kasus im Sprachsystem prototypisch übernehmen. So gelten der Nominativ<br />

und der Akkusativ als non‐oblique Kasus, da sie die Kasus der Entitäten sind, auf die sich die<br />

Handlung (bei einem Handlungsverb wie geben) unmittelbar bezieht: Sie sind die direkten<br />

Kasus.<br />

• Die obliquen Kasus (Dativ und Genitiv) übernehmen demgegenüber prototypisch die<br />

Kennzeichnung der Entitäten, die nur mittelbar an der Handlung beteiligt sind. Dativ und<br />

Genitiv kennzeichnen den indirekten Kasus bei Verben wie geben bzw. bezichtigen.<br />

• Für den höheren Markiertheitsgrad der obliquen gegenüber den non‐obliquen Kasus<br />

sprechen auch formale Evidenzen: Wenn morphologische Markierungen am Substantiv<br />

auftreten, dann ausschließlich in den obliquen Kasus: im Dativ (Plural) und am Genitiv<br />

(Singular):<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Dr. Said Sahel Seite 3


Morphologie & Syntax Sommersmester 2012 <strong>Substantivflexion</strong><br />

Sg.<br />

Mask. Fem. Neutr.<br />

Pl.<br />

non‐oblique<br />

oblique<br />

Nom. Einfall Nachricht Gesetz Gesetze<br />

Akk. Einfall Nachricht Gesetz Gesetze<br />

Dat. Einfall Nachricht Gesetz Gesetzen<br />

Gen. Einfalls Nachricht Gesetzes Gesetze<br />

• Die morphologische Markierung von Substantiven im Dativ und im Genitiv steht im Einklang<br />

mit der markiertheitstheoretischen Annahme, dass höher markierte Funktionen, hier<br />

oblique gegenüber non‐obliquen Kasus, nach markanteren formalen Kennzeichen verlangen.<br />

• Als formales Argument dafür, den Nominativ und den Akkusativ zur Klasse der non‐obliquen<br />

Kasus zusammenzufassen, kann gelten, dass die Artikelformen in diesen zwei<br />

Kasuspositionen in den meisten Fällen morphologisch identisch sind:<br />

Sg.<br />

Mask. Fem. Neutr.<br />

Pl.<br />

Nom.<br />

Akk.<br />

der Einfall<br />

den Einfall<br />

die Nachricht das Gesetz die Gesetze<br />

Dat. dem Einfall<br />

dem Gesetz den Gesetzen<br />

Gen. des Einfalls<br />

der Nachricht<br />

des Gesetzes der Gesetze<br />

• Nur im Maskulinum wird zwischen dem Nominativ und dem Akkusativ formal<br />

unterschieden, während im Femininum und Neutrum Singular sowie im Plural die<br />

Artikelformen für diese beiden Kasus identisch sind.<br />

• Hinzu kommt, dass trotz des Formenzusammenfalls der Artikel innerhalb jeder Kasus‐<br />

Numerus‐Genus‐Kombination die obliquen Kasus (Dativ und Genitiv) hinreichend von den<br />

non‐obliquen Kasus (Nominativ und Akkusativ) unterschieden sind.<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Dr. Said Sahel Seite 4


Morphologie & Syntax Sommersmester 2012 <strong>Substantivflexion</strong><br />

Ein zweistufiges Klassifikationsschema für Kasus<br />

• Anhand der Unterscheidung oblique vs. non‐oblique kann eine erste Kasusklassifikation<br />

vorgenommen werden:<br />

Kasus<br />

non‐oblique<br />

oblique<br />

Nom. Akk. Gen. Dat.<br />

• Beim nächsten Schritt der Kasusklassifikation wird innerhalb der Merkmale oblique bzw.<br />

non‐oblique unterschieden.<br />

• Anhand der Unterscheidung objektiv vs. non‐objektiv wird eine Ebene tiefer zwischen<br />

Nominativ und Akkusativ bzw. Genitiv und Dativ unterschieden:<br />

– Nominativ und Genitiv werden als non‐objektive Kasus angesehen und gelten in<br />

dieser Hinsicht als unmarkiert.<br />

– Akkusativ und Dativ werden als objektive Kasus angesehen und gelten in dieser<br />

Hinsicht als markiert.<br />

• Das Merkmalpaar objektiv vs. non‐objektiv bezieht sich wieder auf die prototypischen<br />

Funktionen der jeweiligen Kasus:<br />

– Die prototypische Funktion des Nominativs liegt darin, Subjekte zu kennzeichnen:<br />

Der Nominativ ist der Subjektkasus. Er gilt daher als non‐objektiver Kasus.<br />

– Der Akkusativ und der Dativ sind der pototypische Kasus des direkten bzw.<br />

indirekten Objekts. Darüber hinaus sind sie die Kasus, die von primären<br />

Präpositionen regiert werden. Sie gelten daher als objektive Kasus.<br />

– Während der Genitiv seinen Einfluss im adverbalen und zum Teil im präpositionalen<br />

Bereich eingebüßt hat, ist er im attributiven Bereich (das Haus des Nachbarn) noch<br />

relativ stabil. Der Genitiv gilt als der prototypische Kasus für Attribute und daher als<br />

non‐objektiver Kasus.<br />

• Durch die Merkmalpaare oblique vs. non‐oblique und objektiv vs. non‐objektiv entsteht ein<br />

zweistufiges Klassifikationsschema, an dessen Ende die traditionellen Kasuskategorien<br />

stehen:<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Dr. Said Sahel Seite 5


Morphologie & Syntax Sommersmester 2012 <strong>Substantivflexion</strong><br />

Kasus<br />

non‐oblique<br />

oblique<br />

non‐objektiv objektiv non‐objektiv objektiv<br />

Nom. Akk. Gen. Dat.<br />

• Aus diesem zweistufigen Klasifikationsschema ergibt sich hinsichtlich des<br />

Markiertheitsgrades die folgende Ordnung:<br />

o Die obliquen Kasus (Gen. und Dat.) sind höher markiert als die non‐obliquen Kasus<br />

(Nom. und Akk.).<br />

o Innerhalb der non‐obliquen Kasus ist der Akkusativ höher markiert als der Nominativ,<br />

da Ersterer objektiv, Letzterer non‐objektiv ist.<br />

o Innerhalb der obliquen Kasus ist der Dativ höher markiert als der Genitiv, da Ersterer<br />

objektiv, Letzterer non‐objektiv ist.<br />

• Diese Markiertheitsverhältnisse können wie folgt dargestellt werden:<br />

Nominativ


Morphologie & Syntax Sommersmester 2012 <strong>Substantivflexion</strong><br />

• Auf der zweiten Ebene zerfällt das Obergenus non‐fem. in die Untergenera Maskulinum und<br />

Neutrum:<br />

Genus<br />

non‐femininum<br />

femininum<br />

Maskulinum Neutrum femininum<br />

• Dabei gilt das Maskulinum als das unmarkierte Genus, da es die meisten Kasusdistinktionen<br />

aufweist; das Femininum ist das Genus mit der geringsten Anzahl von Kasusdistinktionen<br />

und gilt daher als das markierte Genus.<br />

Die zwei Typen der Normaldeklination (Wiese 2000, 2006)<br />

• Wiese (2000, 2006) unterscheidet für das Neuhochdeutsche zwei Deklinationen<br />

(Normaldeklinationen), die besonders herausgehoben werden.<br />

• Die Verteilung der Substantive auf diese zwei Deklinationstypen ist durch das Genus<br />

gesteuert.<br />

• Diese zwei Deklinationstypen lassen sich den beiden Obergenera non‐femininum (Hund<br />

(Mask.), Schaf (Neutr.)) und femininum (Zahl, Zunge) zuordnen.<br />

• Die Formendifferenzierung im Obergenus non‐femininum (Hund (Mask.), Schaf (Neutr.)) ist<br />

am höchsten (max. vier Formen).<br />

• Die Formendifferenzierung im Obergenus femininum ((Zahl, Zunge) ist am niedrigsten (zwei<br />

Formen).<br />

• Diese unterschiedliche Formendifferenzierung ist durch den unterschiedlichen<br />

Markiertheitstatus dieser beiden Obergenera bedingt.<br />

• Im Obergenus non‐femininum (Hund (Mask.), Schaf (Neutr.)) findet man sowohl Numerusals<br />

auch Kasusflexion.<br />

• Im Obergenus femininum (Zahl, Zunge) findet man lediglich Numerusflexion; Kasusflexion<br />

bleibt hingen ganz aus.<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Dr. Said Sahel Seite 7


Morphologie & Syntax Sommersmester 2012 <strong>Substantivflexion</strong><br />

• Formal lässt sich zwischen einem Volltyp (vierförmig) und einem Reduktionstyp<br />

(zweiförmig) unterscheiden.<br />

• Funktional kann zwischen dem Vorliegen von Numerus‐/Kasusflexion und bloßer<br />

Numerusflexion unterschieden werden.<br />

• Die Unterteilung der Substantivdeklination in zwei Typen (Normaldeklination) basiert auf<br />

der Unterscheidung der zwei Obergenera:<br />

Normaldeklination<br />

non‐fem. (Mask./Neutr.)<br />

Volltyp<br />

Numerus‐/Kasusflexion<br />

fem.<br />

Reduktionstyp<br />

bloße Numerusflexion<br />

• Nur im Maskulinum findet man neben dem Volltyp auch einen Reduktionstyp; es sind die<br />

sogenannten schwachen Maskulina (Mensch, Löwe), die nach dem adjektivischen Muster<br />

deklinieren.<br />

• Im Unterschied aber zum Reduktionstyp (fem.) der Normaldeklination weisen schwache<br />

Maskulina sowohl Numerus‐ als auch Kasusflexion auf.<br />

Literatur<br />

Eisenberg, Peter (2000): Grundriß der deutschen Grammatik. Das Wort. Korrigierter Nachdr.<br />

Stuttgart: Metzler.<br />

Wiese, Bernd (2000): Warum Flexionsklassen Über die deutsche Substantivdeklination. In:<br />

Thieroff, Rolf/Tamrat, Matthias/Fuhrhop, Nanna/Teuber, Oliver (Hgg.): Deutsche Grammatik in<br />

Theorie und Praxis. Tübingen: Niemeyer, 139–153.<br />

Wiese, Bernd (2006): Zum Problem des Formensynkretismus: Nominalparadigmen des<br />

Gegenwartsdeutschen. In: Breindl, Eva/Gunkel, Lutz/Strecker, Bruno/Breindel‐Gunkel‐Strecker<br />

(Hgg.): Grammatische Untersuchungen. Analysen und Reflexionen ; Gisela Zifonun zum 60.<br />

Geburtstag. Unter Mitarbeit von Gisela Zifonun. Tübingen: Narr (Studien zur deutschen Sprache,<br />

36), 15–31.<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Dr. Said Sahel Seite 8

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!